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Karandasch und anere Clowns in der Sowjetunion - Wisent Reisen

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Nummern mit komischen Tierdressuren, Akrobaten-Kunststücken <strong>und</strong> Musik-Parodien<br />

anzureichern pflegten, den "Rotkopf", e<strong>in</strong>e Spielart des Dummen August. Er trug e<strong>in</strong>e<br />

flammend rote Perücke <strong>und</strong> produzierte sich als Trottel, <strong>der</strong> unbelehrbar ist <strong>und</strong><br />

deswegen Schläge <strong>und</strong> Fußtritte erhält.<br />

Der "Rotkopf" war furchtsam, ungeschickt <strong>und</strong> dumm-frech; er kämmte sich mit <strong>der</strong><br />

Manege-Harke <strong>und</strong> streute auf dem gefegten Teppich Sägemehl aus. Gelegentlich trat er<br />

als Reprisen-Clown zusammen mit dem "Weißen" auf, e<strong>in</strong>em Harlek<strong>in</strong> mit<br />

mehlbestäubtem Gesicht, <strong>der</strong> sich vernünftiger gab <strong>und</strong> den "Rotkopf" terrorisierte. Der<br />

russische Dumme August war jedoch äußerst beliebt, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ruf von <strong>der</strong> Galerie:<br />

"Gebt uns den Rotkopf!" deutete unmißverständlich an, daß sich das Publikum<br />

langweilte.<br />

Der "Rotkopf" war freilich ungeeignet, als satirischer Propagandist <strong>der</strong><br />

kommunistischen Gesellschaftslehre o<strong>der</strong> als Possenreißer aufzutreten, <strong>der</strong> im<br />

Staats<strong>in</strong>teresse politische Übelstände denunziert. "Diese barocke Gestalt", schrieb e<strong>in</strong><br />

Partei-Literat, "verkörperte Ger<strong>in</strong>gschätzung gegenüber dem Menschen; sie ließ die<br />

Absicht erkennen, ihn abstoßend zu zeigen, ihn zu erniedrigen. E<strong>in</strong> solcher Clown kam<br />

im wirklichen Leben nicht vor <strong>und</strong> konnte daher auch ke<strong>in</strong> Repertoire besitzen, das sich<br />

auf die Zeitgeschehnisse bezog."<br />

Ende <strong>der</strong> zwanziger Jahre trat im Len<strong>in</strong>gra<strong>der</strong> Zirkus zum ersten Male e<strong>in</strong> Clown auf,<br />

<strong>der</strong> die Auffassungen <strong>der</strong> bolschewistischen Kulturfunktionäre von e<strong>in</strong>em demokratisch<br />

glaubwürdigen <strong>und</strong> respektablen Spaßmacher zu erfüllen schien. Er nannte sich nicht<br />

mehr "Coco", "Bim" o<strong>der</strong> "Bom", son<strong>der</strong>n mit se<strong>in</strong>em bürgerlichen Namen Pawel<br />

Alexejewitsch. Er erschien als zerstreuter Kle<strong>in</strong>bürger, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Manege verlaufen<br />

hat, dort herumgestoßen wird <strong>und</strong> <strong>in</strong> burlesken Streitgesprächen den ges<strong>und</strong>en<br />

Menschenverstand gegen die Zirkusbräuche verteidigt.<br />

Doch schon bald überflügelte e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Spaßmacher diesen ersten <strong>der</strong> "progressiven"<br />

<strong>Clowns</strong>: Rumjanzew, <strong>der</strong> unter se<strong>in</strong>em Namen <strong>Karandasch</strong> ("Bleistift") noch heute als<br />

<strong>der</strong> populärste aller satirischen Sowjet-<strong>Clowns</strong> gilt. Er hatte entfernte Ähnlichkeit mit<br />

Chapl<strong>in</strong>, trug e<strong>in</strong>e Harmonika-Hose, e<strong>in</strong>en zu weiten Rock <strong>und</strong> überlange Schuhe - se<strong>in</strong><br />

deformierter Hut, e<strong>in</strong> Spazierstock <strong>und</strong> e<strong>in</strong> bizarr gezupftes Kavaliertaschentuch<br />

karikierten e<strong>in</strong>en Mode-Geck.<br />

<strong>Karandasch</strong> beobachtete die Vorführungen <strong>der</strong> Artisten mit verblüfftem Erstaunen;<br />

dann machte er dem Publikum e<strong>in</strong> Zeichen, daß er e<strong>in</strong>e Idee habe, <strong>und</strong> verschwand. In<br />

den Pausen äffte er die Vorführungen nach, <strong>in</strong>dem er das Gerät <strong>der</strong> Artisten auf kuriose<br />

Weise ersetzte; so zum Beispiel e<strong>in</strong> Fahrrad durch e<strong>in</strong>en Esel, dem er Lenkstange <strong>und</strong><br />

Pedale aufmontiert hatte: Rittl<strong>in</strong>gs auf dem Esel sitzend, mimte <strong>Karandasch</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Radfahrer, <strong>der</strong> sich, verzweifelt tretend, vorwärts müht.<br />

Nach Art <strong>der</strong> Entree-<strong>Clowns</strong> spielte <strong>Karandasch</strong> im Chapl<strong>in</strong>-Stil kle<strong>in</strong>e Sketches, denen<br />

er, nachdem se<strong>in</strong>e Popularität gesichert war, satirische Szenen h<strong>in</strong>zufügte. Sie wurden<br />

ihm - wie übrigens auch den an<strong>der</strong>en prom<strong>in</strong>enten satirischen <strong>Clowns</strong> - von den<br />

Hausschreibern <strong>der</strong> Moskauer Unterhaltungszentrale geliefert. Vornehmlich<br />

behandelten sie "westliche Kriegstreiber", die Atombombe, die Exzesse des<br />

Bürokratismus <strong>und</strong> "volksschädliche Nichtstuer".<br />

Im stilisierten Pierrot-Kostüm, allerd<strong>in</strong>gs ungeschm<strong>in</strong>kt, tritt e<strong>in</strong> Sowjet-Clown auf, <strong>der</strong><br />

sich auf komische Tiernummern spezialisierte: Jurij Wladimirowitsch Durow - e<strong>in</strong><br />

Nachfahr jenes Wladimir Leonidowitsch Durow, <strong>der</strong> sich mit se<strong>in</strong>er politisch<br />

anzüglichen Schwe<strong>in</strong>edressur bei Wilhelm II. unbeliebt gemacht hatte.<br />

Durow verfügt über e<strong>in</strong> umfangreiches Repertoire komischer Tiernummern, die er <strong>in</strong><br />

bizarren Zusammenstellungen präsentiert. Zu se<strong>in</strong>er Menagerie gehören Hühner, Affen,<br />

Schwäne, Füchse, Seelöwen, P<strong>in</strong>gu<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Bären; außerdem e<strong>in</strong> Känguruh, e<strong>in</strong> Elefant<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Nilpferd. Durow führt diese Tiere <strong>in</strong> menschlichen Verkleidungen vor <strong>und</strong><br />

zw<strong>in</strong>gt sie zu grotesken Posen, die politisch-satirisch verstanden werden sollen.<br />

E<strong>in</strong>e solche politische Tierschau nannte er beispielsweise "Allegorische Parade"; das<br />

Szenarium <strong>und</strong> die kommentierenden Verse wurden ihm von zwei sowjetischen Autoren<br />

geliefert, für die Inszenierung wurde e<strong>in</strong> Regisseur bemüht. "Dem Publikum", so schrieb

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