FINE Das Weinmagazin - 01/2014
INE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: RHEINHESSEN
INE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: RHEINHESSEN
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E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E<br />
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1 / 2<strong>01</strong>4 Deutschland € 15<br />
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DAS WEINMAGAZIN<br />
Glenmorangie und die Weinfässer<br />
Bruno Giacosa, Altmeister der Langhe<br />
Château Giscours in frischem Glanz<br />
Grüner Veltliner – Österreichs Paradewein<br />
Die Domaine Jean-Louis Chave<br />
Der diskrete Charme des »Baron de L«<br />
Die Schwestern Antinori<br />
Comte Stephan von Neipperg<br />
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E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
1/2<strong>01</strong>4<br />
INHALT<br />
DAS WEINMAGAZIN<br />
Seite 16 Graf Stephan von Neipperg im Bordelais Seite 26 Château Giscours<br />
Seite 44 Der »Baron de L« Seite 91 Grüner Veltliner<br />
von der Loire<br />
Seite 64 Drei rheinhessische Spitzenwinzer<br />
11 <strong>FINE</strong> Editorial Thomas Schröder<br />
16 <strong>FINE</strong> Bordeaux Die Weinberge des Grafen Stephan von Neipperg<br />
26 <strong>FINE</strong> Bordeaux Château Giscours und die Holländer<br />
34 <strong>FINE</strong> Rhône Jean-Louis Chave, der bedeutende Winzer des Hermitage<br />
44 <strong>FINE</strong> Loire Der diskrete Charme des »Baron de L«<br />
54 <strong>FINE</strong> Tasting Einhundertein Silvaner aus Rheinhessen<br />
64 <strong>FINE</strong> Rheinhessen Drei Freunde im Land der tausend Hügel<br />
76 <strong>FINE</strong> Tasting Riesling, Weißburgunder und Silvaner aus Rheinhessen<br />
Seite 34 Jean-Louis Chave<br />
Seite 81<br />
Jürgen Dollase im La Mer<br />
Seite 54 Silvaner aus<br />
Rheinhessen<br />
82 <strong>FINE</strong> Die Pigott Kolumne Die jungen Winzer in Rheinhessen<br />
86 <strong>FINE</strong> Wein & Speisen Jürgen Dollase im La Mer auf Sylt<br />
94 <strong>FINE</strong> Die schönen Dinge Der edle Bleistift<br />
96 <strong>FINE</strong> Österreich Der Grüne Veltliner macht Karriere<br />
1<strong>01</strong> <strong>FINE</strong> Tasting Grüne Veltliner aus vier Jahrzehnten<br />
108 <strong>FINE</strong> Weinwissen Christian Göldenboog über Klone<br />
112 <strong>FINE</strong> Frauen im Wein Die drei Töchter des Marchese Piero Antinori<br />
120 <strong>FINE</strong> Reiner Wein Anne Zielke: Que Syrah Syrah<br />
122 <strong>FINE</strong> Piemont Bruno Giacosa, der Altmeister der piemontesischen Weine<br />
130 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Große Dutzend Cabernet Sauvignon von Tasca d’Almerita<br />
134 <strong>FINE</strong> Whisky Glenmorangie und die Weinfässer<br />
142 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Bier danach Bölkstoff oder Die Verwernerung der Republik<br />
Seite 122 Bruno Giacosa<br />
Seite 134 Whisky von Glenmorangie<br />
Seite 112 Die Antinori-Töchter<br />
146 <strong>FINE</strong> Abgang Ralf Frenzel<br />
8 9<br />
F I N E 1 / 2<strong>01</strong>4 F I N E I n h a l t
Die Weinberge des Grafen Stephan<br />
von Neipperg und sein Château<br />
Canon La Gaffelière im Bordelais<br />
Zwei Weingüter hat Stephan Graf von Neipperg an die<br />
Spitze der neuen Klassifikation der grossen Weine von<br />
Saint-Emilion geführt: Château Canon la Gaffelière und<br />
La Mondotte gehören seit Oktober offiziell zur Gruppe der<br />
Premier-Grand-Cru-Classé-Weine. Der perfektionistische<br />
Weinmacher geniesst seine Erfolge mit grosser Gelassenheit.<br />
Von Christian Volbracht<br />
Fotos Johannes Grau<br />
16 17<br />
F I N E 1 / 2<strong>01</strong>4 F I N E B o r d e a u x
Schräg gegenüber dem kleinen Bahnhof von Saint-Emilion ducken sich die Keller von<br />
Château Canon La Gaffelière hinter die Bahnlinie, die aus dem Tal der Dordogne über<br />
Libourne nach Bordeaux führt. Über die Weinberge kann man nach Norden bis zu den<br />
mittelalterlichen Mauern von Saint-Emilion hinaufblicken. Auf dem Hof schirmt eine<br />
dichte grüne Ligusterhecke die Sicht gegen die vorbeifahrenden Züge ab.<br />
Es war ein eher schlichtes, unattraktives Anwesen<br />
in schlechtem Zustand, als Joseph Hubert<br />
Graf von Neipperg seinem sechsundzwanzigjährigen<br />
Sohn Stephan im Jahr 1984 die Leitung<br />
seiner französischen Weingüter übertrug. »Es gibt<br />
schönere Châteaus«, sagt Stephan von Neipperg<br />
auch heute noch. Der Adlige mit dem gepflegten<br />
Menjou-Bärtchen und locker nach hinten<br />
gekämmtem Haar empfängt den Besucher in offenem<br />
Hemd und dezent kariertem Jackett, um die<br />
Schultern ein knallroter Pullover. An den Wänden<br />
des geräumigen Probenraums hängen die großflächigen,<br />
hellen Gemälden seiner Frau Sigweis:<br />
dekorative Blumen, Bäche, ein beflügelter Pegasus.<br />
Die Titel lauten »Blüte des Lebens«, »Lichtwärts«<br />
oder »Lebensfluss«.<br />
»Als wir hier runterkamen, war Canon la<br />
Gaffelière das hundertsechzigste Gut in der Liste<br />
der Cru Classés von Saint-Emilion«, sagt Stephan<br />
von Neipperg, und ganz leicht klingt der süddeutsche<br />
Dialekt der württembergischen Heimat<br />
noch durch. Die 1971 vom Vater erworbenen<br />
Weinberge lieferten eher leichte und mittelmäßige<br />
Rote. Der Weinbibel der siebziger Jahre, der Encyclopedia<br />
of Wines and Spirits von Alexis Lichine,<br />
war das Gut keinen Einzeleintrag wert. »Nichts<br />
Bedeutendes eben, auch keine große Geschichte«,<br />
sagt Neipperg. Der Name Gaffelière leitet sich von<br />
einer ehemaligen Leprastation und der Bezeichnung<br />
»Gaffets« für die Kranken her. Im 17. Jahrhundert<br />
gab es nur das Weingut La Gaffelière,<br />
dessen nördliche Hälfte mit einem prächtigen<br />
Schloss bis heute im Besitz der Grafen Malet<br />
Roquefort ist. Im 18. Jahrhundert wurde der südliche<br />
Teil verkauft, hieß dann lange Gaffelière<br />
Boitard, bevor er seinen heutigen Namen bekam.<br />
Joseph Hubert erwarb das Gut aus dem Nachlass<br />
eines ehe maligen Bürgermeisters von Saint<br />
Emilion, dazu die Weingüter La Mondotte, Clos<br />
de l’Oratoire und Châtau Peyraud.<br />
Immerhin war die Lage am Bahnhof praktisch.<br />
Die vier Kinder von Stephan und Sigweis von<br />
Neipperg konnten mit dem Zug in die Schule nach<br />
Libourne und später nach Bordeaux fahren. Auch<br />
der Hund reiste einmal allein in der Ersten Klasse<br />
bis nach Libourne und wurde dann gegen Zahlung<br />
von zwei Flaschen Wein bei der Polizei ausgelöst.<br />
»Lichtwärts«, aufwärts musste es gehen, eine<br />
schöne Aufgabe für einen tatkräftigen jungen<br />
Mann. Der Adlige aus Deutschland, fünftes von<br />
acht Kindern, hatte an der Pariser Elite universität<br />
»Sciences Po« Politik und Wirtschaftswissenschaften<br />
studiert. Doch dann wählte er die Herausforderung<br />
Weinbau mit der Aussicht auf rasche<br />
Erfolge. Sein Vater konnte das Gut von Deutschland<br />
aus nicht intensiv genug bewirtschaften, da<br />
er in Schwaigern in Württemberg das Familiengut<br />
leitete. Nachfolger in Schwaigern war nach<br />
der Familientraditon ohnehin Stephans ältester<br />
Bruder Karl Eugen Erbgraf zu Neipperg.<br />
Dem Frankreich-erfahrenen jungen Mann fiel<br />
der Eintritt in die Welt der Weine von Bordeaux<br />
nicht schwer. Es sei ein Lernprozess gewesen,<br />
sagt er. »Man wird immer so angenommen, wie<br />
man reinpfeift. <strong>Das</strong> kennen wir in der Familie, wir<br />
haben ja viele Anpassungen.« Am großen Kamin<br />
des Probenraumes prangt das Wappen des Grafengeschlechts,<br />
das sich zum Adel des Heiligen<br />
Römischen Reiches Deutscher Nation rechnet. Im<br />
12. Jahrhundert hatte die Familie im Gebiet von<br />
Schwaigern die Grafschaft Neipperg begründet,<br />
wo sie dann auch mit dem Weinbau begann. Später<br />
taten sich die Grafen vor allem als Soldaten und<br />
Diplomaten in habsburgischen Diensten hervor.<br />
Stephan Graf von Neipperg hatte das Potential<br />
des Besitzes in Frankreich erkannt, eine Fachausbildung<br />
holte er an der Weinbaufachschule in<br />
Montpellier nach. 1988 begann er mit der Erneuerung<br />
von Canon La Gaffelière, schuf eine funktionelle,<br />
aber nicht besonders aufwändig gestaltete<br />
Kellerei mit schlichten sandfarbenen Mauern.<br />
Rasch erkannte er die Gründe für die Schwächen<br />
des Gutes. Es hatte sehr gute Weine in den vierziger<br />
Jahren, auch in den Fünfzigern gegeben.<br />
»1961 war riesig, wenn ich auch denke, 1953 ist<br />
noch größer. Aber das alles war schlagartig vorbei<br />
nach 1964.« Die Ursache war Chemie im Weinberg:<br />
»Kunstdünger, der Stickstoff.« Stephan von<br />
Neipperg kommt ins Dozieren, erklärt anschaulich:<br />
»Stickstoff ist letztlich agronomisch gesehen<br />
ein Salz, das durch Wasser ausgeglichen wird. Es<br />
ist wie bei Tomaten aus Holland. Stickstoff zerstört<br />
den Geschmack jeder Frucht. <strong>Das</strong> haben die<br />
hier extrem eingegeben.« Drastisch kritisiert er<br />
die Fehler der Vorgänger: »Jahrgang 1970 ist deshalb<br />
ein stilles Wässerchen. Pipi de chat, als ob Sie<br />
durch einen Tunnel gehen, in dem in jede Ecke<br />
eine Katze gepinkelt hat. <strong>Das</strong> haben Sie da in der<br />
Fast andächtig: Sehr behutsam<br />
gießt Graf Stephan von Neipperg<br />
den Wein zum Verkosten ins<br />
Glas. Die ehrfurchtgebietende,<br />
sechs Liter fassende Methusalem<br />
aus dem Jahrgang 1975 ist<br />
größeren Anlässen vorbehalten.<br />
18 19<br />
F I N E 1 / 2<strong>01</strong>4 F I N E B o r d e a u x
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Château<br />
Giscours<br />
und die Holländer<br />
Von Christian Volbracht<br />
Fotos Johannes Grau<br />
In der Geschichte von Château Giscours haben<br />
begüterte Ausländer schon früh eine wichtige<br />
Rolle gespielt. 1847 investierte der aus Luxemburg<br />
stammende Tabakhändler und Bankier Comte<br />
Jean-Pierre Pescatore sein Geld in das prächtige<br />
Gut im Margaux. Einhundertfünfzig Jahre später<br />
finanziert ein Supermarkt- Unternehmer aus den<br />
Nieder landen den Wieder aufstieg des damals vernachlässigten<br />
Weinguts.<br />
Im sonnigen Dunst: Château Giscours<br />
hat seine Pforten geöffnet.<br />
Links der Straße gepflegte Rebenflächen, rechts eine Mauer,<br />
dahinter eine Farm, dann ein anmutiges Eisentor, von<br />
Ziegel stein säulen gehalten, ein Park mit alten Bäumen und<br />
schließlich das Schloss. Wer sich von Labarde aus, einem<br />
kleinen Dorf südlich von Margaux, Château Giscours nähert,<br />
ist vom Anblick des prächtigen neoklassizistischen Bauwerks<br />
und seiner weitläufigen Parkanlage gefangen. Der<br />
weiße schiefer gedeckte Bau mit seinem erhöhten Mittelteil<br />
ist um geben von Teichen und Kanälen, Wald und Wiesen.<br />
Jetzt im Frühjahr leuchtet die tief stehende Nachmittagssonne<br />
durch die hohen Fenster und großen Säle des Ge bäudes.<br />
» Ecurie«, Pferde stall, steht am Verwaltungsgebäude zur Linken,<br />
gegenüber das Wirtschaftsgebäude im typischen Médoc-Stil,<br />
mit Ziegeldächern, beigefarbenen Mauern und mostroten<br />
Toren und Fensterläden.<br />
Bis vor zehn Jahren wurde auf den weiten Wiesen noch<br />
Polo gespielt. »Wir hatten einmal vier Spielflächen und sechzig<br />
Pferde«, sagt Alexander Van Beek, Statthalter seines holländischen<br />
Hausherrn und Landsmanns Eric Albada Jelgersma.<br />
»Jetzt spielen wir nur noch Cricket.« Jelgersma, mit Supermarktketten<br />
reich geworden, kaufte das Gut im Jahr 1995. Jetzt<br />
26 27<br />
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Grösse<br />
und Bescheidenheit<br />
Jean-Louis Chave, dem bedeutenden Winzer des<br />
Hermitage an der nördlichen Rhône, ist die Kultur<br />
des Weins wichtiger als die eigene Befindlichkeit<br />
»Ich verstehe mich als Staffel-<br />
Läufer durch die Jahrhunderte«<br />
Von Rainer Schäfer<br />
Fotos Marco Grundt<br />
34 35<br />
F I N E 1 / 2<strong>01</strong>4 F I N E R h ô n e
Die Avenue du Saint-Joseph, eine unauffällige<br />
Straße in Mauves en Ardèche mit verwitterten<br />
Häuserfronten, ist beinahe menschenleer.<br />
Viele Fensterläden bleiben auch tagsüber<br />
verschlossen, man vermutet kein Leben dahinter.<br />
Auch das Haus mit der Nummer 37 fügt sich ein<br />
in dieses reglose Ambiente. Es ist eine perfekte<br />
Tarnung, nichts deutet darauf hin, dass sich hinter<br />
der Fassade eines der renommiertesten Weingüter<br />
Frankreichs verbirgt: die Domaine Chave.<br />
<strong>Das</strong> Namensschild an der Klingel ist vergilbt, doch<br />
hinter einer unscheinbaren Metalltür führt ein<br />
Flur in eine lebendige, faszinierende Gegenwelt.<br />
Im Hinterhof werden Holzfässer geschrubbt und<br />
Bütten gereinigt, Wasserschläuche knäueln sich<br />
am Boden. In der Luft hängt das schwere Parfüm<br />
gärender Moste. Bei aller Geschäftigkeit: Hier<br />
scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die<br />
alten Gemäuer erzählen davon, dass hier schon seit<br />
Jahrhunderten Wein erzeugt wird. Und erst der<br />
Keller: Wie in einer Zeitkapsel scheinen die Jahrhunderte<br />
gespeichert zu sein. In dieses enge und<br />
tief liegende Stollensystem, das im 16. Jahr hundert<br />
angelegt wurde, würde kein Klaustro phobiker<br />
freiwillig einen Fuß setzen. An den feuchten<br />
Wänden wuchern Schwämme und schwarzer<br />
Schimmel, Spinnennetze er strecken sich in gewaltigen<br />
Spiralen in das Halbdunkel. Wo Allergiker<br />
unwillkürlich in Deckung gehen wollen, reifen in<br />
der Patina dieser Unterwelt majes tätische Weine<br />
heran, rare und gesuchte Gewächse von der Syrah-<br />
Rebe, Saint-Joseph und vor allem Hermitage.<br />
In einem der schummrigen Kellergänge steht<br />
Jean-Louis Chave in Gedanken versunken, er<br />
mustert Holzfässer, geht ein paar Schritte auf<br />
und ab, legt manchmal die rechte Hand auf den<br />
Bauch eines Fasses, so wie ein Arzt bei der Visite<br />
einen Patienten abtastet. Chave gibt freundlich,<br />
aber bestimmt zu verstehen, dass er noch etwas<br />
Zeit benötige, um den Besuch bei seinen Weinen<br />
abzuschließen. Wenig später dann fängt er in<br />
seinem engen Büro zu erzählen an; es ist kein<br />
Zufall, dass er sofort auf die Anfänge zu sprechen<br />
kommt: Seit 1481 erzeugt die Familie Wein, er verkörpert<br />
die sechzehnte Generation, keine andere<br />
Familie in der Region kann eine so lange Tradition<br />
der Weinerzeugung vorweisen und eine so<br />
enge Bindung zu den Weinbergen. Und kaum<br />
eine hat so frühzeitig den Wert der Lagen, die<br />
Einzigartigkeit des Weinbergs Hermi tage erkannt,<br />
der wenige Kilometer von Mauves entfernt im<br />
Städtchen Tain l’Hermitage liegt und den sich<br />
heute Weingüter wie Chave, Jaboulet Aîné und<br />
Chapoutier teilen. »<strong>Das</strong> war großes Glück, dass<br />
wir da Flächen er werben konnten«, sagt Jean-<br />
Louis Chave bescheiden. Inzwischen sind es fast<br />
fünfzehn Hektar. Es war mehr als eine glückliche<br />
Fügung: Die Bauernfamilie aus einfachen Verhältnissen<br />
hat sich durch kluge Politik Parzellen<br />
am Hügel Hermitage gesichert, der lange Zeit<br />
Adligen und Angehörigen der Bourgeoisie vorbehalten<br />
war. Als der Adel während der politischen<br />
und industriellen Revolution verarmte und Weinberge<br />
ver äußern musste, griffen die Chaves zu. In<br />
Hermitage Grundbesitz zu haben, das ist heute<br />
nicht nur eine Garantie für Spitzenweine, es ist<br />
wie der Besitz der Schlossallee beim Monopoly-<br />
Spiel. Aber es sollte ihnen einiges abverlangen, den<br />
Bestand zu sichern.<br />
Als die Reblaus im 19. Jahrhundert an der nördlichen<br />
Rhône wütete, konnte die Familie<br />
mit dem Anbau von Früchten wie Aprikosen,<br />
Pfirsichen und Kirschen nur mühsam überleben.<br />
»Da hatten wir katastrophale Jahre zu überstehen«,<br />
sagt Jean-Louis Chave. Aber sie glaubte an die<br />
Zukunft des Weinbaus, als kaum mehr jemand<br />
etwas darauf gab. »Viele Weinbauern verstanden<br />
die Reblaus als Strafe Gottes und stießen<br />
ihre Weinberge ab«, erzählt Chave. Seine Familie<br />
wartete ab und vergrößerte ihren Bestand an guten<br />
Lagen. Sie zählte zu den Gewinnern dieser Plage,<br />
umsichtig und mit kluger Strategie legte sie das<br />
Fundament für eine außergewöhnliche Weindynastie.<br />
»Meine Vorfahren haben uns in eine<br />
ausgezeichnete Position gehievt«, räumt Chave<br />
ein. »Wir denken heute global. Aber hier hat<br />
alles begonnen, das dürfen wir nicht vergessen.«<br />
Chave versteht es, präzise zu erzählen, er weiß<br />
jedes Wort so zu setzen, dass es wirkt. Geschichte<br />
wird in seiner Erzählung plastisch, er wirkt dabei<br />
nicht belehrend. Jean-Louis Chave, Jahrgang<br />
1968, erscheint jugendlich, er ist schlank, trägt<br />
Jeans und einen grauen Pullover. »Wir sollten<br />
raus gehen«, sagt er nach einer Weile und steht<br />
auf. »Dorthin, wo der Wein wächst.« Er lenkt den<br />
Geländewagen durch das Dorf Mauves, in dem<br />
wenig mehr als tausend Einwohner leben, und<br />
Stolz in sechzehnter Generation: Jean-Louis Chave blickt auf<br />
mehr als ein halbes Jahrtausend Weinbau in seiner Familie zurück,<br />
die Liebe zu Wein und Stein ist in seinen Genen. Wie hart die<br />
Rebstöcke für die berühmten Weine der Domaine arbeiten müssen,<br />
zeigt sich an einer Abrisskante der Lage Saint-Joseph.<br />
überquert die Rhône. Am Westufer des Flusses<br />
erstrecken sich die Wein gärten verwegen in die<br />
Höhe. Chave rumpelt eine steinige Straße hoch,<br />
zu einem Weinberg mit uralten Granit terrassen,<br />
den er mühsam rekultivieren lässt. Dieser Weinberg<br />
lag einige Jahrzehnte lang brach, jetzt fühlt er<br />
sich ver pflichtet, diese Lage wieder zu er schließen;<br />
es soll sein Vermächtnis an die nächste Generation<br />
sein. In dieser Steillage kann kein Traktor fahren,<br />
nicht einmal ein Pferd kommt hier zurecht. »Es<br />
ist ein Abenteuer, das mich elektrisiert. Es ist, als<br />
ob man ein antikes Monument restauriert«, sagt<br />
er. Fünfzehn Jahre Arbeit hat er für das mühsame<br />
Projekt veranschlagt, sieben davon hat er<br />
erst bewältigt. Am Wegrand liegen Granitbrocken,<br />
die Trockenmauern müssen erneuert werden. »So<br />
eine Sisyphus arbeit nimmst du nur in Kauf, wenn<br />
Wein der wichtigste Bestandteil in deinem Leben<br />
ist«, seufzt er.<br />
Es gab Jahre, da haben ihn andere Dinge<br />
bewegt als der Wein. Da schwebte ihm eine<br />
Karriere vor, die ihn aus der Familientradition<br />
heraus katapultiert hätte: Jean-Louis Chave wollte<br />
36 37<br />
F I N E 1 / 2<strong>01</strong>4 F I N E R h ô n e
Wenn er gelingt,<br />
ist er<br />
grossartig<br />
Silvaner aus Rheinhessen<br />
Von Till Ehrlich<br />
Foto Guido Bittner<br />
Zwei Drittel der verkosteten Silvaner erreichten 90 Punkte und<br />
mehr. Spitzenreiter mit 94 Punkten ist der 2002er Siefersheimer<br />
Silvaner vom Weingut Wagner-Stempel – dicht gefolgt von<br />
Mitstreitern wie Wittmann, Winter, Gutzler und Dreissigacker.<br />
Rheinhessen und Silvaner, das gleicht einer langen Ehe: Liebe und Hass, Höhen und Tiefen, Leidenschaft und Gewohnheit, Missverständnis<br />
und Versöhnung. <strong>Das</strong> feste Band hält selbst dann, wenn der Wein in der Gunst des Publikums sinkt. Rheinhessens Winzer<br />
halten zum Silvaner. Auch wenn es im größten Silvaner-Anbaugebiet Deutschlands lange an zündenden Ideen mangelte, wie das Potential<br />
dieser unterschätzten Rebsorte im Wein zur Geltung gebracht und damit Wertschätzung im Markt erzielt werden konnte.<br />
Mittlerweile hat sich viel zum Positiven hin<br />
entwickelt. Heute liefert der Silvaner in<br />
Rheinhessen ein lebendiges Beispiel für die Kreativität,<br />
das Talent und das immense Potential der<br />
Winzer in dieser Region.<br />
Zum einen gibt es seit einigen Jahren faszinierende<br />
Silvaner, die in Barriques ausgebaut<br />
werden und auf Fülle, Intensität und Länge setzen.<br />
<strong>Das</strong> Holz gibt dem Wein Spiel, Grip und Langlebig<br />
keit. Dieser Stil, wie ihn etwa ein Winzer<br />
wie Jochen Dreissigacker pflegt, hat auch viele<br />
andere junge Winzer und Winzerinnen inspiriert<br />
und angespornt.<br />
Daneben gibt es Winzer wie Daniel Wagner,<br />
Stefan Winter oder Johannes Geil, die eine andere<br />
Philosophie verfolgen. Bei ihnen steht die Finesse<br />
im Vordergrund – unabhängig davon, ob der<br />
Silvaner in Stahltanks oder in großen Holz fässern<br />
ausgebaut wird. Dieser als klassisch bezeichnete<br />
Stil ist subtiler, weniger laut. Er arbeitet die Mineralität,<br />
die Saftigkeit und die herbe Fruchtigkeit<br />
der Sorte heraus. Finesse, Spannung und Haltbarkeit<br />
entstehen durch das Spiel mit der Säure.<br />
Dieser Stil ist, wenn er gelingt, großartig, aber<br />
aufgrund der Eigenschaften des Silvaners nur in<br />
Jahrgängen zu erreichen, die ihm günstig sind.<br />
Gerade weil der Silvaner in Rheinhessen<br />
nicht in der ersten Reihe steht, haben die Winzer<br />
größere Freiheiten: So gibt es mehr stilistische<br />
Vielfalt als beim Riesling. Anders als in Franken<br />
ist der Silvaner bei den rheinhessischen VDP-<br />
Weingütern nicht als Großes Gewächs klassifiziert.<br />
<strong>Das</strong> ist Riesling und Spätburgunder vorbehalten.<br />
Dennoch: <strong>Das</strong> große Fine Tasting hat gezeigt,<br />
dass es in Rheinhessen grandiose Silvaner gibt.<br />
Und das seit mehr als einer Dekade. Diese Silvaner<br />
können reifen.<br />
Experimentieren und Ausprobieren sind schon<br />
immer ein wesentlicher Kern des Weinbaus<br />
gewesen – sie bedeuten Weiterentwicklung statt<br />
Stillstand. Doch viele Winzer tun dies im Stillen,<br />
lassen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit<br />
Rebsorten, Gärung und Fassausbau erst dann in<br />
die Weinerzeugung einfließen, wenn sie ausgereift<br />
sind. Weine, die beim Ausbau – ganz bewusst –<br />
weitgehend ihrem natürlichen Schicksal überlassen<br />
wurden, entwickeln atypischen Geruch<br />
und Geschmack. Dieses Konzept setzt darauf,<br />
Spannungen und disproportionale Zuspitzungen<br />
im Wein zuzulassen. Es geht um das Spiel mit<br />
aromatischen Ambivalenzen, das Ausloten neuer<br />
Geschmacksnoten.<br />
Diese Weißweine, die oft auch als Naturweine<br />
oder Orange Wines bezeichnet werden,<br />
sind Weine mit jung gemachter Firne. Sie werden<br />
gern spontan auf der Maische vergoren und mit<br />
der Maische monatelang ausgebaut, auf Filtrieren,<br />
Schönen und Schwefeln wird häufig verzichtet.<br />
Oft haben sie eine vollkommen andere farb liche<br />
und geschmackliche Präsenz und Struktur als<br />
gewohnt. Es gibt jedoch Sommeliers, die diese<br />
Extreme im Wein suchen und entschieden zu<br />
speziellen Gerichten empfehlen, wie etwa von<br />
Juan Amador perfektionierte geräucherte Speisen,<br />
die unter einer gläsernen Rauch-Cloche serviert<br />
werden. Gag oder Teil eines Marketings, das auf<br />
Moden, Auffälligkeiten und Tabubrüche setzt<br />
Immerhin haben diese Weine eine gewisse Relevanz,<br />
weshalb sie in der großen Fine-Silvanerprobe<br />
vertreten waren – beispielsweise durch das<br />
Weingut Schätzel in Nierstein, das sich in jüngster<br />
Zeit einen Namen mit solchen Weinen gemacht<br />
hat. In diesem Kontext entziehen sie sich allerdings<br />
einer Bewertung.<br />
Kein Wein kann isoliert von anderen Weinen<br />
beurteilt werden. Ebenso wie sie in einem<br />
weinbaulichen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />
Kontext stehen, beruht ihre Wahrnehmung auch<br />
immer auf dem Verhältnis zu anderen Weinen.<br />
Um solche Experimentalweine zu den Spitzenweinen<br />
zählen zu können, müssten die Tücken<br />
der unterschiedlichen Weinbaumodi noch besser<br />
erforscht werden. Zwischen dem Besonderen und<br />
dem Sonderbaren gibt es eine wesentliche ästhetische<br />
Differenz.<br />
54 55<br />
F I N E 1 / 2<strong>01</strong>4 F I N E T a s t i n g
Drei Freunde<br />
Von Rainer Schäfer<br />
Fotos Christof Herdt<br />
im Land<br />
der tausend Hügel<br />
Die rheinhessischen Winzer Jochen Dreissigacker, Philipp Wittmann und<br />
Stefan Winter prägen das Profil einer lange verkannten Weinregion<br />
»<strong>Das</strong>s wir grossen trocknen Riesling hinbekommen,<br />
hat uns niemand zugetraut«<br />
<strong>Das</strong> Ziel der Reise ist der Wonnegau, jene liebliche Hügellandschaft im<br />
Süden Rhein hessens, die unter Weinkennern seit geraumer Zeit von sich<br />
reden macht. Die Protagonisten dieses aufsehenerregenden Geschehens<br />
heissen Jochen Dreissigacker, Philipp Wittmann und Stefan Winter,<br />
drei befreundete Exponenten einer aufregenden Winzergeneration.<br />
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Mainz verhüllt sich noch im Nebeldunst, nur zögerlich entwirrt sich das dicht gestrickte Straßengeflecht der Stadt und gibt eine<br />
neue Perspektive frei: Offenes Land, endlich kann der Blick schweifen, den Rhein entlang, immer nach Süden. Gleich hinter<br />
Nackenheim, dem Geburtsort Carl Zuckmayers, baut sich der Rote Hang auf, die dramatischste Steillage Rheinhessens. Er ist das Kernstück<br />
der Rheinfront – so martialisch wird das Weinland zwischen Nackenheim und Worms genannt – und einen Zwischenstop wert.<br />
Der Rote Hang ist ein Angeber, der sich mit seinem roten Teint in Pose wirft, auch wenn sich seine Rebstöcke jetzt blattlos und ungeschminkt<br />
zeigen. Schaut her, signalisiert jede seiner Krumen, schaut doch her, wie gut ich wieder aussehe. Mit plattfüßigen Rebäckern<br />
und zaghaft geschwungenen Hügelchen will er nichts zu tun haben. Der Rote Hang ist ein Coup der Natur: Hier tritt das Rotliegende<br />
offen an die Oberfläche, eisenhaltige Ton- und Sandschichten, auf denen außergewöhnliche Rieslinge wachsen können.<br />
Hochbegabt: Der prüfende Blick ins Glas gehört auch für den<br />
Bechtheimer Winzer Jochen Dreissigacker zum Handwerk.<br />
Nicht nur seine Rieslinge aus den Lagen Geyersberg und Rosengarten<br />
genießen weltweit den allerbesten Ruf. Wie seine Freunde<br />
und Kollegen baut er neben Weißwein auch Spätburgunder an.<br />
November-Regen hat schaufeldick Matsch aufgeschichtet<br />
im Nackenheimer Rothenberg, der steilsten Parzelle<br />
im Roten Hang. Auch wenn man sich nicht viel aus Autos<br />
macht, auf dieser schlammigen Steilpiste ist es gut, einen unerschrockenen<br />
Geländewagen zu fahren wie den Land Rover<br />
Discovery, dem man einiges zumuten kann. Mühelos klettert er<br />
den seifigen Anstieg hoch, mehr Nonchalance dabei geht kaum:<br />
Er wirkt selbst dann erhaben, wenn der Dreck in Fontänen<br />
an ihm hoch spritzt. Unten, am Fuß des Roten Hangs, fließt<br />
gelassen Vater Rhein vorbei. Er ist der Herr im Tal, man wird<br />
das Gefühl nicht los, dass er wohlwollend die Weinberge und<br />
die Menschen an seinem Ufer beobachtet mit seinem Silberblick.<br />
Und gelegentlich zwinkert.<br />
Es geht weiter stromaufwärts, Richtung Worms. Der Weg<br />
führt durch Nierstein und Oppenheim, die sich über die Jahre<br />
näher gekommen sind und bald zusammenwachsen. An der<br />
Straße liegen Weingüter mit gewaltigen Innenhöfen, meist<br />
durch mächtige Tore verriegelt. Zwischen den Dörfern in den<br />
Rheinauen stehen Pappeln mit Mistelkronen. Die Landschaft<br />
verliert an Schwung und wird flacher, auf den Äckern liegen<br />
Berge von Zuckerrüben, mit weißen Planen abgedeckt. An die<br />
Dramatik des Roten Hangs kann auch die Armee der Windräder<br />
nicht heranreichen, die wie Narben im Gesicht dieser<br />
Landschaft wirken. Endlich ist der Wormser Dom zu erkennen,<br />
der erhaben seine Türme in die Höhe reckt. Worms<br />
war lange Zeit für seine Rieslinge berühmt. In den 1860er<br />
Jahren strömten Angelsachsen in die Stadt, auf der Suche<br />
nach Rheinromantik und Rhine Wine. Mit den Rieslingen<br />
aus dem Liebfrauenstift Kirchenstück, die im Schatten der<br />
Liebfrauenkirche wuchsen, ließ Queen Victoria sogar den<br />
königlichen Hofkeller bestücken. Die Liebfrauenmilch war<br />
begehrt unter internationalen Weinkennern und wertvoller<br />
als die großen Gewächse aus Bordeaux. Sie hat den Ruhm des<br />
Rheinhessenweins begründet, aber auch zerstört, als unter<br />
dem Namen Liebfraumilch seelenlose Massenprodukte mit<br />
Kopfschmerz-Garantie verramscht wurden. Ein Trauma, das<br />
bis heute nachwirkt.<br />
Willkommen im Wonnegau: In Bechtheim sitzt Jochen<br />
Dreissigacker am Schreibtisch und strahlt. Der Winzer<br />
hat sich erholt von einem schikanösen Herbst. Der Süden<br />
Rheinhessens zählt zu den wärmsten und trockensten Landstrichen<br />
Deutschlands. Aber in diesem Herbst ist sehr viel<br />
Wasser vom Himmel gestürzt. Die Winzer hatten Angst, der<br />
Dauerregen könne die Ernte ruinieren. An manchen Tagen<br />
wurde deshalb rund um die Uhr gearbeitet, manchmal habe<br />
er gar nicht geschlafen, erzählt Jochen Dreissigacker, manchmal<br />
sei er für eine Viertelstunde im Sessel eingenickt. Den<br />
Zeitplan für die Ernte habe das Wetter geschrieben, »wir<br />
sind nur noch hinterher gehechelt. Der Druck ging nie weg«,<br />
erzählt der Zweiunddreißigjährige und kann inzwischen darüber<br />
lachen.<br />
Druck, damit kennt Dreissigacker sich aus. Als er 2003 die<br />
ersten Weine nach seinen Vorstellungen vinifizieren wollte,<br />
lag im elterlichen Weingut Streit in der Luft. Sein zwei Jahre<br />
älterer Bruder Christian arbeitete konventionell, wie schon<br />
die Eltern. Aus den vierzehn Hektar Reben wurden möglichst<br />
hohe Erträge gewonnen und zu sechzig verschiedenen Weinen<br />
verarbeitet, keine Geschmacksrichtung wurde ausgelassen.<br />
»Wir wollten es jedem recht machen und haben so unser<br />
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»Der<br />
Grüne Veltliner<br />
ist eben ein<br />
Luxusgeschöpf«<br />
Nebelschwaden von der Donau tauchen die Weinlandschaft der<br />
Wachau in ein silbriges Licht. Aus dem Dunst ragt die Wehrkirche<br />
Mariae Himmelfahrt der Marktgemeinde Weißenkirchen empor.<br />
Österreichs Paradewein macht Karriere<br />
Manchmal dauert es einfach, bis sich die Dinge voll entfalten. In Österreich ist der Grüne<br />
Veltliner König und zwar seit langem. Doch bis Qualitäten und Möglichkeiten dieser Rebsorte<br />
ausgelotet waren, zogen Jahrzehnte ins Land. <strong>Das</strong>s sich diese Kunde dann auch international<br />
verbreiten würde, daran wagte kaum jemand zu denken, geschweige denn zu glauben.<br />
Von Luzia Schrampf<br />
Fotos Alex Habermehl<br />
96 97<br />
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Die Wachau: Typisch für die<br />
Weinlandschaft sind die durch<br />
Trockenmauern begrenzten<br />
Steinterrassen, die zum Teil schon<br />
zu Zeiten Karls des Großen<br />
angelegt wurden. Der Grüne<br />
Veltliner zählt neben Riesling und<br />
Neuburger zu den Spezialitäten.<br />
Lucas und Franz Xaver Pichler vom Weingut F. X. Pichler<br />
2004 Wösendorfer Hochrain,<br />
in Dürnstein<br />
Weingut Rudi Pichler<br />
Franz Hirtzberger vom Weingut Hirtzberger in Spitz<br />
Vater und Sohn Emmerich Knoll vom Weingut Emmerich Knoll<br />
in Unterloiben<br />
2000 Im Weingebirge vom<br />
Weingut Nikolaihof<br />
Der Grüne Veltliner ist Zentraleuropäer. Wann genau er geboren wurde und wo, lässt sich<br />
nicht genau eingrenzen, doch Weinösterreich sieht ihn gern als Niederösterreicher. Ein<br />
Elternteil ist jedenfalls Traminer, eine paneuropäische Sorte, die – genetisch belegbar – in<br />
sehr vielen anderen ihre Spuren hinterlassen hat. Der zweite Elternteil wurde 2007 in einer<br />
Publikation der Rebforschungsanstalt Klosterneuburg dingfest gemacht: In St. Georgen<br />
am Leithagebirge im Burgenland wurde ein etwa vierhundert Jahre alter Rebstock entdeckt,<br />
dessen Genetik sich im Grünen Veltliner klar nachweisen lässt. 2<strong>01</strong>1 hatte dieser<br />
Rebstock einen Vandalenakt zu überstehen, konnte jedoch wieder aufgepäppelt werden,<br />
sodass heute an vierhundert neu pflanzten Rebstöcken weitergeforscht werden kann.<br />
Etwa ein Drittel der fünfundvierzig tausend<br />
Hektar Rebland Österreichs ist mit Grünem<br />
Veltliner bestockt. <strong>Das</strong>s diese Rebflächen trotz<br />
seines Vorzeige-Status zwischen 1999 und 2009<br />
nach den Zahlen des Statistischen Zentralamtes<br />
um etwa zweiundzwanzig Prozent geschrumpft<br />
sind, lag an der Marktsituation. Rotwein war<br />
stärker nachgefragt und besser bezahlt als Weißwein<br />
und verdrängte daher, gefördert und<br />
gestützt durch EU-Umstellungsaktionen, weiße<br />
Sorten – auch den Veltliner. In den Jahren danach<br />
hat sich allerdings die Marktsituation und damit<br />
auch der Auspflanzungstrend völlig umgekehrt.<br />
Die vielen Namen, die Grüner Veltliner in der<br />
Geschichte trug – wie etwa Grüner Muskateller<br />
oder Weißgipfler –, machten es nicht ganz leicht,<br />
ihm nachzuspüren. 1581 soll er als »Musca teller«<br />
in einem Vertrag zwischen der Hofkammer in<br />
Wien und einem Kaufmann namens Jobst Croy<br />
erstmals erwähnt worden sein. <strong>Das</strong>s die Rebe in<br />
den 1930ern den Familiennamen Velt liner erhielt,<br />
war Zufall und hatte nichts mit dem Valtellin-<br />
Tal im Norden der Lombardei an der Grenze zur<br />
Schweiz zu tun, sondern damit, dass Veltliner<br />
damals gern als Sammelbegriff für trinkbaren<br />
Wein ver wendet wurde. Mit Rotem, Früh rotem<br />
oder Braunem Veltliner ist der Grüne weder verwandt<br />
noch verschwängert.<br />
Hochburgen und<br />
Nebenschauplätze<br />
Niederösterreich und Wien gelten als Veltliner-<br />
Hochburgen. In der Wachau, dem renommiertesten<br />
Gebiet, teilen sich Veltliner und Riesling die<br />
dreihundert bis vierhundert Meter hohen Steilterrassen<br />
auf: Oben im Kargen von Kollmütz, Achleiten<br />
oder Loibenberg wächst der Riesling, an den<br />
üppigeren Hangfüßen und -ausläufern der Veltliner.<br />
Kamp- und Kremstal sind in ihren Voraussetzungen<br />
anders, aber jedenfalls ebenbürtig, was<br />
hohe Qualitäten anlangt. Im Kamptal, am südöstlichen<br />
Hangfuß des geologisch eigen willigen<br />
Heiligensteins, befindet sich mit der Riede Lamm<br />
eine der besten Veltliner-Lagen des Landes:<br />
Kalkhaltiger, lehmig-sandiger Schluff lagert auf<br />
einem Lösskörper. Etwas höher am Hang kommt<br />
der einzigartige vulkanische Sandstein zwischen<br />
dem Löss heraus, und der Boden wird fast kalkfrei.<br />
<strong>Das</strong> südlicher gelegene Traisental litt bis vor<br />
kurzem mehr unter der Nichtbeachtung durch die<br />
Konsumenten denn an fehlenden Voraus setzungen<br />
für Spitzen-Veltliner. Aus dem Weinviertel mit<br />
seinen Löss-, Lehm- und Schotterböden, wo auf<br />
knapp der Hälfte der dreizehntausendfünf hundert<br />
Hektar Rebfläche Veltliner wächst, kommt kontinuierlich<br />
Spannenderes, geschürt von der jungen<br />
Winzergeneration, die die Möglichkeiten des<br />
Gebiets rasant entwickelt.<br />
Alles ist möglich<br />
Einen flächenmäßigen Aufschwung erlebte der<br />
Grüne Veltliner, als sich in den Nachkriegsjahren<br />
die Lenz-Moser-Hochkultur in den Weingärten<br />
durchsetzte. Die Rebe reagierte besonders<br />
gut auf diese Erziehungsform, wenn es auch<br />
nicht die einzig passende ist. Dies bedeutete vor<br />
allem mehr und sicherere Erträge als in der davor<br />
üb lichen Stockkultur. Und stabiler Ertrag war bis<br />
in die 1980er das Zentralgestirn, um das sich alles<br />
drehte. Dem wurde auch der Geschmack untergeordnet:<br />
Bei der Selektion wurden reich tragende<br />
Stöcke höher geschätzt als jene mit dem besten<br />
Geschmack.<br />
Wunderbar für die österreichische Winzerschaft<br />
im 20. Jahrhundert war vor allem der wirtschaftliche<br />
Aspekt, dass sie mit dem Grünen Veltliner<br />
eine weit verbreitete, ertragssichere Sorte<br />
in Händen hatte, die unter verschiedensten<br />
Bedingungen gute bis sehr gute Weine brachte.<br />
Lebendige Fruchtaromen nach Apfel, Birne und<br />
Grapefruit fallen bei kräftigeren, körperreicheren<br />
Weinen deutlich exotischer aus und erinnern oft<br />
an reife Ananas. Die Würzigkeit wiederum lässt<br />
an Pfeffer in allen Farben denken. Innerhalb des<br />
Geschmacksspektrums zwischen Frucht, Würze<br />
und lebhafter Säure, die einen entscheidenden<br />
Beitrag zu Lager- und Reifefähigkeit liefert, ist<br />
der Grüne Veltliner bemerkenswert variabel. Ob<br />
jetzt noch Komponenten wie Mineralität hinzukommen<br />
oder ob die Würzigkeit komplex ist und<br />
Schwarzen oder Weißen Pfeffer, Koriander körner,<br />
Fenchelsamen und Konsorten herauskehrt oder<br />
sich mit scheinbar schlichten Pfeffer variationen<br />
begnügt und inwieweit sich die Fruchtigkeit von<br />
den Apfelnoten in die Exotik hineinbewegt, ist<br />
eine Frage des Standorts und natürlich, welche<br />
Qualitätsvorstellungen der jeweilige Winzer, die<br />
Winzerin hegt.<br />
Heute steht die stilistische Vielfalt im Fokus:<br />
Vom fruchtig-spritzigen Jungwein über Sekt und<br />
Prädikatsweine bis hin zum reifefähigen, hochkomplexen<br />
Spitzentropfen ist alles möglich. »Ob<br />
man jetzt einen jung zu trinkenden Typ anvisiert<br />
oder einen gehaltvollen Wein, kann über frühere<br />
oder spätere Lesedurchgänge sehr gut gesteuert<br />
werden. Hinzu kommt, dass der Veltliner sein<br />
Terroir sehr gut interpretieren kann«, erklärt<br />
Heinz Frischen gruber, Önologe und Technischer<br />
Direktor der Domäne Wachau, wo seit 2005, ausgehend<br />
von einem Qualitätssicherungs programm<br />
für die Traubenproduzenten der Genossenschaft,<br />
viel Entwicklungsarbeit geleistet wird.<br />
Auf schweren Böden mit hoher Wasserspeicherkapazität<br />
wie Löss wird Veltliner mächtig und<br />
kehrt seine würzige Seite in den Vordergrund. Auf<br />
leichteren Böden wird er eleganter, mit sehniger<br />
98 99<br />
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»Meine<br />
Bruno Giacosa, der Altmeister der piemontesischen Weine<br />
Nase<br />
hat sich selten geirrt«<br />
Von Heinz-Joachim Fischer<br />
Fotos Thilo Weimar<br />
Der Mann ist wie seine Erde, die Terra delle Langhe.<br />
Aber das geht uns erst auf, als wir von Bruno Giacosa,<br />
dem großen Traditionalisten und Altmeister der piemontesischen<br />
Weine, wieder Abschied genommen haben. Wir waren<br />
Stunden zuvor über die Autobahn von Norden gekommen, an<br />
Asti vorbei, in Neive angelangt, seinem Geburts- und Kellereiort,<br />
auf etwa dreihundert Meter Höhe in der Provinz Cúneo:<br />
Via 20 Settembre Nr. 52, direkt neben der – weder ver wandten<br />
noch verschwägerten – Weinfirma Fratelli Giacosa.<br />
Wir hatten eine Halle betreten, nicht schöner als eine alte<br />
Autowerkstatt. Vier Handwerker waren mit einer Magnum<br />
beschäftigt: Mit umsichtiger Sorgfalt und Geduld wurde der<br />
Flasche die Metallkapsel aufgestülpt, das Etikett mit genauem<br />
Augenmaß aufgeklebt, gründlich, fast zärtlich mit einem<br />
weichen Tuch jeder Fingerabdruck beseitigt; dann wurde sie<br />
in ein Kistchen gelegt, nein gebettet, das behutsam zu genagelt<br />
wurde. »Für die Normalgröße haben wir eine Maschine«,<br />
erklärt einer. »Aber das hier muss von Hand geschehen!<br />
Machen wir gern.« Um solch einen Wein handelt es sich also.<br />
Wir wussten, was man über Bruno Giacosa, den nun vierundachtzig<br />
Jahre alten Großmeister des Barolo und Barbaresco,<br />
eines Barbera, Dolcetto und Nebbiolo, so sagt: Mythos,<br />
Legende, König der Langhe, Wein-Genie, Urgestein, der<br />
»Klassiker der Klassiker« (Horst Dohm), »il più grande vinificatore,<br />
der größte Weinmacher«. Da darf man durchaus<br />
auch etwas skeptisch sein. Wir saßen ihm in einem schmucklosen,<br />
vor jeder Modernisierung bewahrten Büroverschlag<br />
gegenüber. Er musterte uns, ebenfalls skeptisch. Er war im<br />
122 123<br />
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Abgang<br />
Lobgesang auf<br />
den Silvaner<br />
Ich muss gestehen: Von Rheinhessen bin ich begeistert! Schon Anfang<br />
der achtziger Jahre war das Weingut Heyl zu Herrnsheim eine feste<br />
Größe in Rheinhessen, die mich überzeugt hat. Vor fünfzehn Jahren<br />
fielen mir dann Weingüter wie Keller, Groebe oder Wittmann auf, die<br />
schon damals mit großartigen Weinen die Möglichkeiten in der Region<br />
aufzeigten. Was aber heute aus Rheinhessen kommt, gehört zur abso luten<br />
Spitze. <strong>Das</strong> Land der tausend Hügel ist für mich die zurzeit spannend ste<br />
Weinregion in Deutschland! Viele junge Winzer mit Visionen, Ideen<br />
und großem Engagement füllen den Slogan der rheinhessischen Weinwerbung<br />
mit Leben: »Die Weine der Winzer!«<br />
Mit drei Winzern aus dem südlichen Rheinhessen, dem Wonnegau,<br />
haben wir für diese Ausgabe nicht nur eine spannende Probe einiger<br />
ihrer besten Weine gemacht. Wir haben mit Stefan Winter, Jochen<br />
Dreissigacker und Philipp Wittmann auch eine angeregte Diskussion<br />
geführt. Eine Diskussion, bei der es darum ging, ob der Silvaner neben<br />
dem Riesling das Potential zum Großen Gewächs hat. Schon vor unserer<br />
großen Verkostung rheinhessischer Silvaner war ich der Meinung: Er<br />
hat das Potential – nicht nur zum Großen Gewächs, sondern auch, um<br />
sich als Profilrebsorte in Rheinhessen durchzusetzen.<br />
Die Probe im Restaurant Buchholz in Mainz mit mehr als hundert<br />
Silvanern aus Rheinhessen hat mir Recht gegeben: Es gibt eine Fülle<br />
exzellenter Silvaner in Deutschlands größtem Anbaugebiet. <strong>Das</strong>s es<br />
keinen einheitlichen Stil gibt, liegt in der Natur der Sache. Individuelle<br />
Ansätze bei den jungen Winzern in Verbindung mit den heterogenen<br />
Strukturen von Klima und Boden auf den gut sechsundzwanzigtausend<br />
Hektar Rebfläche lassen viel Spielraum für vielfältige Interpretationen<br />
der Sorte. Eines wurde ebenfalls klar: Silvaner hat das Potential und<br />
die Fähigkeit zu reifen. Und das macht ihn in meinen Augen zu einem<br />
Anwärter auf den Status eines Großen Gewächses. <strong>Das</strong> wird gewiss<br />
nicht morgen passieren und auch nicht nächstes Jahr, aber ich bin mir<br />
sicher, dass man auch in Rheinhessen diese Chance langfristig nicht<br />
ignorieren wird.<br />
Rheinhessen beweist seit einigen Jahren, dass sein Erfolg kein kurzfristiger<br />
Hype ist, der bald wieder in Vergessenheit gerät, sondern<br />
Bestand hat. Immer neue junge Winzer mit überzeugenden Weinen<br />
und frischen Ideen bringen die Region positiv ins Gespräch. Die Nahe,<br />
Franken, die Pfalz und Baden-Württemberg ziehen nach. Für die<br />
anderen ist es an der Zeit, sich Gedanken zu machen, wollen sie den<br />
Anschluss nicht verlieren.<br />
Ralf Frenzel<br />
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