Kunst und Bologna â eine Liaison dangereuse - Zürcher ...
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zett 4–08 07<br />
Was reizt dich an der Arbeit mit Menschen aus anderen Fachbereichen<br />
Die Begegnung mit anderen Denk- <strong>und</strong> Arbeitsweisen. Die Lust<br />
an der Verunsicherung über das eigene Tun. Die Neugier auf<br />
ergebnisoffene Arbeitsprozesse <strong>und</strong> auf Überraschungen. Das<br />
Gelingen <strong>und</strong> das Scheitern. Die Leidenschaft, Menschen in<br />
Dialog zu bringen, deren Interessen scheinbar untergründig zusammenhängen,<br />
im gegenseitigen Austausch sich aber neu <strong>und</strong><br />
kraftvoll entfalten.<br />
Gibt es für dich ein Schlüsselerlebnis/Projekt, bei dem Leute aus<br />
mehreren Disziplinen fruchtbar zusammengearbeitet haben<br />
Jüngste Erfahrung (September 2008): SpielRäume – Experiment<br />
Improvisation, <strong>eine</strong> Studienwoche am Departement Musik. In<br />
r<strong>und</strong> 35 Veranstaltungen – Konzerten, Performances, Filmen, Referaten,<br />
Workshops – wurde während <strong>eine</strong>r intensiven Woche ein<br />
spezifisches Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven<br />
beleuchtet. Sporadisch haben dabei Literaten mit Improvisatorinnen,<br />
Architekturfachleute mit Interpreten, bildende Künstlerinnen<br />
mit Komponisten zusammengearbeitet. Doch nur schon<br />
durch das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Zugangsweisen<br />
<strong>und</strong> Arbeitsformen resultierte mehr als die Summe der Einzelteile:<br />
Es entstand ein Mosaik, in dem die Mitwirkenden <strong>und</strong><br />
BesucherInnen Gelegenheit hatten, je unterschiedliche Bilder<br />
zusammenzustellen – <strong>und</strong> <strong>eine</strong>n immer wieder neuen Blick auf<br />
scheinbar altbekannte Phänomene zu richten.<br />
Stephan Müller, Regisseur, Leiter Regie, MA of Arts in<br />
Theater:<br />
Was reizt dich an der Arbeit mit Menschen aus anderen Fachbereichen<br />
Die Sphärenerweiterungstechnik ins Ungeahnte.<br />
Gibt es für dich ein Schlüsselerlebnis/Projekt, bei dem Leute aus<br />
mehreren Disziplinen fruchtbar zusammengearbeitet haben<br />
Die unterschiedliche Sichtweise von Menschen aus verschiedenen<br />
Disziplinen – <strong>und</strong> Kulturen – wurde mir bewusst beim<br />
Versuch, zusammen mit tibetischen Mönchen ein Theaterstück<br />
über „Das Tibetanische Totenbuch“ zu entwickeln. Die ersten<br />
Gespräche zeigten bereits, dass wir mit ganz anderen Begriffen<br />
arbeiten. Ich fragte sie beispielsweise, ob <strong>eine</strong> bestimmte Person<br />
im Stück „gut“ oder „böse“ sei. Sie antworteten: „‚Gut’ <strong>und</strong><br />
‚böse’ gibt es bei uns nicht, es gibt nur ‚heilsam’ <strong>und</strong> ‚unheilsam’.“<br />
Das war für mich ein Blick in <strong>eine</strong> andere Weltwahrnehmung:<br />
Gut <strong>und</strong> böse sind bei uns feste Zuschreibungen, heilsam<br />
<strong>und</strong> unheilsam – die sich im Tibetischen aus jeweils 56 Faktoren<br />
zusammensetzen – sind flexible Begriffe, die <strong>eine</strong>n Handlungsspielraum<br />
öffnen. Leider hatten wir bezüglich zeitlicher Dimension<br />
des Projekts zu verschiedene Vorstellungen: Als ich sagte,<br />
dass ich das Stück in fünf Monaten auf der Bühne haben wollte,<br />
lachten die Mönche herzlich, <strong>und</strong> ihr Leiter erwiderte, sie seien<br />
von <strong>eine</strong>r Vorbereitungszeit von fünf Jahren ausgegangen, worüber<br />
wiederum ich lachen musste. Wir haben das Projekt dann auf<br />
später, viel später verschoben.<br />
Natalia Sidler, Pianistin, Dozentin Improvisation Fachbereich<br />
Musik, Dozentin für Improvisation:<br />
Was reizt dich an der Arbeit mit Menschen aus anderen Fachbereichen<br />
Das möchte ich am Prinzip der Synästhesie, der sensorischen<br />
Synästhesie erklären: Ein Sinn wird stimuliert, zum Beispiel der<br />
Hörsinn. Unwillkürlich <strong>und</strong> gleichzeitig kommt es im Gehirn zu<br />
<strong>eine</strong>r synästhetischen Empfindung in <strong>eine</strong>m anderen Sinnessystem,<br />
etwa im Sehsinn. Der Klang verschiedener Musikinstrumente<br />
kann bei <strong>eine</strong>r Person zu <strong>eine</strong>r Farbwahrnehmung führen,<br />
wobei die Verbindung von Farbe <strong>und</strong> Musik konstant ist.<br />
Und nun zur praktischen Umsetzung des synästhetischen Prinzips:<br />
Ein Theaterregisseur <strong>und</strong> <strong>eine</strong> Musikerin tauschen sich über<br />
<strong>eine</strong> kurze Sequenz zeitgenössischer Musik aus. Die Musikerin<br />
erfährt dabei zusätzliche Reize durch die Sichtweise des Regisseurs,<br />
<strong>und</strong> der Regisseur erhält s<strong>eine</strong>rseits Stimulans durch die<br />
Wahrnehmung der Musikerin. Das Gehörte erhält dank diesem<br />
grösseren Blickwinkel <strong>eine</strong> neue Dimension. Dann stösst ein<br />
Tänzer dazu, der die Musiksequenz für sich in Bewegung umgesetzt<br />
hat. Die beiden anderen werden wieder neu angeregt, die<br />
Musiksequenz „moduliert“ auf <strong>eine</strong> nächste Ebene. Die unterschiedlichen<br />
Ansichten zu dieser Musik werden wegen des gegenseitigen<br />
Austauschs erweitert, intensiviert <strong>und</strong> vertieft.<br />
Gibt es für dich ein Schlüsselerlebnis/Projekt, bei dem Leute aus<br />
mehreren Disziplinen fruchtbar zusammengearbeitet haben<br />
M<strong>eine</strong> Tanzkollegin Gisela Müller von der Berliner Universität<br />
der Künste <strong>und</strong> ich führen jedes Jahr <strong>eine</strong> Studien-Projektwoche<br />
in Berlin durch. In erster Linie geht es dabei um den Dialog<br />
zwischen Musik <strong>und</strong> Tanz <strong>und</strong> um Fragen wie: Wo liegen die<br />
Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> an welchen Punkten divergieren die beiden<br />
Sparten Was für <strong>eine</strong> Musik hört ein Tänzer, wenn er selber<br />
choreografiert, welche Bewegungen sieht <strong>eine</strong> Musikerin, wenn<br />
sie spielt Die Rollen werden dann vertauscht: Die Musikerin<br />
choreografiert <strong>und</strong> der Tänzer leitet die Musikerin musikalisch<br />
an. Wir stellen bei den Studierenden, die zum Teil immer wieder<br />
nach Berlin kommen, über die Jahre <strong>eine</strong> äusserst produktive<br />
Leistungssteigerung im Sinne <strong>eine</strong>r Horizonterweiterung durch<br />
das Zusammenwirken dieser beiden Künste fest. Und die kontinuierliche<br />
transdisziplinäre <strong>Kunst</strong>ausübung beeinflusst auch<br />
m<strong>eine</strong> Arbeit als Musikerin nachhaltig.<br />
Natalia Sidler<br />
Patrick Müller<br />
* Heike Pohl ist Leiterin Kommunikation der ZHdK (heike.pohl@zhdk.ch).<br />
** Michael Simon ist Regisseur, Bühnenbildner <strong>und</strong> Leiter Bühnenbild im Master<br />
of Arts in Theater (miachel.simon@zhdk.ch).