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NEIN ZUR FOLTER. JA ZUM RECHTSSTAAT. - Amnesty International

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<strong>NEIN</strong> <strong>ZUR</strong> <strong>FOLTER</strong>. <strong>JA</strong> <strong>ZUM</strong> <strong>RECHTSSTAAT</strong>.<br />

- Für den Schutz des absoluten Folterverbotes -<br />

Memorandum von amnesty international<br />

1. Relativierungstendenzen des absoluten Folterverbotes<br />

2. Das uneinschränkbare Folterverbot im Völkerrecht<br />

3. Die Diskussion um die Garantie der Unantastbarkeit der Menschenwürde<br />

4. Die Lehren geschichtlicher Erfahrungen<br />

5. Die Gefahren des „Präventionsstaates“<br />

6. Für ein absolutes Folterverbot<br />

1. Relativierungstendenzen des absoluten Folterverbotes<br />

In Deutschland und in anderen Rechtsstaaten mehren sich die Stimmen, die fordern, dass die Polizei in<br />

Ausnahmesituationen, Personen, die einer Straftat verdächtigt werden, gezielt erhebliche Schmerzen<br />

zufügen darf. Ist Folter gerechtfertigt, ja sogar geboten, wenn es um Kindesentführung geht oder eine<br />

Stadt von einer Bombe bedroht ist<br />

Im Februar 2003 wurde ein interner Aktenvermerk des früheren Frankfurter Polizeivizepräsidenten<br />

Wolfgang Daschner bekannt. Dieser hatte die ermittelnden Polizeibeamten angewiesen, dem der<br />

Kindesentführung verdächtigen Magnus Gäfgen die Zufügung von Schmerzen anzudrohen, um den<br />

Aufenthaltsort des entführten Kindes zu erfahren. Nach Bekanntwerden des Aktenvermerkes forderte<br />

Daschner offensiv, dass Gewaltanwendung in Extremfällen zur Lebensrettung zulässig sein müsse. In<br />

der anschließenden öffentlichen Debatte äußerten prominente Personen aus der Gesellschaft und Politik<br />

Verständnis für Daschners Position und Verhalten. Auch in den Medien hat sich eine kontroverse<br />

Debatte über diese Fragen entwickelt.<br />

Die deutsche Sektion von amnesty international ist besorgt über diese Entwicklungen. So<br />

nachvollziehbar die für die Relativierung des Folterverbotes vorgebrachten Gründe auf den ersten Blick<br />

erscheinen mögen, so wird bei eingehender Überprüfung deutlich, dass die Anwendung von Folter unter<br />

keinen Umständen zugelassen werden darf. Die Diskussionen über die Anwendung von Folter machen<br />

aber bewusst, dass wir das absolute Folterverbot überzeugend begründen müssen. In Deutschland<br />

leitete das Folterverbot bislang seine Legitimität aus dem kollektiven Entsetzen über die Barbareien des<br />

Nationalsozialismus ab. Der Verweis auf das historische Unrecht, das noch kein Menschenalter<br />

zurückliegt, reicht offenbar nicht länger aus, zu begründen, warum Folter absolut verboten ist und<br />

weiterhin verboten bleiben muss. Wir sehen in dieser Diskussion deshalb auch eine große Chance, uns<br />

über die Bedeutung der grundlegenden demokratischen Werte unserer Gesellschaftsordnung erneut zu<br />

vergewissern und diese auch in Zeiten vielfältiger und komplexer Bedrohungen zu verteidigen.<br />

Mit diesem Memorandum legen wir die Gründe dar, die für ein unbedingtes Festhalten an der absoluten<br />

Schutzwirkung des Folterverbotes sprechen und rufen zur Verteidigung dieses Verbotes auf. Dabei wird<br />

schnell begreiflich, dass es bei dieser Frage nicht lediglich um ein abstraktes Prinzip, sondern um den<br />

Fortbestand unserer Rechtsordnung und auch der universellen Menschenrechtsordnung geht.<br />

2. Das uneinschränkbare Folterverbot im Völkerrecht<br />

2.1. Was ist Folter<br />

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere<br />

grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe definiert Folter als jede<br />

Handlung, „durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen zugefügt<br />

werden, zum Beispiel, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um


- 2 -<br />

sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um<br />

sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von<br />

Diskriminierung beruhenden Grund.“ Diese Schmerzen oder Leiden müssen darüber hinaus von einem<br />

Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person,<br />

auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis<br />

verursacht werden.<br />

Gezielte seelische Schmerzzufügung oder – wie im Fall Daschner – bereits deren Androhung, um eine<br />

Aussage zu erlangen, erfüllen danach den völkerrechtlichen Folterbegriff. Schmerzzufügungen, die in<br />

ihrer Intensität nicht das erforderliche Ausmaß des Folterbegriffs erreichen, fallen unter den Begriff der<br />

unmenschlichen, grausamen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe. Beides ist nach geltendem<br />

Völkerrecht – und damit durch Ratifizierung der entsprechenden internationalen Übereinkommen (Art. 59<br />

Abs. 2 Grundgesetz) und als Völkergewohnheitsrecht (Art. 25 Satz 2 Grundgesetz) auch nach<br />

deutschem Recht – gleichermaßen verboten. Dem Foltervorwurf wohnt darüber hinaus aber eine<br />

besondere Stigmatisierung inne, die das Ansehen des Staates, der Folter anwendet oder zulässt, in der<br />

Öffentlichkeit beschädigt. Dies belegen auch die Debatten in den entsprechenden Gremien der<br />

Vereinten Nationen.<br />

2.2. Das Folterverbot gehört zum Kernbestand des Völkerrechts<br />

Das absolute Folterverbot ist Folge geschichtlicher Unrechtserfahrungen, die ihren Ausdruck in der<br />

universellen Norm des Artikels 7 des <strong>International</strong>en Paktes über bürgerliche und politische Rechte von<br />

1966 gefunden haben. Danach darf niemand der „Folter oder grausamer oder erniedrigender<br />

Behandlung oder Strafe unterworfen werden“. Bereits 1950 hatte die Europäische Konvention zum<br />

Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) dieses Verbot mit denselben Worten<br />

formuliert. Dass dieses Verbot ausnahmslos gilt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in<br />

ständiger Rechtsprechung hervorgehoben. Einschränkungen wie nach Artikel 15 Absatz 1 EMRK im<br />

Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes sind beim Folterverbot nicht zulässig<br />

(Artikel 15 Absatz 2 EMRK). Bereits die Androhung von Folter ist verboten. Das absolute Verbot erfasst<br />

neben der Folter darüber hinaus auch andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende<br />

Behandlungen oder Bestrafungen. Dieses absolute Verbot zeigt, dass Artikel 3 EMRK einen der<br />

grundlegenden Werte der demokratischen Gesellschaften bildet. 1 Der Gerichtshof betont, er sei „sich der<br />

immensen Schwierigkeiten, mit denen sich Staaten in modernen Zeiten beim Schutz ihrer<br />

Gemeinschaften vor terroristischer Gewalt konfrontiert sehen, durchaus bewusst. Allerdings verbietet<br />

selbst unter diesen Umständen die Europäische Menschenrechtskonvention in absoluten Begriffen<br />

Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ 2 unabhängig vom Verhalten des<br />

Opfers. 3 Unmissverständlich bringt das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter in Art. 2<br />

Abs. 2 zum Ausdruck, dass selbst unter „außergewöhnlichen Umständen, gleich welcher Art, sei es<br />

Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand“ nicht „als<br />

Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden“ darf.<br />

3. Die Diskussion um die Garantie der Unantastbarkeit der Menschenwürde<br />

3.1. Der Rechtsstaat beruht auf der Unantastbarkeit der Menschenwürde<br />

Das absolute Folterverbot beruht auf einem konkreten Menschenbild, wie es auch unserer<br />

Verfassungsordnung zugrunde liegt. Es gründet auf der allgemein gültigen Vorstellung, dass jeder<br />

Mensch eine Würde hat, auf die der Staat keinen Zugriff hat. Um die grundlegende Bedeutung dieser<br />

Grundentscheidung der Verfassung deutlich zu machen, beginnt sie mit dem Satz: „Die Würde des<br />

Menschen ist unantastbar.“ Daraus folgt, dass Herrschaft durch Recht begrenzt wird und staatliche<br />

1<br />

2<br />

3<br />

ECHR, Ireland v. UK, Series A 25 §§ 163, 203 – 224; ECHR Soering v. UK, Series A 161 No. 161 § 88 = HRLJ 1990, 335;<br />

ECHR, Chahal v. UK, Reports 1996-V, § 79; ECHR, D. v. UK, Reports 1997-III § 47 .<br />

ECHR, Chahal v. UK, Reports 1996-V, § 79.<br />

ECHR, Chahal v. UK, Reports 1996-V, § 79; ECHR, D. v. UK, Reports 1997-III § 47; ECHR, Ahmed v. Austria, Reports-<br />

VI, § 40.


- 3 -<br />

Macht an die universellen Menschenrechte gebunden ist. Dies ist die Idee des modernen Rechtsstaates.<br />

Die Menschenrechte setzen notwendigerweise voraus, dass es im Rechtsverhältnis zwischen Staat und<br />

Individuum etwas gibt, was nicht erst vom Gesetzgeber gewährt wird, sondern von ihm als vorgängig<br />

anerkannt und als nicht verfügbar respektiert werden soll. Wenn der Staat foltert, nimmt er dem<br />

einzelnen Menschen seine Würde. Folter zielt darauf ab, einen Menschen innerlich zu unterwerfen,<br />

seine Psyche verfügbar zu machen und ihn seiner Würde zu berauben. Der Gefolterte wird zu einem<br />

Objekt gemacht, das keinerlei Möglichkeiten mehr hat, die eigenen Rechte wahrzunehmen. Lässt ein<br />

Staat foltern, greift er somit in das höchste Rechtsgut ein, das unsere Verfassung kennt.<br />

Aus der Idee eines sich selbst bestimmenden, nicht von außen verfügbaren Individuums schöpfen die<br />

Menschenrechte ihre revolutionäre Kraft. Hierauf gründet sich die Geschichte der Menschenrechte und<br />

des von den Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Grundrechtssicherung geprägten Rechtsstaates.<br />

Deshalb schützt die Verfassung die Autonomie des Menschen nicht nur aus Respekt vor seiner<br />

Individualität, sondern auch als Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens und als<br />

verfassungsrechtliches Legitimationssubjekt der universellen wie auch unserer Staatsordnung. Unter der<br />

Herrschaft des Rechts darf die Folter nicht gesetzlich erlaubt oder gar, wie dies die Befürworter der<br />

Folter fordern, den handelnden Polizeibeamten rechtlich vorgeschrieben werden. Bereits die Funktion<br />

der staatlichen Zwangsausübung, die Wahrung der Autonomie des Einzelnen, macht bewusst, dass ihr<br />

eine nicht zu überschreitende Grenze durch die Autonomie des Einzelnen gesetzt ist. Daher verfehlen<br />

Rechnungen wie „Würde gegen Würde, Leben gegen Leben“ 4 das Wesen der polizeilichen<br />

Zwangsanwendung im demokratischen Rechtsstaat.<br />

3.2. Der Rechtsstaat beruht auf der Autonomie des Einzelnen<br />

In der Idee der menschlichen Selbstbestimmung haben die grundrechtlichen Garantien ihren normativen<br />

Ursprung. Ihre Verbindlichkeit gründet in der Idee der Würde eines jeden Menschen. Deshalb ist die<br />

„menschliche Würde“ keiner „bilanzierenden Gewichtung und Bewertung“ zugänglich. Nunmehr wird<br />

jedoch in dem Standardkommentar zum Grundgesetz von Maunz-Dürig die verfassungsrechtliche<br />

Garantie der menschlichen Würde offen angegriffen. Danach würden die gängigen „Lehrbuchprobleme“<br />

der körperlichen Schmerzzufügung zur Rettung von Menschenleben verkürzt, „wenn jede Anwendung<br />

derart willensbeugender oder willenskontrollierender Eingriffe rein modal beurteilt und deshalb stets – in<br />

völliger Abstraktion vom intendierten Lebensschutz – als Würdeverletzung beurteilt“ werde. Daraus<br />

könne sich im Einzelfall ergeben, „dass die Androhung oder Zufügung körperlichen Übels, die sonstige<br />

Überwindung willentlicher Steuerung oder die Ausforschung unwillkürlicher Vorgänge wegen der auf<br />

Lebensrettung gerichteten Finalität eben nicht den Würdeanspruch verletzen.“ 5 Die Position wird im<br />

Standardkommentar zum Grundgesetz von Maunz-Dürig vertreten, der bisher maßgeblich die<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes beeinflusst hat. Darüber hinaus fehlt es bislang an<br />

einer offensiven und vernehmbaren Gegenposition von Verfassungslehrern gegen diesen<br />

verfassungstheoretisch angelegten Angriff auf die Garantie der Unantastbarkeit der menschlichen<br />

Würde. Der praktische Angriff auf das Folterverbot durch einen hochrangigen Polizeibeamten erfährt<br />

somit eine verfassungstheoretisch unwidersprochen hingenommene Legitimierung. Diese<br />

Kommentierung in Verbindung mit dem Fall Daschner ist ein ernstzunehmendes Anzeichen für die<br />

Aufweichung des Folterverbotes in Deutschland und erfordert eine eindeutige Verteidigung dieses<br />

Verbotes.<br />

3.3. Das Recht auf Leben darf nicht gegen die menschliche Würde abgewogen werden<br />

Diejenigen, die für das Vorgehen des ehemaligen Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner<br />

Verständnis äußern, beziehen sich auf das Recht auf Leben – in diesem Fall des getöteten Kindes<br />

Jakob von Metzler –, das höher zu bewerten sei als die körperliche Unversehrtheit eines vermeintlich<br />

Schuldigen. Konsequenz einer derartigen Argumentation wäre, dass das Folterverbot in einem Fall, in<br />

dem das Leben eines Menschen auf dem Spiel steht, eingeschränkt und die Anwendung oder<br />

Androhung von Folter zugunsten einer möglichen Lebensrettung erlaubt sein müsste.<br />

4<br />

5<br />

So Winfried Brugger, Juristenzeitung 2000, 165 (171).<br />

Mathias Herdegen, Erläuterungen zu Art. 1 Abs. 1, Rdn. 43 – 45, in: Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz.


- 4 -<br />

In diesem Zusammenhang wird von den Befürwortern dieser Auffassung auf die Möglichkeit des „finalen<br />

Rettungsschusses“ verwiesen, also die gezielte Tötung eines Geiselnehmers zur Rettung des Lebens<br />

der Geisel: Wenn der Staat die nach den Polizeigesetzen vorgesehene Möglichkeit habe, Straftäter, die<br />

das Leben anderer Menschen bedrohen, durch einen gezielten Schuss zu töten, um diese Gefahr<br />

abzuwehren, dann müsse auch die Möglichkeit bestehen, einem dringend Verdächtigen Misshandlungen<br />

wenigstens anzudrohen, um das Leben Dritter zu retten. Unabhängig von den verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken gegen den finalen Rettungsschuss – zu dem hier keine inhaltliche Stellung bezogen werden<br />

soll –, ist die Argumentation, dass die Anwendung bzw. Androhung von Folter einen weitaus geringeren<br />

Eingriff darstelle als die Tötung eines Menschen, nicht überzeugend.<br />

Die Rechtslage ist im Hinblick auf die Zulässigkeit eines „Rettungsschusses“ im Verhältnis zur<br />

Folterandrohung eindeutig: Das Völkerrecht enthält im Gegensatz zum absoluten Folterverbot kein<br />

absolutes Tötungsverbot. Die Rechtsordnung geht somit davon aus, dass das Schutzgut des<br />

Folterverbotes, die Menschenwürde, höher zu bewerten ist als der Schutz des Lebens. Die<br />

Menschenwürde ist Grundlage aller Menschenrechte und – im Gegensatz zum Recht auf Leben –<br />

unabdingbar. Wer die Würde eines mutmaßlichen Täters gegen die Würde und das Leben der Opfer<br />

aufwiegen will, macht somit eine unzulässige Rechnung auf. Denn weder das Grundgesetz noch das<br />

Völkerrecht erlauben eine Relativierung der Menschenwürde. Die menschliche Würde ist unverfügbar.<br />

Es ist daher nicht möglich, sie mit anderen Größen aufzuwiegen, nicht mit dem Recht auf Leben und<br />

auch nicht mit der Würde einer bedrohten Person. Die Würde beider ist je für sich unantastbar und<br />

einem bilanzierenden Denken nicht zugänglich.<br />

Die Befürworter der Folter verwechseln Norm und Praxis: Man kann zwar nachvollziehen, dass in der<br />

polizeilichen Praxis der zum Schutz von gefährdeten Personen berufene Polizeibeamte in der<br />

zerreißenden Anspannung der konkreten Situation die Nerven verliert und durch Gewaltanwendung<br />

Leben retten will. Die Verletzung des Folterverbotes aus nachvollziehbaren Gründen ist jedoch kein<br />

Grund, die Folteranwendung oder –androhung zuzulassen. Im Strafprozess kann und muss der<br />

individuelle Not bei der Strafzumessung zugunsten des Polizeibeamten Rechnung getragen werden.<br />

Doch darf der Staat um seiner selbst willen unter keinen Umständen Folter zulassen. Vielmehr muss er<br />

disziplinarisch und strafrechtlich gegen jeden Beamten vorgehen, der Folter anwendet oder androht.<br />

Eine Einschränkung des Rechts auf Leben, also eine staatlich legal zu verantwortende Tötung, ist im<br />

Gegensatz zum absoluten Schutz der Menschenwürde in Ausnahmefällen zulässig. Nach Art. 2 Abs. 2<br />

der EMRK ist eine Tötung zur Verteidigung gegen rechtswidrige Gewalt, bei Festnahmen oder<br />

Fluchtversuchen von Verurteilten sowie zur rechtmäßigen Niederschlagung eines Aufstandes erlaubt,<br />

wenn sie „unbedingt erforderlich“ ist. Die Anordnung des „finalen Rettungsschusses“ ist danach<br />

völkerrechtlich nicht als solche verboten. Ihr muss eine rationale Analyse der Gefahrensituation und der<br />

verfügbaren sowie geeigneten Schutzvorkehrungen vorausgehen. Dabei darf der „finale<br />

Rettungsschuss“ stets nur als „letzte Möglichkeit“ angeordnet werden. Wie wichtig die strikte Beachtung<br />

des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Anwendung tödlicher Gewalt ist, hat der Europäische<br />

Gerichtshof für Menschenrechte bei der Beurteilung eines Falles hervorgehoben, in dem britische<br />

Sicherheitsbehörden zwei Mitglieder der Provisorischen Irisch Republikanischen Armee getötet hatten,<br />

um eine terroristische Aktion in Gibraltar zu verhindern. Der Gerichtshof warf der britischen Regierung<br />

vor, sie hätte die terroristische Aktion zu einem früheren Zeitpunkt verhindern können, ohne tödliche<br />

Gewalt anwenden zu müssen. Die Behörden müssten sorgfältig prüfen, ob die Tötung terroristischer<br />

Täter strikt verhältnismäßig ist, und hätten dafür zu sorgen, dass beim polizeilichen Einsatz der<br />

Gebrauch tödlicher Waffen auf das größtmögliche Minimum reduziert werden kann. 6 Auch das<br />

humanitäre Völkerrecht sieht die Möglichkeit der Einschränkung des Rechts auf Leben unter strengen<br />

Voraussetzungen vor. Die Tötung eines militärischen Gegners ist danach erlaubt, wenn der Angriff auf<br />

militärische Ziele begrenzt und dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt beachtet wird. Streng<br />

6<br />

McCann et al v UK, Series A 324, Rdn. 194, 211 – 214 = Human Rights Law Journal 1995, 260.


- 5 -<br />

untersagt sind aber auch nach dem humanitären Völkerrecht Misshandlung, Erniedrigung oder<br />

Demütigung des militärischen Gegners.<br />

Die Folter kann im Gegensatz zum „finalen Rettungsschuss“ nicht durch Schutzvorkehrungen<br />

„rechtsstaatlich“ geregelt werden. Eine unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips angewendete<br />

Folterhandlung ist deshalb nicht denkbar. Folter wohnt stets ein zerstörerischer Überschuss inne, der<br />

über die bloß präventiv motivierte Aussagenerzwingung weit hinausgeht und dazu führt, dass zur<br />

Brechung des Willens des Aussageunwilligen dessen Psyche gezielt zerstört wird. Sie zielt mehr als<br />

alles andere direkt auf die Zerstörung der Persönlichkeit des Gefolterten. Folter ist immer, auch wenn sie<br />

reglementiert ist, in extremer Weise Machtausübung des Folternden oder seiner Auftraggeber<br />

gegenüber den Gefolterten. Dadurch wird Herrschaft hergestellt, inszeniert und aufrechterhalten. Diese<br />

der Folter immanente Brechung des Willens ist ein Eingriff in die Menschenwürde. Die Folter erfasst den<br />

Menschen total, kehrt sein Innerstes mit unbedingtem Zwang nach außen. Der Betroffene wird zum<br />

grenzenlos verfügbaren Objekt gemacht, das keinerlei Möglichkeiten mehr zur Wahrnehmung eigener<br />

Rechte hat. Die Folter zerreißt die auf Vernunft und Achtung des Gegenübers aufbauenden Grundlagen<br />

des menschlichen Zusammenlebens, ersetzt also Sprache durch unbedingte Gewalt, welche auf<br />

Erniedrigung, Unterwerfung und Vernichtung des Individuums zielt.<br />

Eine Abwägung des Rechts auf Leben einer Person zulasten der Verletzung der menschlichen Würde<br />

einer anderen Person ist nicht zulässig. Die staatlichen Organe sind zwar zu einem effektiven Schutz<br />

des menschlichen Lebens verpflichtet, doch diese grundsätzliche Wahlfreiheit findet eine nicht zu<br />

überschreitende Grenze in der Garantie der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Sie darf trotz der<br />

zentralen Aufgabe des Staates, menschliches Leben zu schützen, nie verletzt werden. Die Zulassung<br />

von Ausnahmen vom Folterverbot würde jene Grenze überschreiten, die dem demokratischen<br />

Rechtsstaat um seiner selbst willen gesetzt sind und aus deren Beachtung er zugleich seine<br />

Legitimation schöpft. Mit dem Tabubruch stellt der Staat seine Grundlagen zutiefst in Frage.<br />

Das Folterverbot ist nicht nur ein abstraktes Prinzip, an das man sich um seiner selbst Willen halten<br />

muss – selbst wenn es um das Leben eines Kindes geht. Vielmehr beruht das Festhalten an diesem<br />

Verbot auf der begründeten Besorgnis, dass die Zulassung von Ausnahmen vom Folterverbot – wenn<br />

auch nur in einem derartig emotional schwer erträglichen Grenzfall – die Grundlagen unserer<br />

freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung von innen heraus zerstören wird. Der Vizepräsident<br />

des Bundesverfassungsgerichtes, Winfried Hassemer, weist zu Recht darauf hin, dass man wegen der<br />

historischen Unrechtserfahrungen und der voraussehbaren Folgen langfristig denken und notfalls in<br />

Situationen „auch hohe Interessen, hohe Rechtsgüter opfern muss, um nicht langfristig die Zivilität, die<br />

Anständigkeit, das Leben-Können innerhalb einer Rechtsordnung zu gefährden und zu zerstören.“ 7 Mit<br />

der Folteranwendung werden unumkehrbare Tatsachen geschaffen, welche Geschädigte wie Schuldige<br />

mit jeweils ihrem Anteil aus der Situation des Folteraktes hervorgehen lassen. Bereits dieser Anteil des<br />

Unumkehrbaren, der Opfer wie Peiniger stigmatisiert, vernichtet im Ansatz jeden möglichen<br />

Rechtfertigungsversuch der Folter. Um des Bestandes des demokratischen Gemeinwesens willen kann<br />

die Folter nicht hingenommen werden, auch wenn die mit der Folteranwendung verfolgten Ziele der<br />

Gefahrenabwehr noch so nachvollziehbar sind.<br />

4. Die Lehren geschichtlicher Erfahrungen<br />

Es sind insbesondere die gesicherten historischen kollektiven wie individuellen Unrechtserfahrungen, die<br />

mit der Folteranwendung verbunden sind, welche belegen, dass jede Einschränkung des absoluten<br />

Verbotes, wenn ihr nicht widersprochen wird, nicht mehr regulierbare gesellschaftliche und politische<br />

Auswirkungen und die seelische Zerstörung des Foltereropfers wie des Folterers zur Folge hat. Diese<br />

Erfahrungen sind dem positivrechtlichen Ansatz vorgelagert und verdichten sich in den Schutznormen<br />

des Rechts.<br />

7<br />

Winfried Hassemer, Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 27. Februar 2003.


- 6 -<br />

Die Geschichte zeigt, dass die Folter niemals begrenzt ist. Wird die Folter einmal erlaubt, werden bald<br />

die Grenzen ihrer vermeintlichen Regulierung überschritten. Dem zugelassenen Einzelfall folgt der<br />

nächste Einzelfall, die Folteranwendung wird zur Praxis und schließlich zur Institution. „Das Beispiel<br />

Algerien während der französischen Kolonialzeit ist ein klassischer Fall. Die Folter begann mit gewissen<br />

Einschränkungen, und dann weitete sie sich aus zu einer Orgie der Brutalität, ihre Opfer waren zuerst<br />

Einheimische, dann griff sie auf Frankreich über. Sie war wirksam als Waffe im Kampf, und die<br />

Franzosen gewannen die Schlachten, aber sie verloren den Krieg. Der Krebs ist eine passende<br />

Metapher für die Folter und ihre Ausbreitung im gesellschaftlichen Organismus. Die Praxis der Folter<br />

kann nicht vom Rest der Gesellschaft getrennt werden; sie hat ihre Konsequenzen, sie erniedrigt<br />

diejenigen, die sie anwenden, die von ihr profitieren, und sie ist der denkbar eklatanteste Widerspruch<br />

zur Gerechtigkeit, eben jenem Ideal, auf das der Staat seine Autorität zu gründen bestrebt ist.“ 8<br />

Wenn ein Verfassungsstaat Folter in eng umgrenzten Ausnahmefällen zulässt, ist der Weg zu einem<br />

System institutionalisierter Folter eröffnet. Die Vorstellung, dass sich Folter rechtsstaatlich<br />

„domestizieren“ ließe, ist in sich widersprüchlich und historisch nicht belegbar. Der Staat, der Folter<br />

erlaubt, eröffnet den Sicherheitsorganen Ermessenspielräume, die eine Grauzone hervorbringen, in der<br />

Folter zur Gefahrenabwehr fortan erlaubt ist. Damit sind Dammbrüche programmiert. Zum anderen<br />

unterminiert der die Folter zulassende Rechtsstaat seine eigene Legitimationsbasis, die er folglich zur<br />

Begrenzung der einmal eröffneten Folterpraxis nicht mehr glaubhaft geltend machen kann. Ein derartiger<br />

Staat verliert auch jegliche Legitimation, die Folterpraxis in anderen Staaten anzuprangern. Damit<br />

schwächt die Zulassung von Folter in einem Staat auch langfristig den weltweiten Kampf gegen die<br />

Folter.<br />

Die gesellschaftliche Duldung staatlicher Folterpraxis öffnet mithin der Herrschaft der Folter das Tor und<br />

zersetzt den Staat von innen heraus. Nur durch einen wirksamen gesellschaftlichen Kampf gegen jeden<br />

bekannt werdenden Folterfall kann die sich entwickelnde Eskalationsspirale umgedreht oder ihrer<br />

Ingangsetzung von vornherein vorgebeugt werden. Die Vorstellung, durch Schmerzzufügung die<br />

Wahrheit ermitteln zu können, ist darüber hinaus ahistorisch. Geschichtliche Erfahrungen deuten darauf<br />

hin, dass die Folter für diejenigen, die sie anwenden oder befürworten, immer auch zumindest mehr als<br />

nur ein Mittel zur Wahrheitsfindung ist. Die Befürworter der Zulassung von Ausnahmen vom Folterverbot<br />

verkennen die Aufgabe des Rechts. Werden keine Anstrengungen gegen jeden bekannt gewordenen<br />

Foltervorgang unternommen, ist der Weg zur Herrschaft der Folter und damit der Verneinung der<br />

Herrschaft des Rechts vorgezeichnet. Der unbeirrbare Einsatz gegen Folter ist danach notwendig, um<br />

zivilgesellschaftliche Strukturen als soziale Basis der Herrschaftsbegrenzung zu bewahren und zu<br />

stärken. Historische Erfahrungen belegen, dass als Folge der Zulassung von Ausnahmen vom<br />

Folterverbot am Ende zivilgesellschaftliche Strukturen zersetzt und totalitäre Herrschaftsformen<br />

hervorgebracht werden. Deshalb muss das Rechtssystem demokratischer Rechtsstaaten eindeutig sein:<br />

Es darf die Folteranwendung auch unter Ausnahmebedingungen nicht zulassen, muss jene, die das<br />

Folterverbot verletzen, strafrechtlich und disziplinarisch zur Verantwortung ziehen. Die Befürworter der<br />

polizeilichen Folter verteidigen nicht lediglich den in einer Notsituation das Recht verletzenden<br />

Polizeibeamten. Vielmehr wollen sie eine rechtliche Verpflichtung zur Folteranwendung festlegen. Sie<br />

zerstören damit die menschenrechtliche Kernsubstanz der Verfassung.<br />

5. Die Gefahren des „Präventionsstaates“<br />

Derzeit vollzieht sich ein Wandel in den demokratischen Gesellschaften in Richtung auf<br />

„präventionsorientierte“ Gesellschaften hin, die nicht mehr die in Schutznormen verdichteten historischen<br />

Unrechtserfahrungen als stete Mahnung für das gesellschaftliche Miteinander begreifen. Die<br />

Funktionslogik des „Präventionsstaates“ lässt die Befürchtung aufkommen, dass insbesondere unter den<br />

Bedingungen eines vorrangig auf die „Gefahrenabwehr“ bzw. Sicherheit gerichteten Staates die<br />

Zulassung von Ausnahmen vom Folterverbot unumkehrbare Auswirkungen haben und die<br />

demokratische Substanz der Verfassungsstaaten von innen heraus zersetzen kann. Scheinbar neuartige<br />

8<br />

amnesty international, Bericht über die Folter, 1973, S. 26 f.


- 7 -<br />

terroristische Bedrohungen und die bisherigen staatlichen Gegenreaktionen hierauf haben eine<br />

komplexe gesellschaftliche und politische Gemengelage hervorgebracht. Terroristische Aktionen sowie<br />

Kindesentführungen treffen ein Gefühl unabwägbarer, persönlicher Gefährdung in der Bevölkerung. In<br />

beiden Fällen scheinen die Bedrohungen zufällig, wenig greifbar und jeden treffen zu können. Aktuelle<br />

Ereignisse werden daher emotionalisiert in einem Szenario allgemeiner Bedrohung reflektiert, das die<br />

Forderung nach präventiver polizeilicher Arbeit nahe legt. Terroristische Bedrohungen schaffen darüber<br />

hinaus permanente Unruhe, die eine allgemeine Verunsicherung hervorruft, die für jede Ordnung und<br />

ihre Institutionen gefährlich werden kann. Sich wiederholende Anschläge vom Ausmaß des 11.<br />

September 2001 in den Vereinigten Staaten und vom 11. März 2004 in Madrid befördern einen<br />

„permanenten Ausnahmezustand“. Die Abwägung von Freiheit und Sicherheit wird unter diesen<br />

Bedingungen einseitig.<br />

Wird diese Entwicklung des Präventionsstaates zu Ende gedacht, gewinnen die Gefahren, die mit der<br />

Zulassung von Ausnahmen vom Folterverbot ausgelöst werden könnten, schärfere Konturen: Beim<br />

internationalen Terrorismus lassen sich konkrete Bedrohungen nicht mehr einzelnen Personen<br />

zuordnen, weil sie von losen Netzwerken ausgehen. Hinzu kommt, dass sich seit zwanzig Jahren das<br />

Gefahrenabwehrrecht strukturell verändert hat. Der polizeirechtliche Störer- und Gefahrenbegriff wird<br />

danach zunehmend von individuell zurechenbaren Handlungen losgelöst und deshalb auch die<br />

Verdachts- und Eingriffsschwelle entsprechend herabgesetzt. Zugleich legitimiert das neue<br />

Präventionsverständnis grundsätzlich die Anwendung aller geeigneten und verfügbaren Mittel. Für<br />

dieses Denken ist damit auch das Folterverbot keine unüberwindbare Schranke mehr. Bei besonders<br />

großen Gefährdungen soll sie sogar eingesetzt werden.<br />

Damit wird eine Entwicklung deutlich, bei der die denkbar schärfste Form der Menschenrechtsverletzung<br />

von individuell zurechenbarem Störerverhalten vollständig entkoppelt wird. Das heißt, die Anwendung<br />

von Folter kann bei einem derartigen Präventionsverständnis der Abwehr von Gefahren unabhängig vom<br />

Verhalten des Opfers dienen. Nicht die vermeintliche Schuld an der Entstehung der Gefahr, sondern der<br />

mögliche individuelle Beitrag zur Gefahrenabwehr leitet präventionsorientiertes Denken. In der Logik<br />

dieses Rechtsverständnisses darf auch der Journalist, der Rechtsanwalt, ja, sogar der Zufallszeuge<br />

gefoltert werden, wenn sie Informationen aus legitimen Gründen zurückhalten, die aus polizeilicher Sicht<br />

zur Gefahrenabwehr geeignet sind. Die präventionsorientierte Gesellschaft will in einer gefährlichen<br />

Situation in der Wahl der Mittel frei sein und jede Möglichkeit, Rechtsgutverletzungen zu verhindern,<br />

ergreifen können, egal was es kostet. Dem Betroffenen wird deshalb die Beweislast dafür auferlegt, dass<br />

er zur Gefahrenabwehr nichts beitragen kann. Im Zweifel muss er also die Folter erdulden; eine<br />

Konsequenz, welche die verfassungsrechtlichen Befürworter der Zulassung von Folter ausdrücklich<br />

ziehen. 9<br />

6. Für ein absolutes Folterverbot<br />

Das Folterverbot gilt absolut wie wenige andere Prinzipien im Völkerrecht. Es darf unter keinen<br />

denkbaren Umständen aufgehoben werden. Die Stimmen, die eine Einschränkung des absoluten<br />

Folterverbotes fordern, nehmen zu. Unter den Bedingungen des „Krieges gegen den Terrorismus“<br />

beschleunigt sich die Umwandlung vieler demokratischer Rechtsstaaten zu präventionsorientierten<br />

„Sicherheitsstaaten“, in denen das Ziel der Gefahrenabwehr zu Lasten der Grund- und Menschenrechte<br />

überhöht wird. In der Konsequenz dieser Entwicklung liegt es, dass in einigen westlichen Staaten<br />

Misshandlungen und auch die Folteranwendung zugelassen werden.<br />

Die Motive der Gegner des absoluten Folterverbotes können noch so plausibel sein. Die Verletzung des<br />

Folterverbots zur Durchsetzung nachvollziehbarer Ziele ist nicht zu rechtfertigen. Das absolute<br />

Folterverbot markiert vielmehr eine nicht überschreitbare Grenze für Sanktionen, macht jede dieses<br />

Verbot verletzende Strafe und Behandlung allein wegen des Tabubruchs zu einer unverhältnismäßigen<br />

Handlung. Es zeichnet ja gerade den kulturellen Standard einer zivilisierten Gesellschaft aus, dass der<br />

9<br />

So Winfried Brugger, JZ 2000, 165 (171).


- 8 -<br />

Zweck nicht absolut gesetzt werden darf, sondern die angewendeten staatlichen Mittel zur<br />

Zweckdurchsetzung in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Bestimmte Mittel, wie die<br />

Folter, sind nicht erlaubt, sind jeglicher Abwägung mit anderen Rechtsgütern entzogen. Dies gilt selbst<br />

bei der Abwehr terroristischer Gefahren. Der Staat, der zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen<br />

Folteranwendung zulässt, zerstört seine eigenen demokratischen Grundlagen und unterstützt damit<br />

ungewollt die politischen Ziele, die mit terroristischen Aktionen verfolgt werden.<br />

Der allgemeine Konsens über das absolute Verbot der Folter scheint erschüttert worden zu sein. Wir<br />

wollen deshalb offensiv und öffentlich für diesen Konsens werben und jene, die verunsichert sind, mit<br />

diesem Memorandum überzeugen, dass unsere gesamte Verfassungsordnung auf der strikten<br />

Beachtung des absoluten Folterverbotes beruht. Wir wenden uns an alle Gruppen der Zivilgesellschaft<br />

und alle Personen, die den demokratischen Rechtsstaat erhalten und fortentwickeln wollen sowie die<br />

Menschenrechte als unverbrüchlichen universellen Wert unserer Rechtsordnung verstehen. Wir fordern<br />

sie auf, mit uns entschieden Relativierungen des absoluten Folterverbotes abzuwehren und dieses<br />

Verbot mit aller Kraft und allem persönlichen Engagement zu schützen.<br />

Januar 2005

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