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Freiburger Thesen - Fachverband Deutsch

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Autor: Landesverband Baden-Württemberg 15.09.2010<br />

<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 1<br />

Man darf die Erziehung nicht gering schätzen, da sie unter den größten Gütern,<br />

welche den besten Menschen zuteil werden, den ersten Rang einnimmt.<br />

(Platon)<br />

Ich lerne immer.<br />

(Michelangelo Bouanarotti)<br />

<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong><br />

aus der Sicht des <strong>Fachverband</strong>s <strong>Deutsch</strong> (Baden-Württemberg)<br />

Einleitung<br />

Nachdem Bildung ins Gerede gekommen war, ist es gut, dass über sie wieder<br />

geredet wird.<br />

Annette Schavan, die zuständige Bundesministerin, hat den Kampf gegen<br />

Bildungsarmut zur sozialen Bewegung der kommenden Jahre erklärt. Die Jugend<br />

solle für ihre berufliche Zukunft und für das Zusammenleben in einer Solidargemeinschaft<br />

fit gemacht werden.<br />

An den Schulen wird seit jeher jene praktische Integrationsarbeit geleistet, die<br />

von Seiten der Politik für die Gesellschaft schon immer eingefordert wurde.<br />

Allerdings werden die gewaltigen Aufgaben der Schulen in Zukunft nur zu bewältigen<br />

sein, wenn alle Träger zusammenarbeiten und Bildung, auch in der<br />

Öffentlichkeit, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird.<br />

Situation nach PISA<br />

Seit der PISA-Studie 2002, damals angeregt durch die OECD, der Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit, hat man sich daran gewöhnt, Bildungsprozesse<br />

vor allem unter Effizienzkriterien zu betrachten. Es wurde ein Zusammenhang<br />

hergestellt zwischen den nur mäßigen PISA-Ergebnissen <strong>Deutsch</strong>lands<br />

im internationalen Vergleich und der Sicherung des Wirtschaftsstandorts<br />

<strong>Deutsch</strong>land.<br />

Nach der globalen Wirtschaftskrise, deren Ursachen im Gebaren einzelner<br />

großer Banken zu suchen sind, scheinen sich Perspektiven, die sich einseitig auf<br />

Aspekte des Outputs konzentrieren, als obsolet erwiesen zu haben. Die Erkennt-<br />

<strong>Fachverband</strong> <strong>Deutsch</strong> im <strong>Deutsch</strong>en Germanistenverband<br />

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Autor: Landesverband Baden-Württemberg 15.09.2010<br />

<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 2<br />

nis reift: Digitalisierung und Messbarkeit auf dem Hintergrund internationaler<br />

Rankings und einer noch nie dagewesenen Vergleichskultur erhöht weder den<br />

Leistungsstand einzelner Länder noch automatisch den einzelner Schüler und<br />

Studenten.<br />

Wo Schüler und Studenten, ganze Länder für vergleichende Testverfahren<br />

instrumentalisiert und für den „survival of the fittest“ evaluiert werden sollen,<br />

lässt, der Globalisierung sei Dank, ein schon längst tot geglaubter neuer Sozialdarwinismus<br />

grüßen. Die harmlose Lesart lautet, dass man mit empirischen<br />

Untersuchungen, Vergleichsarbeiten, Rankings, Charts – vergleiche: Bestsellerlisten<br />

– verlässliche Daten gewinne, um besser zu werden bzw. alles besser<br />

machen zu können. Mit Einführung von Bildungsstandards, Kompetenztests und<br />

anderen outputorientierten Kontrollmaßnahmen habe, so warnte bereits 2007<br />

der Erziehungswissenschaftler Professor Hans Brügelmann, nicht nur eine<br />

Fixierung auf punktuelle Testwerte an Stelle von lernbegleitender Lernbeobachtung<br />

stattgefunden, es sei auch eine „zunehmende Orientierung des<br />

Unterrichts an Testinhalten“ und eine Steigerung des „Trainings von Testformaten“<br />

sowie eine zunehmende Vernachlässigung des musisch-ästhetischen<br />

Bereichs zu konstatieren (vgl. dazu: DIE ZEIT, Nr. 45, 31. Oktober 2007).<br />

Im Februar 2009 haben Bund und Länder an der Universität Bamberg die bislang<br />

größte deutsche Bildungsuntersuchung gestartet. In einer Studie soll der<br />

Bildungsweg von 60000 Jungen und Mädchen vom Kindergarten bis zum Berufsleben<br />

erforscht werden. Den Startschuss für das sogenannte Nationale<br />

Bildungspanel (NEPS) gab Bildungsministerin Annette Schavan. Davon erhoffen<br />

sich Experten wichtige Erkenntnisse für die Umsetzung der von Bund und<br />

Ländern beschlossenen „Strategie eines lebenslangen Lernens“. Die ständige<br />

Verbesserung der Bildungssysteme sei von entscheidender Bedeutung für die<br />

Zukunftsfähigkeit <strong>Deutsch</strong>lands - und für die Bewältigung der Wirtschaftskrise.<br />

Im Unterschied zu „Momentaufnahmen“ wie PISA oder der Lesestudie IGLU beispielsweise<br />

solle die Längsschnittstudie NEPS erstmals in der Geschichte der<br />

Bundesrepublik ein Wissen vermitteln, „wie Bildungskarrieren von Kindern und<br />

Jugendlichen von Beginn an bis ins hohe Erwerbsalter verlaufen“. Auch Risiken<br />

und Hürden in verschiedenen Bildungsbereichen sollen laut Schavan damit aufgezeigt<br />

werden (vgl. dazu: Schwäbische Zeitung Nr. 28, 04.02.2009).<br />

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<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 3<br />

Wie bei solchen Langzeituntersuchungen der Datenschutz gewährleistet<br />

werden soll, darüber scheint man sich bislang noch keine Gedanken gemacht zu<br />

haben.<br />

1. <strong>Deutsch</strong>unterricht zwischen Anspruch und Wirklichkeit<br />

Der Widerspruch zwischen erhöhten Anforderungen an den <strong>Deutsch</strong>unterricht<br />

seit PISA und den Kürzungen in den Stundentafeln ist nach wie vor ungelöst: Wie<br />

sollen z. B. Lesefertigkeit und Deutungskompetenzen im Literaturunterricht<br />

stärker entwickelt werden, wie soll handlungs- und kompetenzorientiert unterrichtet<br />

werden, wenn je nach Klassenstufe gerade mal zwei (in der Berufsschule<br />

vielfach nur eine) bis vier Wochenstunden zur Verfügung stehen<br />

2. Kernkompetenzfach<br />

Die Betonung des Faches <strong>Deutsch</strong> als Kernkompetenzfach steht im Widerspruch<br />

zu der Tatsache, dass das Fach zunehmend seinen Stellenwert in den Abschlussprüfungen<br />

verliert. Insbesondere im beruflichen Schulwesen spielt <strong>Deutsch</strong> in<br />

verschiedenen Schulformen in dieser Hinsicht keine Rolle mehr. Im Beruflichen<br />

Gymnasium z. B. kann das Fach <strong>Deutsch</strong> sogar in bestimmten Konstellationen<br />

durch eine Fremdsprache ersetzt werden. Hinzu kommt die problematische<br />

Funktionalisierung des Faches als Vermittler von insbesondere wirtschaftlich ausgerichteten<br />

Kompetenzen, die nicht selten in einer unkritischen Ausrichtung der<br />

Fachinhalte auf Präsentationstechniken kulminiert. Dies führt zu einer inhaltlichen<br />

Verflachung nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sie ist bereits<br />

bei Studierenden und einzelnen Lehramtsbewerbern zu beobachten.<br />

3. Persönlichkeitsbildung<br />

Die Unterwerfung der Fachinhalte unter Effizienzkriterien und übersteigerte<br />

Methodologie führt zu Qualitätsdefiziten, die auf Dauer dem Fach <strong>Deutsch</strong> und<br />

der Germanistik insgesamt die Substanz entziehen werden. Die Folgen sind<br />

Nivellierung und Uniformierung nicht nur der Inhalte, sondern – weit schlimmer –<br />

auch der Lehrerpersönlichkeiten, die dem Kardinalziel und dem Auftrag der<br />

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<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 4<br />

Geisteswissenschaften, nämlich der Ausbildung einer selbstständig urteilenden<br />

Schülerpersönlichkeit, diametral entgegenlaufen.<br />

4. Medien- und Internetkompetenz<br />

Ein sicheres Urteilsvermögen scheint heute allerdings wichtiger denn je: Längst<br />

ist die Lehrkraft kein relativ sicherer, didaktisierender Filter zur Welt der Texte<br />

mehr, sondern diese erreichen unsere Schüler überwiegend über die Massenmedien,<br />

das Internet etc. – und dies ungehindert und ungefiltert. Das ist insofern<br />

problematisch, als eine Wissensbasis der Schüler, von der aus ein Urteil möglich<br />

wäre, in der Schulzeit erst aufgebaut werden muss – noch fehlt den Schülern ein<br />

verlässlicher Bewertungsmaßstab. Deshalb ist der sichere Umgang mit unterschiedlichen<br />

Medien keineswegs naiv vorauszusetzen – schon deshalb, weil sich<br />

Schüler bei der Nutzung neuer Medien gern mehr zutrauen als ihren Lehrern und<br />

deshalb oft unreflektiert das Erstbeste zu glauben bereit sind.<br />

5. Gesamtcurriculum<br />

Dringend notwendig erscheint eine Überprüfung des Gesamtcurriculums. Im<br />

Elementar- und Sekundarstufen-I-Bereich des Bildungssystems wird es wieder<br />

darauf ankommen, die notwendigen Grundfertigkeiten in den Vordergrund zu<br />

stellen. Lesefähigkeit als sinnerfassende Verstehensfähigkeit, verständliches<br />

Schreiben und eine differenzierte Ausdrucksfähigkeit sowie vor allem Textkompetenz<br />

sind unverzichtbare Bestandteile für das Fach <strong>Deutsch</strong> und darüber<br />

hinaus, die es erst ermöglichen, zu den eigentlichen Inhalten und Strukturen<br />

vorzudringen. Die Methoden, die zu dieser Vermittlung von unverzichtbaren<br />

Kernkompetenzen herangezogen werden, sind nicht die Hauptsache, sie haben<br />

wie alle anderen Präsentationstechniken dienende Funktion.<br />

6. Korrekturpraxis<br />

Ebenso dringend ist eine Überprüfung der Korrekturpraxis im Fach <strong>Deutsch</strong> notwendig.<br />

Die zusehends technizistisch orientierte Ausrichtung der Bewertungsrichtlinien<br />

in den Abschlussprüfungen widerspricht der ganzheitlich orientierten<br />

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<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 5<br />

Grundausrichtung der Geisteswissenschaften, die nach wie vor ihren Akzent auf<br />

die Erbringung von individuellen Gesamtleistungen legen sollten und weniger auf<br />

die Reproduktion atomisierter Einzelaspekte, die dann mittels Skalen und<br />

pseudo-objektiver Bepunktungssysteme beurteilt werden. Dies setzt eine Umorientierung<br />

des Faches und seiner Ausbildungsziele voraus mit der Intention<br />

ganzheitlich orientierte Lehrerpersönlichkeiten hervorzubringen, deren Blick für<br />

den Wert individueller Leistung nicht abhanden gekommen ist und denen es gelingt,<br />

Leistungsbewertung transparent und plausibel zu gestalten.<br />

7. Lesekompetenz<br />

Wie die „Stiftung Lesen“ ermittelt hat, liest ein Viertel aller Erwachsenen überhaupt<br />

keine Bücher (mehr). Dies scheint vordergründig ein banales Problem zu<br />

sein, das insofern jedoch brisant ist, als die Defizienz an politischer Teilhabe<br />

sogar den Wirtschaftsstandort <strong>Deutsch</strong>land, respektive den von Baden-<br />

Württemberg zu unterminieren droht. Damit reicht das Problem „eines prekären<br />

Verhältnisses zum gedruckten Wort weit über das Milieu hinaus, in dem wir es<br />

bequemerweise gern ghettoisieren würden,“ wie Susanne Gaschke im Artikel<br />

„Familie Powerpoint“ angemahnt hat (vgl. Susanne Gaschke: „Familie Powerpoint“,<br />

zit. nach Zeit-Online, http://www.zeit.de/2009/47/DOS-Analphabeten,<br />

13.11.2009), was bedeutet, dass nicht nur, wie bislang immer vermutet, das<br />

„Prekariat“ von Bildung von vornherein abgeschnitten zu sein scheint, sondern<br />

auch in Akademikerhaushalten zunehmend weniger gelesen wird. – Denn das<br />

Lesen und Schreiben von SMS oder E-Mail zur Informationsübermittlung in Kurzform,<br />

die schnelle Information über das Internet haben eine andere Qualität als<br />

literarisches Lesen, das Zeit braucht, uns aber befähigen kann zum<br />

Perspektivenwechsel, das uns anregt mitzufühlen, uns in ein Gegenüber, ein<br />

anderes Geschehen einzufühlen.<br />

Beides gehört in den <strong>Deutsch</strong>unterricht. Nach Peter Bieri (alias Pascal Mercier)<br />

erschließt sich „die gesteigerte Erfahrung von Gegenwart beim Lesen von Poesie,<br />

beim Betrachten von Gemälden, beim Hören von Musik, die Leuchtkraft von<br />

Worten, Bildern und Melodien“ nur demjenigen, der ihren Ort in dem vielschichtigen<br />

Gewebe, das wir Kultur nennen, zu verorten vermag. Schule, ins-<br />

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<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 6<br />

besondere der <strong>Deutsch</strong>-Unterricht, kann solche Bildungs-„Erlebnisse“ vermitteln,<br />

wenn es gelingt, Lesekultur an der Schule unter allen Beteiligten zu etablieren.<br />

8. G-8<br />

Die Ziele von G-8 im Sinne eines Paradigmenwechsels hin zum Schüler wären<br />

durchaus erreichbar, wenn die Zeit, die gekürzt wurde, als „Betreuungs- und<br />

Zuwendungszeit“ für den einzelnen Schüler zur Verfügung gestellt würde. Dies<br />

würde weniger Messen von Leistungen nach für die Unterrichtenden nicht zu<br />

durchschauenden Kriterien und mehr Zeit für eine vertiefende Arbeit zur Entwicklung<br />

einer jeweils eigenen Lernkultur und deren Evaluation bedeuten,<br />

orientiert an den jeweiligen Voraussetzungen und Gegebenheiten vor Ort. Dazu<br />

gehört Vertrauen in die Kompetenz und Innovationsfähigkeit von Kolleginnen und<br />

Kollegen, die mit der Umsetzung an den Schulen betraut sind. Dazu gehören<br />

aber auch mehr und sinnvolle Fortbildungsangebote, die individuelle Hinwendungsstrategien<br />

an den Schüler fachlich, aber insbesondere auch<br />

pädagogisch thematisieren. Wesentlich ist und bleibt in diesem Zusammenhang<br />

eine Absenkung des Klassenteilers, damit der durchaus zu begrüßende Paradigmenwechsel<br />

nicht nur eine schöne Floskel auf dem Papier oder in Sonntagsreden<br />

bleibt.<br />

9. Universitäten<br />

Man hat den von seinen Ansätzen her europäisch angedachten, an und für sich<br />

vernünftigen Bologna-Prozess kurzerhand über das deutsche System gestülpt.<br />

Die Universitäten mussten plötzlich das angelsächsische System verdauen –<br />

ohne dass man die Kernproblematik anging. Schneller, effizienter, arbeitsmarkttauglicher<br />

hieß auch hier die Devise. Herausgekommen ist ein verschultes<br />

Studium, das den Studenten nicht die Zeit lässt, das zu tun, was sie eigentlich<br />

tun sollten: durch Denken zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Außerdem ist es<br />

nicht gelungen, die Abbrecherzahlen zu minimieren oder die Chancen für<br />

Bachelor-Studenten auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.<br />

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<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 7<br />

10. Lehrerausbildung und Fortbildung<br />

In der Lehrerausbildung sollen Menschen dafür qualifiziert werden, Bildung und<br />

Wissen einer ganzen Generation von Schülerinnen und Schülern adäquat und<br />

nachhaltig zu vermitteln. Bildungspolitik in <strong>Deutsch</strong>land spiegelt jedoch die<br />

föderale Zersplitterung des Bildungsgedankens und damit – bekanntermaßen –<br />

das Fehlen einer Gesamtkonzeption für die Berufsqualifikation angehender<br />

Lehrerinnen und Lehrer wider, wie sie zu Recht immer wieder, z. B. von Terhart,<br />

angemahnt wurde. Die im Bildungsprozess der Länder zudem sehr unterschiedlich<br />

angelegten Phasen der Lehrerausbildung sind mit der Berufsübernahme nur<br />

vordergründig abgeschlossen. Für einen Erfolg der Qualifizierung ist eine Abstimmung<br />

der Zielsetzungen und Inhalte der einzelnen Phasen (1. Hochschule/Wissenschaft;<br />

2. Studienseminar/Praxis; 3. Schule/Berufseinstieg) unverzichtbar.<br />

Auf dem Hintergrund der KMK-Vereinbarung aus dem Jahre 2008, in der zwar<br />

die Bedeutung der Anschlussfähigkeit des Wissens („Ländergemeinsame inhaltliche<br />

Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der<br />

Lehrerinnen- und Lehrerbildung“) angedacht wurde, sind die „Bamberger<br />

Empfehlungen“, eine seit 2009 bestehende verbandsübergreifende Initiative des<br />

gemeinsamen Arbeitskreises von Hochschul- und <strong>Fachverband</strong> <strong>Deutsch</strong> im DGV<br />

einerseits sowie dem SDD andererseits, der paritätisch mit Mitgliedern beider<br />

Verbände besetzt ist, vorgelegt worden. Der <strong>Fachverband</strong> <strong>Deutsch</strong> setzt sich mit<br />

Nachdruck für eine stärkere „Verzahnung der verschiedenen Teilbereiche in der<br />

Gesamtqualifikation“ (Plien) ein. Dabei steht zunächst die Gewährleistung einer<br />

qualifizierten Vorbereitung, Betreuung und Bewertung der Praxisversuche der<br />

Studenten im Vordergrund, um den klassischen Praxisschock zu vermeiden bzw.<br />

zu verringern; darüber hinaus könnten für den Lehrberuf ungeeignete Personen<br />

frühzeitig dahingehend beraten werden, ihre Berufsorientierung ihren Möglichkeiten<br />

anzupassen. Eine stärkere Institutionalisierung der Verflechtung beider<br />

Phasen von Universität und Studienseminar (Plien), beispielsweise über<br />

Tandems, wie sie an einigen Universitäten durch modularisierte Kooperationsmodelle<br />

bereits erprobt werden, scheint ein vielversprechender Weg zu sein.<br />

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<strong>Freiburger</strong> <strong>Thesen</strong> zur aktuellen Lage des Faches <strong>Deutsch</strong> 8<br />

Die derzeitige staatliche Lehrerfortbildung genügt den stetig gewachsenen Anforderungen<br />

an das Fach in keiner Weise. Sie muss gerade auch mit Blick auf die<br />

sich aus der Etablierung von G-8 ergebenden Notwendigkeiten quantitativ und<br />

qualitativ in erheblichem Maße ausgebaut werden und in der Schulverwaltung mit<br />

entsprechender Gewichtung verortet werden. Ihre nachhaltige Vernetzung mit<br />

der Lehrerausbildung an Universitäten und Studienseminaren muss realisiert<br />

werden.<br />

Abschlussgedanken<br />

Schulen und Universitäten wachsen in einem geistig noogenen, soziokulturellgesellschaftlichen<br />

Vakuum neue orientierende, identitätsstiftende Aufgaben zu.<br />

Die Schulen brauchen einen Perspektivenwechsel. Die Leistungen der Schule und<br />

aller, die am Bildungsprozess beteiligt sind, nicht zuletzt die unserer Schüler (!),<br />

müssen wieder „gewürdigt“ werden. In diesem Zusammenhang müssen der<br />

Qualitätsbegriff, Kompetenzen und Evalutationsmethoden reflektiert und hinterfragt<br />

werden. Statt fremdgesetzter Normen sollten sie das Ergebnis von<br />

Kommunikationsprozessen sein zwischen Schülern, Eltern und Lehrern.<br />

Man kann Geld sparen, aber keine Zeit. Trotz G-8, „Turbo-Abitur“ und dem<br />

steten Druck, evaluiert, verglichen und getestet zu werden, setzen wir uns als<br />

<strong>Fachverband</strong> für Entschleunigung ein. Echte Bildung braucht Zeit und eine<br />

andere Schule. Man kann Lernzeit bei gleichbleibender Stoffmenge nicht verkürzen.<br />

Über das reine Faktenwissen hinaus müssen wir wieder alternativ<br />

denken, mitfühlen und problematisieren lernen. Der <strong>Deutsch</strong>unterricht mit seinen<br />

kreativen, handlungsorientierten Anteilen trägt mit seinen hohen reflektorischen<br />

und ästhetischen Komponenten dazu bei, den Eigenwert von Schule zu stärken.<br />

Er muss auch davor bewahren, dass über Schüler in Bildung und Ausbildung, also<br />

in einer der prägendsten Sozialisationserfahrungen überhaupt, letztlich nur noch<br />

verhandelt wird im Sinne der Herausbildung eines angepassten, auf dem<br />

globalen Markt sich zurechtfindenden, überall einsetzbaren Arbeitnehmers und<br />

Konsumenten.<br />

Freiburg, 15.09.2010<br />

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