13.11.2012 Aufrufe

Nr21 [PDF] - Stiftung Lilienberg - Unternehmerforum

Nr21 [PDF] - Stiftung Lilienberg - Unternehmerforum

Nr21 [PDF] - Stiftung Lilienberg - Unternehmerforum

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

E d i t o r i a l<br />

die Eliten müssen sich mehr Zeit nehmen<br />

Von Christoph Vollenweider<br />

eider habe ich dafür einfach keine<br />

«L Zeit.» Wer hat diese Antwort nicht<br />

schon oft gehört!<br />

«Keine Zeit zu haben» gehört heute<br />

zum Standardrepertoire an allgemein<br />

akzeptierten und von allen verstandenen<br />

Entschuldigungen. Ja, es gehört<br />

vielerorts fast zum Image, keine Zeit zu<br />

haben. Damit dokumentiert man die<br />

eigene Wichtigkeit und Unabkömmlichkeit.<br />

«Keine Zeit» ist darum auch<br />

auf dem <strong>Lilienberg</strong> eine sehr oft gehörte<br />

Antwort auf die Einladungen zu unseren<br />

mannigfaltigen Veranstaltungen.<br />

«Keine Zeit zu haben» ist ein modernes<br />

Phänomen. Unsere Welt ist geprägt<br />

durch die Getriebenheit der Eliten.<br />

Noch nie in der Geschichte hatten<br />

die Eliten einer Gesellschaft so wenig<br />

Zeit wie die heutigen: Sie werden derart<br />

gnadenlos durch eine kaum beschreib-<br />

bare Hektik und Rastlosigkeit getrieben,<br />

dass sie nicht mehr die Herren über ihre<br />

Zeit sind, sondern die Knechte ihres<br />

Kalenders. Sie hetzen dauernd von Termin<br />

zu Termin, von Terminal zu Terminal<br />

und sind dabei dauernd mit ihrem<br />

Umfeld vernetzt und damit überall und<br />

jederzeit erreichbar.<br />

Man muss sich janicht gleich nach<br />

den vergangenen Zeiten zurücksehnen,<br />

als die Aristokratie nicht zu arbeiten<br />

brauchte und ihre Zeit entweder mit<br />

Jagd und gesellschaftlichen Spielen vertrödelte<br />

oder in Musse einer umfassenden<br />

Gelehrsamkeit nachging. Aber es<br />

stimmt doch nachdenklich, dass gerade<br />

die Eliten, also diejenigen Bevölkerungsschichten,<br />

welche das Geschick<br />

unserer Gesellschaft und unseres Staates<br />

bestimmen und beeinflussen, keine<br />

Zeit mehr aufbringen, um über Grundsätzliches<br />

nachzudenken und sich mit<br />

sich selber gründlich auseinanderzusetzen.<br />

Das gilt insbesondere für viele<br />

unternehmerischwirkende Menschen.<br />

Dass wir glauben, nie genug Zeit zu<br />

haben, hat viele Gründe. Ein wichtiger<br />

davon liegt zweifellos in der zunehmenden<br />

Unfähigkeit vieler Menschen,<br />

zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem<br />

unterscheiden zu können,<br />

was wiederum eine Folge der modernen<br />

Technik ist, die uns vermeintlich<br />

mehr Zeit beschert – die wir indessen<br />

immer wieder sofort auffüllen – und<br />

die uns einer Informationsflut aussetzt,<br />

die wir nicht mehr wirklich bewältigen<br />

können.<br />

3<br />

Eigentlich sind heute diejenigen<br />

Menschen privilegiert, die sich nicht<br />

der Informationsflut unterwerfen und<br />

sich nicht von ihrem Terminkalender<br />

kontrollieren lassen, sondern die sich<br />

immer wieder Zeit geben können: In<br />

Musse nachdenken und sich mit anderen<br />

austauschen zu können, braucht<br />

zweifellos Zeit, doch diese Zeit ist eine<br />

Investition in die eigene Zukunft und in<br />

das eigene Unternehmen. Nur wer Zeit<br />

hat, kann seine eigene Kreativität fördern<br />

und neue Ideen entwickeln. Nur<br />

auf diese Weise kann man über seine<br />

Werte nachdenken und damit Halt<br />

finden und Vertrauen für die Zukunft<br />

schöpfen.<br />

Das <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong><br />

bietet sich als Oase des Nachdenkens,<br />

der Begegnungen, der Gespräche und<br />

der Bildung an. Auf dem <strong>Lilienberg</strong> finden<br />

sich in prachtvoller Umgebung mit<br />

hervorragenden Dienstleistungen weitere<br />

Voraussetzungen dafür. Die vorliegende<br />

Zeitschrift vermittelt wieder<br />

ein Bild von der Vielfalt der <strong>Lilienberg</strong>-<br />

Aktivitäten und der hier aufgetretenen<br />

Persönlichkeiten.<br />

Diese Beispiele sollen Sie alle animieren,<br />

sich Zeit zu schenken, um auf<br />

dem <strong>Lilienberg</strong> nachdenken, sich einbringen<br />

und sich finden zu können.


Vor gut 40 Jahren, während meines damaligen<br />

hochinteressanten Unternehmensaufbaus,<br />

erkannte ich bereits die<br />

Notwendigkeit des unternehmerischen<br />

Gesprächs mit verschiedenartigsten<br />

Unternehmern. Sie vermittelten mir<br />

Vergleiche, Erkenntnisse und vielseitige<br />

anregungen. die damaligen VfU-<br />

Gespräche befassten sich mehrheitlich<br />

mit dem schweizerischen Unternehmertum.<br />

Ernst Jucker regte immer<br />

wieder an, sich mit dem eigenen Unternehmertum<br />

zu befassen und damit<br />

dem eigenen Unternehmen Sicherheit<br />

und Fortschritt zu geben.<br />

Von Dr. h.c. Walter Reist<br />

Ein sehr wertvoller Gedanke, der fast<br />

durchwegs gerne und schönredend<br />

angesprochen, aber kaum jemals engagiert<br />

zur Nachhaltigkeit angewendet<br />

wurde. Mit dem Aufruf «Unternehmer<br />

schulen Unternehmer» sollte es jedem<br />

Unternehmer möglich sein, sich einzubringen,<br />

zu klären und zu finden.<br />

Eine Form des bildenden Gesprächs<br />

sollte demzufolge dem interessierten<br />

Teilnehmer Halt vermitteln für seine<br />

tägliche Herausforderung. Ich habe mir<br />

diese unternehmerischen Anregungen<br />

zu Herzen genommen, und so bin ich<br />

zum Entscheid für den Auf- und Ausbau<br />

eines <strong>Unternehmerforum</strong>s «zum sich<br />

erleben» gelangt.<br />

Ich habe meinem Unternehmen die<br />

Möglichkeit geboten, sich mit meinem<br />

U N t E r N E H M E r t U M<br />

das unternehmerische Erlebnis mit sich selbst<br />

Das <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong> im Frühling...<br />

Credo, meiner Verfassung und meinem<br />

Führungskonzept auseinanderzusetzen<br />

sowie sich über die Unternehmensziele,<br />

Unternehmenspolitik und Unternehmensstrategie<br />

zu informieren, und zwar<br />

bis hin zum interessierten Mitarbeiter.<br />

Meine persönliche Unternehmertum-<br />

Philosophie und deren Zusammenhänge<br />

mit meinem Symbol wurden erklärt,<br />

denn bis anhin waren die unternehmerischen<br />

Zusammenhänge nicht ohne<br />

weiteres ersichtlich. Durch die Klarstellung<br />

aller unternehmerischen Aspekte<br />

gewann das firmaeigene Unternehmertum<br />

sein Erlebnis.<br />

In meinen <strong>Lilienberg</strong>-Gesprächen<br />

von 2½ Tagen habe ich all dies ganz<br />

unterschiedlichen Unternehmern un-<br />

4<br />

terbreitet. Es fanden tatsächlich stets<br />

bildende Gespräche mit sehr fruchtbaren<br />

Auseinandersetzungen statt. Rückblickend<br />

höre ich von engagierten Teilnehmern<br />

immer wieder, wie sie durch<br />

dieses Erlebnis ihren eigentlichen unternehmerischen<br />

Weg gefunden haben.<br />

Durch meine sonstige Beanspruchung<br />

habe ich leider diese wertvollen Anlässe<br />

etwas vernachlässigt. Hans Gall hat<br />

sie dann auf seine Art recht erfolgreich<br />

weitergeführt.<br />

Zusammenfassend darf ich heute<br />

erkennen, dass solche unternehmerischen<br />

Erlebnisse durch unsere eigene<br />

Initiative wieder erfolgreich gestaltet<br />

werden können. Sie sind der eigentliche<br />

Denkanstoss für das Bauen eines


Erlebnis-Zentrums gewesen: ein Ort,<br />

wo der Unternehmer, die Unternehmerin<br />

in Ruhe, Musse und Gelassenheit<br />

sich selbst finden kann.<br />

Das <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong><br />

bietet heute aber noch viel mehr mit<br />

all seinen Aktivitäten in den verschiedenen<br />

Gesellschaftsbereichen, mit den<br />

Unternehmerischen Gesprächen über<br />

ganzheitliche Themenkreise und mit<br />

den einzigartigen Begegnungen mit engagierten<br />

Persönlichkeiten. Und in den<br />

Regionalgruppen wird dem Unternehmer,<br />

der Unternehmerin, der unternehmerischen<br />

Persönlichkeit das Sich-Zusammenfinden<br />

ermöglicht, wobei sie<br />

sich nachfolgend auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />

unternehmerisch erleben können. Dadurch<br />

finden sie Fortschritt, Vertrauen<br />

und Halt, was ich Ihnen nach meinem<br />

Erlebnis nur bestätigen kann.<br />

U N t E r N E H M E r t U M<br />

im Sommer... im Herbst...<br />

und im Winter – stets ein unternehmerisches Erlebnis.<br />

5


Es gibt kaum ein Stellenprofil, in welchem<br />

nicht herausragende kommunikative<br />

Fähigkeiten verlangt werden.<br />

dabei geht leicht vergessen, dass unternehmerischer<br />

Erfolg und nachhaltige<br />

innovationsfähigkeit in entscheidendem<br />

Masse von der persönlichen<br />

Beobachtungsgabe abhängen. dies ist<br />

ein Plädoyerfür eine unternehmerische<br />

Haltung, die von Neugier und alternativer<br />

Prioritätensetzung geprägt ist.<br />

Von Dominique Roland Gerber<br />

Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz:<br />

Je höher die Position in der Hierarchie,<br />

desto stärker ausgeprägt ist der<br />

Anspruch der unternehmerisch tätigen<br />

Führungskraft, sich im Zentrum derAktivität<br />

aufzuhalten. Im Mittelpunkt stehen<br />

bedeutet sehr oft auch intensiv zu kommunizieren.<br />

Und in Sachen Kommunikation<br />

sind wir ja auch alle von Natur<br />

aus stark oder haben uns entsprechend<br />

bilden lassen. Nur, der kommunikative<br />

Rausch stellt sich primär als einseitiger<br />

Ausfluss dar und das Gegenstück, der<br />

Input sozusagen, droht zu verkümmern.<br />

Als im hektischen Alltag stehende<br />

Entscheidungsträger(innen) sind wir<br />

heute kaum mehr in der Lage, intensiv<br />

zu beobachten und unsere daraus gewonnenen<br />

Eindrücke zielgerichtet zu<br />

verarbeiten. Dabei ermöglicht uns das<br />

Beobachten tiefe und aufschlussreiche<br />

Einblicke, die unkonventionell und direkt<br />

zu Verbesserungen und Optimie-<br />

U N t E r N E H M E r t U M<br />

Schauen Sie doch einfach mal zu!<br />

rungen führen können. Beobachten<br />

heisst denn auch, Verhaltensdefizite in<br />

pragmatischer Weise zu erkennen und<br />

anspruchsvolle Veränderungsprozesse<br />

optimierend zu begleiten. Beobachtung<br />

lebt von der Tiefe der Einsicht und der<br />

Intimität der Situation. Ein Aussenstehender<br />

kann im Gegensatz zu einer im<br />

Geschäftsalltag verankerten Führungskraft<br />

nie den entscheidenden Zugang<br />

gewinnen. Deshalb ist das Beobachten<br />

primär Chef-Sache! Die Beobachtungsgabe<br />

ist die Quelle der Inspiration, der<br />

Zugang zur Kreativität und das Tor zur<br />

Innovation.<br />

Unter methodischen Gesichtspunkten<br />

kann Beobachten in einer ersten<br />

Phase als formloses und unstrukturiertes<br />

Aufnehmen von Eindrücken verstanden<br />

werden. Dabei erscheint es<br />

wichtig, dass das Verarbeiten oder Interpretieren<br />

der Informationen in einer<br />

zweiten Phase erfolgt, die zeitlich und<br />

örtlich von der ersten getrennt ist. Die<br />

grundlegenden Zielsetzungen für die<br />

beiden Phasen sind ebenfalls unterschiedlich.<br />

In der ersten Phase werden<br />

ein fundiertes Verständnis und eine<br />

detaillierte Beschreibung der Situation<br />

angestrebt. Dabei soll der Beobachter<br />

eine möglichst neutrale Haltung<br />

einnehmen und sich ander Frage orientieren:<br />

Was fällt mir auf? Die zweite<br />

Phase dient der Interpretation und<br />

Konzeptionalisierung der festgehaltenen<br />

Ereignisse mit dem Anspruch, die<br />

Erkenntnisse im Führungsalltag einfliessen<br />

zu lassen.<br />

6<br />

Die wichtigste Voraussetzung, um<br />

erfolgreich beobachten zu können, ist<br />

die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.<br />

Beobachtungen bringen dann die<br />

besten Resultate, wenn sich der Beobachter<br />

Zeit nimmt für diese Führungsaufgabe<br />

(ja, Führungsaufgabe!). In Anbetracht<br />

der übervollen Terminpläne<br />

drängt sich die Frage der Planbarkeit<br />

von Beobachtungen auf. Es scheint<br />

vernünftig, den Zeitpunkt für eine Beobachtung<br />

einzuplanen, obwohl auch<br />

ein sich überraschend einstellender<br />

Moment mit tieferer Produktivität ideal<br />

für eine spontane Beobachtungsmission<br />

ist. Hingegen ist davon abzuraten,<br />

sich imVoraus darauf zu versteifen,<br />

was genau beobachtet werden soll.<br />

Lassen Sie sich einfach einmal auf die<br />

Situation ein und halten Sie die gewonnenen<br />

Eindrücke fest.<br />

Konkret: Setzen Sie sichmal überraschend<br />

in ein Meeting und begnügen<br />

Sie sich dabei mit dem Hintersitz. Machen<br />

Sie klar, dass Sie nicht aktiv teilzunehmen<br />

wünschen. Sie werden sehen,<br />

dass man Sie je länger,jeweniger<br />

zur Kenntnis nimmt und die theatralischen<br />

Anflüge von gewissen Teilnehmern<br />

langsam verebben. Zwingen Sie<br />

sichdazu, keine, absolut keine Bemerkungen<br />

zu machen. Wenn Sie Mühe<br />

damit haben, Ihren Gesichtsausdruck<br />

zu kontrollieren, wenden Sie sich von<br />

den anderen Teilnehmern ab. Konzentrieren<br />

Sie sich darauf, welche Ereignisse<br />

Ihnen auffallen und wie diese<br />

vonden Teilnehmern interpretiert wer-


Sich begegnen, beobachten...<br />

den. Halten Sie Ihre Eindrücke stichwortartig<br />

fest. Gratulation, Ihre erste<br />

Beobachtungsmission ist geglückt!<br />

An dieser Stelle ist die Frage berechtigt,<br />

wie ein solches Vorgehen auf den<br />

Beobachteten wirkt. Die erste Reaktion<br />

dürfte ungläubiges Staunen sein, denn<br />

welcher Chef hat schon Zeit. Das ist positiv.<br />

Dann suggeriert Beobachten auch<br />

Verständnis und Einfühlungsvermögen<br />

und die Teilnehmer(innen) fühlen sich<br />

und werden aktiv wahrgenommen. Und<br />

das ist abermals als positivzuwerten.<br />

Das Ergebnis der ersten Phase einer<br />

Beobachtungsmission stellt sich stets als<br />

chaotische Momentaufnahme dar, wel-<br />

U N t E r N E H M E r t U M<br />

che in Form eines sehr rudimentären<br />

Stichwort-Protokolls festgehalten wird.<br />

Diese Beschreibung ist weder zu einer<br />

sofortigen Bewertung der Ereignisse<br />

noch zur Herleitung von Eingriffen geeignet.<br />

Erst wenn mehrere solcher Protokolle<br />

vorhanden sind, kann die zweite<br />

Phase in Angriff genommen werden.<br />

Verdichtung, Interpretation und Konzeptionalisierung<br />

der Protokolle geschehen<br />

idealerweise unter Miteinbezug einer<br />

unabhängigen Person von aussen, die<br />

vorgefasste Interpretationen in Frage<br />

stellt oder Handlungsalternativen aufzeigen<br />

kann. Diese intensive Phase der<br />

Analyse muss losgelöst vom Tagesge-<br />

7<br />

schäft, an einem Ort der Reflexion wie<br />

auf <strong>Lilienberg</strong>, ausgestaltet werden.<br />

Beobachten muss über isolierte Experimente<br />

hinausgehend zur Führungsmaxime<br />

in erfolgreichen Unternehmen<br />

werden. Es ist entscheidend, dass<br />

die Beobachtungen wiederholt und<br />

aus den verschiedensten Blickwinkeln<br />

durchgeführt werden. So erreicht die<br />

Methode Aussagekraft und Signifikanz.<br />

Im Gegensatz zu anderen momentan<br />

äusserst populären Ansätzen mit geheimnisvollen<br />

asiatischen Namen ist<br />

professionell aufgezogenes Beobachten<br />

pragmatisch, kostengünstig, direkt<br />

und vor allem begreifbar. Wagen Sie’s!


am 11. September 2009 gegen abend<br />

ist Ernst Mühlemann in seinem Haus<br />

sanft entschlafen. Er war ein begnadeter<br />

lehrer, ein kraftvoller truppenführer<br />

und leidenschaftlicher Politiker.<br />

im lilienberg <strong>Unternehmerforum</strong><br />

hinterlässt Ernst Mühlemann eine unermessliche<br />

lücke – so stark hatte er<br />

zusammen mit dr. h.c. Walter reist,<br />

dem <strong>Stiftung</strong>sratspräsidenten, das <strong>Unternehmerforum</strong><br />

geprägt.<br />

Von Dr. Peter Forster<br />

In seinem Buch «Blick ins Bundeshaus»<br />

beschreibt Ernst Mühlemann<br />

anschaulich, wie Walter Reist 1983 in<br />

Weinfelden ein Unternehmen mit einer<br />

hundertköpfigen Belegschaft rettete.<br />

Mit Überzeugung habe er, Ernst Mühlemann,<br />

dann als Vermittler gewirkt,<br />

als Walter Reist am 21. April 1985 das<br />

Landgut <strong>Lilienberg</strong> vom Arzt Dr. Paul<br />

Bigliardi erwarb: «Zum Glück verkaufte<br />

Paul Bigliardi den einmaligen Sitz nicht<br />

einem reichen Patienten aus dem Orient,<br />

sondern dem einheimischen Unternehmer<br />

Walter Reist.»<br />

Unentbehrliche Begegnungsstätte<br />

Ein ganzes Kapitel widmet Ernst Mühlemann<br />

in seinem Buch dem <strong>Lilienberg</strong><br />

und dessen Stifter: «Ich betrachte<br />

<strong>Lilienberg</strong> als unentbehrliche Begegnungsstätte<br />

für Unternehmer, Politiker,<br />

B E G E G N U N G<br />

Zum Gedenken an Ernst Mühlemann<br />

Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann<br />

Wissenschafter, Beamte, Offiziere und<br />

Medienvertreter. Ich glaube an die Leitbildfunktion<br />

des Unternehmers, der<br />

Neues erfindet, gewinnträchtig umsetzt<br />

und damit seine Firma ausbaut, um<br />

Arbeit zu schaffen.»<br />

Ernst Mühlemann gibt der Hoffnung<br />

Ausdruck, «dass der erfolgreiche Unternehmer<br />

und Manager zusätzliche Umweltverantwortung<br />

im ethischen, politischen,<br />

kulturellen und ökologischen<br />

Bereich wahrnimmt, wie dies Walter<br />

Reist eindrücklich vorlebt.»<br />

Als Redner, Gesprächs- undTagungsleiter<br />

war Ernst Mühlemann einzigartig<br />

und perfekt. Mit seiner rhetorischen<br />

8<br />

Begabung – nie brauchte er ein Manuskript<br />

–, seiner Auffassungsgabe, seinem<br />

Gedächtnis und dem Willen, Probleme<br />

anzupacken und zu lösen, erfüllte<br />

er zusammen mit Walter Reist den <strong>Lilienberg</strong><br />

mit Leben. Er war geistig präsent,<br />

innovativ, phantasiebegabt und<br />

wortmächtig – stets füllte er die Bühne<br />

im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Aber nie verstand er sein Wirken<br />

auf dem <strong>Lilienberg</strong> als todernstes Geschäft.<br />

Er bewahrte sich die Freude am<br />

Spielerischen und blieb auch inverhärteten<br />

Lagen tolerant. Wie erselber<br />

schreibt, ist der <strong>Lilienberg</strong> nicht nur<br />

eine Stätte für den «homo faber», den<br />

arbeitenden Menschen, sondern auch<br />

für den «homo ludens», den spielenden<br />

Menschen.<br />

Von bäuerlicher Herkunft<br />

Ernst Mühlemann wurde am 17. Juni<br />

1930 in Illhart geboren. Wie soviele<br />

Thurgauer war ervon bäuerlicher<br />

Herkunft. Vom Bauerndorf auf dem<br />

Seerücken führten ihn seine Initiative,<br />

Ausstrahlung und Tatkraft in<br />

wachsenden Kreisen zu immer neuen<br />

Aufgaben.<br />

Früh muss sich der Knabe schon für<br />

das Weltgeschehen interessiert haben.<br />

Ernst Mühlemann berichtete oft davon,<br />

wie er als Schüler auf einer Karte den<br />

deutschen Ostfeldzug mit Fähnchen<br />

markierte. Das Erlebnis des Weltkriegs<br />

schwang nach, als er von 1996 bis 1998


die Generation des Aktivdienstes vehement<br />

verteidigte.<br />

Nach dem Lehrerseminar und Studien<br />

in Zürich, Paris und Florenz wurde<br />

Ernst Mühlemann Sekundarlehrer in<br />

Weinfelden. Er war ein strenger, gütiger<br />

Lehrer. In der Geschichte liess er vertrackte<br />

Vorgänge wie die Völkerwanderung<br />

so glasklar wieder aufleben,<br />

dass jedes Schulkind mitkam; und die<br />

B E G E G N U N G<br />

Walter Reist mit seinem unternehmerischen Partner Ernst Mühlemann<br />

Reichsteilung von Verdun und Barbarossas<br />

Kreuzzug schienen so lebhaft<br />

auf, dass sie keiner mehr vergass.<br />

Und unvergesslich waren die Bilder,<br />

die er vom Alexanderzug entwarf, von<br />

Hannibal in den Alpen und von Hannibal<br />

vor den Toren von Rom – grandiose<br />

Geschichtsgemälde, durchspickt aber<br />

immer von präzisen Fragen: «Und wohin<br />

zieht Hannibal jetzt vom Trasime-<br />

9<br />

nischen See? Und was geschieht 843<br />

mit dem dünnen Mittelreich, mit dem<br />

schwachen Lothar?»<br />

Scharf strukturiert<br />

In der Geografie legte er Wert auf gut<br />

strukturierte Antworten und Zeichnungen.<br />

«Wischi-Waschi» war ihm Gräuel:


Gedenkfeier für<br />

Ernst Mühlemann<br />

am 25. November 2009 fand zu<br />

Ehren von Ernst Mühlemann eine<br />

Gedenkfeier im lilienberg Zentrum<br />

statt, musikalisch umrahmt<br />

von Eva oertle (Flöte) und Vesselin<br />

Stanev (Klavier) –ein Geschenk<br />

von Susanne und Gerd rau-reist.<br />

dr. h.c. Walter reist begrüsste<br />

die anwesenden aufs Herzlichste,<br />

insbesondere Ernst Mühlemanns<br />

Witwe lislott und ihre töchter<br />

Katharina, Elisabeth und Susanne.<br />

Von Margrit Bösch<br />

In seiner Würdigung sprach Dr. h.c.<br />

Walter Reist über seine tiefe und einzigartige<br />

Verbundenheit und Partnerschaft<br />

mit Ernst Mühlemann:<br />

«Wir begegneten uns erstmals am<br />

19. Oktober 1983, anlässlich meines<br />

Governor-Besuches im Rotaryclub<br />

Kreuzlingen. Die Wahl von Ernst<br />

Mühlemann in den Nationalrat stand<br />

gerade bevor. Die gegenseitige Sympathie<br />

wuchs bei jedem Zusammentreffen<br />

und Ernst Mühlemann erfuhr<br />

auch von meinem Plan für ein unternehmerisches<br />

Begegnungszentrum.<br />

Durch seine Vermittlung erwarb ich<br />

den <strong>Lilienberg</strong>.<br />

Es begann die Geschichte des <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>s und damit<br />

auch die sich ausweitende Zusammenarbeit<br />

mit Ernst Mühlemann – er<br />

wurde partnerschaftlicher Begleiter<br />

B E G E G N U N G<br />

der Aktivitäten auf dem <strong>Lilienberg</strong>, vor<br />

allem die politischen unternehmerischen<br />

Gespräche beeinflussend. Wir<br />

setzten uns mannigfaltig, vielfach mit<br />

gegensätzlichen Meinungen, über die<br />

Themen und Referenten auseinander.<br />

Ernst sah die Problematik immer im<br />

Sinne der ganzheitlich politischen Betrachtungen<br />

des europäischen Miteinanders.<br />

Ich stellte die unternehmerische,<br />

schweizerische Eigenständigkeit<br />

und das schweizerische Unternehmertum<br />

gegenüber.<br />

Er brillierte als Moderator. Mit seinem<br />

enormen Wissen, Schalk, Humor<br />

konnte er seine Gegenüber aufmuntern,<br />

sie zum Gespräch öffnen und<br />

stimulieren. Er forderte die Referenten<br />

und Meinungsbildner mit unseren<br />

tiefgründigen Themen wie Europa ja –<br />

aber wie?, Schweiz ja – aber wie? oder<br />

Konkordanz und dergleichen bis aufs<br />

Äusserste. Für die vielen Teilnehmenden<br />

war es jeweils ein Leckerbissen!<br />

Ernst war rhetorisch unglaublich begabt.<br />

Unvergesslich ist mir sein Auftritt<br />

im Europarat, als ich ihn dort besuchte<br />

– eine halbe Stunde hat er gesprochen:<br />

fliessend, spritzig, und es lagen weder<br />

ein Manuskript noch irgendwelche<br />

Zettelchen auf seinem Rednerpult.<br />

Meine letzte Begegnung mit Ernst hatte<br />

ich drei Tage vor seinem Tod. Wir<br />

hatten die Aufbereitung weiterer Gesprächsreihen<br />

über ‹für – gegen – mit<br />

EU› besprochen und dann zusammen<br />

einen Spaziergang gemacht.<br />

Zusammenfassend bleibt in der Erinnerung<br />

an unseren Ernst Mühlemann<br />

eine Wehmut an eine ausgesprochen<br />

10<br />

vielseitige Persönlichkeit zurück:<br />

klar, aufrecht, fordernd, zugänglich,<br />

froh, einfühlsam, selbstsicher,<br />

ringend füreinander, wissensstark,<br />

einmalig –Erwar ein lieber Mensch<br />

für uns!»<br />

Im Anschluss an die Würdigung<br />

durch Dr. h.c. Walter Reist ehrte Dr.<br />

Peter Forster als langjähriger Wegbegleiter<br />

die Persönlichkeit von Ernst<br />

Mühlemann, der für ihn ein guter<br />

Kamerad und väterlicher Freund war.<br />

Im Weiteren kam Gabriella Meyer,<br />

Geschäftsführerin der Bioengineering<br />

AG, Wald, zu Wort. Als Mitglied<br />

der <strong>Lilienberg</strong>-Regionalgruppe<br />

Bachtel hatte sie den Kontakt zu Ernst<br />

Mühlemann gesucht und ihn bei persönlichen<br />

Gesprächen gut kennen<br />

gelernt. Er habe auch über den Tod<br />

gesprochen, erzählte sie bewegt, und<br />

gesagt, dass er bereit sei zu gehen!<br />

Ernst Mühlemann hat ihr ein von ihm<br />

während seiner Zeit als Nationalrat<br />

geschriebenes Statement «Das Glück<br />

hat Flügel» überlassen, welches wir<br />

den Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten<br />

möchten. (Siehe separates<br />

Kästchen Seite 11)<br />

Abschliessend wurde eine Filmsequenz<br />

gezeigt, und zwar die Rede,<br />

die Ernst Mühlemann am 7. April<br />

1989 anlässlich der Eröffnungsfeier<br />

von <strong>Lilienberg</strong> hielt – ein einmaliges<br />

Dokument, bewegend und erheiternd.<br />

Alle waren sich mit Dr. h.c.<br />

Walter Reist einig: «Wir haben Ernst<br />

Mühlemann soeben erlebt, wie er<br />

war!»


«Da, dieseVerbindung von Genua nach<br />

Chiasso, zeichnet sie mit einem Strich,<br />

kräftig, eindeutig, nicht malen sollt ihr,<br />

sondern die Verbindungen plastisch<br />

darstellen!»<br />

Auf die Schüler- und Studienzeit ging<br />

Ernst Mühlemanns Liebe zu Kultur und<br />

Philosophie zurück. In Paris prägte ihn<br />

der Existentialismus von Jean-Paul Sartre.<br />

In seinem Existentialismus ging es<br />

Ernst Mühlemann stets auch darum,<br />

sich zu bewähren, auch in Not und Bedrängnis.<br />

Das ist ihm immer gelungen.<br />

Zurück am Lehrerseminar Kreuzlingen<br />

amtierte er mit seiner Frau Lislott<br />

als Konviktleiter. Am 20. Juli 1963 hatte<br />

er die Brandkatastrophe zu bewältigen,<br />

der das Seminar und die St.-Ulrich-Kirche<br />

zum Opfer gefallen waren – eine<br />

Aufgabe, in der er sich als erfahrener<br />

Truppenführer und Generalstabsoffizier<br />

bewährte.<br />

1971 stürzte Ernst Mühlemann im<br />

Manöver über dem Zürcher Oberland<br />

mit dem Helikopter ab. Wie durch ein<br />

Wunder überlebte er die Katastrophe.<br />

Der Absturz fiel zusammen mit dem<br />

Entscheid, ob er zur damaligen SBG<br />

übertreten wollte. Die Bankgesellschaft<br />

hatte oberhalb von Ermatingen das<br />

Schloss Wolfsberg gekauft, und Robert<br />

Holzach fragte Ernst Mühlemann an,<br />

ob er dort ein Ausbildungszentrum aufbauen<br />

wolle.<br />

Kraftvoller troupier<br />

Ernst Mühlemann sagte zu und schuf<br />

den neuen Wolfsberg. Es war zu jener<br />

Zeit ein grosser Wurf. Parallel zum beruflichen<br />

Aufstieg verlief Ernst Mühle-<br />

B E G E G N U N G<br />

das Glück hat Flügel<br />

Von Nationalrat Ernst Mühlemann<br />

Mein persönliches Glücksgefühl<br />

findet sich inden Bereichen Heimat,<br />

Arbeit und Freiheit. Wer nur<br />

domiziliert ist, wird nie das glückliche<br />

Gefühl des Beheimatetseins<br />

nachempfinden können. In vertrauter<br />

Umgebung zu wohnen, wo<br />

freundliche Mitmenschen einem<br />

Wohlwollen entgegenbringen, führt<br />

dazu, dass der Glückliche mit sich<br />

und seiner Umgebung einig ist.<br />

Wer nur zufällig einen Job ausübt,<br />

um beschäftigt zu sein, wird die<br />

Arbeit als Fron empfinden. Glücklichsind<br />

Menschen, die ihren Beruf<br />

als Berufung betrachten und dabei<br />

durch die Ergebnisse der Arbeit motiviert<br />

werden.<br />

Wer innerlich und äusserlich unfrei<br />

dahintreibt, kann nur frustriert sein.<br />

Glück stellt sich dort ein, wo neben<br />

äusserlicher Unabhängigkeit vor allem<br />

geistige Freiheit gesucht wird,<br />

bei der die normativen Tendenzen<br />

des Geistes die triebhaften Kräfte<br />

lenken.<br />

Wer glücklich sein will, muss solches<br />

Glück suchen. Dieser Zugriff<br />

ist aber nicht leicht, denn das<br />

Glück hat Flügel und kann über<br />

Nacht entschwinden.<br />

manns militärische Laufbahn. Sie führte<br />

ihn über die Füsilierkompanie II/74,<br />

das Schützenbataillon 7 und das Infan-<br />

11<br />

terieregiment 31 in die Positionen des<br />

Korpsstabschefs und des Brigadekommandanten.<br />

Ernst Mühlemann war ein hochbegabter,<br />

zupackender Troupier.<br />

Als es um den Vorschlag in den<br />

Generalstab ging, überzeugte er den<br />

Korpskommandanten Hans Thomann<br />

an einem Samstag mit einer harten,<br />

brillant angelegten Kompanieübung, in<br />

der die Füsiliere «für ihren Kadi durchs<br />

Feuer gingen».<br />

Legendär war Ernst Mühlemanns<br />

fruchtbare, oft ruppige Kooperation mit<br />

dem Korpskommandanten Rudolf Blocher.<br />

Vor der Entschlussfassung blieben<br />

sich die beiden «Haudegen» nichts<br />

schuldig.<br />

Im Ergebnis kamen der Korpskommandant<br />

und sein Stabschef jedoch<br />

stets zurecht. Meist in einem Bahnhofbuffet<br />

irgendwo in der Ostschweiz,<br />

entwarfen sie auf Bierdeckeln grosse,<br />

erfolgreiche, denkwürdige Manöver –<br />

‹PANZERJAGD›, ‹KNACKNUSS› und<br />

wie sie alle hiessen.<br />

«Wir befehlen mündlich»<br />

1982 hatte ich die Ehre, als Hauptmann<br />

den Korpsstabschef Mühlemann<br />

durch die «Panzerjagd» zu<br />

begleiten. Es war Montag, der 15.<br />

November 1982, 8.05 Uhr,als sichim<br />

Führungsraum des Feldarmeekorps 4<br />

der Stabschef an die Kommandanten<br />

der Felddivision 7und der Mechanisierten<br />

Division 11 wandte: «Ihr erster<br />

Einsatz heisst nicht ‹Sprungbrett›,<br />

sondern ‹Drehscheibe› –wir befehlen<br />

mündlich.»


Um 8.06 Uhr erhalten die Divisionäre<br />

den Auftrag: «Sie beziehen ein Bereitschaftsdispositiv,<br />

sperren die Hauptachsen,<br />

überwachen den Raum und<br />

betreiben Erstausbildung.» Um 8.09<br />

Uhr ist die Befehlsausgabe beendet, die<br />

Divisionskommandanten setzen 30 000<br />

Mann in Marsch. «Zum Teufel mit dem<br />

Papier», lautet die Devise der Generäle<br />

Blocher und Mühlemann. «Mit dem<br />

Papier ist noch nie ein Krieg gewonnen<br />

worden.»<br />

Ernst Mühlemanns Vorbild war Marschall<br />

Schukow, der die Rote Armee<br />

ohne einen einzigen schriftlichen Befehl<br />

von Stalingrad nach Berlin führte.<br />

In seinem ganzen Leben vertraute Ernst<br />

Mühlemann auf das Gespräch, auf den<br />

Kontakt von Mensch zu Mensch. Er<br />

wollte sein Gegenüber spüren – neuere<br />

Erfindungen wie Mail und SMS waren<br />

ihm zutiefst zuwider.<br />

im National- und Europarat<br />

1983 errang Ernst Mühlemann im Thurgau<br />

den freisinnigen Nationalratssitz,<br />

den er erst 1999 schweren Herzens<br />

abgab. Unter der Bundeskuppel rückte<br />

er rasch zu den Spitzenparlamentariern<br />

auf. In der Staats-, der Aussen- und<br />

der Bildungspolitik nahm er vier Amtszeiten<br />

lang eine Sonderstellung ein.<br />

Mit Menschenkenntnis, Zähigkeit und<br />

stetem Eintreten für das liberale Gedankengut<br />

verschaffte er sich über die<br />

Volkskammer hinaus Einfluss.<br />

Als Krönung seiner Laufbahn empfand<br />

Ernst Mühlemann das Engagement<br />

im Europarat. Einerseits liebte er<br />

als Humanist die Arbeit in einem Rat,<br />

B E G E G N U N G<br />

der den Menschenrechten verpflichtet<br />

ist. Anderseits fand er in Russland ein<br />

Aktionsfeld, das seinem Temperament,<br />

seinem Kampfgeist und seinem –wenn<br />

nötig –robusten Auftreten entsprach.<br />

Unermüdlich kämpfte er dafür, dass<br />

der Europarat Russland aufnahm. Als<br />

ihm dieses Meisterstück gelungen war,<br />

empfand er Genugtuung und Freude.<br />

Unvergesslich bleibt mir der 17. Dezember<br />

1995, als Russland die Duma<br />

wählte. Damals, als OSZE-Wahlbeobachter,<br />

überwachte Ernst Mühlemann in<br />

der Energiestadt Dzerjinsky östlich von<br />

Moskau neun Wahllokale. Nachdem<br />

die Urnen geschlossen worden waren,<br />

entdeckte er eine krasse Unregelmässigkeit<br />

zum Nachteil eines valablen<br />

Bewerbers.<br />

Wie ein Löwe kämpfte Ernst Mühlemann<br />

für Demokratie und Gerechtigkeit.<br />

Auf der Stelle sandte er an Nikolai<br />

Ryabow, an den obersten Wahlleiter<br />

Russlands, einen Fax: «Sollten Sie die<br />

Wahl trotz Unregelmässigkeit in Dzerjinsky<br />

bestätigen, dann berufe ich heute<br />

Abend in Moskau eine Pressekonferenz<br />

ein –und ich werde gegen die Aufnahme<br />

Russlands in den Europarat votieren.»<br />

Noch am Wahlabend kam die<br />

Sache in Ordnung.<br />

Engere Heimat<br />

Als Bauernsohn kannte Ernst Mühlemann<br />

die Gesetze von Werden und<br />

Vergehen. Das war einer von mehreren<br />

Gründen, weshalb er mit den<br />

Menschen im Thurgau so leicht Kontakt<br />

fand, weshalb sie sich ihm anvertrauten,<br />

weshalb sie ihn wählten. Mit<br />

12<br />

seiner engeren Heimat, dem Seerücken,<br />

der Seegegend und dem eidgenössischen<br />

Stand Thurgau blieb Ernst<br />

Mühlemann bis zu seinem Tod innig<br />

verbunden.<br />

Ernst Mühlemann war in allem, was<br />

er tat, eine stupende Begabung. Er war<br />

ein aufrechter Schweizer, treu zur Fahne,<br />

ein guter Kamerad und väterlicher<br />

Freund. Sein aussergewöhnliches Leben<br />

war wie eine grosse, gleissende<br />

Sonne: strahlend, mächtig, voller Wärme.<br />

Jäh ist diese Sonne jetzt erloschen.


Wahrheit und transparenz – die Conditio<br />

sine qua non zur jeweiligen<br />

Zielerreichung! die Kernaussagen<br />

von alt Botschafter dr. iur. Carlo S. F.<br />

Jagmetti anlässlich des 58. lilienberg-<br />

Forums vom 16. Juni 2009, reflektierten<br />

vorrangige orientierungsmerkmale<br />

für ein realistisches Verhalten:<br />

primär politisch, aber auch wirtschaftlich<br />

und gesellschaftlich bedacht.<br />

Von Wilhelm Knecht<br />

Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste<br />

alt Botschafter Dr. Carlo Jagmetti auf<br />

<strong>Lilienberg</strong> sehr herzlich, auch seiner<br />

Freude über die kürzliche Ehrung unseres<br />

Gastreferenten seitens der <strong>Stiftung</strong><br />

Freiheit und Verantwortung Ausdruck<br />

verleihend. «Dr. Jagmetti hat in der<br />

Wahrnehmung all seiner Aufgaben –<br />

hierzu zählten wichtige Schlüsselfunktionen,<br />

wie etwa die Repräsentation<br />

unseres Landes als Botschafter in den<br />

USA – es zu seiner Aufgabe gemacht,<br />

die Wahrheit zu ergründen. Er hat seine<br />

Standpunkte nicht verhüllt, sondern<br />

diese zum Wohle unseres Landes stets<br />

mit Überzeugung vertreten!»<br />

Prof. Dr. Dres h.c. Bernd Rüthers,<br />

Gesprächsmoderator: «Der Referent<br />

kann aus einem enormen Erfahrungspotential<br />

– aus vielen Erdteilen und aus<br />

bewegten, ja dramatischen Jahrzehnten<br />

– schöpfen.»<br />

B E G E G N U N G<br />

Schweizerische Wertvorstellungen und aktualität<br />

Dr. Jagmetti: «Die USA waren lange<br />

die grösste Demokratie. Unsere Bundesverfassung<br />

von 1848 ist in grundlegenden<br />

Fragen der amerikanischen<br />

Verfassung nachgebildet, indessen ist<br />

auch schweizerisches Gedankengut<br />

von der Aufklärung her in die Arbeiten<br />

der ‹Founding Fathers› in Amerika eingeflossen.<br />

Die Bundesverfassung ist die<br />

Grundlage für die Beachtung unserer<br />

Prinzipien. Wirdürfen stolz sein auf unsere<br />

Freiheitsrechte, auf unsere Unabhängigkeit,<br />

auf unsere direkte Demokratie,<br />

auf unseren Föderalismus.<br />

Es gibt kaum mehr bedeutende<br />

Fragenkomplexe, die sich nicht grenz-<br />

Alt Botschafter Dr. iur. Carlo S.<br />

F. Jagmetti war 35Jahre im diplomatischen<br />

Dienst. Seine Stationen<br />

waren Bern, Rom, London,<br />

Saigon. Er war Delegationschef<br />

bei EFTA und GATT in Genf, Botschafter<br />

in Südkorea, bei der Europäischen<br />

Gemeinschaft in Brüssel,<br />

in Frankreichund den USA.<br />

13<br />

überschreitend oder gar weltumspannend<br />

auswirken. Somit ergibt sich die<br />

Schlüsselfrage: ‹Suchen und finden wir<br />

unseren Weg unter weiterer ehrlicher<br />

Beachtung unserer Wertvorstellungen,<br />

oder haben sich die Dinge in dieser<br />

Beziehung geändert, eventuell verschlechtert?›»<br />

Zu den Grundvoraussetzungen unseres<br />

Staatswesens zählt es, dass die<br />

Verantwortungsträger(innen) und insbesondere<br />

die Politiker(innen) sich<br />

der Gewährleistung von Wahrheit und<br />

Transparenz bemühen. Es geht nicht<br />

an, dass eigenmächtig und undurchsichtig,<br />

gar unter Anschwärzung der<br />

Andersdenkenden, die Wahrheit zur<br />

Durchsetzung der eigenen Absichten<br />

getrimmt wird!<br />

Kerngedanken zu unseren<br />

Wertvorstellungen<br />

■ aussenpolitische aspekte: Unser<br />

Staat basiert auf Souveränität, verbunden<br />

mit Unabhängigkeit und Eigenständigkeit.<br />

«Mit jedem neuen<br />

Entwicklungsschritt der EG habe ich<br />

mich gefragt, ob wir eigentlich souveräner<br />

wären als Mitglied denn als<br />

aussen stehendes Drittland. Die bilateralen<br />

Verträge bewähren sich aber<br />

möglicherweise nur auf Zeit. DasVerhältnis<br />

zur supranationalen EU stellt<br />

die grösste Herausforderung für unsere<br />

Souveränität dar. Aber die Zugehörigkeit<br />

zu internationalen Organisati-


onen, vor allem zur UNO, bringt auch<br />

Souveränitätsverluste, denen anderseits<br />

oft bedeutende Vorteile gegenüberstehen,<br />

wie zum Beispiel die<br />

Zugehörigkeit zur Welthandelsorganisation.<br />

Die mannigfachen internationalen<br />

Verbindungen garantieren<br />

der Schweiz ein weltweites, völkerrechtlich<br />

abgestütztes Netzwerk. –<br />

Die Leute, die von einer Isolierung<br />

der Schweiz reden, benützen oft die<br />

Behauptung, um das Terrain für einen<br />

EU- und schliesslich auch einen NA-<br />

TO-Beitritt vorzubereiten.<br />

■ Neutralität: Sie bildet die wichtigste<br />

Maxime unserer Aussenpolitik.<br />

In Friedenszeiten lässt das Neutralitätsrecht<br />

der Schweiz recht grossen<br />

B E G E G N U N G<br />

Von links: Prof. Dr. Dres h.c. Bernd Rüthers, Dr. h.c. Walter Reist und alt Botschafter<br />

Dr. Carlo S. F. Jagmetti<br />

Spielraum, den sich das Land aber<br />

selbst einschränken muss, um als<br />

ständig neutral glaubwürdig zu bleiben.<br />

In den letzten Jahren ist die Idee<br />

einer aktiven Neutralität verbreitet<br />

worden. Dies ist ein Widerspruch<br />

in sich selbst, denn Neutralität verlangt<br />

Enthaltung. Nicht etwa Enthaltung<br />

bei allen Abstimmungen in<br />

internationalen Verhandlungen, wo<br />

man auch imSinne der Interessenwahrung<br />

sehr wohl klare Positionen<br />

einnehmen muss. Dagegen ist alles,<br />

was mit Parteinahme zu tun hat,<br />

meist abzulehnen.<br />

Durch die seit einigen Jahren verfolgte<br />

Sicherheitspolitik hat die Neutralität<br />

wegen der Zulassung vonbe-<br />

14<br />

waffneten Auslandeinsätzen, wegen<br />

der stetig lauter werdenden Forderungen<br />

nach Ausbildung im Ausland<br />

und insbesondere wegen der<br />

Teilnahme an der Partnerschaft für<br />

den Frieden mit der NATO stark an<br />

Glaubwürdigkeit eingebüsst, denn<br />

jede Zusammenarbeit mit einer militärischen<br />

Pakt-Organisation ist neutralitätspolitisch<br />

fragwürdig und mit<br />

einer konsequenten Neutralitätspolitik<br />

nicht vereinbar. Angesichts der<br />

politischen und insbesondere der<br />

aussen- und sicherheitspolitischen<br />

Ziele, die sich auch die EU gesetzt<br />

hat, wäre eine Mitgliedschaft mit der<br />

Neutralität nicht vereinbar.<br />

■ Unabhängigkeit: Was in Bezug auf<br />

unsere Unabhängigkeit in den letzten<br />

Monaten eine neue, in diesem Mass<br />

in den letzten Jahrzehnten unbekannte<br />

Entwicklung darstellt, ist der an<br />

Bedrohung gemahnende Druck, den<br />

die einzige Supermacht der Welt auf<br />

unser Land ausübt. Die Krise um die<br />

Schatten des Zweiten Weltkriegs belastete<br />

das Verhältnis der neunziger<br />

Jahre schwer. Im Gegensatz zu 1946,<br />

als sich die Schweiz diplomatisch<br />

hervorragend schlug, fiel 1997 – um<br />

mit Nationalrat Luzi Stamm zu sprechen<br />

– die Schweiz in die Knie. Die<br />

jetzige Krise ist recht bedrohlich, der<br />

Ausgang ungewiss. Wenn die USA<br />

sich über bilaterale Vereinbarungen<br />

hinwegsetzen und das internationale<br />

Instrumentarium der OECD für die<br />

Durchsetzung völkerrechtlich nicht<br />

abgestützter Interessen instrumentalisieren,<br />

so bedeutet dies auch einen<br />

Angriff auf unsere Souveränität und<br />

ist Auswuchs reiner Machtpolitik.


Unabhängigkeit, Souveränität sowie<br />

Neutralität stehen unter Druck von<br />

aussen. Aber auch unsere internen<br />

Strukturen sind bedroht. Denn mit<br />

dem Nachvollzug der EU-Vorschriften<br />

durch unser Land kommen die direkte<br />

Demokratie und der Föderalismus<br />

unter Druck. Dazu gesellt sich die von<br />

gewissen Kreisen geförderte interne<br />

Tendenz zur Zentralisierung auf Bundesebene<br />

zum Nachteil der Kompetenzen<br />

der Kantone. Zudem wird die<br />

direkte Demokratie bedroht durch die<br />

in den letzten Jahren immer mehr grassierende<br />

Behördenpropaganda.<br />

Die gegenwärtige Krise des internationalen<br />

Finanzsystems mit den Auswirkungen<br />

auf die Wirtschaftslage stellt<br />

eine gewaltige Herausforderung dar.<br />

Was das Bankgeheimnis und die internationale<br />

Rechtshilfe in Steuer-Angelegenheiten<br />

betrifft, so ist die Problematik<br />

Jahrzehnte alt. Man hat sie einfach verdrängt,<br />

man hat die Signale nicht wahrnehmen<br />

wollen. Heute bestimmen die<br />

Grossen, was in Finanz und Wirtschaft<br />

unternommen wird. Die Interventionen<br />

der Staaten werden immer intensiver.<br />

Die Marktwirtschaft, der freie Handel,<br />

der Kapitalverkehr sind gefährdet. Die<br />

an sich für solche Fragen zuständigen<br />

internationalen Organisationen werden<br />

zu Gunsten neuer Machtgruppierungen<br />

weitgehend ausgeschaltet. Gleich wird<br />

bei uns von gewissen politischen Kreisen<br />

dann argumentiert, dass es der kleinen<br />

Schweiz nicht so ergehen würde,<br />

wenn sie in der EU eingebettet wäre.<br />

Diese Darstellung ist nicht stichhaltig,<br />

wie die Beispiele Österreich und Luxemburg<br />

zeigen. In der Schweiz braucht<br />

es nun Mut und Standfestigkeit, verbun-<br />

B E G E G N U N G<br />

den allerdings mit Realismus. Auch mit<br />

beschränkten Mitteln und in bedenklicher<br />

Minderzahl haben die Eidgenossen<br />

früher Schlachten gewonnen.<br />

Politische Kultur<br />

Wir erleben eine sehr eigenartige und<br />

widersprüchliche Entwicklung, indem<br />

sich einerseits eine grosse Mehrheit um<br />

die politische Mitte gruppieren will,<br />

während gleichzeitig eine Polarisierung<br />

stattfindet. Dabei entstehen dann<br />

heilige und unheilige Allianzen. Viele<br />

Bürgerinnen und Bürger fühlen sich<br />

parteipolitisch heimatlos und unterliegen<br />

daher sehr leicht der Behördenpropaganda<br />

und der Manipulation. Mit der<br />

Ehrlichkeit und der Wahrheit ist es nicht<br />

immer zum Besten bestellt. Eine kons-<br />

15<br />

truktive Streitkultur findet man selten,<br />

besonders angesichts der durch den<br />

grässlichen Ausdruck «mehrheitsfähig»<br />

charakterisierten Einstellung, wonach<br />

ein durchwegs achtenswertes Anliegen<br />

beim geringsten Widerstand kampflos<br />

aufgegeben wird.<br />

Stil in der Politik<br />

Darstellungen erhält man zum Beispiel<br />

in der TV-Sendung Arena. Oft erkennt<br />

man nicht nur Mangel an Anstand und<br />

an Stil. Auch eklatant demonstrierte<br />

Abwesenheit substantieller Argumente<br />

bzw. Gegenargumente wird demonstriert.<br />

Solches Fehlverhalten, zuweilen<br />

von Seiten im Interesse der Öffentlichkeit<br />

agierender Persönlichkeiten, führt<br />

zum Nachteil unseres Landes, auch zu<br />

Das Referat von alt Botschafter Dr. Carlo Jacmetti gab zu vertiefenden Gesprächen Anlass


vermindertem oder fehlendem Respekt<br />

vor Institutionen und vor den mit den<br />

gesetzgebenden und exekutivenAufgaben<br />

betrauten Verantwortungsträgern.<br />

Schlussfolgerung<br />

Sollen wir, ausgehend von den Beurteilungen,<br />

pessimistisch sein? – Sicher<br />

nicht. Aber wir müssen realistisch sein<br />

und mögliche Gefahren erkennen! Es<br />

geht darum, im besten Sinne «cool»<br />

zu bleiben und gemäss den einfachsten<br />

Führungsprinzipien Entschlüsse zu<br />

fassen bzw. valable Konzepte auszuarbeiten<br />

und dem Gegenüber mit gültigen<br />

Argumenten entgegenzutreten. Die<br />

Schweiz hat ihre Stärken – diese muss<br />

man überzeugt ausspielen!<br />

Unsere Wertvorstellungen gilt es zu<br />

beachten und vielleicht zu überprüfen.<br />

Sie bilden die Grundlage, um mit dem<br />

entsprechenden Einsatz unsere Zukunft<br />

so zu gestalten, dass sich unsere geliebte<br />

Schweiz auch in einer modernen und<br />

sich rasch wandelnden Welt weiterhin<br />

in ihrerVielfalt wird behaupten können.<br />

Plenumsdiskussion<br />

Ja zu Europa – aber in welcher Ausprägung?<br />

Die Frage der EU in ihrem Verhältnis<br />

zur Schweiz stand – gerade eben<br />

im Zusammenhang der Aufrechterhaltung<br />

der Werte wie Unabhängigkeit,<br />

Souveränität, Demokratie und Föderalismus<br />

– im Zentrum der Diskussion.<br />

Dr. h.c. Walter Reist: «Eine Mitgliedschaft<br />

heisst Abhängigkeit. Partnerschaft<br />

aber heisst Handlungsfreiheit<br />

B E G E G N U N G<br />

bewahren.» EUS Europäische Union<br />

Unabhängiger Staaten – ein Staatenbund,<br />

nicht ein Bundesstaat – das wäre<br />

der richtige Weg!» Dr. Jagmetti gibt zu<br />

erkennen, dass er bis in die achtziger<br />

Jahre wohl noch eine Mitgliedschaft in<br />

der EG befürwortet hätte. Im damaligen<br />

Zeitrahmen (vor dem Meinungswechsel<br />

von Maastricht, der eine vermehrt politische<br />

Ausrichtung offenbarte) hätte die<br />

jeweilige Meinung der Schweiz nicht<br />

überhört werden können, zumal bei<br />

Entscheiden Einstimmigkeit aller beteiligten<br />

Nationen Vorbedingung war.<br />

Heute befinden wir uns in einer anderen<br />

Situation. Gerade die Wirtschaftskrise<br />

zeigt, wie die grossen Staaten<br />

Machtansprüche geltend machen, wie<br />

sie Gefahren des Protektionismus verfallen<br />

und wie die kleineren Staaten als<br />

Gegenmassnahmen unter sich Allianzen<br />

schmieden müssen.<br />

Zum Erreichen und zum Wahrnehmen<br />

der Wertehaltungen wurde im<br />

«Als Bürgerinnen und Bürger eines<br />

von vielen andern Staaten beneideten<br />

demokratischen Systems müssen<br />

wir an uns alle den Anspruch erheben,<br />

uns den Herausforderungen<br />

zu stellen und die Verantwortung<br />

für unsere Zukunft zu übernehmen.<br />

Es ist endlich Zeit, auf nationaler<br />

Ebene eine offene und gründliche<br />

Diskussion zu führen, um herauszufinden,<br />

wo das Schweizervolk in<br />

seiner Mehrheit wirklich hin will.»<br />

alt Botschafter<br />

Dr. iur. Carlo S. F. Jagmetti<br />

16<br />

Plenumsgespräch die Voraussetzung<br />

umfassender Sicherheit hervorgehoben,<br />

dies auch mit Hinweis auf neu zu<br />

gewichtende Bedrohungsformen wie<br />

Wirtschaftsspionage (Cyberwar) und<br />

mittelfristig neu erkennbare Szenarien,<br />

etwa Rohstoff-, Energie-, Nahrungsmittel-<br />

und Trinkwasser-Potentiale betreffend.<br />

Eine zweckmässige Einbettung<br />

der Schweizer Sicherheitspolitik im internationalen<br />

Kontext ist – umfassend<br />

bedacht – unumgänglich! Als besondere<br />

Aspekte wurden die Klimaveränderung<br />

und die Bereitschaft zur Krisenbewältigung<br />

generell hervorgehoben.<br />

Als weiteres sich im Praktizieren der<br />

Wertehaltungen widerspiegelndes Element<br />

akzentuierte Prof. Dr. Dres h.c.<br />

Bernd Rüthers die hohe Bedeutung der<br />

Meinungs- und Pressefreiheit, somit die<br />

immense Verantwortung der Medienschaffenden.<br />

Dr. h.c. Walter Reist stellte fest, dass<br />

wir mit Dr. Carlo Jagmetti heute auf <strong>Lilienberg</strong><br />

einer Persönlichkeit begegnen<br />

durften, welche in der eigenen Mandatsausübung<br />

als Botschafter bezüglich<br />

Wahrheitsfindung und -Vermittlung<br />

Vorbildcharakter aufzeigte.<br />

58. <strong>Lilienberg</strong>-Forum vom 16. Juni<br />

2009 «Schweizerische Wertvorstellungen<br />

und Aktualität» mit alt Botschafter<br />

Dr. iur. Carlo S.F. Jagmetti; Gastgeber:<br />

Dr. h.c. Walter Reist; Moderation: Prof.<br />

Dr. Dres h.c. Bernd Rüthers


Von Wilhelm Knecht<br />

Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste die<br />

Gesprächsteilnehmenden und gab seiner<br />

Freude über die «zeitgerechte» Anwesenheit<br />

unseres Kommandanten der<br />

Luftwaffe Ausdruck.<br />

Dr. Peter Forster, Gesprächsleiter,<br />

verdeutlichte unser «Jazueiner starken<br />

Armee» –damit verbunden unser «Ja<br />

zu einer modernen, leistungsfähigen<br />

Luftwaffe» – dies auch im Rückblick<br />

auf die vonDr. h.c. Walter Reist herbeigeführten<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Gesprächsreihen<br />

der letzten Jahre.<br />

Korpskommandant Markus Gygax:<br />

Unser Staat basiert auf Souveränität,<br />

Unabhängigkeit und Eigenständigkeit.<br />

Sicherheit und Stabilität sind hierzu<br />

unabdingbare Voraussetzungen. Der<br />

Wehrwille unseres Volkes wird stets<br />

von Neuem bezeugt, auch imWissen<br />

darum, dass Sicherheit nicht unentgeltlich<br />

ist.<br />

Das VBS Eidgenössisches Departement<br />

für Verteidigung, Bevölkerungs-<br />

schutz und Sport verfolgt seit 1998<br />

das so genannte Entlastungs- und Stabilisierungsprogramm.<br />

Im Jahre 2004<br />

wurde das Budget mit CHF 4,3 Mia.<br />

gutgeheissen. Jetzt umfasst es noch<br />

CHF 3,7 Mia.! Das Projekt TTE Tiger-<br />

Teil-Ersatz ist mitbetroffen. Im Jahre<br />

2004 sprach man von einem TTE-Budget<br />

von CHF 4 Mia. – bis 2008 erfolgte<br />

eine Kürzung auf CHF 2,2 Mia.!<br />

Umfeld<br />

B E G E G N U N G<br />

die dynamische luftwaffe, das stabilisierende<br />

Element der schweizerischen Sicherheitspolitik<br />

Seit Jahren steht die luftwaffe im Brennpunkt der Schweizer armee. – Konfrontiert<br />

mit der Finanznot der armee sah sich unserVerteidigungsminister, Bundesrat<br />

Ueli Maurer, anlässlich der Bundesratssitzung vom 14. oktober 2009 gezwungen,<br />

zugunsten einer neuen Prioritätenordnung innerhalb des armeebudgets die<br />

Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge hinauszuzögern. – das 59. lilienberg-<br />

Forum, am 20. oktober 2009, bot Gelegenheit, mit dem Kommandanten der<br />

Schweizer luftwaffe, Korpskommandant Markus Gygax, in dialog zu treten.<br />

«Wollen wir die Armee oder wollen<br />

wir sie nicht?» Das Schweizervolk<br />

sprach sich bisher stets für die Armee<br />

aus. Eine Diskrepanz besteht indessen<br />

im Bereitschaftsgrad des Parlamentes<br />

–nämlich die Höhe der finanziellen<br />

Mittel für die Armee betreffend. Die<br />

Sicherheitspolitischen Kommissionen<br />

des National- und Ständerates sind<br />

zur Mehrheitsfindung zugunsten unserer<br />

Armee stark gefordert. Zum Vergleich:<br />

Der Budgetanteil am BIP Bruttoinlandprodukt<br />

liegt in der Schweiz<br />

bei 0,8%, bei den NATO-Staaten indessen<br />

bei 2%!<br />

17<br />

Bedrohungen<br />

Der Gefahren- und Risikenkatalog ist<br />

vielfältig. Stellvertretend für eine Vielzahl<br />

von Bedrohungsformen seien hier<br />

aufgeführt:<br />

–Wirtschaftliche und politische Verteilkämpfe<br />

(Rohstoff-, Ressourcenund<br />

Energieknappheit, auch zufolge<br />

des enormen Wachstums der Weltbevölkerung)<br />

–Terrorismus<br />

–Gewalttätiger Extremismus<br />

–Auswirkungen von Proliferation<br />

–Migrationsbewegungen (Destabilisierungswirkungen)<br />

–Natur- und technische Katastrophen<br />

–Umweltzerstörung (Klimawandel)<br />

–Informationskrieg<br />

–Gewaltanwendung im Luftraum<br />

–Bewaffnete Konflikte (in oder ausserhalb<br />

Europas: Die Anzahl von<br />

Kriegen und Konflikten war – global<br />

betrachtet – gerade auch seit den<br />

90er Jahren erheblich!)<br />

leistungsprofil der armee<br />

Zu den maximal geforderten, möglicherweise<br />

gleichzeitig zu erbringenden<br />

Leistungen der Armee ab 2008/11<br />

(ohne Einsatz der Reserve) zählen vorwiegend:<br />

Unterstützung ziviler Behörden<br />

–Wahrung der Lufthoheit, insbesondere<br />

mit Luftpolizeidienst (mit normaler<br />

oder verstärkter Präsenz)


–Katastrophenhilfe<br />

–Schutz-, Bewachungs- und Überwachungsaufgaben<br />

(auch Konferenz-<br />

und Objektschutz)<br />

Raumsicherung und Verteidigung<br />

– Raumsicherung (Einsatzverbände,<br />

ca. in Brigadestärke)<br />

– Erhalt/Weiterentwicklung der<br />

Kompetenz zur Raumsicherung<br />

mit Gegenkonzentration und<br />

zur Abwehr eines militärischen<br />

Angriffs<br />

Friedensförderung<br />

ca. 500 AdA Angehörige der Armee<br />

Zur luftwaffe<br />

Die heutigen Kernaufgaben der Luftwaffe<br />

umfassen:<br />

■ Wahrung der Lufthoheit<br />

– Luftpolizeidienst<br />

– Luftverteidigung<br />

■ Lufttransport<br />

■ Nachrichtenbeschaffung<br />

Diese Aufgaben kann die Luftwaffe heute<br />

wahrnehmen. Es bestehen aber zur<br />

umfassenden Aufgabenerfüllung auch<br />

in diesem Spektrum Defizite.<br />

Die Restrukturierung der Armee und<br />

die finanziellen Engpässe zwangen zum<br />

Ab- bzw. Umbau der Luftwaffe, bezogen<br />

auf Infrastrukturen, Personal und Systeme.<br />

Zum Teil führte dies auch zur AufsplitterungderLuftwaffe.ImZeitraumvon1990–<br />

2008 musste deren Personalbestand von<br />

3078 AdA auf 1750 gesenkt werden. 270<br />

AdA wurden zur Logistikbasis der Armee<br />

und/oder zur Führungsunterstützung<br />

der Armee umgeteilt; dies brachte neue<br />

Schnittstellen –auch mit neuen Anforderungen<br />

in der Führung –mit sich.<br />

B E G E G N U N G<br />

Bis zum Jahre 2011 wird vonder Luftwaffe<br />

– einhergehend mit höheren Leistungsanforderungen!<br />

–ein weiterer Stellenabbau<br />

gefordert: Der Bestand soll von<br />

1750 auf 1540 AdA vermindert werden.<br />

Das Delta der Leistungseinbussen wird<br />

immer grösser: Leistungsverzichte werden<br />

unausweichlich. Eine weitere Ausdünnung<br />

ist indessen nicht mehr möglich:<br />

Eine solche würde unmittelbar Einschränkungen<br />

in Bezug auf Fallschirmaufklärer<br />

(dies nachbereits vollzogenem<br />

Verzicht auf Drohneneinsätze), in der<br />

Folge dann auchauf Flab-Systeme, Flugplätze<br />

usw. nachsichziehen.<br />

Die weiteren möglichen Konsequenzen<br />

können mit dem Begriff «Dominoeffekt»<br />

verdeutlicht werden. In der Tat<br />

sind bei ungenügender Mittelallokation<br />

bedeutende Stützpfeiler in unserer Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik bzw. unserem<br />

Sicherheitssystem generell gefährdet.<br />

Mit zu erwähnen sind Bündnisfreiheit,<br />

Wehrpflicht, Verteidigungsfähigkeit,<br />

TTE usw. Ohne TTE: Kein operativesFeuer<br />

und keine operative Aufklärung. Damit<br />

ist aber ein kombinierter Einsatz vonHeer<br />

und Luftwaffe undenkbar. Somit sind wir<br />

nicht mehr fähig, den Auftrag Verteidigung<br />

zu erfüllen. Hierbei stellt sich die<br />

Frage, ob eine Wehrpflicht ohne Verteidigungsauftrag<br />

nochverfassungsrechtlich<br />

zulässig ist. Damit wäre ein Präjudiz zum<br />

Beitritt in ein Bündnis geschaffen.<br />

Zum Personal: Trotz der Überbelastung<br />

(es zeigt sich dies an Unmengen<br />

von nicht bezogenen Ferientagen und<br />

Überstunden) darf den Mitarbeitenden<br />

aller Stufen ein gewaltiges Lob ausgesprochen<br />

werden. Der Leistungswille<br />

bleibt ungebrochen, die Moral ist wegweisend:<br />

Wir stellen eine hohe Wahr-<br />

18<br />

Korpskommandant Markus Gygax<br />

nehmung der Verantwortung fest –im<br />

Sinne «jetzt erst recht, wir raufen uns<br />

zusammen!» –Dies zeugt von einem<br />

ausgeprägten Wehrgefühl und einem<br />

vorbildlichen Esprit, getragen durch eine<br />

beispielhafte «Unternehmenskultur».<br />

«Der Status quo ist nicht haltbar:<br />

Statt die Ressourcen bzw. finanziellen<br />

Mittel auf die zu erbringenden<br />

Leistungen auszurichten, ist<br />

heute das Gegenteil der Fall. Wir<br />

richten die Leistungen auf die in<br />

starkem Masse eingeschränkten<br />

Ressourcen aus.»<br />

Korpskommandant Markus Gygax<br />

das leistungsspektrum<br />

Das Spektrum der Luftwaffe erstreckt<br />

sich u.a. von Überwachungsaufgaben,<br />

punktuellen Interventionen bis hin zu<br />

den Grosseinsätzen und Konfliktbewäl-


tigungen. Im Gegensatz zum Leistungsspektrum<br />

Heer (Boden) besteht bei der<br />

Luftwaffe keine Konkurrenzsituation innere/äussere<br />

Sicherheit.<br />

Im Auftrag des BAZL Bundesamt für<br />

Zivilluftfahrt nimmt die Luftwaffe den<br />

Luftpolizeidienst wahr. (KKdt Gygax<br />

zeigt unter dem Titel «One day of Traffic<br />

in Europe» anhand von bewegten Bildern,<br />

die «rund um die Uhr» geradezu<br />

erschreckende Dichte des internationalen<br />

zivilen Flugverkehrs). Die Leistungen<br />

hierbei sind vielfältig, von den<br />

Alltagspflichten, welche vor allem das<br />

Durchsetzen von Benützungsbewilligungen<br />

des schweizerischen Luftraums<br />

umfassen bis zu Sonderaufträgen, etwa<br />

im Zusammenhang mit differenzierten<br />

Überflugsbewilligungen bei den<br />

NATO-Einsätzen (keine Kampfflugzeuge!)<br />

oder den Einsätzen bei der G8,<br />

beim WEF usw. – Fazit: «Die Luftwaffe<br />

schafft Ordnung im Luftraum!»<br />

ttE tiger-teil-Ersatz<br />

Die Wahrung der Lufthoheit und der<br />

Luftpolizeidienst werden heute mit den<br />

33 F/A-18 und den 54 Tiger sichergestellt.<br />

Die operative Aufklärung und die<br />

Fähigkeit «Luft/Boden» (Unterstützung<br />

des Heeres) sind heute nicht mehr vorhanden.<br />

Die Evaluation des Flugzeugtyps, der<br />

den F-5 Tiger ersetzen soll ist im vollen<br />

Gang, dies betreffend Rafale (aus Frankreich),<br />

Gripen (aus Schweden) und Eurofighter<br />

(aus Deutschland).<br />

Mit den 33 F/A-18 und den «plus 22<br />

TTE» sollen die Fähigkeiten zur Wahrung<br />

der Lufthoheit sowie des Luftpo-<br />

B E G E G N U N G<br />

Motiviert zum freien Gespräch…<br />

lizeidienstes in Friedenszeit gewahrt<br />

bleiben. Zudem sollen die Kompetenzen<br />

LUV Luftverteidigung im Krisen-/<br />

Verteidigungsfall, die LA Luftaufklärung<br />

in allen Lagen und zu allen Zeiten<br />

sowie der EK Erdkampf, d.h. Feuerunterstützung<br />

aus der Luft bzw. Bekämpfung<br />

von Bodenzielen wieder aufgebaut<br />

werden.<br />

Bei der Evaluation des neu zu beschaffenden<br />

TTE-Kampfflugzeugs haben<br />

die Kriterien Raum – Zeit – Mittel<br />

vorrangige Bedeutung. Einer besonderen<br />

Überlegung bedarf die geringe<br />

geografische Fläche unseres Landes:<br />

Die Reaktionszeit für den Einsatz in der<br />

19<br />

Luft ist proportional zur Distanz: Je kürzer<br />

die Reaktionszeit, desto mehr und<br />

rascher müssen Mittel verfügbar sein!<br />

Die zentrale Frage lautet: «Ist Verteidigung<br />

und Raumsicherung für den<br />

Zeithorizont von 10bis 30 Jahren ein<br />

Thema für unser Land?» –Wenn Ja,<br />

so ist das Knowhow Luftaufklärung<br />

und Feuer Luft/Boden zwingend. Die<br />

Grundbereitschaft und die Qualität<br />

müssen hochsein. Die Ausbildungszeit<br />

für Luftwaffe und Heer ist lange (bei Piloten<br />

umfasst sie ca. acht Jahre!) Das<br />

Milizsystem lässt sonst kein plausibles<br />

Aufwuchskonzept zu. «Was nicht ist,<br />

kann nicht aufwachsen!»


abschliessende Beurteilung<br />

■ Die Bedrohung ist gegeben, denn der<br />

Mensch ist nicht perfekt!<br />

■ Gefragt sind Leistungen des Heeres<br />

und der Luftwaffe. Am Boden gibt es<br />

andernfalls keine Institution mit genügendem<br />

Stehvermögen; in der Luft<br />

gibt es keine Alternative.<br />

■ Die Luftwaffe stabilisiert: mit Flugzeugen,<br />

aber auch mit Zuverlässigkeit,<br />

Berechenbarkeit, guter Ausbildung<br />

und Teamwork – im Sinne des<br />

nationalen Zusammenhalts!<br />

Plenumsdiskussion<br />

Dr. Peter Forster, Gesprächsleiter, entnahm<br />

den Statements der Teilnehmenden<br />

ein uneingeschränktes Ja zur Förderung<br />

unserer Armee –damit verbunden<br />

auchein unabdingbares Ja zur Luftwaffe.<br />

–Von Seiten der Politik wird eine klare<br />

Auftragsumschreibung gegenüber unserer<br />

Armee, ausgehend voneinem aktuellen,<br />

umfassenden Sicherheitspolitischen<br />

Bericht, gefordert. Besondere Diskussionsthemen<br />

bildeten Fragen und Meinungen<br />

rund um die «Sicherheit durch<br />

Kooperation» bzw. die internationale<br />

Zusammenarbeit sowie der «Sicherheitsverbund<br />

Schweiz» bzw.die Zusammenarbeit<br />

aller Sicherheitskräfte im Inland.<br />

Gedanken auf den Weg<br />

Dr. h.c. Walter Reist: «Herr Korpskommandant,<br />

Sie haben uns Einblick in die<br />

Gesamtzusammenhänge gewährt und<br />

pointiert dargelegt, welch hohe Bedeu-<br />

B E G E G N U N G<br />

Christoph Vollenweider legte KKdt Gygax zwei Schlüsselfragen vor:<br />

Erkennen Sie bei der Beschaffung von Kampfflugzeugen im Vergleich<br />

Schweiz/Ausland unter dem sachlichen Aspekt wesentliche Unterschiede?<br />

KKdt Gygax: Auch bei den ausländischen Armeen sind zeitraubende Evaluationsprozesse<br />

notwendig. Bei militärischen Bündnissen (NATO) sind indessen<br />

die Kompatibilitätserfordernisse von hoher Bedeutung. Sachlich betrachtet stehen<br />

wir im ständigen Wissensaustausch mit ausländischen Experten – dies primär<br />

über die armasuisse. Das politische System der Schweiz gebietet es – und<br />

dies ist gegenüber dem Ausland charakteristisch – , den Faktor Zeit besonders<br />

zu gewichten, Vorlagen in der Kampfflugzeugbeschaffung gehen zumeist einher<br />

mit Volksinitiativen bzw. Abstimmungen.<br />

Wo liegen – im Wissen um die Finanzknappheit – Möglichkeiten offen, dem<br />

auf <strong>Lilienberg</strong> bekundeten Postulat «Ja zur Armee» noch besser zum Durchbruch<br />

zu verhelfen?<br />

KKdt Gygax: Ichmuss an meine Antwort zur vorhergehenden Frage anknüpfen.<br />

Bei Kampfflugzeugen –wie auchbei Panzern –handelt es sichumGrossprojekte.<br />

Die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie steht bei derartigen Beschaffungen<br />

den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber in besonderer Pflicht: Transparenz<br />

ist vordringlich. Insofern gilt es, für die Armee überall –jede(r) an ihrem/seinem<br />

Ort –einzustehen: «Vereint schaffen wir es!» –Ein vorrangiges Anliegen ist mir<br />

hierbei auchdie sachliche, konstruktive Berichterstattung in den Medien!<br />

tung einer modernen, leistungsfähigen<br />

Luftwaffe zukommt. Wir danken Ihnen<br />

für diese Analyse! – Wie in einem Unternehmen<br />

– so verhält es sich auch in<br />

unserer Armee, somit auch in der Luftwaffe.<br />

Unternehmerische Entscheide<br />

basieren auf dem menschlichen, sachlichen<br />

und wirtschaftlichen Aspekt.<br />

Menschlich betrachtet: Wir sind vom<br />

Wehrwillen und vom Können unserer<br />

Armeeangehörigen überzeugt. – Sachlich<br />

betrachtet: Der Erfolg einer Unternehmung<br />

steht in Abhängigkeit steter<br />

Innovation! – Wirtschaftlich betrachtet:<br />

Jede Unternehmung bedarf einer soliden<br />

finanziellen Basis, ebenso die Ar-<br />

20<br />

mee, somit auch die Luftwaffe! Hierzu<br />

bedarf es jetzt dringend des politischfinanziellen<br />

Rückhalts! Herr Korpskommandant,<br />

wir danken Ihnen für Ihr<br />

hohes Engagement zugunsten unserer<br />

Armee und unserer Luftwaffe im Besonderen!»<br />

59. <strong>Lilienberg</strong>-Forum vom 20. Oktober<br />

2009 «Die dynamische Luftwaffe – das<br />

stabilisierende Element der schweizerischen<br />

Sicherheitspolitik» mit Korpskommandant<br />

Markus Gygax, Kommandant<br />

der Schweizer Luftwaffe, Bern;<br />

Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist; Moderation:<br />

Dr. Peter Forster


Von Immacolata Waldvogel<br />

lustig und fidel – ein abend mit den<br />

Wiener Symphonia Schrammeln<br />

Die Schrammelmusik ist eine für<br />

Wien typische Musikgattung des<br />

19. Jahrhunderts und gilt als Wiener<br />

Volksmusik. Nach den Komponisten Johann<br />

und Josef Schrammel benannt erlangte<br />

sie mit dem «Spezialitäten Quartett<br />

Gebrüder Schrammel» rasch grosse<br />

Berühmtheit. Sie spielten auch in den<br />

Palais und Salons der Wiener Aristokratie<br />

und des Grossbürgertums. Dieser<br />

Schrammeleuphorie schlossen sich als<br />

Verehrer auch Johann Strauss, Johan-<br />

B E G E G N U N G<br />

Jeder Musikanlass auf dem lilienberg ist einzigartig!<br />

Die «Wiener Symphonia Schrammeln». Von links: Prof. Stefan Plott, Helmut Lackinger,<br />

Prof. Rudolf Malat, Kurt Franz Schmid, Peter Hirschfeld<br />

nes Brahms und später Arnold Schönberg<br />

an. Johann und Josef Schrammel<br />

hinterliessen mehr als 250 Werke. Mit<br />

dem Tod der Brüder geriet die besondere<br />

Klangfarbe des Quartetts in Vergessenheit.<br />

Erst 70 Jahre danach wurde sie<br />

wiedererweckt und heute gibt es wieder<br />

zwölf aktive Schrammelquartette.<br />

Die gemeinsame Liebe zur Wiener<br />

Musik und die Überzeugung, unter den<br />

Wiener Musikern die beste Auswahl zur<br />

Verwirklichung der Schrammelmusik<br />

getroffen zu haben, führten zur Gründung<br />

der «Wiener Symphonia Schrammeln»<br />

im Jahre 1996. Interpretation von<br />

Wiener Musik auf höchstem Niveau in<br />

Verbindung mit dem gewissen Wiener<br />

Schmäh.<br />

21<br />

Das Ensemble ist in der Lage, nicht<br />

nur die traditionelle klassische Wiener<br />

Volksmusik bis zur Operettenliteratur,<br />

sondern auch die verschiedensten Variationen<br />

in der Instrumentalzusammensetzung<br />

anzubieten. Am 3. Juli<br />

2009 traten die «Wiener Symphonia<br />

Schrammeln» zum vierten Mal auf<br />

dem <strong>Lilienberg</strong> auf. Gespielt wurden<br />

nachdem Motto «Lustig und fidel» der<br />

Marsch «Heut’ san ma fidel» von Jans<br />

Zajicek, die «Zick-Zack-Polka» und der<br />

«Hofburg-Galopp» von Kurt Schmid,<br />

Josef Lanner’s «Steyrische Tänze», die<br />

«Kikeriki-Polka» von Philipp Fahrbach<br />

sen., von Johann Schrammel die beiden<br />

Walzer «Lustig und Fidel» und<br />

«Morgengruss», C.M. Ziehrer’s Polka<br />

«Boshaft» sowie der Tanz «Ländliche<br />

Paraphrase» und der «Omega-Tanz»<br />

von Josef Mikulas. Die fünf fröhlichen<br />

Musikanten im schwarzen Sakko verstanden<br />

es, die Anwesenden mit ihrer<br />

virtuos gespielten und vergnügten Musik<br />

zu begeistern.<br />

Ein Stück, das Gastgeber Dr. h.c.<br />

Walter Reist besonders liebt, ist der «Estanz»<br />

von Johann Schrammel. Er wurde<br />

als Höhepunkt des Abends von Rudolf<br />

Malat an der Knopfharmonika und Peter<br />

Hirschfeld an der Kontragitarre vorgetragen<br />

– besonders innig, zutiefst ergreifend<br />

und mit faszinierender Fingerfertigkeit.<br />

Mit allen Gästen freute sichDr. h.c.<br />

Walter Reist über diesen Abend voller<br />

Fröhlichkeit und Harmonie, was ganz<br />

stark bei seinen Dankesworten und<br />

der Verabschiedung zum Ausdruck<br />

kam.


Tine Thing Helseth und Christian Ihle Hadland<br />

Von Margrit Bösch<br />

Virtuose trompetensoli – von zarter<br />

Hand gespielt<br />

Am Rezital vom 25. August 2009 traten<br />

zwei junge Künstler aus Norwegen auf,<br />

die 21-jährige Trompeterin Tine Thing<br />

Helseth mit dem 26-jährigen Pianisten<br />

Christian Ihle Hadland. Wer hätte<br />

gedacht, dass eine so zarte junge Frau<br />

derart virtuos und kraftvoll Trompete<br />

spielen kann – ein Instrument, das sonst<br />

eher dem starken Geschlecht zugeordnet<br />

wird?<br />

Tine Thing Helseth hat schon im Alter<br />

von sieben Jahren begonnen Trompete<br />

zu spielen. Ihre Ausbildung absol-<br />

B E G E G N U N G<br />

vierte sie in Oslo. 2006 gewann sie den<br />

zweiten Preis beim «Eurovision Young<br />

Musician Contest» in Wien. Zahlreiche<br />

weitere Preise folgten, etwa der<br />

Norwegische Solistenpreis 2006 oder<br />

ein Grammy imJahr darauf. Tine Thing<br />

Helseth trat zum Beispiel mit dem Stuttgarter<br />

Kammerorchester, dem Wiener<br />

Kammerorchester und den Wiener<br />

Symphonikern auf. Viele weitere Auftritte<br />

sind geplant –Tine Thing Helseth<br />

wird auch inWashington, Tokio und<br />

Hanoi gastieren.<br />

Seit seinem Debüt im Jahr 2009 in<br />

der Norwegischen Staatsoper Oslo ist<br />

Christian Ihle Hadland bekannt als einer<br />

der spannendsten Pianisten. Seine<br />

ersten Klavierstunden erhielt er im Alter<br />

von acht Jahren. Schon im Jahr 2000<br />

22<br />

gewann Christian Ihle Hadland den<br />

Internationalen Balys Dvarionas Wettbewerb<br />

in Vilnius – viele weitere Auszeichnungen<br />

folgten. Der junge Pianist<br />

tritt mit namhaften Orchestern auf und<br />

ist auch als Kammermusiker und Liedbegleiter<br />

sehr gesucht.<br />

Die beiden jungen Musiker begannen<br />

mit der «Légende pour trompette et<br />

piano» von Georges Enescu. Es folgte<br />

die Sonate fürTrompete und Klavier von<br />

Paul Hindemith – kraftvolle Töne, mässig<br />

bewegte und sehr langsame Trauermusik,<br />

instrumental wunderbar interpretiert.<br />

In der Folge spielte Christian<br />

Ihle Hadland die Klaviersonate Nr. 8 in<br />

D-Dur, KV 311 von Wolfgang Amadeus<br />

Mozart. Wieder zu zweit spielten die<br />

beiden die «Sonatine pour trompette<br />

et piano» von Bohuslav Martinu sowie<br />

Maurice Ravel’s «Vocalise-Etude en forme<br />

de Habana» und abschliessend sieben<br />

populäre spanische Lieder von Manuel<br />

de Falla. Im Anschluss hielt Moderator<br />

Andreas Müller ein Kurzinterview<br />

mit den beiden hervorragenden Künstlern,<br />

wobei er Fragen zu deren Ausbildung<br />

und ihrem künstlerischen Wirken<br />

in den Vordergrund stellte.<br />

Mit grosser Freude über das gelungene<br />

wunderschöne Konzert verabschiedete<br />

Gastgeberin Susanne Rau-Reist die<br />

beiden hervorragenden Künstler, den<br />

kompetenten Moderator sowie die begeisterten<br />

Rezitalgäste.<br />

Von der Moderatorin zur Solistin<br />

Am Herbstrezital vom 3. November<br />

2009 stand Eva Oertle einmal nicht<br />

als Moderatorin vor dem Publikum,


sondern begeisterte dieses mit ihrem<br />

einfühlenden und technisch ausgefeilten<br />

Flötenspiel. Begleitet wurde<br />

sie vom Pianisten Vesselin Stanev, der<br />

dem <strong>Lilienberg</strong>-Publikum bestens bekannt<br />

ist.<br />

«Warum auch in die Ferne schweifen,<br />

wenn das Gute liegt so nah!» Aus<br />

dieser Überlegung heraus – so Susanne<br />

Rau-Reist bei ihrer Begrüssung – entstand<br />

die Idee, die beiden Künstler für<br />

ein Konzert zusammenzubringen.<br />

Eva Oertle ist als Solistin und Kammermusikerin<br />

in der Schweiz, Italien<br />

und Deutschland tätig, spielt und arbeitet<br />

mit international renommierten<br />

Orchestern und Dirigenten zusammen.<br />

Eva Oertle studierte an den Musikhochschulen<br />

in Fribourg und Basel<br />

und absolvierte nach dem Konzertdi-<br />

Eva Oertle und Vesselin Stanev<br />

B E G E G N U N G<br />

plom zusätzlich ein Studium auf der<br />

barocken Traversflöte. Sie beschäftigt<br />

sich sowohl mit zeitgenössischer Musik<br />

als auch mit dem Spiel auf historischen<br />

Instrumenten. Im Weiteren ist<br />

sie als Moderatorin und Musikredaktorin<br />

beim Schweizer Radio DRS 2tätig,<br />

dort etwa inder Sendung «Diskothek<br />

im Zwei».<br />

Der aus Bulgarien stammende Pianist<br />

Vesselin Stanev begann seine Musikausbildung<br />

im Alter von zehn Jahren. 1981<br />

wechselte er an die Musikakademie in<br />

Sofia, studierte später am Tschaikowsky-Konservatorium<br />

in Moskau, wo er<br />

1988 das Solistendiplom erlangte. Vesselin<br />

Stanev hat einen hervorragenden<br />

Ruf als Musiker. Viele Auszeichnungen<br />

zeugen davon. Seine Laufbahn führte<br />

ihn in grosse Konzerthäuser Europas.<br />

23<br />

Sein Können wurde vom bulgarischen<br />

Radio und Fernsehen dokumentiert und<br />

international in Kritiken gewürdigt.<br />

Das Konzert wurde mit «Largo – Allegro»<br />

aus Gaetano Donizetti’s Sonate<br />

C-Dur Flöte und Klavier eröffnet. Es<br />

folgten «zwei Lieder ohne Worte» von<br />

Felix Mendelssohn – eines lieblich fein,<br />

das andere temperamentvoll. Alsdann<br />

gelangte die Sonate für Flöte und Klavier<br />

von Mélanie Bonis zur Aufführung<br />

– wunderbare, emotionale Musik, das<br />

ganze «Lebenstemperament» offenbarend.<br />

Weiter auf dem Programm standen<br />

das schlichte, in die Tiefe gehende<br />

Abendlied von Robert Schumann und<br />

abschliessend sechs stimmungsvolle<br />

Stücke für Flöte und Klavier von Fikret<br />

Amirow.<br />

«Es hat geklappt», freute sich Susanne<br />

Rau-Reist bei ihren Dankesworten<br />

an die Künstler und den Moderator Andreas<br />

Müller-Crepon. Alle waren sich<br />

einig: ein Highlight mehr! Jeder <strong>Lilienberg</strong>-Musikanlass<br />

ist einzigartig – man<br />

freut sich jetzt schon auf das Rezital<br />

vom 16. März 2010.


anlässlichdes 96. lilienberg-Gesprächs<br />

am 25. Juni 2009 war Hausi leutenegger<br />

auf dem lilienberg zu Gast. Seine<br />

eindrückliche helvetische Erfolgsgeschichte<br />

zeigt, wie es heute noch<br />

möglich ist, mit «Chrampfe», einem<br />

eisernen Willen und etwas Glück den<br />

Weg von weit unten nach weit oben zu<br />

verwirklichen.<br />

Von Georg Leumann<br />

Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann freute<br />

sich besonders, einen der erfolgreichsten<br />

Thurgauer auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />

begrüssen zu dürfen. Krisen wie heute,<br />

so betonte er, können nur mit starken<br />

Unternehmerpersönlichkeiten, wie sie<br />

Hausi Leutenegger verkörpert, bewältigt<br />

werden.<br />

Nationalrätin Brigitte Häberli, die Gesprächsleiterin,<br />

lebt heute in Bichelsee.<br />

Sie war am16. Januar 2009 am grossen<br />

Dorffest dabei, anlässlichwelchem Hausi<br />

Leutenegger als Ehrenbürger gefeiert<br />

wurde. Die Vernissage für sein kürzlich<br />

erschienenes Buch «Ein bisschen Glück<br />

war auch dabei», das während Wochen<br />

auf der Bestsellerliste der Sparte Sachbücher<br />

stand, fand auch inseiner Heimatgemeinde<br />

statt. Seine tiefeVerwurzelung<br />

im «Kurort», wie Hausi seinen Geburtsort<br />

heute nennt, konnte die Gesprächsleiterin<br />

eindrücklichmiterleben.<br />

Hausi Leutenegger wuchs im Höfli,<br />

beim Bichelsee, zusammen mit sieben<br />

Geschwistern auf. Im Hinterthurgau<br />

G E S P r Ä C H<br />

das Multitalent von Bichelsee: olympiasieger –<br />

Unternehmer und Schauspieler<br />

wurden seine Wertehaltungen festgelegt,<br />

seine Grundfähigkeiten gefördert<br />

und durch viele kleine Erlebnisse sein<br />

«Erfolgsdrang an die Spitze» geweckt.<br />

Nach seiner Lehre als Bauschlosser bei<br />

der Firma Sulzer drängte ihn seine unternehmerischeVeranlagung<br />

dazu, eine<br />

weitere Welt kennen zu lernen. Er arbeitete<br />

als Bauschlosser und als Vertreter<br />

in Genf und war auch auf Montage<br />

in Holland. Diese Zeit bezeichnet er<br />

als entscheidend für seinen weiteren<br />

Lebensweg.<br />

Sport – die lebensschule<br />

Auf die Frage, wie er Olympiasieger<br />

wurde, meinte Hausi Leutenegger, dass<br />

er dieses Ziel nur mit grosser Ausdauer,<br />

eisernem Willen, Ehrlichkeit und dem<br />

dazu notwendigen Glück habe erreichen<br />

können. Bereits in seiner Jugend<br />

habe er in Bichelsee jeweils fürsTraining<br />

Hürden aufgestellt und vielseitig geübt.<br />

Dabei habe er von sich ausserordentlich<br />

viel gefordert und sei mit sich sehr<br />

streng gewesen. Als Nationalturner und<br />

im Stabhochsprung stellten sich verschiedene<br />

Erfolge ein. Im Sport konnte<br />

er seine Entwicklung eindrücklich erleben!<br />

Auch seine späteren Bobtrainings<br />

waren äusserst anforderungsvoll. Einige<br />

Stürze beim Bobsport führten zu Verletzungen<br />

und grösseren Schmerzen. Nur<br />

ein weiter und harter Weg führte ihn bis<br />

zum Viererbob-Olympiasieg in Sapporo<br />

1972. Wer heute noch als Spitzen-<br />

24<br />

Hausi Leutenegger<br />

sportler erfolgreich sein wolle, brauche<br />

einen ausserordentlichen Willen, stellte<br />

Hausi Leuteneger fest. Heute betreibe<br />

er mit seiner täglichen Gymnastik, als<br />

Velofahrer oder Golfspieler Gesundheitssport.<br />

Er liebe die Natur, besonders<br />

eine Ausfahrt mit dem Velo durch die<br />

Ostschweiz schätze er, und vergesse<br />

beim Sport sein Alter.<br />

Unternehmer mit Gespür<br />

Auch seine unternehmerischen Fähigkeiten<br />

entwickelte Hausi Leutenegger<br />

bereits während seiner Jugend. Das<br />

Äpfelauflesen in Bichelsee organisierte<br />

er mit seinen Kameraden jeweils als<br />

Wettbewerb, den er als Chef leitete.<br />

1965 gründete er die Leutenegger AG,<br />

die heute über 1000 Mitarbeitende beschäftigt.<br />

Seine Kader rekrutierte er in<br />

der Aufbauphase seiner Unternehmung<br />

aus tüchtigen, vertrauensvollen Monteuren,<br />

die er bei der Arbeit persönlich<br />

kennengelernt hatte. Bei der Auswahl


der Mitverantwortlichen waren ihm<br />

immer die familiären Verhältnisse, die<br />

finanzielle Schuldenfreiheit und die<br />

Tatsache, ob einer Militärdienst leistete,<br />

wichtig. Zudem konnte er sich bei der<br />

Einschätzung der Mitarbeitenden auf<br />

sein natürliches Gespür verlassen. Seine<br />

«drei Leben nebeneinander» führte<br />

er dank unternehmerischer Grosszügigkeit<br />

erfolgreich. Dazu waren vertrauensvolle,<br />

verlässliche Mitarbeitende<br />

notwendig. Die Nachfolge ist heute<br />

geregelt. Sein Sohn und sein Schwiegersohn<br />

sind in die Verantwortung einbezogen.<br />

Er ist glücklich, feststellen zu<br />

können, dass die Jungen die Unternehmung<br />

gut führen.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Vom Sportler zum Filmschauspieler<br />

Der Olympiasiegertitel öffnete Hausi<br />

Leutenegger den Weg zur Filmschauspielerei.<br />

Er arbeitete bei über 35 Filmproduktionen<br />

mit, in denen er kleinere<br />

und grössere Rollen übernehmen konnte,<br />

so z.B. auch 1985 im Film «Kommando<br />

Leopard» an der Seite von Klaus<br />

Kinski, mit dem er befreundet war. Die<br />

Filmerei selber erlebte er als Schwerarbeit.<br />

Er musste sehr viel Zeit für das<br />

Auswendiglernen der Drehbücher, oft<br />

während der Nacht, investieren. Szenen<br />

mussten manchmal bis zu zwölf<br />

Mal wiederholt werden. Dazu brauchte<br />

es Ausdauer und Zielstrebigkeit gleich<br />

Von links: Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann, Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller,<br />

Hausi Leutenegger<br />

25<br />

wie beim Sport. Das Hollywoodleben<br />

mit seinen eigenartigen Szenen hatte<br />

er wohl kennen gelernt, es war jedoch<br />

nicht sein Leben, wie Hausi Leutenegger<br />

feststellte. Die Familie und seine<br />

Freunde waren ihm viel wichtiger.<br />

Die Leute, mit denen er aufgewachsen<br />

war, sind auch heute noch seine Freunde.<br />

Sie wissen, dass sie sich auf Hausi<br />

verlassen können, von ihnen wurde er<br />

auch nie enttäuscht.<br />

Abschliessend stellte Ex-Nationalrat<br />

Ernst Mühlemann fest, dass wir mit<br />

Hausi Leutenegger und der Gesprächsleiterin<br />

Nationalrätin Brigitte Häberli<br />

ein <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch mit gerade<br />

zwei Persönlichkeiten aus einem kleinen<br />

Thurgauer Dorf erleben konnten,<br />

was ganz ausserordentlich sei. Mit Hausi<br />

Leutenegger haben wir ein absolutes<br />

Unikat, einen zielorientierten Unternehmer<br />

mit folgerichtigem Aufbau seines<br />

Unternehmens, mit zeitintensiven<br />

Hobbys, durch die er sich aber von den<br />

wesentlichen Aufgaben nicht ablenken<br />

liess, kennen gelernt.<br />

96. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 25. Juni<br />

2009 mit Hausi Leutenegger, Unternehmer,<br />

Wil; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />

durch Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann,<br />

Mitglied des Ehrenteams; Moderation:<br />

Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller


Jede Schweizerin und jeder Schweizer<br />

trinkt pro Jahr 125 liter Mineralwasser.<br />

Nebst den 600 Millionen liter aus<br />

Schweizer Produktionen werden rund<br />

weitere 300 Millionen liter importiert.<br />

im Gegensatz zu Wein und Bier<br />

wird Mineralwasser im restaurant oft<br />

ohne Hinweis auf die Marke angeboten;<br />

nur mit der Unterscheidung «mit<br />

oder ohne Kohlensäure». Gabriela<br />

Manser verstand es im rahmen des 97.<br />

lilienberg-Gesprächs vom 7. Juli 2009<br />

vortrefflich, die Zuhörerschaft auf eine<br />

packende reise in die Welt des Mineralwassers<br />

mitzunehmen.<br />

Von Dr. Max Becker<br />

Einige der bekannten Mineralwasser-<br />

Marken sind in einem internationalen<br />

Produkte-Verbund eingebettet,<br />

anders die Mineralquelle Gontenbad<br />

im Appenzell. Die Firma ist in dritter<br />

Generation unabhängig und wird von<br />

Gabriela Manser geführt. Namen wie<br />

Flauder,Wonder und Himml;Definitionen<br />

wie laute, leise und stille Wasser<br />

haben ihren Ursprung in Gontenbad<br />

und sind weit über die Region Ostschweiz<br />

hinaus sehr gut eingeführt.<br />

Sie erfreuen sich schon fast einer Fan-<br />

Gemeinde. Das Getränk Flauder mit<br />

Holunder- und Melissengeschmack<br />

fand ab 2002 einen erfolgreichen Absatz<br />

und verschaffte dem Betrieb einen<br />

Quantensprung mit vierfacher Umsatzvermehrung.<br />

G E S P r Ä C H<br />

davids gegen Goliaths –Wettbewerb um die<br />

Gunst der Mineralwasser-trinker<br />

Ihre Produkte sind für Gabriela Manser<br />

nicht nur Wasser, sondern auch Passion,<br />

Heimat und Genuss.<br />

Obwohl «an der Quelle» aufgewachsen,<br />

wurde Gabriela Manser die Führung<br />

des Unternehmens nicht in die Wiege<br />

gelegt. Sie entschied sich, zunächst als<br />

Kindergärtnerin und später als Schulleiterin<br />

zu arbeiten. Erst die fortgeschrittene<br />

Suche ihres Vaters nach einer externen<br />

Nachfolgelösung bewog sie 1999, die<br />

Chance doch noch zuergreifen und die<br />

Führung der Unternehmung mit neun<br />

Mitarbeitenden zu übernehmen.<br />

Immer mit dem Ziel, die unternehmerische<br />

Selbständigkeit zu bewahren,<br />

musste sie Anlagen erneuern, neue<br />

Mein rückblick auf unser lilienberg-Gespräch<br />

Grundsätzlich ist mir ein spontanes Gespräch meist lieber als dass ich ein<br />

Referat halten möchte. Aus diesem Grund nahm ich die Einladung für dieses<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Gespräch sehr gerne an!<br />

Dr. Max Becker, Gesprächsmoderator, und ich sind denn auch schnell in ein<br />

gutes «Gesprächsfahrwasser» gekommen. Das Gespräch war lebhaft, wir lachten<br />

viel und fanden doch auch in die Tiefe meines Alltags als Unternehmerin.<br />

Aus dem Erfahrungsschatz zu berichten und dabei immer auch den Bogen in<br />

die jetzige Zeit in den Augen zu behalten, das war die spannende Aufgabe.<br />

Die Fragen und Diskussionsbeiträge ermöglichten es mir, jeweils auch immer<br />

wieder neue Gedankenkombinationen zu schaffen und zu finden. Aus diesem<br />

Grund ging ich – auch diesmal erfüllt! – aus diesem Gespräch.<br />

Letztlich wäre es sicher spannend zu hören, ob sich meine subjektive Wahrnehmung<br />

mit derjenigen der Zuhörenden deckt. Ich freue mich in diesem Sinn<br />

auf die weiteren <strong>Lilienberg</strong>-Begegnungen.<br />

Gabriela Manser<br />

26<br />

Gabriela Manser


Kunden und Geschäftspartner gewinnen<br />

und neue Produkte in das Angebot<br />

aufnehmen. Als KMU mit heute 30<br />

Mitarbeitenden und etwas über CHF<br />

10 Mio. Umsatz sind Gabriela Manser<br />

die unternehmerischen Werte wichtig.<br />

Dazu gehören:<br />

–Offene Information<br />

–Kurze und transparente Entscheidungswege<br />

–Ausgeprägte Kundenorientierung<br />

–Sichtbare Begeisterung für das<br />

Produkt<br />

–Leistungsbereitschaft aller Mitarbeitenden<br />

Das unternehmerische Wirken von Gabriela<br />

Manser wurde 2005 mit dem<br />

«prix veuve Clicquot» gewürdigt. Zudem<br />

verlieh ihr die <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong>,<br />

in Anerkennung ihres Pioniergeists, den<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Förderpreis im Jahr 2007.<br />

Gabriela Manser im angeregten Gespräch mit Dr. Max Becker<br />

G E S P r Ä C H<br />

Die Forderung nach einem Verbot von Wasser in PET-Flaschen wird auch<br />

in der Schweiz laut. In einer parlamentarischen Initiative wurde gefordert,<br />

sämtliches in PET-Flaschen abgefüllte Wasser müsse verboten werden. Der<br />

Nationalrat hat diesen Vorstoss am 28. Mai 2009 deutlich abgelehnt.<br />

Politiker, Wirtschafts- und Gewerbevertreter setzen sich ineiner neu gegründeten<br />

Interessengemeinschaft IG Mineralwasser gemeinsam mit den<br />

Mineralwasser-Produzenten für ein reines und unbehandeltes Naturprodukt<br />

ein. Sie kämpfen gegen Kampagnen, welche dieses gute Produkt auch<br />

in der Schweiz verbieten wollen. In Bern stellten sie im Juni 2009 eine<br />

repräsentative Umfrage vor, welche zeigt: Schweizerinnen und Schweizer<br />

wollen wählen, ob sie Trinkwasser oder Mineralwasser konsumieren.<br />

Ein Verbot von Mineralwasser in Flaschen würde 25000 Arbeitsplätze<br />

gefährden.<br />

Seit Frühjahr 2009 ist Gabriela Manser<br />

ausserdem Präsidentin des SMS Verband<br />

Schweizerischer Mineralwasserund<br />

Soft-Drink-Produzenten – der Are-<br />

27<br />

na, wo sich «Goliaths» und «Davids»<br />

treffen, um gemeinsam Probleme zu lösen<br />

und die Interessen der Branche auf<br />

politischer Ebene zu vertreten.<br />

Kürzlich hat Gabriela Manser den<br />

«Goba-Fonds für Wasser in der Welt»<br />

gegründet, mit dem Wasserprojekte in<br />

der Dritten Welt unterstützt werden.<br />

Und womit erfrischten sich die Zuhörerinnen<br />

und Zuhörer des Gesprächs<br />

mit Gabriela Manser auf <strong>Lilienberg</strong>?<br />

Natürlich mit einem Glas des köstlichen<br />

Flauder, Wonder oder Himml aus<br />

Gontenbad!<br />

97. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 7. Juli<br />

2009 mit Gabriela Manser, Präsidentin<br />

des Verwaltungsrats und Geschäftsführerin<br />

der Mineralquelle Gontenbad AG;<br />

Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>,<br />

vertreten durch Alexandra<br />

Frei, Mitglied des Ehrenteams;<br />

Moderation: Dr. Max Becker


die Schweizerische Nationalbank als<br />

ordnende Hand<br />

die SNB Schweizerische Nationalbank<br />

hatte in ihrer über 100-jährigen<br />

Ge-schichte in den letzten Monaten<br />

wohl eine ihrer anspruchsvollsten aufgaben<br />

zu bewältigen: Sie hat in den<br />

schwierigsten Phasen der weltweiten<br />

Finanzkrise ihre leitfunktion wahrgenommen<br />

und einen massgeblichen<br />

Beitrag geleistet, das schweizerische<br />

Finanzsystem durch die turbulenzen<br />

zu navigieren.<br />

am 22. September 2009 war dr. Jean-<br />

Pierre roth, Präsident des direktoriums<br />

der Nationalbank und Gouverneur<br />

des internationalen Währungsfonds,<br />

auf dem lilienberg zu Gast und<br />

berichtete über seine Erfahrungen als<br />

«Steuermann in äusserst unruhigen<br />

Zeiten» sowie die aufgaben an der<br />

Schnittstelle zwischen Politik, Gesellschaft<br />

und Finanzmarktaufsicht.<br />

Von Dr. Max Becker<br />

das Schlimmste vermieden<br />

Die Zeit der Finanzkrise in den letzten<br />

zwölf Monaten bedurfte dringend ordnender<br />

Hände: Nachdem das System<br />

der kommunizierenden Röhren zwischen<br />

den kommerziellen Banken zum<br />

Erliegen gekommen war, mussten die<br />

Zentralbanken sicherstellen, dass «das<br />

System» nicht kollabierte. Dass dabei<br />

eine Vielzahl von «players» ihren Beitrag<br />

zu leisten hatten, machte die Aufgabe<br />

komplexer: Nebst der SNB waren<br />

G E S P r Ä C H<br />

die Regierung, die Verwaltung, die Finma<br />

Finanzmarktaufsicht sowie die Geschäftsbanken<br />

selbst auf allen Stufen<br />

gefordert – und der Einfluss der Medien<br />

in dieser sehr heiklen Phase der Finanzkrise<br />

war nicht zu übersehen. Die<br />

Sicherstellung der Geldversorgung des<br />

Landes, «normalerweise» eine unter<br />

vielen Aufgaben der SNB – beispielsweise<br />

nebst der Inflationsbekämpfung<br />

– wurde über Nacht zur zentralen Aufgabe.<br />

Das Vertrauen in die Fähigkeit des<br />

Bankensystems – und vor allem auch<br />

das Vertrauen zwischen den Geschäftsbanken<br />

– war nicht mehr vorhanden,<br />

aber die Zuversicht zur ordnenden<br />

Hand der SNB war zu keinem Zeitpunkt<br />

in Frage gestellt: Politik und<br />

Wirtschaft waren sich für einmal einig:<br />

Ohne das überlegte Handeln der SNB<br />

wären massgebliche Finanzströme der<br />

Schweiz zum Erliegen gekommen. Ein<br />

Kollaps – von leeren Bankomaten bis<br />

zu nicht mehr verarbeiteten Zahlungsaufträgen<br />

– hätte unübersehbare Konsequenzen<br />

weit über den Wirtschaftsplatz<br />

Schweiz hinaus gehabt. Der SNB<br />

ist es zu verdanken, dass dieses Horrorszenario<br />

nicht eingetreten ist.<br />

Klar war auch allen Beteiligten, dass<br />

die Schweiz ihre Handlungen zur Überwindung<br />

der Krise nicht isoliert vornehmen<br />

konnte, sondern dass die einzelnen<br />

Schritte mit den supranationalen<br />

Organisationen wie der EZB Europäische<br />

Zentralbank, der BIZ Internationale<br />

Bank für Zahlungsausgleich und dem<br />

28<br />

Dr. Jean-Pierre Roth<br />

IWF Internationaler Währungsfonds zu<br />

koordinieren sein würden – in Gefahr<br />

war ja nicht nur die schweizerische<br />

Finanzwirtschaft, sondern es war eine<br />

finanzwirtschaftliche «Pandemie».<br />

Besonnenes Handeln<br />

Dr. Jean-Pierre Roth zeichnete anlässlich<br />

des <strong>Lilienberg</strong>-Gesprächs zunächst<br />

seinen Werdegang nach: Als Sohn des<br />

Posthalters von Saxon VS war ihm eine<br />

Führungsfunktion nicht in die Wiege<br />

gelegt – nach Studien am HEI Institut<br />

Universitaire de Hautes Etudes Internationales<br />

in Genf und am Massachusetts<br />

Institute of Technology in Cambridge<br />

(USA) trat er 1979 in die Dienste der<br />

SNB ein. 1996 wurde Dr. Roth zum<br />

Vizepräsidenten und 2001 zum Präsidenten<br />

des Direktoriums ernannt. Er ist<br />

daneben schweizerischer Gouverneur


des IWF und war während drei Jahren<br />

Verwaltungsratspräsident der BIZ. Per<br />

Ende 2009 hat er seinen Rücktritt als<br />

Präsident der SNB eingereicht. Angesprochen<br />

auf einen möglichen Wechsel<br />

in die Politik nach dem Rücktritt,<br />

vertrat Dr. Roth dezidiert die Meinung,<br />

dass für die Glaubwürdigkeit der Bank<br />

eine Verflechtung mit den politischen<br />

Parteien nicht wünschbar sei. (Ihm würden<br />

nach seinem Ausscheiden aus den<br />

Diensten der SNB bestimmt alle Türen<br />

offen stehen – es scheint jedoch, dass<br />

«servir et disparaître» wohl den Leitgedanken<br />

von Dr. Roth am besten umschreibt).<br />

Auch schwor Dr. Roth dem<br />

Persönlichkeitskult der heutigen Zeit<br />

ab. Seine wohltuend zurückhaltende<br />

Art des Auftritts auf dem <strong>Lilienberg</strong> unterstrich<br />

diese Aussagen.<br />

Unternehmerische tugenden<br />

Im Gespräch hob Dr. Roth einige Faktoren<br />

hervor, welche er als unabdingbar<br />

erachtet: Zunächst die ausgezeichnete<br />

internationale Vernetzung der<br />

SNB, die Kontinuität und Berechenbarkeit<br />

der Amtsführung und die vollständige<br />

Transparenz der Geschäfte,<br />

die Teamarbeit innerhalb des Instituts.<br />

Die SNB nimmt eine Scharnierfunktion<br />

zwischen Regierung und Verwaltung,<br />

kommerziellen Banken und der<br />

Finma wahr, ihre Entscheide bezüglich<br />

Geld- und Zinspolitik trifft das Direktorium<br />

der Bank jedoch unabhängig<br />

(wiewohl in Abstimmung mit den<br />

anderen Zentralbanken). Die Bewältigung<br />

von «Spezial-Situationen» wie<br />

z.B. die Aufgaben im Zusammenhang<br />

G E S P r Ä C H<br />

mit dem Bergier-Bericht oder die Goldverkäufe<br />

waren schon «vor der Krise»<br />

anspruchsvolle Aufgaben. Aber erst die<br />

Finanzkrise rückte die Wichtigkeit der<br />

SNB ins Bewusstsein vieler Bürger und<br />

Bürgerinnen. Und dass nebenbei die<br />

SNB eine gern gesehene «Geschäftspartnerin»<br />

der Kantone ist, belegte die<br />

Anfrage des thurgauischen Finanzdirektors<br />

nach der Ausschüttung weiterer<br />

SNB-Gewinne in der Zukunft.<br />

Ungeteilte anerkennung<br />

Die SNB weist für den Zeitraum seit<br />

dem 1. Januar 2009 ein erfreuliches<br />

Ergebnis aus: annähernd CHF 7Mia.<br />

Gewinn in den ersten neun Monaten.<br />

Dr. h.c. Walter Reist: anerkennende Worte für Dr. Jean-Pierre Roth<br />

29<br />

Massgeblichwaren der in schwindelerregende<br />

Höhen gekletterte Goldpreis,<br />

gute Erträge im Fremdwährungsgeschäft<br />

sowie die Tatsache, dass sich die<br />

ausgelagerten «toxischen» UBS-Wertpapiere<br />

nicht negativ auf das Ergebnis<br />

ausgewirkt haben. Das Management<br />

dieser Schrottpapiere erfordert viel Fingerspitzengefühl<br />

und ein feines Gespür<br />

für das richtige Timing: In den ersten<br />

neun Monaten des Jahres wurde der<br />

Bestand von CHF 39 auf 21 Mia. abgebaut.<br />

Ausserdem wurde die Beteiligung<br />

an der UBS mit einem Gewinn vonCHF<br />

1,2 Mia. verkauft –alles Transaktionen<br />

unter der Leitung von Jean-Pierre Roth,<br />

die ihm die praktisch ungeteilte Anerkennung<br />

von Politik und Wirtschaft<br />

einbrachten.


Führungsfunktion der SNB zum Wohle<br />

der Schweiz<br />

Die SNB ist keine Unternehmung im<br />

klassischen Sinn, aber die wegleitenden<br />

Tugenden sind dieselben: Weitblick,<br />

Sinn für das Ganze, Transparenz<br />

und Verlässlichkeit – von Jean-Pierre<br />

Roth vorgelebt. Dass die SNB über der<br />

Politik steht, war eigentlich klar – in<br />

den finsteren Stunden der Finanzkrise<br />

hat sie den Tatbeweis erbracht, dass<br />

das keine Worthülse ist. Noch haben<br />

sich die Wolken über dem Finanzplatz<br />

Schweiz nicht verzogen, aber es gibt<br />

wieder etwas Zuversicht. Der «Patient<br />

Finanzplatz» war in der Intensivstation<br />

– jetzt ist er zwar noch nicht genesen,<br />

aber für die positiven Ergebnisse der<br />

nun folgenden «Rehabilitation» ist der<br />

Patient nicht zuletzt auch selbst verantwortlich!<br />

Der Finanzplatz Schweiz ist<br />

auch nicht Selbstzweck, sondern er ist<br />

die Schlagader des Werk-, Denk- und<br />

Handelsplatzes Schweiz.<br />

Dr. Jean-Pierre Roth hat einen unübersehbaren,<br />

massgeblichen Beitrag<br />

in einer ausserordentlich schwierigen<br />

Zeit zum Wohlergehen des Landes geleistet.<br />

Er hat die Anerkennung dafür<br />

nicht gesucht, aber er hat sie – wie kein<br />

Zweiter – verdient.<br />

98. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 22. September<br />

2009 mit Dr. Jean-Pierre Roth,<br />

Präsident des Direktoriums der Schweizerischen<br />

Nationalbank, Zürich; Gastgeber:<br />

Dr. h.c. Walter Reist; Moderation:<br />

Dr. Max Becker und Anton Bucher<br />

G E S P r Ä C H<br />

dr. med. Christoph Markwalder:<br />

arzt und Kriminalist<br />

als rechtsmediziner ist er bei seiner<br />

täglichen arbeit oft mit Situationen<br />

konfrontiert, die sehr belastend sein<br />

können und für den «Normalbürger»<br />

wohl schwer zu ertragen wären. Wie<br />

kam er zu dieser tätigkeit? Wie findet<br />

er die distanz und den nötigen<br />

ausgleich? dr. med. Christoph Markwalder,<br />

leitender arzt am institut für<br />

rechtsmedizin, Kantonsspital St. Gallen,<br />

stand anlässlich des lilienberg-<br />

Gesprächs vom 29. September 2009<br />

rede und antwort zu diesen Fragen<br />

und solchen zu seiner Person.<br />

Von Dr. med. Peter Eichenberger<br />

Nachdem sehr stimmungsvollen Klavierspiel<br />

vonFrauCamurtas befassten<br />

wir uns zunächst mit dem Werdegang<br />

von Dr. med. Christoph Markwalder.Als<br />

Sohn einesArztes besuchte er die<br />

Schulen in Baden und absolvierte dann<br />

das Medizinstudium in Basel. Schon früh<br />

fühlte er sich zur Rechtsmedizin hingezogen.<br />

Dies nicht etwa, weil er sichvon<br />

den manchmal seltsamen Gestalten,<br />

wie wir sie aus Kriminalfilmen kennen,<br />

angezogen fühlte, sondern weil ihn das<br />

breit gefächerte, in die verschiedensten<br />

Spezialgebiete der Medizin reichende<br />

Fachwissen und vor allem die Kriminalistik<br />

interessierten. Erleichtert habe ihm<br />

den Entscheid auch die Tatsache, dass<br />

sein Vater zu Hause die tägliche Praxis<br />

und den Umgang mit Patienten nicht nur<br />

30<br />

Dr. med. Christoph Markwalder<br />

gelobt habe. Christoph Markwalder absolvierte<br />

seine Fort- und Weiterbildung<br />

vorwiegend an Instituten für Rechtsmedizin.<br />

Auch die Lehrtätigkeit bei der Ausbildung<br />

vonAngehörigen verschiedener<br />

Berufe im Gesundheitswesen gehört zu<br />

seinen Aufgaben.<br />

Für seine Frau und die drei Kinder sei<br />

seine Tätigkeit nie ein Problem gewesen,<br />

habe er doch die «Greuelgeschichten»<br />

stets im Institut gelassen. Der Beweis<br />

dafür sei, dass eine Tochter einen<br />

ähnlichen beruflichen Weg eingeschlagen<br />

habe wie er. Zudem seien viele Untersuchungen<br />

Routine und hätten nicht<br />

immer mit aussergewöhnlichen Ereignissen<br />

zu tun. Auch für ihn selber sei<br />

die Konfrontation mit besonderen Fällen<br />

bisher eigentlich nie eine Belastung


gewesen. Emotionen dürften nicht dominieren.<br />

Die Analysen müssten nach<br />

sachlichen und klaren wissenschaftlichen<br />

Kriterien durchgeführt werden.<br />

Nach dem Kontakt mit Angehörigen<br />

von Opfern befragt erklärte Dr. Markwalder,<br />

dass dieser recht häufig stattfinde.<br />

Er stelle immer wieder fest, wie<br />

wichtig es für die Angehörigen und für<br />

deren Trauerarbeit sei, beispielsweise<br />

beim Tod eines Kindes, aus erster Hand<br />

über die Todesursache informiert zu<br />

werden oder zu erfahren, ob jemand<br />

vor dem Tod noch habe leiden müssen.<br />

Kurzfristig sei eine Autopsie für Angehörige<br />

oft lästig, weil sie Zeit brauche und<br />

Umtriebe verursache, langfristig sei sie<br />

aber eine Erleichterung, weil sie Klarheit<br />

verschaffe. Zudem sei sie oft auch<br />

aus versicherungstechnischen Gründen<br />

von Bedeutung.<br />

In der Armee ist Dr. Markwalder<br />

Chef des pathologischen und rechtsmedizinischen<br />

Dienstes. Vor allem aus<br />

Interesse, aber auch wegen seiner zivilen<br />

und militärischen Kenntnisse stellte<br />

er sich freiwillig für Auslandeinsätze<br />

zur Verfügung, so beispielsweise 1998<br />

bei der Identifikation von Leichen nach<br />

dem Absturz der Swissair-Maschine bei<br />

Halifax und 1999 im Auftrag des Kriegsverbrechertribunals<br />

im Kosovo für die<br />

Exhumierung von Leichen aus Massengräbern.<br />

Auftrag war primär der Nachweis<br />

von Kriegsverbrechen und nicht<br />

die Identifikation von Leichen. Unter<br />

strengen Sicherheitsvorkehrungen und<br />

unter den Augen der lokalen Bevölkerung<br />

arbeitete ein internationales Team<br />

im Felde. Dr. Markwalder erläuterte die<br />

aussergewöhnliche Situation mit einigen<br />

Bildern. Die Bevölkerung erwarte-<br />

G E S P r Ä C H<br />

Von links: Dr. med. Christoph Markwalder, Alexandra Frei, Dr. med. Peter Eichenberger<br />

te natürlich vor allem Klarheit über den<br />

Verbleib und das Schicksal von Angehörigen.<br />

Leichen konnten anhand von<br />

Kleidungsstücken und anderen Merkmalen<br />

identifiziert und dann durch ihre<br />

Familien ordentlich bestattet werden,<br />

was für deren Trauerarbeit sehr wichtig<br />

war. Manchmal genügte dazu offenbar<br />

auch ein Teil einer Leiche.<br />

In der Diskussion wurde vor allem<br />

auch nach dem Stellenwert und der<br />

Verlässlichkeit der DNA-Analysen und<br />

dem dazu nötigen Vorgehen gefragt.<br />

Auch die Verarbeitung von belastenden<br />

Eindrücken kam wiederholt zur<br />

Sprache. Alexandra Frei, Vertreterin der<br />

<strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong> bzw. von Gastgeber<br />

Dr. h.c. Walter Reist, gab zu bedenken:<br />

«Probleme sollen nicht verdrängt und<br />

damit zur psychischen Belastung werden,<br />

sondern versachlicht und in Wor-<br />

31<br />

te gefasst, wie dies bei Dr. Christoph<br />

Markwalder geschieht. Derart haben<br />

wir es aus der Art der Präsentation fühlen<br />

können!»<br />

99. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 29. September<br />

2009 mit Dr. med. Christoph<br />

Markwalder, Leitender Arzt am Institut<br />

für Rechtsmedizin, Kantonsspital<br />

St. Gallen; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />

durch Alexandra Frei, Mitglied des Ehrenteams;<br />

Moderation: Dr. med. Peter<br />

Eichenberger


dass Huber+Suhner trotz deutlich<br />

weniger Umsatz auch in der schwierigen<br />

Wirtschaftslage schwarze Zahlen<br />

schreibenkann,erklärteUrsKaufmann,<br />

Vorsitzender der Konzernleitung: Mit<br />

rechtzeitig getroffenen Kosteneinsparungen,<br />

der in den letzten Jahren<br />

erfolgreich angestrebten diversifizierung<br />

in die drei technologien Hochfrequenz,<br />

Niederfrequenz und Fiberoptik<br />

sowie den drei konsequent bearbeiteten<br />

Märkten Kommunikation, transport<br />

und industrie hat man den unternehmerischen<br />

Erfolg aufrechterhalten.<br />

anlässlich des lilienberg-Gesprächs<br />

vom 8. oktober 2009 erfuhren die<br />

teilnehmenden mehr über den Menschen<br />

Urs Kaufmann und sein unternehmerisches<br />

Wirken.<br />

Von Fritz Bächi<br />

ir hatten in den Jahren 2001/02<br />

«Weine Existenz bedrohende Krise,<br />

wir haben daraus gelernt und nun<br />

wirken die Massnahmen der letzten<br />

Jahre, so dass wir heute nicht mehr von<br />

einer Krise, sondern von einer Herausforderung<br />

sprechen können.»<br />

Urs Kaufmann, der im Jahre 1994,<br />

nach ersten Berufserfahrungen in der<br />

Schweiz und den USA, die Leitung einer<br />

Tochtergesellschaft von Huber+Suhner<br />

übernahm, von 1997 bis 2000 Geschäftsbereichsleiter<br />

und Mitglied der<br />

Geschäftsleitung der Huber + Suhner<br />

AG war und seit 2001 Mitglied sowie ab<br />

2002 Vorsitzender der Konzernleitung<br />

ist, erklärte den Erfolg in der heutigen<br />

Zeit mit vier Massnahmen.<br />

■ Strategie<br />

G E S P r Ä C H<br />

«der beste Weg eine Krise zu meistern, besteht<br />

darin, gar nicht in die Krise hineinzukommen.»<br />

Huber+Suhner war früher zu 70% in<br />

der Telekom-Branche mit wenigen<br />

Kunden tätig, bis dieser Markt praktisch<br />

über Nacht einbrach. Darauf wurden<br />

bewusst neue Märkte aufgebaut und in<br />

drei erfolgversprechende Technologien<br />

investiert. Die konsequente Umsetzung<br />

dieser Strategie brachte in den letzten<br />

Jahren ein zweistelliges Wachstum, und<br />

Persönliche Eindrücke<br />

32<br />

die gezielte Diversifizierung gibt heute<br />

Stabilität.<br />

■ lehre aus der abhängigkeit<br />

von Banken<br />

In den schwierigen Jahren war esunmöglich,<br />

von den Banken zu normalen<br />

Konditionen Geld zu erhalten. Huber +<br />

Suhner hat in den letzten Jahren eine Eigenkapital-Basis<br />

von75% erarbeitet, hat<br />

keine Schulden und verfügt über eine Liquidität<br />

vonCHF 150 Mio. 2009 konnte<br />

daher ein neues Werk für CHF 30 Mio.<br />

aus eigenen Mitteln aufgebaut werden.<br />

■ Neuer Führungsansatz<br />

Früher war die Huber+Suhner eine<br />

«Ansammlung» von verschiedensten<br />

Urs Kaufmann lernte ich beim Vorbereitungsgespräch in seinem Büro in Pfäffikon<br />

ZH kennen. Er sprach differenziert und in klaren Konzepten vom Turnaround,<br />

den er mit seinem Führungsteam 2002 schaffte, und wirkte dabei sowohl<br />

zielorientiert und konsequent wie auch bescheiden und menschlich. Urs<br />

Kaufmann erinnert mich in vielem an den «Level-5-Leader», den Jim Collins<br />

in seinem Buch «Der Weg zu den Besten» beschreibt. Collins legt dar, warum<br />

gewisse amerikanische Firmen nachhaltig um ein Mehrfaches erfolgreicher<br />

werden konnten als ihre direkten Konkurrenten. «Der Level-5-Unternehmensführer<br />

sorgt durch eine paradoxe Mischung aus persönlicher Bescheidenheit<br />

und professioneller Durchsetzungskraft für nachhaltige Spitzenleistung.» Und:<br />

«Level-5-Manager sind bereit, absolut alles zu tun, was getan werden muss,<br />

um ein Unternehmen zur Spitze zu führen.» Sie «glauben an die Zukunft» –<br />

ohne die Augen vor den Tatsachen zu verschliessen. Es war beeindruckend, mit<br />

welcher selbstverständlichen Natürlichkeit Urs Kaufmann über seine Tätigkeit<br />

sprach. Er wirkte sehr überzeugend und authentisch. Der Erfolg von Huber +<br />

Suhner ist Ausdruck davon.<br />

Dietrich Pestalozzi, Leiter Aktionsfeld Unternehmenskultur & -ethik


Firmen, heute ist sie eine zentral geführte<br />

Gruppe, die dank einem straffen<br />

Controlling eine hohe Transparenz<br />

aufweist. Es gilt nicht mehr reines Technologiedenken.<br />

Die Führung ist heute<br />

gleichermassen technologie-, finanzund<br />

marktorientiert.<br />

■ rechtzeitig und zügig handeln<br />

Wenn es bereits schlecht geht, hat<br />

man keine Zeit mehr, um überlegt zu<br />

handeln. Vielmehr wird man dann zu<br />

schnittartigen Massnahmen wie Kosten-,<br />

sprich Personalabbau gezwungen.<br />

Es gilt, Signale rechtzeitig zu erkennen.<br />

Die stete Veränderung des Umfeldes ist<br />

zu akzeptieren. Derart hat man Zeit,<br />

überlegt Massnahmen festzulegen und<br />

rasch zu handeln.<br />

Wenn man die Probleme rechtzeitig<br />

erkennt, kann man optimistisch<br />

bleiben, d.h. Zuversicht wecken, der<br />

Mannschaft eine Perspektive vermitteln<br />

und sich mit der Realität gemeinsam<br />

auseinandersetzen. Alle Mitarbeitenden<br />

müssen spüren, dass der Chef<br />

die Situation im Griff hat. Die wichtigste<br />

Führungsaufgabe inschwierigen<br />

Zeiten besteht darin, mit den richtigen<br />

Perspektiven Glauben an die Zukunft<br />

zu schaffen. Dabei ist die offene Kommunikation<br />

zentral: Alle müssen die<br />

Ehrlichkeit spüren – schwierige Botschaften<br />

sind persönlich zuüberbringen.<br />

Dies setzt voraus, dass man in den<br />

guten Zeiten Vertrauen aufgebaut hat,<br />

in den wesentlichen Fragen verstanden<br />

wird, als Chef erfassbar ist und dass<br />

man immer respektvoll miteinander<br />

umgeht.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Von links: Dietrich Pestalozzi, Urs Kaufmann<br />

Es war spannend, Urs Kaufmann persönlich<br />

erleben zu dürfen!<br />

100. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 8. Oktober<br />

2009 mit Urs Kaufmann, Dipl.<br />

Ing. ETH, CEO Huber+Suhner Group,<br />

die level-5-Hierarchie von Jim Collins<br />

33<br />

Pfäffikon; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />

durch Christoph Vollenweider, CEO<br />

Leiter Unternehmertum <strong>Lilienberg</strong>;<br />

Moderation: Dietrich Pestalozzi<br />

Level 5 – Unternehmensführer<br />

Sorgt durch eine paradoxe Mischung aus persönlicher Bescheidenheit und<br />

professioneller Durchsetzungskraft für nachhaltige Spitzenleistung.<br />

Level 4 – Effektiver Manager<br />

Sorgt für Engagement und die konsequente Umsetzung einer klaren und überzeugenden<br />

Vision; stimuliert höhere Leistungsstandards.<br />

Level 3 – Kompetenter Manager<br />

Organisiert Menschen und Ressourcen für eine effektive und effiziente Umsetzung<br />

vorgegebener Ziele.<br />

Level 2 – Team-Mitglied<br />

Trägt mit seinen individuellen Fähigkeiten zum Erfolg der Gruppenziele bei<br />

und arbeitet effektiv mit anderen in einer Gruppe zusammen.<br />

Level 1 – Begabtes Individuum<br />

Erbringt produktive Beiträge durch Talent, Wissen, Fertigkeiten und gute<br />

Arbeitsgewohnheiten.<br />

Jim Collins, Der Weg zu den Besten, Die sieben Management-Prinzipien<br />

für dauerhaften Unternehmenserfolg, DTV München 2001


der Grundgedanke<br />

der Miliz<br />

Unmittelbar nach der denkwürdigen<br />

armeeabschaffungsinitiative im Herbst<br />

1989 wurde KKdt Heinz Häsler Generalstabschef<br />

der armee 95. Für ganze<br />

Generationen von Miliz- und Berufsoffizieren<br />

sowie zivilen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern im damaligen EMd<br />

hat er Massstäbe gesetzt. aufmerksame<br />

Zuhörer sind dem ehemaligen GSC<br />

Generalstabschef der armee 95 anlässlich<br />

des lilienberg-Gesprächs vom 28.<br />

oktober 2009 in die Jahre 1990 bis<br />

1992 gefolgt.<br />

Von Dr. Martin v. Orelli, Divisionär aD<br />

Vielleicht war es zum ersten Mal,<br />

dass man aus berufenem Munde<br />

wesentliche Erkenntnisse zur Entstehung<br />

der Armee 95 erfahren konnte.<br />

So musste der GSC Generalstabschef<br />

zur Kenntnis nehmen, dass es dem GSC<br />

schlicht nicht zusteht, vor der Landesregierung<br />

die konzeptionelle Neuausrichtung<br />

in ihren Wesenszügen zu<br />

präsentieren. Das letzte Mal war es<br />

General Guisan, der vor den Mitgliedern<br />

der Landesregierung aufgetreten<br />

war. Eine kleine Delegation des Bundesrates<br />

hat den GSC dann doch angehört<br />

– mit sehr durchzogenem Interesse.<br />

Auf die Frage, welches aus heutiger<br />

Sicht die besten sowie «falschen»<br />

Entscheide waren, die er damals gefällt<br />

habe, so lassen die Aussagen vom<br />

ehemaligen Generalstabschef Häsler<br />

an Klarheit nicht zu wünschen übrig.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Falsch war, dass es nicht einen Gesamtprojektleiter<br />

gab, sondern dass die Ausbildungsbelange<br />

getrennt bearbeitet<br />

worden sind. Richtig waren u.a. die Entscheide,<br />

die kantonalen Truppen – obwohl<br />

stark reduziert – beizubehalten,<br />

an den wesentlichen Prinzipien der Milizarmee<br />

und an unserem einmaligen<br />

Mobilmachungssystem (inkl Teilmobilmachungsfälle<br />

und Bereitschaftsformationen)<br />

festzuhalten.<br />

Heinz Häsler gilt als eisernerVerfechter<br />

der Milizarmee. Aber er sieht auch<br />

deren mögliche Schwächen. Hart fährt<br />

er mit der radikalen Modernisierung ins<br />

Gericht, nicht dass er etwas gegen eine<br />

Modernisierung hätte, aber eine Milizarmee<br />

kann kurzfristig und flächendeckend<br />

nicht modernisiert werden. Es<br />

wird immer ein Nebeneinander von<br />

modernen und älteren Waffensystemen<br />

und Ausrüstungsgegenständen geben.<br />

34<br />

Heinz Häsler, KKdt aD, ehemaliger<br />

Generalstabschef<br />

Aus verständlichen Gründen werden<br />

in der Diskussion Parallelen zwischen<br />

der Armee 61, der Armee 95 und der<br />

Armee XXI gezogen. Heinz Häsler sieht<br />

eine Hauptschwäche im heutigen System<br />

in der erzwungenen Verjüngung<br />

Von links: Dr. h.c. Walter Reist, Heinz Häsler, Korpskommandant aD, Dr. Martin<br />

von Orelli, Divisionär aD


der Armee. Eine ganz entscheidende<br />

Altersschicht fehlt in Zukunft, insbesondere<br />

auch jene, die direkte Verantwortung<br />

in der Zivilgesellschaft, im eigenen<br />

Betrieb, in der Wirtschaft sowie in der<br />

Politik trägt.<br />

Auf den Sinn und Zweck der Armee<br />

– im heutigen Umfeld – angesprochen,<br />

äusserte sich Heinz Häsler klar. Aus<br />

seiner Sicht fehlt es an der grundlegenden<br />

Motivation. Die Begründungen zur<br />

Existenzberechtigung der Armee sind<br />

allzu diffus. Dabei geht es im weitesten<br />

Sinne um die Sicherheit unserer Bürgerinnen<br />

und Bürger, unserer Familien,<br />

von Land und Volk. Aber das Volk sieht<br />

seine Armee immer weniger, und damit<br />

verschwindet die Verbundenheit zwischen<br />

Volk und Armee immer mehr.<br />

Ein ganz besonderer Moment des<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Anlasses war, Heinz Häsler<br />

als «Schriftsteller» zu hören. Er erklärte<br />

sich bereit, zwei Geschichten aus<br />

«Buobezyt» (im Wesentlichen autobiografische<br />

Aspekte aus seiner Jugendzeit)<br />

vorzulesen. Der Applaus war herzlich<br />

und spontan!<br />

101. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 28. Oktober<br />

2009 mit Heinz Häsler, ehem.<br />

Generalstabschef, Korpskommandant<br />

aD; Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist;<br />

Moderation: Dr. Martin von Orelli,<br />

Divisionär aD<br />

G E S P r Ä C H<br />

Zeitgerechte diskurse und dialoge:<br />

Vorbedingung zur Zukunftsbewältigung!<br />

das 102. lilienberg-Gespräch stand<br />

im Zusammenhang mit dem Zyklus<br />

des aktionsfeldes Politik & Gesellschaft.<br />

die analysen, Statements und<br />

Befindlichkeiten bezogen sich auf zentrale<br />

Fragen wie «Politikverdrossenheit,<br />

Stimmabstinenz, Milizbeteiligung<br />

und Konkordanzdemokratie». – am<br />

2. dezember 2009 wurden mit Prof.<br />

dr. Georg Kohler in einer engagierten<br />

Gesprächsrunde Verhaltensweisen<br />

skizziert und Soll-Vorgaben erörtert.<br />

Von Wilhelm Knecht<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Lendi hiess<br />

als Mitglied des <strong>Lilienberg</strong>rates und<br />

als Vertreter der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong> die Teilnehmenden<br />

zu einem, der Aktualität der Thematik<br />

folgend, diskussionsfreudigen, «konstruktivaufregenden»<br />

sowie auch unternehmerisch<br />

bedachten Gespräch willkommen.<br />

Christoph Vollenweider, Gesprächsleiter,<br />

CEO und Leiter «Unternehmertum<br />

<strong>Lilienberg</strong>», eröffnete den Dialog<br />

mit Prof. Dr. Kohler mit der Frage «Sie<br />

sind Professor für Politische Philosophie<br />

an der Universität Zürich: Können Sie<br />

uns kurz erklären, was wir darunter verstehen<br />

müssen?<br />

Prof. Dr. Kohler: Eine umfassende<br />

Antwort würde geraume Zeit beanspruchen.<br />

Aber schon wenige Kernpunkte<br />

vermitteln wohl Klarheit: Politik steht<br />

beispielsweise in Interdependenz mit<br />

35<br />

Rechtsstaatlichkeit, somit auch mit Gerechtigkeit.<br />

Die Philosophie als solche<br />

steht auch in Bezug zur abendländischen,<br />

westlichen Kultur. Das griechische<br />

Wort «Polis» steht sozusagen<br />

stellvertretend für Gesellschaft, Öffentlichkeit,<br />

somit für den Staat. Eine der<br />

Grundfragen hierbei: «Was ist für das<br />

Gesamtwohl im Staat erforderlich?» –<br />

Davon ableitbar sind dann Fragen wie<br />

«Was ist der Staat? Was bedeutet Recht?<br />

Welches sind die Ziele? Was muss ich<br />

und was müssen wir tun?» Die Fragestellungen<br />

sind also stets auch aus dem<br />

Blickwinkel des Kollektivs und der Ethik<br />

zu betrachten.<br />

Auf die heutige Schweiz bezogen:<br />

Unser Staat basiert auf Souveränität,<br />

verbunden mit Unabhängigkeit und<br />

Eigenständigkeit. Zu den Grundwerten<br />

zählen Föderalismus und direkte<br />

Demokratie. Spannungsfelder sind<br />

also vorprogrammiert, wie etwa unsere<br />

Verhältnisse im internationalen bzw.<br />

globalen Umfeld, konkret etwa zur<br />

EU, zum Europäischen Gerichtshof in<br />

Strassburg usw. Hierbei gilt es, fundamentale<br />

Fragen anzugehen, verbunden<br />

mit Klarheit, wie sich die Schweiz weiterentwickeln<br />

soll.<br />

Christoph Vollenweider: Sie sind in<br />

Konolfingen geboren worden. Können<br />

Sie uns etwas über Ihre Herkunft, Ihr<br />

Umfeld und über Ihre Lern- und Studienjahre<br />

verraten? –Ihrem Curriculum<br />

Vitae haben wir auch entnommen,<br />

dass Sie früher unternehmerisch tätig<br />

waren. Was ist für den damaligen


Georg Kohler für den heutigen Professor<br />

Kohler wichtig?<br />

Prof. Dr. Kohler: Ich lebe schon 50<br />

Jahre in Zürich, aber ich bin eigentlich<br />

immer noch Emmentaler. Meine ersten<br />

zehn Lebensjahre haben mich stark<br />

ländlich geprägt. Ich wurde in eine katholische<br />

Familie hinein geboren, dies<br />

in einer Diaspora-Gemeinde. So erfuhr<br />

ich schon früh, wie man sich in<br />

einer Minderheit fühlt. Das war spannend!<br />

Da lernte man auch mit gewissen<br />

Situationen der Abgrenzung bzw. der<br />

«Auswahl» umzugehen. Zu Konolfingen:<br />

In meiner Jugendzeit gab es dort<br />

noch so etwas wie ein Wahrzeichen:<br />

das Hochkamin, der sozusagen in den<br />

Himmel reichende Turm der Berneralpen-Milchgesellschaft.<br />

Er wurde in der<br />

Zwischenzeit abgerissen. Heute fehlt er<br />

Curriculum Vitae<br />

G E S P r Ä C H<br />

mir irgendwie! – Erinnert sei an Friedrich<br />

Dürrenmatt, der ebenso in Konolfingen<br />

aufwuchs. «Ich bin kein Dorfschriftsteller,<br />

aber das Dorf brachte<br />

mich hervor», schrieb er, auf den ländlichen<br />

Mikrokosmos zurückblickend, in<br />

seinen autobiografischen «Stoffen».<br />

Zu meiner Studentenzeit: Ich stand<br />

nahe der 68er-Generation. Die Nachhaltigkeit<br />

der Nachkriegsjahre endete<br />

erst etwa gegen Mitte der 60er Jahre.<br />

Dann suchte man als Jugendlicher Alternativen<br />

zum Herkömmlichen. Das<br />

erforderte auch Mut, zuweilen gepaart<br />

mit einer gewissen Skepsis gegenüber<br />

den Institutionen bzw. gegenüber etablierter<br />

Macht. Ich fühlte und handelte<br />

stets als Liberaler! Ich betätigte mich<br />

auch als Studenten-Redaktor, dies für<br />

die Zeitschrift «Zürcher Student».<br />

Prof. Dr. Georg Kohler wurde 1945 in Konolfingen (Emmental) geboren. Sein<br />

Philosophiestudium absolvierte er an den Universitäten in Zürich und Basel.<br />

1973 schloss er sein Studium ab und promovierte 1977 als Dr. phil. I. Parallel<br />

begann Prof. Kohler 1971 sein Jurisprudenz-Studium, welches er 1979 mit lic.<br />

iur. beendete.<br />

1987 erhielt er seine Habilitation und 1989 übernahm er für das Sommersemester<br />

die Vertretung des Lehrstuhls für politische Philosophie an der Universität<br />

Zürich und von 1992 bis 1994 die gleiche Funktion am Geschwister<br />

Scholl-Institut für politische Wissenschaften der Universität München.<br />

Seit 1994 übt er seine Tätigkeit als ordentlicher Professor für Philosophie an<br />

der Universität Zürich aus, mit besonderer Berücksichtigung der politischen<br />

Philosophie.<br />

Prof. Dr. Georg Kohler war im Weiteren längere Zeit – bis 2006 – Mitglied des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates des Liberalen Instituts in Zürich.<br />

Im Frühling 2010 erscheint im NZZ-Verlag der Essay «Bürgertugend und Willensnation.<br />

Über den Gemeinsinn und über die Schweiz».<br />

36<br />

«Die Schweiz definiert sich durch<br />

die direkte Demokratie stets wieder<br />

von neuem.»<br />

Prof. Dr. Georg Kohler<br />

Meine Zeit als unternehmerisch Mitverantwortlicher<br />

umfasste die Jahre<br />

1981 bis 1991. Ich war Publizist und<br />

Mitglied der Geschäftsleitung eines<br />

Familienunternehmens, eines bedeutenden<br />

Buchhandel-Zentrums in Wien.<br />

Aus dieser Führungserfahrung resultiert<br />

unter anderem die Erkenntnis, dass ein<br />

Unternehmer eigentlich nicht «genial»<br />

sein muss. Er bedarf indessen der Fähigkeit<br />

des «Tuns des Fälligen». Er muss sich<br />

nicht primär auf langfristig angelegte<br />

grosse Visionen stützen können. Wichtiger<br />

ist es, innerhalb überschaubarer Zeithorizonte<br />

Zielsetzungen zu definieren.<br />

Hierzu zählen auch Aktionsvariablen,<br />

welche –wie ich esinder genannten<br />

Branche erlebt habe –inAllianzen bzw.<br />

Kooperationen liegen können. – Von<br />

vorrangiger Bedeutung ist die richtige<br />

Auswahl der Mitarbeitenden!<br />

Christoph Vollenweider: Wechseln<br />

wir zum zentralen Thema des heutigen<br />

Gesprächs. Sie forschen über das<br />

Selbstverständnis der Schweiz, daneben<br />

haben Sie auch über das Gemeinwohl<br />

geforscht. Unsere Veranstaltung<br />

steht im Zusammenhang mit unserem<br />

Zyklus Politikverdrossenheit, Stimmabstinenz,<br />

Milizbeteiligung. – Wie weiter<br />

mit der Konkordanzdemokratie? – Hat<br />

Gemeinwohl etwas mit unserem Milizgedanken<br />

zu tun?<br />

Zum Wesen der schweizerischen<br />

Demokratie gehört die breite Anteil-


nahme der Bürger und Bürgerinnen<br />

an den Res Publica, d.h. an den politischen<br />

Dingen, einhergehend mit dem<br />

Prinzip der föderalistischen Ordnung.<br />

Deren Ziel ist der Schutz der kleinräumigen,<br />

selbst bestimmten politischen<br />

Körperschaft. Sowohl die partizipative<br />

Demokratie wie die föderalistische<br />

Idee bedingen in hohem Masse die<br />

Bereitschaft der Menschen, sich ausdauernd,<br />

aber (mehr oder weniger)<br />

unbezahlt, freiwillig, aber freizeitraubend,<br />

kompetent, aber nicht professionell,<br />

mit Politik zu beschäftigen: mit<br />

Fragen des öffentlichen Wohls, auch<br />

auf Stufe Gemeinde. Trotz dieser direkten<br />

Betroffenheit ist aber das Milizprinzip<br />

(u.a. auf kommunaler Ebene)<br />

stark gefährdet und unübersehbar an<br />

die Grenzen seiner Brauchbarkeit gelangt.<br />

–Vieles von dem, was wir lange<br />

Zeit der politischen Freiwilligenarbeit<br />

anvertrauen konnten, wird bald<br />

einmal auf andere Weise zustande<br />

gebracht werden müssen. Die Konsequenz<br />

eines Milizsystems, das mangels<br />

Bürger(innen)-Beteiligung verdorrt,<br />

ist rasch erkannt: Entweder man<br />

verzichtet ganz auf die einst mit ihm<br />

verbundenen Leistungen oder man<br />

findet (und erfindet) für sie neue Anbieter:<br />

private Firmen und grossräumige<br />

Zweckverbände. Solche Lösungen<br />

könnten gar billiger sein. Bei radikaler<br />

Reform der Zuständigkeiten und<br />

weitgehender Delegation der Services<br />

publiques an privatwirtschaftliche Unternehmen<br />

sind zweifellos Effizienzgewinne<br />

zu erwarten, dank Standardisierung,<br />

Professionalisierung usw.<br />

Für die Ebene der kleineren und<br />

mittleren Gemeinden heisst das also:<br />

G E S P r Ä C H<br />

von links: Prof. Dr. Georg Kohler,<br />

Christoph Vollenweider<br />

weitgehende Abkoppelung der öffentlichen<br />

Dienste von freiwilliger oder<br />

schlecht salarierter Bürgertätigkeit. Die<br />

meisten politischen Gemeinden hätten<br />

in den bestehenden Formen ihre Existenzberechtigung<br />

verloren und wären<br />

nun auch formell aufzulösen, nachdem<br />

ihre Bürger und Bürgerinnen sie<br />

materiell (durch Abstinenz und Passivität)<br />

schon abgeschafft haben. Parlamente<br />

wären nur noch auf kantonaler<br />

Ebene einzurichten. Auch bei den öffentlichen<br />

Schulen (zum Teil Pivatisierung),<br />

bei der Polizei (teilweise Securitasgesellschaften)<br />

usw. bestände dann<br />

Reformbedarf.<br />

Was wäre schlimm an diesem<br />

Wandel? – Wer begründet, dass die<br />

Schweiz wirklich 2901 Gemeinden<br />

37<br />

braucht (von denen 60% weniger als<br />

1000 Einwohner haben) –und wer behauptet,<br />

dass die helvetische Idee der<br />

direkten Demokratie restlos zugrunde<br />

geht, wenn weitaus die meisten von<br />

uns einfach nicht mehr bereit sind,<br />

die fast 40’000 kommunalen Legislativ-<br />

und Exekutivämter zu übernehmen<br />

(wozu noch 100’000 sonstige öffentlicheKommissions-<br />

und Beiratspflichten<br />

kommen), die das Land in seiner jetzigen<br />

Struktur zu vergeben hat? –Nichts<br />

ist schlimm an der Tatsache, dass wir<br />

in dieser Hinsicht sehr vieles werden<br />

ändern müssen, und niemand sollte<br />

einen Verzicht auf das bisherige Milizsystem<br />

mit dem Untergang der Demokratie<br />

verwechseln!<br />

Aber: Das bedeutet dreierlei nicht:<br />

Erstens, dass das, was wir «Politik» nennen,<br />

plötzlich verschwunden wäre. Es<br />

besagt lediglich, dass sie noch ein bisschen<br />

abstrakter geworden und ein Stück<br />

weiter weg von den unmittelbar Betroffenen<br />

gerückt ist (und zwar durchwegs<br />

«demokratisch», weil die Bürger selbst<br />

auf einen Teil ihrer Einflussmöglichkeiten<br />

verzichtet haben). Zweitens bedeutet<br />

es nicht, dass alle Betroffenen gleichermassen<br />

vom veränderten System<br />

profitieren können (z.B. auch zufolge<br />

«Der Mensch, das Individuum lebt<br />

und verändert sich stets. Derart<br />

verhält es sich auch mit dem Staat!<br />

Auch die politische Kultur bedarf<br />

der Anpassung bzw. Erneuerung. –<br />

Hierzu ist der zeitgerechte Diskurs<br />

jeweils bedeutungsvoll.»<br />

Prof. Dr. Georg Kohler


nicht getroffener Ausgleichsmassnahmen).<br />

Drittens geschieht die (in vielerlei<br />

Hinsicht fällige) Reform des politischen<br />

Lebens auf der Kommunalebene nicht<br />

einfach von selbst. Sie wird unter dem<br />

Druck von Dringlichkeiten und Interessen<br />

«gemacht». – Von wem? Entweder<br />

durch diejenigen, welche die Folgen<br />

von allem zuerst zu tragen haben,<br />

oder von denen, die per Gesetz und<br />

Verfassung als Aufsichtsorgane dazu<br />

bestimmt sind, funktionsfähige Verwaltungen<br />

zu garantieren und führungsunwillige<br />

Selbstbestimmungsgremien<br />

zu ersetzen. Fazit: Gerade dann, wenn<br />

man sich entschlossen hat, vom alteidgenössischen<br />

Milizethos Abschied zu<br />

nehmen, ist zunächst das pure Gegenteil<br />

angesagt: das Engagement und die<br />

Beteiligung der community und ihrer<br />

Mitglieder bei der Suche nach den neuen<br />

Strukturen!<br />

Plenumsdiskussion<br />

Christoph Vollenweider, Moderator,<br />

griff vom Plenum verschiedenste Fragestellungen<br />

und Meinungen auf, um<br />

sie tiefergehend zu erörtern. Im Vordergrund<br />

der Wortmeldungen standen<br />

Ist-/Soll-Überlegungen bezüglich<br />

Milizarmee, Bundesverwaltung und<br />

Migration. Schwerpunkte in der Diskussion<br />

bildeten die Macht der Medien<br />

als vierte Gewalt im Staat bzw. die<br />

Frage nach deren Einfluss auf die Bürger<br />

und Bürgerinnen unter dem Aspekt<br />

deren möglicher «Mainstream»-<br />

Ausrichtung sowie die Defizite bei<br />

der politischen Nachwuchsförderung.<br />

Ein Fokus in der Diskussion lag –we-<br />

G E S P r Ä C H<br />

nige Tage nach dem überraschenden<br />

Ja zum Minarett-Verbot –bei der Erläuterung<br />

relevanter Begriffs- bzw. Inhaltsdefinitionen,<br />

insbesondere bezogen<br />

auf Souveränität (verbunden mit<br />

Unabhängigkeit und Eigenständigkeit),<br />

direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />

sowie Völker-, Grundund<br />

Menschenrechte. –Ein Konsens<br />

bestand darüber, dass die schweizerische<br />

Migrationspolitik dringendster<br />

Debatten bedarf!<br />

«Die Identität der Schweiz steht<br />

in Abhängigkeit der Regierenden<br />

durch die Regierten.»<br />

Gedanken auf den Weg<br />

Prof. Dr. Georg Kohler<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Lendi: «Es wäre<br />

verfehlt, all die uns vermittelten Gedanken<br />

heute und an dieser Stelle unmittelbar<br />

zu gewichten und sie auf einige<br />

wenige Sätze zu reduzieren. Die<br />

Vielfalt der Kriterien, die individuellen<br />

Ansichten und Beurteilungen gebieten<br />

vielmehr, sich nun vertieft und umfassend<br />

mit der Thematik auseinanderzusetzen.<br />

Wir alle tragen die Verantwortung<br />

zum eigenständigen Mit-Denken<br />

und zum nachhaltigen, somit weiteren<br />

Nach- und Voraus-Denken!»<br />

102. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 2. Dezember<br />

2009 mit Professor Dr. Georg<br />

Kohler, Lehrstuhl für Politische Philosophie,<br />

Universität Zürich; Gastgeberin:<br />

38<br />

<strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>,<br />

vertreten durch Prof. Dr. Dr. h.c. Martin<br />

Lendi, Mitglied des <strong>Lilienberg</strong>rates; Moderation:<br />

ChristophVollenweider, CEO,<br />

Leiter Unternehmertum <strong>Lilienberg</strong>.


Von Wilhelm Knecht<br />

Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste<br />

die sich mit den Grundwerten und<br />

somit mit den Voraussetzungen zur<br />

Prosperität der Schweiz befassenden<br />

Persönlichkeiten.<br />

Dr. Peter Forster dankte Dr. h.c. Walter<br />

Reist für die durch ihn initiierte neue<br />

Gesprächsreihe. «Unser Land braucht<br />

gerade auch in schwierigen Situationen<br />

– und in solchen befinden wir uns<br />

auch derzeit – die Aufrechterhaltung<br />

von Freiheit und Unabhängigkeit, somit<br />

Verfechter dieser Werte!»<br />

Ja zur direkten demokratie –<br />

Ja zum Föderalismus: Kerngedanken<br />

der Podiumsmitwirkenden<br />

Nationalrätin Marlies Bänziger: Unsere<br />

Demokratie brachte unserem Land<br />

Stabilität und Zusammenhalt, dies bedeutet<br />

auch Sicherheit. – «Ohne Erneuerung<br />

wird die Schweiz indessen<br />

G E S P r Ä C H<br />

«Ja zur Schweiz»: Ja zur direkten demokratie und<br />

zum Föderalismus – Ja zur Eigenverantwortung<br />

und zur persönlichen Freiheit<br />

der zweite lilienberg-Zyklus «Ja zur Schweiz» wurde am 22. Mai 2008 mit Hervorhebung<br />

der von eidgenössischen Parlamentariern – parteiübergreifend sowie<br />

zusammen mit jungen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern – im Sinne von<br />

«denkanstössen zur Erneuerung des Bundesbriefs» verankerten Wertehaltungen<br />

abgeschlossen. – Nunmehr findet die Gesprächsreihe ihre Fortsetzung: Es fanden<br />

die ausserordentlichen Gespräche Nr. 14/15 statt, dies am 27. august 2009 und<br />

am 1. oktober 2009.<br />

nach wie vor im Abseits stehen.» – Die<br />

Schweiz muss in der Weltgemeinschaft<br />

ihren festen Halt finden. Sie muss hierzu<br />

ihre Stärken einbringen. Zu unseren<br />

Grundwerten zählt auch die Konkordanz.<br />

Meinungsvielfalt ist gefragt, die<br />

freie Meinungsäusserung ist gewollt!<br />

Nationalrätin Marlies Bänziger<br />

Das Ausland interessiert sich für das<br />

schweizerische Gedankengut, auch bezogen<br />

auf die Zusammenarbeit mit der<br />

EU. Diese wünscht sich gewisse Demokratisierungsprozesse.<br />

Die Schweiz sollte<br />

hierbei ihre Erfahrungen einbringen.<br />

Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger<br />

zeigen bezüglich eines allfälligen EU-<br />

39<br />

Beitritts ihre Angst, auchimHinblickauf<br />

Verluste im Rahmen des Föderalismus<br />

und der direkten Demokratie. Die Finanz-<br />

und die Wirtschaftskrise, der Klimawandel<br />

usw. fordern erneuertes Denken<br />

und Handeln. Mit betroffen ist eine<br />

Vielzahl von Bereichen, stellvertretend<br />

seiendieErnährungssouveränität,dieMigration,<br />

das Gesundheitswesen genannt.<br />

Auch neue InitiativenimBildungssystem<br />

und in der Forschung sind erforderlich.<br />

Zudem bedürfen unsere Steuerkonzepte<br />

einer Erneuerung, denn der Staat muss<br />

zu den notwendigen Mitteln kommen,<br />

ohne die Sozialwerke abzubauen. –Da<br />

und dort müssen wir, eben auch innenpolitisch,<br />

allenfalls auch inder Neuordnung<br />

vonGemeinden und Kantonen, reformfreudiger<br />

werden.<br />

Wir brauchen einen schlanken Staat.<br />

Dem Individuum ist Freiraum einzuräumen.<br />

Wir brauchen auf politischer Ebene<br />

einen zeitgerechten und sachlichen<br />

Diskurs. Zur Anpassung bzw. Umsetzung<br />

benötigen wir Mehrheiten. Durch<br />

die Extrempositionen der Parteien werden<br />

Fortschritte verhindert. Die Schweiz<br />

könnte –global betrachtet –Leaderrollen<br />

übernehmen. In einigen Bereichen<br />

haben wir dies bereits bewiesen. Globale<br />

Krisen verlangen globale Lösungen!<br />

Robert Nef: Direkte Demokratie und<br />

Föderalismus sind an sich gleichwertige<br />

und gleich wichtige Prinzipien, aber die<br />

direkte Demokratie funktioniert nur auf<br />

der Basis von kleinen Gemeinschaften,<br />

die miteinander kooperieren, in einem<br />

gewissen Wettbewerb stehen. Entscheidend<br />

ist dabei das am Non-Zentralismus<br />

anknüpfende Verständnis von<br />

Subsidiarität.


Robert Nef<br />

Gemeinsame Probleme sind grundsätzlich<br />

auf der tiefstmöglichen Ebene<br />

zu lösen: auf der privaten und auf der<br />

kommunalen. Die höhere Ebene sollte<br />

nur auf Verlangen der unteren Ebene<br />

eingeschaltet werden, wenn diese nicht<br />

mehr in der Lage ist, das gemeinsame<br />

Problem zu lösen. Dieses Prinzip gehört<br />

zu den wichtigsten Grundregeln des<br />

Zusammenlebens, in marktwirtschaftli-<br />

Christoph Vollenweider<br />

G E S P r Ä C H<br />

chen und föderalistischen Systemen. Es<br />

ist nicht die Zentrale, die immer mehr<br />

Macht will, es sind die Exekutivbehörden<br />

der Kantone und Gemeinden, die<br />

immer mehr Aufgaben an die Zentralbürokratie<br />

abschieben.<br />

Kleinräumige, föderalistische Systeme<br />

sind ideale Biotope des Lernens,<br />

weil sie Raum zum Experimentieren<br />

lassen. Das Erfolgreiche wird kopiert,<br />

das Schädliche vermieden. Nur lernende<br />

Organisationen sind nachhaltig.<br />

Welche politischen, ökologischen,<br />

menschenrechtlichen sowie sozialen<br />

Prioritäten ein direktdemokratisch gewähltes<br />

Weltparlament setzen würde,<br />

ist eine Frage, über die sich vor allem<br />

freiheitsliebende und ökologisch sensible<br />

Europäer Gedanken machen sollten,<br />

bevor sie im globalen Rahmen<br />

«mehr Demokratie» wagen wollen.<br />

Der Föderalismus und der Non-Zent-<br />

legte den Referenten Schlüsselfragen vor. Die zentrale Frage anlässlich des<br />

14. Ausserordentlichen Gesprächs lautete: «Glauben Sie, dass mit dem heute<br />

bestehenden Föderalismus der Schweiz die von Ihnen gewünschte Erneuerung<br />

möglich ist oder stehen wir uns bei der Erneuerung mit dem Föderalismus selber<br />

im Wege?» – Die übereinstimmende Antwort kam einem zweifachen «Ja»<br />

gleich: Die Erneuerung mit dem Föderalismus ist möglich, aber dieser steht uns<br />

da und dort auch im Wege. Es gilt «Ajustierungen» vorzunehmen. Zu beachten<br />

sind hierbei das zeitgerechte Themensetting, somit proaktives statt reaktives<br />

Handeln, sowie das Praktizieren der Konkordanzpolitik.<br />

Beim 15. Ausserordentlichen Gespräch lag der Fokus bei der Beantwortung<br />

der Schlüsselfrage auf der Rolle der Medien als so genannte 4. Macht im Staat.<br />

Hierbei wurde eine höhere Sorgfalt in der Berichterstattung – einhergehend mit<br />

vertieftem Recherchieren und mehr Sach- statt Personenbezug – angemahnt,<br />

dies als Voraussetzung zur direkten Demokratie, die sich auf eine kompetente<br />

und wahrheitsbezogene Meinungsbildung des Souveräns stützen muss.<br />

40<br />

ralismus in der Schweiz sind zu pflegen<br />

und weiter auszubauen, auchinder Sozialpolitik.<br />

Man muss Einnahmen und<br />

Ausgaben wieder zueinander bringen,<br />

dann nimmt auch der Missbrauch ab.<br />

Denn je weniger anonym die sozialpolitische<br />

Umverteilung ist, desto weniger<br />

bürokratische Kontrolle braucht sie und<br />

desto mehr steigt die Bereitschaft zur<br />

Selbstverantwortung. –Der Wegzurück<br />

führt über das Prinzip der Benutzerfinanzierung.<br />

– Entscheidend ist nicht,<br />

was sich in zentralen Apparaten abspielt,<br />

sondern was sich anMöglichkeiten<br />

des Tauschs und der spontanen Hilfe<br />

vonMenschzuMenschentwickelt.<br />

Urs Schnell: Grundsätzlich stehe ich<br />

zur direkten Demokratie. Oft betrachte<br />

ich diese aber als «Notnagel», um dort<br />

noch eingreifen zu können, wo Entscheidungen<br />

nicht einfach hingenommen<br />

werden können.<br />

Urs Schnell<br />

Bei aussenpolitischen Themen wird<br />

die direkte Demokratie für unser Land<br />

oftmals auch zu einem Risiko. Zum<br />

bilateralen Weg: Dieser hat praktisch<br />

immer aussenpolitischen Charakter –<br />

auch dort, wo es sich eigentlich um innenpolitische<br />

Themen handelt.


Aussenpolitische Entscheide, welche<br />

mittelsderdirektenDemokratieherbeigeführt<br />

werden müssten, beinhalten zunehmend<br />

ein hohes Potential an Meinungsmanipulation<br />

und die Kampagnen über<br />

die relevanten Themen sind nicht mehr<br />

darauf ausgerichtet, die Bürger(innen) dialektischsachlichund<br />

konzis vertraut zu<br />

machen. Kontrahenten versuchen, «Argumentationsmonopole»<br />

zu errichten.<br />

Entscheide an der Urne werden stark von<br />

Emotionen geleitet. Die negativen Auswirkungen<br />

für die Unternehmen –gerade<br />

für die Exportwirtschaft, die global auf<br />

ein verlässliches Image angewiesen ist<br />

–könnten immens werden, wenn durch<br />

die direkte Demokratie aussenpolitische<br />

Fehlentscheide gefällt würden.<br />

DasAnsehen der SchweizerWirtschaft<br />

und die so genannte Swissness wurden<br />

seit 1991 merklich und kontinuierlich<br />

geschwächt. Die Gründe liegen nicht<br />

ausschliesslich inden durch die direkte<br />

Demokratie zustande gekommenen Entwicklungen.<br />

Einige davon haben auch<br />

die Wirtschaft und/oder die Politik selber<br />

zu verantworten. Der Beispiele gäbe es<br />

viele: vomEWR-Entscheid im Jahre 1991<br />

bis hin zur Finanzkrise, der Rolle der<br />

Schweizer Banken usw. –Das früher der<br />

Schweizer Wirtschaft entgegengebrachte<br />

Grundvertrauen ist heute «nicht mehr<br />

einfach da». –Die zunehmend entstehenden<br />

«Macht-Asymmetrien» könnten<br />

nach einer Reform der direkten Demokratie<br />

rufen. Das Stimmvolk –ich zähle<br />

mich mit dazu –würde sich indessen<br />

gegen eine Beschneidung der Volksrechte<br />

wehren! –Zur Regelungsdichte und<br />

zur Bürokratie: Eine unheimliche Fülle<br />

von Gesetzen und Verordnungen bremsen<br />

die Unternehmungen, binden Zeit,<br />

G E S P r Ä C H<br />

Know-howund Geld und schaden somit<br />

der Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Ja zur Eigenständigkeit und zur<br />

persönlichen Freiheit: Kerngedanken<br />

der Podiumsteilnehmenden<br />

Nationalrat Dr. Gerhard Pfister: Im<br />

Sinne von Denkanstössen spreche ich<br />

drei Aspekte des Freiheitsbegriffs an:<br />

■ Historisch: Wir verbinden den Begriff<br />

«Freiheit» sehr stark mit dem Jahr<br />

1291. Die Freiheitsidee ist indessen<br />

jünger: ein Kind der Aufklärung. Mich<br />

fasziniert die ungeheure Kraft, die der<br />

Gründung der Vereinigten Staaten zugrunde<br />

liegt: Der Staat überlässt die<br />

Macht der Menschen über andere<br />

Menschen nicht mehr der Willkür von<br />

Herrschern. Er minimiert seine Macht<br />

institutionell auf das Grundlegende<br />

und Allernötigste. Der dritte Präsident<br />

der USA, Thomas Jefferson, schreibt<br />

in der Unabhängigkeitserklärung: «Zu<br />

den unveräusserlichen Grundrechten<br />

gehören life, liberty and the pursuit of<br />

happiness.» Jefferson war gleichzeitig<br />

auchder geistige Konstrukteur des Föderalismus.<br />

–Die Bildung des schweizerischen<br />

Bundesstaates (1848) lehnt<br />

sichinvielen Gedanken an die Gründungsgeschichte<br />

der USA an!<br />

■ Philosophisch: Der Begriff «Freiheit»<br />

ist extrem vielgestaltig. In der politischen<br />

Philosophie wird die negative<br />

Freiheit der republikanischen gegenübergestellt.<br />

Jene bedeutet Abwesenheit<br />

vom regulatorischen Zwang<br />

und ist als Leitidee in die liberale<br />

Ökonomie eingeflossen. Die repub-<br />

41<br />

likanische Freiheit indessen versteht<br />

sich als Abwesenheit von willkürlicher<br />

Herrschaft: Um keine Willkür<br />

zuzulassen sind Gesetze nötig, welche<br />

die Freiheit einschränken.<br />

■ Politisch: Die Schweiz hat es in der<br />

Gründungszeit verstanden, ähnlich<br />

wie die USA, einen Bundesstaat<br />

einzurichten, der institutionell dafür<br />

sorgt, dass die Freiheit der Menschen<br />

maximiert werden kann. Die<br />

direkte Demokratie gibt dem Souverän<br />

die Möglichkeit, die Macht von<br />

Parlament und Regierung massiv<br />

zu beschränken. Der Föderalismus<br />

bricht die Macht der Zentralregierung.<br />

Die Subsidiarität verlagert die<br />

grösstmögliche Zahl an Entscheidungen<br />

auf die tiefstmögliche Ebene. Die<br />

Regierungen sind konkordant zusammengesetzt.<br />

Nationalrat Dr. Gerhard Pfister<br />

Unsere Freiheit ist indessen bedroht,<br />

weil sie selbstverständlich geworden<br />

ist. Sie ist zudem unbequem, weil sie<br />

Eigenverantwortung, Risikobereitschaft<br />

und unternehmerisches Denken fordert.<br />

Freiheit bringt Unsicherheit, Wagnis.<br />

Bis weit in bürgerliche Kreise traut man<br />

dem Staat mehr zu als dem eigenverantwortlichen<br />

Menschen. Zudem wird


der Zeitgeist von den Medien und vom<br />

«Mainstream» mitbestimmt. Wer historische<br />

und ethische Debatten an Kommissionen<br />

delegiert, die ex cathedradas<br />

richtige Geschichts- oder Menschenbild<br />

bestimmen wollen, der ersetzt den<br />

freiheitlichen Diskurs durch willkürlich<br />

festgelegte Denkgebote bzw. Denkverbote.<br />

In diesem Sinne müssten die Bürgerlichen<br />

wieder Mehrheiten schaffen,<br />

welche den etatistischen Lösungen konsequent<br />

liberale Lösungen gegenüberstellen!<br />

Gregor A. Rutz: Freiheit und Sicherheit<br />

stehen in gegenseitiger Abhängigkeit:<br />

ein Spannungsfeld, das so<br />

alt ist wie die Menschheit selbst. Die<br />

Fraumünster-Abtei in Zürich hatte unter<br />

dem grossen Zuwachs vonBeschäftigten<br />

viele Zuwanderer aus der Landwirtschaft.<br />

Man tauschte den Bauernstand,<br />

somit den grösseren Grad der<br />

Freiheit mit der Anstellung als Dienstnehmer<br />

und nahm Freiheits-Einbussen<br />

in Kauf. Auch heute bevorzugt eine<br />

Vielzahl von Leuten höhere Sicherheit<br />

im Eintausch mit Freiheitsminderung.<br />

Zu den Politikerinnen und Politikern:<br />

Alle sprechen von weitestgehender Interessenwahrnehmung<br />

ihrer Wählerinnen<br />

und Wähler.Sie anerkennen somit<br />

den Freiheitsanspruch.<br />

Und die Realität? – Ein Beispiel aus<br />

der Medienpolitik: Wir kämpften für<br />

Freiheit bzw. für die Einführung von<br />

Privat-Radio und Privat-TV. Der Anteil<br />

des Gebührensplittings der SRG beträgt<br />

96%, derjenige für die Privatsender<br />

4%. Als «Gegenrecht» unterziehen sich<br />

die privatwirtschaftlichen Medienunternehmen<br />

staatlichen Auflagen bezüglich<br />

Sendegebiete, Inhalt usw. Staatliche Instanzen<br />

nehmen gar ein Kontrollrecht<br />

wahr. Zudem wird mittels dieses (vermeintlichen)<br />

Supports die Innovationsfähigkeit<br />

der Privatanbieter stark gemindert.<br />

Ein weiteres Beispiel: In Bern arbeiten<br />

um die 35 000 Leute in der Verwaltung.<br />

Sie führen ins Feld, dass es<br />

bei allen Stellen um die Erledigung<br />

durchsParlament vorgegebener Aufgaben<br />

gehe. Dies mag zutreffen, aber bei<br />

Prüfung der zugewiesenen Aufgaben<br />

stösst man geradezu auf Absurditäten.<br />

Unsere Grundsatzfrage: Welches sind<br />

denn die Kernaufgaben unseres Staates?<br />

Welche Verwaltungsstellen sind<br />

gerechtfertigt?<br />

Gregor A. Rutz<br />

G E S P r Ä C H<br />

Einschränkungen sind –ingeschichtlicher<br />

Betrachtung –oft nicht Neuland!<br />

Rauch- und Alkoholverbote gab es schon<br />

in früheren Jahrhunderten. Sie wurden<br />

zumeist wieder aufgehoben. Präventionsmassnahmen<br />

durch den Staat beeinträchtigen<br />

die Mündigkeit der Bürger(innen)!<br />

–Die Politik nimmt zu viel und nicht zu<br />

wenig Kompetenzen in Anspruch. Dies<br />

wirkt sichnicht für,sondern gegen die individuelle<br />

–instarkem Masse auchgegen<br />

die unternehmerische –Freiheit aus!<br />

42<br />

Mario Cortesi: Die Schweiz mit ihrer<br />

direkten Demokratie und ihrer freiheitlichen<br />

Gesellschaftsordnung bietet<br />

Chancen: Man muss sie ergreifen und<br />

muss dafür hart arbeiten.<br />

Ich war knapp dreijährig als mein<br />

Vater starb. Er war Pianospieler aus Italien.<br />

Meine Schweizer Mutter arbeitete<br />

als Verkäuferin, am Wochenende war<br />

sie Kassiererin im Bieler Strandbad. Sie<br />

liess mich in der Schweiz einbürgern:<br />

Die Schulkameraden betrachteten mich<br />

indessen als «Tschingg» und wollten<br />

mich nicht akzeptieren. Mein Stiefvater<br />

forderte, dass ich Schuhreparaturen<br />

usw. selber bezahlte. So war ich nebst<br />

anderen Engagements gezwungen,<br />

nach Schulschluss täglich als Ausläufer<br />

in einer Firma zu arbeiten. Jeden Morgen<br />

stand ich um 4 Uhr auf, um die Aufgaben<br />

zu machen und derart meinem<br />

Schwur, Klassenbester zu sein, nachzukommen.<br />

Später fand ich keine Stelle. General<br />

Motors schrieb mir, meine Zeugnisse<br />

seien für den ausgeschriebenen Funktionsbereich<br />

zu gut. Jetzt im Rückblick<br />

war dies wahrscheinlich mein Glück!<br />

Ich begann zu schreiben, zuerst für<br />

eine, dann für mehrere Zeitungen – ich<br />

verdiente 10 Rappen pro geschriebene<br />

Zeile. Später drehte ich auch Amateurfilme.<br />

Mit 23 Jahren war ich Chefredaktor<br />

einer Bieler Zeitung, mit 25 Jahren<br />

gründete ich das erste unabhängige<br />

Medienbüro in der Schweiz, dies mit<br />

null Franken Startkapital und mit dem<br />

Grundsatz, die Mittel für Investitionen<br />

immer selber zu erarbeiten, also auf<br />

Bankkredite zu verzichten.<br />

Vorerst arbeiteten meine Journalisten<br />

für mehrere grosse Schweizer Tageszei-


Mario Cortesi<br />

tungen, dann begannen wir auch Filme<br />

für das Fernsehen zu drehen. Wir verdienten<br />

wenig. Doch wir hatten unsere<br />

persönliche Freiheit, waren unsere eigenen<br />

Chefs und wir hatten viel Spass<br />

an der Arbeit. Nebst unserer täglichen<br />

Arbeit bildeten wir permanent junge<br />

Journalisten und Filmer aus. Wir konnten<br />

in dieser offenen Demokratie auch<br />

kritisch schreiben – 1978 hatten wir<br />

dann genügend Mittel, um unsere Gratis-Wochenzeitung<br />

BielBienne, die erste<br />

zweisprachige Zeitung der Schweiz,<br />

zu starten. Dann, noch vor der Jahrhundertwende,<br />

die Gründung des zweisprachigen<br />

Fernsehens TeleBielingue,<br />

dies mit einer Partnerfirma zusammen<br />

– und vor zwei Jahren der Rückkauf des<br />

zweisprachigen Bieler Radios Canal 3<br />

von der Tamedia. – Wir gründeten auch<br />

eine unabhängige Bürgerinitiative, die<br />

Freien Bieler Bürger. Derart bestimmten<br />

wir die Gemeindepolitik mit.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Plenumsdiskussionen<br />

Unter der Gesprächsleitung von Dr. Peter<br />

Forster wurden die zu einem vorbehaltlosen<br />

«Ja zur Schweiz» erörterten<br />

Thesen akzentuiert.<br />

Nationalrat Dr. Ulrich Schlüer forderte<br />

eine konsequentere Beachtung<br />

des Subsidiaritätsprinzips und hob zudem<br />

die Bedeutung der Kommunikationspolitik,<br />

gerade auch unter der Perspektive<br />

der durch die Schweiz für die<br />

Wirtschaft gebotenen Standortvorteile,<br />

hervor.<br />

Fühlen – denken – Handeln<br />

Gedanken auf den Weg<br />

Dr. h.c. Walter Reist: Die Statements der<br />

Referenten und die engagierten Wortmeldungen<br />

aus dem Plenum haben<br />

uns – auch im Erkennen der Gefühlslagen<br />

– zum starken Nach-Denken angeregt.<br />

Es geht nun darum, zu handeln:<br />

jede(r) in ihrem/seinem Wirkungskreis.<br />

Wir müssen uns bestreben, Vorbild zu<br />

sein und unsere Wertvorstellungen, somit<br />

auch unsere Denkanstösse zur Erneuerung<br />

des Bundesbriefs, nach aussen<br />

überzeugend vertreten. «Achten<br />

wir in all unserem Tun und Handeln auf<br />

Überschaubarkeit, dies gerade auch im<br />

Zeichen der Globalisierung: Im Klei-<br />

43<br />

nen ist fassbar und überlegbar, was im<br />

Grossen eben oft nicht mehr möglich<br />

ist!»<br />

Ausserordentliche Gespräche «Ja zur<br />

Schweiz»; Nr. 14 vom 27. August<br />

2009 «Ja zur direkten Demokratie – Ja<br />

zum Föderalismus» mit Nationalrätin<br />

Marlies Bänziger, Winterthur, Robert<br />

Nef, Präsident des <strong>Stiftung</strong>srates,<br />

Liberales Institut, St. Gallen, und Urs<br />

Schnell, CEO Brugg Cables, Brugg;<br />

Nr. 15 vom 1. Oktober 2009 «Ja zur<br />

Eigenverantwortung und zur persönlichen<br />

Freiheit» mit Nationalrat Dr.<br />

Gerhard Pfister, Oberägeri, Gregor A.<br />

Rutz, Unternehmer, Zollikon, Mario<br />

Cortesi, Unternehmer, Biel; Gastgeber:<br />

Dr. h.c. Walter Reist; Moderation:<br />

Dr. Peter Forster


die erste Veranstaltung einer neuen<br />

zur Festigung und Weiterentwicklung<br />

unserer armee lancierten lilienberg-<br />

Gesprächsreihe befasste sich mit den<br />

nationalen Sicherheitsinteressen der<br />

Schweiz. am 7. dezember 2009 legten<br />

Botschafter dr. anton thalmann,<br />

Stv. Staatssekretär Eda Eidgenössisches<br />

Departement für auswärtige Angelegenheiten,<br />

Bern, sowie Brigadier<br />

daniel lätsch, direktor der MilaK<br />

Militärakademie an der EtH Zürich,<br />

ihre Sichtweisen dar.<br />

Von Wilhelm Knecht<br />

Christoph Vollenweider, CEO und<br />

Leiter «<strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum»,<br />

begrüsste die Teilnehmenden<br />

zum 21. Ausserordentlichen Gespräch<br />

«Armee», dies in Stellvertretung von<br />

Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>. – «Ich möchte<br />

Ihnen den Leitartikel der NZZ Neue<br />

Zürcher Zeitung vom 14.11.09 mit zu<br />

bedenken geben: ‹Die Debatte über<br />

die Zukunft der Armee muss seriöser<br />

als bisher geführt werden. Angesichts<br />

des bescheidenen Wissensstandes in<br />

der Öffentlichkeit und auch im Parlament<br />

steht hier auch die Armeeführung<br />

in der Pflicht. –Not tut ein Klima<br />

der offenen Diskussion›. Unsere neue<br />

Gesprächsreihe «Armee» möge zu den<br />

Fragen der Sicherheit und der Armee<br />

wertvolle Kenntnisse vermitteln!»<br />

G E S P r Ä C H<br />

Unsere armee braucht<br />

stärkeren politisch-finanziellen rückhalt<br />

Dr. Peter Forster, Gesprächsleiter.<br />

«Wir haben von Bern her schon<br />

während der Sommermonate Signale<br />

vernommen, die auf eine Zuspitzung<br />

der Finanzknappheit für unsere<br />

Armee hindeuteten. Wir danken<br />

Dr. h.c. Walter Reist für seine spontane<br />

Bereitschaft, zugunsten unserer<br />

Armee eine neue Gesprächsreihe zu<br />

eröffnen. Für eine starke, glaubwürdige<br />

Armee ist ein genügend finanzieller<br />

Rückhalt Voraussetzung! –Wir<br />

freuen uns sehr, imHinblick auf zielgerichtete<br />

weitere Überlegungen die<br />

grundsätzlichen Beurteilungen von<br />

zwei renommierten Experten vernehmen<br />

zu dürfen.»<br />

Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />

■ Sicherheitspolitischer Bericht<br />

«Vor zehn Jahren habe ich, damals<br />

als Stv. Generalsekretär des VBS, die<br />

Redaktion des Sicherheitspolitischen<br />

Berichts 2000 koordiniert. – Der Bundesrat<br />

hat nunmehr beschlossen, einen<br />

neuen Sicherheitspolitischen Bericht<br />

vorzulegen. Wir bewegen uns in einem<br />

für die Schweiz turbulenten Umfeld. –<br />

Ich äussere heute meine Gedanken vor<br />

dem Hintergrund des vorläufig weiterhin<br />

gültigen bisherigen Berichts und<br />

der seither eingetretenen Entwicklungen.<br />

Ebenfalls zu berücksichtigen ist<br />

44<br />

Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />

der im September 2009 veröffentlichte<br />

Aussenpolitische Bericht.»<br />

Die Grundsätze der Schweizer Aussen-<br />

und Sicherheitspolitik sind in der<br />

Bundesverfassung verankert: Die Ziele<br />

unserer Aussenpolitik sind «die Wahrung<br />

der Unabhängigkeit der Schweiz»<br />

und die «Wohlfahrt der Schweiz», somit<br />

die Gewährleistung der Sicherheit der<br />

Schweiz und ihres wirtschaftlichen und<br />

sozialen Wohlergehens. Die Verfassung<br />

konkretisiert diese Ziele mit «Linderung<br />

von Not und Armut in der Welt», «Achtung<br />

der Menschenrechte», «Förderung<br />

der Demokratie», «friedliches Zusammenleben<br />

der Völker» und «Erhaltung<br />

der natürlichen Lebensgrundlagen».<br />

Der neue Sicherheitspolitische Bericht<br />

wird die Entwicklungen im Be-<br />

«Eine wichtige Erkenntnis aus der<br />

Globalisierung ist, dass Sicherheit<br />

heute in Netzwerken produziert,<br />

gelebt und geteilt wird.»<br />

Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />

Stv. Staatssekretär, EDA


eich der äusseren und der inneren Sicherheit<br />

seit dem Jahr 2000, dem Datum<br />

des letzten Berichtes, berücksichtigen<br />

müssen. Dabei sind die Schlussfolgerungen,<br />

die aus den Entwicklungen<br />

im äusseren Bereich zu ziehen sind,<br />

kontroverser als diejenigen im inneren<br />

Bereich. Das sticht besonders deshalb<br />

ins Auge, weil das Risiko- und Gefahrenspektrum<br />

selbst auch im äusseren<br />

Bereich weit weniger umstritten ist als<br />

die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen,<br />

zu denen zwei klar gegensätzliche<br />

Meinungen bestehen. Es gibt jene,<br />

die sich für eine stärkere Zusammenarbeit<br />

der Schweiz mit der internationalen<br />

Gemeinschaft einsetzt, und jene,<br />

die dafür hält, dass die Schweiz die<br />

grossen sicherheitspolitischen Herausforderungen<br />

am besten allein bewältigen<br />

sollte.<br />

■ Strategisches Umfeld<br />

Bis zum Ende des Kalten Krieges, d.h.<br />

bis ca. 1990, gehörte die militärische<br />

Bedrohung ganz klar zu den möglichen<br />

existentiellen Gefahren für die Schweiz.<br />

Das Szenario, dass die Schweiz von<br />

einem konventionellen Feind angegriffen<br />

und besetzt wird, ist heute unrealistisch.<br />

Auch wenn die Armee ein zentrales<br />

Instrument unserer Sicherheitspolitik<br />

ist und bleibt, ist es unwahrscheinlich,<br />

dass sie zur Verteidigung unseres<br />

Staatsgebiets eingesetzt werden muss.<br />

Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa<br />

ist die Schweiz in einer sehr günstigen<br />

Position. Die NATO mit heute<br />

28 Mitgliedern und die EU mit 27<br />

haben den Kontinent sicherheitsmässig<br />

G E S P r Ä C H<br />

«Andere Staaten von grösserem<br />

Gewicht als die Schweiz sind der<br />

Auffassung, dass die neuen Herausforderungen<br />

nur in internationaler<br />

Kooperation zu bewältigen sind.»<br />

Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />

Stv. Staatssekretär, EDA<br />

und wirtschaftlich-sozial stabilisiert.<br />

Die sinkenden Rüstungsausgaben, gerade<br />

auch in der Schweiz, reflektieren<br />

diesen Umstand. Allerdings muss sich<br />

die Schweiz der Frage stellen, was sie<br />

angesichts dieses Sicherheitsgewinns –<br />

dank Anstrengungen Dritter – zu deren<br />

gemeinsamen Friedensförderung an der<br />

Peripherie Europas beizutragen in der<br />

Lage bzw. gewillt ist.<br />

■ demographische Entwicklung<br />

Handlungsdruck kommt auch aus einer<br />

anderen Ecke. Der Bundesrat ist<br />

zum Schluss gekommen, dass die Armee<br />

den demographischen Gegebenheiten<br />

angepasst werden muss. Die<br />

Schweiz kann nicht länger eine Armee<br />

von 200’000 Soldaten alimentieren. Sie<br />

wird die Armeebestände weiter reduzieren<br />

müssen.<br />

■ Bedrohungsspektrum<br />

Welches sind jenseits des klassischen<br />

Bedrohungsspektrums die wichtigsten<br />

Herausforderungen neueren Typs? Zu<br />

erwähnen sind hier vor allem der inter-<br />

45<br />

nationale Terrorismus, die Verbreitung<br />

von Massenvernichtungswaffen, die<br />

Verletzlichkeit kritischer Infrastrukturen,<br />

Cyber War und Klimawandel.<br />

■ anpassung der Sicherheitspolitik<br />

Aufgrund der genannten Entwicklungen<br />

hat die Schweiz ihre Sicherheitspolitik<br />

wiederholt angepasst. – Stellvertretend<br />

für andere seien hier einige Schritte<br />

mit angeführt. Die Schweiz präsidierte<br />

1996 die OSZE. Im gleichen Jahr trat<br />

sie auch der Partnerschaft für den Frieden<br />

der NATO bei. Und im Jahre 2002<br />

wurde sie endlich Mitglied der UNO.<br />

Zudem hat der Bundesrat ganz allgemein<br />

sein Instrumentarium der militärischen<br />

und zivilen Friedensförderung<br />

kontinuierlich weiter ausgebaut. Allerdings<br />

ist ihm die Verdoppelung unserer<br />

Friedenstruppen auf 500, was u.a.<br />

eine Steigerung der Interoperabilität<br />

KKdt Markus Gygax, Kommandant der<br />

Luftwaffe, im Gespräch mit Plenumsteilnehmenden


in Peacekeeping-Operationen gestatten<br />

würde, einstweilen nicht gelungen.<br />

■ Grunderfordernis<br />

Ein handlungsfähiger moderner Staat<br />

muss zunächst über krisentaugliche<br />

Führungsstrukturen verfügen. Er muss<br />

fähig sein, die Herausforderungen im<br />

Sicherheitsbereich frühzeitig zu erkennen<br />

und sie korrekt zu analysieren. Der<br />

moderne Staat muss einen kohärenten<br />

und umfassenden Ansatz für die Sicherheitspolitik<br />

entwickeln, und zwar sowohl<br />

auf internationaler Ebene als auch<br />

auf nationaler Ebene.<br />

Brigadier Daniel Lätsch<br />

■ Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

Die schweizerische Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik befindet sich in einer<br />

ausserordentlich schwierigen Lage:<br />

Im Jahre 2008 wies eine Mehrheit des<br />

Nationalrates das Rüstungsbudget in<br />

der ersten Lesung zurück und dies nicht<br />

aus sicherheitspolitischen, sondern primär<br />

aus parteipolitischen Gründen.<br />

2009 scheiterte wiederum im Nationalrat<br />

eine Revision des Militärgesetzes:<br />

Diese hätte die Möglichkeit geschaffen,<br />

mit Schweizer Truppen auch im Ausland<br />

zu trainieren. – Zurzeit wirft die<br />

Debatte um die Neubeschaffung von<br />

Kampfflugzeugen hohe Wellen!<br />

Es gilt indessen, auch folgende Punkte<br />

unmissverständlich festzuhalten:<br />

G E S P r Ä C H<br />

–Wir leben im tiefsten Frieden<br />

–Die Rechtssicherheit in unserem<br />

Land ist ausserordentlich hoch<br />

–Unserer Wirtschaft geht es im<br />

globalen Vergleich gut<br />

–Wir geniessen generell einen sehr<br />

hohen Lebensstandard und eine<br />

hohe Lebensqualität<br />

–Unser Vertrauen in die Polizei ist<br />

sehr hoch, in die Armee (noch) recht<br />

hoch, in die Politik sehr durchzogen<br />

und in die Medien nahezu inexistent<br />

Die Schweiz ist seit über 150 Jahren<br />

vom Krieg verschont geblieben! Retrospektiv<br />

dürfen wir sagen, dass die<br />

schweizerische Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

insgesamt unglaublich<br />

erfolgreich war. Esgibt Schweizer<br />

Bürger(innen), die dafür dankbar sind<br />

und alles daransetzen, dass die Schweizer<br />

Bevölkerung auch in Zukunft in<br />

Freiheit, Unabhängigkeit, Wohlstand<br />

und Würde leben kann. Das sind wenige.<br />

Es gibt aber auch Schweizer<br />

Bürger(innen), die glauben, es gebe<br />

weder Risiken nochBedrohungen, weder<br />

heute noch morgen. Das sind viele.<br />

Schliesslich gibt es auch solche, die<br />

wissen zwar, dass es Risiken und Bedrohungen<br />

gibt. Sie glauben aber, Sicherheit<br />

werde durch die NATO, die<br />

EU, die OSZE oder durch weiss nicht<br />

wen garantiert.<br />

Die schweizerische Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik war und ist geprägt<br />

durch Neutralität und autonome<br />

Landesverteidigung sowie durch Wehrpflicht<br />

in einem Milizsystem.<br />

Mit dem Ende des Kalten Krieges<br />

haben sich die Bedrohungsformen<br />

geändert. Landesverteidigung wird an-<br />

46<br />

Brigadier Daniel Lätsch<br />

dernorts kleingeschrieben. Friedensunterstützende<br />

Operationen sind strukturbestimmend.<br />

Die NATO hat sich konsequenterweise<br />

auf «nonarticle 5-operations»<br />

und auf «out of area-operations» ausgerichtet<br />

und die EU ist daran, EU-<br />

Battlegroups aufzubauen, dies zum<br />

Zweck möglicher Aufgabenerfüllungen<br />

im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik.<br />

Die schweizerische Sicherheitspolitik<br />

bewegt sich dagegen weitgehend<br />

in den bisherigen Bahnen. Auf der Basis<br />

des Sicherheitspolitischen Berichts<br />

2000 und des Armeeleitbildes XXI erfolgte<br />

eine behutsame Öffnung.<br />

die aufgaben der Schweizer armee<br />

Dargestellt an einem Dreikreise-Modell:<br />

Der äusserste Kreis, die friedensunterstützenden<br />

Operationen, dient<br />

dazu, dass Konflikte vor Ort gelöst


werden können und gar nicht erst bis<br />

zu uns kommen. Der zweite Kreis entspricht<br />

der Verteidigung. Die Neutralität<br />

lässt es nicht zu, dass wir die<br />

Verteidigung ausserhalb unseres Territoriums<br />

aufnehmen. Der innere Kreis<br />

dient der Unterstützung der zivilen<br />

Behörden in Katastrophen- und Krisenlagen.<br />

Dieses Dreikreise-Modell wird heute<br />

in Frage gestellt: von linker und alternativer<br />

Seite, insbesondere von der<br />

GSoA Gruppe für eine Schweiz ohne<br />

Armee, ferner von rechtsbürgerlichen<br />

Gruppierungen, welche strikte gegen<br />

friedensunterstützende Operationen<br />

sind und für eine integrale und traditionelle<br />

Neutralität einstehen, schliesslich<br />

auch von der Realität: Bereits die<br />

Revolution in Military Affairs und das<br />

Konzept der Follow onForces Attack<br />

führten ab den 1980er Jahren zu einem<br />

Technologieschub auf dem Gefechtsfeld,<br />

welcher eine autonome<br />

Landesverteidigung zur Illusion degradierte.<br />

Brauchen wir eine «state of the art-<br />

Armee» oder wollen wir eine Widerstandsarmee<br />

auf dem Technologiestand<br />

des Vietcong? Zur Antwortfindung<br />

müssen wir den Zweckartikel<br />

der Bundesverfassung –nebst Freiheit<br />

und Unabhängigkeit sind auch unsere<br />

Wohlfahrt und die natürlichen Lebensgrundlagen<br />

zu erhalten –sowie<br />

die Zielsetzung unserer Sicherheitsund<br />

Verteidigungspolitik vor Augen<br />

halten! –Ziel unserer Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik ist es im Endeffekt,<br />

unser Land zu schützen, damit<br />

wir wirtschaften können, damit wir leben<br />

können!<br />

G E S P r Ä C H<br />

«Der Kampf ab Landesgrenze ist<br />

im 21. Jahrhundert keine Option<br />

mehr!»<br />

Brigadier Daniel Lätsch<br />

Direktor der Militärakademie<br />

an der ETH Zürich<br />

■ Politisch-finanzieller rückhalt<br />

Das Parlament, welches jährlich dem<br />

Rüstungsbudget zuzustimmen hat, ist<br />

überfordert. Die massgebenden Parteien<br />

sind kaum in der Lage, eine gemeinsame<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

zu formulieren.<br />

Diese Ausgangslage scheint auch auf<br />

den neuen Sicherheitspolitischen Bericht<br />

durchzuschlagen. Der vorliegende<br />

Entwurf zeigt eher Richtung Vergangenheit<br />

als Richtung Zukunft. Hoffnungsvoll<br />

stimmt dagegen der Beschluss des<br />

Bundesrates vom 20.10.09, wonach an<br />

der Maxime «Sicherheit durch Kooperation»<br />

festgehalten und der Entwurf<br />

zum Sicherheitspolitischen Bericht 09<br />

mit einem interdepartementalen und<br />

somit umfassenden Ansatz überarbeitet<br />

werden soll.<br />

Zum Budget: Die Armee XXI wurde<br />

mit einem jährlichen Budget von<br />

CHF 4,3 Mia. geplant. Nach den Entlastungsprogrammen<br />

03 und 04 sowie<br />

weiteren Budgetkürzungen stehen<br />

heute noch CHF 3,7 Mia. zur Verfügung.<br />

Die Betriebskosten der modernen<br />

Systeme sind nicht mehr bezahlbar<br />

und neue Rüstungsgüter können<br />

kaum mehr beschafft werden. Der Antrag<br />

des Chefs VBS, jetzt auf den Kauf<br />

47<br />

eines neuen Kampfflugzeugs zu verzichten,<br />

spricht Bände!<br />

Gesellschaftliche Veränderungen<br />

Milizkader leisten ihren Dienst freiwillig.<br />

Dafür haben insbesondere die CEOs<br />

wenig bis gar keinVerständnis mehr.Die<br />

Arbeitgeber werden nur zu einem Teil<br />

für die Absenzen entschädigt. Dementsprechend<br />

fehlen uns immer mehr Kader.–Milizkader<br />

haben indessen gegenüber<br />

Berufskader einen unzweifelhaften<br />

Vorteil: Sie bringen ein hervorragendes<br />

Know-how aus ihrer privatwirtschaftlichen<br />

Tätigkeit in die Armee ein.<br />

Für die Schweizer Armee gibt es keine<br />

brauchbare Alternative zum Milizsystem.<br />

Es gilt, dieses weiterzuentwickeln,<br />

wenn wir auch in Zukunft hervorragende<br />

Kader gewinnen wollen.<br />

reformbedarf<br />

Die Schweizer Armee leistet jeden Tag<br />

hervorragendeArbeit.Aber sie steht vor<br />

riesigen Herausforderungen. Mythen<br />

«Ausgehend von einer konzisen<br />

Definition der strategischen nationalen<br />

Interessen und einer umfassenden<br />

Risiko- und Bedrohungsanalyse<br />

sind die Fragen nach der<br />

geeignetsten Form der Armee zu<br />

beantworten.»<br />

Brigadier Daniel Lätsch<br />

Direktor der Militärakademie<br />

an der ETH Zürich


und Tradition helfen nicht mehr weiter.<br />

–Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

muss den heutigen Herausforderungen<br />

angepasst werden!<br />

Plenumsdiskussion<br />

Dr. Peter Forster, Moderator, nahm in<br />

der rege benutzten Diskussion verschiedenste<br />

Voten entgegen. Die Wortmeldungen<br />

betrafen die Einordnung<br />

der zukünftigen Potentiale der Risiken<br />

und Bedrohungen einerseits und die<br />

Gewichtung der Gefahren in Bezug<br />

auf deren Eintretenswahrscheinlichkeit<br />

andererseits. Hinzu kamen Fragen zur<br />

Restrukturierung der Armee generell<br />

sowie zu Auslandeinsätzen im Besonderen.<br />

Hervorgehoben wurde das Erfordernis<br />

des Primates der Politik in Bezug<br />

auf den Auftrag an die Armee – im Sinne<br />

«am Anfang kommt der Auftrag und<br />

dann das Budget!». Weitere Schwerpunkte<br />

in der Diskussion bildeten die<br />

von der Devise «Sicherheit durch Kooperation»<br />

ableitbaren Möglichkeiten<br />

bzw. Begrenzungen unter dem vorrangigen<br />

Aspekt der Aufrechterhaltung der<br />

schweizerischen Neutralität. In starkem<br />

Masse wurde für mehr Transparenz gegenüber<br />

unseren Bürgerinnen und Bürgern<br />

plädiert, dies eben als Vorbedingung<br />

zu mehr Zustimmung für unsere<br />

Armee. – Dr. Peter Forster gab der Hoff-<br />

G E S P r Ä C H<br />

nung Ausdruck, dass sich die Verlässlichkeit<br />

für die Mehrheitsfindung innerhalb<br />

des Parlamentes – im Hinblick auf<br />

notwendige Beschlüsse zugunsten unserer<br />

Armee – wieder herbeiführen lässt<br />

– dies ausgehend von echter Konkordanzpolitik<br />

und somit – unter Vermeidung<br />

«unheiliger Allianzen» – mittels<br />

bewährter Konsensfindung zwischen<br />

Mitte- und Rechts-Parteien.<br />

Gedanken auf den Weg<br />

Christoph Vollenweider: «Wir vertreten<br />

die Eigenständigkeit unseres Vaterlandes,<br />

von Unternehmerinnen und Unternehmern,<br />

von Unternehmen sowie<br />

von unternehmerischen Kräften und<br />

Persönlichkeiten.» Für den <strong>Stiftung</strong>spräsidenten,<br />

Dr. h.c. Walter Reist, ist<br />

die Eigenständigkeit unseres Vaterlandes<br />

eine sehr wichtige Angelegenheit,<br />

dazu gehören die Erhaltung der schweizerischen<br />

Unabhängigkeit und die Förderung<br />

der Landesverteidigung. Die<br />

Sicherheit ist ein bedeutender Standortfaktor<br />

unseres Landes! – Unternehmerisches<br />

Denken heisst nichts anderes<br />

als ganzheitliches Denken. Es ist<br />

letztlich überall anwendbar, beileibe<br />

nicht nur in Unternehmungen im engeren<br />

Sinn, sondern überall dort, wo «etwas<br />

unternommen» wird und ist daher<br />

auch dann zwingend, wenn es um die<br />

48<br />

Schweiz und um die Armee geht. – In<br />

diesem Sinne danken wir heute allen<br />

Anlassbeteiligten für das Einbringen ihres<br />

umfassend dargelegten, wertvollen<br />

Gedankengutes!<br />

21. Ausserordentliches Gespräch «Armee»<br />

vom Montag, 7. Dezember 2009<br />

«Die nationalen Sicherheitsinteressen<br />

der Schweiz» mit Botschafter Dr. Anton<br />

Thalmann, stv. Staatssekretär EDA,<br />

Bern, Brigadier Daniel Lätsch, Direktor<br />

der Militärakademie an der ETH Zürich,<br />

Birmensdorf; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />

durch Christoph Vollenweider, CEO<br />

und Leiter <strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum.<br />

Moderation: Dr.Peter Forster.


inwieweit lassen sich grenzüberschreitend<br />

– bezogen auf den Kanton thurgau<br />

mit der Universität Konstanz – Synergien<br />

für das eigene Bildungswesen<br />

und somit für die eigene Standort- und<br />

Wirtschaftsförderung erzielen, und wo<br />

lassen sich unternehmerische Perspektiven<br />

erkennen? – diese und weitere<br />

Fragen standen anlässlich des ausserordentlichen<br />

Gesprächs am 24. Juni<br />

2009 im Zentrum des informationsaustauschs.<br />

Von Wilhelm Knecht<br />

Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />

<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste die<br />

Repräsentanten der Bildungsinstituti-<br />

onen sowie die Verantwortungsträger<br />

aus Politik und Wirtschaft zu diesem<br />

regionalen «Brückenschlag» und zum<br />

Gedankenaustausch. Einen besonderen<br />

Willkommensgruss richtete er an Regierungsrätin<br />

Monika Knill, Präsidentin<br />

der Thurgauer <strong>Stiftung</strong> für Wissenschaft<br />

und Forschung.<br />

Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann,<br />

Gesprächsmoderator: «Es geht heute<br />

primär auch darum, die Chancen des<br />

Zusammenwirkens in unternehmerischer<br />

Ausrichtung zu beachten.»<br />

Wirken im Verbund<br />

Jens Aspiz, Uni Konstanz, im Gespräch mit Ernst Mühlemann<br />

G E S P r Ä C H<br />

dynamik und Synergien im Bildungswesen:<br />

der Kanton thurgau und seine Konstanzer Hochschul-institute<br />

Regierungsrätin Monika Knill betonte<br />

den hohen Nutzen grenzüberschreitender<br />

Kooperation innerhalb der renom-<br />

49<br />

mierten Bildungsinstitutionen: «Diese<br />

stellt einen bedeutenden Standortvorteil<br />

für die Studierenden, aber auch<br />

für den Arbeitsmarkt und somit für die<br />

Wirtschaft dar. Die Unternehmen profitieren<br />

von einem raschen Wissens- und<br />

Technologietransfer. Es ist indessen wesentlich,<br />

die Chancenfelder der Zukunft<br />

zu erkennen, in der Spitzenforschung<br />

Schritt zu halten und die Bildungssysteme<br />

in ihrer flexiblen Nutzung sowie<br />

ihrer Durchlässigkeit zu festigen.»<br />

Prof. Dr.-Ing. Gunter Voigt, Vizepräsident<br />

für Forschung der HTWG Hochschule<br />

für Technik, Wirtschaft und Gestaltung,Konstanz:<br />

«Die HTWG ist eine<br />

moderne Hochschule mit anwendungsorientiertem<br />

Profil. Die HTWG hat heute<br />

sechs Fakultäten: Architektur und<br />

Gestaltung, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik<br />

und Informationstechnik,<br />

Informatik, Maschinenbau sowie Wirtschafts-<br />

und Sozialwissenschaften. –<br />

Wichtig ist der Einbezug der Unternehmen.<br />

Wirwünschen Dialoge und freuen<br />

uns, nicht nur die fachbezogenen, sondern<br />

auch die menschlichen Kontakte<br />

zu fördern: dies grenzüberschreitend!»<br />

Dr. Daniel Legler, Leiter des BITg<br />

Biotechnologisches Institut Thurgau an<br />

der Universität Konstanz, betonte u.a.<br />

die anwendungsorientierte Grundlagenforschung.<br />

«Beim BITg geht es um<br />

Forschungsschwerpunkte wie Identifizierung<br />

neuer Tumormarker, Entwicklung<br />

neuer Immuntherapien gegen<br />

Krebs usw. Aufgrund der hohen Qualität<br />

der Forschung wurden Resultate


von BITg-Mitarbeitern weltweit mehr<br />

als 5500-fach zitiert. Die Finanzierung<br />

wird gesichert durch die Thurgauische<br />

<strong>Stiftung</strong> für Wissenschaft und Forschung,<br />

durch das Staatssekretariat für<br />

Bildung und Forschung (Bund), durch<br />

den Schweizerischen Nationalfonds<br />

sowie durch <strong>Stiftung</strong>en und Spenden.<br />

– Das Ziel der finanziellen Beteiligung<br />

durch den Bund liegt im Erreichen hoher<br />

Innovation. Zudem geht es darum,<br />

bei neuen Produkten die zeitgerechte<br />

Vermarktung voranzutreiben.»<br />

Dipl.-Ing. Torsten Bogatzky, Leiter<br />

des WITg Institut für Werkstoffsystemtechnik<br />

Thurgau an der HTWG Hochschule<br />

für Technik, Wirtschaft und<br />

Gestaltung, Konstanz, hob im Rahmen<br />

angewandter Forschung die metallischen<br />

Werkstoffe und hierbei die<br />

Werkstoff-Systemtechnik hervor. «Die<br />

WITg ist ein kompetenter Partner für<br />

Forschungs- und Entwicklungsprojekte<br />

in der Zusammenarbeit mit Gewerbe<br />

und Industrie. Unsere Absicht besteht<br />

darin, die Probleme gemeinsam zu definieren<br />

und miteinander Lösungen zu<br />

finden. Eine wesentliche Voraussetzung<br />

hierzu bildet das Absenken der Hemmschwelle<br />

zur Kontaktaufnahme mit unserem<br />

Institut. Wir sind angewiesen auf<br />

das ‹Auf uns zugehen›.»<br />

Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Prorektor<br />

für Forschung und designierter Rektor<br />

der Universität Konstanz, charakterisierte<br />

die Primäraufgaben einer Universität,<br />

auch die theoretische Wissensvermittlung<br />

bzw. Grundlagenforschung betreffend.<br />

Nach Erreichen des Bachelor-Degree<br />

–soProf. Dr.Rüdiger –raten wir den<br />

Studierenden, in die Praxis zu wechseln<br />

und erst dann –mit Erfahrung aus der<br />

G E S P r Ä C H<br />

Arbeitswelt –bei uns das Weiterstudium<br />

zum Master anzutreten. Zum Fachlichen<br />

hob Prof. Dr. Rüdiger die hohe Bedeutung<br />

des NEB NANO-Zentrum der Euregio<br />

Bodensee hervor.Das NEB wurde im<br />

Frühjahr 2007 gegründet. Es wird getragen<br />

durch die Universität Konstanz, die<br />

Steinbeis-<strong>Stiftung</strong> Stuttgart, die HTWG<br />

Hochschule für Technik, Wirtschaft und<br />

Gestaltung,Konstanz, die Industrie- und<br />

Handelskammer Hochrhein-Bodensee,<br />

die Handwerkskammer Konstanz, den<br />

Bodenseerat und das Singen-Standortmarketing.<br />

Das NEB berät Unternehmen<br />

bei der praktischen Anwendung der Mikro-<br />

und NANO-Technik.<br />

Umfassendes Bildungsnetzwerk<br />

Ergänzend muss –soErnst Mühlemann<br />

–die gut funktionierende Zusammenarbeit<br />

mit weiteren, heute nicht auf<br />

dem Podium vertretenen Bildungsinstitutionen<br />

der Euregio Bodensee<br />

mitangeführt werden. Stellvertretend<br />

hierzu zeigte Prof. Dr. Ernst Preisig,<br />

Rektor der PHTG Pädagogische Hochschule<br />

Thurgau den hohen Nutzen der<br />

Kooperation mit der Universität Konstanz<br />

bei der Ausbildung von Gymnasiallehrern<br />

auf.<br />

Prof. Dr. Urs Fischbacher, Leiter des<br />

TWI Thurgauer Wirtschaftsinstitut, qualifizierte<br />

die Zusammenarbeit mit der<br />

Universität Konstanz und den mit ihr<br />

liierten An-Instituten als sehr gut. Er<br />

selber hat bei der Universität Konstanz<br />

einen Lehrstuhl für Angewandte Wirtschaftsforschung<br />

inne. Das TWI (als<br />

eines der drei von der Thurgauischen<br />

<strong>Stiftung</strong> für Wissenschaft und Forschung<br />

50<br />

«Eine erfolgreiche Wirtschaft benötigt<br />

eine erfolgreiche Schule,<br />

somit hervorragend ausgebildete<br />

Lehrkräfte – und eine erfolgreiche<br />

Schule steht auch in Abhängigkeit<br />

einer erfolgreichen Wirtschaft!»<br />

Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann<br />

getragenen Institute) nutzt die Möglichkeit,<br />

wissenschaftliche Ergebnisse<br />

einem breiten Interessentenkreis zugänglich<br />

zu machen.<br />

internationales und globales Umfeld<br />

Stephan Prehn, der Leiter der IBH Internationale<br />

Bodensee Hochschule,<br />

unterstreicht, dass der Hochschulverbund<br />

der Euregio Bodensee mit seinen<br />

Mitgliedhochschulen ein bedeutendes,<br />

aktives Netzwerk bildet: Hochschulen,<br />

Forscher, Lehrende und Studierende<br />

tauschen Wissen und Ressourcen aus<br />

und nutzen dies gegenseitig. Die Zielrichtungen<br />

der IBH werden anlässlich<br />

von Jahreskonferenzen, mit jeweiliger<br />

Beteiligung der 27 Rektoren der Mitgliedhochschulen,<br />

vereinbart. «Unserem<br />

hohen Potential an Bildungsmöglichkeiten<br />

ist auch aus globaler Sicht<br />

Beachtung beizumessen!»<br />

Prof. Dr. Marcus Groettrup, Universität<br />

Konstanz, sieht das hohe Leistungsvermögen<br />

von Bildungsinstitutionen<br />

als eine entscheidende Vorbedingung<br />

zu regionalbezogener wirtschaftlicher<br />

Prosperität, dies auch zufolge unmittelbaren<br />

‹Vorort-Wissenstransfers› – Er<br />

fordert unter den Hochschulen selbst,


sozusagen aus globaler Sicht, ein leistungssteigerndes<br />

Benchmarking.<br />

Clemens Dransfeld: Die FHNW<br />

Fachhochschule Nordwestschweiz unterhält<br />

vielfältige internationale Beziehungen.<br />

Es gilt, die Bildungslandschaft<br />

Euregio Bodensee unter internationalen<br />

Aspekten als Netzwerk mit Vorbildcharakter<br />

zu erkennen. – Seine Zusatzfrage:<br />

«Wie steht es mit den EU-Forschungsprojekten?»<br />

Prof. Dr. Rüdiger: «Die Universität<br />

Konstanz ist auch anEU-Forschungsprogrammen<br />

beteiligt!» –Ernst Mühlemann<br />

machte hierbei auf die enormen<br />

Unterschiede finanzieller Beiträge<br />

für die Universität Konstanz bzw.<br />

Deutschland als EU-Mitglied und der<br />

Schweiz, als Nicht-EU-Mitglied, aufmerksam<br />

– dies auch in Bezug auf<br />

G E S P r Ä C H<br />

Prof. Dr. Rüdigers Gedankengang,<br />

die Schweiz könnte doch eigentlich<br />

mehr Forschungsanträge in das heute<br />

vorgestellte Bildungsnetzwerk einbringen.<br />

Von Seiten Dr. Legler, Dipl.-Ing.<br />

Bogatzky und Prof. Dr.-Ing. Voigt,<br />

d.h. insbesondere die anwendungsorientierte<br />

Forschung betreffend, erfolgten<br />

bezüglich der EU-Mitfinanzierung<br />

Vorbehalte. «Oft sind die Projekte aufgebläht<br />

und zudem mit starker administrativer<br />

Mehrbelastung verbunden.»<br />

Dr. Legler an Prof. Dransfeld gewandt:<br />

«Generell kooperieren wir sehr<br />

wohl mit Partnern aus dem EU-Umfeld,<br />

ich denke etwa an Holland und Spanien.<br />

Wir sind aber auch global orientiert:<br />

unter anderem arbeiten wir mit Japan<br />

zusammen.»<br />

Von links: Torsten Bogatzky, Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Regierungsrätin Monika Knill,<br />

Dr. Daniel Legler, Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann, Prof. Dr. Gunter Voigt<br />

51<br />

Unternehmerische akzente<br />

In der Plenumsdiskussion wurde die<br />

Anspruchshaltung in Richtung anwendungsorientierte<br />

Forschung bekräftigt.<br />

Die Podiumsmitwirkenden<br />

zeigten hierbei überzeugende Erfolgsbeispiele<br />

auf.<br />

Peter Maag, Direktor der Industrieund<br />

Handelskammer des Kt. Thurgau:<br />

«In unserem Kanton gibt es eine Arbeitsgemeinschaft<br />

von Wirtschaftsverbänden<br />

und kantonalen Behörden zur<br />

Förderung vonTechnologie und Innovation:<br />

das Technologieforum Thurgau.<br />

Jedes Jahr wird ein Technologietag<br />

durchgeführt. Dabei präsentieren<br />

Universitäten, Fachhochschulen und<br />

Institute ihre Kompetenzen, Dienstleistungen,<br />

Innovationen sowie Forschungsergebnisse.<br />

Die Nutzung der<br />

Synergien und komplementären Ressourcen<br />

führt derart zu einem signifikanten<br />

Standortvorteil, zum Imagegewinn<br />

und somit zur Erhöhung der<br />

Wettbewerbsfähigkeit.»<br />

Karin R. Unger skizzierte das erfolgreiche<br />

Alternativ-Bildungsmodell<br />

der DHBW Duale Hochschule Baden-<br />

Württemberg: «Dieses System stellt<br />

einen besonders unternehmensfreundlichen<br />

Ansatz dar, bietet es doch die<br />

Möglichkeit, das Studium – einhergehend<br />

mit kürzerer Studienzeit – im steten<br />

Verbund mit der praktischen Berufstätigkeit<br />

zu absolvieren.»<br />

Dr. h.c. Walter Reist: «Die Referenten<br />

zeigten in ihrer Haltung ein gros-ses<br />

Einvernehmen. Sind aber – gerade auch<br />

vor dem Hintergrund der jetzigen Wirtschaftskrise<br />

– nicht noch weitere Überlegungen<br />

angebracht, vertieft der Frage


folgend: ‹Forschung ja, aber wie, bzw.<br />

für wen und für was?› Nebst der sachlichen<br />

Richtung müsste dem menschlichen<br />

Aspekt stark erhöhte Bedeutung<br />

beigemessen werden. In den westlichen<br />

Industrienationen sind die Automatisierungsbedürfnisse<br />

aber soweit<br />

gedeckt, es kann nicht sein, dass noch<br />

mehr ‹durchroboterisiert› wird. Die<br />

Menschen müssen sich – über die Arbeit!<br />

– entfalten können, dies gilt in allen<br />

Wirtschaftssektoren. Die Forschung<br />

muss sich diese Sinnfrage mit zu eigen<br />

machen!»<br />

«<strong>Lilienberg</strong> Besonderheit»; Ausserordentliches<br />

Gespräch vom 24. Juni 2009<br />

«Der Kanton Thurgau und seine Konstanzer<br />

Hochschul-Institute aus unternehmerischer<br />

Perspektive» mit Regierungsrätin<br />

Monika Knill, Präsidentin des<br />

<strong>Stiftung</strong>srates der Thurgauischen <strong>Stiftung</strong><br />

für Wissenschaft und Forschung;<br />

Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Prorektor für<br />

Forschung und designierter Rektor der<br />

Universität Konstanz, Dr. Daniel Legler,<br />

Leiter des Biotechnologie-Institutes<br />

Thurgau an der Universität Konstanz,<br />

Prof. Dr. Gunter Voigt, Vizepräsident<br />

für Forschung der Hochschule für Technik,<br />

Wirtschaft und Gestaltung, Konstanz,<br />

Dipl.-Ing. Torsten Bogatzky, Leiter<br />

des Instituts für Werkstoffsystemtechnik<br />

Thurgau an der Hochschule für Technik,<br />

Wirtschaft und Gestaltung, Konstanz;<br />

Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist;<br />

Moderation: Ernst Mühlemann, Ex-Nationalrat<br />

G E S P r Ä C H<br />

Krisenmanagement<br />

statt Kulturbildung?<br />

Zum abschluss des Zyklus «Unternehmenskultur<br />

in schwierigen Zeiten»<br />

erlebten am 11. Juni 2009 die über<br />

20 teilnehmenden eine kernige Zusammenfassung<br />

dessen, was Unternehmenskultur<br />

auch in Krisenzeiten<br />

schafft: das attraktive Spannungsfeld<br />

zwischen der pointiert vom theologen<br />

und Unternehmensberater Winfried<br />

abele vermittelten theorie und der<br />

vom hiesigen erfahrenen Vorsitzenden<br />

der Geschäftsleitung der thurgauer<br />

Kantonalbank, dr. Hanspeter Herger,<br />

porträtierten Praxis bezüglich Vertrauensbildung,<br />

regte zum Vergleich mit<br />

dem eigenen unternehmerischen Wirken<br />

an.<br />

Von Stephan Illi<br />

s ist nicht gesagt, dass es besser<br />

«Ewird, wenn es anders wird, aber<br />

wenn es besser werden soll, muss es anders<br />

werden.» – Im theoretischen Block<br />

konzentrierte sich Winfried Abele vorerst<br />

auf die Entstehungsquellen von<br />

Kultur: Werte und Normen werden von<br />

Verhaltensweisen, Produkten, Gebräuchen<br />

und Gewohnheiten geprägt. Kultur<br />

geht deshalb alle im Unternehmen<br />

an. Eine gute Kultur orientiert sich am<br />

Zweck der Firma, somit an ihren Marktleistungen,<br />

insbesondere aber auch an<br />

ihrer Humanität, dem Lebensraum. Ehrlichkeit,<br />

Offenheit, Verantwortung, Integrität<br />

und Authentizität der Menschen<br />

sind dabei genauso wichtig wie ihre Ab-<br />

52<br />

Winfried Abele<br />

grenzungsfähigkeit, also ihre Fähigkeit,<br />

bewusst «nein» sagen zu können. Die<br />

wichtigste Aufgabe der Unternehmensführung<br />

dabei ist es, die firmenzweckorientierte,<br />

auf die Realität ausgerichtete<br />

Dialogbereitschaft zu fördern. Die<br />

gute Unternehmenskultur in Krisenzeiten<br />

stiftet Gemeinschaft im Unternehmen<br />

und vermittelt Zuversicht. Eine<br />

Dr. Hanspeter Herger


positive, ehrliche Sprache der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter ist dabei ein<br />

wichtiger Indikator dafür, ob eine Firma<br />

eine gute Kultur hat oder ob es noch<br />

Verbesserungspotentiale gibt.<br />

die Finanzkrise ist eine Vertrauenskrise<br />

Die TKB Thurgauer Kantonalbank hat<br />

dies dank des enormen Kundenneugeldzuflusses<br />

selbst im positiven Sinne<br />

gespürt. Bei derTKB istVertrauen die Basis<br />

des Geschäftsmodells. Das deutsche<br />

Wort «Vertrauen» wird im Englischen<br />

differenzierter mit «trust» und «confidence»<br />

verdeutlicht. Von «trust» ist die<br />

Rede, wenn ein willentliches Abhängigkeitsverhältnis<br />

geschaffen wird, von<br />

Dietrich Pestalozzi (Mitte) im Gespräch mit den beiden Referenten<br />

G E S P r Ä C H<br />

«confidence», wenn der Glaube an zukünftige<br />

Ergebnisse auf Erfahrungen und<br />

Evidenz beruht. Damit eine Bank auch<br />

glaubwürdig erscheint, muss Vertrauen<br />

langfristig aufgebaut und kultiviert werden.<br />

Ist das Vertrauen einmal verspielt,<br />

kann dieses nur sehr schwierig wieder<br />

zurückgewonnen werden. Vertrauen ist<br />

die Basis jeder Geschäftsbeziehung.<br />

In Krisenzeiten setzt die TKB deshalb<br />

die Schwerpunkte auf die Einhaltung<br />

der hohen Qualitätsansprüche,<br />

auf zeitnahe und transparente Kommunikation,<br />

auf Kontinuität der Geschäfts-<br />

und Risikopolitik sowie auf<br />

nachhaltiges Engagement für Kultur,<br />

Sport und Gesellschaft.<br />

Die TKB misst das Vertrauen jeder<br />

Geschäftsbeziehung, diese insgesamt<br />

53<br />

wie folgt: Es werden regelmässig Befragungen<br />

bei Kunden, Mitarbeitenden sowie<br />

weiteren Anspruchsgruppen durchgeführt.<br />

Ein zentrales Instrument ist das<br />

Intranet-basierte Kundenreaktions-Managementsystem.<br />

Jede Kundenreaktion<br />

wird von einem Geschäftsleitungsmitglied<br />

beantwortet und ausgewertet.<br />

Als Ausweg aus der Vertrauenskrise<br />

stellt Dr. Hanspeter Herger den<br />

Menschen und die Führungspersonen<br />

in den Vordergrund. Sämtliche Führungspersonen<br />

benötigen ein hohes<br />

Mass an Integrität sowie Sensibilität<br />

und Professionalität.<br />

Als Quintessenz schälten die Teilnehmenden<br />

in Gruppenarbeiten folgende<br />

Erkenntnisse heraus:<br />

–Vertrauenskrisen entstehen dann,<br />

wenn Erwartungen nicht erfüllt werden.<br />

Deshalb wird Vertrauen immer<br />

von innen heraus zerstört.<br />

–Controllinginstrumente sind wichtig,<br />

dienen aber nur der Unterstützung.<br />

–Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.<br />

Zyklus «Unternehmenskultur in schwierigeren<br />

Zeiten»; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung und<br />

Ausserordentliches Gespräch vom<br />

11. Juni 2009 «Krisenmanagement<br />

statt Kulturbildung?» mit Winfried Abele,<br />

Verwaltungsrat, Global Management<br />

Consultants Network AG, Zug,<br />

Dr. Hanspeter Herger, Vorsitzender der<br />

Geschäftsleitung, Thurgauer Kantonalbank,<br />

Weinfelden; Moderation: Dietrich<br />

Pestalozzi – (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />

und -ethik)


die Wirkung der<br />

Unternehmenskultur verstärken<br />

Unternehmenskultur umfasst Normen,<br />

Werte, Haltungen sowie Meinungen,<br />

die das Verhalten der Menschen in der<br />

organisation prägen und umgekehrt.<br />

dies wird sichtbar in Gewohnheiten,<br />

Verhaltensweisen, Produkten und Gebräuchen.<br />

– «die Wirkung der Unternehmenskultur<br />

zu verstärken – ganz<br />

praktisch» ist thema des jetzigen Zyklus.<br />

anlässlich zweier Kolloquien befassten<br />

sich die teilnehmenden mit den<br />

themen «Mitarbeitermotivation» und<br />

«Qualität der Zusammenarbeit».<br />

Mitarbeitermotivation<br />

Kolloquium vom 10. September 2009<br />

Von Stephan Illi<br />

In 0,24 Sekunden gibt uns Google 54<br />

Mio. Hinweise zum Begriff Motivation!<br />

Ist das nun ein Zeichen, dass der<br />

Begriff «Motivation» Hochkonjunktur<br />

feiert oder eher, dass es sich um ein abgenutztes<br />

Schlagwort für alle Lebenssituationen<br />

handelt? Können wir überhaupt<br />

andere Menschen umfassend<br />

motivieren oder können wir lediglich<br />

fallweise Anreize geben, so dass andere<br />

sich selbst in Bewegung setzen?<br />

«Die Grundorientierung der Unternehmenskultur<br />

kann jeder Unternehmer<br />

selbst vornehmen» – so Moderator<br />

Dietrich Pestalozzi, der selbst ein<br />

erfolgreiches Unternehmen führt. Führung<br />

unterteilt sich in Strategie, Kul-<br />

G E S P r Ä C H<br />

tur und Struktur (Organisation). Diese<br />

ganzheitliche Betrachtung führt zum<br />

unternehmerischen Erfolg.<br />

Voraussetzungen zur Motivation<br />

–Leistungsbereitschaft, auch mittels<br />

Antrieb zur Zielerreichung<br />

–Anreize schaffen, damit die Motivation<br />

möglich ist<br />

–Eindeutige Verantwortlichkeiten gelten<br />

als Vorbedingung<br />

–Aufgaben und Ressourcen/Kompetenzen<br />

sind kongruent<br />

–Die beauftragten Personen sind der<br />

Aufgabe gewachsen<br />

–Die Infrastruktur ist ausreichend<br />

Fritz Bächi, seit 16 Jahren Leiter des<br />

IWAZ – Schweizerisches Wohn- und Arbeitszentrum<br />

für Mobilitätsbehinderte<br />

(mit über 300 Mitarbeitenden, die grösstenteils<br />

Bewohner des Zentrums sind) –<br />

nahm in seinem Impulsreferat Stellung<br />

zu den allgemeinen Motivationstheorien.<br />

Er ist der Meinung, dass ohne praktischen<br />

Hintergrund diese Theorien in der<br />

Praxis nicht genügend greifen. Genauso<br />

verhält es sich mit den Führungstheorien.<br />

Vergleichbar mit dem Beruf eines<br />

Schneiders muss eine gute Führungskraft<br />

täglich «Mass nehmen»: an den<br />

Bedürfnissen, Kenntnissen und Sorgen<br />

der Mitarbeitenden. Ungleiches wird oft<br />

gleich behandelt –dies ist der grösste<br />

Führungsfehler überhaupt!<br />

Unsere Einstellung beeinflusst unser<br />

54<br />

Fritz Bächi<br />

Verhalten – somit müssen wir zuerst<br />

an uns selber arbeiten und eine positive<br />

Einstellung aufbauen. In einem Gespräch<br />

sind das Zuhören («Zuelose» =<br />

Hinhören) und das Hinsehen wichtig.<br />

– Motivation und Leistung: Ziele müssen<br />

den Mitarbeitenden klar mitgeteilt<br />

werden, ebenso die Messfaktoren,<br />

welche dabei erläutert und verbindlich<br />

zu regeln sind (Information).<br />

Dabei ist die Situation der Mitarbeitenden<br />

und der Unternehmung zu<br />

beachten («Umwelten»).<br />

– Fähigkeit und Motivation: Führen<br />

heisst primär geben – die Führungskraft<br />

muss sein Team befähigen, die<br />

hohen Ziele zu erreichen. Es gibt<br />

nichts Erfolgreicheres als Erfolg. – Es<br />

stellt sich indessen die Grundsatzfrage:<br />

«Hat der Mitarbeiter sämtliche<br />

benötigten Fähigkeiten für seine Aufgaben<br />

(Beispiel: Ausbildungsstand im<br />

Bereich Projektmanagement)?»<br />

– Vorbild sein: Voraussetzungen hierzu<br />

sind Vertrauen in die Mitarbeitenden,<br />

Berechenbarkeit, Ehrlichkeit


und Offenheit, auch Anteilnahme<br />

durch persönliche und regelmässige<br />

Kommunikation. Sicherheit kann<br />

den Mitarbeitenden durch Anerkennung,<br />

Arbeitsplatzsicherheit, Authentizität<br />

(Wort und Verhalten – «walk<br />

the talk») gegeben werden. – Generell:<br />

Vertrauen gibt Sicherheit!<br />

Erkenntnisse aus den Gruppendiskussionen<br />

zur Frage: «Wie lässt sich eine leistungsfördernde<br />

Unternehmenskultur<br />

schaffen, die gleichzeitig eine hohe<br />

Mitarbeiterzufriedenheit erzeugt?<br />

–Offene Kommunikation (Zweiwegkommunikation,<br />

Positives und Negatives<br />

ansprechen, Unternehmensziele<br />

erörtern)<br />

–Gegenseitige Wertschätzung und<br />

Vertrauen<br />

–Antipathie und Sympathie (Für den<br />

Chef ist dies auschlaggebend, der<br />

Umgang damit ist eine Herausforderung.<br />

Eine Möglichkeit ist, die Antipathie<br />

mit dem/der Betroffenen direkt<br />

und offen, in einem gemeinsamen<br />

Gespräch, anzugehen.)<br />

–Verantwortung und Vertrauen (Vorleben,<br />

was man fordert!)<br />

–Anreize und Werthaltigkeit beachten,<br />

Anerkennung zeigen<br />

–Unternehmenskultur stets konsequent<br />

durchsetzen<br />

–Zufriedenheit ist ohne Leistungsorientierung<br />

nicht möglich (Unzufriedenheit<br />

ist auch ein Motivator, indessen<br />

nur kurzfristig und nicht nachhaltig;<br />

«Wenn Du unzufrieden bist, tu etwasdagegen!»)<br />

G E S P r Ä C H<br />

–Es bedarf intrinsischer und extrinsischer<br />

Motivatoren<br />

–Führungserfolg, auch durch emotionale<br />

Intelligenz (Abgrenzung zu<br />

privaten Problemen ist wichtig)<br />

–Lohn und Prämien sind bedeutend –<br />

Kultur reicht nicht<br />

–Visionen und Ziele sind entscheidend,<br />

insbesondere in schwierigen<br />

Zeiten<br />

–Zufriedenheit (Bin ich als Unternehmer/in<br />

zuständig, die Leute<br />

ständig zufriedenzustellen?)<br />

–Erfolg ist der grösste Motivator<br />

Qualität der Zusammenarbeit<br />

Kolloquium vom 3. November 2009<br />

Von Michel Grunder<br />

Tagtäglich arbeiten wir mit einzelnen<br />

Menschen zusammen: geschäftlich<br />

mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,<br />

Lieferanten, Kunden, Beamten, Banken,<br />

Geschäftspartnern, Kooperationspartnern<br />

und Investoren, privat innerhalb<br />

der Familien, mit Kindern, Lehrern<br />

und Behörden. Zu all diesen Menschen<br />

haben wir heute eine Beziehung, welche<br />

die Qualität der Zusammenarbeit<br />

massgebend beeinflusst.<br />

Wie strukturiert und organisiert man<br />

die Zusammenarbeit bei komplexen<br />

Projekten – intern und mit dem Kunden?<br />

Stephan Illi sieht den Erfolg im effizienten<br />

und standardisierten Schnittstellenmanagement.<br />

Das hängt aber<br />

massgeblich von der jeweiligen Unternehmenskultur,<br />

von der eigenen und<br />

55<br />

Stephan Illi<br />

von derjenigen der Kundenseite ab. Die<br />

Herausforderung liegt darin, die richtige<br />

Balance zwischen vorgegebener<br />

Struktur und Improvisations-Spielraum<br />

zu finden.<br />

Ein wichtiger Erfolgsfaktor liegt in der<br />

Kommunikation. Einerseits müssen alle<br />

Projektbeteiligten wissen, was zu tun<br />

ist. Das ist entscheidend für die Qualität<br />

der Zusammenarbeit. Andererseits<br />

ist die Motivation der Mitarbeitenden<br />

für den Projekterfolg mitentscheidend.<br />

Und Motivation erreicht man auch<br />

über Information. Deshalb muss der<br />

regelmässige Austausch institutionalisiert<br />

und dabei auch die Teambildung<br />

forciert werden. Mitarbeitende müssen<br />

sowohl die Projekte wie ihre individuellen<br />

Ziele kennen. Sie müssen Zugang<br />

zu den nötigen Informationen haben.<br />

Aufgabe der Projektleitung ist es, den<br />

transparenten Informationsfluss sicherzustellen<br />

und eine möglichst zentrale<br />

Dokumentation der Informationen zu<br />

gewährleisten.


Mit zehn Regeln bzw.Verhaltensweisen<br />

der Zusammenarbeit legte Stephan<br />

Illi den Teilnehmenden die Basis für die<br />

Gruppendiskussion:<br />

1. Erledige immer nur eine Aufgabe<br />

auf einmal!<br />

2. Kenne das Problem!<br />

3. Lerne zuzuhören!<br />

4. Lerne Fragen zu stellen!<br />

5. Unterscheide Sinnvolles vom Sinnlosen!<br />

6. Akzeptiere Veränderungen als<br />

etwas Unvermeidbares!<br />

7. Erlaube, Fehler zu machen!<br />

8. Verwende eine einfache Sprache!<br />

9. Sei ruhig!<br />

10. Lächle!<br />

Erkenntnisse aus<br />

der Gruppendiskussion<br />

zu den Fragen:<br />

–Welche Standards schaffen Sie zur<br />

operativen Koordination?<br />

–Welche Standards sind Ihnen bei der<br />

Strategie-Entwicklung wichtig?<br />

–Welche kulturellen und ethischen<br />

Standards sind Ihnen für Ihre Unternehmung<br />

zentral?<br />

Zusammenarbeit braucht «Spielregeln».<br />

Zu unterscheiden sind implizite<br />

und explizite Regeln. Letztere sollten<br />

in die individuellen Zielsetzungen der<br />

Mitarbeitenden einfliessen. Wie kann<br />

man jedoch die Einhaltung der Spielregeln<br />

sicherstellen? Hierbei differenziert<br />

die Gruppe zwischen KMU und Grosskonzernen.<br />

Wegen der grossen Loyalität,<br />

langjähriger Arbeitsbeziehungen<br />

und einer insgesamt grösseren Identifizierung<br />

mit dem Unternehmen stos-<br />

G E S P r Ä C H<br />

Zielgerichteter Diskurs…<br />

sen Spielregeln bei KMU tendenziell<br />

auf Akzeptanz. Bei Grosskonzernen ist<br />

die Einhaltung der Regeln schwieriger<br />

sicherzustellen.<br />

Um einfache Tätigkeiten effizienter<br />

auszurichten, muss die operative Koordination<br />

standardisiert werden. Wichtig<br />

ist, den Mitarbeitenden Sinn durch<br />

Einblick in die übergeordneten Zusammenhänge<br />

zu vermitteln. – Standards<br />

müssen kontrolliert werden!<br />

Für den gegenseitigen Umgang hebt<br />

die Gruppe Folgendes hervor:<br />

–Verantwortlichkeiten klar<br />

definieren!<br />

–Kundenbedürfnisse und -beanstandungen<br />

ernst nehmen!<br />

–Standardisiertes und strukturiertes<br />

Arbeiten effektiver und kosteneffizienter<br />

gestalten!<br />

56<br />

Zyklus «Die Wirkung der Unternehmenskultur<br />

verstärken – ganz praktisch»;<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom 10.<br />

September 2009 «Durch motivierte<br />

Mitarbeitende die Produktivität steigern<br />

– ganz praktisch» mit Fritz Bächi, Geschäftsführer<br />

IWAZ, Schweizerisches<br />

Wohn- und Arbeitszentrum für Mobilitätsbehinderte,<br />

Wetzikon; <strong>Lilienberg</strong>-<br />

Kolloquium vom 3. November 2009<br />

«Die Qualität der Zusammenarbeit verbessern<br />

– ganz praktisch» mit Stephan<br />

Illi, Mitglied des Verwaltungsrates Consulta<br />

AG, Rüti; Moderation: Dietrich<br />

Pestalozzi – (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />

& -ethik)


Macht Finanzethik Sinn?<br />

«als ethischhandelnder Banker sind Sie<br />

dem Schutz der Privatsphäre verpflichtet»,<br />

sagt der Vorgesetzte Zimmermann<br />

(Müller) seinem Mitarbeiter (Giacobbo)<br />

und schickt ihn mit einem Koffer unbekannten<br />

inhalts auf die Cayman islands.<br />

Mit dieser überspitzten darstellung des<br />

Polit-Satire-duos eröffnete reto Siegrist,<br />

leiter PrivatBanking Markt Schweiz der<br />

ZKB Zürcher Kantonalbank sein impulsreferat<br />

anlässlich des Kolloquiums vom<br />

2. dezember 2009.<br />

Von Michel Grunder<br />

Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen<br />

anonym auftretende Personen mit<br />

Aktenkoffern voller Bargeld – zweifelhafter<br />

Herkunft – über den Paradeplatz<br />

marschierten, um deren Inhalt ganz diskret<br />

– und nebenbei unversteuert – bei<br />

einer Schweizer Bank zu deponieren.<br />

Relevant ist das Thema nach wie vor,<br />

und der Schweizer Finanzplatz steht<br />

nicht zuletzt deshalb international in<br />

der Kritik.<br />

Die ZKB hat zum Thema unversteuertes<br />

Geld eine sehr dezidierte, und<br />

im Branchen-Benchmark nach wie vor<br />

atypische Haltung. Als eine der wenigen<br />

Schweizer Banken lehnt sie unversteuertes<br />

Geld konsequent ab. Wie lässt<br />

sich dieses ethisch korrekte Verhalten<br />

in einer Bank durchsetzen und hat Finanzethik<br />

im Streben nach Wachstum<br />

überhaupt einen Platz?<br />

Zunächst steht ein Banker im dauerhaften<br />

Spannungsfeld zwischen in-<br />

Reto Siegrist<br />

G E S P r Ä C H<br />

dividuellen Zielvorgaben – beispielsweise<br />

eine bestimmte Summe Neugeld<br />

zu akquirieren –und persönlichen, firmenspezifischen<br />

und gesellschaftlichen<br />

Werten. Dieser Konflikt kann durch Gefälligkeiten,<br />

Gunstwerbung usw. akzentuiert<br />

werden. Um dieses Spannungsfeld<br />

mit Fokus auf die Ethik zu überwinden,<br />

Weitervermitteln der eigenen Erfahrungen: zum Vergleich<br />

57<br />

braucht es Integrität, die kontinuierliche<br />

ethische Vorbildfunktion des Top-Managements<br />

und eine regelmässige Reflektion<br />

des eigenen Handelns. Bei der<br />

ZKB gehört es zum Standard, ausländische<br />

Kunden zu fragen, ob das vorgelegte<br />

Geld versteuert sei. Im Zweifelsfall<br />

werden Gelder abgelehnt. «Wenn diese<br />

Signale von ganz oben kommen, setzt<br />

sich das ethische Bewusstsein sukzessive<br />

über die gesamte Organisation hinweg<br />

durch», sagte Reto Siegrist.<br />

Es ist wichtig, ethischBrisantes immer<br />

wieder zu thematisieren, Schwachstellen<br />

offen zu legen und über den langfristigen<br />

Nutzen verschiedener Praktiken<br />

zu sprechen. Denn langfristig zahlt sich<br />

in der Regel moralkonformes Handeln<br />

aus. Das Fehlverhalten eines einzelnen<br />

Akteurs kann die gesamte Organisation,<br />

sogar die ganz Branche schädigen.<br />

Die Reputation des Finanzplatzes<br />

Schweiz hat in letzter Zeit substanziell<br />

gelitten, beispielsweise aufgrund der


Boni-Diskussion, der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

oder der offensichtlichen<br />

Verwaltung von steuerfreiem Geld.<br />

Diese turbulente Phase hat aber auch<br />

Positives bewirkt. Erstens entstand eine<br />

breit geführte Ethikdiskussion, zweitens<br />

wendet man sich wieder dem eigentlichen<br />

Zweck des Bankgeheimnisses zu<br />

– nämlich die Privatsphäre und nicht<br />

unethisches Verhalten zu schützen –<br />

und drittens gewinnen Qualitäten wie<br />

Beratung, Betreuung und Dienstleistung<br />

bei den Banken wieder Oberhand.<br />

Im Rahmen der Gruppendiskussion<br />

wurdeprimärdieFragediskutiert,welche<br />

ethischen Attribute bei einem Geschäftspartner<br />

wichtig seien. Im Vordergrund<br />

standen «Vertrauen», «Offenheit», «Berechenbarkeit»<br />

und die «Bereitschaft,<br />

sich Zeit für meine Anliegen zu nehmen»,<br />

aber auch der beidseitige Wille,<br />

die jeweils individuellen Massstäbe und<br />

Werte immer wieder kritisch zuüberprüfen.<br />

Im Sinne eines gesellschaftskritischen<br />

Exkurses wurde thematisiert, dass<br />

insbesondere Führungskräften dies aus<br />

Zeitgründen häufig gar nicht möglichist.<br />

Ethik wird dadurch noch kostbarer, beinahe<br />

zum Luxusgut. DieTeilnehmenden<br />

waren sich aber einig, dass Zeitknappheit<br />

nicht als Ausrede herangezogen<br />

werden darf, um ethisches Denken und<br />

Handeln aussen vorzulassen.<br />

Zyklus «Sinn und Ethik im Unternehmertum»;<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom<br />

2. Dezember 2009 «Macht Finanzethik<br />

Sinn?» mit Reto Siegrist, Leiter Private<br />

Banking Markt Schweiz, Zürcher Kantonalbank,<br />

Zürich; Moderation: Michel<br />

Grunder – (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />

&-ethik)<br />

G E S P r Ä C H<br />

Vielfalt in der Wirtschaft fördern:<br />

Unternehmerin und Unternehmer als tandem<br />

Einblicke in die Geschäftsberichte<br />

der grossen Unternehmungen in der<br />

Schweiz zeigen, dass geschäftsleitende<br />

Funktionen – aber auch Verwaltungsratsmandate<br />

– sehr spärlich<br />

von Frauen besetzt sind. Namhafte<br />

Firmen haben sich zum Ziel gesetzt,<br />

den Frauenanteil im Kaderbereich zu<br />

erhöhen.<br />

Von Dr. Max Becker<br />

Es bleibt festzuhalten, dass die<br />

Gesamt-Erwerbsquote der Frauen<br />

in der Schweiz (rund 75%) weit<br />

über dem europäischen Mittel (rund<br />

55%) liegt. Die Schweiz gilt, zusammen<br />

mit Skandinavien, als «Teilzeit-<br />

Vorzeigeland». Im Gegensatz dazu:<br />

wenn man die Nationalratssitze als<br />

Politkader bezeichnet, so darf festgestellt<br />

werden, dass immerhin rund<br />

30% der Nationalratssitze von Frauen<br />

eingenommen werden – Tendenz in<br />

den letzten Jahren steigend. Im ähnlichen<br />

Rahmen dürften sich die Zahlen<br />

bei den kantonalen und kommunalen<br />

Exekutiven und Legislativen bewegen.<br />

Wirtschaft für die Männer –<br />

Politik für die Frauen?<br />

Die Teilnehmenden am Kolloquium<br />

vom 27. August 2009 (mit 90% Frauenanteil!)<br />

haben versucht, den Gründen<br />

für diese unterschiedliche Ent-<br />

58<br />

wicklung nachzugehen. Lanciert von<br />

zwei gehaltvollen Input-Referaten von<br />

Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller<br />

(Kt.TG),Vizepräsidentin der CVP-Fraktion<br />

derBundesversammlung, und von<br />

Corinne Hobi, Unternehmerin und<br />

früheres Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Electrolux Schweiz, wurden in der<br />

Diskussion verschiedene Faktoren herausgearbeitet:<br />

Zeit und Geld<br />

Fast alle Politiker(-innen)-Laufbahnen<br />

beginnen auf Gemeinde-Ebene. Die<br />

Traktanden der Parlamente und Exekutiven,<br />

aber auch der Fachkommissionen<br />

in den Gemeinden betreffen Fragen<br />

des täglichen Lebens, mit denen<br />

viele Frauen, auch junge Mütter konfrontiert<br />

sind: Ausbildung und Erziehung,<br />

Integrations- und Sozialfragen,<br />

ökologische Themen usw. Sitzungen<br />

finden oft an Randstunden und Abenden<br />

statt, wasesbesser ermöglicht, die<br />

Kinderbetreuung zu organisieren.<br />

Im Gegenzug dazu erfordern Führungspositionen<br />

in der Wirtschaft eine<br />

zeitliche Präsenz –oft auch mit Reisen<br />

verbunden –welche Frauen auch bei<br />

guter «Familien-Organisation» nicht<br />

erbringen können. Ein Parlamentsmandat<br />

z.B. ist hingegen zeitlich in<br />

aller Regel besser zu bewältigen. Derartige<br />

Funktionen entsprechen auch<br />

dem Wunsch vieler Frauen, sich in<br />

den Dienst des Gemeinwohls zu stel-


len und materiellen Fragen eine tiefere<br />

Priorität beizumessen.<br />

Quoten und Macht<br />

Über vielen Diskussionen in den Medien<br />

und in der Politik kreist die Frage<br />

der Quoten: Sind gesetzliche Regelungen<br />

(wie z.B. in Norwegen, wo 35% der<br />

Verwaltungsratssitze von börsenkotierten<br />

Firmen per Gesetz von Frauen eingenommen<br />

werden müssen) die Lösung?<br />

Haben wir in der Schweiz nicht<br />

schon ein genügend dichtes – wenn<br />

nicht zu dichtes – Regel- und Gesetzeswerk?<br />

Würden zeitlich befristete Quotenregelungen<br />

– im Sinne einer «Anschub-Unterstützung»<br />

– die Situation<br />

nachhaltig ändern?<br />

Einigkeit herrschte darüber,dass der<br />

Druckbei Führungspositionen in grossen,<br />

zumal international dominierten<br />

und deshalb oft anonymen Unternehmungen<br />

ausgeprägt ist und dass Männer<br />

eher die Tendenz haben, diesem<br />

Druck standhalten zu wollen –öfter<br />

als Frauen «bis zum bitteren Ende» (allerdings<br />

mit den oft belastenden Konsequenzen).<br />

So wurden in der Diskussion<br />

u.a. «Abgangsentschädigungen»<br />

als typisch männliches Phänomen<br />

beurteilt. Besser scheinen die Voraussetzungen<br />

in kleineren und mittleren<br />

Unternehmungen zu sein: Flexibilität<br />

in Arbeitszeitfragen und weniger ausgeprägte<br />

Reisetätigkeit begünstigen<br />

die Verbindung von Familie und Beruf<br />

für Frauen. Ausserdem gewährleistet<br />

die Nähe von KMU-Unternehmungsspitzen<br />

und Kadern das vermehrteVerständnis<br />

für individuelle Lösungen.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Werte vermitteln – Werte leben:<br />

Unternehmende in der Verantwortung<br />

Das Gerüst allen Handelns basiert auf<br />

Normen, die durch Familien und Freunde,<br />

Erziehung und Gesellschaft geprägt<br />

sind: die Werte. Wenn eine Unternehmung<br />

Mitarbeitende anstellt, stellt sie<br />

auch «Werthaltungen» an, die natürlich<br />

ihrerseits durch die unternehmerische<br />

Umgebung geprägt und weiterentwickelt<br />

werden. Werthaltungen werden<br />

sowohl ausgestrahlt als auch aufgenommen.<br />

Wenn sich fortschrittliche<br />

Unternehmungen entschliessen, Mitarbeitenden<br />

die Gelegenheit zu geben,<br />

ihre Kinder in gute Obhut zu geben, tun<br />

sie das nicht, weil sie ihre Werte multiplizieren<br />

wollen. Dass dabei auch<br />

Werte vermittelt werden, steht ausser<br />

Zweifel.<br />

Jeannette Good, Leiterin der Kinderkrippen<br />

von ABB (Schweiz), berichtete<br />

anlässlich des Kolloquiums vom 28.<br />

September 2009 aus ihrem Alltag: In 11<br />

Krippen werden täglich mehrere Hundert<br />

Kinder gehütet –Alter von «0» bis<br />

zur Schulpflicht. Alle Kinder sind durch<br />

ihre Herkunft geprägt, rund die Hälfte<br />

der Kinder haben ausländische Wurzeln:<br />

diese zu respektieren, ist ein Grundwert<br />

der Krippen. Die Herkunft wird nicht<br />

«gewertet», vielmehr bildet sie das Fundament<br />

zum Erfahren des Anderen.<br />

Gleichzeitig lernen die Kinder, sich in<br />

einer Gemeinschaft zu bewegen, Regeln<br />

zu respektieren und ausserhalb der<br />

Familie auch «fremden» Werten zu begegnen<br />

und Grenzen zu erfahren. Eine<br />

Krippe kann kein Familienersatz sein, sie<br />

ermöglicht aber oft beiden Elternteilen,<br />

ihre berufliche Tätigkeit weiterzuführen.<br />

59<br />

Die zweite Referentin, Antoinette<br />

Hunziker-Ebneter, hatte in ihrer bisherigen<br />

beruflichen Laufbahn Gelegenheit,<br />

Werthaltungen in einer Umgebung<br />

zu erleben, die stark materiell geprägt<br />

war: Als Chefin der Schweizer Börse<br />

und Mitglied des Top-Managements bei<br />

schweizerischen und ausländischen<br />

Banken hat sie erfahren, wie Werte zerfallen,<br />

wenn sie durch Kurzfristigkeit<br />

getrieben sind.Verlässlichkeit und Blick<br />

für das Ganze kamen in dieser Umgebung<br />

zu kurz und Antoinette Hunziker<br />

hat sich entschlossen, mit Partnern die<br />

«Forma Futura Invest AG» zu gründen,<br />

eine Unternehmung die als Geschäftsmodell<br />

zum Ziel hat, Investitionen ausschliesslich<br />

für nachhaltig geführte und<br />

hohen ethischen Werten verpflichteten<br />

Unternehmungen, zu tätigen. Werte<br />

werden auch in der Führung vermittelt,<br />

was sich u.a. darin äussert, dass Mitarbeitenden<br />

keine Boni ausbezahlt werden,<br />

sondern Fixsaläre. Auch der Kunde<br />

muss die Werte von Forma Futura Invest<br />

teilen und leistet so seinen Beitrag, dass<br />

das Geld im Finanzsystem in die richtigen<br />

Bereiche fliesst. So gelingt es, den<br />

Bogen zwischen der Welt der Finanzen<br />

und den Werten der Nachhaltigkeit zu<br />

spannen.<br />

In der Diskussion nach den beiden<br />

engagiert vorgetragenen «Inputs» kam<br />

zum Ausdruck, dass in einer Zeit, in der<br />

25% der Jugendlichen direkt oder indirekt<br />

von Sozialhilfeleistungen leben,<br />

die Vermittlung und Einhaltung von<br />

Werten zentral sind. Sie bilden die Voraussetzung<br />

dafür, sich in der Welt des<br />

Überkonsums zurechtzufinden. Wir<br />

alle streben nach Sicherheit und Geborgenheit,<br />

Leitplanken erleichtern das


tägliche Leben und die Orientierung –<br />

aber ebenso gehören Mut zum Risiko,<br />

Respekt vor Anderem, Bescheidenheit<br />

und Neugierde am Unbekannten dazu.<br />

«Werte» helfen, diesen «Gap» zu überwinden<br />

und sich in der Unsicherheit<br />

zurechtzufinden.<br />

Unternehmerinnen im aufwind –<br />

wie Frauen Mehrwert schaffen<br />

Anlässlich der Tagung und dem anschliessenden<br />

Ausserordentlichen Gespräch<br />

vom 9. Dezember 2009 fand<br />

der Zyklus «Vielfalt in der Wirtschaft<br />

fördern: Unternehmerin und Unternehmer<br />

als Tandem» seinen Abschluss.<br />

Thomas Daum<br />

Zu Beginn zeichneteThomas Daum,<br />

Direktor des Schweizerischen Arbeitgeber-Verbandes,<br />

das Bild der Arbeit-<br />

Geberin aus seiner Sicht («die Arbeit-<br />

Geberin –gleich und doch anders»):<br />

Er kam zum Schluss, dass sich das<br />

weibliche Unternehmertum stark auf<br />

G E S P r Ä C H<br />

den KMU-Bereich fokussiere –ander<br />

Spitze börsenkotierter Gesellschaften<br />

sei es untervertreten. Ein Blick auf die<br />

Situation bei KMU-Unternehmungsnachfolgen<br />

zeige, dass 2005 7% der<br />

familieninternen Übergaben an eine<br />

Tochter erfolgten, vier Jahre später waren<br />

es bereits 14%. Für Thomas Daum<br />

ist es charakteristisch, dass Frauen<br />

«Laufbahnen auf Umwegen» durchlaufen,<br />

eine hohe Bereitschaft zum Unkonventionellen<br />

aufweisen und dass<br />

für sie Beziehungen wichtiger sind als<br />

Strukturen bei der Führung. Er ortet<br />

bei Frauen einen sorgfältig(er)en Umgang<br />

mit Risiken und ein hohes Mass<br />

an integriertem Denken über berufliche<br />

Grenzen hinaus. Den Finanzcrash<br />

bezeichnet Thomas Daum als «ziemlich<br />

männliches Phänomen» und er<br />

stellt die hypothetische Frage, was geschehen<br />

wäre, wenn an der Spitze der<br />

grossen Finanzinstitutionen Frauen anstelle<br />

von Männern gestanden hätten<br />

(«wer weiss, vielleicht hätte es dann<br />

keinen crash gegeben...»).<br />

Ursula Fraefel, Chefredaktorin der<br />

«Thurgauer Zeitung», kam in ihrem<br />

Referat zum Schluss, dass Frauen<br />

nachhaltiger und ganzheitlicher denken,<br />

«aber sie sind nicht die besseren<br />

Menschen». Ihrer Ansicht nach gehen<br />

Frauen auch zu wenig taktisch vor.<br />

Sie schalten auch Konkurrenten –ungleich<br />

vieler Männer –imGerangel<br />

um Spitzenpositionen nicht instinktiv<br />

aus. Dafür seien Frauen pragmatischer,<br />

haben ein sicheres Gespür für<br />

Machbares und können gut antizipieren.<br />

Ihren Kolleginnen in Führungspositionen<br />

(und Anwärterinnen darauf)<br />

60<br />

Ursula Fraefel<br />

möchte Ursula Fraefel mit auf den<br />

Weg geben, dass Frauen als Chefinnen<br />

nicht geliebt werden, aber dass<br />

sie trotzdem –oder erst recht –gebraucht<br />

würden.<br />

Anschliessend zeichneten mit Iris<br />

Coray und Catherine André zwei Unternehmerinnen<br />

das Bild der Frau, die<br />

– wie oben erwähnt – auch «Umwege<br />

gegangen sind». Iris Coray ist Co-Leiterin<br />

von L&S design und technics, einem<br />

Unternehmen in Sommeri TG, mit einer<br />

stark technisch ausgerichteten Domäne<br />

(Metallbau-Produkte, Komponenten-<br />

und Systemfertigung).<br />

Catherine André hat sich nach einer<br />

erfolgreichen beruflichen Laufbahn<br />

– welche sie u.a. nach China führte –<br />

entschlossen, auf «Glamour der grossen<br />

Unternehmungen (rote Teppiche<br />

usw.) zu verzichten und mit ihrer Firma<br />

«Creatif GmbH» Führungskräfte<br />

zu coachen und Prozesse des Wandels<br />

und der Krisen in Unternehmungen<br />

professionell zu begleiten. Beide Refe-


Von links: Dr. Max Becker, Iris Coray, Catherine André, Anton Bucher<br />

rentinnen unterlegten ihre Referate mit<br />

eindrücklichen Beispielen aus der gelebten<br />

unternehmerischen Praxis.<br />

Im abschliessenden Ausserordentlichen<br />

Gespräch zeichnete Julia Onken<br />

das Bild der selbstbewussten Frau<br />

nach, welche – auch sie auf Umwegen!<br />

– heute Frauen unterstützt, in der Welt<br />

der Wirtschaft (aber nicht nur dort) Tritt<br />

zu fassen, die geschriebenen und ungeschriebenen<br />

Gesetze (und Mausefallen)<br />

zu erkennen und ihre spezifischen<br />

Stärken zum Tragen zu bringen. Julia<br />

Onken – ausgebildete Psychologin und<br />

aktiv als Buchautorin – ist es gelungen,<br />

mit dem «Frauenseminar Bodensee»<br />

in Romanshorn eine Ausbildungs-Institution<br />

zu gründen, welche weit über<br />

die Region hinaus Anerkennung findet<br />

und den Teilnehmerinnen an den Seminaren<br />

sowohl «technisches» als auch<br />

Persönlichkeits-Rüstzeug auf ihren Weg<br />

gibt. Jede, auch eine kritische Lebenssituation<br />

kann gemeistert werden und<br />

Julia Onken<br />

G E S P r Ä C H<br />

61<br />

Lebensgeschichten lehren, bzw. man<br />

lernt, einen eigenen Weg zu gehen und<br />

immer wieder darauf hinzuwirken, dass<br />

Frauen – mit ihrer ausgeprägten Fähigkeit<br />

zu «intuitiv richtigem» Handeln –<br />

Erfolge haben können.<br />

Zyklus «Vielfalt in der Wirtschaft fördern:<br />

Unternehmerin und Unternehmer<br />

als Tandem»; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />

vom 27. August 2009 «Wirtschaft für<br />

die Männer – Politik für die Frauen?» mit<br />

Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller,<br />

Vizepräsidentin der CVP-Bundeshausfraktion,<br />

Bichelsee, und Corinne Hobi,<br />

Inhaberin dialogue GmbH, Zürich; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />

vom 28. September<br />

2009 «Werte vermitteln – Werte leben:<br />

Unternehmende in der Verantwortung»<br />

mit Jeannette Good, Leiterin ABB Kinderkrippen,<br />

ABB (Schweiz), Baden, und<br />

Antoinette Hunziker, CEO Forma Futura<br />

Invest AG, Zürich; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung<br />

und Ausserordentliches Gespräch vom<br />

9. Dezember 2009 «Unternehmerinnen<br />

im Aufwind – wie Frauen Mehrwert<br />

schaffen» mit Thomas Daum, Direktor<br />

Schweizerischer Arbeitgeberverband,<br />

Zürich, Ursula Fraefel, Chefredaktorin<br />

«Thurgauer Zeitung», Frauenfeld, Iris<br />

Coray, Teilhaberin und Verwaltungsrätin<br />

L+S AG Design und Technics, Sommeri,<br />

Catherine André, Inhaberin Creatif<br />

GmbH, Brugg, Julia Onken, dipl.<br />

Psychologin, Autorin, Gründerin und<br />

Leiterin Frauenseminar Bodensee, Romanshorn;<br />

Moderation: Dr. Max Becker<br />

und Anton Bucher – (Aktionsfeld Wirtschaft<br />

& Industrie)


Es ist unbestritten, dass die Schweiz<br />

eine vielfältige Medienkritik braucht,<br />

um die Qualität der Medien und damit<br />

den Prozess der demokratischen<br />

Entscheidungsfindung sicherzustellen.<br />

Viele medienkritische organisationen<br />

kämpfen jedoch mit knappen ressourcen.<br />

Einige wollen deshalb verstärkt<br />

zusammenarbeiten, ohne dabei ihre<br />

inhaltliche Eigenständigkeit zu verlieren.<br />

durch die Bündelung der Kräfte<br />

in einer koordinierenden organisation<br />

wollen sie dazu beitragen, dass medienkritischen<br />

themen in der Gesellschaft<br />

und in den Medien selbst wieder<br />

eine höhere Bedeutung zukommt. im<br />

Zentrum steht die Gründung des «Vereins<br />

Medienkritik Schweiz», dessen<br />

Konzept 2009 im aktionsfeld Medien<br />

& Kommunikation auf dem lilienberg<br />

erarbeitet wurde.<br />

Von Dr. Barbara Meili<br />

aufbruch zu einer kompetenten<br />

Medienkritik<br />

Mit der Tagung unter dem Motto «Aufbruch<br />

zu einer kompetenten Medienkritik»<br />

und dem anschliessenden Ausserordentlichen<br />

Gespräch vom 17.<br />

November 2009 fand der Veranstaltungszyklus<br />

«Bündelung der Kräfte für<br />

eine nachhaltige Medienkritik in der<br />

Schweiz» seinen Abschluss. Vertreter<br />

medienkritischer Organisationen ha-<br />

G E S P r Ä C H<br />

Bündelung der Kräfte<br />

für eine nachhaltige Medienkritik in der Schweiz<br />

ben im Jahr 2009 gemeinsam mit Experten<br />

aus der Wissenschaft und der Medienbranche<br />

eine koordinierende Organisation<br />

der Medienkritik konzipiert.<br />

Die Arbeitsgruppe hat sich auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />

unter der Leitung von Werner<br />

Schwarzwälder und Dr. Barbara Meili,<br />

Aktionsfeld Medien & Kommunikation,<br />

in vier Kolloquien den folgenden Fragen<br />

gewidmet:<br />

■ Was ist zu tun, damit die vielfältigen<br />

medienkritischen Aktivitäten in der<br />

Schweiz ihre Wirkung verstärken und<br />

einen Beitrag zur Qualitätssicherung<br />

der Medien leisten können?<br />

62<br />

■ Welches sind die geeigneten Strukturen<br />

und Prozesse, Finanzierungs- und<br />

Trägerschaftsmodelle, um der komplexen<br />

Aufgabe gerecht zu werden?<br />

Zu diesen Fragen präsentierte die Arbeitsgruppe<br />

an der Tagung ihre Lösungsansätze.<br />

Im Zentrum stand die<br />

Gründung des «Vereins Medienkritik<br />

Schweiz». Der Gründungsvorstand unter<br />

dem Präsidium von Gottlieb F. Höpli<br />

präsentierte den Verein erstmals dem<br />

Publikum und liess ihn von weiteren<br />

Experten, aber auch von Medienkonsumenten<br />

kritisch beurteilen.<br />

Prof. Dr. Gabriele Siegert, Leiterin<br />

des Instituts für Publizistikwissenschaft<br />

und Medienforschung der Universität<br />

Zürich, zeigte in ihrem Impulsreferat<br />

«Notwendigkeit und Unmöglichkeit<br />

von Medienkritik» auf, was die Beson-<br />

Von links: Dr. Barbara Meili, Dr. Philip Kübler, Dr. Andreas Jäggi, Werner Schwarzwälder,<br />

Dr. Daniel Glasl, Ulrich Kündig


derheit von Medien aus wissenschaftlicher<br />

Sicht ausmacht. Die Medien beobachten<br />

und beschreiben die Gesellschaft,<br />

indem sie Themen überhaupt<br />

erst mit Publizität ausstatten. Dadurch<br />

werden sie zu einem entscheidenden<br />

Faktor gesellschaftlicher Entwicklung.<br />

Die Konsumenten sind aber nur begrenzt<br />

in der Lage, die Leistungen der<br />

Medien vorab zu beurteilen. «Medien<br />

sind Güter, deren Qualität zum Teil erst<br />

nach der Nutzung und zum Teil überhaupt<br />

nur bedingt oder nicht beurteilt<br />

werden kann, sie sind Erfahrungs- oder<br />

Vertrauensgüter.» Gleichzeitig hat die<br />

Gesellschaft an die Medien hohe Erwartungen,<br />

vor allem an ihre Kritikund<br />

Kontrollfunktion. Nicht umsonst<br />

werden die Medien oft als vierte Gewalt<br />

oder als «watchdog» bezeichnet. Wer<br />

aber kontrolliert, ob sie ihre Funktion<br />

wahrnehmen?<br />

All dies verlangt nach einer Medienkritik<br />

durch externe, unabhängige Instanzen,<br />

die nicht Teil des Mediensystems<br />

sein dürfen. Eine Organisation wie<br />

der Verein Medienkritik Schweiz, die<br />

diese Kräfte bündeln will, ist nach Prof.<br />

Dr. Gabriele Siegert mit zwei spezifischen<br />

Herausforderungen konfrontiert.<br />

Erstens steht sie im Wettbewerb um<br />

Aufmerksamkeit beim Publikum, darf<br />

aber die in den Medien bewährten Mittel,<br />

um diese Aufmerksamkeit zu erzielen,<br />

nicht einsetzen, wie zum Beispiel<br />

die Skandalisierung. Zweitens braucht<br />

eine solche Organisation Geld. Um ihre<br />

Unabhängigkeit zu wahren, darf sie jedoch<br />

bei der Mittelbeschaffung nicht<br />

die nächstliegenden Quellen nutzen,<br />

das heisst, sich nicht von Medienhäusern<br />

finanzieren lassen.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Von links: Dr. Philip Kübler, Prof. Dr. Vinzenz Wyss, Dr. Barbara Meili, Guido Keel,<br />

Werner Schwarzwälder<br />

Gottlieb F. Höpli, der frühere Chefredaktor<br />

des «St. Galler Tagblatts»<br />

und designierter Präsident des Vereins<br />

Medienkritik Schweiz, beleuchtete das<br />

Thema Medienkritik zuerst aus seiner<br />

langjährigen Erfahrung im Journalismus.<br />

In seinem Referat «Wider das<br />

Schwinden der Kräfte in der Medienkritik»<br />

führte er aus, warum es heute<br />

in der Schweiz weniger Medienkritik<br />

gibt als noch in den neunziger Jahren.<br />

Durch die grosse Zahl von Medien, die<br />

tendenziell mit immer knapperen Personalressourcen<br />

arbeiten, ist immer<br />

weniger Kapazität für die gegenseitige<br />

Wahrnehmung vorhanden. Die Bedeutung<br />

der Zeitungen geht zurück, das<br />

politische Profil der einzelnen Produkte<br />

wird flacher. Die vielen laufenden «Relaunches»<br />

zeigen das grosse Bestreben<br />

der Verlage, die Zeitungen dem aktuellen<br />

Geschmack anzupassen, also –<br />

ähnlich den Autoherstellern – eine Art<br />

63<br />

Modellpflege zu betreiben. In den Medienhäusern<br />

herrscht zudem auf allen<br />

Stufen eine lähmende Angst, sich gegenseitig<br />

zu kritisieren, denn der Markt<br />

ist eng, und die Akteure sind einander<br />

auf mannigfache Weise ausgesetzt. Medienkritik<br />

durch die Medien selbst wird<br />

damit zu einer «aussterbenden Art».<br />

Der Verein Medienkritik Schweiz will<br />

die externen medienkritischen Organisationen<br />

in ihrer ganzen Vielfalt fördern<br />

und damit einen Beitrag zur Qualität<br />

der Medien leisten. Als Träger des Vereins<br />

sieht Gottlieb F. Höpli drei Akteure:<br />

medienkritische Organisationen, die<br />

Wissenschaft sowie die Medienhäuser<br />

und die Medienjournalisten. Seines Erachtens<br />

haben diese drei Akteure bisher<br />

kaum miteinander kommuniziert. So<br />

sieht er denn auch die Hauptaufgaben<br />

desVereins darin, den medienkritischen<br />

Diskurs zu stärken, eine gemeinsame<br />

Plattform für diesen Diskurs zu bieten


und selber eine «Wachhund-Funktion»<br />

zu erfüllen. Mit einem eigenen Index,<br />

der die medienkritischen Aktivitäten in<br />

der Schweiz misst und bewertet, und<br />

einem jährlichen Symposium soll die<br />

Arbeit des Vereins in der Branche und<br />

beim Publikum breit bekannt und nutzbar<br />

gemacht werden.<br />

Diesen Index sieht Dr.Vinzenz Wyss,<br />

Professor für Journalistik an der Zürcher<br />

Hochschule für Angewandte Wissenschaften,<br />

als gemeinsame Referenz für<br />

die Akteure der Medienkritik. Gerade<br />

weil sie unterschiedliche politische<br />

Ausrichtungen haben, braucht es eine<br />

koordinierte unabhängige Instanz, die<br />

auf die öffentliche Aufgabe der Medien<br />

hinweist. In seinem Referat «Strukturanalyse<br />

‹Index Medienkritik›: Ziele und<br />

Operationalisierungen» zeigte er eine<br />

Palette von Fragestellungen, zu denen<br />

ein solcher Index Informationen erheben<br />

kann: Wer sind die Akteure der Me-<br />

G E S P r Ä C H<br />

dienkritik? Von welcher Herkunft sind<br />

sie? Auf welcher Ebene arbeiten sie,<br />

und mit welchen Zielen und Aktivitäten?<br />

Der Index soll eine beschreibende,<br />

analysierende und erklärende Funktion<br />

haben und insbesondere auch gelungene<br />

Beispiele für ein funktionierendes<br />

Mediensystem zeigen. Was der Index<br />

leisten kann, wird nicht zuletzt von<br />

den verfügbaren Ressourcen abhängen.<br />

Prof. Dr. Vinzenz Wyss sieht für dieses<br />

Vorhaben ideale Möglichkeiten von Kooperationen<br />

unter verschiedenen Forschungsinstitutionen.<br />

Erste reaktionen medienkritischer<br />

organisationen<br />

In der <strong>Lilienberg</strong>-Arbeitsgruppe zum<br />

Thema Medienkritik waren von Beginn<br />

weg verschiedene medienkritische<br />

Organisationen vertreten, so<br />

Von links: Prof. Dr. Gabriele Siegert, Prof. Dr. Vinzenz Wyss, Dr. Philip Kübler,<br />

Gottlieb F. Höpli<br />

64<br />

der Schweizer Presserat, Arbus-Vereinigung<br />

für kritische Mediennutzung,<br />

die <strong>Stiftung</strong> Wahrheit in den<br />

Medien, die Aktion Medienfreiheit<br />

sowie ehemalige Mitglieder der Zürcher<br />

Studiengruppe für Medienfragen.<br />

An der Tagung zeigte Dr. Philip<br />

Kübler, Rechtsanwalt und Mitglied<br />

des Schweizer Presserats, in seinem<br />

Referat «Die Stärkung der Medienkritik<br />

aus der Sicht der bestehenden<br />

Institutionen», welche Möglichkeiten<br />

der Presserat hat, aber auch woseine<br />

Grenzen sind. Während der Presserat<br />

sich mit konkreten Fällen zu befassen<br />

hat, soll der Verein Medienkritik<br />

Schweiz die Qualität auf einer Metaebene<br />

fördern und über den Einzelfall<br />

hinaus Erkenntniswert schaffen.<br />

Doris Gerber-Weeber, Vorstandsmitglied<br />

von Arbus, ist überzeugt, dass<br />

durch den neuen Verein die Stimme<br />

der Medienkritik insgesamt wieder<br />

lauter wird. Entscheidend ist für sie,<br />

dass die Aktivitäten mit dem wissenschaftlichen<br />

Instrument des geplanten<br />

Index ergänzt werden. Hermann<br />

Suter, Präsident der <strong>Stiftung</strong> Wahrheit<br />

in den Medien, begrüsste die Initiative<br />

wärmstens. Ihm liegt viel daran, dass<br />

Medienkritik nicht einfach auf wunde<br />

Punkte im System hinweist, sondern<br />

Medienschaffende in ihrer wichtigen<br />

Aufgabe unterstützt und sie gegen ungerechtfertigten<br />

Tadel verteidigt. Der<br />

Vorstand der Aktion Medienfreiheit,<br />

in der Arbeitsgruppe vertreten durch<br />

Martin Baltisser, wird ebenfalls über<br />

einen Beitritt zum Verein Medienkritik<br />

Schweiz diskutieren. Seiner besonderen<br />

Genugtuung über das erreichte<br />

Ziel der Gründung des Vereins gab


auch Prof. em. Christian Doelker Ausdruck.<br />

Er hatte dem <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong><br />

das Thema Medienkritik<br />

in Fortführung der Tätigkeit der früheren<br />

Zürcher Studiengruppe für Medienfragen<br />

vorgeschlagen und die Arbeitsgruppe<br />

stets fachwissenschaftlich<br />

begleitet.<br />

interesse bei verschiedenen<br />

anspruchsgruppen<br />

Wo kann, wo soll der Verein Medienkritik<br />

Schweiz konkret ansetzen?<br />

Inwiefern nehmen die Medien ihre<br />

Funktion, die öffentliche Diskussion<br />

wichtiger Themen zu unterstützen,<br />

in angemessener Weise wahr, wo<br />

herrscht Handlungsbedarf? Zu diesen<br />

Fragen nahmen Exponenten von Politik,<br />

Wirtschaft und Wissenschaft in<br />

einem Podiumsgespräch Stellung. Mit<br />

Moderator Werner Schwarzwälder<br />

und Gottlieb F. Höpli diskutierten Nationalrat<br />

Markus Hutter,Vizepräsident<br />

G E S P r Ä C H<br />

Von links: Gottlieb F. Höpli, Nationalrat Markus Hutter, Werner Schwarzwälder, Rolf Probala, Dr. Urs Rellstab<br />

der FDP Schweiz, der Kommunikations-<br />

und Medienberater Rolf Probala,<br />

vormals Kommunikationschef der ETH<br />

Zürich, und Urs Rellstab, Stv. Direktor<br />

und Leiter Kommunikation bei Economiesuisse.<br />

Zyklus «Bündelung der Kräfte für<br />

eine nachhaltige Medienkritik in der<br />

Schweiz; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom<br />

17. Juni 2009 «Juristische und organisatorische<br />

Vorbereitungen zu einer<br />

koordinierenden Organisation der<br />

Medienkritik» mit Dr. Daniel Glasl,<br />

Bratschi Wiederkehr &Buob, Zürich,<br />

Dr. Philip Kübler, Rechtsanwalt, Mitglied<br />

Schweizer Presserat, Zürich,<br />

Dr. Andreas Jäggi, Kommunikationsberater,<br />

Zürich, Ulrich Kündig, polycom,<br />

Bern; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom<br />

21. September 2009 «Konzeptionelle<br />

Gestaltung und wissenschaftliche<br />

Verankerung einer koordinierenden<br />

Organisation» mit Dr. Philip Kübler,<br />

Rechtsanwalt, Mitglied Schweizer Presserat,<br />

Zürich, Prof. Dr. Vinzenz Wyss,<br />

65<br />

Professor für Journalistik, und Guido<br />

Keel, Dozent und Projektleiter, Institut<br />

für Angewandte Medienwissenschaft<br />

ZHAW, Winterthur; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung<br />

und Ausserordentliches Gespräch vom<br />

17. November 2009 «Aufbruch zu<br />

einer kompetenten Medienkritik» mit<br />

Prof. Dr. Gabriele Siegert, IPMZ, Institut<br />

für Publizistikwissenschaft und<br />

Medienforschung, Universität Zürich,<br />

Gottlieb F. Höpli, Publizist, Ex-Chefredaktor<br />

«St. Galler Tagblatt», Teufen, Dr.<br />

Philip Kübler, Rechtsanwalt, Mitglied<br />

Schweizer Presserat, Zürich, Prof. Dr.<br />

Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik,<br />

ZHAW Zürcher Hochschule für<br />

Angewandte Wissenschaften, Markus<br />

Hutter, Vizepräsident FDP, Nationalrat,<br />

Winterthur, Rolf Probala, Kommunikations-<br />

und Medienberater, ehem.<br />

Kommunikationschef ETH Zürich, Dr.<br />

Urs Rellstab, Stv. Direktor und Leiter<br />

Kommunikation, Economiesuisse, Zürich;<br />

Moderation: Werner Schwarzwälder<br />

–Aktionsfeld Medien &Kommunikation


Führung in armee<br />

und Wirtschaft<br />

Generalstabsoffiziere sind wesentliche<br />

Stützen jeder armee. lang und anspruchsvoll<br />

ist ihre ausbildung. ohne<br />

qualifizierte Generalstabsoffiziere als<br />

engste Berater der Kommandanten<br />

und Mitarbeitenden in den Stäben der<br />

grossen Verbünde kann man sich keine<br />

armee moderner ausprägung denken.<br />

Eine überwältigende Mehrheit<br />

von Kennern ist überzeugt, dass unser<br />

Milizsystem auch heute noch richtig<br />

und zukunftsfähig ist. der anteil an<br />

Miliz-Generalstabsoffizieren muss somit<br />

angemessen sein, leider ist er stark<br />

rückläufig.<br />

VonDr. Martin vonOrelli, Divisionär aD<br />

Seit Juni 2009 haben vier Unternehmerische<br />

Gespräche stattgefunden.<br />

Zu Worte kamen Verantwortungsträger<br />

aus Wirtschaft und Verwaltung, die<br />

nebst ihrer beruflichen Karriere auch<br />

die Generalstabsausbildung absolviert<br />

haben:<br />

–Riet Cadonau, CEO, Ascom, Bern<br />

–Dr. Martin Christoph Batzer,<br />

Novartis Pharma AG, Basel<br />

–Christian Haltner, Head Formalities<br />

& Investigation Competence Centre,<br />

Credit Suisse, Zürich<br />

–Andreas Münch, Migros-Genossenschafts-Bund,<br />

Mitglied der Generaldirektion,<br />

Zürich<br />

Eine Offizierslaufbahn ist aus Sicht aller<br />

Referenten eine ausgezeichnete Führungsschulung<br />

und für die berufliche<br />

G E S P r Ä C H<br />

Von links: Riet Cadonau, Dr. Martin von<br />

Orelli, Divisionär aD<br />

Entwicklung nützlich. Der junge Offizier<br />

übernimmt frühVerantwortung und<br />

gewinnt praktische Führungserfahrung,<br />

beides weit früher als in der Wirtschaft<br />

möglich und üblich.<br />

Die Ausgangslage verändert sich<br />

stark, wenn man an die Generalstabsausbildung<br />

denkt. Wichtige Weichenstellungen<br />

im zivilen Beruf erfolgen<br />

zwischen 30 und 35 Jahren: u.a. bieten<br />

sich Optionen eines Auslandaufenthaltes<br />

und hochkarätige Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />

Die Generalstabsausbildung<br />

steht heute in Konkurrenz zu<br />

diesen zivilen Ausbildungsangeboten.<br />

In multinationalen Firmen könnte eine<br />

Generalstabsausbildung immer problematischer<br />

werden. In jedem Fall stellen<br />

sich Fragen nach Aufwand und Ertrag<br />

bzw. Nutzen für den Einzelnen sowie<br />

für die Firma.<br />

Für alle waren überzeugende Persönlichkeiten<br />

unter ihren damaligen<br />

Vorgesetzten eines der entscheiden-<br />

66<br />

den Kriterien für die Bereitschaft zur<br />

Weiterausbildung zum Generalstabsoffizier.<br />

Merkpunkte<br />

Folgende Punkte stehen für die Referenten<br />

im Vordergrund:<br />

–Umgang mit dem Faktor Zeit (Erkennen,<br />

dass die Qualität einer Arbeit<br />

im Verbund mit der Funktion in der<br />

Zeit steht)<br />

–Einhalten eines bestimmten Führungsrhythmus<br />

–Systematische Problemanalyse<br />

–Auftrag in den Gesamtrahmen stellen<br />

(minimale Anforderung versus<br />

maximale Lösung, auf höherer Stufe<br />

denken)<br />

–Die Frage «de quoi s’agit-il?» konsequent<br />

beantworten. (Gelingt dies,<br />

dann ist das Problem – so Dr. Martin<br />

Christoph Batzer – bereits zu 95%<br />

gelöst!)<br />

Was zivile Managementkurse in der<br />

regel nicht anbieten, sind folgende<br />

Elemente:<br />

–Einsicht, dass die Lagebeurteilung<br />

ein ständiger Prozess ist<br />

–Zwang in der Generalstabsausbildung<br />

mehrere Varianten zur Lösung<br />

einer Problemstellung vorzuschlagen<br />

–Arbeit unter Zeitdruck mit dem<br />

Zwang, in jedem Fall etwas Brauchbares<br />

abzuliefern<br />

–In den Generalstabskursen dürfen<br />

Fehler gemacht werden, ohne dass<br />

damit der Stab über eine Person gebrochen<br />

wird (das gibt es in dieser<br />

Form in der Wirtschaft kaum)


Dr. Martin Christoph Batzer<br />

Schwachpunkte in der Generalstabsoffiziersausbildung<br />

–Kaum angesprochene Art und Weise<br />

der Zielerreichung, d.h. welche<br />

Werte einzuhalten sind oder welche<br />

Nachhaltigkeit erzielt werden soll<br />

–Militärische Kommandanten befinden<br />

sich stets im Brennpunkt, treten<br />

auf als einsame Entscheidträger, was<br />

heute in flagrantem Widerspruch zur<br />

zivilen Realität in der Wirtschaft steht<br />

–Der Funktion des Coaches, der sein<br />

Team zum Erfolg führt und der seine<br />

Unterstellten bestens kennt, wird<br />

kaum Beachtung geschenkt<br />

–Der Chef soll sich über den eigenen<br />

Verband hinaus vernetzen, um so<br />

sein Team selber zusammenstellen<br />

zu können<br />

–Der Umgang mit dem Faktum des<br />

Informationsüberflusses, d.h. Fragen<br />

rund um das Reporting, bleibt ausgeklammert<br />

–Uniformität ist nach wie vor vorherrschend;<br />

die unbestreitbaren Stärken<br />

der Diversität werden kaum thematisiert<br />

G E S P r Ä C H<br />

Christian Haltner unterstrich die Tatsache,<br />

dass insbesondere in international<br />

ausgerichteten Konzernen eher<br />

Skepsis gegenüber jenen Kadern besteht,<br />

die parallel zu ihrer beruflichen<br />

Stellung noch Militärdienst leisten. Die<br />

Finanzkrise hat aber unmissverständlich<br />

gezeigt, dass in schwierigen Situationen<br />

vornehmlich jene Kader, die<br />

mehr als eine minimale Militärdienstleistung<br />

erbracht haben, bereit sind,<br />

eine zusätzliche und ausserordentliche<br />

Leistung zugunsten des Ganzen zu erbringen.<br />

Und wenn sie Generalstabsoffiziere<br />

sind, stehen sie plötzlich sehr<br />

viel mehr imVordergrund als in der normalen<br />

Lage.<br />

Die jeweiligen Diskussionen, die<br />

sehr engagiert geführt worden sind,<br />

haben sich stark um den Begriff «Eliteschule»<br />

gedreht. Handelt es sich bei der<br />

Generalstabsausbildung um eine rein<br />

militärische Eliteausbildung oder auch<br />

um eine in der zivilen Welt anerkannte<br />

Eliteausbildung? Die Ansichten gingen<br />

stark auseinander:<br />

Dr. Martin Chr. Batzer äusserte sich<br />

unmissverständlich. Gemäss ihm müsse<br />

67<br />

Andreas Münch<br />

Von links: Dr. Martin von Orelli, Christian Haltner, Willy Jucker<br />

ein klarer Weg eingeschlagen werden:<br />

Zu glauben, die Armee könne sowohl<br />

eine zivile als auchmilitärische Eliteausbildung<br />

anbieten, sei eine Illusion. Sagt<br />

die Armee klar, dass die Generalstabsausbildung<br />

eine hoch stehende militärische<br />

Ausbildung für Führungsgehilfen<br />

der oberen taktischen und operativen<br />

Stufe anbietet, dann ist das ein starkes<br />

Zeichen. Das kann dazu führen, dass<br />

die Wirtschaft die militärische Generalstabsausbildung<br />

als sehr nützliches<br />

Pendant zu den entsprechendenzivilenAusbildungsangeboten<br />

anerkennt.<br />

Andreas Münch<br />

legte den Akzent<br />

etwas anders, betonte<br />

aber die Bedeutung<br />

der Klarheit<br />

des «Unternehmens»<br />

Armee.<br />

Es gehe darum,


nach aussen zu vermitteln, welche<br />

Qualität die im AAL Ausbildungszentrum<br />

der Armee in Luzern vermittelte<br />

Ausbildung beinhalte. Die Ausrichtung<br />

dieser Ausbildung sowie die Führung<br />

auf der Stufe Armee müsse klar(er) vermittelt<br />

werden.<br />

Voraussetzungen, dass sich die besten<br />

Militärkader zur Verfügung stellen<br />

Zu den Voraussetzungen zählen –<br />

dies unterstreichen alle Referenten,<br />

insbesondere Riet Cadonau – folgende<br />

Elemente:<br />

–Ein glaubwürdiger Auftrag der<br />

Armee<br />

–Genügend (finanzielle) Mittel für die<br />

Armee<br />

–Das Produkt «Generalstabsausbildung»<br />

muss stimmen<br />

–Für die Absolventen der Generalstabskurse<br />

müssen klare militärische<br />

Perspektiven bestehen<br />

Zyklus «Generalstabsoffiziere – heute<br />

und morgen»; Unternehmerische Gespräche<br />

vom 3. Juni 2009 mit Riet<br />

Cadonau, CEO Ascom, Bern; vom<br />

4. September 2009 mit Dr. Martin<br />

Christoph Batzer, Novartis Pharma AG,<br />

Basel; vom 7. Oktober 2009 mit Christian<br />

Haltner, Head Formalities & Investigation<br />

Competence Centre, Credit<br />

Suisse, Zürich; vom 10. November<br />

2009 mit Andreas Münch, Mitglied der<br />

Generaldirektion MGB, Migros Genossenschafts-Bund,<br />

Zürich; Moderation;<br />

Dr. Martin von Orelli, Divisionär aD –<br />

(Aktionsfeld Sicherheit & Armee)<br />

G E S P r Ä C H<br />

Generalstabsoffiziere–<br />

heute und morgen<br />

Unsere Milizarmee ist immer wieder<br />

thema engagierter diskussionen.<br />

Vielfach geht es um Strukturen, um<br />

die dauer von dienstleistungen, um<br />

rüstungsmaterialbeschaffungen usw.<br />

So gerechtfertigt diese themen auch<br />

sein mögen, unsere armee steht und<br />

fällt mit einem quantitativ genügenden<br />

und qualitativ hoch stehenden<br />

Kader. innerhalb des Kaders spielen<br />

die Gst of Generalstabsoffiziere eine<br />

besondere rolle, und trotzdem sind<br />

Funktion und Stellenwert vielfachunbekannt.<br />

ausgedehnte ausbildungszeiten<br />

und häufige Militärdienstleistungen<br />

–übers Jahr betrachtet –bringen<br />

es mit sich, dass der Nachwuchs<br />

an Gst of nicht immer einfach sicherzustellen<br />

ist. die Privatindustrie<br />

kann vom umfassenden Wissen und<br />

Können sowie der denkweise eines<br />

ausgebildeten Gst of profitieren.<br />

Von Dr. Martin von Orelli,<br />

Divisionär aD<br />

Während den letzten Jahren hat<br />

der Prozentsatz an eigentlichen Miliz-Generalstabsoffizieren<br />

drastisch<br />

abgenommen. In den Kolloquien<br />

der aus Miliz-Generalstabsoffizieren<br />

zusammengesetzten Arbeitsgruppe<br />

ging es darum, der Frage<br />

nachzugehen, welches die möglichen<br />

Gründe für diesen Rückzug<br />

sind und was dagegen unternommen<br />

werden müsste.<br />

68<br />

Von links: Martin Wohlfender,<br />

Dr. Martin von Orelli, Div aD<br />

Die Arbeitsgruppe stellte u.a. fest,<br />

dass vielfach dem Druck aus dem Umfeld<br />

(Beruf, Partner,Familie, Politik usw.)<br />

ein ungebührlich hoher Stellenwert eingeräumt<br />

wird. Diesen Faktoren ist ohne<br />

Zweifel die notwendige Beachtung zu<br />

schenken, denn sie beeinflussen den<br />

Leistungswillen, aber sie können nicht<br />

allein ausschlaggebend sein. Die Überzeugung<br />

und das Selbstbewusstsein,<br />

über die notwendigen Fähigkeiten zu<br />

verfügen oder das Erlebnis, die Möglichkeit<br />

zur erfolgreichen Leistungserbringung<br />

zu haben, sind entscheidender.Die<br />

Realität ist jedochsehr widersprüchlich:<br />

Welches ist die konkrete, positive Sinnvermittlung<br />

durch die Politik, wie gross<br />

ist das eigentliche staatliche Interesse an


den Leistungen der militärischen Kader<br />

(abgesehen von Lippenbekenntnissen),<br />

welches ist die konkrete Leistungseinforderung<br />

der Armee durch ihre Chefs, welches<br />

sind die konkreten Informationsdefizite<br />

zahlreicher Arbeitgeber betreffend<br />

Fähigkeiten der Generalstabsoffiziere?<br />

Diese und weitere Fragen standen offen<br />

zur Erörterung.<br />

Je mehr man sich mit der Fragestellung<br />

auseinandersetzt, umso komplexer<br />

erscheint sie und umso weniger<br />

sind «Schwarz-Weiss-Lösungsansätze»<br />

möglich.<br />

Eine konkrete Fragestellung besteht<br />

u.a. darin, inwiefern eine Generalstabsausbildung<br />

z.B. ein MBA ersetzen könne.<br />

Im Massstab 1:1 wohl kaum. Allzu<br />

verschieden sind die Zielsetzungen.<br />

Welches ist aber der konkrete Mehr-<br />

Verdeutlichung der eigenen Standpunkte…<br />

G E S P r Ä C H<br />

wert der Generalstabsausbildung für<br />

das Zivile? Besteht ein direktes Konkurrenzverhältnis<br />

zwischen dem Absolvieren<br />

der Generalstabskurse und dem Erwerb<br />

eines MBA? Ohne Zweifel bringt<br />

ein Gst Of Kenntnisse und Erfahrungen<br />

mit, die dem Besitzer eines MBA nicht<br />

geläufig sind. Das liegt in der Natur der<br />

Sache. Aber kennen die Unternehmer<br />

und damit die Arbeitgeber die wesentlichen<br />

charakteristischen Merkmale<br />

der Generalstabsausbildung und deren<br />

Mehrwert? Was kann ein ziviler Arbeitgeber<br />

von einem Gst Of erwarten, der<br />

sich um eine Stelle bewirbt? Es kann<br />

und darf nicht sein, dass sich im zivilen<br />

Arbeitsumfeld das Bild der Gst Of vornehmlich<br />

darauf beschränkt, in Abwesenheiten<br />

vom Arbeitsplatz gemessen<br />

zu werden.<br />

69<br />

Es gilt, in einer Gesamtanalyse den<br />

Versuch einer Darstellung der Wirkungszusammenhänge<br />

und der kritischen<br />

Erfolgsfaktoren zu unternehmen.<br />

Welches sind mögliche Erfolgsfaktoren<br />

auf die Miliz im Korps der<br />

Gst Of, welches sind die wichtigsten<br />

wenig beeinflussbaren Erfolgsfaktoren<br />

und welches sind die kritischen<br />

beeinflussbaren Erfolgsfaktoren?<br />

Zyklus «Generalstabsoffiziere –heute<br />

und morgen»; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />

vom 3.September 2009 «Erwartungen<br />

seitens der zivilen Arbeitgeber<br />

–Kernbotschaften für die verschiedenen<br />

Anspruchsgruppen» mit<br />

Martin Wohlfender,Novartis Pharma<br />

AG,Basel, und Sanjay Singh, Sanitas<br />

Krankenversicherung, Zürich; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />

vom23. November<br />

2009 «Welches sind die für den Status<br />

der Generalstabsoffiziere massgebendenWirkungszusammenhänge<br />

und welche Lösungsansätze ergeben<br />

sich daraus?» mit Bruno Basler,<br />

Präsident des Verwaltungsrates, Ernst<br />

Basler &Partner AG, Zollikon; Moderation:<br />

Dr. Martin von Orelli, Divisionär<br />

aD –(Aktionsfeld Sicherheit<br />

&Armee)<br />

Die Arbeitsgruppe hat die Absicht,<br />

am Schluss des Zyklus 2009/10<br />

eine Publikation mit den wesentlichen<br />

Erkenntnissen zu veröffentlichen.<br />

Dieses Projekt wird gemeinsam<br />

mit einer Arbeitsgruppe der<br />

GGstOf Gesellschaft der Generalstabsoffiziere<br />

vorangetrieben.


arbeit im Behördenteam –<br />

information und Kommunikation<br />

die arbeit im Behördenteam ist anspruchsvoll<br />

und anforderungsreich.<br />

Für Milizbehörden gilt dies ganz besonders.<br />

diese werden von den Stimmbürgerinnen<br />

und -bürgern gewählt<br />

– trotz unterschiedlicher Herkunft,<br />

ausbildung und Persönlichkeiten muss<br />

sich ein Behördenteam in kurzer Zeit<br />

zusammenfinden, um gemeinsam die<br />

vielfältigen aufgaben lösen zu können.<br />

Ziel des anlasses vom 15. September<br />

2009 war, aufzuzeigen, wie teambildungs-<br />

und Entscheidungsprozesse erfolgreich<br />

gestaltet werden können und<br />

wie mit einer guten informationspolitik<br />

das interesse der Bürgerinnen und<br />

Bürger geweckt werden kann.<br />

Von Jörg Kündig<br />

arbeit im Behördenteam<br />

Die Impulsreferate wurden von Brigadier<br />

Hans-Peter Wüthrich, ehemaliger<br />

Gemeindepräsident Ermatingen, sowie<br />

von Walter Bachofen, Gemeindepräsident<br />

Hinwil, gehalten. Brigadier Wüthrich<br />

setzte sich schwergewichtig mit<br />

den Grundsätzen der Teamarbeit und<br />

dem ausgewiesenen Bedürfnis für Ausbildung<br />

und Coaching, insbesondere<br />

bei den Führungseckpunkten Entscheidfindung,<br />

Entscheidung und Controlling<br />

auseinander. Er sieht bei der Behördentätigkeit<br />

den Chef klar im Zentrum.<br />

Walter Bachofen beleuchtete die zuneh-<br />

G E S P r Ä C H<br />

mende Verlagerung der früheren Behördenaufgaben<br />

an den Kanton oder an die<br />

Verwaltung. Dabei steht das Bestreben<br />

im Vordergrund, die Behörden von operativenund<br />

repetitivenAufgaben zu entlasten,<br />

so dass sie sich auf strategische<br />

Fragen konzentrieren können.<br />

Erkenntnisse aus der<br />

Plenumsdiskussion<br />

–Der Chef spielt eine gewichtige Rolle.<br />

Er ist zu stärken, aber auch zuunterstützen.<br />

Um dies zu erreichen, sollte<br />

die Pflicht zur Ausbildung in Bezug<br />

auf Coaching und Führen in das<br />

70<br />

Pflichtenheft des Präsidenten aufgenommen<br />

werden. Hierzu müssen auf<br />

Gemeindeebene die nötigen finanziellen<br />

Mittel für die Ausbildung der Behördenmitglieder<br />

eingeplant werden<br />

–Im Idealfall sollte der Chef sein Team<br />

zusammenstellen können<br />

–«Teammanagement» ist auch auf Stufe<br />

Gemeindebehörden unabdingbar<br />

Dr. Elmar Ledergerber, ehemaliger<br />

Stadtpräsident von Zürich, hob folgende<br />

Beurteilungen hervor:<br />

–Ein Primus inter pares, wie es ihn auf<br />

Bundesebene und Kantonsebene gibt<br />

(dies bei wechselndem Präsidium) ist<br />

nicht mehr zeitgemäss<br />

–Amtszeiten von vier Jahren führen<br />

dazu, dass jeweils zuviel Zeit und<br />

Energie mit dem Wahlkampf verpufft<br />

wird<br />

Von links: Hans-Peter Hulliger, Walter Bachofen, Jörg Kündig, Dr. Elmar Ledergerber,<br />

Brigadier Hans-Peter Wüthrich


–Kommunikation muss sowohl nach<br />

innen wie auch nach aussen gerichtet<br />

sein<br />

–Im Rahmen der Teamarbeit müssen<br />

Lob und Anerkennung auch kommunikativ<br />

Platz haben<br />

–Jedes Teammitglied muss grundsätzlich<br />

seine eigenen «Auftrittsmöglichkeiten»<br />

erhalten<br />

–Eine offensive Kommunikation ist zu<br />

bevorzugen. Behörden, Städte, Organisationen<br />

usw. müssen «ein Gesicht»<br />

haben: das ist in der Regel der<br />

Chef, der Präsident<br />

Weiteres Vorgehen<br />

Die Thematik «Arbeit im Behördenteam»<br />

soll anlässlich einer Tagung<br />

weiter bearbeitet werden. Dabei<br />

soll das Schwergewicht auf die<br />

Ausarbeitung von Massnahmen zur<br />

Behebung von Mängeln und zur<br />

Steigerung der Attraktivität einer<br />

Mitarbeit in Behördenämtern gelegt<br />

werden.<br />

Zyklus Politikverdrossenheit, Stimmabstinenz,<br />

Milizbeteiligung –Wie weiter<br />

mit der Konkordanzdemokratie?»;<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom 15. Septem-ber<br />

2009 «Arbeit im Behördenteam<br />

–Information und Kommunikation»<br />

mit Brigadier Hans-Peter Wüthrich,<br />

ehem. Gemeindepräsident Ermatingen,<br />

Walter Bachofen, Gemeindepräsident<br />

Hinwil sowie Dr. Elmar Ledergerber,<br />

ehem. Stadtpräsident vonZürich; Moderation:<br />

Jörg Kündig und Hans-Peter Hulliger<br />

–(Aktionsfeld Politik &Gesellschaft)<br />

G E S P r Ä C H<br />

Wissensplatz Schweiz<br />

Bildung ist ein zentraler Wert unserer<br />

Gesellschaft. der gesellschaftliche<br />

Wandel und die Globalisierung zwingen<br />

uns, permanent neue antworten<br />

und Perspektiven zu entwickeln. Gerade<br />

in schwierigen Zeiten sind Unternehmer<br />

auf geeignete, gut ausgebildete<br />

Mitarbeitende und Kader angewiesen.<br />

die Neugestaltung und Finanzierung<br />

der Schweizerischen Hochschullandschaft<br />

war thema des Kolloquiums<br />

vom 24. august 2009. Mit einer tagung<br />

und dem anschliessenden ausserordentlichen<br />

Gespräch am 2. November<br />

2009 fand der Zyklus «Wissensplatz<br />

Schweiz: Stellen wir die richtigen Weichen?»<br />

seinen abschluss.<br />

Von Georg Leumann<br />

Neugestaltung und Finanzierung der<br />

Schweizerischen Hochschullandschaft<br />

Einleitend wies Nationalrätin Brigitte<br />

Häberli-Koller auf die Komplexität des<br />

neu zu schaffenden Hochschulfördergesetzes<br />

hin. Die Neugestaltung der<br />

schweizerischen Hochschullandschaft<br />

dürfte mehr Zeit beanspruchen als ursprünglich<br />

geplant war.<br />

das Hochschulfördergesetz ist ein<br />

Koordinationsgesetz<br />

71<br />

angenommen. Ständerat Dr. Hermann<br />

Bürgi, Präsident der Kommission Wissenschaft,<br />

Bildung und Kultur, betonte<br />

in seinem Referat, dass damit die verfassungsrechtliche<br />

Ausgangslage zur<br />

Schaffung des neuen Gesetzes gegeben<br />

war. Der Bund hat zusammen mit den<br />

Kantonen einen wettbewerbsfähigen<br />

und koordinierten schweizerischen<br />

Hochschulbetrieb mit hoher Qualität<br />

zu schaffen. Für die Universitäten und<br />

Fachhochschulen gibt es zukünftig nur<br />

noch ein Gesetz. Die Bereiche Akkreditierung<br />

und Titelschutz gelten auch<br />

für die Pädagogischen Hochschulen.<br />

Sonst sind sie aber nicht im Einflussbereich<br />

des Bundes. Mit der Schweizerischen<br />

Hochschulkonferenz, der<br />

Rektorenkonferenz und dem Akkreditierungsrat<br />

werden drei Organe geschaffen,<br />

welche die Koordination zu<br />

gewährleisten haben.<br />

2006 hatte das Stimmvolk die Änderung<br />

der Bildungsartikel in der Bundesverfassung<br />

mit 85,6% Ja-Stimmen Ständerat Dr. Hermann Bürgi


das Hochschulgesetz ist ein<br />

Finanzierungsgesetz<br />

Es gelten einheitliche Finanzierungsgrundsätze<br />

für Universitäten und Fachhochschulen.<br />

Eckwerte zur Finanzierung<br />

der Hochschulen sind die Referenzkosten<br />

für die Studierenden. Diese<br />

Kosten sind sehr verschieden. In Zukunft<br />

sind zu hohe Kosten durch den<br />

Träger zu finanzieren. Wie weit sich<br />

diese Vorgabe mit der Exzellenzförderung<br />

verträgt, ist noch zu klären.<br />

Qualität im Zentrum<br />

In der Diskussion befürworteten Vertreter<br />

der Fachhochschulen und der<br />

Pädagogischen Hochschulen das Ge-<br />

G E S P r Ä C H<br />

setz grundsätzlich. Bedenken wurden<br />

im Bereich der Autonomie, insbesondere<br />

bei möglichen partiellen<br />

Eingriffen geäussert. Die Förderung<br />

der Qualität ist im Gesetz stärker zu<br />

gewichten und zu konkretisieren.<br />

Die Grundbeiträge an die Hochschulen<br />

sind in Zukunft leistungsorientiert<br />

zu vergeben. Damit könnte die weltweite<br />

Konkurrenzfähigkeit der Hochschullandschaft<br />

Schweiz wesentllich<br />

gestärkt werden.<br />

Ständerat Dr. Bürgi beurteilt die<br />

vorliegende Fassung des Gesetzes als<br />

taugliche Diskussionsgrundlage. Fragen,<br />

die das Gesetz zu regeln hat, können<br />

mit dieser Vorlage diskutiert und<br />

beraten werden. Korrekturen sind in<br />

verschiedenen Bereichen noch anzubringen.<br />

Von links: Jacques Desgraz, Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller, Roger Simmen,<br />

Mark Aegler, Prof. Dr. Sebastian Wörwag, Georg Leumann<br />

72<br />

Welche Erwartungen hat die<br />

Wirtschaft von absolventinnen<br />

und absolventen von Berufslehren<br />

und Hochschulen?<br />

■ Begeisterung für den Beruf<br />

An der Tagung berichteten Roger Simmen,<br />

Leiter Human Resources, Stadler<br />

AG Bussnang, Prof. Dr. Sebastian<br />

Wörwag, Rektor FHS Fachhochschule<br />

St. Gallen, Mark Aegler CEO,<br />

BINA Bischofszell, und Jacques Desgraz<br />

vom Centre Patronal, Lausanne,<br />

über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse<br />

mit Neueintretenden aus Berufslehren<br />

und Hochschulen. Bei der Rekrutierung<br />

ihrer neu ausgebildeten Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter legen sie grossen<br />

Wert auf die Persönlichkeit, die Freude<br />

am Beruf und besonders auf die Neugierde<br />

und den Drang der Bewerberinnen<br />

und Bewerber, sich weiterbringen<br />

zu wollen. Fach- und Sozialkompetenzen<br />

sollten als selbstverständlich vorausgesetzt<br />

werden können. Leider fehlt<br />

es heute den jungen Lernenden in Berufslehren<br />

und Studien aber oft an den<br />

traditionellen Tugenden.<br />

■ Die duale Berufsbildung ist ein<br />

Erfolgsmodell<br />

Der Rektor der FHS Fachhochschule<br />

St. Gallen, Prof. Dr. Sebastian Wörwag,<br />

vertritt die Ausbildungsseite. Er legte in<br />

seinem Referat grosses Gewicht auf die<br />

Ausbildung von Generalisten im Wirtschaftsstudiengang.<br />

Im letzten Jahr haben<br />

88% der Studienabgänger der FHS,<br />

mit einem Bachelor-Diplom in Betriebswirtschaft,<br />

eine adäquate Stelle gefunden.<br />

Die intensiv geführten Diskussionen<br />

zeigten deutlich auf, dass unser


duales Berufsbildungssystem ein Erfolgsmodell<br />

ist und weiter gestärkt werden<br />

soll. Als Folge der Einführung des<br />

Bolognamodells wird heute aber leider<br />

eine Entwicklung hin zur Tertiarisierung<br />

und damit auch zu einer Verakademisierung<br />

der Ausbildungen festgestellt.<br />

Im Wettbewerb um die Positionierung<br />

der FH Fachhochschulen werden heute<br />

viele Masterstudiengänge auf FH-<br />

Schulstufe eingeführt. Dadurch dürfte<br />

der Trend weg vom eindeutig praxisbezogenen<br />

Studium weiter verstärkt werden.<br />

Der Schweiz fehlt es immer mehr<br />

an gutem Nachwuchs bei den Handwerkern,<br />

geeignetem Personal in den<br />

Pflegeberufen, Ingenieuren und Naturwissenschaftern.<br />

Die Meisterausbildun-<br />

G E S P r Ä C H<br />

Von links: Dr. h.c. Walter Reist tauscht in der Pause Anregungen mit Nationalrat Otto<br />

Ineichen aus<br />

gen und Ausbildungen auf Stufe der<br />

Höheren Fachschulen sind heute weitgehend<br />

durch die Betriebe oder persönlich<br />

zu finanzieren, ganz im Gegensatz<br />

zu den Studien an Fachhochschulen<br />

und Universitäten.<br />

■ Die Schwächen der Reformen sind<br />

zu korrigieren<br />

Die vielen Reformen der letzten Jahre<br />

im Bildungswesen haben den Wissensplatz<br />

Schweiz gestärkt. Verschiedene<br />

negative Entwicklungen sind auf den<br />

entsprechenden Stufen aber zu korrigieren.<br />

Im neuen Hochschulförderungsgesetz<br />

und im Weiterbildungsgesetz,<br />

welche das Parlament demnächst<br />

diskutieren wird, gilt es diese einzube-<br />

73<br />

ziehen. Zum Abschluss der Tagung wurden<br />

folgende Forderungen an die Entscheidungsträger<br />

gestellt bzw. den Vertreterinnen<br />

und Vertretern der Politik<br />

zur Entscheidungsfindung mitgegeben.<br />

–Die «Verreglementierungen» der<br />

Ausbildungen und die wachsenden<br />

«Veradministrierungen» sind abzubauen<br />

–Die duale Berufsbildung ist zu stärken<br />

–Die Maturaquoten sind zu begrenzen.<br />

Die gymnasiale Matura soll zu<br />

Studien an der ETH oder an Universitäten<br />

und die Berufsmaturitäten zu<br />

Studien an Fachhochschulen führen<br />

–Die Referenzkosten der Studierenden<br />

und die Ausbildungsqualität sollen<br />

die Eckwerte zur Finanzierung der<br />

Hochschulen werden<br />

–Im Bereich der Vielzahl von Diplomen<br />

und Zertifikaten ist Transparenz<br />

zu schaffen und die Anzahl ist zu reduzieren<br />

–Bei der Finanzierung der Ausbildungen<br />

und Studien auf tertiärer Stufe<br />

sind gleich lange Spiesse zu schaffen.<br />

Meisterdiplome und die Ausbildung<br />

an Höheren Fachschulen sind dazu<br />

einzubeziehen<br />

Im anschliessenden Ausserordentlichen<br />

Gespräch kam Nationalrat Otto Ineichen<br />

zu Wort.<br />

Der erfolgreiche Unternehmer engagiert<br />

sich mit seiner <strong>Stiftung</strong> «Speranza»<br />

auchsehr stark im Ausbildungssektor.<br />

In Zusammenarbeit mit dem<br />

BBT Bundesamt für Berufsbildung und<br />

Technologie erschloss er neue Berufsfelder<br />

und schuf mit den Attestlehren<br />

neue Ausbildungslehrgänge. Ein besonders<br />

wichtiges Anliegen ist ihm die<br />

Schnittstelle «Schule/Ausbildung» (im


Segment der Schulabgänger(innen) mit<br />

Lerndefiziten und sozialen Schwierigkeiten.<br />

■ Weltweit bestes Berufsbildungssystem<br />

Im internationalen Vergleich erbringt<br />

unsere Berufsausbildung Spitzenleistungen.<br />

Eine Erhöhung der gesamten<br />

Maturaquote bestehend aus gymnasialer<br />

Matura, Berufsmaturitäten und den<br />

neuen Fachmaturitäten sind für Nationalrat<br />

Otto Ineichen ein Angriff auf unser<br />

Bildungssystem. Der gesunde Mix<br />

zwischen Berufsbildung, Fachhochschulen<br />

und Universitäten ist die Stärke<br />

unseres Systems!<br />

■ Realwirtschaft stärken<br />

Aufgrund der Erfahrungen aus der momentanen<br />

Wirtschaftskrise ist es für den<br />

Referenten wichtig, dass in unserem<br />

Land die Realwirtschaft wieder gestärkt<br />

wird. Die Wirtschaftshochschulen haben<br />

eine neue Wertehaltung zu entwickeln.<br />

Die Ausbildungen im Management<br />

haben unternehmerorientiert zu<br />

erfolgen. Dazu sind an den Hochschulen<br />

neue Modelle zu entwickeln.<br />

■ Erziehung ist dringend notwendig<br />

Um ein erfolgreiches Unternehmen<br />

führen zu können, sind Mitarbeitende<br />

mit hoher sozialer Kompetenz wichtig.<br />

Höflichkeit, Konfliktfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein<br />

sind in einer<br />

Unternehmung existenziell. Die Eltern<br />

und Schulen legen die Grundlagen<br />

dazu. In den nächsten Jahren haben<br />

wir in der Schweiz einen Schwerpunkt<br />

in der Erziehung zu legen. Damit stärken<br />

wir unseren Wirtschaftsstandort.<br />

G E S P r Ä C H<br />

Vorbilder müssen im Erziehungsprozess<br />

wieder einen hohen Stellenwert<br />

erhalten.<br />

Zyklus «Wissensplatz Schweiz: Stellen<br />

wir die richtigen Weichen?»; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />

vom 24. August<br />

2009 «Neugestaltung und Finanzierung<br />

der Schweizerischen Hochschullandschaft»<br />

mit Ständerat Dr. Hermann<br />

Bürgi, Präsident der Kommission Wissenschaft,<br />

Bildung und Kultur; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung<br />

und Ausserordentliches<br />

Gespräch vom 2. November 2009<br />

«Welche Erwartungen hat die Wirtschaft<br />

an Absolventinnen und Absolventen<br />

von Berufslehren und Hochschulen?»<br />

mit Roger Simmen, Personalchef,<br />

Stadler Rail AG, Bussnang, Prof.<br />

Dr. Sebastian Würwag, Rektor HFS,<br />

St. Gallen, Mark Aegler, CEO BINA,<br />

Bischofszell, Jacques Desgraz, Centre<br />

Patronal, Lausanne, Nationalrat Otto<br />

Ineichen, Unternehmer, Sursee; Moderation:<br />

Georg Leumann und Nationalrätin<br />

Brigitte Häberli-Koller – (Aktionsfeld<br />

Bildung & Sport)<br />

74<br />

Probleme im Gesundheitswesen<br />

noch nicht<br />

gelöst<br />

im rahmen des Jahreszyklus «Ökonomisierung<br />

im Gesundheitswesen»<br />

befasste sich das dritte Kolloqium vom<br />

1. Juli 2009 mit der stetigen Kostensteigerung<br />

vor allem im Sektor Spitalversorgung.<br />

Viele Fragen stehen an:<br />

auswirkungen der kommenden Fallpauschalen,<br />

ausbau der ambulanten<br />

leistungen und von anlaufstellen für<br />

Notfälle in Spitälern, nötige anzahl<br />

der akutbetten. Unklare Vorgaben verleiten<br />

dazu, fragwürdige Positionen zu<br />

festigen statt sie abzubauen.<br />

Von Dr. med. Hans-Ulrich Kull<br />

Das Eintrittsreferat von Dr. iur. Orsola<br />

Vettori, Direktorin am Schwerpunktspital<br />

Zollikerberg ZH, richtete<br />

sich auf das Kostenbewusstsein an ihrem<br />

öffentlichen Krankenhaus.<br />

Trotz grossen Konkurrenzkampfs im<br />

spitaldichten Umkreis und trotz des belastenden<br />

Spardruckes von Seiten der<br />

Öffentlichkeit ist es dem Spital Zollikerberg<br />

gelungen, sich bezüglich Patientenzufriedenheit<br />

und auch in Bezug auf<br />

die Fallkosten im kantonalen Vergleich<br />

an die vorderste Front zu setzen. Die<br />

Bettenbelegung ist mit durchschnittlich<br />

94% sehr hoch.<br />

Die Ökonomie, der besonnene Umgang<br />

mit den Ressourcen bei gleichzeitig<br />

steter Qualitätsförderung (mit<br />

geeigneten Investitionen!), ist eine der


Dr. iur. Orsola Vettori und Adrian Dennler<br />

wichtigsten Aufgaben der Spitaldirektion.<br />

Die eingeleitete Umstellung auf die<br />

Fallpauschalisierung «SwissDRG» wird<br />

als geeignete Leistungsvergütung angesehen,<br />

die behördliche Spitalplanung<br />

und die damit verbundene Reduktion<br />

des Leistungsauftrages hingegen kritisiert.<br />

Der zweite Referent, Adrian Dennler,<br />

Präsident der PKS Privatkliniken<br />

Schweiz und Repräsentant der Klinikgruppe<br />

Hirslanden, erläuterte die Stellung<br />

der Privatkliniken. Er plädierte für<br />

den freien Wettbewerb unter den Spitälern,<br />

aber auch für die Wirtschaftlichkeit<br />

der erbrachten Leistungen und die<br />

Transparenz aller Daten. Sein Votum<br />

wurde vom Vertreter der Klinik Schloss<br />

Mammern lebhaft unterstützt.<br />

Im nachfolgenden sehr engagierten<br />

Meinungsaustausch – unter den Teilnehmenden<br />

befanden sich namhafte<br />

G E S P r Ä C H<br />

Persönlichkeiten aus den Bereichen<br />

Medizin, Spital, Gesundheitsbehörden<br />

und Wirtschaft – propagierte der<br />

Gesundheitspolitiker Nationalrat Toni<br />

Bortoluzzi die Wichtigkeit des unternehmerischen<br />

Denkens auch in der<br />

«Reparaturwerkstatt Gesundheitswesen»<br />

und den uneingeschränkten Wettbewerb<br />

unter allen Leistungserbringern,<br />

und zwar ohne Risikoausgleich.<br />

Ein legaler Wettbewerb bedürfe aber<br />

allgemeingültiger Spielregeln. Die viel<br />

gepriesene Prozessoptimierung müsse<br />

vermehrt realisiert werden. Das Parlament<br />

arbeite zurzeit in erster Priorität<br />

an der Gesetzgebung über die Spitalfinanzierung<br />

und an der Regulierung und<br />

Förderung der Netzwerke. Leider sei<br />

der Verfassungsartikel betreffend KVG<br />

Krankenversicherungsgesetz im letzten<br />

Jahr vom Volk verworfen worden.<br />

Weitere Votanten forderten, dass bei<br />

getroffenen Massnahmen und neuen<br />

Methoden der erreichte Mehrwert im<br />

Gesundheitsprozess messbar sein müsse<br />

und kommuniziert werden könne.<br />

Die Anreizsysteme müssen Sinn machen<br />

– falsche sollten geknackt werden<br />

– sowie transparent sein und Querfinanzierungen<br />

müssten vermieden werden.<br />

Gesundheitszentren mit Koordination<br />

der ambulanten, stationären und<br />

poststationären Behandlung könnten<br />

ein Lösungsansatz sein und die Betrachtung<br />

und Steuerung der Kosten über die<br />

gesamte Dauer eines Krankheitsfalles<br />

erleichtern.<br />

Die Diskussionsteilnehmenden befassten<br />

sich deshalb über die Spitalproblematik<br />

hinweg auch mit der<br />

Schwierigkeit der Pauschalisierung von<br />

75<br />

nichtoperativen Krankheiten, mit dem<br />

zukünftigen revisionsbedürftigen Leistungskatalog<br />

in der Grund- und Zusatzversicherung<br />

und mit der Managed-<br />

Care-Problematik. Einigkeit herrschte<br />

darüber, dass die Probleme der Ökonomisierung<br />

im Gesundheitswesen noch<br />

nicht gelöst sind!<br />

Zyklus «Ökonomisierung im Gesundheitswesen»;<br />

<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />

vom 1. Juli 2009 «Ökonomisierung<br />

in der Spitalversorgung» mit Dr. iur.<br />

Orsola Vettori, Direktorin Spital Zollikerberg,<br />

Adrian Dennler, Präsident Privatkliniken<br />

Schweiz PKS, Bern; Moderation:<br />

Dr. med. Peter Eichenberger –<br />

(Aktionsfeld Gesundheit & Umwelt)<br />

Von links: Dr. iur. Orsola Vettori und<br />

Dr. med. Peter Eichenberger


Von Alexandra Frei<br />

Jede(r) hat ein gewisses Bild, eine bestimmte<br />

Vorstellung von einem Unternehmer,<br />

welche nicht ganz falsch,<br />

aber auch nicht ganz richtig ist. Das ist<br />

eine Art Bauchwissen oder Hinterkopfwissen,<br />

ein «Circa-Wissen». Damit ist<br />

man in der Regel zufrieden und kann<br />

mitreden. Es ist eine sehr brauchbare<br />

Form der Ökonomie des Alltagslebens.<br />

Nun, der Unternehmer, ist er ein Manager<br />

seiner Firma oder ist ein Manager<br />

der Unternehmer in einer Firma? Oder<br />

ist das alles nicht so wichtig, wenn man<br />

das Unternehmertum pflegt und das<br />

Unternehmersein fördert? Unternehmer<br />

ist, wer etwas unternimmt. Diese<br />

gängige Kurzformel hilft nicht sehr<br />

weit, wenn man es genau wissen will.<br />

Schliesslich unternimmt eine Wandergruppe<br />

auch eine Wanderung, ohne<br />

dass die Teilnehmenden Unternehmer<br />

sind. Also, was ist jetzt ein Unternehmer,<br />

was soll man pflegen und was soll<br />

man fördern und stärken?<br />

Schlägt man nach, so heisst es: Der<br />

Unternehmer ist der Inhaber (Eigentümer)<br />

eines Unternehmens beziehungsweise<br />

eines Betriebes, den er selbstän-<br />

S C H l U S S P U N K t<br />

Ein Unternehmer …<br />

was ist das eigentlich ganz genau?<br />

Von den meisten Begriffen, die man kennt, weiss man, was sie bedeuten, wenn<br />

auch nicht so ganz genau. aber «man weiss es». Will man es wirklich genau wissen,<br />

so schlägt man nach. doch in der regel wird das eigene «Wissen», also das,<br />

was man weiss, nicht mehr hinterfragt. Wieso soll man Wissen hinterfragen, wenn<br />

man weiss, was man weiss? – deshalb ist diese art «Wissen» die hartnäckigste<br />

Form des Vorurteils!<br />

dig und eigenverantwortlich führt. Eigentum<br />

ist die Verfügungsgewalt über<br />

Gegenstände auf rechtlicher Grundlage,<br />

somit auch über das Unternehmen,<br />

das der Inhaber führt. Sind es zwei Eigentümer,<br />

die sich das Unternehmen<br />

teilen, sind dann beide Unternehmer?<br />

Oder ist der eine Manager und der andere<br />

Unternehmer (und beide Inhaber)?<br />

Manager: Die etymologische Wurzel<br />

des Begriffs Management ist nicht<br />

vollständig geklärt. Als mögliche Wurzeln<br />

kommen infrage lateinisch «manus<br />

agere», «an der Hand führen» oder<br />

«mansionem agere», «das Haus (für<br />

den Eigentümer) bestellen». Das Haus<br />

bestellen lehnt sich umgangssprachlich<br />

am nächsten an das an, was landläufig<br />

unter einem Manager vorgestellt wird,<br />

nämlich Geschäftsführung oder Leitung<br />

einer Organisation. Der Geschäftsführer<br />

ist nicht Inhaber oder Eigentümer,<br />

aber er tut das, was Inhaber oder Eigentümer<br />

in der Regel auch tun. Er führt<br />

einen Betrieb (Unternehmen) selbständig<br />

und eigenverantwortlich. Wo liegt<br />

da der Unterschied? Man ahnt es, der<br />

eine führt «sein» Unternehmen und der<br />

andere führt für jemanden, den er selber<br />

nicht ist, ein Unternehmen. Beide<br />

müssen im Wesentlichen dasselbe tun,<br />

76<br />

so dass man von der Tätigkeit her zwischen<br />

beiden keinen Unterschied machen<br />

müsste, wenn man das Unternehmertum<br />

pflegen will.<br />

Unternehmertum: Der Begriff Unternehmertum<br />

(Unternehmergeist) oder<br />

Entrepreneurship beschäftigt sich als<br />

wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplin<br />

mit dem Gründungsgeschehen oder der<br />

Gründung vonneuen Organisationen als<br />

Reaktion auf identifizierte Möglichkeiten<br />

und Gründerpersönlichkeiten. Das<br />

tönt nun wirklichetwas kompliziert, aber<br />

zwei Begriffe stechen heraus, nämlich<br />

Unternehmergeist und Gründerpersönlichkeit.<br />

Der schöne Begriff Unternehmergeist<br />

lässt sichleider nicht nachschlagen<br />

und muss so stehen bleiben wie er<br />

da steht. Aber er ist verbunden mit dem<br />

Begriff Unternehmertum und mag, frei interpretiert,<br />

die Seele dieses Begriffes sein.<br />

Was soll man nun fördern und stärken,<br />

das Unternehmertum, die Unternehmer,<br />

die Manager, die dasselbe tun<br />

wie die Unternehmer?<br />

Gute Frage.Vielleicht liegt der Schlüssel<br />

darin, dass man sich vornimmt, bei<br />

Menschen, die mit Unternehmen zu<br />

tun haben, den Unternehmergeist zu<br />

wecken, zu stärken und zu erhalten,<br />

was aus Managern Unternehmer (aber<br />

nicht Eigentümer oder Inhaber) und<br />

aus Eigentümern oder Inhabern richtige<br />

Unternehmer macht.<br />

Diese Bestrebungen findet man auf<br />

dem <strong>Lilienberg</strong>, in der Tätigkeit der <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>, wo<br />

als Seele eine herausragende Gründer-


Diversität: trägt zum Ganzen bei…<br />

persönlichkeit seit 20 Jahren sich unentwegt<br />

bemüht, den Unternehmergeist in<br />

vielfältiger Form zu verbreiten. Dies<br />

nicht etwa an Schüler oder Studenten,<br />

nein, an Unternehmer, worin Manager<br />

mitgemeint sind. So wie es unternehmerische<br />

Manager gibt, gibt es auch<br />

managende Unternehmer und allen tut<br />

S C H l U S S P U N K t<br />

es gut, sich am dargebotenen Unternehmergeist,<br />

der sich auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />

längst verselbständigt hat, zu laben, davon<br />

zu naschen oder ganz darin aufzugehen.<br />

Dafür soll dieser Gründerpersönlichkeit,<br />

Dr. h.c. Walter Reist, seiner<br />

<strong>Stiftung</strong> und auch denjenigen, die ihm<br />

77<br />

nachfolgen, ein ganz spezieller Dank<br />

zukommen!<br />

Und nun die Frage: Unternehmergeist,<br />

ist das angeboren oder wird das<br />

erworben? Diese letzte Frage müssen<br />

wir unbeantwortet so stehen lassen.<br />

Doch zum Begriff «Geist» mag jede und<br />

jeder selber nachschlagen.


Vorfreude auf den Frühling…<br />

S C H l U S S P U N K t<br />

78

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!