Nr21 [PDF] - Stiftung Lilienberg - Unternehmerforum
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Nr21 [PDF] - Stiftung Lilienberg - Unternehmerforum
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E d i t o r i a l<br />
die Eliten müssen sich mehr Zeit nehmen<br />
Von Christoph Vollenweider<br />
eider habe ich dafür einfach keine<br />
«L Zeit.» Wer hat diese Antwort nicht<br />
schon oft gehört!<br />
«Keine Zeit zu haben» gehört heute<br />
zum Standardrepertoire an allgemein<br />
akzeptierten und von allen verstandenen<br />
Entschuldigungen. Ja, es gehört<br />
vielerorts fast zum Image, keine Zeit zu<br />
haben. Damit dokumentiert man die<br />
eigene Wichtigkeit und Unabkömmlichkeit.<br />
«Keine Zeit» ist darum auch<br />
auf dem <strong>Lilienberg</strong> eine sehr oft gehörte<br />
Antwort auf die Einladungen zu unseren<br />
mannigfaltigen Veranstaltungen.<br />
«Keine Zeit zu haben» ist ein modernes<br />
Phänomen. Unsere Welt ist geprägt<br />
durch die Getriebenheit der Eliten.<br />
Noch nie in der Geschichte hatten<br />
die Eliten einer Gesellschaft so wenig<br />
Zeit wie die heutigen: Sie werden derart<br />
gnadenlos durch eine kaum beschreib-<br />
bare Hektik und Rastlosigkeit getrieben,<br />
dass sie nicht mehr die Herren über ihre<br />
Zeit sind, sondern die Knechte ihres<br />
Kalenders. Sie hetzen dauernd von Termin<br />
zu Termin, von Terminal zu Terminal<br />
und sind dabei dauernd mit ihrem<br />
Umfeld vernetzt und damit überall und<br />
jederzeit erreichbar.<br />
Man muss sich janicht gleich nach<br />
den vergangenen Zeiten zurücksehnen,<br />
als die Aristokratie nicht zu arbeiten<br />
brauchte und ihre Zeit entweder mit<br />
Jagd und gesellschaftlichen Spielen vertrödelte<br />
oder in Musse einer umfassenden<br />
Gelehrsamkeit nachging. Aber es<br />
stimmt doch nachdenklich, dass gerade<br />
die Eliten, also diejenigen Bevölkerungsschichten,<br />
welche das Geschick<br />
unserer Gesellschaft und unseres Staates<br />
bestimmen und beeinflussen, keine<br />
Zeit mehr aufbringen, um über Grundsätzliches<br />
nachzudenken und sich mit<br />
sich selber gründlich auseinanderzusetzen.<br />
Das gilt insbesondere für viele<br />
unternehmerischwirkende Menschen.<br />
Dass wir glauben, nie genug Zeit zu<br />
haben, hat viele Gründe. Ein wichtiger<br />
davon liegt zweifellos in der zunehmenden<br />
Unfähigkeit vieler Menschen,<br />
zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem<br />
unterscheiden zu können,<br />
was wiederum eine Folge der modernen<br />
Technik ist, die uns vermeintlich<br />
mehr Zeit beschert – die wir indessen<br />
immer wieder sofort auffüllen – und<br />
die uns einer Informationsflut aussetzt,<br />
die wir nicht mehr wirklich bewältigen<br />
können.<br />
3<br />
Eigentlich sind heute diejenigen<br />
Menschen privilegiert, die sich nicht<br />
der Informationsflut unterwerfen und<br />
sich nicht von ihrem Terminkalender<br />
kontrollieren lassen, sondern die sich<br />
immer wieder Zeit geben können: In<br />
Musse nachdenken und sich mit anderen<br />
austauschen zu können, braucht<br />
zweifellos Zeit, doch diese Zeit ist eine<br />
Investition in die eigene Zukunft und in<br />
das eigene Unternehmen. Nur wer Zeit<br />
hat, kann seine eigene Kreativität fördern<br />
und neue Ideen entwickeln. Nur<br />
auf diese Weise kann man über seine<br />
Werte nachdenken und damit Halt<br />
finden und Vertrauen für die Zukunft<br />
schöpfen.<br />
Das <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong><br />
bietet sich als Oase des Nachdenkens,<br />
der Begegnungen, der Gespräche und<br />
der Bildung an. Auf dem <strong>Lilienberg</strong> finden<br />
sich in prachtvoller Umgebung mit<br />
hervorragenden Dienstleistungen weitere<br />
Voraussetzungen dafür. Die vorliegende<br />
Zeitschrift vermittelt wieder<br />
ein Bild von der Vielfalt der <strong>Lilienberg</strong>-<br />
Aktivitäten und der hier aufgetretenen<br />
Persönlichkeiten.<br />
Diese Beispiele sollen Sie alle animieren,<br />
sich Zeit zu schenken, um auf<br />
dem <strong>Lilienberg</strong> nachdenken, sich einbringen<br />
und sich finden zu können.
Vor gut 40 Jahren, während meines damaligen<br />
hochinteressanten Unternehmensaufbaus,<br />
erkannte ich bereits die<br />
Notwendigkeit des unternehmerischen<br />
Gesprächs mit verschiedenartigsten<br />
Unternehmern. Sie vermittelten mir<br />
Vergleiche, Erkenntnisse und vielseitige<br />
anregungen. die damaligen VfU-<br />
Gespräche befassten sich mehrheitlich<br />
mit dem schweizerischen Unternehmertum.<br />
Ernst Jucker regte immer<br />
wieder an, sich mit dem eigenen Unternehmertum<br />
zu befassen und damit<br />
dem eigenen Unternehmen Sicherheit<br />
und Fortschritt zu geben.<br />
Von Dr. h.c. Walter Reist<br />
Ein sehr wertvoller Gedanke, der fast<br />
durchwegs gerne und schönredend<br />
angesprochen, aber kaum jemals engagiert<br />
zur Nachhaltigkeit angewendet<br />
wurde. Mit dem Aufruf «Unternehmer<br />
schulen Unternehmer» sollte es jedem<br />
Unternehmer möglich sein, sich einzubringen,<br />
zu klären und zu finden.<br />
Eine Form des bildenden Gesprächs<br />
sollte demzufolge dem interessierten<br />
Teilnehmer Halt vermitteln für seine<br />
tägliche Herausforderung. Ich habe mir<br />
diese unternehmerischen Anregungen<br />
zu Herzen genommen, und so bin ich<br />
zum Entscheid für den Auf- und Ausbau<br />
eines <strong>Unternehmerforum</strong>s «zum sich<br />
erleben» gelangt.<br />
Ich habe meinem Unternehmen die<br />
Möglichkeit geboten, sich mit meinem<br />
U N t E r N E H M E r t U M<br />
das unternehmerische Erlebnis mit sich selbst<br />
Das <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong> im Frühling...<br />
Credo, meiner Verfassung und meinem<br />
Führungskonzept auseinanderzusetzen<br />
sowie sich über die Unternehmensziele,<br />
Unternehmenspolitik und Unternehmensstrategie<br />
zu informieren, und zwar<br />
bis hin zum interessierten Mitarbeiter.<br />
Meine persönliche Unternehmertum-<br />
Philosophie und deren Zusammenhänge<br />
mit meinem Symbol wurden erklärt,<br />
denn bis anhin waren die unternehmerischen<br />
Zusammenhänge nicht ohne<br />
weiteres ersichtlich. Durch die Klarstellung<br />
aller unternehmerischen Aspekte<br />
gewann das firmaeigene Unternehmertum<br />
sein Erlebnis.<br />
In meinen <strong>Lilienberg</strong>-Gesprächen<br />
von 2½ Tagen habe ich all dies ganz<br />
unterschiedlichen Unternehmern un-<br />
4<br />
terbreitet. Es fanden tatsächlich stets<br />
bildende Gespräche mit sehr fruchtbaren<br />
Auseinandersetzungen statt. Rückblickend<br />
höre ich von engagierten Teilnehmern<br />
immer wieder, wie sie durch<br />
dieses Erlebnis ihren eigentlichen unternehmerischen<br />
Weg gefunden haben.<br />
Durch meine sonstige Beanspruchung<br />
habe ich leider diese wertvollen Anlässe<br />
etwas vernachlässigt. Hans Gall hat<br />
sie dann auf seine Art recht erfolgreich<br />
weitergeführt.<br />
Zusammenfassend darf ich heute<br />
erkennen, dass solche unternehmerischen<br />
Erlebnisse durch unsere eigene<br />
Initiative wieder erfolgreich gestaltet<br />
werden können. Sie sind der eigentliche<br />
Denkanstoss für das Bauen eines
Erlebnis-Zentrums gewesen: ein Ort,<br />
wo der Unternehmer, die Unternehmerin<br />
in Ruhe, Musse und Gelassenheit<br />
sich selbst finden kann.<br />
Das <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong><br />
bietet heute aber noch viel mehr mit<br />
all seinen Aktivitäten in den verschiedenen<br />
Gesellschaftsbereichen, mit den<br />
Unternehmerischen Gesprächen über<br />
ganzheitliche Themenkreise und mit<br />
den einzigartigen Begegnungen mit engagierten<br />
Persönlichkeiten. Und in den<br />
Regionalgruppen wird dem Unternehmer,<br />
der Unternehmerin, der unternehmerischen<br />
Persönlichkeit das Sich-Zusammenfinden<br />
ermöglicht, wobei sie<br />
sich nachfolgend auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />
unternehmerisch erleben können. Dadurch<br />
finden sie Fortschritt, Vertrauen<br />
und Halt, was ich Ihnen nach meinem<br />
Erlebnis nur bestätigen kann.<br />
U N t E r N E H M E r t U M<br />
im Sommer... im Herbst...<br />
und im Winter – stets ein unternehmerisches Erlebnis.<br />
5
Es gibt kaum ein Stellenprofil, in welchem<br />
nicht herausragende kommunikative<br />
Fähigkeiten verlangt werden.<br />
dabei geht leicht vergessen, dass unternehmerischer<br />
Erfolg und nachhaltige<br />
innovationsfähigkeit in entscheidendem<br />
Masse von der persönlichen<br />
Beobachtungsgabe abhängen. dies ist<br />
ein Plädoyerfür eine unternehmerische<br />
Haltung, die von Neugier und alternativer<br />
Prioritätensetzung geprägt ist.<br />
Von Dominique Roland Gerber<br />
Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz:<br />
Je höher die Position in der Hierarchie,<br />
desto stärker ausgeprägt ist der<br />
Anspruch der unternehmerisch tätigen<br />
Führungskraft, sich im Zentrum derAktivität<br />
aufzuhalten. Im Mittelpunkt stehen<br />
bedeutet sehr oft auch intensiv zu kommunizieren.<br />
Und in Sachen Kommunikation<br />
sind wir ja auch alle von Natur<br />
aus stark oder haben uns entsprechend<br />
bilden lassen. Nur, der kommunikative<br />
Rausch stellt sich primär als einseitiger<br />
Ausfluss dar und das Gegenstück, der<br />
Input sozusagen, droht zu verkümmern.<br />
Als im hektischen Alltag stehende<br />
Entscheidungsträger(innen) sind wir<br />
heute kaum mehr in der Lage, intensiv<br />
zu beobachten und unsere daraus gewonnenen<br />
Eindrücke zielgerichtet zu<br />
verarbeiten. Dabei ermöglicht uns das<br />
Beobachten tiefe und aufschlussreiche<br />
Einblicke, die unkonventionell und direkt<br />
zu Verbesserungen und Optimie-<br />
U N t E r N E H M E r t U M<br />
Schauen Sie doch einfach mal zu!<br />
rungen führen können. Beobachten<br />
heisst denn auch, Verhaltensdefizite in<br />
pragmatischer Weise zu erkennen und<br />
anspruchsvolle Veränderungsprozesse<br />
optimierend zu begleiten. Beobachtung<br />
lebt von der Tiefe der Einsicht und der<br />
Intimität der Situation. Ein Aussenstehender<br />
kann im Gegensatz zu einer im<br />
Geschäftsalltag verankerten Führungskraft<br />
nie den entscheidenden Zugang<br />
gewinnen. Deshalb ist das Beobachten<br />
primär Chef-Sache! Die Beobachtungsgabe<br />
ist die Quelle der Inspiration, der<br />
Zugang zur Kreativität und das Tor zur<br />
Innovation.<br />
Unter methodischen Gesichtspunkten<br />
kann Beobachten in einer ersten<br />
Phase als formloses und unstrukturiertes<br />
Aufnehmen von Eindrücken verstanden<br />
werden. Dabei erscheint es<br />
wichtig, dass das Verarbeiten oder Interpretieren<br />
der Informationen in einer<br />
zweiten Phase erfolgt, die zeitlich und<br />
örtlich von der ersten getrennt ist. Die<br />
grundlegenden Zielsetzungen für die<br />
beiden Phasen sind ebenfalls unterschiedlich.<br />
In der ersten Phase werden<br />
ein fundiertes Verständnis und eine<br />
detaillierte Beschreibung der Situation<br />
angestrebt. Dabei soll der Beobachter<br />
eine möglichst neutrale Haltung<br />
einnehmen und sich ander Frage orientieren:<br />
Was fällt mir auf? Die zweite<br />
Phase dient der Interpretation und<br />
Konzeptionalisierung der festgehaltenen<br />
Ereignisse mit dem Anspruch, die<br />
Erkenntnisse im Führungsalltag einfliessen<br />
zu lassen.<br />
6<br />
Die wichtigste Voraussetzung, um<br />
erfolgreich beobachten zu können, ist<br />
die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.<br />
Beobachtungen bringen dann die<br />
besten Resultate, wenn sich der Beobachter<br />
Zeit nimmt für diese Führungsaufgabe<br />
(ja, Führungsaufgabe!). In Anbetracht<br />
der übervollen Terminpläne<br />
drängt sich die Frage der Planbarkeit<br />
von Beobachtungen auf. Es scheint<br />
vernünftig, den Zeitpunkt für eine Beobachtung<br />
einzuplanen, obwohl auch<br />
ein sich überraschend einstellender<br />
Moment mit tieferer Produktivität ideal<br />
für eine spontane Beobachtungsmission<br />
ist. Hingegen ist davon abzuraten,<br />
sich imVoraus darauf zu versteifen,<br />
was genau beobachtet werden soll.<br />
Lassen Sie sich einfach einmal auf die<br />
Situation ein und halten Sie die gewonnenen<br />
Eindrücke fest.<br />
Konkret: Setzen Sie sichmal überraschend<br />
in ein Meeting und begnügen<br />
Sie sich dabei mit dem Hintersitz. Machen<br />
Sie klar, dass Sie nicht aktiv teilzunehmen<br />
wünschen. Sie werden sehen,<br />
dass man Sie je länger,jeweniger<br />
zur Kenntnis nimmt und die theatralischen<br />
Anflüge von gewissen Teilnehmern<br />
langsam verebben. Zwingen Sie<br />
sichdazu, keine, absolut keine Bemerkungen<br />
zu machen. Wenn Sie Mühe<br />
damit haben, Ihren Gesichtsausdruck<br />
zu kontrollieren, wenden Sie sich von<br />
den anderen Teilnehmern ab. Konzentrieren<br />
Sie sich darauf, welche Ereignisse<br />
Ihnen auffallen und wie diese<br />
vonden Teilnehmern interpretiert wer-
Sich begegnen, beobachten...<br />
den. Halten Sie Ihre Eindrücke stichwortartig<br />
fest. Gratulation, Ihre erste<br />
Beobachtungsmission ist geglückt!<br />
An dieser Stelle ist die Frage berechtigt,<br />
wie ein solches Vorgehen auf den<br />
Beobachteten wirkt. Die erste Reaktion<br />
dürfte ungläubiges Staunen sein, denn<br />
welcher Chef hat schon Zeit. Das ist positiv.<br />
Dann suggeriert Beobachten auch<br />
Verständnis und Einfühlungsvermögen<br />
und die Teilnehmer(innen) fühlen sich<br />
und werden aktiv wahrgenommen. Und<br />
das ist abermals als positivzuwerten.<br />
Das Ergebnis der ersten Phase einer<br />
Beobachtungsmission stellt sich stets als<br />
chaotische Momentaufnahme dar, wel-<br />
U N t E r N E H M E r t U M<br />
che in Form eines sehr rudimentären<br />
Stichwort-Protokolls festgehalten wird.<br />
Diese Beschreibung ist weder zu einer<br />
sofortigen Bewertung der Ereignisse<br />
noch zur Herleitung von Eingriffen geeignet.<br />
Erst wenn mehrere solcher Protokolle<br />
vorhanden sind, kann die zweite<br />
Phase in Angriff genommen werden.<br />
Verdichtung, Interpretation und Konzeptionalisierung<br />
der Protokolle geschehen<br />
idealerweise unter Miteinbezug einer<br />
unabhängigen Person von aussen, die<br />
vorgefasste Interpretationen in Frage<br />
stellt oder Handlungsalternativen aufzeigen<br />
kann. Diese intensive Phase der<br />
Analyse muss losgelöst vom Tagesge-<br />
7<br />
schäft, an einem Ort der Reflexion wie<br />
auf <strong>Lilienberg</strong>, ausgestaltet werden.<br />
Beobachten muss über isolierte Experimente<br />
hinausgehend zur Führungsmaxime<br />
in erfolgreichen Unternehmen<br />
werden. Es ist entscheidend, dass<br />
die Beobachtungen wiederholt und<br />
aus den verschiedensten Blickwinkeln<br />
durchgeführt werden. So erreicht die<br />
Methode Aussagekraft und Signifikanz.<br />
Im Gegensatz zu anderen momentan<br />
äusserst populären Ansätzen mit geheimnisvollen<br />
asiatischen Namen ist<br />
professionell aufgezogenes Beobachten<br />
pragmatisch, kostengünstig, direkt<br />
und vor allem begreifbar. Wagen Sie’s!
am 11. September 2009 gegen abend<br />
ist Ernst Mühlemann in seinem Haus<br />
sanft entschlafen. Er war ein begnadeter<br />
lehrer, ein kraftvoller truppenführer<br />
und leidenschaftlicher Politiker.<br />
im lilienberg <strong>Unternehmerforum</strong><br />
hinterlässt Ernst Mühlemann eine unermessliche<br />
lücke – so stark hatte er<br />
zusammen mit dr. h.c. Walter reist,<br />
dem <strong>Stiftung</strong>sratspräsidenten, das <strong>Unternehmerforum</strong><br />
geprägt.<br />
Von Dr. Peter Forster<br />
In seinem Buch «Blick ins Bundeshaus»<br />
beschreibt Ernst Mühlemann<br />
anschaulich, wie Walter Reist 1983 in<br />
Weinfelden ein Unternehmen mit einer<br />
hundertköpfigen Belegschaft rettete.<br />
Mit Überzeugung habe er, Ernst Mühlemann,<br />
dann als Vermittler gewirkt,<br />
als Walter Reist am 21. April 1985 das<br />
Landgut <strong>Lilienberg</strong> vom Arzt Dr. Paul<br />
Bigliardi erwarb: «Zum Glück verkaufte<br />
Paul Bigliardi den einmaligen Sitz nicht<br />
einem reichen Patienten aus dem Orient,<br />
sondern dem einheimischen Unternehmer<br />
Walter Reist.»<br />
Unentbehrliche Begegnungsstätte<br />
Ein ganzes Kapitel widmet Ernst Mühlemann<br />
in seinem Buch dem <strong>Lilienberg</strong><br />
und dessen Stifter: «Ich betrachte<br />
<strong>Lilienberg</strong> als unentbehrliche Begegnungsstätte<br />
für Unternehmer, Politiker,<br />
B E G E G N U N G<br />
Zum Gedenken an Ernst Mühlemann<br />
Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann<br />
Wissenschafter, Beamte, Offiziere und<br />
Medienvertreter. Ich glaube an die Leitbildfunktion<br />
des Unternehmers, der<br />
Neues erfindet, gewinnträchtig umsetzt<br />
und damit seine Firma ausbaut, um<br />
Arbeit zu schaffen.»<br />
Ernst Mühlemann gibt der Hoffnung<br />
Ausdruck, «dass der erfolgreiche Unternehmer<br />
und Manager zusätzliche Umweltverantwortung<br />
im ethischen, politischen,<br />
kulturellen und ökologischen<br />
Bereich wahrnimmt, wie dies Walter<br />
Reist eindrücklich vorlebt.»<br />
Als Redner, Gesprächs- undTagungsleiter<br />
war Ernst Mühlemann einzigartig<br />
und perfekt. Mit seiner rhetorischen<br />
8<br />
Begabung – nie brauchte er ein Manuskript<br />
–, seiner Auffassungsgabe, seinem<br />
Gedächtnis und dem Willen, Probleme<br />
anzupacken und zu lösen, erfüllte<br />
er zusammen mit Walter Reist den <strong>Lilienberg</strong><br />
mit Leben. Er war geistig präsent,<br />
innovativ, phantasiebegabt und<br />
wortmächtig – stets füllte er die Bühne<br />
im wahrsten Sinne des Wortes.<br />
Aber nie verstand er sein Wirken<br />
auf dem <strong>Lilienberg</strong> als todernstes Geschäft.<br />
Er bewahrte sich die Freude am<br />
Spielerischen und blieb auch inverhärteten<br />
Lagen tolerant. Wie erselber<br />
schreibt, ist der <strong>Lilienberg</strong> nicht nur<br />
eine Stätte für den «homo faber», den<br />
arbeitenden Menschen, sondern auch<br />
für den «homo ludens», den spielenden<br />
Menschen.<br />
Von bäuerlicher Herkunft<br />
Ernst Mühlemann wurde am 17. Juni<br />
1930 in Illhart geboren. Wie soviele<br />
Thurgauer war ervon bäuerlicher<br />
Herkunft. Vom Bauerndorf auf dem<br />
Seerücken führten ihn seine Initiative,<br />
Ausstrahlung und Tatkraft in<br />
wachsenden Kreisen zu immer neuen<br />
Aufgaben.<br />
Früh muss sich der Knabe schon für<br />
das Weltgeschehen interessiert haben.<br />
Ernst Mühlemann berichtete oft davon,<br />
wie er als Schüler auf einer Karte den<br />
deutschen Ostfeldzug mit Fähnchen<br />
markierte. Das Erlebnis des Weltkriegs<br />
schwang nach, als er von 1996 bis 1998
die Generation des Aktivdienstes vehement<br />
verteidigte.<br />
Nach dem Lehrerseminar und Studien<br />
in Zürich, Paris und Florenz wurde<br />
Ernst Mühlemann Sekundarlehrer in<br />
Weinfelden. Er war ein strenger, gütiger<br />
Lehrer. In der Geschichte liess er vertrackte<br />
Vorgänge wie die Völkerwanderung<br />
so glasklar wieder aufleben,<br />
dass jedes Schulkind mitkam; und die<br />
B E G E G N U N G<br />
Walter Reist mit seinem unternehmerischen Partner Ernst Mühlemann<br />
Reichsteilung von Verdun und Barbarossas<br />
Kreuzzug schienen so lebhaft<br />
auf, dass sie keiner mehr vergass.<br />
Und unvergesslich waren die Bilder,<br />
die er vom Alexanderzug entwarf, von<br />
Hannibal in den Alpen und von Hannibal<br />
vor den Toren von Rom – grandiose<br />
Geschichtsgemälde, durchspickt aber<br />
immer von präzisen Fragen: «Und wohin<br />
zieht Hannibal jetzt vom Trasime-<br />
9<br />
nischen See? Und was geschieht 843<br />
mit dem dünnen Mittelreich, mit dem<br />
schwachen Lothar?»<br />
Scharf strukturiert<br />
In der Geografie legte er Wert auf gut<br />
strukturierte Antworten und Zeichnungen.<br />
«Wischi-Waschi» war ihm Gräuel:
Gedenkfeier für<br />
Ernst Mühlemann<br />
am 25. November 2009 fand zu<br />
Ehren von Ernst Mühlemann eine<br />
Gedenkfeier im lilienberg Zentrum<br />
statt, musikalisch umrahmt<br />
von Eva oertle (Flöte) und Vesselin<br />
Stanev (Klavier) –ein Geschenk<br />
von Susanne und Gerd rau-reist.<br />
dr. h.c. Walter reist begrüsste<br />
die anwesenden aufs Herzlichste,<br />
insbesondere Ernst Mühlemanns<br />
Witwe lislott und ihre töchter<br />
Katharina, Elisabeth und Susanne.<br />
Von Margrit Bösch<br />
In seiner Würdigung sprach Dr. h.c.<br />
Walter Reist über seine tiefe und einzigartige<br />
Verbundenheit und Partnerschaft<br />
mit Ernst Mühlemann:<br />
«Wir begegneten uns erstmals am<br />
19. Oktober 1983, anlässlich meines<br />
Governor-Besuches im Rotaryclub<br />
Kreuzlingen. Die Wahl von Ernst<br />
Mühlemann in den Nationalrat stand<br />
gerade bevor. Die gegenseitige Sympathie<br />
wuchs bei jedem Zusammentreffen<br />
und Ernst Mühlemann erfuhr<br />
auch von meinem Plan für ein unternehmerisches<br />
Begegnungszentrum.<br />
Durch seine Vermittlung erwarb ich<br />
den <strong>Lilienberg</strong>.<br />
Es begann die Geschichte des <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>s und damit<br />
auch die sich ausweitende Zusammenarbeit<br />
mit Ernst Mühlemann – er<br />
wurde partnerschaftlicher Begleiter<br />
B E G E G N U N G<br />
der Aktivitäten auf dem <strong>Lilienberg</strong>, vor<br />
allem die politischen unternehmerischen<br />
Gespräche beeinflussend. Wir<br />
setzten uns mannigfaltig, vielfach mit<br />
gegensätzlichen Meinungen, über die<br />
Themen und Referenten auseinander.<br />
Ernst sah die Problematik immer im<br />
Sinne der ganzheitlich politischen Betrachtungen<br />
des europäischen Miteinanders.<br />
Ich stellte die unternehmerische,<br />
schweizerische Eigenständigkeit<br />
und das schweizerische Unternehmertum<br />
gegenüber.<br />
Er brillierte als Moderator. Mit seinem<br />
enormen Wissen, Schalk, Humor<br />
konnte er seine Gegenüber aufmuntern,<br />
sie zum Gespräch öffnen und<br />
stimulieren. Er forderte die Referenten<br />
und Meinungsbildner mit unseren<br />
tiefgründigen Themen wie Europa ja –<br />
aber wie?, Schweiz ja – aber wie? oder<br />
Konkordanz und dergleichen bis aufs<br />
Äusserste. Für die vielen Teilnehmenden<br />
war es jeweils ein Leckerbissen!<br />
Ernst war rhetorisch unglaublich begabt.<br />
Unvergesslich ist mir sein Auftritt<br />
im Europarat, als ich ihn dort besuchte<br />
– eine halbe Stunde hat er gesprochen:<br />
fliessend, spritzig, und es lagen weder<br />
ein Manuskript noch irgendwelche<br />
Zettelchen auf seinem Rednerpult.<br />
Meine letzte Begegnung mit Ernst hatte<br />
ich drei Tage vor seinem Tod. Wir<br />
hatten die Aufbereitung weiterer Gesprächsreihen<br />
über ‹für – gegen – mit<br />
EU› besprochen und dann zusammen<br />
einen Spaziergang gemacht.<br />
Zusammenfassend bleibt in der Erinnerung<br />
an unseren Ernst Mühlemann<br />
eine Wehmut an eine ausgesprochen<br />
10<br />
vielseitige Persönlichkeit zurück:<br />
klar, aufrecht, fordernd, zugänglich,<br />
froh, einfühlsam, selbstsicher,<br />
ringend füreinander, wissensstark,<br />
einmalig –Erwar ein lieber Mensch<br />
für uns!»<br />
Im Anschluss an die Würdigung<br />
durch Dr. h.c. Walter Reist ehrte Dr.<br />
Peter Forster als langjähriger Wegbegleiter<br />
die Persönlichkeit von Ernst<br />
Mühlemann, der für ihn ein guter<br />
Kamerad und väterlicher Freund war.<br />
Im Weiteren kam Gabriella Meyer,<br />
Geschäftsführerin der Bioengineering<br />
AG, Wald, zu Wort. Als Mitglied<br />
der <strong>Lilienberg</strong>-Regionalgruppe<br />
Bachtel hatte sie den Kontakt zu Ernst<br />
Mühlemann gesucht und ihn bei persönlichen<br />
Gesprächen gut kennen<br />
gelernt. Er habe auch über den Tod<br />
gesprochen, erzählte sie bewegt, und<br />
gesagt, dass er bereit sei zu gehen!<br />
Ernst Mühlemann hat ihr ein von ihm<br />
während seiner Zeit als Nationalrat<br />
geschriebenes Statement «Das Glück<br />
hat Flügel» überlassen, welches wir<br />
den Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten<br />
möchten. (Siehe separates<br />
Kästchen Seite 11)<br />
Abschliessend wurde eine Filmsequenz<br />
gezeigt, und zwar die Rede,<br />
die Ernst Mühlemann am 7. April<br />
1989 anlässlich der Eröffnungsfeier<br />
von <strong>Lilienberg</strong> hielt – ein einmaliges<br />
Dokument, bewegend und erheiternd.<br />
Alle waren sich mit Dr. h.c.<br />
Walter Reist einig: «Wir haben Ernst<br />
Mühlemann soeben erlebt, wie er<br />
war!»
«Da, dieseVerbindung von Genua nach<br />
Chiasso, zeichnet sie mit einem Strich,<br />
kräftig, eindeutig, nicht malen sollt ihr,<br />
sondern die Verbindungen plastisch<br />
darstellen!»<br />
Auf die Schüler- und Studienzeit ging<br />
Ernst Mühlemanns Liebe zu Kultur und<br />
Philosophie zurück. In Paris prägte ihn<br />
der Existentialismus von Jean-Paul Sartre.<br />
In seinem Existentialismus ging es<br />
Ernst Mühlemann stets auch darum,<br />
sich zu bewähren, auch in Not und Bedrängnis.<br />
Das ist ihm immer gelungen.<br />
Zurück am Lehrerseminar Kreuzlingen<br />
amtierte er mit seiner Frau Lislott<br />
als Konviktleiter. Am 20. Juli 1963 hatte<br />
er die Brandkatastrophe zu bewältigen,<br />
der das Seminar und die St.-Ulrich-Kirche<br />
zum Opfer gefallen waren – eine<br />
Aufgabe, in der er sich als erfahrener<br />
Truppenführer und Generalstabsoffizier<br />
bewährte.<br />
1971 stürzte Ernst Mühlemann im<br />
Manöver über dem Zürcher Oberland<br />
mit dem Helikopter ab. Wie durch ein<br />
Wunder überlebte er die Katastrophe.<br />
Der Absturz fiel zusammen mit dem<br />
Entscheid, ob er zur damaligen SBG<br />
übertreten wollte. Die Bankgesellschaft<br />
hatte oberhalb von Ermatingen das<br />
Schloss Wolfsberg gekauft, und Robert<br />
Holzach fragte Ernst Mühlemann an,<br />
ob er dort ein Ausbildungszentrum aufbauen<br />
wolle.<br />
Kraftvoller troupier<br />
Ernst Mühlemann sagte zu und schuf<br />
den neuen Wolfsberg. Es war zu jener<br />
Zeit ein grosser Wurf. Parallel zum beruflichen<br />
Aufstieg verlief Ernst Mühle-<br />
B E G E G N U N G<br />
das Glück hat Flügel<br />
Von Nationalrat Ernst Mühlemann<br />
Mein persönliches Glücksgefühl<br />
findet sich inden Bereichen Heimat,<br />
Arbeit und Freiheit. Wer nur<br />
domiziliert ist, wird nie das glückliche<br />
Gefühl des Beheimatetseins<br />
nachempfinden können. In vertrauter<br />
Umgebung zu wohnen, wo<br />
freundliche Mitmenschen einem<br />
Wohlwollen entgegenbringen, führt<br />
dazu, dass der Glückliche mit sich<br />
und seiner Umgebung einig ist.<br />
Wer nur zufällig einen Job ausübt,<br />
um beschäftigt zu sein, wird die<br />
Arbeit als Fron empfinden. Glücklichsind<br />
Menschen, die ihren Beruf<br />
als Berufung betrachten und dabei<br />
durch die Ergebnisse der Arbeit motiviert<br />
werden.<br />
Wer innerlich und äusserlich unfrei<br />
dahintreibt, kann nur frustriert sein.<br />
Glück stellt sich dort ein, wo neben<br />
äusserlicher Unabhängigkeit vor allem<br />
geistige Freiheit gesucht wird,<br />
bei der die normativen Tendenzen<br />
des Geistes die triebhaften Kräfte<br />
lenken.<br />
Wer glücklich sein will, muss solches<br />
Glück suchen. Dieser Zugriff<br />
ist aber nicht leicht, denn das<br />
Glück hat Flügel und kann über<br />
Nacht entschwinden.<br />
manns militärische Laufbahn. Sie führte<br />
ihn über die Füsilierkompanie II/74,<br />
das Schützenbataillon 7 und das Infan-<br />
11<br />
terieregiment 31 in die Positionen des<br />
Korpsstabschefs und des Brigadekommandanten.<br />
Ernst Mühlemann war ein hochbegabter,<br />
zupackender Troupier.<br />
Als es um den Vorschlag in den<br />
Generalstab ging, überzeugte er den<br />
Korpskommandanten Hans Thomann<br />
an einem Samstag mit einer harten,<br />
brillant angelegten Kompanieübung, in<br />
der die Füsiliere «für ihren Kadi durchs<br />
Feuer gingen».<br />
Legendär war Ernst Mühlemanns<br />
fruchtbare, oft ruppige Kooperation mit<br />
dem Korpskommandanten Rudolf Blocher.<br />
Vor der Entschlussfassung blieben<br />
sich die beiden «Haudegen» nichts<br />
schuldig.<br />
Im Ergebnis kamen der Korpskommandant<br />
und sein Stabschef jedoch<br />
stets zurecht. Meist in einem Bahnhofbuffet<br />
irgendwo in der Ostschweiz,<br />
entwarfen sie auf Bierdeckeln grosse,<br />
erfolgreiche, denkwürdige Manöver –<br />
‹PANZERJAGD›, ‹KNACKNUSS› und<br />
wie sie alle hiessen.<br />
«Wir befehlen mündlich»<br />
1982 hatte ich die Ehre, als Hauptmann<br />
den Korpsstabschef Mühlemann<br />
durch die «Panzerjagd» zu<br />
begleiten. Es war Montag, der 15.<br />
November 1982, 8.05 Uhr,als sichim<br />
Führungsraum des Feldarmeekorps 4<br />
der Stabschef an die Kommandanten<br />
der Felddivision 7und der Mechanisierten<br />
Division 11 wandte: «Ihr erster<br />
Einsatz heisst nicht ‹Sprungbrett›,<br />
sondern ‹Drehscheibe› –wir befehlen<br />
mündlich.»
Um 8.06 Uhr erhalten die Divisionäre<br />
den Auftrag: «Sie beziehen ein Bereitschaftsdispositiv,<br />
sperren die Hauptachsen,<br />
überwachen den Raum und<br />
betreiben Erstausbildung.» Um 8.09<br />
Uhr ist die Befehlsausgabe beendet, die<br />
Divisionskommandanten setzen 30 000<br />
Mann in Marsch. «Zum Teufel mit dem<br />
Papier», lautet die Devise der Generäle<br />
Blocher und Mühlemann. «Mit dem<br />
Papier ist noch nie ein Krieg gewonnen<br />
worden.»<br />
Ernst Mühlemanns Vorbild war Marschall<br />
Schukow, der die Rote Armee<br />
ohne einen einzigen schriftlichen Befehl<br />
von Stalingrad nach Berlin führte.<br />
In seinem ganzen Leben vertraute Ernst<br />
Mühlemann auf das Gespräch, auf den<br />
Kontakt von Mensch zu Mensch. Er<br />
wollte sein Gegenüber spüren – neuere<br />
Erfindungen wie Mail und SMS waren<br />
ihm zutiefst zuwider.<br />
im National- und Europarat<br />
1983 errang Ernst Mühlemann im Thurgau<br />
den freisinnigen Nationalratssitz,<br />
den er erst 1999 schweren Herzens<br />
abgab. Unter der Bundeskuppel rückte<br />
er rasch zu den Spitzenparlamentariern<br />
auf. In der Staats-, der Aussen- und<br />
der Bildungspolitik nahm er vier Amtszeiten<br />
lang eine Sonderstellung ein.<br />
Mit Menschenkenntnis, Zähigkeit und<br />
stetem Eintreten für das liberale Gedankengut<br />
verschaffte er sich über die<br />
Volkskammer hinaus Einfluss.<br />
Als Krönung seiner Laufbahn empfand<br />
Ernst Mühlemann das Engagement<br />
im Europarat. Einerseits liebte er<br />
als Humanist die Arbeit in einem Rat,<br />
B E G E G N U N G<br />
der den Menschenrechten verpflichtet<br />
ist. Anderseits fand er in Russland ein<br />
Aktionsfeld, das seinem Temperament,<br />
seinem Kampfgeist und seinem –wenn<br />
nötig –robusten Auftreten entsprach.<br />
Unermüdlich kämpfte er dafür, dass<br />
der Europarat Russland aufnahm. Als<br />
ihm dieses Meisterstück gelungen war,<br />
empfand er Genugtuung und Freude.<br />
Unvergesslich bleibt mir der 17. Dezember<br />
1995, als Russland die Duma<br />
wählte. Damals, als OSZE-Wahlbeobachter,<br />
überwachte Ernst Mühlemann in<br />
der Energiestadt Dzerjinsky östlich von<br />
Moskau neun Wahllokale. Nachdem<br />
die Urnen geschlossen worden waren,<br />
entdeckte er eine krasse Unregelmässigkeit<br />
zum Nachteil eines valablen<br />
Bewerbers.<br />
Wie ein Löwe kämpfte Ernst Mühlemann<br />
für Demokratie und Gerechtigkeit.<br />
Auf der Stelle sandte er an Nikolai<br />
Ryabow, an den obersten Wahlleiter<br />
Russlands, einen Fax: «Sollten Sie die<br />
Wahl trotz Unregelmässigkeit in Dzerjinsky<br />
bestätigen, dann berufe ich heute<br />
Abend in Moskau eine Pressekonferenz<br />
ein –und ich werde gegen die Aufnahme<br />
Russlands in den Europarat votieren.»<br />
Noch am Wahlabend kam die<br />
Sache in Ordnung.<br />
Engere Heimat<br />
Als Bauernsohn kannte Ernst Mühlemann<br />
die Gesetze von Werden und<br />
Vergehen. Das war einer von mehreren<br />
Gründen, weshalb er mit den<br />
Menschen im Thurgau so leicht Kontakt<br />
fand, weshalb sie sich ihm anvertrauten,<br />
weshalb sie ihn wählten. Mit<br />
12<br />
seiner engeren Heimat, dem Seerücken,<br />
der Seegegend und dem eidgenössischen<br />
Stand Thurgau blieb Ernst<br />
Mühlemann bis zu seinem Tod innig<br />
verbunden.<br />
Ernst Mühlemann war in allem, was<br />
er tat, eine stupende Begabung. Er war<br />
ein aufrechter Schweizer, treu zur Fahne,<br />
ein guter Kamerad und väterlicher<br />
Freund. Sein aussergewöhnliches Leben<br />
war wie eine grosse, gleissende<br />
Sonne: strahlend, mächtig, voller Wärme.<br />
Jäh ist diese Sonne jetzt erloschen.
Wahrheit und transparenz – die Conditio<br />
sine qua non zur jeweiligen<br />
Zielerreichung! die Kernaussagen<br />
von alt Botschafter dr. iur. Carlo S. F.<br />
Jagmetti anlässlich des 58. lilienberg-<br />
Forums vom 16. Juni 2009, reflektierten<br />
vorrangige orientierungsmerkmale<br />
für ein realistisches Verhalten:<br />
primär politisch, aber auch wirtschaftlich<br />
und gesellschaftlich bedacht.<br />
Von Wilhelm Knecht<br />
Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste<br />
alt Botschafter Dr. Carlo Jagmetti auf<br />
<strong>Lilienberg</strong> sehr herzlich, auch seiner<br />
Freude über die kürzliche Ehrung unseres<br />
Gastreferenten seitens der <strong>Stiftung</strong><br />
Freiheit und Verantwortung Ausdruck<br />
verleihend. «Dr. Jagmetti hat in der<br />
Wahrnehmung all seiner Aufgaben –<br />
hierzu zählten wichtige Schlüsselfunktionen,<br />
wie etwa die Repräsentation<br />
unseres Landes als Botschafter in den<br />
USA – es zu seiner Aufgabe gemacht,<br />
die Wahrheit zu ergründen. Er hat seine<br />
Standpunkte nicht verhüllt, sondern<br />
diese zum Wohle unseres Landes stets<br />
mit Überzeugung vertreten!»<br />
Prof. Dr. Dres h.c. Bernd Rüthers,<br />
Gesprächsmoderator: «Der Referent<br />
kann aus einem enormen Erfahrungspotential<br />
– aus vielen Erdteilen und aus<br />
bewegten, ja dramatischen Jahrzehnten<br />
– schöpfen.»<br />
B E G E G N U N G<br />
Schweizerische Wertvorstellungen und aktualität<br />
Dr. Jagmetti: «Die USA waren lange<br />
die grösste Demokratie. Unsere Bundesverfassung<br />
von 1848 ist in grundlegenden<br />
Fragen der amerikanischen<br />
Verfassung nachgebildet, indessen ist<br />
auch schweizerisches Gedankengut<br />
von der Aufklärung her in die Arbeiten<br />
der ‹Founding Fathers› in Amerika eingeflossen.<br />
Die Bundesverfassung ist die<br />
Grundlage für die Beachtung unserer<br />
Prinzipien. Wirdürfen stolz sein auf unsere<br />
Freiheitsrechte, auf unsere Unabhängigkeit,<br />
auf unsere direkte Demokratie,<br />
auf unseren Föderalismus.<br />
Es gibt kaum mehr bedeutende<br />
Fragenkomplexe, die sich nicht grenz-<br />
Alt Botschafter Dr. iur. Carlo S.<br />
F. Jagmetti war 35Jahre im diplomatischen<br />
Dienst. Seine Stationen<br />
waren Bern, Rom, London,<br />
Saigon. Er war Delegationschef<br />
bei EFTA und GATT in Genf, Botschafter<br />
in Südkorea, bei der Europäischen<br />
Gemeinschaft in Brüssel,<br />
in Frankreichund den USA.<br />
13<br />
überschreitend oder gar weltumspannend<br />
auswirken. Somit ergibt sich die<br />
Schlüsselfrage: ‹Suchen und finden wir<br />
unseren Weg unter weiterer ehrlicher<br />
Beachtung unserer Wertvorstellungen,<br />
oder haben sich die Dinge in dieser<br />
Beziehung geändert, eventuell verschlechtert?›»<br />
Zu den Grundvoraussetzungen unseres<br />
Staatswesens zählt es, dass die<br />
Verantwortungsträger(innen) und insbesondere<br />
die Politiker(innen) sich<br />
der Gewährleistung von Wahrheit und<br />
Transparenz bemühen. Es geht nicht<br />
an, dass eigenmächtig und undurchsichtig,<br />
gar unter Anschwärzung der<br />
Andersdenkenden, die Wahrheit zur<br />
Durchsetzung der eigenen Absichten<br />
getrimmt wird!<br />
Kerngedanken zu unseren<br />
Wertvorstellungen<br />
■ aussenpolitische aspekte: Unser<br />
Staat basiert auf Souveränität, verbunden<br />
mit Unabhängigkeit und Eigenständigkeit.<br />
«Mit jedem neuen<br />
Entwicklungsschritt der EG habe ich<br />
mich gefragt, ob wir eigentlich souveräner<br />
wären als Mitglied denn als<br />
aussen stehendes Drittland. Die bilateralen<br />
Verträge bewähren sich aber<br />
möglicherweise nur auf Zeit. DasVerhältnis<br />
zur supranationalen EU stellt<br />
die grösste Herausforderung für unsere<br />
Souveränität dar. Aber die Zugehörigkeit<br />
zu internationalen Organisati-
onen, vor allem zur UNO, bringt auch<br />
Souveränitätsverluste, denen anderseits<br />
oft bedeutende Vorteile gegenüberstehen,<br />
wie zum Beispiel die<br />
Zugehörigkeit zur Welthandelsorganisation.<br />
Die mannigfachen internationalen<br />
Verbindungen garantieren<br />
der Schweiz ein weltweites, völkerrechtlich<br />
abgestütztes Netzwerk. –<br />
Die Leute, die von einer Isolierung<br />
der Schweiz reden, benützen oft die<br />
Behauptung, um das Terrain für einen<br />
EU- und schliesslich auch einen NA-<br />
TO-Beitritt vorzubereiten.<br />
■ Neutralität: Sie bildet die wichtigste<br />
Maxime unserer Aussenpolitik.<br />
In Friedenszeiten lässt das Neutralitätsrecht<br />
der Schweiz recht grossen<br />
B E G E G N U N G<br />
Von links: Prof. Dr. Dres h.c. Bernd Rüthers, Dr. h.c. Walter Reist und alt Botschafter<br />
Dr. Carlo S. F. Jagmetti<br />
Spielraum, den sich das Land aber<br />
selbst einschränken muss, um als<br />
ständig neutral glaubwürdig zu bleiben.<br />
In den letzten Jahren ist die Idee<br />
einer aktiven Neutralität verbreitet<br />
worden. Dies ist ein Widerspruch<br />
in sich selbst, denn Neutralität verlangt<br />
Enthaltung. Nicht etwa Enthaltung<br />
bei allen Abstimmungen in<br />
internationalen Verhandlungen, wo<br />
man auch imSinne der Interessenwahrung<br />
sehr wohl klare Positionen<br />
einnehmen muss. Dagegen ist alles,<br />
was mit Parteinahme zu tun hat,<br />
meist abzulehnen.<br />
Durch die seit einigen Jahren verfolgte<br />
Sicherheitspolitik hat die Neutralität<br />
wegen der Zulassung vonbe-<br />
14<br />
waffneten Auslandeinsätzen, wegen<br />
der stetig lauter werdenden Forderungen<br />
nach Ausbildung im Ausland<br />
und insbesondere wegen der<br />
Teilnahme an der Partnerschaft für<br />
den Frieden mit der NATO stark an<br />
Glaubwürdigkeit eingebüsst, denn<br />
jede Zusammenarbeit mit einer militärischen<br />
Pakt-Organisation ist neutralitätspolitisch<br />
fragwürdig und mit<br />
einer konsequenten Neutralitätspolitik<br />
nicht vereinbar. Angesichts der<br />
politischen und insbesondere der<br />
aussen- und sicherheitspolitischen<br />
Ziele, die sich auch die EU gesetzt<br />
hat, wäre eine Mitgliedschaft mit der<br />
Neutralität nicht vereinbar.<br />
■ Unabhängigkeit: Was in Bezug auf<br />
unsere Unabhängigkeit in den letzten<br />
Monaten eine neue, in diesem Mass<br />
in den letzten Jahrzehnten unbekannte<br />
Entwicklung darstellt, ist der an<br />
Bedrohung gemahnende Druck, den<br />
die einzige Supermacht der Welt auf<br />
unser Land ausübt. Die Krise um die<br />
Schatten des Zweiten Weltkriegs belastete<br />
das Verhältnis der neunziger<br />
Jahre schwer. Im Gegensatz zu 1946,<br />
als sich die Schweiz diplomatisch<br />
hervorragend schlug, fiel 1997 – um<br />
mit Nationalrat Luzi Stamm zu sprechen<br />
– die Schweiz in die Knie. Die<br />
jetzige Krise ist recht bedrohlich, der<br />
Ausgang ungewiss. Wenn die USA<br />
sich über bilaterale Vereinbarungen<br />
hinwegsetzen und das internationale<br />
Instrumentarium der OECD für die<br />
Durchsetzung völkerrechtlich nicht<br />
abgestützter Interessen instrumentalisieren,<br />
so bedeutet dies auch einen<br />
Angriff auf unsere Souveränität und<br />
ist Auswuchs reiner Machtpolitik.
Unabhängigkeit, Souveränität sowie<br />
Neutralität stehen unter Druck von<br />
aussen. Aber auch unsere internen<br />
Strukturen sind bedroht. Denn mit<br />
dem Nachvollzug der EU-Vorschriften<br />
durch unser Land kommen die direkte<br />
Demokratie und der Föderalismus<br />
unter Druck. Dazu gesellt sich die von<br />
gewissen Kreisen geförderte interne<br />
Tendenz zur Zentralisierung auf Bundesebene<br />
zum Nachteil der Kompetenzen<br />
der Kantone. Zudem wird die<br />
direkte Demokratie bedroht durch die<br />
in den letzten Jahren immer mehr grassierende<br />
Behördenpropaganda.<br />
Die gegenwärtige Krise des internationalen<br />
Finanzsystems mit den Auswirkungen<br />
auf die Wirtschaftslage stellt<br />
eine gewaltige Herausforderung dar.<br />
Was das Bankgeheimnis und die internationale<br />
Rechtshilfe in Steuer-Angelegenheiten<br />
betrifft, so ist die Problematik<br />
Jahrzehnte alt. Man hat sie einfach verdrängt,<br />
man hat die Signale nicht wahrnehmen<br />
wollen. Heute bestimmen die<br />
Grossen, was in Finanz und Wirtschaft<br />
unternommen wird. Die Interventionen<br />
der Staaten werden immer intensiver.<br />
Die Marktwirtschaft, der freie Handel,<br />
der Kapitalverkehr sind gefährdet. Die<br />
an sich für solche Fragen zuständigen<br />
internationalen Organisationen werden<br />
zu Gunsten neuer Machtgruppierungen<br />
weitgehend ausgeschaltet. Gleich wird<br />
bei uns von gewissen politischen Kreisen<br />
dann argumentiert, dass es der kleinen<br />
Schweiz nicht so ergehen würde,<br />
wenn sie in der EU eingebettet wäre.<br />
Diese Darstellung ist nicht stichhaltig,<br />
wie die Beispiele Österreich und Luxemburg<br />
zeigen. In der Schweiz braucht<br />
es nun Mut und Standfestigkeit, verbun-<br />
B E G E G N U N G<br />
den allerdings mit Realismus. Auch mit<br />
beschränkten Mitteln und in bedenklicher<br />
Minderzahl haben die Eidgenossen<br />
früher Schlachten gewonnen.<br />
Politische Kultur<br />
Wir erleben eine sehr eigenartige und<br />
widersprüchliche Entwicklung, indem<br />
sich einerseits eine grosse Mehrheit um<br />
die politische Mitte gruppieren will,<br />
während gleichzeitig eine Polarisierung<br />
stattfindet. Dabei entstehen dann<br />
heilige und unheilige Allianzen. Viele<br />
Bürgerinnen und Bürger fühlen sich<br />
parteipolitisch heimatlos und unterliegen<br />
daher sehr leicht der Behördenpropaganda<br />
und der Manipulation. Mit der<br />
Ehrlichkeit und der Wahrheit ist es nicht<br />
immer zum Besten bestellt. Eine kons-<br />
15<br />
truktive Streitkultur findet man selten,<br />
besonders angesichts der durch den<br />
grässlichen Ausdruck «mehrheitsfähig»<br />
charakterisierten Einstellung, wonach<br />
ein durchwegs achtenswertes Anliegen<br />
beim geringsten Widerstand kampflos<br />
aufgegeben wird.<br />
Stil in der Politik<br />
Darstellungen erhält man zum Beispiel<br />
in der TV-Sendung Arena. Oft erkennt<br />
man nicht nur Mangel an Anstand und<br />
an Stil. Auch eklatant demonstrierte<br />
Abwesenheit substantieller Argumente<br />
bzw. Gegenargumente wird demonstriert.<br />
Solches Fehlverhalten, zuweilen<br />
von Seiten im Interesse der Öffentlichkeit<br />
agierender Persönlichkeiten, führt<br />
zum Nachteil unseres Landes, auch zu<br />
Das Referat von alt Botschafter Dr. Carlo Jacmetti gab zu vertiefenden Gesprächen Anlass
vermindertem oder fehlendem Respekt<br />
vor Institutionen und vor den mit den<br />
gesetzgebenden und exekutivenAufgaben<br />
betrauten Verantwortungsträgern.<br />
Schlussfolgerung<br />
Sollen wir, ausgehend von den Beurteilungen,<br />
pessimistisch sein? – Sicher<br />
nicht. Aber wir müssen realistisch sein<br />
und mögliche Gefahren erkennen! Es<br />
geht darum, im besten Sinne «cool»<br />
zu bleiben und gemäss den einfachsten<br />
Führungsprinzipien Entschlüsse zu<br />
fassen bzw. valable Konzepte auszuarbeiten<br />
und dem Gegenüber mit gültigen<br />
Argumenten entgegenzutreten. Die<br />
Schweiz hat ihre Stärken – diese muss<br />
man überzeugt ausspielen!<br />
Unsere Wertvorstellungen gilt es zu<br />
beachten und vielleicht zu überprüfen.<br />
Sie bilden die Grundlage, um mit dem<br />
entsprechenden Einsatz unsere Zukunft<br />
so zu gestalten, dass sich unsere geliebte<br />
Schweiz auch in einer modernen und<br />
sich rasch wandelnden Welt weiterhin<br />
in ihrerVielfalt wird behaupten können.<br />
Plenumsdiskussion<br />
Ja zu Europa – aber in welcher Ausprägung?<br />
Die Frage der EU in ihrem Verhältnis<br />
zur Schweiz stand – gerade eben<br />
im Zusammenhang der Aufrechterhaltung<br />
der Werte wie Unabhängigkeit,<br />
Souveränität, Demokratie und Föderalismus<br />
– im Zentrum der Diskussion.<br />
Dr. h.c. Walter Reist: «Eine Mitgliedschaft<br />
heisst Abhängigkeit. Partnerschaft<br />
aber heisst Handlungsfreiheit<br />
B E G E G N U N G<br />
bewahren.» EUS Europäische Union<br />
Unabhängiger Staaten – ein Staatenbund,<br />
nicht ein Bundesstaat – das wäre<br />
der richtige Weg!» Dr. Jagmetti gibt zu<br />
erkennen, dass er bis in die achtziger<br />
Jahre wohl noch eine Mitgliedschaft in<br />
der EG befürwortet hätte. Im damaligen<br />
Zeitrahmen (vor dem Meinungswechsel<br />
von Maastricht, der eine vermehrt politische<br />
Ausrichtung offenbarte) hätte die<br />
jeweilige Meinung der Schweiz nicht<br />
überhört werden können, zumal bei<br />
Entscheiden Einstimmigkeit aller beteiligten<br />
Nationen Vorbedingung war.<br />
Heute befinden wir uns in einer anderen<br />
Situation. Gerade die Wirtschaftskrise<br />
zeigt, wie die grossen Staaten<br />
Machtansprüche geltend machen, wie<br />
sie Gefahren des Protektionismus verfallen<br />
und wie die kleineren Staaten als<br />
Gegenmassnahmen unter sich Allianzen<br />
schmieden müssen.<br />
Zum Erreichen und zum Wahrnehmen<br />
der Wertehaltungen wurde im<br />
«Als Bürgerinnen und Bürger eines<br />
von vielen andern Staaten beneideten<br />
demokratischen Systems müssen<br />
wir an uns alle den Anspruch erheben,<br />
uns den Herausforderungen<br />
zu stellen und die Verantwortung<br />
für unsere Zukunft zu übernehmen.<br />
Es ist endlich Zeit, auf nationaler<br />
Ebene eine offene und gründliche<br />
Diskussion zu führen, um herauszufinden,<br />
wo das Schweizervolk in<br />
seiner Mehrheit wirklich hin will.»<br />
alt Botschafter<br />
Dr. iur. Carlo S. F. Jagmetti<br />
16<br />
Plenumsgespräch die Voraussetzung<br />
umfassender Sicherheit hervorgehoben,<br />
dies auch mit Hinweis auf neu zu<br />
gewichtende Bedrohungsformen wie<br />
Wirtschaftsspionage (Cyberwar) und<br />
mittelfristig neu erkennbare Szenarien,<br />
etwa Rohstoff-, Energie-, Nahrungsmittel-<br />
und Trinkwasser-Potentiale betreffend.<br />
Eine zweckmässige Einbettung<br />
der Schweizer Sicherheitspolitik im internationalen<br />
Kontext ist – umfassend<br />
bedacht – unumgänglich! Als besondere<br />
Aspekte wurden die Klimaveränderung<br />
und die Bereitschaft zur Krisenbewältigung<br />
generell hervorgehoben.<br />
Als weiteres sich im Praktizieren der<br />
Wertehaltungen widerspiegelndes Element<br />
akzentuierte Prof. Dr. Dres h.c.<br />
Bernd Rüthers die hohe Bedeutung der<br />
Meinungs- und Pressefreiheit, somit die<br />
immense Verantwortung der Medienschaffenden.<br />
Dr. h.c. Walter Reist stellte fest, dass<br />
wir mit Dr. Carlo Jagmetti heute auf <strong>Lilienberg</strong><br />
einer Persönlichkeit begegnen<br />
durften, welche in der eigenen Mandatsausübung<br />
als Botschafter bezüglich<br />
Wahrheitsfindung und -Vermittlung<br />
Vorbildcharakter aufzeigte.<br />
58. <strong>Lilienberg</strong>-Forum vom 16. Juni<br />
2009 «Schweizerische Wertvorstellungen<br />
und Aktualität» mit alt Botschafter<br />
Dr. iur. Carlo S.F. Jagmetti; Gastgeber:<br />
Dr. h.c. Walter Reist; Moderation: Prof.<br />
Dr. Dres h.c. Bernd Rüthers
Von Wilhelm Knecht<br />
Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste die<br />
Gesprächsteilnehmenden und gab seiner<br />
Freude über die «zeitgerechte» Anwesenheit<br />
unseres Kommandanten der<br />
Luftwaffe Ausdruck.<br />
Dr. Peter Forster, Gesprächsleiter,<br />
verdeutlichte unser «Jazueiner starken<br />
Armee» –damit verbunden unser «Ja<br />
zu einer modernen, leistungsfähigen<br />
Luftwaffe» – dies auch im Rückblick<br />
auf die vonDr. h.c. Walter Reist herbeigeführten<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Gesprächsreihen<br />
der letzten Jahre.<br />
Korpskommandant Markus Gygax:<br />
Unser Staat basiert auf Souveränität,<br />
Unabhängigkeit und Eigenständigkeit.<br />
Sicherheit und Stabilität sind hierzu<br />
unabdingbare Voraussetzungen. Der<br />
Wehrwille unseres Volkes wird stets<br />
von Neuem bezeugt, auch imWissen<br />
darum, dass Sicherheit nicht unentgeltlich<br />
ist.<br />
Das VBS Eidgenössisches Departement<br />
für Verteidigung, Bevölkerungs-<br />
schutz und Sport verfolgt seit 1998<br />
das so genannte Entlastungs- und Stabilisierungsprogramm.<br />
Im Jahre 2004<br />
wurde das Budget mit CHF 4,3 Mia.<br />
gutgeheissen. Jetzt umfasst es noch<br />
CHF 3,7 Mia.! Das Projekt TTE Tiger-<br />
Teil-Ersatz ist mitbetroffen. Im Jahre<br />
2004 sprach man von einem TTE-Budget<br />
von CHF 4 Mia. – bis 2008 erfolgte<br />
eine Kürzung auf CHF 2,2 Mia.!<br />
Umfeld<br />
B E G E G N U N G<br />
die dynamische luftwaffe, das stabilisierende<br />
Element der schweizerischen Sicherheitspolitik<br />
Seit Jahren steht die luftwaffe im Brennpunkt der Schweizer armee. – Konfrontiert<br />
mit der Finanznot der armee sah sich unserVerteidigungsminister, Bundesrat<br />
Ueli Maurer, anlässlich der Bundesratssitzung vom 14. oktober 2009 gezwungen,<br />
zugunsten einer neuen Prioritätenordnung innerhalb des armeebudgets die<br />
Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge hinauszuzögern. – das 59. lilienberg-<br />
Forum, am 20. oktober 2009, bot Gelegenheit, mit dem Kommandanten der<br />
Schweizer luftwaffe, Korpskommandant Markus Gygax, in dialog zu treten.<br />
«Wollen wir die Armee oder wollen<br />
wir sie nicht?» Das Schweizervolk<br />
sprach sich bisher stets für die Armee<br />
aus. Eine Diskrepanz besteht indessen<br />
im Bereitschaftsgrad des Parlamentes<br />
–nämlich die Höhe der finanziellen<br />
Mittel für die Armee betreffend. Die<br />
Sicherheitspolitischen Kommissionen<br />
des National- und Ständerates sind<br />
zur Mehrheitsfindung zugunsten unserer<br />
Armee stark gefordert. Zum Vergleich:<br />
Der Budgetanteil am BIP Bruttoinlandprodukt<br />
liegt in der Schweiz<br />
bei 0,8%, bei den NATO-Staaten indessen<br />
bei 2%!<br />
17<br />
Bedrohungen<br />
Der Gefahren- und Risikenkatalog ist<br />
vielfältig. Stellvertretend für eine Vielzahl<br />
von Bedrohungsformen seien hier<br />
aufgeführt:<br />
–Wirtschaftliche und politische Verteilkämpfe<br />
(Rohstoff-, Ressourcenund<br />
Energieknappheit, auch zufolge<br />
des enormen Wachstums der Weltbevölkerung)<br />
–Terrorismus<br />
–Gewalttätiger Extremismus<br />
–Auswirkungen von Proliferation<br />
–Migrationsbewegungen (Destabilisierungswirkungen)<br />
–Natur- und technische Katastrophen<br />
–Umweltzerstörung (Klimawandel)<br />
–Informationskrieg<br />
–Gewaltanwendung im Luftraum<br />
–Bewaffnete Konflikte (in oder ausserhalb<br />
Europas: Die Anzahl von<br />
Kriegen und Konflikten war – global<br />
betrachtet – gerade auch seit den<br />
90er Jahren erheblich!)<br />
leistungsprofil der armee<br />
Zu den maximal geforderten, möglicherweise<br />
gleichzeitig zu erbringenden<br />
Leistungen der Armee ab 2008/11<br />
(ohne Einsatz der Reserve) zählen vorwiegend:<br />
Unterstützung ziviler Behörden<br />
–Wahrung der Lufthoheit, insbesondere<br />
mit Luftpolizeidienst (mit normaler<br />
oder verstärkter Präsenz)
–Katastrophenhilfe<br />
–Schutz-, Bewachungs- und Überwachungsaufgaben<br />
(auch Konferenz-<br />
und Objektschutz)<br />
Raumsicherung und Verteidigung<br />
– Raumsicherung (Einsatzverbände,<br />
ca. in Brigadestärke)<br />
– Erhalt/Weiterentwicklung der<br />
Kompetenz zur Raumsicherung<br />
mit Gegenkonzentration und<br />
zur Abwehr eines militärischen<br />
Angriffs<br />
Friedensförderung<br />
ca. 500 AdA Angehörige der Armee<br />
Zur luftwaffe<br />
Die heutigen Kernaufgaben der Luftwaffe<br />
umfassen:<br />
■ Wahrung der Lufthoheit<br />
– Luftpolizeidienst<br />
– Luftverteidigung<br />
■ Lufttransport<br />
■ Nachrichtenbeschaffung<br />
Diese Aufgaben kann die Luftwaffe heute<br />
wahrnehmen. Es bestehen aber zur<br />
umfassenden Aufgabenerfüllung auch<br />
in diesem Spektrum Defizite.<br />
Die Restrukturierung der Armee und<br />
die finanziellen Engpässe zwangen zum<br />
Ab- bzw. Umbau der Luftwaffe, bezogen<br />
auf Infrastrukturen, Personal und Systeme.<br />
Zum Teil führte dies auch zur AufsplitterungderLuftwaffe.ImZeitraumvon1990–<br />
2008 musste deren Personalbestand von<br />
3078 AdA auf 1750 gesenkt werden. 270<br />
AdA wurden zur Logistikbasis der Armee<br />
und/oder zur Führungsunterstützung<br />
der Armee umgeteilt; dies brachte neue<br />
Schnittstellen –auch mit neuen Anforderungen<br />
in der Führung –mit sich.<br />
B E G E G N U N G<br />
Bis zum Jahre 2011 wird vonder Luftwaffe<br />
– einhergehend mit höheren Leistungsanforderungen!<br />
–ein weiterer Stellenabbau<br />
gefordert: Der Bestand soll von<br />
1750 auf 1540 AdA vermindert werden.<br />
Das Delta der Leistungseinbussen wird<br />
immer grösser: Leistungsverzichte werden<br />
unausweichlich. Eine weitere Ausdünnung<br />
ist indessen nicht mehr möglich:<br />
Eine solche würde unmittelbar Einschränkungen<br />
in Bezug auf Fallschirmaufklärer<br />
(dies nachbereits vollzogenem<br />
Verzicht auf Drohneneinsätze), in der<br />
Folge dann auchauf Flab-Systeme, Flugplätze<br />
usw. nachsichziehen.<br />
Die weiteren möglichen Konsequenzen<br />
können mit dem Begriff «Dominoeffekt»<br />
verdeutlicht werden. In der Tat<br />
sind bei ungenügender Mittelallokation<br />
bedeutende Stützpfeiler in unserer Sicherheits-<br />
und Verteidigungspolitik bzw. unserem<br />
Sicherheitssystem generell gefährdet.<br />
Mit zu erwähnen sind Bündnisfreiheit,<br />
Wehrpflicht, Verteidigungsfähigkeit,<br />
TTE usw. Ohne TTE: Kein operativesFeuer<br />
und keine operative Aufklärung. Damit<br />
ist aber ein kombinierter Einsatz vonHeer<br />
und Luftwaffe undenkbar. Somit sind wir<br />
nicht mehr fähig, den Auftrag Verteidigung<br />
zu erfüllen. Hierbei stellt sich die<br />
Frage, ob eine Wehrpflicht ohne Verteidigungsauftrag<br />
nochverfassungsrechtlich<br />
zulässig ist. Damit wäre ein Präjudiz zum<br />
Beitritt in ein Bündnis geschaffen.<br />
Zum Personal: Trotz der Überbelastung<br />
(es zeigt sich dies an Unmengen<br />
von nicht bezogenen Ferientagen und<br />
Überstunden) darf den Mitarbeitenden<br />
aller Stufen ein gewaltiges Lob ausgesprochen<br />
werden. Der Leistungswille<br />
bleibt ungebrochen, die Moral ist wegweisend:<br />
Wir stellen eine hohe Wahr-<br />
18<br />
Korpskommandant Markus Gygax<br />
nehmung der Verantwortung fest –im<br />
Sinne «jetzt erst recht, wir raufen uns<br />
zusammen!» –Dies zeugt von einem<br />
ausgeprägten Wehrgefühl und einem<br />
vorbildlichen Esprit, getragen durch eine<br />
beispielhafte «Unternehmenskultur».<br />
«Der Status quo ist nicht haltbar:<br />
Statt die Ressourcen bzw. finanziellen<br />
Mittel auf die zu erbringenden<br />
Leistungen auszurichten, ist<br />
heute das Gegenteil der Fall. Wir<br />
richten die Leistungen auf die in<br />
starkem Masse eingeschränkten<br />
Ressourcen aus.»<br />
Korpskommandant Markus Gygax<br />
das leistungsspektrum<br />
Das Spektrum der Luftwaffe erstreckt<br />
sich u.a. von Überwachungsaufgaben,<br />
punktuellen Interventionen bis hin zu<br />
den Grosseinsätzen und Konfliktbewäl-
tigungen. Im Gegensatz zum Leistungsspektrum<br />
Heer (Boden) besteht bei der<br />
Luftwaffe keine Konkurrenzsituation innere/äussere<br />
Sicherheit.<br />
Im Auftrag des BAZL Bundesamt für<br />
Zivilluftfahrt nimmt die Luftwaffe den<br />
Luftpolizeidienst wahr. (KKdt Gygax<br />
zeigt unter dem Titel «One day of Traffic<br />
in Europe» anhand von bewegten Bildern,<br />
die «rund um die Uhr» geradezu<br />
erschreckende Dichte des internationalen<br />
zivilen Flugverkehrs). Die Leistungen<br />
hierbei sind vielfältig, von den<br />
Alltagspflichten, welche vor allem das<br />
Durchsetzen von Benützungsbewilligungen<br />
des schweizerischen Luftraums<br />
umfassen bis zu Sonderaufträgen, etwa<br />
im Zusammenhang mit differenzierten<br />
Überflugsbewilligungen bei den<br />
NATO-Einsätzen (keine Kampfflugzeuge!)<br />
oder den Einsätzen bei der G8,<br />
beim WEF usw. – Fazit: «Die Luftwaffe<br />
schafft Ordnung im Luftraum!»<br />
ttE tiger-teil-Ersatz<br />
Die Wahrung der Lufthoheit und der<br />
Luftpolizeidienst werden heute mit den<br />
33 F/A-18 und den 54 Tiger sichergestellt.<br />
Die operative Aufklärung und die<br />
Fähigkeit «Luft/Boden» (Unterstützung<br />
des Heeres) sind heute nicht mehr vorhanden.<br />
Die Evaluation des Flugzeugtyps, der<br />
den F-5 Tiger ersetzen soll ist im vollen<br />
Gang, dies betreffend Rafale (aus Frankreich),<br />
Gripen (aus Schweden) und Eurofighter<br />
(aus Deutschland).<br />
Mit den 33 F/A-18 und den «plus 22<br />
TTE» sollen die Fähigkeiten zur Wahrung<br />
der Lufthoheit sowie des Luftpo-<br />
B E G E G N U N G<br />
Motiviert zum freien Gespräch…<br />
lizeidienstes in Friedenszeit gewahrt<br />
bleiben. Zudem sollen die Kompetenzen<br />
LUV Luftverteidigung im Krisen-/<br />
Verteidigungsfall, die LA Luftaufklärung<br />
in allen Lagen und zu allen Zeiten<br />
sowie der EK Erdkampf, d.h. Feuerunterstützung<br />
aus der Luft bzw. Bekämpfung<br />
von Bodenzielen wieder aufgebaut<br />
werden.<br />
Bei der Evaluation des neu zu beschaffenden<br />
TTE-Kampfflugzeugs haben<br />
die Kriterien Raum – Zeit – Mittel<br />
vorrangige Bedeutung. Einer besonderen<br />
Überlegung bedarf die geringe<br />
geografische Fläche unseres Landes:<br />
Die Reaktionszeit für den Einsatz in der<br />
19<br />
Luft ist proportional zur Distanz: Je kürzer<br />
die Reaktionszeit, desto mehr und<br />
rascher müssen Mittel verfügbar sein!<br />
Die zentrale Frage lautet: «Ist Verteidigung<br />
und Raumsicherung für den<br />
Zeithorizont von 10bis 30 Jahren ein<br />
Thema für unser Land?» –Wenn Ja,<br />
so ist das Knowhow Luftaufklärung<br />
und Feuer Luft/Boden zwingend. Die<br />
Grundbereitschaft und die Qualität<br />
müssen hochsein. Die Ausbildungszeit<br />
für Luftwaffe und Heer ist lange (bei Piloten<br />
umfasst sie ca. acht Jahre!) Das<br />
Milizsystem lässt sonst kein plausibles<br />
Aufwuchskonzept zu. «Was nicht ist,<br />
kann nicht aufwachsen!»
abschliessende Beurteilung<br />
■ Die Bedrohung ist gegeben, denn der<br />
Mensch ist nicht perfekt!<br />
■ Gefragt sind Leistungen des Heeres<br />
und der Luftwaffe. Am Boden gibt es<br />
andernfalls keine Institution mit genügendem<br />
Stehvermögen; in der Luft<br />
gibt es keine Alternative.<br />
■ Die Luftwaffe stabilisiert: mit Flugzeugen,<br />
aber auch mit Zuverlässigkeit,<br />
Berechenbarkeit, guter Ausbildung<br />
und Teamwork – im Sinne des<br />
nationalen Zusammenhalts!<br />
Plenumsdiskussion<br />
Dr. Peter Forster, Gesprächsleiter, entnahm<br />
den Statements der Teilnehmenden<br />
ein uneingeschränktes Ja zur Förderung<br />
unserer Armee –damit verbunden<br />
auchein unabdingbares Ja zur Luftwaffe.<br />
–Von Seiten der Politik wird eine klare<br />
Auftragsumschreibung gegenüber unserer<br />
Armee, ausgehend voneinem aktuellen,<br />
umfassenden Sicherheitspolitischen<br />
Bericht, gefordert. Besondere Diskussionsthemen<br />
bildeten Fragen und Meinungen<br />
rund um die «Sicherheit durch<br />
Kooperation» bzw. die internationale<br />
Zusammenarbeit sowie der «Sicherheitsverbund<br />
Schweiz» bzw.die Zusammenarbeit<br />
aller Sicherheitskräfte im Inland.<br />
Gedanken auf den Weg<br />
Dr. h.c. Walter Reist: «Herr Korpskommandant,<br />
Sie haben uns Einblick in die<br />
Gesamtzusammenhänge gewährt und<br />
pointiert dargelegt, welch hohe Bedeu-<br />
B E G E G N U N G<br />
Christoph Vollenweider legte KKdt Gygax zwei Schlüsselfragen vor:<br />
Erkennen Sie bei der Beschaffung von Kampfflugzeugen im Vergleich<br />
Schweiz/Ausland unter dem sachlichen Aspekt wesentliche Unterschiede?<br />
KKdt Gygax: Auch bei den ausländischen Armeen sind zeitraubende Evaluationsprozesse<br />
notwendig. Bei militärischen Bündnissen (NATO) sind indessen<br />
die Kompatibilitätserfordernisse von hoher Bedeutung. Sachlich betrachtet stehen<br />
wir im ständigen Wissensaustausch mit ausländischen Experten – dies primär<br />
über die armasuisse. Das politische System der Schweiz gebietet es – und<br />
dies ist gegenüber dem Ausland charakteristisch – , den Faktor Zeit besonders<br />
zu gewichten, Vorlagen in der Kampfflugzeugbeschaffung gehen zumeist einher<br />
mit Volksinitiativen bzw. Abstimmungen.<br />
Wo liegen – im Wissen um die Finanzknappheit – Möglichkeiten offen, dem<br />
auf <strong>Lilienberg</strong> bekundeten Postulat «Ja zur Armee» noch besser zum Durchbruch<br />
zu verhelfen?<br />
KKdt Gygax: Ichmuss an meine Antwort zur vorhergehenden Frage anknüpfen.<br />
Bei Kampfflugzeugen –wie auchbei Panzern –handelt es sichumGrossprojekte.<br />
Die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie steht bei derartigen Beschaffungen<br />
den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber in besonderer Pflicht: Transparenz<br />
ist vordringlich. Insofern gilt es, für die Armee überall –jede(r) an ihrem/seinem<br />
Ort –einzustehen: «Vereint schaffen wir es!» –Ein vorrangiges Anliegen ist mir<br />
hierbei auchdie sachliche, konstruktive Berichterstattung in den Medien!<br />
tung einer modernen, leistungsfähigen<br />
Luftwaffe zukommt. Wir danken Ihnen<br />
für diese Analyse! – Wie in einem Unternehmen<br />
– so verhält es sich auch in<br />
unserer Armee, somit auch in der Luftwaffe.<br />
Unternehmerische Entscheide<br />
basieren auf dem menschlichen, sachlichen<br />
und wirtschaftlichen Aspekt.<br />
Menschlich betrachtet: Wir sind vom<br />
Wehrwillen und vom Können unserer<br />
Armeeangehörigen überzeugt. – Sachlich<br />
betrachtet: Der Erfolg einer Unternehmung<br />
steht in Abhängigkeit steter<br />
Innovation! – Wirtschaftlich betrachtet:<br />
Jede Unternehmung bedarf einer soliden<br />
finanziellen Basis, ebenso die Ar-<br />
20<br />
mee, somit auch die Luftwaffe! Hierzu<br />
bedarf es jetzt dringend des politischfinanziellen<br />
Rückhalts! Herr Korpskommandant,<br />
wir danken Ihnen für Ihr<br />
hohes Engagement zugunsten unserer<br />
Armee und unserer Luftwaffe im Besonderen!»<br />
59. <strong>Lilienberg</strong>-Forum vom 20. Oktober<br />
2009 «Die dynamische Luftwaffe – das<br />
stabilisierende Element der schweizerischen<br />
Sicherheitspolitik» mit Korpskommandant<br />
Markus Gygax, Kommandant<br />
der Schweizer Luftwaffe, Bern;<br />
Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist; Moderation:<br />
Dr. Peter Forster
Von Immacolata Waldvogel<br />
lustig und fidel – ein abend mit den<br />
Wiener Symphonia Schrammeln<br />
Die Schrammelmusik ist eine für<br />
Wien typische Musikgattung des<br />
19. Jahrhunderts und gilt als Wiener<br />
Volksmusik. Nach den Komponisten Johann<br />
und Josef Schrammel benannt erlangte<br />
sie mit dem «Spezialitäten Quartett<br />
Gebrüder Schrammel» rasch grosse<br />
Berühmtheit. Sie spielten auch in den<br />
Palais und Salons der Wiener Aristokratie<br />
und des Grossbürgertums. Dieser<br />
Schrammeleuphorie schlossen sich als<br />
Verehrer auch Johann Strauss, Johan-<br />
B E G E G N U N G<br />
Jeder Musikanlass auf dem lilienberg ist einzigartig!<br />
Die «Wiener Symphonia Schrammeln». Von links: Prof. Stefan Plott, Helmut Lackinger,<br />
Prof. Rudolf Malat, Kurt Franz Schmid, Peter Hirschfeld<br />
nes Brahms und später Arnold Schönberg<br />
an. Johann und Josef Schrammel<br />
hinterliessen mehr als 250 Werke. Mit<br />
dem Tod der Brüder geriet die besondere<br />
Klangfarbe des Quartetts in Vergessenheit.<br />
Erst 70 Jahre danach wurde sie<br />
wiedererweckt und heute gibt es wieder<br />
zwölf aktive Schrammelquartette.<br />
Die gemeinsame Liebe zur Wiener<br />
Musik und die Überzeugung, unter den<br />
Wiener Musikern die beste Auswahl zur<br />
Verwirklichung der Schrammelmusik<br />
getroffen zu haben, führten zur Gründung<br />
der «Wiener Symphonia Schrammeln»<br />
im Jahre 1996. Interpretation von<br />
Wiener Musik auf höchstem Niveau in<br />
Verbindung mit dem gewissen Wiener<br />
Schmäh.<br />
21<br />
Das Ensemble ist in der Lage, nicht<br />
nur die traditionelle klassische Wiener<br />
Volksmusik bis zur Operettenliteratur,<br />
sondern auch die verschiedensten Variationen<br />
in der Instrumentalzusammensetzung<br />
anzubieten. Am 3. Juli<br />
2009 traten die «Wiener Symphonia<br />
Schrammeln» zum vierten Mal auf<br />
dem <strong>Lilienberg</strong> auf. Gespielt wurden<br />
nachdem Motto «Lustig und fidel» der<br />
Marsch «Heut’ san ma fidel» von Jans<br />
Zajicek, die «Zick-Zack-Polka» und der<br />
«Hofburg-Galopp» von Kurt Schmid,<br />
Josef Lanner’s «Steyrische Tänze», die<br />
«Kikeriki-Polka» von Philipp Fahrbach<br />
sen., von Johann Schrammel die beiden<br />
Walzer «Lustig und Fidel» und<br />
«Morgengruss», C.M. Ziehrer’s Polka<br />
«Boshaft» sowie der Tanz «Ländliche<br />
Paraphrase» und der «Omega-Tanz»<br />
von Josef Mikulas. Die fünf fröhlichen<br />
Musikanten im schwarzen Sakko verstanden<br />
es, die Anwesenden mit ihrer<br />
virtuos gespielten und vergnügten Musik<br />
zu begeistern.<br />
Ein Stück, das Gastgeber Dr. h.c.<br />
Walter Reist besonders liebt, ist der «Estanz»<br />
von Johann Schrammel. Er wurde<br />
als Höhepunkt des Abends von Rudolf<br />
Malat an der Knopfharmonika und Peter<br />
Hirschfeld an der Kontragitarre vorgetragen<br />
– besonders innig, zutiefst ergreifend<br />
und mit faszinierender Fingerfertigkeit.<br />
Mit allen Gästen freute sichDr. h.c.<br />
Walter Reist über diesen Abend voller<br />
Fröhlichkeit und Harmonie, was ganz<br />
stark bei seinen Dankesworten und<br />
der Verabschiedung zum Ausdruck<br />
kam.
Tine Thing Helseth und Christian Ihle Hadland<br />
Von Margrit Bösch<br />
Virtuose trompetensoli – von zarter<br />
Hand gespielt<br />
Am Rezital vom 25. August 2009 traten<br />
zwei junge Künstler aus Norwegen auf,<br />
die 21-jährige Trompeterin Tine Thing<br />
Helseth mit dem 26-jährigen Pianisten<br />
Christian Ihle Hadland. Wer hätte<br />
gedacht, dass eine so zarte junge Frau<br />
derart virtuos und kraftvoll Trompete<br />
spielen kann – ein Instrument, das sonst<br />
eher dem starken Geschlecht zugeordnet<br />
wird?<br />
Tine Thing Helseth hat schon im Alter<br />
von sieben Jahren begonnen Trompete<br />
zu spielen. Ihre Ausbildung absol-<br />
B E G E G N U N G<br />
vierte sie in Oslo. 2006 gewann sie den<br />
zweiten Preis beim «Eurovision Young<br />
Musician Contest» in Wien. Zahlreiche<br />
weitere Preise folgten, etwa der<br />
Norwegische Solistenpreis 2006 oder<br />
ein Grammy imJahr darauf. Tine Thing<br />
Helseth trat zum Beispiel mit dem Stuttgarter<br />
Kammerorchester, dem Wiener<br />
Kammerorchester und den Wiener<br />
Symphonikern auf. Viele weitere Auftritte<br />
sind geplant –Tine Thing Helseth<br />
wird auch inWashington, Tokio und<br />
Hanoi gastieren.<br />
Seit seinem Debüt im Jahr 2009 in<br />
der Norwegischen Staatsoper Oslo ist<br />
Christian Ihle Hadland bekannt als einer<br />
der spannendsten Pianisten. Seine<br />
ersten Klavierstunden erhielt er im Alter<br />
von acht Jahren. Schon im Jahr 2000<br />
22<br />
gewann Christian Ihle Hadland den<br />
Internationalen Balys Dvarionas Wettbewerb<br />
in Vilnius – viele weitere Auszeichnungen<br />
folgten. Der junge Pianist<br />
tritt mit namhaften Orchestern auf und<br />
ist auch als Kammermusiker und Liedbegleiter<br />
sehr gesucht.<br />
Die beiden jungen Musiker begannen<br />
mit der «Légende pour trompette et<br />
piano» von Georges Enescu. Es folgte<br />
die Sonate fürTrompete und Klavier von<br />
Paul Hindemith – kraftvolle Töne, mässig<br />
bewegte und sehr langsame Trauermusik,<br />
instrumental wunderbar interpretiert.<br />
In der Folge spielte Christian<br />
Ihle Hadland die Klaviersonate Nr. 8 in<br />
D-Dur, KV 311 von Wolfgang Amadeus<br />
Mozart. Wieder zu zweit spielten die<br />
beiden die «Sonatine pour trompette<br />
et piano» von Bohuslav Martinu sowie<br />
Maurice Ravel’s «Vocalise-Etude en forme<br />
de Habana» und abschliessend sieben<br />
populäre spanische Lieder von Manuel<br />
de Falla. Im Anschluss hielt Moderator<br />
Andreas Müller ein Kurzinterview<br />
mit den beiden hervorragenden Künstlern,<br />
wobei er Fragen zu deren Ausbildung<br />
und ihrem künstlerischen Wirken<br />
in den Vordergrund stellte.<br />
Mit grosser Freude über das gelungene<br />
wunderschöne Konzert verabschiedete<br />
Gastgeberin Susanne Rau-Reist die<br />
beiden hervorragenden Künstler, den<br />
kompetenten Moderator sowie die begeisterten<br />
Rezitalgäste.<br />
Von der Moderatorin zur Solistin<br />
Am Herbstrezital vom 3. November<br />
2009 stand Eva Oertle einmal nicht<br />
als Moderatorin vor dem Publikum,
sondern begeisterte dieses mit ihrem<br />
einfühlenden und technisch ausgefeilten<br />
Flötenspiel. Begleitet wurde<br />
sie vom Pianisten Vesselin Stanev, der<br />
dem <strong>Lilienberg</strong>-Publikum bestens bekannt<br />
ist.<br />
«Warum auch in die Ferne schweifen,<br />
wenn das Gute liegt so nah!» Aus<br />
dieser Überlegung heraus – so Susanne<br />
Rau-Reist bei ihrer Begrüssung – entstand<br />
die Idee, die beiden Künstler für<br />
ein Konzert zusammenzubringen.<br />
Eva Oertle ist als Solistin und Kammermusikerin<br />
in der Schweiz, Italien<br />
und Deutschland tätig, spielt und arbeitet<br />
mit international renommierten<br />
Orchestern und Dirigenten zusammen.<br />
Eva Oertle studierte an den Musikhochschulen<br />
in Fribourg und Basel<br />
und absolvierte nach dem Konzertdi-<br />
Eva Oertle und Vesselin Stanev<br />
B E G E G N U N G<br />
plom zusätzlich ein Studium auf der<br />
barocken Traversflöte. Sie beschäftigt<br />
sich sowohl mit zeitgenössischer Musik<br />
als auch mit dem Spiel auf historischen<br />
Instrumenten. Im Weiteren ist<br />
sie als Moderatorin und Musikredaktorin<br />
beim Schweizer Radio DRS 2tätig,<br />
dort etwa inder Sendung «Diskothek<br />
im Zwei».<br />
Der aus Bulgarien stammende Pianist<br />
Vesselin Stanev begann seine Musikausbildung<br />
im Alter von zehn Jahren. 1981<br />
wechselte er an die Musikakademie in<br />
Sofia, studierte später am Tschaikowsky-Konservatorium<br />
in Moskau, wo er<br />
1988 das Solistendiplom erlangte. Vesselin<br />
Stanev hat einen hervorragenden<br />
Ruf als Musiker. Viele Auszeichnungen<br />
zeugen davon. Seine Laufbahn führte<br />
ihn in grosse Konzerthäuser Europas.<br />
23<br />
Sein Können wurde vom bulgarischen<br />
Radio und Fernsehen dokumentiert und<br />
international in Kritiken gewürdigt.<br />
Das Konzert wurde mit «Largo – Allegro»<br />
aus Gaetano Donizetti’s Sonate<br />
C-Dur Flöte und Klavier eröffnet. Es<br />
folgten «zwei Lieder ohne Worte» von<br />
Felix Mendelssohn – eines lieblich fein,<br />
das andere temperamentvoll. Alsdann<br />
gelangte die Sonate für Flöte und Klavier<br />
von Mélanie Bonis zur Aufführung<br />
– wunderbare, emotionale Musik, das<br />
ganze «Lebenstemperament» offenbarend.<br />
Weiter auf dem Programm standen<br />
das schlichte, in die Tiefe gehende<br />
Abendlied von Robert Schumann und<br />
abschliessend sechs stimmungsvolle<br />
Stücke für Flöte und Klavier von Fikret<br />
Amirow.<br />
«Es hat geklappt», freute sich Susanne<br />
Rau-Reist bei ihren Dankesworten<br />
an die Künstler und den Moderator Andreas<br />
Müller-Crepon. Alle waren sich<br />
einig: ein Highlight mehr! Jeder <strong>Lilienberg</strong>-Musikanlass<br />
ist einzigartig – man<br />
freut sich jetzt schon auf das Rezital<br />
vom 16. März 2010.
anlässlichdes 96. lilienberg-Gesprächs<br />
am 25. Juni 2009 war Hausi leutenegger<br />
auf dem lilienberg zu Gast. Seine<br />
eindrückliche helvetische Erfolgsgeschichte<br />
zeigt, wie es heute noch<br />
möglich ist, mit «Chrampfe», einem<br />
eisernen Willen und etwas Glück den<br />
Weg von weit unten nach weit oben zu<br />
verwirklichen.<br />
Von Georg Leumann<br />
Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann freute<br />
sich besonders, einen der erfolgreichsten<br />
Thurgauer auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />
begrüssen zu dürfen. Krisen wie heute,<br />
so betonte er, können nur mit starken<br />
Unternehmerpersönlichkeiten, wie sie<br />
Hausi Leutenegger verkörpert, bewältigt<br />
werden.<br />
Nationalrätin Brigitte Häberli, die Gesprächsleiterin,<br />
lebt heute in Bichelsee.<br />
Sie war am16. Januar 2009 am grossen<br />
Dorffest dabei, anlässlichwelchem Hausi<br />
Leutenegger als Ehrenbürger gefeiert<br />
wurde. Die Vernissage für sein kürzlich<br />
erschienenes Buch «Ein bisschen Glück<br />
war auch dabei», das während Wochen<br />
auf der Bestsellerliste der Sparte Sachbücher<br />
stand, fand auch inseiner Heimatgemeinde<br />
statt. Seine tiefeVerwurzelung<br />
im «Kurort», wie Hausi seinen Geburtsort<br />
heute nennt, konnte die Gesprächsleiterin<br />
eindrücklichmiterleben.<br />
Hausi Leutenegger wuchs im Höfli,<br />
beim Bichelsee, zusammen mit sieben<br />
Geschwistern auf. Im Hinterthurgau<br />
G E S P r Ä C H<br />
das Multitalent von Bichelsee: olympiasieger –<br />
Unternehmer und Schauspieler<br />
wurden seine Wertehaltungen festgelegt,<br />
seine Grundfähigkeiten gefördert<br />
und durch viele kleine Erlebnisse sein<br />
«Erfolgsdrang an die Spitze» geweckt.<br />
Nach seiner Lehre als Bauschlosser bei<br />
der Firma Sulzer drängte ihn seine unternehmerischeVeranlagung<br />
dazu, eine<br />
weitere Welt kennen zu lernen. Er arbeitete<br />
als Bauschlosser und als Vertreter<br />
in Genf und war auch auf Montage<br />
in Holland. Diese Zeit bezeichnet er<br />
als entscheidend für seinen weiteren<br />
Lebensweg.<br />
Sport – die lebensschule<br />
Auf die Frage, wie er Olympiasieger<br />
wurde, meinte Hausi Leutenegger, dass<br />
er dieses Ziel nur mit grosser Ausdauer,<br />
eisernem Willen, Ehrlichkeit und dem<br />
dazu notwendigen Glück habe erreichen<br />
können. Bereits in seiner Jugend<br />
habe er in Bichelsee jeweils fürsTraining<br />
Hürden aufgestellt und vielseitig geübt.<br />
Dabei habe er von sich ausserordentlich<br />
viel gefordert und sei mit sich sehr<br />
streng gewesen. Als Nationalturner und<br />
im Stabhochsprung stellten sich verschiedene<br />
Erfolge ein. Im Sport konnte<br />
er seine Entwicklung eindrücklich erleben!<br />
Auch seine späteren Bobtrainings<br />
waren äusserst anforderungsvoll. Einige<br />
Stürze beim Bobsport führten zu Verletzungen<br />
und grösseren Schmerzen. Nur<br />
ein weiter und harter Weg führte ihn bis<br />
zum Viererbob-Olympiasieg in Sapporo<br />
1972. Wer heute noch als Spitzen-<br />
24<br />
Hausi Leutenegger<br />
sportler erfolgreich sein wolle, brauche<br />
einen ausserordentlichen Willen, stellte<br />
Hausi Leuteneger fest. Heute betreibe<br />
er mit seiner täglichen Gymnastik, als<br />
Velofahrer oder Golfspieler Gesundheitssport.<br />
Er liebe die Natur, besonders<br />
eine Ausfahrt mit dem Velo durch die<br />
Ostschweiz schätze er, und vergesse<br />
beim Sport sein Alter.<br />
Unternehmer mit Gespür<br />
Auch seine unternehmerischen Fähigkeiten<br />
entwickelte Hausi Leutenegger<br />
bereits während seiner Jugend. Das<br />
Äpfelauflesen in Bichelsee organisierte<br />
er mit seinen Kameraden jeweils als<br />
Wettbewerb, den er als Chef leitete.<br />
1965 gründete er die Leutenegger AG,<br />
die heute über 1000 Mitarbeitende beschäftigt.<br />
Seine Kader rekrutierte er in<br />
der Aufbauphase seiner Unternehmung<br />
aus tüchtigen, vertrauensvollen Monteuren,<br />
die er bei der Arbeit persönlich<br />
kennengelernt hatte. Bei der Auswahl
der Mitverantwortlichen waren ihm<br />
immer die familiären Verhältnisse, die<br />
finanzielle Schuldenfreiheit und die<br />
Tatsache, ob einer Militärdienst leistete,<br />
wichtig. Zudem konnte er sich bei der<br />
Einschätzung der Mitarbeitenden auf<br />
sein natürliches Gespür verlassen. Seine<br />
«drei Leben nebeneinander» führte<br />
er dank unternehmerischer Grosszügigkeit<br />
erfolgreich. Dazu waren vertrauensvolle,<br />
verlässliche Mitarbeitende<br />
notwendig. Die Nachfolge ist heute<br />
geregelt. Sein Sohn und sein Schwiegersohn<br />
sind in die Verantwortung einbezogen.<br />
Er ist glücklich, feststellen zu<br />
können, dass die Jungen die Unternehmung<br />
gut führen.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Vom Sportler zum Filmschauspieler<br />
Der Olympiasiegertitel öffnete Hausi<br />
Leutenegger den Weg zur Filmschauspielerei.<br />
Er arbeitete bei über 35 Filmproduktionen<br />
mit, in denen er kleinere<br />
und grössere Rollen übernehmen konnte,<br />
so z.B. auch 1985 im Film «Kommando<br />
Leopard» an der Seite von Klaus<br />
Kinski, mit dem er befreundet war. Die<br />
Filmerei selber erlebte er als Schwerarbeit.<br />
Er musste sehr viel Zeit für das<br />
Auswendiglernen der Drehbücher, oft<br />
während der Nacht, investieren. Szenen<br />
mussten manchmal bis zu zwölf<br />
Mal wiederholt werden. Dazu brauchte<br />
es Ausdauer und Zielstrebigkeit gleich<br />
Von links: Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann, Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller,<br />
Hausi Leutenegger<br />
25<br />
wie beim Sport. Das Hollywoodleben<br />
mit seinen eigenartigen Szenen hatte<br />
er wohl kennen gelernt, es war jedoch<br />
nicht sein Leben, wie Hausi Leutenegger<br />
feststellte. Die Familie und seine<br />
Freunde waren ihm viel wichtiger.<br />
Die Leute, mit denen er aufgewachsen<br />
war, sind auch heute noch seine Freunde.<br />
Sie wissen, dass sie sich auf Hausi<br />
verlassen können, von ihnen wurde er<br />
auch nie enttäuscht.<br />
Abschliessend stellte Ex-Nationalrat<br />
Ernst Mühlemann fest, dass wir mit<br />
Hausi Leutenegger und der Gesprächsleiterin<br />
Nationalrätin Brigitte Häberli<br />
ein <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch mit gerade<br />
zwei Persönlichkeiten aus einem kleinen<br />
Thurgauer Dorf erleben konnten,<br />
was ganz ausserordentlich sei. Mit Hausi<br />
Leutenegger haben wir ein absolutes<br />
Unikat, einen zielorientierten Unternehmer<br />
mit folgerichtigem Aufbau seines<br />
Unternehmens, mit zeitintensiven<br />
Hobbys, durch die er sich aber von den<br />
wesentlichen Aufgaben nicht ablenken<br />
liess, kennen gelernt.<br />
96. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 25. Juni<br />
2009 mit Hausi Leutenegger, Unternehmer,<br />
Wil; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />
durch Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann,<br />
Mitglied des Ehrenteams; Moderation:<br />
Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller
Jede Schweizerin und jeder Schweizer<br />
trinkt pro Jahr 125 liter Mineralwasser.<br />
Nebst den 600 Millionen liter aus<br />
Schweizer Produktionen werden rund<br />
weitere 300 Millionen liter importiert.<br />
im Gegensatz zu Wein und Bier<br />
wird Mineralwasser im restaurant oft<br />
ohne Hinweis auf die Marke angeboten;<br />
nur mit der Unterscheidung «mit<br />
oder ohne Kohlensäure». Gabriela<br />
Manser verstand es im rahmen des 97.<br />
lilienberg-Gesprächs vom 7. Juli 2009<br />
vortrefflich, die Zuhörerschaft auf eine<br />
packende reise in die Welt des Mineralwassers<br />
mitzunehmen.<br />
Von Dr. Max Becker<br />
Einige der bekannten Mineralwasser-<br />
Marken sind in einem internationalen<br />
Produkte-Verbund eingebettet,<br />
anders die Mineralquelle Gontenbad<br />
im Appenzell. Die Firma ist in dritter<br />
Generation unabhängig und wird von<br />
Gabriela Manser geführt. Namen wie<br />
Flauder,Wonder und Himml;Definitionen<br />
wie laute, leise und stille Wasser<br />
haben ihren Ursprung in Gontenbad<br />
und sind weit über die Region Ostschweiz<br />
hinaus sehr gut eingeführt.<br />
Sie erfreuen sich schon fast einer Fan-<br />
Gemeinde. Das Getränk Flauder mit<br />
Holunder- und Melissengeschmack<br />
fand ab 2002 einen erfolgreichen Absatz<br />
und verschaffte dem Betrieb einen<br />
Quantensprung mit vierfacher Umsatzvermehrung.<br />
G E S P r Ä C H<br />
davids gegen Goliaths –Wettbewerb um die<br />
Gunst der Mineralwasser-trinker<br />
Ihre Produkte sind für Gabriela Manser<br />
nicht nur Wasser, sondern auch Passion,<br />
Heimat und Genuss.<br />
Obwohl «an der Quelle» aufgewachsen,<br />
wurde Gabriela Manser die Führung<br />
des Unternehmens nicht in die Wiege<br />
gelegt. Sie entschied sich, zunächst als<br />
Kindergärtnerin und später als Schulleiterin<br />
zu arbeiten. Erst die fortgeschrittene<br />
Suche ihres Vaters nach einer externen<br />
Nachfolgelösung bewog sie 1999, die<br />
Chance doch noch zuergreifen und die<br />
Führung der Unternehmung mit neun<br />
Mitarbeitenden zu übernehmen.<br />
Immer mit dem Ziel, die unternehmerische<br />
Selbständigkeit zu bewahren,<br />
musste sie Anlagen erneuern, neue<br />
Mein rückblick auf unser lilienberg-Gespräch<br />
Grundsätzlich ist mir ein spontanes Gespräch meist lieber als dass ich ein<br />
Referat halten möchte. Aus diesem Grund nahm ich die Einladung für dieses<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Gespräch sehr gerne an!<br />
Dr. Max Becker, Gesprächsmoderator, und ich sind denn auch schnell in ein<br />
gutes «Gesprächsfahrwasser» gekommen. Das Gespräch war lebhaft, wir lachten<br />
viel und fanden doch auch in die Tiefe meines Alltags als Unternehmerin.<br />
Aus dem Erfahrungsschatz zu berichten und dabei immer auch den Bogen in<br />
die jetzige Zeit in den Augen zu behalten, das war die spannende Aufgabe.<br />
Die Fragen und Diskussionsbeiträge ermöglichten es mir, jeweils auch immer<br />
wieder neue Gedankenkombinationen zu schaffen und zu finden. Aus diesem<br />
Grund ging ich – auch diesmal erfüllt! – aus diesem Gespräch.<br />
Letztlich wäre es sicher spannend zu hören, ob sich meine subjektive Wahrnehmung<br />
mit derjenigen der Zuhörenden deckt. Ich freue mich in diesem Sinn<br />
auf die weiteren <strong>Lilienberg</strong>-Begegnungen.<br />
Gabriela Manser<br />
26<br />
Gabriela Manser
Kunden und Geschäftspartner gewinnen<br />
und neue Produkte in das Angebot<br />
aufnehmen. Als KMU mit heute 30<br />
Mitarbeitenden und etwas über CHF<br />
10 Mio. Umsatz sind Gabriela Manser<br />
die unternehmerischen Werte wichtig.<br />
Dazu gehören:<br />
–Offene Information<br />
–Kurze und transparente Entscheidungswege<br />
–Ausgeprägte Kundenorientierung<br />
–Sichtbare Begeisterung für das<br />
Produkt<br />
–Leistungsbereitschaft aller Mitarbeitenden<br />
Das unternehmerische Wirken von Gabriela<br />
Manser wurde 2005 mit dem<br />
«prix veuve Clicquot» gewürdigt. Zudem<br />
verlieh ihr die <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong>,<br />
in Anerkennung ihres Pioniergeists, den<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Förderpreis im Jahr 2007.<br />
Gabriela Manser im angeregten Gespräch mit Dr. Max Becker<br />
G E S P r Ä C H<br />
Die Forderung nach einem Verbot von Wasser in PET-Flaschen wird auch<br />
in der Schweiz laut. In einer parlamentarischen Initiative wurde gefordert,<br />
sämtliches in PET-Flaschen abgefüllte Wasser müsse verboten werden. Der<br />
Nationalrat hat diesen Vorstoss am 28. Mai 2009 deutlich abgelehnt.<br />
Politiker, Wirtschafts- und Gewerbevertreter setzen sich ineiner neu gegründeten<br />
Interessengemeinschaft IG Mineralwasser gemeinsam mit den<br />
Mineralwasser-Produzenten für ein reines und unbehandeltes Naturprodukt<br />
ein. Sie kämpfen gegen Kampagnen, welche dieses gute Produkt auch<br />
in der Schweiz verbieten wollen. In Bern stellten sie im Juni 2009 eine<br />
repräsentative Umfrage vor, welche zeigt: Schweizerinnen und Schweizer<br />
wollen wählen, ob sie Trinkwasser oder Mineralwasser konsumieren.<br />
Ein Verbot von Mineralwasser in Flaschen würde 25000 Arbeitsplätze<br />
gefährden.<br />
Seit Frühjahr 2009 ist Gabriela Manser<br />
ausserdem Präsidentin des SMS Verband<br />
Schweizerischer Mineralwasserund<br />
Soft-Drink-Produzenten – der Are-<br />
27<br />
na, wo sich «Goliaths» und «Davids»<br />
treffen, um gemeinsam Probleme zu lösen<br />
und die Interessen der Branche auf<br />
politischer Ebene zu vertreten.<br />
Kürzlich hat Gabriela Manser den<br />
«Goba-Fonds für Wasser in der Welt»<br />
gegründet, mit dem Wasserprojekte in<br />
der Dritten Welt unterstützt werden.<br />
Und womit erfrischten sich die Zuhörerinnen<br />
und Zuhörer des Gesprächs<br />
mit Gabriela Manser auf <strong>Lilienberg</strong>?<br />
Natürlich mit einem Glas des köstlichen<br />
Flauder, Wonder oder Himml aus<br />
Gontenbad!<br />
97. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 7. Juli<br />
2009 mit Gabriela Manser, Präsidentin<br />
des Verwaltungsrats und Geschäftsführerin<br />
der Mineralquelle Gontenbad AG;<br />
Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>,<br />
vertreten durch Alexandra<br />
Frei, Mitglied des Ehrenteams;<br />
Moderation: Dr. Max Becker
die Schweizerische Nationalbank als<br />
ordnende Hand<br />
die SNB Schweizerische Nationalbank<br />
hatte in ihrer über 100-jährigen<br />
Ge-schichte in den letzten Monaten<br />
wohl eine ihrer anspruchsvollsten aufgaben<br />
zu bewältigen: Sie hat in den<br />
schwierigsten Phasen der weltweiten<br />
Finanzkrise ihre leitfunktion wahrgenommen<br />
und einen massgeblichen<br />
Beitrag geleistet, das schweizerische<br />
Finanzsystem durch die turbulenzen<br />
zu navigieren.<br />
am 22. September 2009 war dr. Jean-<br />
Pierre roth, Präsident des direktoriums<br />
der Nationalbank und Gouverneur<br />
des internationalen Währungsfonds,<br />
auf dem lilienberg zu Gast und<br />
berichtete über seine Erfahrungen als<br />
«Steuermann in äusserst unruhigen<br />
Zeiten» sowie die aufgaben an der<br />
Schnittstelle zwischen Politik, Gesellschaft<br />
und Finanzmarktaufsicht.<br />
Von Dr. Max Becker<br />
das Schlimmste vermieden<br />
Die Zeit der Finanzkrise in den letzten<br />
zwölf Monaten bedurfte dringend ordnender<br />
Hände: Nachdem das System<br />
der kommunizierenden Röhren zwischen<br />
den kommerziellen Banken zum<br />
Erliegen gekommen war, mussten die<br />
Zentralbanken sicherstellen, dass «das<br />
System» nicht kollabierte. Dass dabei<br />
eine Vielzahl von «players» ihren Beitrag<br />
zu leisten hatten, machte die Aufgabe<br />
komplexer: Nebst der SNB waren<br />
G E S P r Ä C H<br />
die Regierung, die Verwaltung, die Finma<br />
Finanzmarktaufsicht sowie die Geschäftsbanken<br />
selbst auf allen Stufen<br />
gefordert – und der Einfluss der Medien<br />
in dieser sehr heiklen Phase der Finanzkrise<br />
war nicht zu übersehen. Die<br />
Sicherstellung der Geldversorgung des<br />
Landes, «normalerweise» eine unter<br />
vielen Aufgaben der SNB – beispielsweise<br />
nebst der Inflationsbekämpfung<br />
– wurde über Nacht zur zentralen Aufgabe.<br />
Das Vertrauen in die Fähigkeit des<br />
Bankensystems – und vor allem auch<br />
das Vertrauen zwischen den Geschäftsbanken<br />
– war nicht mehr vorhanden,<br />
aber die Zuversicht zur ordnenden<br />
Hand der SNB war zu keinem Zeitpunkt<br />
in Frage gestellt: Politik und<br />
Wirtschaft waren sich für einmal einig:<br />
Ohne das überlegte Handeln der SNB<br />
wären massgebliche Finanzströme der<br />
Schweiz zum Erliegen gekommen. Ein<br />
Kollaps – von leeren Bankomaten bis<br />
zu nicht mehr verarbeiteten Zahlungsaufträgen<br />
– hätte unübersehbare Konsequenzen<br />
weit über den Wirtschaftsplatz<br />
Schweiz hinaus gehabt. Der SNB<br />
ist es zu verdanken, dass dieses Horrorszenario<br />
nicht eingetreten ist.<br />
Klar war auch allen Beteiligten, dass<br />
die Schweiz ihre Handlungen zur Überwindung<br />
der Krise nicht isoliert vornehmen<br />
konnte, sondern dass die einzelnen<br />
Schritte mit den supranationalen<br />
Organisationen wie der EZB Europäische<br />
Zentralbank, der BIZ Internationale<br />
Bank für Zahlungsausgleich und dem<br />
28<br />
Dr. Jean-Pierre Roth<br />
IWF Internationaler Währungsfonds zu<br />
koordinieren sein würden – in Gefahr<br />
war ja nicht nur die schweizerische<br />
Finanzwirtschaft, sondern es war eine<br />
finanzwirtschaftliche «Pandemie».<br />
Besonnenes Handeln<br />
Dr. Jean-Pierre Roth zeichnete anlässlich<br />
des <strong>Lilienberg</strong>-Gesprächs zunächst<br />
seinen Werdegang nach: Als Sohn des<br />
Posthalters von Saxon VS war ihm eine<br />
Führungsfunktion nicht in die Wiege<br />
gelegt – nach Studien am HEI Institut<br />
Universitaire de Hautes Etudes Internationales<br />
in Genf und am Massachusetts<br />
Institute of Technology in Cambridge<br />
(USA) trat er 1979 in die Dienste der<br />
SNB ein. 1996 wurde Dr. Roth zum<br />
Vizepräsidenten und 2001 zum Präsidenten<br />
des Direktoriums ernannt. Er ist<br />
daneben schweizerischer Gouverneur
des IWF und war während drei Jahren<br />
Verwaltungsratspräsident der BIZ. Per<br />
Ende 2009 hat er seinen Rücktritt als<br />
Präsident der SNB eingereicht. Angesprochen<br />
auf einen möglichen Wechsel<br />
in die Politik nach dem Rücktritt,<br />
vertrat Dr. Roth dezidiert die Meinung,<br />
dass für die Glaubwürdigkeit der Bank<br />
eine Verflechtung mit den politischen<br />
Parteien nicht wünschbar sei. (Ihm würden<br />
nach seinem Ausscheiden aus den<br />
Diensten der SNB bestimmt alle Türen<br />
offen stehen – es scheint jedoch, dass<br />
«servir et disparaître» wohl den Leitgedanken<br />
von Dr. Roth am besten umschreibt).<br />
Auch schwor Dr. Roth dem<br />
Persönlichkeitskult der heutigen Zeit<br />
ab. Seine wohltuend zurückhaltende<br />
Art des Auftritts auf dem <strong>Lilienberg</strong> unterstrich<br />
diese Aussagen.<br />
Unternehmerische tugenden<br />
Im Gespräch hob Dr. Roth einige Faktoren<br />
hervor, welche er als unabdingbar<br />
erachtet: Zunächst die ausgezeichnete<br />
internationale Vernetzung der<br />
SNB, die Kontinuität und Berechenbarkeit<br />
der Amtsführung und die vollständige<br />
Transparenz der Geschäfte,<br />
die Teamarbeit innerhalb des Instituts.<br />
Die SNB nimmt eine Scharnierfunktion<br />
zwischen Regierung und Verwaltung,<br />
kommerziellen Banken und der<br />
Finma wahr, ihre Entscheide bezüglich<br />
Geld- und Zinspolitik trifft das Direktorium<br />
der Bank jedoch unabhängig<br />
(wiewohl in Abstimmung mit den<br />
anderen Zentralbanken). Die Bewältigung<br />
von «Spezial-Situationen» wie<br />
z.B. die Aufgaben im Zusammenhang<br />
G E S P r Ä C H<br />
mit dem Bergier-Bericht oder die Goldverkäufe<br />
waren schon «vor der Krise»<br />
anspruchsvolle Aufgaben. Aber erst die<br />
Finanzkrise rückte die Wichtigkeit der<br />
SNB ins Bewusstsein vieler Bürger und<br />
Bürgerinnen. Und dass nebenbei die<br />
SNB eine gern gesehene «Geschäftspartnerin»<br />
der Kantone ist, belegte die<br />
Anfrage des thurgauischen Finanzdirektors<br />
nach der Ausschüttung weiterer<br />
SNB-Gewinne in der Zukunft.<br />
Ungeteilte anerkennung<br />
Die SNB weist für den Zeitraum seit<br />
dem 1. Januar 2009 ein erfreuliches<br />
Ergebnis aus: annähernd CHF 7Mia.<br />
Gewinn in den ersten neun Monaten.<br />
Dr. h.c. Walter Reist: anerkennende Worte für Dr. Jean-Pierre Roth<br />
29<br />
Massgeblichwaren der in schwindelerregende<br />
Höhen gekletterte Goldpreis,<br />
gute Erträge im Fremdwährungsgeschäft<br />
sowie die Tatsache, dass sich die<br />
ausgelagerten «toxischen» UBS-Wertpapiere<br />
nicht negativ auf das Ergebnis<br />
ausgewirkt haben. Das Management<br />
dieser Schrottpapiere erfordert viel Fingerspitzengefühl<br />
und ein feines Gespür<br />
für das richtige Timing: In den ersten<br />
neun Monaten des Jahres wurde der<br />
Bestand von CHF 39 auf 21 Mia. abgebaut.<br />
Ausserdem wurde die Beteiligung<br />
an der UBS mit einem Gewinn vonCHF<br />
1,2 Mia. verkauft –alles Transaktionen<br />
unter der Leitung von Jean-Pierre Roth,<br />
die ihm die praktisch ungeteilte Anerkennung<br />
von Politik und Wirtschaft<br />
einbrachten.
Führungsfunktion der SNB zum Wohle<br />
der Schweiz<br />
Die SNB ist keine Unternehmung im<br />
klassischen Sinn, aber die wegleitenden<br />
Tugenden sind dieselben: Weitblick,<br />
Sinn für das Ganze, Transparenz<br />
und Verlässlichkeit – von Jean-Pierre<br />
Roth vorgelebt. Dass die SNB über der<br />
Politik steht, war eigentlich klar – in<br />
den finsteren Stunden der Finanzkrise<br />
hat sie den Tatbeweis erbracht, dass<br />
das keine Worthülse ist. Noch haben<br />
sich die Wolken über dem Finanzplatz<br />
Schweiz nicht verzogen, aber es gibt<br />
wieder etwas Zuversicht. Der «Patient<br />
Finanzplatz» war in der Intensivstation<br />
– jetzt ist er zwar noch nicht genesen,<br />
aber für die positiven Ergebnisse der<br />
nun folgenden «Rehabilitation» ist der<br />
Patient nicht zuletzt auch selbst verantwortlich!<br />
Der Finanzplatz Schweiz ist<br />
auch nicht Selbstzweck, sondern er ist<br />
die Schlagader des Werk-, Denk- und<br />
Handelsplatzes Schweiz.<br />
Dr. Jean-Pierre Roth hat einen unübersehbaren,<br />
massgeblichen Beitrag<br />
in einer ausserordentlich schwierigen<br />
Zeit zum Wohlergehen des Landes geleistet.<br />
Er hat die Anerkennung dafür<br />
nicht gesucht, aber er hat sie – wie kein<br />
Zweiter – verdient.<br />
98. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 22. September<br />
2009 mit Dr. Jean-Pierre Roth,<br />
Präsident des Direktoriums der Schweizerischen<br />
Nationalbank, Zürich; Gastgeber:<br />
Dr. h.c. Walter Reist; Moderation:<br />
Dr. Max Becker und Anton Bucher<br />
G E S P r Ä C H<br />
dr. med. Christoph Markwalder:<br />
arzt und Kriminalist<br />
als rechtsmediziner ist er bei seiner<br />
täglichen arbeit oft mit Situationen<br />
konfrontiert, die sehr belastend sein<br />
können und für den «Normalbürger»<br />
wohl schwer zu ertragen wären. Wie<br />
kam er zu dieser tätigkeit? Wie findet<br />
er die distanz und den nötigen<br />
ausgleich? dr. med. Christoph Markwalder,<br />
leitender arzt am institut für<br />
rechtsmedizin, Kantonsspital St. Gallen,<br />
stand anlässlich des lilienberg-<br />
Gesprächs vom 29. September 2009<br />
rede und antwort zu diesen Fragen<br />
und solchen zu seiner Person.<br />
Von Dr. med. Peter Eichenberger<br />
Nachdem sehr stimmungsvollen Klavierspiel<br />
vonFrauCamurtas befassten<br />
wir uns zunächst mit dem Werdegang<br />
von Dr. med. Christoph Markwalder.Als<br />
Sohn einesArztes besuchte er die<br />
Schulen in Baden und absolvierte dann<br />
das Medizinstudium in Basel. Schon früh<br />
fühlte er sich zur Rechtsmedizin hingezogen.<br />
Dies nicht etwa, weil er sichvon<br />
den manchmal seltsamen Gestalten,<br />
wie wir sie aus Kriminalfilmen kennen,<br />
angezogen fühlte, sondern weil ihn das<br />
breit gefächerte, in die verschiedensten<br />
Spezialgebiete der Medizin reichende<br />
Fachwissen und vor allem die Kriminalistik<br />
interessierten. Erleichtert habe ihm<br />
den Entscheid auch die Tatsache, dass<br />
sein Vater zu Hause die tägliche Praxis<br />
und den Umgang mit Patienten nicht nur<br />
30<br />
Dr. med. Christoph Markwalder<br />
gelobt habe. Christoph Markwalder absolvierte<br />
seine Fort- und Weiterbildung<br />
vorwiegend an Instituten für Rechtsmedizin.<br />
Auch die Lehrtätigkeit bei der Ausbildung<br />
vonAngehörigen verschiedener<br />
Berufe im Gesundheitswesen gehört zu<br />
seinen Aufgaben.<br />
Für seine Frau und die drei Kinder sei<br />
seine Tätigkeit nie ein Problem gewesen,<br />
habe er doch die «Greuelgeschichten»<br />
stets im Institut gelassen. Der Beweis<br />
dafür sei, dass eine Tochter einen<br />
ähnlichen beruflichen Weg eingeschlagen<br />
habe wie er. Zudem seien viele Untersuchungen<br />
Routine und hätten nicht<br />
immer mit aussergewöhnlichen Ereignissen<br />
zu tun. Auch für ihn selber sei<br />
die Konfrontation mit besonderen Fällen<br />
bisher eigentlich nie eine Belastung
gewesen. Emotionen dürften nicht dominieren.<br />
Die Analysen müssten nach<br />
sachlichen und klaren wissenschaftlichen<br />
Kriterien durchgeführt werden.<br />
Nach dem Kontakt mit Angehörigen<br />
von Opfern befragt erklärte Dr. Markwalder,<br />
dass dieser recht häufig stattfinde.<br />
Er stelle immer wieder fest, wie<br />
wichtig es für die Angehörigen und für<br />
deren Trauerarbeit sei, beispielsweise<br />
beim Tod eines Kindes, aus erster Hand<br />
über die Todesursache informiert zu<br />
werden oder zu erfahren, ob jemand<br />
vor dem Tod noch habe leiden müssen.<br />
Kurzfristig sei eine Autopsie für Angehörige<br />
oft lästig, weil sie Zeit brauche und<br />
Umtriebe verursache, langfristig sei sie<br />
aber eine Erleichterung, weil sie Klarheit<br />
verschaffe. Zudem sei sie oft auch<br />
aus versicherungstechnischen Gründen<br />
von Bedeutung.<br />
In der Armee ist Dr. Markwalder<br />
Chef des pathologischen und rechtsmedizinischen<br />
Dienstes. Vor allem aus<br />
Interesse, aber auch wegen seiner zivilen<br />
und militärischen Kenntnisse stellte<br />
er sich freiwillig für Auslandeinsätze<br />
zur Verfügung, so beispielsweise 1998<br />
bei der Identifikation von Leichen nach<br />
dem Absturz der Swissair-Maschine bei<br />
Halifax und 1999 im Auftrag des Kriegsverbrechertribunals<br />
im Kosovo für die<br />
Exhumierung von Leichen aus Massengräbern.<br />
Auftrag war primär der Nachweis<br />
von Kriegsverbrechen und nicht<br />
die Identifikation von Leichen. Unter<br />
strengen Sicherheitsvorkehrungen und<br />
unter den Augen der lokalen Bevölkerung<br />
arbeitete ein internationales Team<br />
im Felde. Dr. Markwalder erläuterte die<br />
aussergewöhnliche Situation mit einigen<br />
Bildern. Die Bevölkerung erwarte-<br />
G E S P r Ä C H<br />
Von links: Dr. med. Christoph Markwalder, Alexandra Frei, Dr. med. Peter Eichenberger<br />
te natürlich vor allem Klarheit über den<br />
Verbleib und das Schicksal von Angehörigen.<br />
Leichen konnten anhand von<br />
Kleidungsstücken und anderen Merkmalen<br />
identifiziert und dann durch ihre<br />
Familien ordentlich bestattet werden,<br />
was für deren Trauerarbeit sehr wichtig<br />
war. Manchmal genügte dazu offenbar<br />
auch ein Teil einer Leiche.<br />
In der Diskussion wurde vor allem<br />
auch nach dem Stellenwert und der<br />
Verlässlichkeit der DNA-Analysen und<br />
dem dazu nötigen Vorgehen gefragt.<br />
Auch die Verarbeitung von belastenden<br />
Eindrücken kam wiederholt zur<br />
Sprache. Alexandra Frei, Vertreterin der<br />
<strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong> bzw. von Gastgeber<br />
Dr. h.c. Walter Reist, gab zu bedenken:<br />
«Probleme sollen nicht verdrängt und<br />
damit zur psychischen Belastung werden,<br />
sondern versachlicht und in Wor-<br />
31<br />
te gefasst, wie dies bei Dr. Christoph<br />
Markwalder geschieht. Derart haben<br />
wir es aus der Art der Präsentation fühlen<br />
können!»<br />
99. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 29. September<br />
2009 mit Dr. med. Christoph<br />
Markwalder, Leitender Arzt am Institut<br />
für Rechtsmedizin, Kantonsspital<br />
St. Gallen; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />
durch Alexandra Frei, Mitglied des Ehrenteams;<br />
Moderation: Dr. med. Peter<br />
Eichenberger
dass Huber+Suhner trotz deutlich<br />
weniger Umsatz auch in der schwierigen<br />
Wirtschaftslage schwarze Zahlen<br />
schreibenkann,erklärteUrsKaufmann,<br />
Vorsitzender der Konzernleitung: Mit<br />
rechtzeitig getroffenen Kosteneinsparungen,<br />
der in den letzten Jahren<br />
erfolgreich angestrebten diversifizierung<br />
in die drei technologien Hochfrequenz,<br />
Niederfrequenz und Fiberoptik<br />
sowie den drei konsequent bearbeiteten<br />
Märkten Kommunikation, transport<br />
und industrie hat man den unternehmerischen<br />
Erfolg aufrechterhalten.<br />
anlässlich des lilienberg-Gesprächs<br />
vom 8. oktober 2009 erfuhren die<br />
teilnehmenden mehr über den Menschen<br />
Urs Kaufmann und sein unternehmerisches<br />
Wirken.<br />
Von Fritz Bächi<br />
ir hatten in den Jahren 2001/02<br />
«Weine Existenz bedrohende Krise,<br />
wir haben daraus gelernt und nun<br />
wirken die Massnahmen der letzten<br />
Jahre, so dass wir heute nicht mehr von<br />
einer Krise, sondern von einer Herausforderung<br />
sprechen können.»<br />
Urs Kaufmann, der im Jahre 1994,<br />
nach ersten Berufserfahrungen in der<br />
Schweiz und den USA, die Leitung einer<br />
Tochtergesellschaft von Huber+Suhner<br />
übernahm, von 1997 bis 2000 Geschäftsbereichsleiter<br />
und Mitglied der<br />
Geschäftsleitung der Huber + Suhner<br />
AG war und seit 2001 Mitglied sowie ab<br />
2002 Vorsitzender der Konzernleitung<br />
ist, erklärte den Erfolg in der heutigen<br />
Zeit mit vier Massnahmen.<br />
■ Strategie<br />
G E S P r Ä C H<br />
«der beste Weg eine Krise zu meistern, besteht<br />
darin, gar nicht in die Krise hineinzukommen.»<br />
Huber+Suhner war früher zu 70% in<br />
der Telekom-Branche mit wenigen<br />
Kunden tätig, bis dieser Markt praktisch<br />
über Nacht einbrach. Darauf wurden<br />
bewusst neue Märkte aufgebaut und in<br />
drei erfolgversprechende Technologien<br />
investiert. Die konsequente Umsetzung<br />
dieser Strategie brachte in den letzten<br />
Jahren ein zweistelliges Wachstum, und<br />
Persönliche Eindrücke<br />
32<br />
die gezielte Diversifizierung gibt heute<br />
Stabilität.<br />
■ lehre aus der abhängigkeit<br />
von Banken<br />
In den schwierigen Jahren war esunmöglich,<br />
von den Banken zu normalen<br />
Konditionen Geld zu erhalten. Huber +<br />
Suhner hat in den letzten Jahren eine Eigenkapital-Basis<br />
von75% erarbeitet, hat<br />
keine Schulden und verfügt über eine Liquidität<br />
vonCHF 150 Mio. 2009 konnte<br />
daher ein neues Werk für CHF 30 Mio.<br />
aus eigenen Mitteln aufgebaut werden.<br />
■ Neuer Führungsansatz<br />
Früher war die Huber+Suhner eine<br />
«Ansammlung» von verschiedensten<br />
Urs Kaufmann lernte ich beim Vorbereitungsgespräch in seinem Büro in Pfäffikon<br />
ZH kennen. Er sprach differenziert und in klaren Konzepten vom Turnaround,<br />
den er mit seinem Führungsteam 2002 schaffte, und wirkte dabei sowohl<br />
zielorientiert und konsequent wie auch bescheiden und menschlich. Urs<br />
Kaufmann erinnert mich in vielem an den «Level-5-Leader», den Jim Collins<br />
in seinem Buch «Der Weg zu den Besten» beschreibt. Collins legt dar, warum<br />
gewisse amerikanische Firmen nachhaltig um ein Mehrfaches erfolgreicher<br />
werden konnten als ihre direkten Konkurrenten. «Der Level-5-Unternehmensführer<br />
sorgt durch eine paradoxe Mischung aus persönlicher Bescheidenheit<br />
und professioneller Durchsetzungskraft für nachhaltige Spitzenleistung.» Und:<br />
«Level-5-Manager sind bereit, absolut alles zu tun, was getan werden muss,<br />
um ein Unternehmen zur Spitze zu führen.» Sie «glauben an die Zukunft» –<br />
ohne die Augen vor den Tatsachen zu verschliessen. Es war beeindruckend, mit<br />
welcher selbstverständlichen Natürlichkeit Urs Kaufmann über seine Tätigkeit<br />
sprach. Er wirkte sehr überzeugend und authentisch. Der Erfolg von Huber +<br />
Suhner ist Ausdruck davon.<br />
Dietrich Pestalozzi, Leiter Aktionsfeld Unternehmenskultur & -ethik
Firmen, heute ist sie eine zentral geführte<br />
Gruppe, die dank einem straffen<br />
Controlling eine hohe Transparenz<br />
aufweist. Es gilt nicht mehr reines Technologiedenken.<br />
Die Führung ist heute<br />
gleichermassen technologie-, finanzund<br />
marktorientiert.<br />
■ rechtzeitig und zügig handeln<br />
Wenn es bereits schlecht geht, hat<br />
man keine Zeit mehr, um überlegt zu<br />
handeln. Vielmehr wird man dann zu<br />
schnittartigen Massnahmen wie Kosten-,<br />
sprich Personalabbau gezwungen.<br />
Es gilt, Signale rechtzeitig zu erkennen.<br />
Die stete Veränderung des Umfeldes ist<br />
zu akzeptieren. Derart hat man Zeit,<br />
überlegt Massnahmen festzulegen und<br />
rasch zu handeln.<br />
Wenn man die Probleme rechtzeitig<br />
erkennt, kann man optimistisch<br />
bleiben, d.h. Zuversicht wecken, der<br />
Mannschaft eine Perspektive vermitteln<br />
und sich mit der Realität gemeinsam<br />
auseinandersetzen. Alle Mitarbeitenden<br />
müssen spüren, dass der Chef<br />
die Situation im Griff hat. Die wichtigste<br />
Führungsaufgabe inschwierigen<br />
Zeiten besteht darin, mit den richtigen<br />
Perspektiven Glauben an die Zukunft<br />
zu schaffen. Dabei ist die offene Kommunikation<br />
zentral: Alle müssen die<br />
Ehrlichkeit spüren – schwierige Botschaften<br />
sind persönlich zuüberbringen.<br />
Dies setzt voraus, dass man in den<br />
guten Zeiten Vertrauen aufgebaut hat,<br />
in den wesentlichen Fragen verstanden<br />
wird, als Chef erfassbar ist und dass<br />
man immer respektvoll miteinander<br />
umgeht.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Von links: Dietrich Pestalozzi, Urs Kaufmann<br />
Es war spannend, Urs Kaufmann persönlich<br />
erleben zu dürfen!<br />
100. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 8. Oktober<br />
2009 mit Urs Kaufmann, Dipl.<br />
Ing. ETH, CEO Huber+Suhner Group,<br />
die level-5-Hierarchie von Jim Collins<br />
33<br />
Pfäffikon; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />
durch Christoph Vollenweider, CEO<br />
Leiter Unternehmertum <strong>Lilienberg</strong>;<br />
Moderation: Dietrich Pestalozzi<br />
Level 5 – Unternehmensführer<br />
Sorgt durch eine paradoxe Mischung aus persönlicher Bescheidenheit und<br />
professioneller Durchsetzungskraft für nachhaltige Spitzenleistung.<br />
Level 4 – Effektiver Manager<br />
Sorgt für Engagement und die konsequente Umsetzung einer klaren und überzeugenden<br />
Vision; stimuliert höhere Leistungsstandards.<br />
Level 3 – Kompetenter Manager<br />
Organisiert Menschen und Ressourcen für eine effektive und effiziente Umsetzung<br />
vorgegebener Ziele.<br />
Level 2 – Team-Mitglied<br />
Trägt mit seinen individuellen Fähigkeiten zum Erfolg der Gruppenziele bei<br />
und arbeitet effektiv mit anderen in einer Gruppe zusammen.<br />
Level 1 – Begabtes Individuum<br />
Erbringt produktive Beiträge durch Talent, Wissen, Fertigkeiten und gute<br />
Arbeitsgewohnheiten.<br />
Jim Collins, Der Weg zu den Besten, Die sieben Management-Prinzipien<br />
für dauerhaften Unternehmenserfolg, DTV München 2001
der Grundgedanke<br />
der Miliz<br />
Unmittelbar nach der denkwürdigen<br />
armeeabschaffungsinitiative im Herbst<br />
1989 wurde KKdt Heinz Häsler Generalstabschef<br />
der armee 95. Für ganze<br />
Generationen von Miliz- und Berufsoffizieren<br />
sowie zivilen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern im damaligen EMd<br />
hat er Massstäbe gesetzt. aufmerksame<br />
Zuhörer sind dem ehemaligen GSC<br />
Generalstabschef der armee 95 anlässlich<br />
des lilienberg-Gesprächs vom 28.<br />
oktober 2009 in die Jahre 1990 bis<br />
1992 gefolgt.<br />
Von Dr. Martin v. Orelli, Divisionär aD<br />
Vielleicht war es zum ersten Mal,<br />
dass man aus berufenem Munde<br />
wesentliche Erkenntnisse zur Entstehung<br />
der Armee 95 erfahren konnte.<br />
So musste der GSC Generalstabschef<br />
zur Kenntnis nehmen, dass es dem GSC<br />
schlicht nicht zusteht, vor der Landesregierung<br />
die konzeptionelle Neuausrichtung<br />
in ihren Wesenszügen zu<br />
präsentieren. Das letzte Mal war es<br />
General Guisan, der vor den Mitgliedern<br />
der Landesregierung aufgetreten<br />
war. Eine kleine Delegation des Bundesrates<br />
hat den GSC dann doch angehört<br />
– mit sehr durchzogenem Interesse.<br />
Auf die Frage, welches aus heutiger<br />
Sicht die besten sowie «falschen»<br />
Entscheide waren, die er damals gefällt<br />
habe, so lassen die Aussagen vom<br />
ehemaligen Generalstabschef Häsler<br />
an Klarheit nicht zu wünschen übrig.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Falsch war, dass es nicht einen Gesamtprojektleiter<br />
gab, sondern dass die Ausbildungsbelange<br />
getrennt bearbeitet<br />
worden sind. Richtig waren u.a. die Entscheide,<br />
die kantonalen Truppen – obwohl<br />
stark reduziert – beizubehalten,<br />
an den wesentlichen Prinzipien der Milizarmee<br />
und an unserem einmaligen<br />
Mobilmachungssystem (inkl Teilmobilmachungsfälle<br />
und Bereitschaftsformationen)<br />
festzuhalten.<br />
Heinz Häsler gilt als eisernerVerfechter<br />
der Milizarmee. Aber er sieht auch<br />
deren mögliche Schwächen. Hart fährt<br />
er mit der radikalen Modernisierung ins<br />
Gericht, nicht dass er etwas gegen eine<br />
Modernisierung hätte, aber eine Milizarmee<br />
kann kurzfristig und flächendeckend<br />
nicht modernisiert werden. Es<br />
wird immer ein Nebeneinander von<br />
modernen und älteren Waffensystemen<br />
und Ausrüstungsgegenständen geben.<br />
34<br />
Heinz Häsler, KKdt aD, ehemaliger<br />
Generalstabschef<br />
Aus verständlichen Gründen werden<br />
in der Diskussion Parallelen zwischen<br />
der Armee 61, der Armee 95 und der<br />
Armee XXI gezogen. Heinz Häsler sieht<br />
eine Hauptschwäche im heutigen System<br />
in der erzwungenen Verjüngung<br />
Von links: Dr. h.c. Walter Reist, Heinz Häsler, Korpskommandant aD, Dr. Martin<br />
von Orelli, Divisionär aD
der Armee. Eine ganz entscheidende<br />
Altersschicht fehlt in Zukunft, insbesondere<br />
auch jene, die direkte Verantwortung<br />
in der Zivilgesellschaft, im eigenen<br />
Betrieb, in der Wirtschaft sowie in der<br />
Politik trägt.<br />
Auf den Sinn und Zweck der Armee<br />
– im heutigen Umfeld – angesprochen,<br />
äusserte sich Heinz Häsler klar. Aus<br />
seiner Sicht fehlt es an der grundlegenden<br />
Motivation. Die Begründungen zur<br />
Existenzberechtigung der Armee sind<br />
allzu diffus. Dabei geht es im weitesten<br />
Sinne um die Sicherheit unserer Bürgerinnen<br />
und Bürger, unserer Familien,<br />
von Land und Volk. Aber das Volk sieht<br />
seine Armee immer weniger, und damit<br />
verschwindet die Verbundenheit zwischen<br />
Volk und Armee immer mehr.<br />
Ein ganz besonderer Moment des<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Anlasses war, Heinz Häsler<br />
als «Schriftsteller» zu hören. Er erklärte<br />
sich bereit, zwei Geschichten aus<br />
«Buobezyt» (im Wesentlichen autobiografische<br />
Aspekte aus seiner Jugendzeit)<br />
vorzulesen. Der Applaus war herzlich<br />
und spontan!<br />
101. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 28. Oktober<br />
2009 mit Heinz Häsler, ehem.<br />
Generalstabschef, Korpskommandant<br />
aD; Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist;<br />
Moderation: Dr. Martin von Orelli,<br />
Divisionär aD<br />
G E S P r Ä C H<br />
Zeitgerechte diskurse und dialoge:<br />
Vorbedingung zur Zukunftsbewältigung!<br />
das 102. lilienberg-Gespräch stand<br />
im Zusammenhang mit dem Zyklus<br />
des aktionsfeldes Politik & Gesellschaft.<br />
die analysen, Statements und<br />
Befindlichkeiten bezogen sich auf zentrale<br />
Fragen wie «Politikverdrossenheit,<br />
Stimmabstinenz, Milizbeteiligung<br />
und Konkordanzdemokratie». – am<br />
2. dezember 2009 wurden mit Prof.<br />
dr. Georg Kohler in einer engagierten<br />
Gesprächsrunde Verhaltensweisen<br />
skizziert und Soll-Vorgaben erörtert.<br />
Von Wilhelm Knecht<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Lendi hiess<br />
als Mitglied des <strong>Lilienberg</strong>rates und<br />
als Vertreter der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong> die Teilnehmenden<br />
zu einem, der Aktualität der Thematik<br />
folgend, diskussionsfreudigen, «konstruktivaufregenden»<br />
sowie auch unternehmerisch<br />
bedachten Gespräch willkommen.<br />
Christoph Vollenweider, Gesprächsleiter,<br />
CEO und Leiter «Unternehmertum<br />
<strong>Lilienberg</strong>», eröffnete den Dialog<br />
mit Prof. Dr. Kohler mit der Frage «Sie<br />
sind Professor für Politische Philosophie<br />
an der Universität Zürich: Können Sie<br />
uns kurz erklären, was wir darunter verstehen<br />
müssen?<br />
Prof. Dr. Kohler: Eine umfassende<br />
Antwort würde geraume Zeit beanspruchen.<br />
Aber schon wenige Kernpunkte<br />
vermitteln wohl Klarheit: Politik steht<br />
beispielsweise in Interdependenz mit<br />
35<br />
Rechtsstaatlichkeit, somit auch mit Gerechtigkeit.<br />
Die Philosophie als solche<br />
steht auch in Bezug zur abendländischen,<br />
westlichen Kultur. Das griechische<br />
Wort «Polis» steht sozusagen<br />
stellvertretend für Gesellschaft, Öffentlichkeit,<br />
somit für den Staat. Eine der<br />
Grundfragen hierbei: «Was ist für das<br />
Gesamtwohl im Staat erforderlich?» –<br />
Davon ableitbar sind dann Fragen wie<br />
«Was ist der Staat? Was bedeutet Recht?<br />
Welches sind die Ziele? Was muss ich<br />
und was müssen wir tun?» Die Fragestellungen<br />
sind also stets auch aus dem<br />
Blickwinkel des Kollektivs und der Ethik<br />
zu betrachten.<br />
Auf die heutige Schweiz bezogen:<br />
Unser Staat basiert auf Souveränität,<br />
verbunden mit Unabhängigkeit und<br />
Eigenständigkeit. Zu den Grundwerten<br />
zählen Föderalismus und direkte<br />
Demokratie. Spannungsfelder sind<br />
also vorprogrammiert, wie etwa unsere<br />
Verhältnisse im internationalen bzw.<br />
globalen Umfeld, konkret etwa zur<br />
EU, zum Europäischen Gerichtshof in<br />
Strassburg usw. Hierbei gilt es, fundamentale<br />
Fragen anzugehen, verbunden<br />
mit Klarheit, wie sich die Schweiz weiterentwickeln<br />
soll.<br />
Christoph Vollenweider: Sie sind in<br />
Konolfingen geboren worden. Können<br />
Sie uns etwas über Ihre Herkunft, Ihr<br />
Umfeld und über Ihre Lern- und Studienjahre<br />
verraten? –Ihrem Curriculum<br />
Vitae haben wir auch entnommen,<br />
dass Sie früher unternehmerisch tätig<br />
waren. Was ist für den damaligen
Georg Kohler für den heutigen Professor<br />
Kohler wichtig?<br />
Prof. Dr. Kohler: Ich lebe schon 50<br />
Jahre in Zürich, aber ich bin eigentlich<br />
immer noch Emmentaler. Meine ersten<br />
zehn Lebensjahre haben mich stark<br />
ländlich geprägt. Ich wurde in eine katholische<br />
Familie hinein geboren, dies<br />
in einer Diaspora-Gemeinde. So erfuhr<br />
ich schon früh, wie man sich in<br />
einer Minderheit fühlt. Das war spannend!<br />
Da lernte man auch mit gewissen<br />
Situationen der Abgrenzung bzw. der<br />
«Auswahl» umzugehen. Zu Konolfingen:<br />
In meiner Jugendzeit gab es dort<br />
noch so etwas wie ein Wahrzeichen:<br />
das Hochkamin, der sozusagen in den<br />
Himmel reichende Turm der Berneralpen-Milchgesellschaft.<br />
Er wurde in der<br />
Zwischenzeit abgerissen. Heute fehlt er<br />
Curriculum Vitae<br />
G E S P r Ä C H<br />
mir irgendwie! – Erinnert sei an Friedrich<br />
Dürrenmatt, der ebenso in Konolfingen<br />
aufwuchs. «Ich bin kein Dorfschriftsteller,<br />
aber das Dorf brachte<br />
mich hervor», schrieb er, auf den ländlichen<br />
Mikrokosmos zurückblickend, in<br />
seinen autobiografischen «Stoffen».<br />
Zu meiner Studentenzeit: Ich stand<br />
nahe der 68er-Generation. Die Nachhaltigkeit<br />
der Nachkriegsjahre endete<br />
erst etwa gegen Mitte der 60er Jahre.<br />
Dann suchte man als Jugendlicher Alternativen<br />
zum Herkömmlichen. Das<br />
erforderte auch Mut, zuweilen gepaart<br />
mit einer gewissen Skepsis gegenüber<br />
den Institutionen bzw. gegenüber etablierter<br />
Macht. Ich fühlte und handelte<br />
stets als Liberaler! Ich betätigte mich<br />
auch als Studenten-Redaktor, dies für<br />
die Zeitschrift «Zürcher Student».<br />
Prof. Dr. Georg Kohler wurde 1945 in Konolfingen (Emmental) geboren. Sein<br />
Philosophiestudium absolvierte er an den Universitäten in Zürich und Basel.<br />
1973 schloss er sein Studium ab und promovierte 1977 als Dr. phil. I. Parallel<br />
begann Prof. Kohler 1971 sein Jurisprudenz-Studium, welches er 1979 mit lic.<br />
iur. beendete.<br />
1987 erhielt er seine Habilitation und 1989 übernahm er für das Sommersemester<br />
die Vertretung des Lehrstuhls für politische Philosophie an der Universität<br />
Zürich und von 1992 bis 1994 die gleiche Funktion am Geschwister<br />
Scholl-Institut für politische Wissenschaften der Universität München.<br />
Seit 1994 übt er seine Tätigkeit als ordentlicher Professor für Philosophie an<br />
der Universität Zürich aus, mit besonderer Berücksichtigung der politischen<br />
Philosophie.<br />
Prof. Dr. Georg Kohler war im Weiteren längere Zeit – bis 2006 – Mitglied des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates des Liberalen Instituts in Zürich.<br />
Im Frühling 2010 erscheint im NZZ-Verlag der Essay «Bürgertugend und Willensnation.<br />
Über den Gemeinsinn und über die Schweiz».<br />
36<br />
«Die Schweiz definiert sich durch<br />
die direkte Demokratie stets wieder<br />
von neuem.»<br />
Prof. Dr. Georg Kohler<br />
Meine Zeit als unternehmerisch Mitverantwortlicher<br />
umfasste die Jahre<br />
1981 bis 1991. Ich war Publizist und<br />
Mitglied der Geschäftsleitung eines<br />
Familienunternehmens, eines bedeutenden<br />
Buchhandel-Zentrums in Wien.<br />
Aus dieser Führungserfahrung resultiert<br />
unter anderem die Erkenntnis, dass ein<br />
Unternehmer eigentlich nicht «genial»<br />
sein muss. Er bedarf indessen der Fähigkeit<br />
des «Tuns des Fälligen». Er muss sich<br />
nicht primär auf langfristig angelegte<br />
grosse Visionen stützen können. Wichtiger<br />
ist es, innerhalb überschaubarer Zeithorizonte<br />
Zielsetzungen zu definieren.<br />
Hierzu zählen auch Aktionsvariablen,<br />
welche –wie ich esinder genannten<br />
Branche erlebt habe –inAllianzen bzw.<br />
Kooperationen liegen können. – Von<br />
vorrangiger Bedeutung ist die richtige<br />
Auswahl der Mitarbeitenden!<br />
Christoph Vollenweider: Wechseln<br />
wir zum zentralen Thema des heutigen<br />
Gesprächs. Sie forschen über das<br />
Selbstverständnis der Schweiz, daneben<br />
haben Sie auch über das Gemeinwohl<br />
geforscht. Unsere Veranstaltung<br />
steht im Zusammenhang mit unserem<br />
Zyklus Politikverdrossenheit, Stimmabstinenz,<br />
Milizbeteiligung. – Wie weiter<br />
mit der Konkordanzdemokratie? – Hat<br />
Gemeinwohl etwas mit unserem Milizgedanken<br />
zu tun?<br />
Zum Wesen der schweizerischen<br />
Demokratie gehört die breite Anteil-
nahme der Bürger und Bürgerinnen<br />
an den Res Publica, d.h. an den politischen<br />
Dingen, einhergehend mit dem<br />
Prinzip der föderalistischen Ordnung.<br />
Deren Ziel ist der Schutz der kleinräumigen,<br />
selbst bestimmten politischen<br />
Körperschaft. Sowohl die partizipative<br />
Demokratie wie die föderalistische<br />
Idee bedingen in hohem Masse die<br />
Bereitschaft der Menschen, sich ausdauernd,<br />
aber (mehr oder weniger)<br />
unbezahlt, freiwillig, aber freizeitraubend,<br />
kompetent, aber nicht professionell,<br />
mit Politik zu beschäftigen: mit<br />
Fragen des öffentlichen Wohls, auch<br />
auf Stufe Gemeinde. Trotz dieser direkten<br />
Betroffenheit ist aber das Milizprinzip<br />
(u.a. auf kommunaler Ebene)<br />
stark gefährdet und unübersehbar an<br />
die Grenzen seiner Brauchbarkeit gelangt.<br />
–Vieles von dem, was wir lange<br />
Zeit der politischen Freiwilligenarbeit<br />
anvertrauen konnten, wird bald<br />
einmal auf andere Weise zustande<br />
gebracht werden müssen. Die Konsequenz<br />
eines Milizsystems, das mangels<br />
Bürger(innen)-Beteiligung verdorrt,<br />
ist rasch erkannt: Entweder man<br />
verzichtet ganz auf die einst mit ihm<br />
verbundenen Leistungen oder man<br />
findet (und erfindet) für sie neue Anbieter:<br />
private Firmen und grossräumige<br />
Zweckverbände. Solche Lösungen<br />
könnten gar billiger sein. Bei radikaler<br />
Reform der Zuständigkeiten und<br />
weitgehender Delegation der Services<br />
publiques an privatwirtschaftliche Unternehmen<br />
sind zweifellos Effizienzgewinne<br />
zu erwarten, dank Standardisierung,<br />
Professionalisierung usw.<br />
Für die Ebene der kleineren und<br />
mittleren Gemeinden heisst das also:<br />
G E S P r Ä C H<br />
von links: Prof. Dr. Georg Kohler,<br />
Christoph Vollenweider<br />
weitgehende Abkoppelung der öffentlichen<br />
Dienste von freiwilliger oder<br />
schlecht salarierter Bürgertätigkeit. Die<br />
meisten politischen Gemeinden hätten<br />
in den bestehenden Formen ihre Existenzberechtigung<br />
verloren und wären<br />
nun auch formell aufzulösen, nachdem<br />
ihre Bürger und Bürgerinnen sie<br />
materiell (durch Abstinenz und Passivität)<br />
schon abgeschafft haben. Parlamente<br />
wären nur noch auf kantonaler<br />
Ebene einzurichten. Auch bei den öffentlichen<br />
Schulen (zum Teil Pivatisierung),<br />
bei der Polizei (teilweise Securitasgesellschaften)<br />
usw. bestände dann<br />
Reformbedarf.<br />
Was wäre schlimm an diesem<br />
Wandel? – Wer begründet, dass die<br />
Schweiz wirklich 2901 Gemeinden<br />
37<br />
braucht (von denen 60% weniger als<br />
1000 Einwohner haben) –und wer behauptet,<br />
dass die helvetische Idee der<br />
direkten Demokratie restlos zugrunde<br />
geht, wenn weitaus die meisten von<br />
uns einfach nicht mehr bereit sind,<br />
die fast 40’000 kommunalen Legislativ-<br />
und Exekutivämter zu übernehmen<br />
(wozu noch 100’000 sonstige öffentlicheKommissions-<br />
und Beiratspflichten<br />
kommen), die das Land in seiner jetzigen<br />
Struktur zu vergeben hat? –Nichts<br />
ist schlimm an der Tatsache, dass wir<br />
in dieser Hinsicht sehr vieles werden<br />
ändern müssen, und niemand sollte<br />
einen Verzicht auf das bisherige Milizsystem<br />
mit dem Untergang der Demokratie<br />
verwechseln!<br />
Aber: Das bedeutet dreierlei nicht:<br />
Erstens, dass das, was wir «Politik» nennen,<br />
plötzlich verschwunden wäre. Es<br />
besagt lediglich, dass sie noch ein bisschen<br />
abstrakter geworden und ein Stück<br />
weiter weg von den unmittelbar Betroffenen<br />
gerückt ist (und zwar durchwegs<br />
«demokratisch», weil die Bürger selbst<br />
auf einen Teil ihrer Einflussmöglichkeiten<br />
verzichtet haben). Zweitens bedeutet<br />
es nicht, dass alle Betroffenen gleichermassen<br />
vom veränderten System<br />
profitieren können (z.B. auch zufolge<br />
«Der Mensch, das Individuum lebt<br />
und verändert sich stets. Derart<br />
verhält es sich auch mit dem Staat!<br />
Auch die politische Kultur bedarf<br />
der Anpassung bzw. Erneuerung. –<br />
Hierzu ist der zeitgerechte Diskurs<br />
jeweils bedeutungsvoll.»<br />
Prof. Dr. Georg Kohler
nicht getroffener Ausgleichsmassnahmen).<br />
Drittens geschieht die (in vielerlei<br />
Hinsicht fällige) Reform des politischen<br />
Lebens auf der Kommunalebene nicht<br />
einfach von selbst. Sie wird unter dem<br />
Druck von Dringlichkeiten und Interessen<br />
«gemacht». – Von wem? Entweder<br />
durch diejenigen, welche die Folgen<br />
von allem zuerst zu tragen haben,<br />
oder von denen, die per Gesetz und<br />
Verfassung als Aufsichtsorgane dazu<br />
bestimmt sind, funktionsfähige Verwaltungen<br />
zu garantieren und führungsunwillige<br />
Selbstbestimmungsgremien<br />
zu ersetzen. Fazit: Gerade dann, wenn<br />
man sich entschlossen hat, vom alteidgenössischen<br />
Milizethos Abschied zu<br />
nehmen, ist zunächst das pure Gegenteil<br />
angesagt: das Engagement und die<br />
Beteiligung der community und ihrer<br />
Mitglieder bei der Suche nach den neuen<br />
Strukturen!<br />
Plenumsdiskussion<br />
Christoph Vollenweider, Moderator,<br />
griff vom Plenum verschiedenste Fragestellungen<br />
und Meinungen auf, um<br />
sie tiefergehend zu erörtern. Im Vordergrund<br />
der Wortmeldungen standen<br />
Ist-/Soll-Überlegungen bezüglich<br />
Milizarmee, Bundesverwaltung und<br />
Migration. Schwerpunkte in der Diskussion<br />
bildeten die Macht der Medien<br />
als vierte Gewalt im Staat bzw. die<br />
Frage nach deren Einfluss auf die Bürger<br />
und Bürgerinnen unter dem Aspekt<br />
deren möglicher «Mainstream»-<br />
Ausrichtung sowie die Defizite bei<br />
der politischen Nachwuchsförderung.<br />
Ein Fokus in der Diskussion lag –we-<br />
G E S P r Ä C H<br />
nige Tage nach dem überraschenden<br />
Ja zum Minarett-Verbot –bei der Erläuterung<br />
relevanter Begriffs- bzw. Inhaltsdefinitionen,<br />
insbesondere bezogen<br />
auf Souveränität (verbunden mit<br />
Unabhängigkeit und Eigenständigkeit),<br />
direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />
sowie Völker-, Grundund<br />
Menschenrechte. –Ein Konsens<br />
bestand darüber, dass die schweizerische<br />
Migrationspolitik dringendster<br />
Debatten bedarf!<br />
«Die Identität der Schweiz steht<br />
in Abhängigkeit der Regierenden<br />
durch die Regierten.»<br />
Gedanken auf den Weg<br />
Prof. Dr. Georg Kohler<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Lendi: «Es wäre<br />
verfehlt, all die uns vermittelten Gedanken<br />
heute und an dieser Stelle unmittelbar<br />
zu gewichten und sie auf einige<br />
wenige Sätze zu reduzieren. Die<br />
Vielfalt der Kriterien, die individuellen<br />
Ansichten und Beurteilungen gebieten<br />
vielmehr, sich nun vertieft und umfassend<br />
mit der Thematik auseinanderzusetzen.<br />
Wir alle tragen die Verantwortung<br />
zum eigenständigen Mit-Denken<br />
und zum nachhaltigen, somit weiteren<br />
Nach- und Voraus-Denken!»<br />
102. <strong>Lilienberg</strong>-Gespräch vom 2. Dezember<br />
2009 mit Professor Dr. Georg<br />
Kohler, Lehrstuhl für Politische Philosophie,<br />
Universität Zürich; Gastgeberin:<br />
38<br />
<strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>,<br />
vertreten durch Prof. Dr. Dr. h.c. Martin<br />
Lendi, Mitglied des <strong>Lilienberg</strong>rates; Moderation:<br />
ChristophVollenweider, CEO,<br />
Leiter Unternehmertum <strong>Lilienberg</strong>.
Von Wilhelm Knecht<br />
Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste<br />
die sich mit den Grundwerten und<br />
somit mit den Voraussetzungen zur<br />
Prosperität der Schweiz befassenden<br />
Persönlichkeiten.<br />
Dr. Peter Forster dankte Dr. h.c. Walter<br />
Reist für die durch ihn initiierte neue<br />
Gesprächsreihe. «Unser Land braucht<br />
gerade auch in schwierigen Situationen<br />
– und in solchen befinden wir uns<br />
auch derzeit – die Aufrechterhaltung<br />
von Freiheit und Unabhängigkeit, somit<br />
Verfechter dieser Werte!»<br />
Ja zur direkten demokratie –<br />
Ja zum Föderalismus: Kerngedanken<br />
der Podiumsmitwirkenden<br />
Nationalrätin Marlies Bänziger: Unsere<br />
Demokratie brachte unserem Land<br />
Stabilität und Zusammenhalt, dies bedeutet<br />
auch Sicherheit. – «Ohne Erneuerung<br />
wird die Schweiz indessen<br />
G E S P r Ä C H<br />
«Ja zur Schweiz»: Ja zur direkten demokratie und<br />
zum Föderalismus – Ja zur Eigenverantwortung<br />
und zur persönlichen Freiheit<br />
der zweite lilienberg-Zyklus «Ja zur Schweiz» wurde am 22. Mai 2008 mit Hervorhebung<br />
der von eidgenössischen Parlamentariern – parteiübergreifend sowie<br />
zusammen mit jungen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern – im Sinne von<br />
«denkanstössen zur Erneuerung des Bundesbriefs» verankerten Wertehaltungen<br />
abgeschlossen. – Nunmehr findet die Gesprächsreihe ihre Fortsetzung: Es fanden<br />
die ausserordentlichen Gespräche Nr. 14/15 statt, dies am 27. august 2009 und<br />
am 1. oktober 2009.<br />
nach wie vor im Abseits stehen.» – Die<br />
Schweiz muss in der Weltgemeinschaft<br />
ihren festen Halt finden. Sie muss hierzu<br />
ihre Stärken einbringen. Zu unseren<br />
Grundwerten zählt auch die Konkordanz.<br />
Meinungsvielfalt ist gefragt, die<br />
freie Meinungsäusserung ist gewollt!<br />
Nationalrätin Marlies Bänziger<br />
Das Ausland interessiert sich für das<br />
schweizerische Gedankengut, auch bezogen<br />
auf die Zusammenarbeit mit der<br />
EU. Diese wünscht sich gewisse Demokratisierungsprozesse.<br />
Die Schweiz sollte<br />
hierbei ihre Erfahrungen einbringen.<br />
Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger<br />
zeigen bezüglich eines allfälligen EU-<br />
39<br />
Beitritts ihre Angst, auchimHinblickauf<br />
Verluste im Rahmen des Föderalismus<br />
und der direkten Demokratie. Die Finanz-<br />
und die Wirtschaftskrise, der Klimawandel<br />
usw. fordern erneuertes Denken<br />
und Handeln. Mit betroffen ist eine<br />
Vielzahl von Bereichen, stellvertretend<br />
seiendieErnährungssouveränität,dieMigration,<br />
das Gesundheitswesen genannt.<br />
Auch neue InitiativenimBildungssystem<br />
und in der Forschung sind erforderlich.<br />
Zudem bedürfen unsere Steuerkonzepte<br />
einer Erneuerung, denn der Staat muss<br />
zu den notwendigen Mitteln kommen,<br />
ohne die Sozialwerke abzubauen. –Da<br />
und dort müssen wir, eben auch innenpolitisch,<br />
allenfalls auch inder Neuordnung<br />
vonGemeinden und Kantonen, reformfreudiger<br />
werden.<br />
Wir brauchen einen schlanken Staat.<br />
Dem Individuum ist Freiraum einzuräumen.<br />
Wir brauchen auf politischer Ebene<br />
einen zeitgerechten und sachlichen<br />
Diskurs. Zur Anpassung bzw. Umsetzung<br />
benötigen wir Mehrheiten. Durch<br />
die Extrempositionen der Parteien werden<br />
Fortschritte verhindert. Die Schweiz<br />
könnte –global betrachtet –Leaderrollen<br />
übernehmen. In einigen Bereichen<br />
haben wir dies bereits bewiesen. Globale<br />
Krisen verlangen globale Lösungen!<br />
Robert Nef: Direkte Demokratie und<br />
Föderalismus sind an sich gleichwertige<br />
und gleich wichtige Prinzipien, aber die<br />
direkte Demokratie funktioniert nur auf<br />
der Basis von kleinen Gemeinschaften,<br />
die miteinander kooperieren, in einem<br />
gewissen Wettbewerb stehen. Entscheidend<br />
ist dabei das am Non-Zentralismus<br />
anknüpfende Verständnis von<br />
Subsidiarität.
Robert Nef<br />
Gemeinsame Probleme sind grundsätzlich<br />
auf der tiefstmöglichen Ebene<br />
zu lösen: auf der privaten und auf der<br />
kommunalen. Die höhere Ebene sollte<br />
nur auf Verlangen der unteren Ebene<br />
eingeschaltet werden, wenn diese nicht<br />
mehr in der Lage ist, das gemeinsame<br />
Problem zu lösen. Dieses Prinzip gehört<br />
zu den wichtigsten Grundregeln des<br />
Zusammenlebens, in marktwirtschaftli-<br />
Christoph Vollenweider<br />
G E S P r Ä C H<br />
chen und föderalistischen Systemen. Es<br />
ist nicht die Zentrale, die immer mehr<br />
Macht will, es sind die Exekutivbehörden<br />
der Kantone und Gemeinden, die<br />
immer mehr Aufgaben an die Zentralbürokratie<br />
abschieben.<br />
Kleinräumige, föderalistische Systeme<br />
sind ideale Biotope des Lernens,<br />
weil sie Raum zum Experimentieren<br />
lassen. Das Erfolgreiche wird kopiert,<br />
das Schädliche vermieden. Nur lernende<br />
Organisationen sind nachhaltig.<br />
Welche politischen, ökologischen,<br />
menschenrechtlichen sowie sozialen<br />
Prioritäten ein direktdemokratisch gewähltes<br />
Weltparlament setzen würde,<br />
ist eine Frage, über die sich vor allem<br />
freiheitsliebende und ökologisch sensible<br />
Europäer Gedanken machen sollten,<br />
bevor sie im globalen Rahmen<br />
«mehr Demokratie» wagen wollen.<br />
Der Föderalismus und der Non-Zent-<br />
legte den Referenten Schlüsselfragen vor. Die zentrale Frage anlässlich des<br />
14. Ausserordentlichen Gesprächs lautete: «Glauben Sie, dass mit dem heute<br />
bestehenden Föderalismus der Schweiz die von Ihnen gewünschte Erneuerung<br />
möglich ist oder stehen wir uns bei der Erneuerung mit dem Föderalismus selber<br />
im Wege?» – Die übereinstimmende Antwort kam einem zweifachen «Ja»<br />
gleich: Die Erneuerung mit dem Föderalismus ist möglich, aber dieser steht uns<br />
da und dort auch im Wege. Es gilt «Ajustierungen» vorzunehmen. Zu beachten<br />
sind hierbei das zeitgerechte Themensetting, somit proaktives statt reaktives<br />
Handeln, sowie das Praktizieren der Konkordanzpolitik.<br />
Beim 15. Ausserordentlichen Gespräch lag der Fokus bei der Beantwortung<br />
der Schlüsselfrage auf der Rolle der Medien als so genannte 4. Macht im Staat.<br />
Hierbei wurde eine höhere Sorgfalt in der Berichterstattung – einhergehend mit<br />
vertieftem Recherchieren und mehr Sach- statt Personenbezug – angemahnt,<br />
dies als Voraussetzung zur direkten Demokratie, die sich auf eine kompetente<br />
und wahrheitsbezogene Meinungsbildung des Souveräns stützen muss.<br />
40<br />
ralismus in der Schweiz sind zu pflegen<br />
und weiter auszubauen, auchinder Sozialpolitik.<br />
Man muss Einnahmen und<br />
Ausgaben wieder zueinander bringen,<br />
dann nimmt auch der Missbrauch ab.<br />
Denn je weniger anonym die sozialpolitische<br />
Umverteilung ist, desto weniger<br />
bürokratische Kontrolle braucht sie und<br />
desto mehr steigt die Bereitschaft zur<br />
Selbstverantwortung. –Der Wegzurück<br />
führt über das Prinzip der Benutzerfinanzierung.<br />
– Entscheidend ist nicht,<br />
was sich in zentralen Apparaten abspielt,<br />
sondern was sich anMöglichkeiten<br />
des Tauschs und der spontanen Hilfe<br />
vonMenschzuMenschentwickelt.<br />
Urs Schnell: Grundsätzlich stehe ich<br />
zur direkten Demokratie. Oft betrachte<br />
ich diese aber als «Notnagel», um dort<br />
noch eingreifen zu können, wo Entscheidungen<br />
nicht einfach hingenommen<br />
werden können.<br />
Urs Schnell<br />
Bei aussenpolitischen Themen wird<br />
die direkte Demokratie für unser Land<br />
oftmals auch zu einem Risiko. Zum<br />
bilateralen Weg: Dieser hat praktisch<br />
immer aussenpolitischen Charakter –<br />
auch dort, wo es sich eigentlich um innenpolitische<br />
Themen handelt.
Aussenpolitische Entscheide, welche<br />
mittelsderdirektenDemokratieherbeigeführt<br />
werden müssten, beinhalten zunehmend<br />
ein hohes Potential an Meinungsmanipulation<br />
und die Kampagnen über<br />
die relevanten Themen sind nicht mehr<br />
darauf ausgerichtet, die Bürger(innen) dialektischsachlichund<br />
konzis vertraut zu<br />
machen. Kontrahenten versuchen, «Argumentationsmonopole»<br />
zu errichten.<br />
Entscheide an der Urne werden stark von<br />
Emotionen geleitet. Die negativen Auswirkungen<br />
für die Unternehmen –gerade<br />
für die Exportwirtschaft, die global auf<br />
ein verlässliches Image angewiesen ist<br />
–könnten immens werden, wenn durch<br />
die direkte Demokratie aussenpolitische<br />
Fehlentscheide gefällt würden.<br />
DasAnsehen der SchweizerWirtschaft<br />
und die so genannte Swissness wurden<br />
seit 1991 merklich und kontinuierlich<br />
geschwächt. Die Gründe liegen nicht<br />
ausschliesslich inden durch die direkte<br />
Demokratie zustande gekommenen Entwicklungen.<br />
Einige davon haben auch<br />
die Wirtschaft und/oder die Politik selber<br />
zu verantworten. Der Beispiele gäbe es<br />
viele: vomEWR-Entscheid im Jahre 1991<br />
bis hin zur Finanzkrise, der Rolle der<br />
Schweizer Banken usw. –Das früher der<br />
Schweizer Wirtschaft entgegengebrachte<br />
Grundvertrauen ist heute «nicht mehr<br />
einfach da». –Die zunehmend entstehenden<br />
«Macht-Asymmetrien» könnten<br />
nach einer Reform der direkten Demokratie<br />
rufen. Das Stimmvolk –ich zähle<br />
mich mit dazu –würde sich indessen<br />
gegen eine Beschneidung der Volksrechte<br />
wehren! –Zur Regelungsdichte und<br />
zur Bürokratie: Eine unheimliche Fülle<br />
von Gesetzen und Verordnungen bremsen<br />
die Unternehmungen, binden Zeit,<br />
G E S P r Ä C H<br />
Know-howund Geld und schaden somit<br />
der Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Ja zur Eigenständigkeit und zur<br />
persönlichen Freiheit: Kerngedanken<br />
der Podiumsteilnehmenden<br />
Nationalrat Dr. Gerhard Pfister: Im<br />
Sinne von Denkanstössen spreche ich<br />
drei Aspekte des Freiheitsbegriffs an:<br />
■ Historisch: Wir verbinden den Begriff<br />
«Freiheit» sehr stark mit dem Jahr<br />
1291. Die Freiheitsidee ist indessen<br />
jünger: ein Kind der Aufklärung. Mich<br />
fasziniert die ungeheure Kraft, die der<br />
Gründung der Vereinigten Staaten zugrunde<br />
liegt: Der Staat überlässt die<br />
Macht der Menschen über andere<br />
Menschen nicht mehr der Willkür von<br />
Herrschern. Er minimiert seine Macht<br />
institutionell auf das Grundlegende<br />
und Allernötigste. Der dritte Präsident<br />
der USA, Thomas Jefferson, schreibt<br />
in der Unabhängigkeitserklärung: «Zu<br />
den unveräusserlichen Grundrechten<br />
gehören life, liberty and the pursuit of<br />
happiness.» Jefferson war gleichzeitig<br />
auchder geistige Konstrukteur des Föderalismus.<br />
–Die Bildung des schweizerischen<br />
Bundesstaates (1848) lehnt<br />
sichinvielen Gedanken an die Gründungsgeschichte<br />
der USA an!<br />
■ Philosophisch: Der Begriff «Freiheit»<br />
ist extrem vielgestaltig. In der politischen<br />
Philosophie wird die negative<br />
Freiheit der republikanischen gegenübergestellt.<br />
Jene bedeutet Abwesenheit<br />
vom regulatorischen Zwang<br />
und ist als Leitidee in die liberale<br />
Ökonomie eingeflossen. Die repub-<br />
41<br />
likanische Freiheit indessen versteht<br />
sich als Abwesenheit von willkürlicher<br />
Herrschaft: Um keine Willkür<br />
zuzulassen sind Gesetze nötig, welche<br />
die Freiheit einschränken.<br />
■ Politisch: Die Schweiz hat es in der<br />
Gründungszeit verstanden, ähnlich<br />
wie die USA, einen Bundesstaat<br />
einzurichten, der institutionell dafür<br />
sorgt, dass die Freiheit der Menschen<br />
maximiert werden kann. Die<br />
direkte Demokratie gibt dem Souverän<br />
die Möglichkeit, die Macht von<br />
Parlament und Regierung massiv<br />
zu beschränken. Der Föderalismus<br />
bricht die Macht der Zentralregierung.<br />
Die Subsidiarität verlagert die<br />
grösstmögliche Zahl an Entscheidungen<br />
auf die tiefstmögliche Ebene. Die<br />
Regierungen sind konkordant zusammengesetzt.<br />
Nationalrat Dr. Gerhard Pfister<br />
Unsere Freiheit ist indessen bedroht,<br />
weil sie selbstverständlich geworden<br />
ist. Sie ist zudem unbequem, weil sie<br />
Eigenverantwortung, Risikobereitschaft<br />
und unternehmerisches Denken fordert.<br />
Freiheit bringt Unsicherheit, Wagnis.<br />
Bis weit in bürgerliche Kreise traut man<br />
dem Staat mehr zu als dem eigenverantwortlichen<br />
Menschen. Zudem wird
der Zeitgeist von den Medien und vom<br />
«Mainstream» mitbestimmt. Wer historische<br />
und ethische Debatten an Kommissionen<br />
delegiert, die ex cathedradas<br />
richtige Geschichts- oder Menschenbild<br />
bestimmen wollen, der ersetzt den<br />
freiheitlichen Diskurs durch willkürlich<br />
festgelegte Denkgebote bzw. Denkverbote.<br />
In diesem Sinne müssten die Bürgerlichen<br />
wieder Mehrheiten schaffen,<br />
welche den etatistischen Lösungen konsequent<br />
liberale Lösungen gegenüberstellen!<br />
Gregor A. Rutz: Freiheit und Sicherheit<br />
stehen in gegenseitiger Abhängigkeit:<br />
ein Spannungsfeld, das so<br />
alt ist wie die Menschheit selbst. Die<br />
Fraumünster-Abtei in Zürich hatte unter<br />
dem grossen Zuwachs vonBeschäftigten<br />
viele Zuwanderer aus der Landwirtschaft.<br />
Man tauschte den Bauernstand,<br />
somit den grösseren Grad der<br />
Freiheit mit der Anstellung als Dienstnehmer<br />
und nahm Freiheits-Einbussen<br />
in Kauf. Auch heute bevorzugt eine<br />
Vielzahl von Leuten höhere Sicherheit<br />
im Eintausch mit Freiheitsminderung.<br />
Zu den Politikerinnen und Politikern:<br />
Alle sprechen von weitestgehender Interessenwahrnehmung<br />
ihrer Wählerinnen<br />
und Wähler.Sie anerkennen somit<br />
den Freiheitsanspruch.<br />
Und die Realität? – Ein Beispiel aus<br />
der Medienpolitik: Wir kämpften für<br />
Freiheit bzw. für die Einführung von<br />
Privat-Radio und Privat-TV. Der Anteil<br />
des Gebührensplittings der SRG beträgt<br />
96%, derjenige für die Privatsender<br />
4%. Als «Gegenrecht» unterziehen sich<br />
die privatwirtschaftlichen Medienunternehmen<br />
staatlichen Auflagen bezüglich<br />
Sendegebiete, Inhalt usw. Staatliche Instanzen<br />
nehmen gar ein Kontrollrecht<br />
wahr. Zudem wird mittels dieses (vermeintlichen)<br />
Supports die Innovationsfähigkeit<br />
der Privatanbieter stark gemindert.<br />
Ein weiteres Beispiel: In Bern arbeiten<br />
um die 35 000 Leute in der Verwaltung.<br />
Sie führen ins Feld, dass es<br />
bei allen Stellen um die Erledigung<br />
durchsParlament vorgegebener Aufgaben<br />
gehe. Dies mag zutreffen, aber bei<br />
Prüfung der zugewiesenen Aufgaben<br />
stösst man geradezu auf Absurditäten.<br />
Unsere Grundsatzfrage: Welches sind<br />
denn die Kernaufgaben unseres Staates?<br />
Welche Verwaltungsstellen sind<br />
gerechtfertigt?<br />
Gregor A. Rutz<br />
G E S P r Ä C H<br />
Einschränkungen sind –ingeschichtlicher<br />
Betrachtung –oft nicht Neuland!<br />
Rauch- und Alkoholverbote gab es schon<br />
in früheren Jahrhunderten. Sie wurden<br />
zumeist wieder aufgehoben. Präventionsmassnahmen<br />
durch den Staat beeinträchtigen<br />
die Mündigkeit der Bürger(innen)!<br />
–Die Politik nimmt zu viel und nicht zu<br />
wenig Kompetenzen in Anspruch. Dies<br />
wirkt sichnicht für,sondern gegen die individuelle<br />
–instarkem Masse auchgegen<br />
die unternehmerische –Freiheit aus!<br />
42<br />
Mario Cortesi: Die Schweiz mit ihrer<br />
direkten Demokratie und ihrer freiheitlichen<br />
Gesellschaftsordnung bietet<br />
Chancen: Man muss sie ergreifen und<br />
muss dafür hart arbeiten.<br />
Ich war knapp dreijährig als mein<br />
Vater starb. Er war Pianospieler aus Italien.<br />
Meine Schweizer Mutter arbeitete<br />
als Verkäuferin, am Wochenende war<br />
sie Kassiererin im Bieler Strandbad. Sie<br />
liess mich in der Schweiz einbürgern:<br />
Die Schulkameraden betrachteten mich<br />
indessen als «Tschingg» und wollten<br />
mich nicht akzeptieren. Mein Stiefvater<br />
forderte, dass ich Schuhreparaturen<br />
usw. selber bezahlte. So war ich nebst<br />
anderen Engagements gezwungen,<br />
nach Schulschluss täglich als Ausläufer<br />
in einer Firma zu arbeiten. Jeden Morgen<br />
stand ich um 4 Uhr auf, um die Aufgaben<br />
zu machen und derart meinem<br />
Schwur, Klassenbester zu sein, nachzukommen.<br />
Später fand ich keine Stelle. General<br />
Motors schrieb mir, meine Zeugnisse<br />
seien für den ausgeschriebenen Funktionsbereich<br />
zu gut. Jetzt im Rückblick<br />
war dies wahrscheinlich mein Glück!<br />
Ich begann zu schreiben, zuerst für<br />
eine, dann für mehrere Zeitungen – ich<br />
verdiente 10 Rappen pro geschriebene<br />
Zeile. Später drehte ich auch Amateurfilme.<br />
Mit 23 Jahren war ich Chefredaktor<br />
einer Bieler Zeitung, mit 25 Jahren<br />
gründete ich das erste unabhängige<br />
Medienbüro in der Schweiz, dies mit<br />
null Franken Startkapital und mit dem<br />
Grundsatz, die Mittel für Investitionen<br />
immer selber zu erarbeiten, also auf<br />
Bankkredite zu verzichten.<br />
Vorerst arbeiteten meine Journalisten<br />
für mehrere grosse Schweizer Tageszei-
Mario Cortesi<br />
tungen, dann begannen wir auch Filme<br />
für das Fernsehen zu drehen. Wir verdienten<br />
wenig. Doch wir hatten unsere<br />
persönliche Freiheit, waren unsere eigenen<br />
Chefs und wir hatten viel Spass<br />
an der Arbeit. Nebst unserer täglichen<br />
Arbeit bildeten wir permanent junge<br />
Journalisten und Filmer aus. Wir konnten<br />
in dieser offenen Demokratie auch<br />
kritisch schreiben – 1978 hatten wir<br />
dann genügend Mittel, um unsere Gratis-Wochenzeitung<br />
BielBienne, die erste<br />
zweisprachige Zeitung der Schweiz,<br />
zu starten. Dann, noch vor der Jahrhundertwende,<br />
die Gründung des zweisprachigen<br />
Fernsehens TeleBielingue,<br />
dies mit einer Partnerfirma zusammen<br />
– und vor zwei Jahren der Rückkauf des<br />
zweisprachigen Bieler Radios Canal 3<br />
von der Tamedia. – Wir gründeten auch<br />
eine unabhängige Bürgerinitiative, die<br />
Freien Bieler Bürger. Derart bestimmten<br />
wir die Gemeindepolitik mit.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Plenumsdiskussionen<br />
Unter der Gesprächsleitung von Dr. Peter<br />
Forster wurden die zu einem vorbehaltlosen<br />
«Ja zur Schweiz» erörterten<br />
Thesen akzentuiert.<br />
Nationalrat Dr. Ulrich Schlüer forderte<br />
eine konsequentere Beachtung<br />
des Subsidiaritätsprinzips und hob zudem<br />
die Bedeutung der Kommunikationspolitik,<br />
gerade auch unter der Perspektive<br />
der durch die Schweiz für die<br />
Wirtschaft gebotenen Standortvorteile,<br />
hervor.<br />
Fühlen – denken – Handeln<br />
Gedanken auf den Weg<br />
Dr. h.c. Walter Reist: Die Statements der<br />
Referenten und die engagierten Wortmeldungen<br />
aus dem Plenum haben<br />
uns – auch im Erkennen der Gefühlslagen<br />
– zum starken Nach-Denken angeregt.<br />
Es geht nun darum, zu handeln:<br />
jede(r) in ihrem/seinem Wirkungskreis.<br />
Wir müssen uns bestreben, Vorbild zu<br />
sein und unsere Wertvorstellungen, somit<br />
auch unsere Denkanstösse zur Erneuerung<br />
des Bundesbriefs, nach aussen<br />
überzeugend vertreten. «Achten<br />
wir in all unserem Tun und Handeln auf<br />
Überschaubarkeit, dies gerade auch im<br />
Zeichen der Globalisierung: Im Klei-<br />
43<br />
nen ist fassbar und überlegbar, was im<br />
Grossen eben oft nicht mehr möglich<br />
ist!»<br />
Ausserordentliche Gespräche «Ja zur<br />
Schweiz»; Nr. 14 vom 27. August<br />
2009 «Ja zur direkten Demokratie – Ja<br />
zum Föderalismus» mit Nationalrätin<br />
Marlies Bänziger, Winterthur, Robert<br />
Nef, Präsident des <strong>Stiftung</strong>srates,<br />
Liberales Institut, St. Gallen, und Urs<br />
Schnell, CEO Brugg Cables, Brugg;<br />
Nr. 15 vom 1. Oktober 2009 «Ja zur<br />
Eigenverantwortung und zur persönlichen<br />
Freiheit» mit Nationalrat Dr.<br />
Gerhard Pfister, Oberägeri, Gregor A.<br />
Rutz, Unternehmer, Zollikon, Mario<br />
Cortesi, Unternehmer, Biel; Gastgeber:<br />
Dr. h.c. Walter Reist; Moderation:<br />
Dr. Peter Forster
die erste Veranstaltung einer neuen<br />
zur Festigung und Weiterentwicklung<br />
unserer armee lancierten lilienberg-<br />
Gesprächsreihe befasste sich mit den<br />
nationalen Sicherheitsinteressen der<br />
Schweiz. am 7. dezember 2009 legten<br />
Botschafter dr. anton thalmann,<br />
Stv. Staatssekretär Eda Eidgenössisches<br />
Departement für auswärtige Angelegenheiten,<br />
Bern, sowie Brigadier<br />
daniel lätsch, direktor der MilaK<br />
Militärakademie an der EtH Zürich,<br />
ihre Sichtweisen dar.<br />
Von Wilhelm Knecht<br />
Christoph Vollenweider, CEO und<br />
Leiter «<strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum»,<br />
begrüsste die Teilnehmenden<br />
zum 21. Ausserordentlichen Gespräch<br />
«Armee», dies in Stellvertretung von<br />
Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>. – «Ich möchte<br />
Ihnen den Leitartikel der NZZ Neue<br />
Zürcher Zeitung vom 14.11.09 mit zu<br />
bedenken geben: ‹Die Debatte über<br />
die Zukunft der Armee muss seriöser<br />
als bisher geführt werden. Angesichts<br />
des bescheidenen Wissensstandes in<br />
der Öffentlichkeit und auch im Parlament<br />
steht hier auch die Armeeführung<br />
in der Pflicht. –Not tut ein Klima<br />
der offenen Diskussion›. Unsere neue<br />
Gesprächsreihe «Armee» möge zu den<br />
Fragen der Sicherheit und der Armee<br />
wertvolle Kenntnisse vermitteln!»<br />
G E S P r Ä C H<br />
Unsere armee braucht<br />
stärkeren politisch-finanziellen rückhalt<br />
Dr. Peter Forster, Gesprächsleiter.<br />
«Wir haben von Bern her schon<br />
während der Sommermonate Signale<br />
vernommen, die auf eine Zuspitzung<br />
der Finanzknappheit für unsere<br />
Armee hindeuteten. Wir danken<br />
Dr. h.c. Walter Reist für seine spontane<br />
Bereitschaft, zugunsten unserer<br />
Armee eine neue Gesprächsreihe zu<br />
eröffnen. Für eine starke, glaubwürdige<br />
Armee ist ein genügend finanzieller<br />
Rückhalt Voraussetzung! –Wir<br />
freuen uns sehr, imHinblick auf zielgerichtete<br />
weitere Überlegungen die<br />
grundsätzlichen Beurteilungen von<br />
zwei renommierten Experten vernehmen<br />
zu dürfen.»<br />
Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />
■ Sicherheitspolitischer Bericht<br />
«Vor zehn Jahren habe ich, damals<br />
als Stv. Generalsekretär des VBS, die<br />
Redaktion des Sicherheitspolitischen<br />
Berichts 2000 koordiniert. – Der Bundesrat<br />
hat nunmehr beschlossen, einen<br />
neuen Sicherheitspolitischen Bericht<br />
vorzulegen. Wir bewegen uns in einem<br />
für die Schweiz turbulenten Umfeld. –<br />
Ich äussere heute meine Gedanken vor<br />
dem Hintergrund des vorläufig weiterhin<br />
gültigen bisherigen Berichts und<br />
der seither eingetretenen Entwicklungen.<br />
Ebenfalls zu berücksichtigen ist<br />
44<br />
Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />
der im September 2009 veröffentlichte<br />
Aussenpolitische Bericht.»<br />
Die Grundsätze der Schweizer Aussen-<br />
und Sicherheitspolitik sind in der<br />
Bundesverfassung verankert: Die Ziele<br />
unserer Aussenpolitik sind «die Wahrung<br />
der Unabhängigkeit der Schweiz»<br />
und die «Wohlfahrt der Schweiz», somit<br />
die Gewährleistung der Sicherheit der<br />
Schweiz und ihres wirtschaftlichen und<br />
sozialen Wohlergehens. Die Verfassung<br />
konkretisiert diese Ziele mit «Linderung<br />
von Not und Armut in der Welt», «Achtung<br />
der Menschenrechte», «Förderung<br />
der Demokratie», «friedliches Zusammenleben<br />
der Völker» und «Erhaltung<br />
der natürlichen Lebensgrundlagen».<br />
Der neue Sicherheitspolitische Bericht<br />
wird die Entwicklungen im Be-<br />
«Eine wichtige Erkenntnis aus der<br />
Globalisierung ist, dass Sicherheit<br />
heute in Netzwerken produziert,<br />
gelebt und geteilt wird.»<br />
Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />
Stv. Staatssekretär, EDA
eich der äusseren und der inneren Sicherheit<br />
seit dem Jahr 2000, dem Datum<br />
des letzten Berichtes, berücksichtigen<br />
müssen. Dabei sind die Schlussfolgerungen,<br />
die aus den Entwicklungen<br />
im äusseren Bereich zu ziehen sind,<br />
kontroverser als diejenigen im inneren<br />
Bereich. Das sticht besonders deshalb<br />
ins Auge, weil das Risiko- und Gefahrenspektrum<br />
selbst auch im äusseren<br />
Bereich weit weniger umstritten ist als<br />
die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen,<br />
zu denen zwei klar gegensätzliche<br />
Meinungen bestehen. Es gibt jene,<br />
die sich für eine stärkere Zusammenarbeit<br />
der Schweiz mit der internationalen<br />
Gemeinschaft einsetzt, und jene,<br />
die dafür hält, dass die Schweiz die<br />
grossen sicherheitspolitischen Herausforderungen<br />
am besten allein bewältigen<br />
sollte.<br />
■ Strategisches Umfeld<br />
Bis zum Ende des Kalten Krieges, d.h.<br />
bis ca. 1990, gehörte die militärische<br />
Bedrohung ganz klar zu den möglichen<br />
existentiellen Gefahren für die Schweiz.<br />
Das Szenario, dass die Schweiz von<br />
einem konventionellen Feind angegriffen<br />
und besetzt wird, ist heute unrealistisch.<br />
Auch wenn die Armee ein zentrales<br />
Instrument unserer Sicherheitspolitik<br />
ist und bleibt, ist es unwahrscheinlich,<br />
dass sie zur Verteidigung unseres<br />
Staatsgebiets eingesetzt werden muss.<br />
Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa<br />
ist die Schweiz in einer sehr günstigen<br />
Position. Die NATO mit heute<br />
28 Mitgliedern und die EU mit 27<br />
haben den Kontinent sicherheitsmässig<br />
G E S P r Ä C H<br />
«Andere Staaten von grösserem<br />
Gewicht als die Schweiz sind der<br />
Auffassung, dass die neuen Herausforderungen<br />
nur in internationaler<br />
Kooperation zu bewältigen sind.»<br />
Botschafter Dr. Anton Thalmann<br />
Stv. Staatssekretär, EDA<br />
und wirtschaftlich-sozial stabilisiert.<br />
Die sinkenden Rüstungsausgaben, gerade<br />
auch in der Schweiz, reflektieren<br />
diesen Umstand. Allerdings muss sich<br />
die Schweiz der Frage stellen, was sie<br />
angesichts dieses Sicherheitsgewinns –<br />
dank Anstrengungen Dritter – zu deren<br />
gemeinsamen Friedensförderung an der<br />
Peripherie Europas beizutragen in der<br />
Lage bzw. gewillt ist.<br />
■ demographische Entwicklung<br />
Handlungsdruck kommt auch aus einer<br />
anderen Ecke. Der Bundesrat ist<br />
zum Schluss gekommen, dass die Armee<br />
den demographischen Gegebenheiten<br />
angepasst werden muss. Die<br />
Schweiz kann nicht länger eine Armee<br />
von 200’000 Soldaten alimentieren. Sie<br />
wird die Armeebestände weiter reduzieren<br />
müssen.<br />
■ Bedrohungsspektrum<br />
Welches sind jenseits des klassischen<br />
Bedrohungsspektrums die wichtigsten<br />
Herausforderungen neueren Typs? Zu<br />
erwähnen sind hier vor allem der inter-<br />
45<br />
nationale Terrorismus, die Verbreitung<br />
von Massenvernichtungswaffen, die<br />
Verletzlichkeit kritischer Infrastrukturen,<br />
Cyber War und Klimawandel.<br />
■ anpassung der Sicherheitspolitik<br />
Aufgrund der genannten Entwicklungen<br />
hat die Schweiz ihre Sicherheitspolitik<br />
wiederholt angepasst. – Stellvertretend<br />
für andere seien hier einige Schritte<br />
mit angeführt. Die Schweiz präsidierte<br />
1996 die OSZE. Im gleichen Jahr trat<br />
sie auch der Partnerschaft für den Frieden<br />
der NATO bei. Und im Jahre 2002<br />
wurde sie endlich Mitglied der UNO.<br />
Zudem hat der Bundesrat ganz allgemein<br />
sein Instrumentarium der militärischen<br />
und zivilen Friedensförderung<br />
kontinuierlich weiter ausgebaut. Allerdings<br />
ist ihm die Verdoppelung unserer<br />
Friedenstruppen auf 500, was u.a.<br />
eine Steigerung der Interoperabilität<br />
KKdt Markus Gygax, Kommandant der<br />
Luftwaffe, im Gespräch mit Plenumsteilnehmenden
in Peacekeeping-Operationen gestatten<br />
würde, einstweilen nicht gelungen.<br />
■ Grunderfordernis<br />
Ein handlungsfähiger moderner Staat<br />
muss zunächst über krisentaugliche<br />
Führungsstrukturen verfügen. Er muss<br />
fähig sein, die Herausforderungen im<br />
Sicherheitsbereich frühzeitig zu erkennen<br />
und sie korrekt zu analysieren. Der<br />
moderne Staat muss einen kohärenten<br />
und umfassenden Ansatz für die Sicherheitspolitik<br />
entwickeln, und zwar sowohl<br />
auf internationaler Ebene als auch<br />
auf nationaler Ebene.<br />
Brigadier Daniel Lätsch<br />
■ Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
Die schweizerische Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik befindet sich in einer<br />
ausserordentlich schwierigen Lage:<br />
Im Jahre 2008 wies eine Mehrheit des<br />
Nationalrates das Rüstungsbudget in<br />
der ersten Lesung zurück und dies nicht<br />
aus sicherheitspolitischen, sondern primär<br />
aus parteipolitischen Gründen.<br />
2009 scheiterte wiederum im Nationalrat<br />
eine Revision des Militärgesetzes:<br />
Diese hätte die Möglichkeit geschaffen,<br />
mit Schweizer Truppen auch im Ausland<br />
zu trainieren. – Zurzeit wirft die<br />
Debatte um die Neubeschaffung von<br />
Kampfflugzeugen hohe Wellen!<br />
Es gilt indessen, auch folgende Punkte<br />
unmissverständlich festzuhalten:<br />
G E S P r Ä C H<br />
–Wir leben im tiefsten Frieden<br />
–Die Rechtssicherheit in unserem<br />
Land ist ausserordentlich hoch<br />
–Unserer Wirtschaft geht es im<br />
globalen Vergleich gut<br />
–Wir geniessen generell einen sehr<br />
hohen Lebensstandard und eine<br />
hohe Lebensqualität<br />
–Unser Vertrauen in die Polizei ist<br />
sehr hoch, in die Armee (noch) recht<br />
hoch, in die Politik sehr durchzogen<br />
und in die Medien nahezu inexistent<br />
Die Schweiz ist seit über 150 Jahren<br />
vom Krieg verschont geblieben! Retrospektiv<br />
dürfen wir sagen, dass die<br />
schweizerische Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
insgesamt unglaublich<br />
erfolgreich war. Esgibt Schweizer<br />
Bürger(innen), die dafür dankbar sind<br />
und alles daransetzen, dass die Schweizer<br />
Bevölkerung auch in Zukunft in<br />
Freiheit, Unabhängigkeit, Wohlstand<br />
und Würde leben kann. Das sind wenige.<br />
Es gibt aber auch Schweizer<br />
Bürger(innen), die glauben, es gebe<br />
weder Risiken nochBedrohungen, weder<br />
heute noch morgen. Das sind viele.<br />
Schliesslich gibt es auch solche, die<br />
wissen zwar, dass es Risiken und Bedrohungen<br />
gibt. Sie glauben aber, Sicherheit<br />
werde durch die NATO, die<br />
EU, die OSZE oder durch weiss nicht<br />
wen garantiert.<br />
Die schweizerische Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik war und ist geprägt<br />
durch Neutralität und autonome<br />
Landesverteidigung sowie durch Wehrpflicht<br />
in einem Milizsystem.<br />
Mit dem Ende des Kalten Krieges<br />
haben sich die Bedrohungsformen<br />
geändert. Landesverteidigung wird an-<br />
46<br />
Brigadier Daniel Lätsch<br />
dernorts kleingeschrieben. Friedensunterstützende<br />
Operationen sind strukturbestimmend.<br />
Die NATO hat sich konsequenterweise<br />
auf «nonarticle 5-operations»<br />
und auf «out of area-operations» ausgerichtet<br />
und die EU ist daran, EU-<br />
Battlegroups aufzubauen, dies zum<br />
Zweck möglicher Aufgabenerfüllungen<br />
im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits-<br />
und Verteidigungspolitik.<br />
Die schweizerische Sicherheitspolitik<br />
bewegt sich dagegen weitgehend<br />
in den bisherigen Bahnen. Auf der Basis<br />
des Sicherheitspolitischen Berichts<br />
2000 und des Armeeleitbildes XXI erfolgte<br />
eine behutsame Öffnung.<br />
die aufgaben der Schweizer armee<br />
Dargestellt an einem Dreikreise-Modell:<br />
Der äusserste Kreis, die friedensunterstützenden<br />
Operationen, dient<br />
dazu, dass Konflikte vor Ort gelöst
werden können und gar nicht erst bis<br />
zu uns kommen. Der zweite Kreis entspricht<br />
der Verteidigung. Die Neutralität<br />
lässt es nicht zu, dass wir die<br />
Verteidigung ausserhalb unseres Territoriums<br />
aufnehmen. Der innere Kreis<br />
dient der Unterstützung der zivilen<br />
Behörden in Katastrophen- und Krisenlagen.<br />
Dieses Dreikreise-Modell wird heute<br />
in Frage gestellt: von linker und alternativer<br />
Seite, insbesondere von der<br />
GSoA Gruppe für eine Schweiz ohne<br />
Armee, ferner von rechtsbürgerlichen<br />
Gruppierungen, welche strikte gegen<br />
friedensunterstützende Operationen<br />
sind und für eine integrale und traditionelle<br />
Neutralität einstehen, schliesslich<br />
auch von der Realität: Bereits die<br />
Revolution in Military Affairs und das<br />
Konzept der Follow onForces Attack<br />
führten ab den 1980er Jahren zu einem<br />
Technologieschub auf dem Gefechtsfeld,<br />
welcher eine autonome<br />
Landesverteidigung zur Illusion degradierte.<br />
Brauchen wir eine «state of the art-<br />
Armee» oder wollen wir eine Widerstandsarmee<br />
auf dem Technologiestand<br />
des Vietcong? Zur Antwortfindung<br />
müssen wir den Zweckartikel<br />
der Bundesverfassung –nebst Freiheit<br />
und Unabhängigkeit sind auch unsere<br />
Wohlfahrt und die natürlichen Lebensgrundlagen<br />
zu erhalten –sowie<br />
die Zielsetzung unserer Sicherheitsund<br />
Verteidigungspolitik vor Augen<br />
halten! –Ziel unserer Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik ist es im Endeffekt,<br />
unser Land zu schützen, damit<br />
wir wirtschaften können, damit wir leben<br />
können!<br />
G E S P r Ä C H<br />
«Der Kampf ab Landesgrenze ist<br />
im 21. Jahrhundert keine Option<br />
mehr!»<br />
Brigadier Daniel Lätsch<br />
Direktor der Militärakademie<br />
an der ETH Zürich<br />
■ Politisch-finanzieller rückhalt<br />
Das Parlament, welches jährlich dem<br />
Rüstungsbudget zuzustimmen hat, ist<br />
überfordert. Die massgebenden Parteien<br />
sind kaum in der Lage, eine gemeinsame<br />
Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
zu formulieren.<br />
Diese Ausgangslage scheint auch auf<br />
den neuen Sicherheitspolitischen Bericht<br />
durchzuschlagen. Der vorliegende<br />
Entwurf zeigt eher Richtung Vergangenheit<br />
als Richtung Zukunft. Hoffnungsvoll<br />
stimmt dagegen der Beschluss des<br />
Bundesrates vom 20.10.09, wonach an<br />
der Maxime «Sicherheit durch Kooperation»<br />
festgehalten und der Entwurf<br />
zum Sicherheitspolitischen Bericht 09<br />
mit einem interdepartementalen und<br />
somit umfassenden Ansatz überarbeitet<br />
werden soll.<br />
Zum Budget: Die Armee XXI wurde<br />
mit einem jährlichen Budget von<br />
CHF 4,3 Mia. geplant. Nach den Entlastungsprogrammen<br />
03 und 04 sowie<br />
weiteren Budgetkürzungen stehen<br />
heute noch CHF 3,7 Mia. zur Verfügung.<br />
Die Betriebskosten der modernen<br />
Systeme sind nicht mehr bezahlbar<br />
und neue Rüstungsgüter können<br />
kaum mehr beschafft werden. Der Antrag<br />
des Chefs VBS, jetzt auf den Kauf<br />
47<br />
eines neuen Kampfflugzeugs zu verzichten,<br />
spricht Bände!<br />
Gesellschaftliche Veränderungen<br />
Milizkader leisten ihren Dienst freiwillig.<br />
Dafür haben insbesondere die CEOs<br />
wenig bis gar keinVerständnis mehr.Die<br />
Arbeitgeber werden nur zu einem Teil<br />
für die Absenzen entschädigt. Dementsprechend<br />
fehlen uns immer mehr Kader.–Milizkader<br />
haben indessen gegenüber<br />
Berufskader einen unzweifelhaften<br />
Vorteil: Sie bringen ein hervorragendes<br />
Know-how aus ihrer privatwirtschaftlichen<br />
Tätigkeit in die Armee ein.<br />
Für die Schweizer Armee gibt es keine<br />
brauchbare Alternative zum Milizsystem.<br />
Es gilt, dieses weiterzuentwickeln,<br />
wenn wir auch in Zukunft hervorragende<br />
Kader gewinnen wollen.<br />
reformbedarf<br />
Die Schweizer Armee leistet jeden Tag<br />
hervorragendeArbeit.Aber sie steht vor<br />
riesigen Herausforderungen. Mythen<br />
«Ausgehend von einer konzisen<br />
Definition der strategischen nationalen<br />
Interessen und einer umfassenden<br />
Risiko- und Bedrohungsanalyse<br />
sind die Fragen nach der<br />
geeignetsten Form der Armee zu<br />
beantworten.»<br />
Brigadier Daniel Lätsch<br />
Direktor der Militärakademie<br />
an der ETH Zürich
und Tradition helfen nicht mehr weiter.<br />
–Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
muss den heutigen Herausforderungen<br />
angepasst werden!<br />
Plenumsdiskussion<br />
Dr. Peter Forster, Moderator, nahm in<br />
der rege benutzten Diskussion verschiedenste<br />
Voten entgegen. Die Wortmeldungen<br />
betrafen die Einordnung<br />
der zukünftigen Potentiale der Risiken<br />
und Bedrohungen einerseits und die<br />
Gewichtung der Gefahren in Bezug<br />
auf deren Eintretenswahrscheinlichkeit<br />
andererseits. Hinzu kamen Fragen zur<br />
Restrukturierung der Armee generell<br />
sowie zu Auslandeinsätzen im Besonderen.<br />
Hervorgehoben wurde das Erfordernis<br />
des Primates der Politik in Bezug<br />
auf den Auftrag an die Armee – im Sinne<br />
«am Anfang kommt der Auftrag und<br />
dann das Budget!». Weitere Schwerpunkte<br />
in der Diskussion bildeten die<br />
von der Devise «Sicherheit durch Kooperation»<br />
ableitbaren Möglichkeiten<br />
bzw. Begrenzungen unter dem vorrangigen<br />
Aspekt der Aufrechterhaltung der<br />
schweizerischen Neutralität. In starkem<br />
Masse wurde für mehr Transparenz gegenüber<br />
unseren Bürgerinnen und Bürgern<br />
plädiert, dies eben als Vorbedingung<br />
zu mehr Zustimmung für unsere<br />
Armee. – Dr. Peter Forster gab der Hoff-<br />
G E S P r Ä C H<br />
nung Ausdruck, dass sich die Verlässlichkeit<br />
für die Mehrheitsfindung innerhalb<br />
des Parlamentes – im Hinblick auf<br />
notwendige Beschlüsse zugunsten unserer<br />
Armee – wieder herbeiführen lässt<br />
– dies ausgehend von echter Konkordanzpolitik<br />
und somit – unter Vermeidung<br />
«unheiliger Allianzen» – mittels<br />
bewährter Konsensfindung zwischen<br />
Mitte- und Rechts-Parteien.<br />
Gedanken auf den Weg<br />
Christoph Vollenweider: «Wir vertreten<br />
die Eigenständigkeit unseres Vaterlandes,<br />
von Unternehmerinnen und Unternehmern,<br />
von Unternehmen sowie<br />
von unternehmerischen Kräften und<br />
Persönlichkeiten.» Für den <strong>Stiftung</strong>spräsidenten,<br />
Dr. h.c. Walter Reist, ist<br />
die Eigenständigkeit unseres Vaterlandes<br />
eine sehr wichtige Angelegenheit,<br />
dazu gehören die Erhaltung der schweizerischen<br />
Unabhängigkeit und die Förderung<br />
der Landesverteidigung. Die<br />
Sicherheit ist ein bedeutender Standortfaktor<br />
unseres Landes! – Unternehmerisches<br />
Denken heisst nichts anderes<br />
als ganzheitliches Denken. Es ist<br />
letztlich überall anwendbar, beileibe<br />
nicht nur in Unternehmungen im engeren<br />
Sinn, sondern überall dort, wo «etwas<br />
unternommen» wird und ist daher<br />
auch dann zwingend, wenn es um die<br />
48<br />
Schweiz und um die Armee geht. – In<br />
diesem Sinne danken wir heute allen<br />
Anlassbeteiligten für das Einbringen ihres<br />
umfassend dargelegten, wertvollen<br />
Gedankengutes!<br />
21. Ausserordentliches Gespräch «Armee»<br />
vom Montag, 7. Dezember 2009<br />
«Die nationalen Sicherheitsinteressen<br />
der Schweiz» mit Botschafter Dr. Anton<br />
Thalmann, stv. Staatssekretär EDA,<br />
Bern, Brigadier Daniel Lätsch, Direktor<br />
der Militärakademie an der ETH Zürich,<br />
Birmensdorf; Gastgeberin: <strong>Stiftung</strong><br />
<strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>, vertreten<br />
durch Christoph Vollenweider, CEO<br />
und Leiter <strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum.<br />
Moderation: Dr.Peter Forster.
inwieweit lassen sich grenzüberschreitend<br />
– bezogen auf den Kanton thurgau<br />
mit der Universität Konstanz – Synergien<br />
für das eigene Bildungswesen<br />
und somit für die eigene Standort- und<br />
Wirtschaftsförderung erzielen, und wo<br />
lassen sich unternehmerische Perspektiven<br />
erkennen? – diese und weitere<br />
Fragen standen anlässlich des ausserordentlichen<br />
Gesprächs am 24. Juni<br />
2009 im Zentrum des informationsaustauschs.<br />
Von Wilhelm Knecht<br />
Dr. h.c. Walter Reist, Präsident des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates der <strong>Stiftung</strong> <strong>Lilienberg</strong><br />
<strong>Unternehmerforum</strong>, begrüsste die<br />
Repräsentanten der Bildungsinstituti-<br />
onen sowie die Verantwortungsträger<br />
aus Politik und Wirtschaft zu diesem<br />
regionalen «Brückenschlag» und zum<br />
Gedankenaustausch. Einen besonderen<br />
Willkommensgruss richtete er an Regierungsrätin<br />
Monika Knill, Präsidentin<br />
der Thurgauer <strong>Stiftung</strong> für Wissenschaft<br />
und Forschung.<br />
Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann,<br />
Gesprächsmoderator: «Es geht heute<br />
primär auch darum, die Chancen des<br />
Zusammenwirkens in unternehmerischer<br />
Ausrichtung zu beachten.»<br />
Wirken im Verbund<br />
Jens Aspiz, Uni Konstanz, im Gespräch mit Ernst Mühlemann<br />
G E S P r Ä C H<br />
dynamik und Synergien im Bildungswesen:<br />
der Kanton thurgau und seine Konstanzer Hochschul-institute<br />
Regierungsrätin Monika Knill betonte<br />
den hohen Nutzen grenzüberschreitender<br />
Kooperation innerhalb der renom-<br />
49<br />
mierten Bildungsinstitutionen: «Diese<br />
stellt einen bedeutenden Standortvorteil<br />
für die Studierenden, aber auch<br />
für den Arbeitsmarkt und somit für die<br />
Wirtschaft dar. Die Unternehmen profitieren<br />
von einem raschen Wissens- und<br />
Technologietransfer. Es ist indessen wesentlich,<br />
die Chancenfelder der Zukunft<br />
zu erkennen, in der Spitzenforschung<br />
Schritt zu halten und die Bildungssysteme<br />
in ihrer flexiblen Nutzung sowie<br />
ihrer Durchlässigkeit zu festigen.»<br />
Prof. Dr.-Ing. Gunter Voigt, Vizepräsident<br />
für Forschung der HTWG Hochschule<br />
für Technik, Wirtschaft und Gestaltung,Konstanz:<br />
«Die HTWG ist eine<br />
moderne Hochschule mit anwendungsorientiertem<br />
Profil. Die HTWG hat heute<br />
sechs Fakultäten: Architektur und<br />
Gestaltung, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik<br />
und Informationstechnik,<br />
Informatik, Maschinenbau sowie Wirtschafts-<br />
und Sozialwissenschaften. –<br />
Wichtig ist der Einbezug der Unternehmen.<br />
Wirwünschen Dialoge und freuen<br />
uns, nicht nur die fachbezogenen, sondern<br />
auch die menschlichen Kontakte<br />
zu fördern: dies grenzüberschreitend!»<br />
Dr. Daniel Legler, Leiter des BITg<br />
Biotechnologisches Institut Thurgau an<br />
der Universität Konstanz, betonte u.a.<br />
die anwendungsorientierte Grundlagenforschung.<br />
«Beim BITg geht es um<br />
Forschungsschwerpunkte wie Identifizierung<br />
neuer Tumormarker, Entwicklung<br />
neuer Immuntherapien gegen<br />
Krebs usw. Aufgrund der hohen Qualität<br />
der Forschung wurden Resultate
von BITg-Mitarbeitern weltweit mehr<br />
als 5500-fach zitiert. Die Finanzierung<br />
wird gesichert durch die Thurgauische<br />
<strong>Stiftung</strong> für Wissenschaft und Forschung,<br />
durch das Staatssekretariat für<br />
Bildung und Forschung (Bund), durch<br />
den Schweizerischen Nationalfonds<br />
sowie durch <strong>Stiftung</strong>en und Spenden.<br />
– Das Ziel der finanziellen Beteiligung<br />
durch den Bund liegt im Erreichen hoher<br />
Innovation. Zudem geht es darum,<br />
bei neuen Produkten die zeitgerechte<br />
Vermarktung voranzutreiben.»<br />
Dipl.-Ing. Torsten Bogatzky, Leiter<br />
des WITg Institut für Werkstoffsystemtechnik<br />
Thurgau an der HTWG Hochschule<br />
für Technik, Wirtschaft und<br />
Gestaltung, Konstanz, hob im Rahmen<br />
angewandter Forschung die metallischen<br />
Werkstoffe und hierbei die<br />
Werkstoff-Systemtechnik hervor. «Die<br />
WITg ist ein kompetenter Partner für<br />
Forschungs- und Entwicklungsprojekte<br />
in der Zusammenarbeit mit Gewerbe<br />
und Industrie. Unsere Absicht besteht<br />
darin, die Probleme gemeinsam zu definieren<br />
und miteinander Lösungen zu<br />
finden. Eine wesentliche Voraussetzung<br />
hierzu bildet das Absenken der Hemmschwelle<br />
zur Kontaktaufnahme mit unserem<br />
Institut. Wir sind angewiesen auf<br />
das ‹Auf uns zugehen›.»<br />
Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Prorektor<br />
für Forschung und designierter Rektor<br />
der Universität Konstanz, charakterisierte<br />
die Primäraufgaben einer Universität,<br />
auch die theoretische Wissensvermittlung<br />
bzw. Grundlagenforschung betreffend.<br />
Nach Erreichen des Bachelor-Degree<br />
–soProf. Dr.Rüdiger –raten wir den<br />
Studierenden, in die Praxis zu wechseln<br />
und erst dann –mit Erfahrung aus der<br />
G E S P r Ä C H<br />
Arbeitswelt –bei uns das Weiterstudium<br />
zum Master anzutreten. Zum Fachlichen<br />
hob Prof. Dr. Rüdiger die hohe Bedeutung<br />
des NEB NANO-Zentrum der Euregio<br />
Bodensee hervor.Das NEB wurde im<br />
Frühjahr 2007 gegründet. Es wird getragen<br />
durch die Universität Konstanz, die<br />
Steinbeis-<strong>Stiftung</strong> Stuttgart, die HTWG<br />
Hochschule für Technik, Wirtschaft und<br />
Gestaltung,Konstanz, die Industrie- und<br />
Handelskammer Hochrhein-Bodensee,<br />
die Handwerkskammer Konstanz, den<br />
Bodenseerat und das Singen-Standortmarketing.<br />
Das NEB berät Unternehmen<br />
bei der praktischen Anwendung der Mikro-<br />
und NANO-Technik.<br />
Umfassendes Bildungsnetzwerk<br />
Ergänzend muss –soErnst Mühlemann<br />
–die gut funktionierende Zusammenarbeit<br />
mit weiteren, heute nicht auf<br />
dem Podium vertretenen Bildungsinstitutionen<br />
der Euregio Bodensee<br />
mitangeführt werden. Stellvertretend<br />
hierzu zeigte Prof. Dr. Ernst Preisig,<br />
Rektor der PHTG Pädagogische Hochschule<br />
Thurgau den hohen Nutzen der<br />
Kooperation mit der Universität Konstanz<br />
bei der Ausbildung von Gymnasiallehrern<br />
auf.<br />
Prof. Dr. Urs Fischbacher, Leiter des<br />
TWI Thurgauer Wirtschaftsinstitut, qualifizierte<br />
die Zusammenarbeit mit der<br />
Universität Konstanz und den mit ihr<br />
liierten An-Instituten als sehr gut. Er<br />
selber hat bei der Universität Konstanz<br />
einen Lehrstuhl für Angewandte Wirtschaftsforschung<br />
inne. Das TWI (als<br />
eines der drei von der Thurgauischen<br />
<strong>Stiftung</strong> für Wissenschaft und Forschung<br />
50<br />
«Eine erfolgreiche Wirtschaft benötigt<br />
eine erfolgreiche Schule,<br />
somit hervorragend ausgebildete<br />
Lehrkräfte – und eine erfolgreiche<br />
Schule steht auch in Abhängigkeit<br />
einer erfolgreichen Wirtschaft!»<br />
Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann<br />
getragenen Institute) nutzt die Möglichkeit,<br />
wissenschaftliche Ergebnisse<br />
einem breiten Interessentenkreis zugänglich<br />
zu machen.<br />
internationales und globales Umfeld<br />
Stephan Prehn, der Leiter der IBH Internationale<br />
Bodensee Hochschule,<br />
unterstreicht, dass der Hochschulverbund<br />
der Euregio Bodensee mit seinen<br />
Mitgliedhochschulen ein bedeutendes,<br />
aktives Netzwerk bildet: Hochschulen,<br />
Forscher, Lehrende und Studierende<br />
tauschen Wissen und Ressourcen aus<br />
und nutzen dies gegenseitig. Die Zielrichtungen<br />
der IBH werden anlässlich<br />
von Jahreskonferenzen, mit jeweiliger<br />
Beteiligung der 27 Rektoren der Mitgliedhochschulen,<br />
vereinbart. «Unserem<br />
hohen Potential an Bildungsmöglichkeiten<br />
ist auch aus globaler Sicht<br />
Beachtung beizumessen!»<br />
Prof. Dr. Marcus Groettrup, Universität<br />
Konstanz, sieht das hohe Leistungsvermögen<br />
von Bildungsinstitutionen<br />
als eine entscheidende Vorbedingung<br />
zu regionalbezogener wirtschaftlicher<br />
Prosperität, dies auch zufolge unmittelbaren<br />
‹Vorort-Wissenstransfers› – Er<br />
fordert unter den Hochschulen selbst,
sozusagen aus globaler Sicht, ein leistungssteigerndes<br />
Benchmarking.<br />
Clemens Dransfeld: Die FHNW<br />
Fachhochschule Nordwestschweiz unterhält<br />
vielfältige internationale Beziehungen.<br />
Es gilt, die Bildungslandschaft<br />
Euregio Bodensee unter internationalen<br />
Aspekten als Netzwerk mit Vorbildcharakter<br />
zu erkennen. – Seine Zusatzfrage:<br />
«Wie steht es mit den EU-Forschungsprojekten?»<br />
Prof. Dr. Rüdiger: «Die Universität<br />
Konstanz ist auch anEU-Forschungsprogrammen<br />
beteiligt!» –Ernst Mühlemann<br />
machte hierbei auf die enormen<br />
Unterschiede finanzieller Beiträge<br />
für die Universität Konstanz bzw.<br />
Deutschland als EU-Mitglied und der<br />
Schweiz, als Nicht-EU-Mitglied, aufmerksam<br />
– dies auch in Bezug auf<br />
G E S P r Ä C H<br />
Prof. Dr. Rüdigers Gedankengang,<br />
die Schweiz könnte doch eigentlich<br />
mehr Forschungsanträge in das heute<br />
vorgestellte Bildungsnetzwerk einbringen.<br />
Von Seiten Dr. Legler, Dipl.-Ing.<br />
Bogatzky und Prof. Dr.-Ing. Voigt,<br />
d.h. insbesondere die anwendungsorientierte<br />
Forschung betreffend, erfolgten<br />
bezüglich der EU-Mitfinanzierung<br />
Vorbehalte. «Oft sind die Projekte aufgebläht<br />
und zudem mit starker administrativer<br />
Mehrbelastung verbunden.»<br />
Dr. Legler an Prof. Dransfeld gewandt:<br />
«Generell kooperieren wir sehr<br />
wohl mit Partnern aus dem EU-Umfeld,<br />
ich denke etwa an Holland und Spanien.<br />
Wir sind aber auch global orientiert:<br />
unter anderem arbeiten wir mit Japan<br />
zusammen.»<br />
Von links: Torsten Bogatzky, Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Regierungsrätin Monika Knill,<br />
Dr. Daniel Legler, Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann, Prof. Dr. Gunter Voigt<br />
51<br />
Unternehmerische akzente<br />
In der Plenumsdiskussion wurde die<br />
Anspruchshaltung in Richtung anwendungsorientierte<br />
Forschung bekräftigt.<br />
Die Podiumsmitwirkenden<br />
zeigten hierbei überzeugende Erfolgsbeispiele<br />
auf.<br />
Peter Maag, Direktor der Industrieund<br />
Handelskammer des Kt. Thurgau:<br />
«In unserem Kanton gibt es eine Arbeitsgemeinschaft<br />
von Wirtschaftsverbänden<br />
und kantonalen Behörden zur<br />
Förderung vonTechnologie und Innovation:<br />
das Technologieforum Thurgau.<br />
Jedes Jahr wird ein Technologietag<br />
durchgeführt. Dabei präsentieren<br />
Universitäten, Fachhochschulen und<br />
Institute ihre Kompetenzen, Dienstleistungen,<br />
Innovationen sowie Forschungsergebnisse.<br />
Die Nutzung der<br />
Synergien und komplementären Ressourcen<br />
führt derart zu einem signifikanten<br />
Standortvorteil, zum Imagegewinn<br />
und somit zur Erhöhung der<br />
Wettbewerbsfähigkeit.»<br />
Karin R. Unger skizzierte das erfolgreiche<br />
Alternativ-Bildungsmodell<br />
der DHBW Duale Hochschule Baden-<br />
Württemberg: «Dieses System stellt<br />
einen besonders unternehmensfreundlichen<br />
Ansatz dar, bietet es doch die<br />
Möglichkeit, das Studium – einhergehend<br />
mit kürzerer Studienzeit – im steten<br />
Verbund mit der praktischen Berufstätigkeit<br />
zu absolvieren.»<br />
Dr. h.c. Walter Reist: «Die Referenten<br />
zeigten in ihrer Haltung ein gros-ses<br />
Einvernehmen. Sind aber – gerade auch<br />
vor dem Hintergrund der jetzigen Wirtschaftskrise<br />
– nicht noch weitere Überlegungen<br />
angebracht, vertieft der Frage
folgend: ‹Forschung ja, aber wie, bzw.<br />
für wen und für was?› Nebst der sachlichen<br />
Richtung müsste dem menschlichen<br />
Aspekt stark erhöhte Bedeutung<br />
beigemessen werden. In den westlichen<br />
Industrienationen sind die Automatisierungsbedürfnisse<br />
aber soweit<br />
gedeckt, es kann nicht sein, dass noch<br />
mehr ‹durchroboterisiert› wird. Die<br />
Menschen müssen sich – über die Arbeit!<br />
– entfalten können, dies gilt in allen<br />
Wirtschaftssektoren. Die Forschung<br />
muss sich diese Sinnfrage mit zu eigen<br />
machen!»<br />
«<strong>Lilienberg</strong> Besonderheit»; Ausserordentliches<br />
Gespräch vom 24. Juni 2009<br />
«Der Kanton Thurgau und seine Konstanzer<br />
Hochschul-Institute aus unternehmerischer<br />
Perspektive» mit Regierungsrätin<br />
Monika Knill, Präsidentin des<br />
<strong>Stiftung</strong>srates der Thurgauischen <strong>Stiftung</strong><br />
für Wissenschaft und Forschung;<br />
Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Prorektor für<br />
Forschung und designierter Rektor der<br />
Universität Konstanz, Dr. Daniel Legler,<br />
Leiter des Biotechnologie-Institutes<br />
Thurgau an der Universität Konstanz,<br />
Prof. Dr. Gunter Voigt, Vizepräsident<br />
für Forschung der Hochschule für Technik,<br />
Wirtschaft und Gestaltung, Konstanz,<br />
Dipl.-Ing. Torsten Bogatzky, Leiter<br />
des Instituts für Werkstoffsystemtechnik<br />
Thurgau an der Hochschule für Technik,<br />
Wirtschaft und Gestaltung, Konstanz;<br />
Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist;<br />
Moderation: Ernst Mühlemann, Ex-Nationalrat<br />
G E S P r Ä C H<br />
Krisenmanagement<br />
statt Kulturbildung?<br />
Zum abschluss des Zyklus «Unternehmenskultur<br />
in schwierigen Zeiten»<br />
erlebten am 11. Juni 2009 die über<br />
20 teilnehmenden eine kernige Zusammenfassung<br />
dessen, was Unternehmenskultur<br />
auch in Krisenzeiten<br />
schafft: das attraktive Spannungsfeld<br />
zwischen der pointiert vom theologen<br />
und Unternehmensberater Winfried<br />
abele vermittelten theorie und der<br />
vom hiesigen erfahrenen Vorsitzenden<br />
der Geschäftsleitung der thurgauer<br />
Kantonalbank, dr. Hanspeter Herger,<br />
porträtierten Praxis bezüglich Vertrauensbildung,<br />
regte zum Vergleich mit<br />
dem eigenen unternehmerischen Wirken<br />
an.<br />
Von Stephan Illi<br />
s ist nicht gesagt, dass es besser<br />
«Ewird, wenn es anders wird, aber<br />
wenn es besser werden soll, muss es anders<br />
werden.» – Im theoretischen Block<br />
konzentrierte sich Winfried Abele vorerst<br />
auf die Entstehungsquellen von<br />
Kultur: Werte und Normen werden von<br />
Verhaltensweisen, Produkten, Gebräuchen<br />
und Gewohnheiten geprägt. Kultur<br />
geht deshalb alle im Unternehmen<br />
an. Eine gute Kultur orientiert sich am<br />
Zweck der Firma, somit an ihren Marktleistungen,<br />
insbesondere aber auch an<br />
ihrer Humanität, dem Lebensraum. Ehrlichkeit,<br />
Offenheit, Verantwortung, Integrität<br />
und Authentizität der Menschen<br />
sind dabei genauso wichtig wie ihre Ab-<br />
52<br />
Winfried Abele<br />
grenzungsfähigkeit, also ihre Fähigkeit,<br />
bewusst «nein» sagen zu können. Die<br />
wichtigste Aufgabe der Unternehmensführung<br />
dabei ist es, die firmenzweckorientierte,<br />
auf die Realität ausgerichtete<br />
Dialogbereitschaft zu fördern. Die<br />
gute Unternehmenskultur in Krisenzeiten<br />
stiftet Gemeinschaft im Unternehmen<br />
und vermittelt Zuversicht. Eine<br />
Dr. Hanspeter Herger
positive, ehrliche Sprache der Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter ist dabei ein<br />
wichtiger Indikator dafür, ob eine Firma<br />
eine gute Kultur hat oder ob es noch<br />
Verbesserungspotentiale gibt.<br />
die Finanzkrise ist eine Vertrauenskrise<br />
Die TKB Thurgauer Kantonalbank hat<br />
dies dank des enormen Kundenneugeldzuflusses<br />
selbst im positiven Sinne<br />
gespürt. Bei derTKB istVertrauen die Basis<br />
des Geschäftsmodells. Das deutsche<br />
Wort «Vertrauen» wird im Englischen<br />
differenzierter mit «trust» und «confidence»<br />
verdeutlicht. Von «trust» ist die<br />
Rede, wenn ein willentliches Abhängigkeitsverhältnis<br />
geschaffen wird, von<br />
Dietrich Pestalozzi (Mitte) im Gespräch mit den beiden Referenten<br />
G E S P r Ä C H<br />
«confidence», wenn der Glaube an zukünftige<br />
Ergebnisse auf Erfahrungen und<br />
Evidenz beruht. Damit eine Bank auch<br />
glaubwürdig erscheint, muss Vertrauen<br />
langfristig aufgebaut und kultiviert werden.<br />
Ist das Vertrauen einmal verspielt,<br />
kann dieses nur sehr schwierig wieder<br />
zurückgewonnen werden. Vertrauen ist<br />
die Basis jeder Geschäftsbeziehung.<br />
In Krisenzeiten setzt die TKB deshalb<br />
die Schwerpunkte auf die Einhaltung<br />
der hohen Qualitätsansprüche,<br />
auf zeitnahe und transparente Kommunikation,<br />
auf Kontinuität der Geschäfts-<br />
und Risikopolitik sowie auf<br />
nachhaltiges Engagement für Kultur,<br />
Sport und Gesellschaft.<br />
Die TKB misst das Vertrauen jeder<br />
Geschäftsbeziehung, diese insgesamt<br />
53<br />
wie folgt: Es werden regelmässig Befragungen<br />
bei Kunden, Mitarbeitenden sowie<br />
weiteren Anspruchsgruppen durchgeführt.<br />
Ein zentrales Instrument ist das<br />
Intranet-basierte Kundenreaktions-Managementsystem.<br />
Jede Kundenreaktion<br />
wird von einem Geschäftsleitungsmitglied<br />
beantwortet und ausgewertet.<br />
Als Ausweg aus der Vertrauenskrise<br />
stellt Dr. Hanspeter Herger den<br />
Menschen und die Führungspersonen<br />
in den Vordergrund. Sämtliche Führungspersonen<br />
benötigen ein hohes<br />
Mass an Integrität sowie Sensibilität<br />
und Professionalität.<br />
Als Quintessenz schälten die Teilnehmenden<br />
in Gruppenarbeiten folgende<br />
Erkenntnisse heraus:<br />
–Vertrauenskrisen entstehen dann,<br />
wenn Erwartungen nicht erfüllt werden.<br />
Deshalb wird Vertrauen immer<br />
von innen heraus zerstört.<br />
–Controllinginstrumente sind wichtig,<br />
dienen aber nur der Unterstützung.<br />
–Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.<br />
Zyklus «Unternehmenskultur in schwierigeren<br />
Zeiten»; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung und<br />
Ausserordentliches Gespräch vom<br />
11. Juni 2009 «Krisenmanagement<br />
statt Kulturbildung?» mit Winfried Abele,<br />
Verwaltungsrat, Global Management<br />
Consultants Network AG, Zug,<br />
Dr. Hanspeter Herger, Vorsitzender der<br />
Geschäftsleitung, Thurgauer Kantonalbank,<br />
Weinfelden; Moderation: Dietrich<br />
Pestalozzi – (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />
und -ethik)
die Wirkung der<br />
Unternehmenskultur verstärken<br />
Unternehmenskultur umfasst Normen,<br />
Werte, Haltungen sowie Meinungen,<br />
die das Verhalten der Menschen in der<br />
organisation prägen und umgekehrt.<br />
dies wird sichtbar in Gewohnheiten,<br />
Verhaltensweisen, Produkten und Gebräuchen.<br />
– «die Wirkung der Unternehmenskultur<br />
zu verstärken – ganz<br />
praktisch» ist thema des jetzigen Zyklus.<br />
anlässlich zweier Kolloquien befassten<br />
sich die teilnehmenden mit den<br />
themen «Mitarbeitermotivation» und<br />
«Qualität der Zusammenarbeit».<br />
Mitarbeitermotivation<br />
Kolloquium vom 10. September 2009<br />
Von Stephan Illi<br />
In 0,24 Sekunden gibt uns Google 54<br />
Mio. Hinweise zum Begriff Motivation!<br />
Ist das nun ein Zeichen, dass der<br />
Begriff «Motivation» Hochkonjunktur<br />
feiert oder eher, dass es sich um ein abgenutztes<br />
Schlagwort für alle Lebenssituationen<br />
handelt? Können wir überhaupt<br />
andere Menschen umfassend<br />
motivieren oder können wir lediglich<br />
fallweise Anreize geben, so dass andere<br />
sich selbst in Bewegung setzen?<br />
«Die Grundorientierung der Unternehmenskultur<br />
kann jeder Unternehmer<br />
selbst vornehmen» – so Moderator<br />
Dietrich Pestalozzi, der selbst ein<br />
erfolgreiches Unternehmen führt. Führung<br />
unterteilt sich in Strategie, Kul-<br />
G E S P r Ä C H<br />
tur und Struktur (Organisation). Diese<br />
ganzheitliche Betrachtung führt zum<br />
unternehmerischen Erfolg.<br />
Voraussetzungen zur Motivation<br />
–Leistungsbereitschaft, auch mittels<br />
Antrieb zur Zielerreichung<br />
–Anreize schaffen, damit die Motivation<br />
möglich ist<br />
–Eindeutige Verantwortlichkeiten gelten<br />
als Vorbedingung<br />
–Aufgaben und Ressourcen/Kompetenzen<br />
sind kongruent<br />
–Die beauftragten Personen sind der<br />
Aufgabe gewachsen<br />
–Die Infrastruktur ist ausreichend<br />
Fritz Bächi, seit 16 Jahren Leiter des<br />
IWAZ – Schweizerisches Wohn- und Arbeitszentrum<br />
für Mobilitätsbehinderte<br />
(mit über 300 Mitarbeitenden, die grösstenteils<br />
Bewohner des Zentrums sind) –<br />
nahm in seinem Impulsreferat Stellung<br />
zu den allgemeinen Motivationstheorien.<br />
Er ist der Meinung, dass ohne praktischen<br />
Hintergrund diese Theorien in der<br />
Praxis nicht genügend greifen. Genauso<br />
verhält es sich mit den Führungstheorien.<br />
Vergleichbar mit dem Beruf eines<br />
Schneiders muss eine gute Führungskraft<br />
täglich «Mass nehmen»: an den<br />
Bedürfnissen, Kenntnissen und Sorgen<br />
der Mitarbeitenden. Ungleiches wird oft<br />
gleich behandelt –dies ist der grösste<br />
Führungsfehler überhaupt!<br />
Unsere Einstellung beeinflusst unser<br />
54<br />
Fritz Bächi<br />
Verhalten – somit müssen wir zuerst<br />
an uns selber arbeiten und eine positive<br />
Einstellung aufbauen. In einem Gespräch<br />
sind das Zuhören («Zuelose» =<br />
Hinhören) und das Hinsehen wichtig.<br />
– Motivation und Leistung: Ziele müssen<br />
den Mitarbeitenden klar mitgeteilt<br />
werden, ebenso die Messfaktoren,<br />
welche dabei erläutert und verbindlich<br />
zu regeln sind (Information).<br />
Dabei ist die Situation der Mitarbeitenden<br />
und der Unternehmung zu<br />
beachten («Umwelten»).<br />
– Fähigkeit und Motivation: Führen<br />
heisst primär geben – die Führungskraft<br />
muss sein Team befähigen, die<br />
hohen Ziele zu erreichen. Es gibt<br />
nichts Erfolgreicheres als Erfolg. – Es<br />
stellt sich indessen die Grundsatzfrage:<br />
«Hat der Mitarbeiter sämtliche<br />
benötigten Fähigkeiten für seine Aufgaben<br />
(Beispiel: Ausbildungsstand im<br />
Bereich Projektmanagement)?»<br />
– Vorbild sein: Voraussetzungen hierzu<br />
sind Vertrauen in die Mitarbeitenden,<br />
Berechenbarkeit, Ehrlichkeit
und Offenheit, auch Anteilnahme<br />
durch persönliche und regelmässige<br />
Kommunikation. Sicherheit kann<br />
den Mitarbeitenden durch Anerkennung,<br />
Arbeitsplatzsicherheit, Authentizität<br />
(Wort und Verhalten – «walk<br />
the talk») gegeben werden. – Generell:<br />
Vertrauen gibt Sicherheit!<br />
Erkenntnisse aus den Gruppendiskussionen<br />
zur Frage: «Wie lässt sich eine leistungsfördernde<br />
Unternehmenskultur<br />
schaffen, die gleichzeitig eine hohe<br />
Mitarbeiterzufriedenheit erzeugt?<br />
–Offene Kommunikation (Zweiwegkommunikation,<br />
Positives und Negatives<br />
ansprechen, Unternehmensziele<br />
erörtern)<br />
–Gegenseitige Wertschätzung und<br />
Vertrauen<br />
–Antipathie und Sympathie (Für den<br />
Chef ist dies auschlaggebend, der<br />
Umgang damit ist eine Herausforderung.<br />
Eine Möglichkeit ist, die Antipathie<br />
mit dem/der Betroffenen direkt<br />
und offen, in einem gemeinsamen<br />
Gespräch, anzugehen.)<br />
–Verantwortung und Vertrauen (Vorleben,<br />
was man fordert!)<br />
–Anreize und Werthaltigkeit beachten,<br />
Anerkennung zeigen<br />
–Unternehmenskultur stets konsequent<br />
durchsetzen<br />
–Zufriedenheit ist ohne Leistungsorientierung<br />
nicht möglich (Unzufriedenheit<br />
ist auch ein Motivator, indessen<br />
nur kurzfristig und nicht nachhaltig;<br />
«Wenn Du unzufrieden bist, tu etwasdagegen!»)<br />
G E S P r Ä C H<br />
–Es bedarf intrinsischer und extrinsischer<br />
Motivatoren<br />
–Führungserfolg, auch durch emotionale<br />
Intelligenz (Abgrenzung zu<br />
privaten Problemen ist wichtig)<br />
–Lohn und Prämien sind bedeutend –<br />
Kultur reicht nicht<br />
–Visionen und Ziele sind entscheidend,<br />
insbesondere in schwierigen<br />
Zeiten<br />
–Zufriedenheit (Bin ich als Unternehmer/in<br />
zuständig, die Leute<br />
ständig zufriedenzustellen?)<br />
–Erfolg ist der grösste Motivator<br />
Qualität der Zusammenarbeit<br />
Kolloquium vom 3. November 2009<br />
Von Michel Grunder<br />
Tagtäglich arbeiten wir mit einzelnen<br />
Menschen zusammen: geschäftlich<br />
mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,<br />
Lieferanten, Kunden, Beamten, Banken,<br />
Geschäftspartnern, Kooperationspartnern<br />
und Investoren, privat innerhalb<br />
der Familien, mit Kindern, Lehrern<br />
und Behörden. Zu all diesen Menschen<br />
haben wir heute eine Beziehung, welche<br />
die Qualität der Zusammenarbeit<br />
massgebend beeinflusst.<br />
Wie strukturiert und organisiert man<br />
die Zusammenarbeit bei komplexen<br />
Projekten – intern und mit dem Kunden?<br />
Stephan Illi sieht den Erfolg im effizienten<br />
und standardisierten Schnittstellenmanagement.<br />
Das hängt aber<br />
massgeblich von der jeweiligen Unternehmenskultur,<br />
von der eigenen und<br />
55<br />
Stephan Illi<br />
von derjenigen der Kundenseite ab. Die<br />
Herausforderung liegt darin, die richtige<br />
Balance zwischen vorgegebener<br />
Struktur und Improvisations-Spielraum<br />
zu finden.<br />
Ein wichtiger Erfolgsfaktor liegt in der<br />
Kommunikation. Einerseits müssen alle<br />
Projektbeteiligten wissen, was zu tun<br />
ist. Das ist entscheidend für die Qualität<br />
der Zusammenarbeit. Andererseits<br />
ist die Motivation der Mitarbeitenden<br />
für den Projekterfolg mitentscheidend.<br />
Und Motivation erreicht man auch<br />
über Information. Deshalb muss der<br />
regelmässige Austausch institutionalisiert<br />
und dabei auch die Teambildung<br />
forciert werden. Mitarbeitende müssen<br />
sowohl die Projekte wie ihre individuellen<br />
Ziele kennen. Sie müssen Zugang<br />
zu den nötigen Informationen haben.<br />
Aufgabe der Projektleitung ist es, den<br />
transparenten Informationsfluss sicherzustellen<br />
und eine möglichst zentrale<br />
Dokumentation der Informationen zu<br />
gewährleisten.
Mit zehn Regeln bzw.Verhaltensweisen<br />
der Zusammenarbeit legte Stephan<br />
Illi den Teilnehmenden die Basis für die<br />
Gruppendiskussion:<br />
1. Erledige immer nur eine Aufgabe<br />
auf einmal!<br />
2. Kenne das Problem!<br />
3. Lerne zuzuhören!<br />
4. Lerne Fragen zu stellen!<br />
5. Unterscheide Sinnvolles vom Sinnlosen!<br />
6. Akzeptiere Veränderungen als<br />
etwas Unvermeidbares!<br />
7. Erlaube, Fehler zu machen!<br />
8. Verwende eine einfache Sprache!<br />
9. Sei ruhig!<br />
10. Lächle!<br />
Erkenntnisse aus<br />
der Gruppendiskussion<br />
zu den Fragen:<br />
–Welche Standards schaffen Sie zur<br />
operativen Koordination?<br />
–Welche Standards sind Ihnen bei der<br />
Strategie-Entwicklung wichtig?<br />
–Welche kulturellen und ethischen<br />
Standards sind Ihnen für Ihre Unternehmung<br />
zentral?<br />
Zusammenarbeit braucht «Spielregeln».<br />
Zu unterscheiden sind implizite<br />
und explizite Regeln. Letztere sollten<br />
in die individuellen Zielsetzungen der<br />
Mitarbeitenden einfliessen. Wie kann<br />
man jedoch die Einhaltung der Spielregeln<br />
sicherstellen? Hierbei differenziert<br />
die Gruppe zwischen KMU und Grosskonzernen.<br />
Wegen der grossen Loyalität,<br />
langjähriger Arbeitsbeziehungen<br />
und einer insgesamt grösseren Identifizierung<br />
mit dem Unternehmen stos-<br />
G E S P r Ä C H<br />
Zielgerichteter Diskurs…<br />
sen Spielregeln bei KMU tendenziell<br />
auf Akzeptanz. Bei Grosskonzernen ist<br />
die Einhaltung der Regeln schwieriger<br />
sicherzustellen.<br />
Um einfache Tätigkeiten effizienter<br />
auszurichten, muss die operative Koordination<br />
standardisiert werden. Wichtig<br />
ist, den Mitarbeitenden Sinn durch<br />
Einblick in die übergeordneten Zusammenhänge<br />
zu vermitteln. – Standards<br />
müssen kontrolliert werden!<br />
Für den gegenseitigen Umgang hebt<br />
die Gruppe Folgendes hervor:<br />
–Verantwortlichkeiten klar<br />
definieren!<br />
–Kundenbedürfnisse und -beanstandungen<br />
ernst nehmen!<br />
–Standardisiertes und strukturiertes<br />
Arbeiten effektiver und kosteneffizienter<br />
gestalten!<br />
56<br />
Zyklus «Die Wirkung der Unternehmenskultur<br />
verstärken – ganz praktisch»;<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom 10.<br />
September 2009 «Durch motivierte<br />
Mitarbeitende die Produktivität steigern<br />
– ganz praktisch» mit Fritz Bächi, Geschäftsführer<br />
IWAZ, Schweizerisches<br />
Wohn- und Arbeitszentrum für Mobilitätsbehinderte,<br />
Wetzikon; <strong>Lilienberg</strong>-<br />
Kolloquium vom 3. November 2009<br />
«Die Qualität der Zusammenarbeit verbessern<br />
– ganz praktisch» mit Stephan<br />
Illi, Mitglied des Verwaltungsrates Consulta<br />
AG, Rüti; Moderation: Dietrich<br />
Pestalozzi – (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />
& -ethik)
Macht Finanzethik Sinn?<br />
«als ethischhandelnder Banker sind Sie<br />
dem Schutz der Privatsphäre verpflichtet»,<br />
sagt der Vorgesetzte Zimmermann<br />
(Müller) seinem Mitarbeiter (Giacobbo)<br />
und schickt ihn mit einem Koffer unbekannten<br />
inhalts auf die Cayman islands.<br />
Mit dieser überspitzten darstellung des<br />
Polit-Satire-duos eröffnete reto Siegrist,<br />
leiter PrivatBanking Markt Schweiz der<br />
ZKB Zürcher Kantonalbank sein impulsreferat<br />
anlässlich des Kolloquiums vom<br />
2. dezember 2009.<br />
Von Michel Grunder<br />
Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen<br />
anonym auftretende Personen mit<br />
Aktenkoffern voller Bargeld – zweifelhafter<br />
Herkunft – über den Paradeplatz<br />
marschierten, um deren Inhalt ganz diskret<br />
– und nebenbei unversteuert – bei<br />
einer Schweizer Bank zu deponieren.<br />
Relevant ist das Thema nach wie vor,<br />
und der Schweizer Finanzplatz steht<br />
nicht zuletzt deshalb international in<br />
der Kritik.<br />
Die ZKB hat zum Thema unversteuertes<br />
Geld eine sehr dezidierte, und<br />
im Branchen-Benchmark nach wie vor<br />
atypische Haltung. Als eine der wenigen<br />
Schweizer Banken lehnt sie unversteuertes<br />
Geld konsequent ab. Wie lässt<br />
sich dieses ethisch korrekte Verhalten<br />
in einer Bank durchsetzen und hat Finanzethik<br />
im Streben nach Wachstum<br />
überhaupt einen Platz?<br />
Zunächst steht ein Banker im dauerhaften<br />
Spannungsfeld zwischen in-<br />
Reto Siegrist<br />
G E S P r Ä C H<br />
dividuellen Zielvorgaben – beispielsweise<br />
eine bestimmte Summe Neugeld<br />
zu akquirieren –und persönlichen, firmenspezifischen<br />
und gesellschaftlichen<br />
Werten. Dieser Konflikt kann durch Gefälligkeiten,<br />
Gunstwerbung usw. akzentuiert<br />
werden. Um dieses Spannungsfeld<br />
mit Fokus auf die Ethik zu überwinden,<br />
Weitervermitteln der eigenen Erfahrungen: zum Vergleich<br />
57<br />
braucht es Integrität, die kontinuierliche<br />
ethische Vorbildfunktion des Top-Managements<br />
und eine regelmässige Reflektion<br />
des eigenen Handelns. Bei der<br />
ZKB gehört es zum Standard, ausländische<br />
Kunden zu fragen, ob das vorgelegte<br />
Geld versteuert sei. Im Zweifelsfall<br />
werden Gelder abgelehnt. «Wenn diese<br />
Signale von ganz oben kommen, setzt<br />
sich das ethische Bewusstsein sukzessive<br />
über die gesamte Organisation hinweg<br />
durch», sagte Reto Siegrist.<br />
Es ist wichtig, ethischBrisantes immer<br />
wieder zu thematisieren, Schwachstellen<br />
offen zu legen und über den langfristigen<br />
Nutzen verschiedener Praktiken<br />
zu sprechen. Denn langfristig zahlt sich<br />
in der Regel moralkonformes Handeln<br />
aus. Das Fehlverhalten eines einzelnen<br />
Akteurs kann die gesamte Organisation,<br />
sogar die ganz Branche schädigen.<br />
Die Reputation des Finanzplatzes<br />
Schweiz hat in letzter Zeit substanziell<br />
gelitten, beispielsweise aufgrund der
Boni-Diskussion, der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
oder der offensichtlichen<br />
Verwaltung von steuerfreiem Geld.<br />
Diese turbulente Phase hat aber auch<br />
Positives bewirkt. Erstens entstand eine<br />
breit geführte Ethikdiskussion, zweitens<br />
wendet man sich wieder dem eigentlichen<br />
Zweck des Bankgeheimnisses zu<br />
– nämlich die Privatsphäre und nicht<br />
unethisches Verhalten zu schützen –<br />
und drittens gewinnen Qualitäten wie<br />
Beratung, Betreuung und Dienstleistung<br />
bei den Banken wieder Oberhand.<br />
Im Rahmen der Gruppendiskussion<br />
wurdeprimärdieFragediskutiert,welche<br />
ethischen Attribute bei einem Geschäftspartner<br />
wichtig seien. Im Vordergrund<br />
standen «Vertrauen», «Offenheit», «Berechenbarkeit»<br />
und die «Bereitschaft,<br />
sich Zeit für meine Anliegen zu nehmen»,<br />
aber auch der beidseitige Wille,<br />
die jeweils individuellen Massstäbe und<br />
Werte immer wieder kritisch zuüberprüfen.<br />
Im Sinne eines gesellschaftskritischen<br />
Exkurses wurde thematisiert, dass<br />
insbesondere Führungskräften dies aus<br />
Zeitgründen häufig gar nicht möglichist.<br />
Ethik wird dadurch noch kostbarer, beinahe<br />
zum Luxusgut. DieTeilnehmenden<br />
waren sich aber einig, dass Zeitknappheit<br />
nicht als Ausrede herangezogen<br />
werden darf, um ethisches Denken und<br />
Handeln aussen vorzulassen.<br />
Zyklus «Sinn und Ethik im Unternehmertum»;<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom<br />
2. Dezember 2009 «Macht Finanzethik<br />
Sinn?» mit Reto Siegrist, Leiter Private<br />
Banking Markt Schweiz, Zürcher Kantonalbank,<br />
Zürich; Moderation: Michel<br />
Grunder – (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />
&-ethik)<br />
G E S P r Ä C H<br />
Vielfalt in der Wirtschaft fördern:<br />
Unternehmerin und Unternehmer als tandem<br />
Einblicke in die Geschäftsberichte<br />
der grossen Unternehmungen in der<br />
Schweiz zeigen, dass geschäftsleitende<br />
Funktionen – aber auch Verwaltungsratsmandate<br />
– sehr spärlich<br />
von Frauen besetzt sind. Namhafte<br />
Firmen haben sich zum Ziel gesetzt,<br />
den Frauenanteil im Kaderbereich zu<br />
erhöhen.<br />
Von Dr. Max Becker<br />
Es bleibt festzuhalten, dass die<br />
Gesamt-Erwerbsquote der Frauen<br />
in der Schweiz (rund 75%) weit<br />
über dem europäischen Mittel (rund<br />
55%) liegt. Die Schweiz gilt, zusammen<br />
mit Skandinavien, als «Teilzeit-<br />
Vorzeigeland». Im Gegensatz dazu:<br />
wenn man die Nationalratssitze als<br />
Politkader bezeichnet, so darf festgestellt<br />
werden, dass immerhin rund<br />
30% der Nationalratssitze von Frauen<br />
eingenommen werden – Tendenz in<br />
den letzten Jahren steigend. Im ähnlichen<br />
Rahmen dürften sich die Zahlen<br />
bei den kantonalen und kommunalen<br />
Exekutiven und Legislativen bewegen.<br />
Wirtschaft für die Männer –<br />
Politik für die Frauen?<br />
Die Teilnehmenden am Kolloquium<br />
vom 27. August 2009 (mit 90% Frauenanteil!)<br />
haben versucht, den Gründen<br />
für diese unterschiedliche Ent-<br />
58<br />
wicklung nachzugehen. Lanciert von<br />
zwei gehaltvollen Input-Referaten von<br />
Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller<br />
(Kt.TG),Vizepräsidentin der CVP-Fraktion<br />
derBundesversammlung, und von<br />
Corinne Hobi, Unternehmerin und<br />
früheres Mitglied der Geschäftsleitung<br />
Electrolux Schweiz, wurden in der<br />
Diskussion verschiedene Faktoren herausgearbeitet:<br />
Zeit und Geld<br />
Fast alle Politiker(-innen)-Laufbahnen<br />
beginnen auf Gemeinde-Ebene. Die<br />
Traktanden der Parlamente und Exekutiven,<br />
aber auch der Fachkommissionen<br />
in den Gemeinden betreffen Fragen<br />
des täglichen Lebens, mit denen<br />
viele Frauen, auch junge Mütter konfrontiert<br />
sind: Ausbildung und Erziehung,<br />
Integrations- und Sozialfragen,<br />
ökologische Themen usw. Sitzungen<br />
finden oft an Randstunden und Abenden<br />
statt, wasesbesser ermöglicht, die<br />
Kinderbetreuung zu organisieren.<br />
Im Gegenzug dazu erfordern Führungspositionen<br />
in der Wirtschaft eine<br />
zeitliche Präsenz –oft auch mit Reisen<br />
verbunden –welche Frauen auch bei<br />
guter «Familien-Organisation» nicht<br />
erbringen können. Ein Parlamentsmandat<br />
z.B. ist hingegen zeitlich in<br />
aller Regel besser zu bewältigen. Derartige<br />
Funktionen entsprechen auch<br />
dem Wunsch vieler Frauen, sich in<br />
den Dienst des Gemeinwohls zu stel-
len und materiellen Fragen eine tiefere<br />
Priorität beizumessen.<br />
Quoten und Macht<br />
Über vielen Diskussionen in den Medien<br />
und in der Politik kreist die Frage<br />
der Quoten: Sind gesetzliche Regelungen<br />
(wie z.B. in Norwegen, wo 35% der<br />
Verwaltungsratssitze von börsenkotierten<br />
Firmen per Gesetz von Frauen eingenommen<br />
werden müssen) die Lösung?<br />
Haben wir in der Schweiz nicht<br />
schon ein genügend dichtes – wenn<br />
nicht zu dichtes – Regel- und Gesetzeswerk?<br />
Würden zeitlich befristete Quotenregelungen<br />
– im Sinne einer «Anschub-Unterstützung»<br />
– die Situation<br />
nachhaltig ändern?<br />
Einigkeit herrschte darüber,dass der<br />
Druckbei Führungspositionen in grossen,<br />
zumal international dominierten<br />
und deshalb oft anonymen Unternehmungen<br />
ausgeprägt ist und dass Männer<br />
eher die Tendenz haben, diesem<br />
Druck standhalten zu wollen –öfter<br />
als Frauen «bis zum bitteren Ende» (allerdings<br />
mit den oft belastenden Konsequenzen).<br />
So wurden in der Diskussion<br />
u.a. «Abgangsentschädigungen»<br />
als typisch männliches Phänomen<br />
beurteilt. Besser scheinen die Voraussetzungen<br />
in kleineren und mittleren<br />
Unternehmungen zu sein: Flexibilität<br />
in Arbeitszeitfragen und weniger ausgeprägte<br />
Reisetätigkeit begünstigen<br />
die Verbindung von Familie und Beruf<br />
für Frauen. Ausserdem gewährleistet<br />
die Nähe von KMU-Unternehmungsspitzen<br />
und Kadern das vermehrteVerständnis<br />
für individuelle Lösungen.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Werte vermitteln – Werte leben:<br />
Unternehmende in der Verantwortung<br />
Das Gerüst allen Handelns basiert auf<br />
Normen, die durch Familien und Freunde,<br />
Erziehung und Gesellschaft geprägt<br />
sind: die Werte. Wenn eine Unternehmung<br />
Mitarbeitende anstellt, stellt sie<br />
auch «Werthaltungen» an, die natürlich<br />
ihrerseits durch die unternehmerische<br />
Umgebung geprägt und weiterentwickelt<br />
werden. Werthaltungen werden<br />
sowohl ausgestrahlt als auch aufgenommen.<br />
Wenn sich fortschrittliche<br />
Unternehmungen entschliessen, Mitarbeitenden<br />
die Gelegenheit zu geben,<br />
ihre Kinder in gute Obhut zu geben, tun<br />
sie das nicht, weil sie ihre Werte multiplizieren<br />
wollen. Dass dabei auch<br />
Werte vermittelt werden, steht ausser<br />
Zweifel.<br />
Jeannette Good, Leiterin der Kinderkrippen<br />
von ABB (Schweiz), berichtete<br />
anlässlich des Kolloquiums vom 28.<br />
September 2009 aus ihrem Alltag: In 11<br />
Krippen werden täglich mehrere Hundert<br />
Kinder gehütet –Alter von «0» bis<br />
zur Schulpflicht. Alle Kinder sind durch<br />
ihre Herkunft geprägt, rund die Hälfte<br />
der Kinder haben ausländische Wurzeln:<br />
diese zu respektieren, ist ein Grundwert<br />
der Krippen. Die Herkunft wird nicht<br />
«gewertet», vielmehr bildet sie das Fundament<br />
zum Erfahren des Anderen.<br />
Gleichzeitig lernen die Kinder, sich in<br />
einer Gemeinschaft zu bewegen, Regeln<br />
zu respektieren und ausserhalb der<br />
Familie auch «fremden» Werten zu begegnen<br />
und Grenzen zu erfahren. Eine<br />
Krippe kann kein Familienersatz sein, sie<br />
ermöglicht aber oft beiden Elternteilen,<br />
ihre berufliche Tätigkeit weiterzuführen.<br />
59<br />
Die zweite Referentin, Antoinette<br />
Hunziker-Ebneter, hatte in ihrer bisherigen<br />
beruflichen Laufbahn Gelegenheit,<br />
Werthaltungen in einer Umgebung<br />
zu erleben, die stark materiell geprägt<br />
war: Als Chefin der Schweizer Börse<br />
und Mitglied des Top-Managements bei<br />
schweizerischen und ausländischen<br />
Banken hat sie erfahren, wie Werte zerfallen,<br />
wenn sie durch Kurzfristigkeit<br />
getrieben sind.Verlässlichkeit und Blick<br />
für das Ganze kamen in dieser Umgebung<br />
zu kurz und Antoinette Hunziker<br />
hat sich entschlossen, mit Partnern die<br />
«Forma Futura Invest AG» zu gründen,<br />
eine Unternehmung die als Geschäftsmodell<br />
zum Ziel hat, Investitionen ausschliesslich<br />
für nachhaltig geführte und<br />
hohen ethischen Werten verpflichteten<br />
Unternehmungen, zu tätigen. Werte<br />
werden auch in der Führung vermittelt,<br />
was sich u.a. darin äussert, dass Mitarbeitenden<br />
keine Boni ausbezahlt werden,<br />
sondern Fixsaläre. Auch der Kunde<br />
muss die Werte von Forma Futura Invest<br />
teilen und leistet so seinen Beitrag, dass<br />
das Geld im Finanzsystem in die richtigen<br />
Bereiche fliesst. So gelingt es, den<br />
Bogen zwischen der Welt der Finanzen<br />
und den Werten der Nachhaltigkeit zu<br />
spannen.<br />
In der Diskussion nach den beiden<br />
engagiert vorgetragenen «Inputs» kam<br />
zum Ausdruck, dass in einer Zeit, in der<br />
25% der Jugendlichen direkt oder indirekt<br />
von Sozialhilfeleistungen leben,<br />
die Vermittlung und Einhaltung von<br />
Werten zentral sind. Sie bilden die Voraussetzung<br />
dafür, sich in der Welt des<br />
Überkonsums zurechtzufinden. Wir<br />
alle streben nach Sicherheit und Geborgenheit,<br />
Leitplanken erleichtern das
tägliche Leben und die Orientierung –<br />
aber ebenso gehören Mut zum Risiko,<br />
Respekt vor Anderem, Bescheidenheit<br />
und Neugierde am Unbekannten dazu.<br />
«Werte» helfen, diesen «Gap» zu überwinden<br />
und sich in der Unsicherheit<br />
zurechtzufinden.<br />
Unternehmerinnen im aufwind –<br />
wie Frauen Mehrwert schaffen<br />
Anlässlich der Tagung und dem anschliessenden<br />
Ausserordentlichen Gespräch<br />
vom 9. Dezember 2009 fand<br />
der Zyklus «Vielfalt in der Wirtschaft<br />
fördern: Unternehmerin und Unternehmer<br />
als Tandem» seinen Abschluss.<br />
Thomas Daum<br />
Zu Beginn zeichneteThomas Daum,<br />
Direktor des Schweizerischen Arbeitgeber-Verbandes,<br />
das Bild der Arbeit-<br />
Geberin aus seiner Sicht («die Arbeit-<br />
Geberin –gleich und doch anders»):<br />
Er kam zum Schluss, dass sich das<br />
weibliche Unternehmertum stark auf<br />
G E S P r Ä C H<br />
den KMU-Bereich fokussiere –ander<br />
Spitze börsenkotierter Gesellschaften<br />
sei es untervertreten. Ein Blick auf die<br />
Situation bei KMU-Unternehmungsnachfolgen<br />
zeige, dass 2005 7% der<br />
familieninternen Übergaben an eine<br />
Tochter erfolgten, vier Jahre später waren<br />
es bereits 14%. Für Thomas Daum<br />
ist es charakteristisch, dass Frauen<br />
«Laufbahnen auf Umwegen» durchlaufen,<br />
eine hohe Bereitschaft zum Unkonventionellen<br />
aufweisen und dass<br />
für sie Beziehungen wichtiger sind als<br />
Strukturen bei der Führung. Er ortet<br />
bei Frauen einen sorgfältig(er)en Umgang<br />
mit Risiken und ein hohes Mass<br />
an integriertem Denken über berufliche<br />
Grenzen hinaus. Den Finanzcrash<br />
bezeichnet Thomas Daum als «ziemlich<br />
männliches Phänomen» und er<br />
stellt die hypothetische Frage, was geschehen<br />
wäre, wenn an der Spitze der<br />
grossen Finanzinstitutionen Frauen anstelle<br />
von Männern gestanden hätten<br />
(«wer weiss, vielleicht hätte es dann<br />
keinen crash gegeben...»).<br />
Ursula Fraefel, Chefredaktorin der<br />
«Thurgauer Zeitung», kam in ihrem<br />
Referat zum Schluss, dass Frauen<br />
nachhaltiger und ganzheitlicher denken,<br />
«aber sie sind nicht die besseren<br />
Menschen». Ihrer Ansicht nach gehen<br />
Frauen auch zu wenig taktisch vor.<br />
Sie schalten auch Konkurrenten –ungleich<br />
vieler Männer –imGerangel<br />
um Spitzenpositionen nicht instinktiv<br />
aus. Dafür seien Frauen pragmatischer,<br />
haben ein sicheres Gespür für<br />
Machbares und können gut antizipieren.<br />
Ihren Kolleginnen in Führungspositionen<br />
(und Anwärterinnen darauf)<br />
60<br />
Ursula Fraefel<br />
möchte Ursula Fraefel mit auf den<br />
Weg geben, dass Frauen als Chefinnen<br />
nicht geliebt werden, aber dass<br />
sie trotzdem –oder erst recht –gebraucht<br />
würden.<br />
Anschliessend zeichneten mit Iris<br />
Coray und Catherine André zwei Unternehmerinnen<br />
das Bild der Frau, die<br />
– wie oben erwähnt – auch «Umwege<br />
gegangen sind». Iris Coray ist Co-Leiterin<br />
von L&S design und technics, einem<br />
Unternehmen in Sommeri TG, mit einer<br />
stark technisch ausgerichteten Domäne<br />
(Metallbau-Produkte, Komponenten-<br />
und Systemfertigung).<br />
Catherine André hat sich nach einer<br />
erfolgreichen beruflichen Laufbahn<br />
– welche sie u.a. nach China führte –<br />
entschlossen, auf «Glamour der grossen<br />
Unternehmungen (rote Teppiche<br />
usw.) zu verzichten und mit ihrer Firma<br />
«Creatif GmbH» Führungskräfte<br />
zu coachen und Prozesse des Wandels<br />
und der Krisen in Unternehmungen<br />
professionell zu begleiten. Beide Refe-
Von links: Dr. Max Becker, Iris Coray, Catherine André, Anton Bucher<br />
rentinnen unterlegten ihre Referate mit<br />
eindrücklichen Beispielen aus der gelebten<br />
unternehmerischen Praxis.<br />
Im abschliessenden Ausserordentlichen<br />
Gespräch zeichnete Julia Onken<br />
das Bild der selbstbewussten Frau<br />
nach, welche – auch sie auf Umwegen!<br />
– heute Frauen unterstützt, in der Welt<br />
der Wirtschaft (aber nicht nur dort) Tritt<br />
zu fassen, die geschriebenen und ungeschriebenen<br />
Gesetze (und Mausefallen)<br />
zu erkennen und ihre spezifischen<br />
Stärken zum Tragen zu bringen. Julia<br />
Onken – ausgebildete Psychologin und<br />
aktiv als Buchautorin – ist es gelungen,<br />
mit dem «Frauenseminar Bodensee»<br />
in Romanshorn eine Ausbildungs-Institution<br />
zu gründen, welche weit über<br />
die Region hinaus Anerkennung findet<br />
und den Teilnehmerinnen an den Seminaren<br />
sowohl «technisches» als auch<br />
Persönlichkeits-Rüstzeug auf ihren Weg<br />
gibt. Jede, auch eine kritische Lebenssituation<br />
kann gemeistert werden und<br />
Julia Onken<br />
G E S P r Ä C H<br />
61<br />
Lebensgeschichten lehren, bzw. man<br />
lernt, einen eigenen Weg zu gehen und<br />
immer wieder darauf hinzuwirken, dass<br />
Frauen – mit ihrer ausgeprägten Fähigkeit<br />
zu «intuitiv richtigem» Handeln –<br />
Erfolge haben können.<br />
Zyklus «Vielfalt in der Wirtschaft fördern:<br />
Unternehmerin und Unternehmer<br />
als Tandem»; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />
vom 27. August 2009 «Wirtschaft für<br />
die Männer – Politik für die Frauen?» mit<br />
Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller,<br />
Vizepräsidentin der CVP-Bundeshausfraktion,<br />
Bichelsee, und Corinne Hobi,<br />
Inhaberin dialogue GmbH, Zürich; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />
vom 28. September<br />
2009 «Werte vermitteln – Werte leben:<br />
Unternehmende in der Verantwortung»<br />
mit Jeannette Good, Leiterin ABB Kinderkrippen,<br />
ABB (Schweiz), Baden, und<br />
Antoinette Hunziker, CEO Forma Futura<br />
Invest AG, Zürich; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung<br />
und Ausserordentliches Gespräch vom<br />
9. Dezember 2009 «Unternehmerinnen<br />
im Aufwind – wie Frauen Mehrwert<br />
schaffen» mit Thomas Daum, Direktor<br />
Schweizerischer Arbeitgeberverband,<br />
Zürich, Ursula Fraefel, Chefredaktorin<br />
«Thurgauer Zeitung», Frauenfeld, Iris<br />
Coray, Teilhaberin und Verwaltungsrätin<br />
L+S AG Design und Technics, Sommeri,<br />
Catherine André, Inhaberin Creatif<br />
GmbH, Brugg, Julia Onken, dipl.<br />
Psychologin, Autorin, Gründerin und<br />
Leiterin Frauenseminar Bodensee, Romanshorn;<br />
Moderation: Dr. Max Becker<br />
und Anton Bucher – (Aktionsfeld Wirtschaft<br />
& Industrie)
Es ist unbestritten, dass die Schweiz<br />
eine vielfältige Medienkritik braucht,<br />
um die Qualität der Medien und damit<br />
den Prozess der demokratischen<br />
Entscheidungsfindung sicherzustellen.<br />
Viele medienkritische organisationen<br />
kämpfen jedoch mit knappen ressourcen.<br />
Einige wollen deshalb verstärkt<br />
zusammenarbeiten, ohne dabei ihre<br />
inhaltliche Eigenständigkeit zu verlieren.<br />
durch die Bündelung der Kräfte<br />
in einer koordinierenden organisation<br />
wollen sie dazu beitragen, dass medienkritischen<br />
themen in der Gesellschaft<br />
und in den Medien selbst wieder<br />
eine höhere Bedeutung zukommt. im<br />
Zentrum steht die Gründung des «Vereins<br />
Medienkritik Schweiz», dessen<br />
Konzept 2009 im aktionsfeld Medien<br />
& Kommunikation auf dem lilienberg<br />
erarbeitet wurde.<br />
Von Dr. Barbara Meili<br />
aufbruch zu einer kompetenten<br />
Medienkritik<br />
Mit der Tagung unter dem Motto «Aufbruch<br />
zu einer kompetenten Medienkritik»<br />
und dem anschliessenden Ausserordentlichen<br />
Gespräch vom 17.<br />
November 2009 fand der Veranstaltungszyklus<br />
«Bündelung der Kräfte für<br />
eine nachhaltige Medienkritik in der<br />
Schweiz» seinen Abschluss. Vertreter<br />
medienkritischer Organisationen ha-<br />
G E S P r Ä C H<br />
Bündelung der Kräfte<br />
für eine nachhaltige Medienkritik in der Schweiz<br />
ben im Jahr 2009 gemeinsam mit Experten<br />
aus der Wissenschaft und der Medienbranche<br />
eine koordinierende Organisation<br />
der Medienkritik konzipiert.<br />
Die Arbeitsgruppe hat sich auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />
unter der Leitung von Werner<br />
Schwarzwälder und Dr. Barbara Meili,<br />
Aktionsfeld Medien & Kommunikation,<br />
in vier Kolloquien den folgenden Fragen<br />
gewidmet:<br />
■ Was ist zu tun, damit die vielfältigen<br />
medienkritischen Aktivitäten in der<br />
Schweiz ihre Wirkung verstärken und<br />
einen Beitrag zur Qualitätssicherung<br />
der Medien leisten können?<br />
62<br />
■ Welches sind die geeigneten Strukturen<br />
und Prozesse, Finanzierungs- und<br />
Trägerschaftsmodelle, um der komplexen<br />
Aufgabe gerecht zu werden?<br />
Zu diesen Fragen präsentierte die Arbeitsgruppe<br />
an der Tagung ihre Lösungsansätze.<br />
Im Zentrum stand die<br />
Gründung des «Vereins Medienkritik<br />
Schweiz». Der Gründungsvorstand unter<br />
dem Präsidium von Gottlieb F. Höpli<br />
präsentierte den Verein erstmals dem<br />
Publikum und liess ihn von weiteren<br />
Experten, aber auch von Medienkonsumenten<br />
kritisch beurteilen.<br />
Prof. Dr. Gabriele Siegert, Leiterin<br />
des Instituts für Publizistikwissenschaft<br />
und Medienforschung der Universität<br />
Zürich, zeigte in ihrem Impulsreferat<br />
«Notwendigkeit und Unmöglichkeit<br />
von Medienkritik» auf, was die Beson-<br />
Von links: Dr. Barbara Meili, Dr. Philip Kübler, Dr. Andreas Jäggi, Werner Schwarzwälder,<br />
Dr. Daniel Glasl, Ulrich Kündig
derheit von Medien aus wissenschaftlicher<br />
Sicht ausmacht. Die Medien beobachten<br />
und beschreiben die Gesellschaft,<br />
indem sie Themen überhaupt<br />
erst mit Publizität ausstatten. Dadurch<br />
werden sie zu einem entscheidenden<br />
Faktor gesellschaftlicher Entwicklung.<br />
Die Konsumenten sind aber nur begrenzt<br />
in der Lage, die Leistungen der<br />
Medien vorab zu beurteilen. «Medien<br />
sind Güter, deren Qualität zum Teil erst<br />
nach der Nutzung und zum Teil überhaupt<br />
nur bedingt oder nicht beurteilt<br />
werden kann, sie sind Erfahrungs- oder<br />
Vertrauensgüter.» Gleichzeitig hat die<br />
Gesellschaft an die Medien hohe Erwartungen,<br />
vor allem an ihre Kritikund<br />
Kontrollfunktion. Nicht umsonst<br />
werden die Medien oft als vierte Gewalt<br />
oder als «watchdog» bezeichnet. Wer<br />
aber kontrolliert, ob sie ihre Funktion<br />
wahrnehmen?<br />
All dies verlangt nach einer Medienkritik<br />
durch externe, unabhängige Instanzen,<br />
die nicht Teil des Mediensystems<br />
sein dürfen. Eine Organisation wie<br />
der Verein Medienkritik Schweiz, die<br />
diese Kräfte bündeln will, ist nach Prof.<br />
Dr. Gabriele Siegert mit zwei spezifischen<br />
Herausforderungen konfrontiert.<br />
Erstens steht sie im Wettbewerb um<br />
Aufmerksamkeit beim Publikum, darf<br />
aber die in den Medien bewährten Mittel,<br />
um diese Aufmerksamkeit zu erzielen,<br />
nicht einsetzen, wie zum Beispiel<br />
die Skandalisierung. Zweitens braucht<br />
eine solche Organisation Geld. Um ihre<br />
Unabhängigkeit zu wahren, darf sie jedoch<br />
bei der Mittelbeschaffung nicht<br />
die nächstliegenden Quellen nutzen,<br />
das heisst, sich nicht von Medienhäusern<br />
finanzieren lassen.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Von links: Dr. Philip Kübler, Prof. Dr. Vinzenz Wyss, Dr. Barbara Meili, Guido Keel,<br />
Werner Schwarzwälder<br />
Gottlieb F. Höpli, der frühere Chefredaktor<br />
des «St. Galler Tagblatts»<br />
und designierter Präsident des Vereins<br />
Medienkritik Schweiz, beleuchtete das<br />
Thema Medienkritik zuerst aus seiner<br />
langjährigen Erfahrung im Journalismus.<br />
In seinem Referat «Wider das<br />
Schwinden der Kräfte in der Medienkritik»<br />
führte er aus, warum es heute<br />
in der Schweiz weniger Medienkritik<br />
gibt als noch in den neunziger Jahren.<br />
Durch die grosse Zahl von Medien, die<br />
tendenziell mit immer knapperen Personalressourcen<br />
arbeiten, ist immer<br />
weniger Kapazität für die gegenseitige<br />
Wahrnehmung vorhanden. Die Bedeutung<br />
der Zeitungen geht zurück, das<br />
politische Profil der einzelnen Produkte<br />
wird flacher. Die vielen laufenden «Relaunches»<br />
zeigen das grosse Bestreben<br />
der Verlage, die Zeitungen dem aktuellen<br />
Geschmack anzupassen, also –<br />
ähnlich den Autoherstellern – eine Art<br />
63<br />
Modellpflege zu betreiben. In den Medienhäusern<br />
herrscht zudem auf allen<br />
Stufen eine lähmende Angst, sich gegenseitig<br />
zu kritisieren, denn der Markt<br />
ist eng, und die Akteure sind einander<br />
auf mannigfache Weise ausgesetzt. Medienkritik<br />
durch die Medien selbst wird<br />
damit zu einer «aussterbenden Art».<br />
Der Verein Medienkritik Schweiz will<br />
die externen medienkritischen Organisationen<br />
in ihrer ganzen Vielfalt fördern<br />
und damit einen Beitrag zur Qualität<br />
der Medien leisten. Als Träger des Vereins<br />
sieht Gottlieb F. Höpli drei Akteure:<br />
medienkritische Organisationen, die<br />
Wissenschaft sowie die Medienhäuser<br />
und die Medienjournalisten. Seines Erachtens<br />
haben diese drei Akteure bisher<br />
kaum miteinander kommuniziert. So<br />
sieht er denn auch die Hauptaufgaben<br />
desVereins darin, den medienkritischen<br />
Diskurs zu stärken, eine gemeinsame<br />
Plattform für diesen Diskurs zu bieten
und selber eine «Wachhund-Funktion»<br />
zu erfüllen. Mit einem eigenen Index,<br />
der die medienkritischen Aktivitäten in<br />
der Schweiz misst und bewertet, und<br />
einem jährlichen Symposium soll die<br />
Arbeit des Vereins in der Branche und<br />
beim Publikum breit bekannt und nutzbar<br />
gemacht werden.<br />
Diesen Index sieht Dr.Vinzenz Wyss,<br />
Professor für Journalistik an der Zürcher<br />
Hochschule für Angewandte Wissenschaften,<br />
als gemeinsame Referenz für<br />
die Akteure der Medienkritik. Gerade<br />
weil sie unterschiedliche politische<br />
Ausrichtungen haben, braucht es eine<br />
koordinierte unabhängige Instanz, die<br />
auf die öffentliche Aufgabe der Medien<br />
hinweist. In seinem Referat «Strukturanalyse<br />
‹Index Medienkritik›: Ziele und<br />
Operationalisierungen» zeigte er eine<br />
Palette von Fragestellungen, zu denen<br />
ein solcher Index Informationen erheben<br />
kann: Wer sind die Akteure der Me-<br />
G E S P r Ä C H<br />
dienkritik? Von welcher Herkunft sind<br />
sie? Auf welcher Ebene arbeiten sie,<br />
und mit welchen Zielen und Aktivitäten?<br />
Der Index soll eine beschreibende,<br />
analysierende und erklärende Funktion<br />
haben und insbesondere auch gelungene<br />
Beispiele für ein funktionierendes<br />
Mediensystem zeigen. Was der Index<br />
leisten kann, wird nicht zuletzt von<br />
den verfügbaren Ressourcen abhängen.<br />
Prof. Dr. Vinzenz Wyss sieht für dieses<br />
Vorhaben ideale Möglichkeiten von Kooperationen<br />
unter verschiedenen Forschungsinstitutionen.<br />
Erste reaktionen medienkritischer<br />
organisationen<br />
In der <strong>Lilienberg</strong>-Arbeitsgruppe zum<br />
Thema Medienkritik waren von Beginn<br />
weg verschiedene medienkritische<br />
Organisationen vertreten, so<br />
Von links: Prof. Dr. Gabriele Siegert, Prof. Dr. Vinzenz Wyss, Dr. Philip Kübler,<br />
Gottlieb F. Höpli<br />
64<br />
der Schweizer Presserat, Arbus-Vereinigung<br />
für kritische Mediennutzung,<br />
die <strong>Stiftung</strong> Wahrheit in den<br />
Medien, die Aktion Medienfreiheit<br />
sowie ehemalige Mitglieder der Zürcher<br />
Studiengruppe für Medienfragen.<br />
An der Tagung zeigte Dr. Philip<br />
Kübler, Rechtsanwalt und Mitglied<br />
des Schweizer Presserats, in seinem<br />
Referat «Die Stärkung der Medienkritik<br />
aus der Sicht der bestehenden<br />
Institutionen», welche Möglichkeiten<br />
der Presserat hat, aber auch woseine<br />
Grenzen sind. Während der Presserat<br />
sich mit konkreten Fällen zu befassen<br />
hat, soll der Verein Medienkritik<br />
Schweiz die Qualität auf einer Metaebene<br />
fördern und über den Einzelfall<br />
hinaus Erkenntniswert schaffen.<br />
Doris Gerber-Weeber, Vorstandsmitglied<br />
von Arbus, ist überzeugt, dass<br />
durch den neuen Verein die Stimme<br />
der Medienkritik insgesamt wieder<br />
lauter wird. Entscheidend ist für sie,<br />
dass die Aktivitäten mit dem wissenschaftlichen<br />
Instrument des geplanten<br />
Index ergänzt werden. Hermann<br />
Suter, Präsident der <strong>Stiftung</strong> Wahrheit<br />
in den Medien, begrüsste die Initiative<br />
wärmstens. Ihm liegt viel daran, dass<br />
Medienkritik nicht einfach auf wunde<br />
Punkte im System hinweist, sondern<br />
Medienschaffende in ihrer wichtigen<br />
Aufgabe unterstützt und sie gegen ungerechtfertigten<br />
Tadel verteidigt. Der<br />
Vorstand der Aktion Medienfreiheit,<br />
in der Arbeitsgruppe vertreten durch<br />
Martin Baltisser, wird ebenfalls über<br />
einen Beitritt zum Verein Medienkritik<br />
Schweiz diskutieren. Seiner besonderen<br />
Genugtuung über das erreichte<br />
Ziel der Gründung des Vereins gab
auch Prof. em. Christian Doelker Ausdruck.<br />
Er hatte dem <strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong><br />
das Thema Medienkritik<br />
in Fortführung der Tätigkeit der früheren<br />
Zürcher Studiengruppe für Medienfragen<br />
vorgeschlagen und die Arbeitsgruppe<br />
stets fachwissenschaftlich<br />
begleitet.<br />
interesse bei verschiedenen<br />
anspruchsgruppen<br />
Wo kann, wo soll der Verein Medienkritik<br />
Schweiz konkret ansetzen?<br />
Inwiefern nehmen die Medien ihre<br />
Funktion, die öffentliche Diskussion<br />
wichtiger Themen zu unterstützen,<br />
in angemessener Weise wahr, wo<br />
herrscht Handlungsbedarf? Zu diesen<br />
Fragen nahmen Exponenten von Politik,<br />
Wirtschaft und Wissenschaft in<br />
einem Podiumsgespräch Stellung. Mit<br />
Moderator Werner Schwarzwälder<br />
und Gottlieb F. Höpli diskutierten Nationalrat<br />
Markus Hutter,Vizepräsident<br />
G E S P r Ä C H<br />
Von links: Gottlieb F. Höpli, Nationalrat Markus Hutter, Werner Schwarzwälder, Rolf Probala, Dr. Urs Rellstab<br />
der FDP Schweiz, der Kommunikations-<br />
und Medienberater Rolf Probala,<br />
vormals Kommunikationschef der ETH<br />
Zürich, und Urs Rellstab, Stv. Direktor<br />
und Leiter Kommunikation bei Economiesuisse.<br />
Zyklus «Bündelung der Kräfte für<br />
eine nachhaltige Medienkritik in der<br />
Schweiz; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom<br />
17. Juni 2009 «Juristische und organisatorische<br />
Vorbereitungen zu einer<br />
koordinierenden Organisation der<br />
Medienkritik» mit Dr. Daniel Glasl,<br />
Bratschi Wiederkehr &Buob, Zürich,<br />
Dr. Philip Kübler, Rechtsanwalt, Mitglied<br />
Schweizer Presserat, Zürich,<br />
Dr. Andreas Jäggi, Kommunikationsberater,<br />
Zürich, Ulrich Kündig, polycom,<br />
Bern; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom<br />
21. September 2009 «Konzeptionelle<br />
Gestaltung und wissenschaftliche<br />
Verankerung einer koordinierenden<br />
Organisation» mit Dr. Philip Kübler,<br />
Rechtsanwalt, Mitglied Schweizer Presserat,<br />
Zürich, Prof. Dr. Vinzenz Wyss,<br />
65<br />
Professor für Journalistik, und Guido<br />
Keel, Dozent und Projektleiter, Institut<br />
für Angewandte Medienwissenschaft<br />
ZHAW, Winterthur; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung<br />
und Ausserordentliches Gespräch vom<br />
17. November 2009 «Aufbruch zu<br />
einer kompetenten Medienkritik» mit<br />
Prof. Dr. Gabriele Siegert, IPMZ, Institut<br />
für Publizistikwissenschaft und<br />
Medienforschung, Universität Zürich,<br />
Gottlieb F. Höpli, Publizist, Ex-Chefredaktor<br />
«St. Galler Tagblatt», Teufen, Dr.<br />
Philip Kübler, Rechtsanwalt, Mitglied<br />
Schweizer Presserat, Zürich, Prof. Dr.<br />
Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik,<br />
ZHAW Zürcher Hochschule für<br />
Angewandte Wissenschaften, Markus<br />
Hutter, Vizepräsident FDP, Nationalrat,<br />
Winterthur, Rolf Probala, Kommunikations-<br />
und Medienberater, ehem.<br />
Kommunikationschef ETH Zürich, Dr.<br />
Urs Rellstab, Stv. Direktor und Leiter<br />
Kommunikation, Economiesuisse, Zürich;<br />
Moderation: Werner Schwarzwälder<br />
–Aktionsfeld Medien &Kommunikation
Führung in armee<br />
und Wirtschaft<br />
Generalstabsoffiziere sind wesentliche<br />
Stützen jeder armee. lang und anspruchsvoll<br />
ist ihre ausbildung. ohne<br />
qualifizierte Generalstabsoffiziere als<br />
engste Berater der Kommandanten<br />
und Mitarbeitenden in den Stäben der<br />
grossen Verbünde kann man sich keine<br />
armee moderner ausprägung denken.<br />
Eine überwältigende Mehrheit<br />
von Kennern ist überzeugt, dass unser<br />
Milizsystem auch heute noch richtig<br />
und zukunftsfähig ist. der anteil an<br />
Miliz-Generalstabsoffizieren muss somit<br />
angemessen sein, leider ist er stark<br />
rückläufig.<br />
VonDr. Martin vonOrelli, Divisionär aD<br />
Seit Juni 2009 haben vier Unternehmerische<br />
Gespräche stattgefunden.<br />
Zu Worte kamen Verantwortungsträger<br />
aus Wirtschaft und Verwaltung, die<br />
nebst ihrer beruflichen Karriere auch<br />
die Generalstabsausbildung absolviert<br />
haben:<br />
–Riet Cadonau, CEO, Ascom, Bern<br />
–Dr. Martin Christoph Batzer,<br />
Novartis Pharma AG, Basel<br />
–Christian Haltner, Head Formalities<br />
& Investigation Competence Centre,<br />
Credit Suisse, Zürich<br />
–Andreas Münch, Migros-Genossenschafts-Bund,<br />
Mitglied der Generaldirektion,<br />
Zürich<br />
Eine Offizierslaufbahn ist aus Sicht aller<br />
Referenten eine ausgezeichnete Führungsschulung<br />
und für die berufliche<br />
G E S P r Ä C H<br />
Von links: Riet Cadonau, Dr. Martin von<br />
Orelli, Divisionär aD<br />
Entwicklung nützlich. Der junge Offizier<br />
übernimmt frühVerantwortung und<br />
gewinnt praktische Führungserfahrung,<br />
beides weit früher als in der Wirtschaft<br />
möglich und üblich.<br />
Die Ausgangslage verändert sich<br />
stark, wenn man an die Generalstabsausbildung<br />
denkt. Wichtige Weichenstellungen<br />
im zivilen Beruf erfolgen<br />
zwischen 30 und 35 Jahren: u.a. bieten<br />
sich Optionen eines Auslandaufenthaltes<br />
und hochkarätige Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />
Die Generalstabsausbildung<br />
steht heute in Konkurrenz zu<br />
diesen zivilen Ausbildungsangeboten.<br />
In multinationalen Firmen könnte eine<br />
Generalstabsausbildung immer problematischer<br />
werden. In jedem Fall stellen<br />
sich Fragen nach Aufwand und Ertrag<br />
bzw. Nutzen für den Einzelnen sowie<br />
für die Firma.<br />
Für alle waren überzeugende Persönlichkeiten<br />
unter ihren damaligen<br />
Vorgesetzten eines der entscheiden-<br />
66<br />
den Kriterien für die Bereitschaft zur<br />
Weiterausbildung zum Generalstabsoffizier.<br />
Merkpunkte<br />
Folgende Punkte stehen für die Referenten<br />
im Vordergrund:<br />
–Umgang mit dem Faktor Zeit (Erkennen,<br />
dass die Qualität einer Arbeit<br />
im Verbund mit der Funktion in der<br />
Zeit steht)<br />
–Einhalten eines bestimmten Führungsrhythmus<br />
–Systematische Problemanalyse<br />
–Auftrag in den Gesamtrahmen stellen<br />
(minimale Anforderung versus<br />
maximale Lösung, auf höherer Stufe<br />
denken)<br />
–Die Frage «de quoi s’agit-il?» konsequent<br />
beantworten. (Gelingt dies,<br />
dann ist das Problem – so Dr. Martin<br />
Christoph Batzer – bereits zu 95%<br />
gelöst!)<br />
Was zivile Managementkurse in der<br />
regel nicht anbieten, sind folgende<br />
Elemente:<br />
–Einsicht, dass die Lagebeurteilung<br />
ein ständiger Prozess ist<br />
–Zwang in der Generalstabsausbildung<br />
mehrere Varianten zur Lösung<br />
einer Problemstellung vorzuschlagen<br />
–Arbeit unter Zeitdruck mit dem<br />
Zwang, in jedem Fall etwas Brauchbares<br />
abzuliefern<br />
–In den Generalstabskursen dürfen<br />
Fehler gemacht werden, ohne dass<br />
damit der Stab über eine Person gebrochen<br />
wird (das gibt es in dieser<br />
Form in der Wirtschaft kaum)
Dr. Martin Christoph Batzer<br />
Schwachpunkte in der Generalstabsoffiziersausbildung<br />
–Kaum angesprochene Art und Weise<br />
der Zielerreichung, d.h. welche<br />
Werte einzuhalten sind oder welche<br />
Nachhaltigkeit erzielt werden soll<br />
–Militärische Kommandanten befinden<br />
sich stets im Brennpunkt, treten<br />
auf als einsame Entscheidträger, was<br />
heute in flagrantem Widerspruch zur<br />
zivilen Realität in der Wirtschaft steht<br />
–Der Funktion des Coaches, der sein<br />
Team zum Erfolg führt und der seine<br />
Unterstellten bestens kennt, wird<br />
kaum Beachtung geschenkt<br />
–Der Chef soll sich über den eigenen<br />
Verband hinaus vernetzen, um so<br />
sein Team selber zusammenstellen<br />
zu können<br />
–Der Umgang mit dem Faktum des<br />
Informationsüberflusses, d.h. Fragen<br />
rund um das Reporting, bleibt ausgeklammert<br />
–Uniformität ist nach wie vor vorherrschend;<br />
die unbestreitbaren Stärken<br />
der Diversität werden kaum thematisiert<br />
G E S P r Ä C H<br />
Christian Haltner unterstrich die Tatsache,<br />
dass insbesondere in international<br />
ausgerichteten Konzernen eher<br />
Skepsis gegenüber jenen Kadern besteht,<br />
die parallel zu ihrer beruflichen<br />
Stellung noch Militärdienst leisten. Die<br />
Finanzkrise hat aber unmissverständlich<br />
gezeigt, dass in schwierigen Situationen<br />
vornehmlich jene Kader, die<br />
mehr als eine minimale Militärdienstleistung<br />
erbracht haben, bereit sind,<br />
eine zusätzliche und ausserordentliche<br />
Leistung zugunsten des Ganzen zu erbringen.<br />
Und wenn sie Generalstabsoffiziere<br />
sind, stehen sie plötzlich sehr<br />
viel mehr imVordergrund als in der normalen<br />
Lage.<br />
Die jeweiligen Diskussionen, die<br />
sehr engagiert geführt worden sind,<br />
haben sich stark um den Begriff «Eliteschule»<br />
gedreht. Handelt es sich bei der<br />
Generalstabsausbildung um eine rein<br />
militärische Eliteausbildung oder auch<br />
um eine in der zivilen Welt anerkannte<br />
Eliteausbildung? Die Ansichten gingen<br />
stark auseinander:<br />
Dr. Martin Chr. Batzer äusserte sich<br />
unmissverständlich. Gemäss ihm müsse<br />
67<br />
Andreas Münch<br />
Von links: Dr. Martin von Orelli, Christian Haltner, Willy Jucker<br />
ein klarer Weg eingeschlagen werden:<br />
Zu glauben, die Armee könne sowohl<br />
eine zivile als auchmilitärische Eliteausbildung<br />
anbieten, sei eine Illusion. Sagt<br />
die Armee klar, dass die Generalstabsausbildung<br />
eine hoch stehende militärische<br />
Ausbildung für Führungsgehilfen<br />
der oberen taktischen und operativen<br />
Stufe anbietet, dann ist das ein starkes<br />
Zeichen. Das kann dazu führen, dass<br />
die Wirtschaft die militärische Generalstabsausbildung<br />
als sehr nützliches<br />
Pendant zu den entsprechendenzivilenAusbildungsangeboten<br />
anerkennt.<br />
Andreas Münch<br />
legte den Akzent<br />
etwas anders, betonte<br />
aber die Bedeutung<br />
der Klarheit<br />
des «Unternehmens»<br />
Armee.<br />
Es gehe darum,
nach aussen zu vermitteln, welche<br />
Qualität die im AAL Ausbildungszentrum<br />
der Armee in Luzern vermittelte<br />
Ausbildung beinhalte. Die Ausrichtung<br />
dieser Ausbildung sowie die Führung<br />
auf der Stufe Armee müsse klar(er) vermittelt<br />
werden.<br />
Voraussetzungen, dass sich die besten<br />
Militärkader zur Verfügung stellen<br />
Zu den Voraussetzungen zählen –<br />
dies unterstreichen alle Referenten,<br />
insbesondere Riet Cadonau – folgende<br />
Elemente:<br />
–Ein glaubwürdiger Auftrag der<br />
Armee<br />
–Genügend (finanzielle) Mittel für die<br />
Armee<br />
–Das Produkt «Generalstabsausbildung»<br />
muss stimmen<br />
–Für die Absolventen der Generalstabskurse<br />
müssen klare militärische<br />
Perspektiven bestehen<br />
Zyklus «Generalstabsoffiziere – heute<br />
und morgen»; Unternehmerische Gespräche<br />
vom 3. Juni 2009 mit Riet<br />
Cadonau, CEO Ascom, Bern; vom<br />
4. September 2009 mit Dr. Martin<br />
Christoph Batzer, Novartis Pharma AG,<br />
Basel; vom 7. Oktober 2009 mit Christian<br />
Haltner, Head Formalities & Investigation<br />
Competence Centre, Credit<br />
Suisse, Zürich; vom 10. November<br />
2009 mit Andreas Münch, Mitglied der<br />
Generaldirektion MGB, Migros Genossenschafts-Bund,<br />
Zürich; Moderation;<br />
Dr. Martin von Orelli, Divisionär aD –<br />
(Aktionsfeld Sicherheit & Armee)<br />
G E S P r Ä C H<br />
Generalstabsoffiziere–<br />
heute und morgen<br />
Unsere Milizarmee ist immer wieder<br />
thema engagierter diskussionen.<br />
Vielfach geht es um Strukturen, um<br />
die dauer von dienstleistungen, um<br />
rüstungsmaterialbeschaffungen usw.<br />
So gerechtfertigt diese themen auch<br />
sein mögen, unsere armee steht und<br />
fällt mit einem quantitativ genügenden<br />
und qualitativ hoch stehenden<br />
Kader. innerhalb des Kaders spielen<br />
die Gst of Generalstabsoffiziere eine<br />
besondere rolle, und trotzdem sind<br />
Funktion und Stellenwert vielfachunbekannt.<br />
ausgedehnte ausbildungszeiten<br />
und häufige Militärdienstleistungen<br />
–übers Jahr betrachtet –bringen<br />
es mit sich, dass der Nachwuchs<br />
an Gst of nicht immer einfach sicherzustellen<br />
ist. die Privatindustrie<br />
kann vom umfassenden Wissen und<br />
Können sowie der denkweise eines<br />
ausgebildeten Gst of profitieren.<br />
Von Dr. Martin von Orelli,<br />
Divisionär aD<br />
Während den letzten Jahren hat<br />
der Prozentsatz an eigentlichen Miliz-Generalstabsoffizieren<br />
drastisch<br />
abgenommen. In den Kolloquien<br />
der aus Miliz-Generalstabsoffizieren<br />
zusammengesetzten Arbeitsgruppe<br />
ging es darum, der Frage<br />
nachzugehen, welches die möglichen<br />
Gründe für diesen Rückzug<br />
sind und was dagegen unternommen<br />
werden müsste.<br />
68<br />
Von links: Martin Wohlfender,<br />
Dr. Martin von Orelli, Div aD<br />
Die Arbeitsgruppe stellte u.a. fest,<br />
dass vielfach dem Druck aus dem Umfeld<br />
(Beruf, Partner,Familie, Politik usw.)<br />
ein ungebührlich hoher Stellenwert eingeräumt<br />
wird. Diesen Faktoren ist ohne<br />
Zweifel die notwendige Beachtung zu<br />
schenken, denn sie beeinflussen den<br />
Leistungswillen, aber sie können nicht<br />
allein ausschlaggebend sein. Die Überzeugung<br />
und das Selbstbewusstsein,<br />
über die notwendigen Fähigkeiten zu<br />
verfügen oder das Erlebnis, die Möglichkeit<br />
zur erfolgreichen Leistungserbringung<br />
zu haben, sind entscheidender.Die<br />
Realität ist jedochsehr widersprüchlich:<br />
Welches ist die konkrete, positive Sinnvermittlung<br />
durch die Politik, wie gross<br />
ist das eigentliche staatliche Interesse an
den Leistungen der militärischen Kader<br />
(abgesehen von Lippenbekenntnissen),<br />
welches ist die konkrete Leistungseinforderung<br />
der Armee durch ihre Chefs, welches<br />
sind die konkreten Informationsdefizite<br />
zahlreicher Arbeitgeber betreffend<br />
Fähigkeiten der Generalstabsoffiziere?<br />
Diese und weitere Fragen standen offen<br />
zur Erörterung.<br />
Je mehr man sich mit der Fragestellung<br />
auseinandersetzt, umso komplexer<br />
erscheint sie und umso weniger<br />
sind «Schwarz-Weiss-Lösungsansätze»<br />
möglich.<br />
Eine konkrete Fragestellung besteht<br />
u.a. darin, inwiefern eine Generalstabsausbildung<br />
z.B. ein MBA ersetzen könne.<br />
Im Massstab 1:1 wohl kaum. Allzu<br />
verschieden sind die Zielsetzungen.<br />
Welches ist aber der konkrete Mehr-<br />
Verdeutlichung der eigenen Standpunkte…<br />
G E S P r Ä C H<br />
wert der Generalstabsausbildung für<br />
das Zivile? Besteht ein direktes Konkurrenzverhältnis<br />
zwischen dem Absolvieren<br />
der Generalstabskurse und dem Erwerb<br />
eines MBA? Ohne Zweifel bringt<br />
ein Gst Of Kenntnisse und Erfahrungen<br />
mit, die dem Besitzer eines MBA nicht<br />
geläufig sind. Das liegt in der Natur der<br />
Sache. Aber kennen die Unternehmer<br />
und damit die Arbeitgeber die wesentlichen<br />
charakteristischen Merkmale<br />
der Generalstabsausbildung und deren<br />
Mehrwert? Was kann ein ziviler Arbeitgeber<br />
von einem Gst Of erwarten, der<br />
sich um eine Stelle bewirbt? Es kann<br />
und darf nicht sein, dass sich im zivilen<br />
Arbeitsumfeld das Bild der Gst Of vornehmlich<br />
darauf beschränkt, in Abwesenheiten<br />
vom Arbeitsplatz gemessen<br />
zu werden.<br />
69<br />
Es gilt, in einer Gesamtanalyse den<br />
Versuch einer Darstellung der Wirkungszusammenhänge<br />
und der kritischen<br />
Erfolgsfaktoren zu unternehmen.<br />
Welches sind mögliche Erfolgsfaktoren<br />
auf die Miliz im Korps der<br />
Gst Of, welches sind die wichtigsten<br />
wenig beeinflussbaren Erfolgsfaktoren<br />
und welches sind die kritischen<br />
beeinflussbaren Erfolgsfaktoren?<br />
Zyklus «Generalstabsoffiziere –heute<br />
und morgen»; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />
vom 3.September 2009 «Erwartungen<br />
seitens der zivilen Arbeitgeber<br />
–Kernbotschaften für die verschiedenen<br />
Anspruchsgruppen» mit<br />
Martin Wohlfender,Novartis Pharma<br />
AG,Basel, und Sanjay Singh, Sanitas<br />
Krankenversicherung, Zürich; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />
vom23. November<br />
2009 «Welches sind die für den Status<br />
der Generalstabsoffiziere massgebendenWirkungszusammenhänge<br />
und welche Lösungsansätze ergeben<br />
sich daraus?» mit Bruno Basler,<br />
Präsident des Verwaltungsrates, Ernst<br />
Basler &Partner AG, Zollikon; Moderation:<br />
Dr. Martin von Orelli, Divisionär<br />
aD –(Aktionsfeld Sicherheit<br />
&Armee)<br />
Die Arbeitsgruppe hat die Absicht,<br />
am Schluss des Zyklus 2009/10<br />
eine Publikation mit den wesentlichen<br />
Erkenntnissen zu veröffentlichen.<br />
Dieses Projekt wird gemeinsam<br />
mit einer Arbeitsgruppe der<br />
GGstOf Gesellschaft der Generalstabsoffiziere<br />
vorangetrieben.
arbeit im Behördenteam –<br />
information und Kommunikation<br />
die arbeit im Behördenteam ist anspruchsvoll<br />
und anforderungsreich.<br />
Für Milizbehörden gilt dies ganz besonders.<br />
diese werden von den Stimmbürgerinnen<br />
und -bürgern gewählt<br />
– trotz unterschiedlicher Herkunft,<br />
ausbildung und Persönlichkeiten muss<br />
sich ein Behördenteam in kurzer Zeit<br />
zusammenfinden, um gemeinsam die<br />
vielfältigen aufgaben lösen zu können.<br />
Ziel des anlasses vom 15. September<br />
2009 war, aufzuzeigen, wie teambildungs-<br />
und Entscheidungsprozesse erfolgreich<br />
gestaltet werden können und<br />
wie mit einer guten informationspolitik<br />
das interesse der Bürgerinnen und<br />
Bürger geweckt werden kann.<br />
Von Jörg Kündig<br />
arbeit im Behördenteam<br />
Die Impulsreferate wurden von Brigadier<br />
Hans-Peter Wüthrich, ehemaliger<br />
Gemeindepräsident Ermatingen, sowie<br />
von Walter Bachofen, Gemeindepräsident<br />
Hinwil, gehalten. Brigadier Wüthrich<br />
setzte sich schwergewichtig mit<br />
den Grundsätzen der Teamarbeit und<br />
dem ausgewiesenen Bedürfnis für Ausbildung<br />
und Coaching, insbesondere<br />
bei den Führungseckpunkten Entscheidfindung,<br />
Entscheidung und Controlling<br />
auseinander. Er sieht bei der Behördentätigkeit<br />
den Chef klar im Zentrum.<br />
Walter Bachofen beleuchtete die zuneh-<br />
G E S P r Ä C H<br />
mende Verlagerung der früheren Behördenaufgaben<br />
an den Kanton oder an die<br />
Verwaltung. Dabei steht das Bestreben<br />
im Vordergrund, die Behörden von operativenund<br />
repetitivenAufgaben zu entlasten,<br />
so dass sie sich auf strategische<br />
Fragen konzentrieren können.<br />
Erkenntnisse aus der<br />
Plenumsdiskussion<br />
–Der Chef spielt eine gewichtige Rolle.<br />
Er ist zu stärken, aber auch zuunterstützen.<br />
Um dies zu erreichen, sollte<br />
die Pflicht zur Ausbildung in Bezug<br />
auf Coaching und Führen in das<br />
70<br />
Pflichtenheft des Präsidenten aufgenommen<br />
werden. Hierzu müssen auf<br />
Gemeindeebene die nötigen finanziellen<br />
Mittel für die Ausbildung der Behördenmitglieder<br />
eingeplant werden<br />
–Im Idealfall sollte der Chef sein Team<br />
zusammenstellen können<br />
–«Teammanagement» ist auch auf Stufe<br />
Gemeindebehörden unabdingbar<br />
Dr. Elmar Ledergerber, ehemaliger<br />
Stadtpräsident von Zürich, hob folgende<br />
Beurteilungen hervor:<br />
–Ein Primus inter pares, wie es ihn auf<br />
Bundesebene und Kantonsebene gibt<br />
(dies bei wechselndem Präsidium) ist<br />
nicht mehr zeitgemäss<br />
–Amtszeiten von vier Jahren führen<br />
dazu, dass jeweils zuviel Zeit und<br />
Energie mit dem Wahlkampf verpufft<br />
wird<br />
Von links: Hans-Peter Hulliger, Walter Bachofen, Jörg Kündig, Dr. Elmar Ledergerber,<br />
Brigadier Hans-Peter Wüthrich
–Kommunikation muss sowohl nach<br />
innen wie auch nach aussen gerichtet<br />
sein<br />
–Im Rahmen der Teamarbeit müssen<br />
Lob und Anerkennung auch kommunikativ<br />
Platz haben<br />
–Jedes Teammitglied muss grundsätzlich<br />
seine eigenen «Auftrittsmöglichkeiten»<br />
erhalten<br />
–Eine offensive Kommunikation ist zu<br />
bevorzugen. Behörden, Städte, Organisationen<br />
usw. müssen «ein Gesicht»<br />
haben: das ist in der Regel der<br />
Chef, der Präsident<br />
Weiteres Vorgehen<br />
Die Thematik «Arbeit im Behördenteam»<br />
soll anlässlich einer Tagung<br />
weiter bearbeitet werden. Dabei<br />
soll das Schwergewicht auf die<br />
Ausarbeitung von Massnahmen zur<br />
Behebung von Mängeln und zur<br />
Steigerung der Attraktivität einer<br />
Mitarbeit in Behördenämtern gelegt<br />
werden.<br />
Zyklus Politikverdrossenheit, Stimmabstinenz,<br />
Milizbeteiligung –Wie weiter<br />
mit der Konkordanzdemokratie?»;<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium vom 15. Septem-ber<br />
2009 «Arbeit im Behördenteam<br />
–Information und Kommunikation»<br />
mit Brigadier Hans-Peter Wüthrich,<br />
ehem. Gemeindepräsident Ermatingen,<br />
Walter Bachofen, Gemeindepräsident<br />
Hinwil sowie Dr. Elmar Ledergerber,<br />
ehem. Stadtpräsident vonZürich; Moderation:<br />
Jörg Kündig und Hans-Peter Hulliger<br />
–(Aktionsfeld Politik &Gesellschaft)<br />
G E S P r Ä C H<br />
Wissensplatz Schweiz<br />
Bildung ist ein zentraler Wert unserer<br />
Gesellschaft. der gesellschaftliche<br />
Wandel und die Globalisierung zwingen<br />
uns, permanent neue antworten<br />
und Perspektiven zu entwickeln. Gerade<br />
in schwierigen Zeiten sind Unternehmer<br />
auf geeignete, gut ausgebildete<br />
Mitarbeitende und Kader angewiesen.<br />
die Neugestaltung und Finanzierung<br />
der Schweizerischen Hochschullandschaft<br />
war thema des Kolloquiums<br />
vom 24. august 2009. Mit einer tagung<br />
und dem anschliessenden ausserordentlichen<br />
Gespräch am 2. November<br />
2009 fand der Zyklus «Wissensplatz<br />
Schweiz: Stellen wir die richtigen Weichen?»<br />
seinen abschluss.<br />
Von Georg Leumann<br />
Neugestaltung und Finanzierung der<br />
Schweizerischen Hochschullandschaft<br />
Einleitend wies Nationalrätin Brigitte<br />
Häberli-Koller auf die Komplexität des<br />
neu zu schaffenden Hochschulfördergesetzes<br />
hin. Die Neugestaltung der<br />
schweizerischen Hochschullandschaft<br />
dürfte mehr Zeit beanspruchen als ursprünglich<br />
geplant war.<br />
das Hochschulfördergesetz ist ein<br />
Koordinationsgesetz<br />
71<br />
angenommen. Ständerat Dr. Hermann<br />
Bürgi, Präsident der Kommission Wissenschaft,<br />
Bildung und Kultur, betonte<br />
in seinem Referat, dass damit die verfassungsrechtliche<br />
Ausgangslage zur<br />
Schaffung des neuen Gesetzes gegeben<br />
war. Der Bund hat zusammen mit den<br />
Kantonen einen wettbewerbsfähigen<br />
und koordinierten schweizerischen<br />
Hochschulbetrieb mit hoher Qualität<br />
zu schaffen. Für die Universitäten und<br />
Fachhochschulen gibt es zukünftig nur<br />
noch ein Gesetz. Die Bereiche Akkreditierung<br />
und Titelschutz gelten auch<br />
für die Pädagogischen Hochschulen.<br />
Sonst sind sie aber nicht im Einflussbereich<br />
des Bundes. Mit der Schweizerischen<br />
Hochschulkonferenz, der<br />
Rektorenkonferenz und dem Akkreditierungsrat<br />
werden drei Organe geschaffen,<br />
welche die Koordination zu<br />
gewährleisten haben.<br />
2006 hatte das Stimmvolk die Änderung<br />
der Bildungsartikel in der Bundesverfassung<br />
mit 85,6% Ja-Stimmen Ständerat Dr. Hermann Bürgi
das Hochschulgesetz ist ein<br />
Finanzierungsgesetz<br />
Es gelten einheitliche Finanzierungsgrundsätze<br />
für Universitäten und Fachhochschulen.<br />
Eckwerte zur Finanzierung<br />
der Hochschulen sind die Referenzkosten<br />
für die Studierenden. Diese<br />
Kosten sind sehr verschieden. In Zukunft<br />
sind zu hohe Kosten durch den<br />
Träger zu finanzieren. Wie weit sich<br />
diese Vorgabe mit der Exzellenzförderung<br />
verträgt, ist noch zu klären.<br />
Qualität im Zentrum<br />
In der Diskussion befürworteten Vertreter<br />
der Fachhochschulen und der<br />
Pädagogischen Hochschulen das Ge-<br />
G E S P r Ä C H<br />
setz grundsätzlich. Bedenken wurden<br />
im Bereich der Autonomie, insbesondere<br />
bei möglichen partiellen<br />
Eingriffen geäussert. Die Förderung<br />
der Qualität ist im Gesetz stärker zu<br />
gewichten und zu konkretisieren.<br />
Die Grundbeiträge an die Hochschulen<br />
sind in Zukunft leistungsorientiert<br />
zu vergeben. Damit könnte die weltweite<br />
Konkurrenzfähigkeit der Hochschullandschaft<br />
Schweiz wesentllich<br />
gestärkt werden.<br />
Ständerat Dr. Bürgi beurteilt die<br />
vorliegende Fassung des Gesetzes als<br />
taugliche Diskussionsgrundlage. Fragen,<br />
die das Gesetz zu regeln hat, können<br />
mit dieser Vorlage diskutiert und<br />
beraten werden. Korrekturen sind in<br />
verschiedenen Bereichen noch anzubringen.<br />
Von links: Jacques Desgraz, Nationalrätin Brigitte Häberli-Koller, Roger Simmen,<br />
Mark Aegler, Prof. Dr. Sebastian Wörwag, Georg Leumann<br />
72<br />
Welche Erwartungen hat die<br />
Wirtschaft von absolventinnen<br />
und absolventen von Berufslehren<br />
und Hochschulen?<br />
■ Begeisterung für den Beruf<br />
An der Tagung berichteten Roger Simmen,<br />
Leiter Human Resources, Stadler<br />
AG Bussnang, Prof. Dr. Sebastian<br />
Wörwag, Rektor FHS Fachhochschule<br />
St. Gallen, Mark Aegler CEO,<br />
BINA Bischofszell, und Jacques Desgraz<br />
vom Centre Patronal, Lausanne,<br />
über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
mit Neueintretenden aus Berufslehren<br />
und Hochschulen. Bei der Rekrutierung<br />
ihrer neu ausgebildeten Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter legen sie grossen<br />
Wert auf die Persönlichkeit, die Freude<br />
am Beruf und besonders auf die Neugierde<br />
und den Drang der Bewerberinnen<br />
und Bewerber, sich weiterbringen<br />
zu wollen. Fach- und Sozialkompetenzen<br />
sollten als selbstverständlich vorausgesetzt<br />
werden können. Leider fehlt<br />
es heute den jungen Lernenden in Berufslehren<br />
und Studien aber oft an den<br />
traditionellen Tugenden.<br />
■ Die duale Berufsbildung ist ein<br />
Erfolgsmodell<br />
Der Rektor der FHS Fachhochschule<br />
St. Gallen, Prof. Dr. Sebastian Wörwag,<br />
vertritt die Ausbildungsseite. Er legte in<br />
seinem Referat grosses Gewicht auf die<br />
Ausbildung von Generalisten im Wirtschaftsstudiengang.<br />
Im letzten Jahr haben<br />
88% der Studienabgänger der FHS,<br />
mit einem Bachelor-Diplom in Betriebswirtschaft,<br />
eine adäquate Stelle gefunden.<br />
Die intensiv geführten Diskussionen<br />
zeigten deutlich auf, dass unser
duales Berufsbildungssystem ein Erfolgsmodell<br />
ist und weiter gestärkt werden<br />
soll. Als Folge der Einführung des<br />
Bolognamodells wird heute aber leider<br />
eine Entwicklung hin zur Tertiarisierung<br />
und damit auch zu einer Verakademisierung<br />
der Ausbildungen festgestellt.<br />
Im Wettbewerb um die Positionierung<br />
der FH Fachhochschulen werden heute<br />
viele Masterstudiengänge auf FH-<br />
Schulstufe eingeführt. Dadurch dürfte<br />
der Trend weg vom eindeutig praxisbezogenen<br />
Studium weiter verstärkt werden.<br />
Der Schweiz fehlt es immer mehr<br />
an gutem Nachwuchs bei den Handwerkern,<br />
geeignetem Personal in den<br />
Pflegeberufen, Ingenieuren und Naturwissenschaftern.<br />
Die Meisterausbildun-<br />
G E S P r Ä C H<br />
Von links: Dr. h.c. Walter Reist tauscht in der Pause Anregungen mit Nationalrat Otto<br />
Ineichen aus<br />
gen und Ausbildungen auf Stufe der<br />
Höheren Fachschulen sind heute weitgehend<br />
durch die Betriebe oder persönlich<br />
zu finanzieren, ganz im Gegensatz<br />
zu den Studien an Fachhochschulen<br />
und Universitäten.<br />
■ Die Schwächen der Reformen sind<br />
zu korrigieren<br />
Die vielen Reformen der letzten Jahre<br />
im Bildungswesen haben den Wissensplatz<br />
Schweiz gestärkt. Verschiedene<br />
negative Entwicklungen sind auf den<br />
entsprechenden Stufen aber zu korrigieren.<br />
Im neuen Hochschulförderungsgesetz<br />
und im Weiterbildungsgesetz,<br />
welche das Parlament demnächst<br />
diskutieren wird, gilt es diese einzube-<br />
73<br />
ziehen. Zum Abschluss der Tagung wurden<br />
folgende Forderungen an die Entscheidungsträger<br />
gestellt bzw. den Vertreterinnen<br />
und Vertretern der Politik<br />
zur Entscheidungsfindung mitgegeben.<br />
–Die «Verreglementierungen» der<br />
Ausbildungen und die wachsenden<br />
«Veradministrierungen» sind abzubauen<br />
–Die duale Berufsbildung ist zu stärken<br />
–Die Maturaquoten sind zu begrenzen.<br />
Die gymnasiale Matura soll zu<br />
Studien an der ETH oder an Universitäten<br />
und die Berufsmaturitäten zu<br />
Studien an Fachhochschulen führen<br />
–Die Referenzkosten der Studierenden<br />
und die Ausbildungsqualität sollen<br />
die Eckwerte zur Finanzierung der<br />
Hochschulen werden<br />
–Im Bereich der Vielzahl von Diplomen<br />
und Zertifikaten ist Transparenz<br />
zu schaffen und die Anzahl ist zu reduzieren<br />
–Bei der Finanzierung der Ausbildungen<br />
und Studien auf tertiärer Stufe<br />
sind gleich lange Spiesse zu schaffen.<br />
Meisterdiplome und die Ausbildung<br />
an Höheren Fachschulen sind dazu<br />
einzubeziehen<br />
Im anschliessenden Ausserordentlichen<br />
Gespräch kam Nationalrat Otto Ineichen<br />
zu Wort.<br />
Der erfolgreiche Unternehmer engagiert<br />
sich mit seiner <strong>Stiftung</strong> «Speranza»<br />
auchsehr stark im Ausbildungssektor.<br />
In Zusammenarbeit mit dem<br />
BBT Bundesamt für Berufsbildung und<br />
Technologie erschloss er neue Berufsfelder<br />
und schuf mit den Attestlehren<br />
neue Ausbildungslehrgänge. Ein besonders<br />
wichtiges Anliegen ist ihm die<br />
Schnittstelle «Schule/Ausbildung» (im
Segment der Schulabgänger(innen) mit<br />
Lerndefiziten und sozialen Schwierigkeiten.<br />
■ Weltweit bestes Berufsbildungssystem<br />
Im internationalen Vergleich erbringt<br />
unsere Berufsausbildung Spitzenleistungen.<br />
Eine Erhöhung der gesamten<br />
Maturaquote bestehend aus gymnasialer<br />
Matura, Berufsmaturitäten und den<br />
neuen Fachmaturitäten sind für Nationalrat<br />
Otto Ineichen ein Angriff auf unser<br />
Bildungssystem. Der gesunde Mix<br />
zwischen Berufsbildung, Fachhochschulen<br />
und Universitäten ist die Stärke<br />
unseres Systems!<br />
■ Realwirtschaft stärken<br />
Aufgrund der Erfahrungen aus der momentanen<br />
Wirtschaftskrise ist es für den<br />
Referenten wichtig, dass in unserem<br />
Land die Realwirtschaft wieder gestärkt<br />
wird. Die Wirtschaftshochschulen haben<br />
eine neue Wertehaltung zu entwickeln.<br />
Die Ausbildungen im Management<br />
haben unternehmerorientiert zu<br />
erfolgen. Dazu sind an den Hochschulen<br />
neue Modelle zu entwickeln.<br />
■ Erziehung ist dringend notwendig<br />
Um ein erfolgreiches Unternehmen<br />
führen zu können, sind Mitarbeitende<br />
mit hoher sozialer Kompetenz wichtig.<br />
Höflichkeit, Konfliktfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein<br />
sind in einer<br />
Unternehmung existenziell. Die Eltern<br />
und Schulen legen die Grundlagen<br />
dazu. In den nächsten Jahren haben<br />
wir in der Schweiz einen Schwerpunkt<br />
in der Erziehung zu legen. Damit stärken<br />
wir unseren Wirtschaftsstandort.<br />
G E S P r Ä C H<br />
Vorbilder müssen im Erziehungsprozess<br />
wieder einen hohen Stellenwert<br />
erhalten.<br />
Zyklus «Wissensplatz Schweiz: Stellen<br />
wir die richtigen Weichen?»; <strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />
vom 24. August<br />
2009 «Neugestaltung und Finanzierung<br />
der Schweizerischen Hochschullandschaft»<br />
mit Ständerat Dr. Hermann<br />
Bürgi, Präsident der Kommission Wissenschaft,<br />
Bildung und Kultur; <strong>Lilienberg</strong>-Tagung<br />
und Ausserordentliches<br />
Gespräch vom 2. November 2009<br />
«Welche Erwartungen hat die Wirtschaft<br />
an Absolventinnen und Absolventen<br />
von Berufslehren und Hochschulen?»<br />
mit Roger Simmen, Personalchef,<br />
Stadler Rail AG, Bussnang, Prof.<br />
Dr. Sebastian Würwag, Rektor HFS,<br />
St. Gallen, Mark Aegler, CEO BINA,<br />
Bischofszell, Jacques Desgraz, Centre<br />
Patronal, Lausanne, Nationalrat Otto<br />
Ineichen, Unternehmer, Sursee; Moderation:<br />
Georg Leumann und Nationalrätin<br />
Brigitte Häberli-Koller – (Aktionsfeld<br />
Bildung & Sport)<br />
74<br />
Probleme im Gesundheitswesen<br />
noch nicht<br />
gelöst<br />
im rahmen des Jahreszyklus «Ökonomisierung<br />
im Gesundheitswesen»<br />
befasste sich das dritte Kolloqium vom<br />
1. Juli 2009 mit der stetigen Kostensteigerung<br />
vor allem im Sektor Spitalversorgung.<br />
Viele Fragen stehen an:<br />
auswirkungen der kommenden Fallpauschalen,<br />
ausbau der ambulanten<br />
leistungen und von anlaufstellen für<br />
Notfälle in Spitälern, nötige anzahl<br />
der akutbetten. Unklare Vorgaben verleiten<br />
dazu, fragwürdige Positionen zu<br />
festigen statt sie abzubauen.<br />
Von Dr. med. Hans-Ulrich Kull<br />
Das Eintrittsreferat von Dr. iur. Orsola<br />
Vettori, Direktorin am Schwerpunktspital<br />
Zollikerberg ZH, richtete<br />
sich auf das Kostenbewusstsein an ihrem<br />
öffentlichen Krankenhaus.<br />
Trotz grossen Konkurrenzkampfs im<br />
spitaldichten Umkreis und trotz des belastenden<br />
Spardruckes von Seiten der<br />
Öffentlichkeit ist es dem Spital Zollikerberg<br />
gelungen, sich bezüglich Patientenzufriedenheit<br />
und auch in Bezug auf<br />
die Fallkosten im kantonalen Vergleich<br />
an die vorderste Front zu setzen. Die<br />
Bettenbelegung ist mit durchschnittlich<br />
94% sehr hoch.<br />
Die Ökonomie, der besonnene Umgang<br />
mit den Ressourcen bei gleichzeitig<br />
steter Qualitätsförderung (mit<br />
geeigneten Investitionen!), ist eine der
Dr. iur. Orsola Vettori und Adrian Dennler<br />
wichtigsten Aufgaben der Spitaldirektion.<br />
Die eingeleitete Umstellung auf die<br />
Fallpauschalisierung «SwissDRG» wird<br />
als geeignete Leistungsvergütung angesehen,<br />
die behördliche Spitalplanung<br />
und die damit verbundene Reduktion<br />
des Leistungsauftrages hingegen kritisiert.<br />
Der zweite Referent, Adrian Dennler,<br />
Präsident der PKS Privatkliniken<br />
Schweiz und Repräsentant der Klinikgruppe<br />
Hirslanden, erläuterte die Stellung<br />
der Privatkliniken. Er plädierte für<br />
den freien Wettbewerb unter den Spitälern,<br />
aber auch für die Wirtschaftlichkeit<br />
der erbrachten Leistungen und die<br />
Transparenz aller Daten. Sein Votum<br />
wurde vom Vertreter der Klinik Schloss<br />
Mammern lebhaft unterstützt.<br />
Im nachfolgenden sehr engagierten<br />
Meinungsaustausch – unter den Teilnehmenden<br />
befanden sich namhafte<br />
G E S P r Ä C H<br />
Persönlichkeiten aus den Bereichen<br />
Medizin, Spital, Gesundheitsbehörden<br />
und Wirtschaft – propagierte der<br />
Gesundheitspolitiker Nationalrat Toni<br />
Bortoluzzi die Wichtigkeit des unternehmerischen<br />
Denkens auch in der<br />
«Reparaturwerkstatt Gesundheitswesen»<br />
und den uneingeschränkten Wettbewerb<br />
unter allen Leistungserbringern,<br />
und zwar ohne Risikoausgleich.<br />
Ein legaler Wettbewerb bedürfe aber<br />
allgemeingültiger Spielregeln. Die viel<br />
gepriesene Prozessoptimierung müsse<br />
vermehrt realisiert werden. Das Parlament<br />
arbeite zurzeit in erster Priorität<br />
an der Gesetzgebung über die Spitalfinanzierung<br />
und an der Regulierung und<br />
Förderung der Netzwerke. Leider sei<br />
der Verfassungsartikel betreffend KVG<br />
Krankenversicherungsgesetz im letzten<br />
Jahr vom Volk verworfen worden.<br />
Weitere Votanten forderten, dass bei<br />
getroffenen Massnahmen und neuen<br />
Methoden der erreichte Mehrwert im<br />
Gesundheitsprozess messbar sein müsse<br />
und kommuniziert werden könne.<br />
Die Anreizsysteme müssen Sinn machen<br />
– falsche sollten geknackt werden<br />
– sowie transparent sein und Querfinanzierungen<br />
müssten vermieden werden.<br />
Gesundheitszentren mit Koordination<br />
der ambulanten, stationären und<br />
poststationären Behandlung könnten<br />
ein Lösungsansatz sein und die Betrachtung<br />
und Steuerung der Kosten über die<br />
gesamte Dauer eines Krankheitsfalles<br />
erleichtern.<br />
Die Diskussionsteilnehmenden befassten<br />
sich deshalb über die Spitalproblematik<br />
hinweg auch mit der<br />
Schwierigkeit der Pauschalisierung von<br />
75<br />
nichtoperativen Krankheiten, mit dem<br />
zukünftigen revisionsbedürftigen Leistungskatalog<br />
in der Grund- und Zusatzversicherung<br />
und mit der Managed-<br />
Care-Problematik. Einigkeit herrschte<br />
darüber, dass die Probleme der Ökonomisierung<br />
im Gesundheitswesen noch<br />
nicht gelöst sind!<br />
Zyklus «Ökonomisierung im Gesundheitswesen»;<br />
<strong>Lilienberg</strong>-Kolloquium<br />
vom 1. Juli 2009 «Ökonomisierung<br />
in der Spitalversorgung» mit Dr. iur.<br />
Orsola Vettori, Direktorin Spital Zollikerberg,<br />
Adrian Dennler, Präsident Privatkliniken<br />
Schweiz PKS, Bern; Moderation:<br />
Dr. med. Peter Eichenberger –<br />
(Aktionsfeld Gesundheit & Umwelt)<br />
Von links: Dr. iur. Orsola Vettori und<br />
Dr. med. Peter Eichenberger
Von Alexandra Frei<br />
Jede(r) hat ein gewisses Bild, eine bestimmte<br />
Vorstellung von einem Unternehmer,<br />
welche nicht ganz falsch,<br />
aber auch nicht ganz richtig ist. Das ist<br />
eine Art Bauchwissen oder Hinterkopfwissen,<br />
ein «Circa-Wissen». Damit ist<br />
man in der Regel zufrieden und kann<br />
mitreden. Es ist eine sehr brauchbare<br />
Form der Ökonomie des Alltagslebens.<br />
Nun, der Unternehmer, ist er ein Manager<br />
seiner Firma oder ist ein Manager<br />
der Unternehmer in einer Firma? Oder<br />
ist das alles nicht so wichtig, wenn man<br />
das Unternehmertum pflegt und das<br />
Unternehmersein fördert? Unternehmer<br />
ist, wer etwas unternimmt. Diese<br />
gängige Kurzformel hilft nicht sehr<br />
weit, wenn man es genau wissen will.<br />
Schliesslich unternimmt eine Wandergruppe<br />
auch eine Wanderung, ohne<br />
dass die Teilnehmenden Unternehmer<br />
sind. Also, was ist jetzt ein Unternehmer,<br />
was soll man pflegen und was soll<br />
man fördern und stärken?<br />
Schlägt man nach, so heisst es: Der<br />
Unternehmer ist der Inhaber (Eigentümer)<br />
eines Unternehmens beziehungsweise<br />
eines Betriebes, den er selbstän-<br />
S C H l U S S P U N K t<br />
Ein Unternehmer …<br />
was ist das eigentlich ganz genau?<br />
Von den meisten Begriffen, die man kennt, weiss man, was sie bedeuten, wenn<br />
auch nicht so ganz genau. aber «man weiss es». Will man es wirklich genau wissen,<br />
so schlägt man nach. doch in der regel wird das eigene «Wissen», also das,<br />
was man weiss, nicht mehr hinterfragt. Wieso soll man Wissen hinterfragen, wenn<br />
man weiss, was man weiss? – deshalb ist diese art «Wissen» die hartnäckigste<br />
Form des Vorurteils!<br />
dig und eigenverantwortlich führt. Eigentum<br />
ist die Verfügungsgewalt über<br />
Gegenstände auf rechtlicher Grundlage,<br />
somit auch über das Unternehmen,<br />
das der Inhaber führt. Sind es zwei Eigentümer,<br />
die sich das Unternehmen<br />
teilen, sind dann beide Unternehmer?<br />
Oder ist der eine Manager und der andere<br />
Unternehmer (und beide Inhaber)?<br />
Manager: Die etymologische Wurzel<br />
des Begriffs Management ist nicht<br />
vollständig geklärt. Als mögliche Wurzeln<br />
kommen infrage lateinisch «manus<br />
agere», «an der Hand führen» oder<br />
«mansionem agere», «das Haus (für<br />
den Eigentümer) bestellen». Das Haus<br />
bestellen lehnt sich umgangssprachlich<br />
am nächsten an das an, was landläufig<br />
unter einem Manager vorgestellt wird,<br />
nämlich Geschäftsführung oder Leitung<br />
einer Organisation. Der Geschäftsführer<br />
ist nicht Inhaber oder Eigentümer,<br />
aber er tut das, was Inhaber oder Eigentümer<br />
in der Regel auch tun. Er führt<br />
einen Betrieb (Unternehmen) selbständig<br />
und eigenverantwortlich. Wo liegt<br />
da der Unterschied? Man ahnt es, der<br />
eine führt «sein» Unternehmen und der<br />
andere führt für jemanden, den er selber<br />
nicht ist, ein Unternehmen. Beide<br />
müssen im Wesentlichen dasselbe tun,<br />
76<br />
so dass man von der Tätigkeit her zwischen<br />
beiden keinen Unterschied machen<br />
müsste, wenn man das Unternehmertum<br />
pflegen will.<br />
Unternehmertum: Der Begriff Unternehmertum<br />
(Unternehmergeist) oder<br />
Entrepreneurship beschäftigt sich als<br />
wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplin<br />
mit dem Gründungsgeschehen oder der<br />
Gründung vonneuen Organisationen als<br />
Reaktion auf identifizierte Möglichkeiten<br />
und Gründerpersönlichkeiten. Das<br />
tönt nun wirklichetwas kompliziert, aber<br />
zwei Begriffe stechen heraus, nämlich<br />
Unternehmergeist und Gründerpersönlichkeit.<br />
Der schöne Begriff Unternehmergeist<br />
lässt sichleider nicht nachschlagen<br />
und muss so stehen bleiben wie er<br />
da steht. Aber er ist verbunden mit dem<br />
Begriff Unternehmertum und mag, frei interpretiert,<br />
die Seele dieses Begriffes sein.<br />
Was soll man nun fördern und stärken,<br />
das Unternehmertum, die Unternehmer,<br />
die Manager, die dasselbe tun<br />
wie die Unternehmer?<br />
Gute Frage.Vielleicht liegt der Schlüssel<br />
darin, dass man sich vornimmt, bei<br />
Menschen, die mit Unternehmen zu<br />
tun haben, den Unternehmergeist zu<br />
wecken, zu stärken und zu erhalten,<br />
was aus Managern Unternehmer (aber<br />
nicht Eigentümer oder Inhaber) und<br />
aus Eigentümern oder Inhabern richtige<br />
Unternehmer macht.<br />
Diese Bestrebungen findet man auf<br />
dem <strong>Lilienberg</strong>, in der Tätigkeit der <strong>Stiftung</strong><br />
<strong>Lilienberg</strong> <strong>Unternehmerforum</strong>, wo<br />
als Seele eine herausragende Gründer-
Diversität: trägt zum Ganzen bei…<br />
persönlichkeit seit 20 Jahren sich unentwegt<br />
bemüht, den Unternehmergeist in<br />
vielfältiger Form zu verbreiten. Dies<br />
nicht etwa an Schüler oder Studenten,<br />
nein, an Unternehmer, worin Manager<br />
mitgemeint sind. So wie es unternehmerische<br />
Manager gibt, gibt es auch<br />
managende Unternehmer und allen tut<br />
S C H l U S S P U N K t<br />
es gut, sich am dargebotenen Unternehmergeist,<br />
der sich auf dem <strong>Lilienberg</strong><br />
längst verselbständigt hat, zu laben, davon<br />
zu naschen oder ganz darin aufzugehen.<br />
Dafür soll dieser Gründerpersönlichkeit,<br />
Dr. h.c. Walter Reist, seiner<br />
<strong>Stiftung</strong> und auch denjenigen, die ihm<br />
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nachfolgen, ein ganz spezieller Dank<br />
zukommen!<br />
Und nun die Frage: Unternehmergeist,<br />
ist das angeboren oder wird das<br />
erworben? Diese letzte Frage müssen<br />
wir unbeantwortet so stehen lassen.<br />
Doch zum Begriff «Geist» mag jede und<br />
jeder selber nachschlagen.
Vorfreude auf den Frühling…<br />
S C H l U S S P U N K t<br />
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