Der Bund vom 5. Oktober 2013 - Pedro Lenz
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2 Samstag, <strong>5.</strong> <strong>Oktober</strong> <strong>2013</strong> —<br />
Samstagsinterview<br />
<strong>Pedro</strong> <strong>Lenz</strong>, Mundartautor und Spoken-Word-Artist<br />
«Ich finde diese<br />
Swissness unerträglich»<br />
<strong>Pedro</strong> <strong>Lenz</strong> über sein neues Buch, die Angst vor einem Burn-out und die verlorene Würde der Büezer.<br />
stehe und sage: «Gib es zu, es ist alles<br />
nichts, was du schreibst!» Diese Angst<br />
kenne ich auch ein wenig.<br />
Gibt es Unterschiede beim<br />
Publikum<br />
Das ländliche Publikum ist dankbarer.<br />
Sie fürchten sich davor, enttarnt zu<br />
werden<br />
Es ist vielleicht eher die Furcht davor,<br />
nicht richtig verstanden zu werden,<br />
nicht enttarnt im Sinn eines Hochstaplers,<br />
denn Hochstapelei betreibe ich ja<br />
keine. Ich betreibe meine Arbeit ernst-<br />
Wie verhindern Sie, dass Ihre<br />
Mundarttexte die Heimattümelei<br />
befeuern<br />
Es passiert öfters, dass mir jemand auf<br />
die Schultern klopft und sagt, da ist endlich<br />
einer, der unsere Werte verteidigt.<br />
Dann frage ich nach, was das heissen<br />
soll. Meist wird dann unsere wunderschöne<br />
Sprache gerühmt. Ich versuche<br />
dann, das Missverständnis aufzulösen.<br />
Interview: Brigitta Niederhauser<br />
und Christoph <strong>Lenz</strong><br />
Muss man sich Sorgen um die<br />
Schweizer Unternehmer machen<br />
Um die Unternehmer Da mache ich mir<br />
keine Sorgen.<br />
Erstaunlich ist es aber schon: Sie<br />
haben sich auf gefährdete Randfiguren<br />
spezialisiert. Ihr neuster<br />
Held in «I bi meh aus eine» ist nun<br />
ein Unternehmer, der es in Argentinien<br />
zu grossem Reichtum bringt.<br />
Im Grunde genommen ist auch er eine<br />
Randfigur, auch als erfolgreicher Hochstapler.<br />
Ich habe das Dorf, das er gegründet<br />
hat, ja besucht. Es hat mich deprimiert.<br />
Er gilt dort als Held. Aber alle<br />
Dorfbewohner sind sich bewusst, dass<br />
er ein Halunke, ein Gangster war.<br />
Foto: Adrian Moser<br />
Er hat die Mündelkasse seines Emmentaler<br />
Wohnorts geplündert.<br />
Das war der Grund für seine Flucht nach<br />
Südamerika. In der Schweiz wäre er für<br />
den Diebstahl belangt worden. Unterwegs<br />
hat er dann die Identität gewechselt.<br />
Er hat der Witwe eines Arztes dessen<br />
Papiere abgekauft. Aber im Dorf gibt<br />
es auch Gerüchte, er habe den Arzt<br />
selbst umgebracht, um an die Papiere zu<br />
gelangen.<br />
Was hat Sie an diesem Hochstapler<br />
fasziniert<br />
Als Künstler ist man selber nie ganz gefeit<br />
vor dem Gedanken, dass alles nur<br />
ein grosser Wirbel sein könnte. Ein bekannter<br />
Schriftsteller sagte einmal, er<br />
habe manchmal die Vorstellung, dass an<br />
einer seiner Lesungen ein Lehrer auf-<br />
Linke, die nur<br />
cool sein wollen,<br />
gehen mir auf<br />
den Geist.<br />
haft und bleibe normalerweise bei den<br />
Stoffen, die ich sehr gut kenne.<br />
Zum Beispiel Fernweh und<br />
Ausbruch.<br />
Das sind sehr schweizerische Themen.<br />
Weil wir in engen Verhältnissen leben,<br />
haben wir immer das Gefühl, wir müssten<br />
weg. Ich habe sehr früh gemerkt,<br />
dass ich kein Pioniertyp bin. Bei mir<br />
paart sich das Fernweh sehr schnell mit<br />
Heimweh. Ich ginge nur in die Ferne,<br />
wenn ich dazu gezwungen wäre, so wie<br />
die, die aus politischen oder wirtschaftlichen<br />
Gründen ihre Heimat verlassen<br />
müssen. Wir sind in der privilegierten<br />
Lage, dass wir verreisen und wieder<br />
heimkehren können.<br />
Schaut man sich ihre Agenda und<br />
Ihren Output an, bleibt fürs Reisen<br />
ohnehin keine Zeit. Wie können Sie<br />
dieses Pensum durchhalten<br />
Ich bin ziemlich diszipliniert. Am Morgen<br />
arbeite ich hier in Bern, am Nachmittag<br />
gehts dann auf die Reise für die<br />
Lesungen.<br />
In der Regel haben Sie vier bis fünf<br />
Auftritte pro Woche. Daneben<br />
schreiben Sie Literatur und<br />
Kolumnen. Wie schafft man das<br />
Ich arbeite viel, aber ich empfinde es nicht<br />
so. Klar, mit einer Familie ginge es nicht.<br />
Und wie erleben Sie es, stets auf<br />
einer Bühne zu stehen<br />
Das ist wohl das Schwierigste. Mein Vorteil<br />
ist, dass ich sehr gerne Menschen<br />
habe. Und im Unterschied zu Rockmusikern<br />
gehe ich nach der Lesung meistens<br />
direkt heim.<br />
Wo holen Sie sich bei diesem<br />
Pensum die Inspiration<br />
Das ist interessant, ich habe den Eindruck,<br />
dass ich inspirierter bin, wenn<br />
ich ausgelastet bin. Wenn ich im Rahmen<br />
eines Stipendiums längere Zeit an<br />
einem Ort lebe und nur schreibe, habe<br />
ich mehr Mühe. Andere Schriftsteller haben<br />
einen Brotjob als Lehrer. Mein Brotjob<br />
ist das Auftreten.<br />
Welches Bild der Schweiz gewinnt<br />
man, wenn man sie so intensiv<br />
bereist<br />
Ich kenne die ganze Deutschschweiz,<br />
auch Ortschaften, die man nie besuchen<br />
würde. Oberglatt zum Beispiel. Ich habe<br />
das Gefühl, dass es eine Kluft gibt zwischen<br />
den Zentren und der Agglomeration.<br />
Die aus den Vororten wissen genau<br />
Bescheid über sich und über Zürich. Die<br />
lesen ja ihr Lokalblatt und auch noch<br />
den Tagi. Aber die von Zürich wissen<br />
nicht Bescheid über die aus dem Vorort,<br />
weil sie eben nie eine Zeitung aus dem<br />
Zürcher Hinterland lesen.<br />
Wie<br />
Ich bin ja ein halber Ausländer und will<br />
keinen Heimatschutz betreiben. Dass ich<br />
in Mundart schreibe, ist ein stilistischer<br />
Entscheid, kein politischer. Dort, wo die<br />
Leute anfangen, sich in der Sprache zu<br />
suhlen, wird es gefährlich. Dem versuche<br />
ich Inhalte entgegenzuhalten, mit<br />
Unreinheiten. Man muss die Sprache<br />
nicht pflegen, weil sie nämlich nicht<br />
krank ist.<br />
Ist die Mundart ein Zufluchtsort für<br />
Überfremdungsängste<br />
Die Mundart ist vor allem und zuerst<br />
unsere Sprache. Nicht mehr, aber auch<br />
nicht weniger. Es ist ein seltsames Phänomen.<br />
Viele Schweizer haben das Gefühl,<br />
sie seien in einer Minderheit. Nur<br />
noch Fremde hier, als Einheimischer ist<br />
man niemand mehr – das ist das Gefühl<br />
von ohnmächtigen Leuten, die in der<br />
Bude nicht mehr viel zu sagen haben. Sie<br />
haben einen italienischen Chef, und<br />
dann wird erst noch der Jugoslawe<br />
Vorarbeiter und nicht sie. Aber wenn<br />
man die Fakten anschaut, sieht es<br />
anders aus.<br />
Auch Ihre Mundartliteratur<br />
verdankt ihren Erfolg teilweise<br />
diesem Trend zur Rückbesinnung<br />
auf sogenannte nationale<br />
Eigenheiten. Oder nicht<br />
Ich finde diese Swissness unerträglich.<br />
Überall Schweizer Kreuze und Sennenhemden.<br />
Aber es ist klar, dass das einen<br />
positiven Einfluss auf meine Buchverkäufe<br />
hat. Ich habe nichts dagegen,<br />
wenn jemand seine Heimat gerne hat,<br />
aber es darf nicht ausschliessend oder<br />
abwertend sein. Mich stört, wenn man<br />
sagt, wir Berner hätten die schönste<br />
Sprache der Welt. Das ist eine Idiotie. Zu<br />
glauben, man sei besser als alle anderen,<br />
das ist für mich eine Art von dumpfem<br />
Rassismus.<br />
Diese Gefühle werden teilweise von<br />
Politikern gezielt bewirtschaftet.<br />
Es scheint, als sei dagegen kein<br />
Kraut gewachsen.<br />
Nun, man sollte den Unterprivilegierten<br />
die Würde auf eine andere Art zurückgeben,<br />
als es derzeit geschieht. Wir sollten<br />
sie ihnen im Alltag geben. Damit es nicht<br />
einem Multimilliardär überlassen ist, ihnen<br />
zu versprechen: «Ich gebe euch<br />
Würde.» Ich glaube, man kann vielen Büezern<br />
auch erklären, dass sie zwar ein wenig<br />
das Nachsehen haben in diesem Wettrennen.<br />
Dass sie aber andere Qualitäten<br />
haben, die zählen, die wichtig sind.<br />
Konkret<br />
Man kann es politisch ausdrücken. Darum<br />
bin ich für die 1:12-Initiative. Das ist<br />
eine Möglichkeit, den Arbeitern und Angestellten<br />
Würde zurückzugeben. Im<br />
Ernst: Wie muss sich denn einer vorkommen,<br />
der hundertmal weniger verdient<br />
als der Oberste in seiner Firma<br />
und der diesen dann auch noch bewundert<br />
und wählt. Das ist ein Paradox, das<br />
schwer aufzulösen ist.<br />
Andererseits haben Sie den Linken<br />
kürzlich vorgeworfen, dass sie – im<br />
Unterschied zur SVP – zu wenig zu<br />
den einfachen Leuten gehen.
— Samstag, <strong>5.</strong> <strong>Oktober</strong> <strong>2013</strong> 3<br />
Diese Woche<br />
Das war ein heikler Vorwurf, Levrat hat<br />
da sofort widersprochen, er ist ja einer,<br />
der viel in den Dörfern draussen ist.<br />
Aber es gibt schon linke Exponenten,<br />
die nur urban und cool sein wollen, und<br />
die gehen mir auf den Geist. Zuhören,<br />
die Hand geben – das haben die Brunner-<br />
Toneli-Figuren eben gelernt. Und diese<br />
kleinen Details gehören zum Menschsein.<br />
Einige Linke haben das vergessen.<br />
Was schlagen Sie vor<br />
Die müssten endlich mehr aus dem Büro<br />
herauskommen und rausgehen zu den<br />
Leuten. Es gibt manche Figuren, die<br />
können das. <strong>Der</strong> Couchepin ist zum<br />
B e i s p i e l s o e i n e r.<br />
Inwiefern<br />
<strong>Der</strong> kommt also zu uns in die Beiz, ins<br />
Flügelrad in Olten, und schüttelt allen<br />
die Hand. <strong>Der</strong> weiss ein Jahr später noch<br />
haargenau, was er mit wem besprochen<br />
hat. Ich will damit nicht sagen, dass ich<br />
auf seiner Linie bin. Aber er hat den<br />
Dreh raus. Er fragt, wie viel die Serviertochter<br />
verdient, wie viel Umsatz der<br />
Wirt macht. Er fragt auch mich, was<br />
brauchst du noch <strong>vom</strong> Staat, was hältst<br />
Man muss die<br />
Sprache nicht<br />
pflegen, sie ist ja<br />
nicht krank.<br />
du von Pro Helvetia. Ob er dann die richtigen<br />
Schlüsse zieht, das ist dann die<br />
Frage. Aber er ist wach.<br />
Inwiefern schöpfen Sie bei Ihren<br />
Kleine-Leute-Geschichten aus Ihren<br />
Erinnerungen als Maurer auf dem<br />
Bau<br />
Ich habe viele Erinnerungen. Aber das<br />
verstehen die Leute manchmal falsch.<br />
Ich war sieben Jahre lang Maurer. Dabei<br />
habe ich aber nicht nach Geschichten gesucht,<br />
das war einfach mein Leben.<br />
Können Sie das ausführen<br />
Es ist nicht das Gleiche, wie wenn ein<br />
Wallraff sagt, jetzt tauche ich für zwei<br />
Monate bei McDonald’s ein. Wallraff<br />
wusste immer, dass er wieder in seine<br />
Welt zurückkehren konnte. Für mich<br />
gab es keine andere Welt. Ich habe auch<br />
nicht bei jedem Pausengespräch gedacht,<br />
dass das ein guter literarischer<br />
Stoff wäre. Ich habe mit den anderen<br />
Arbeitern diesen Alltag durchlitten. Das<br />
macht es eher schwieriger, darüber zu<br />
schreiben. Da kommen Gefühle hoch<br />
von Frustration, von Unverstandensein.<br />
Sie sind heute als Autor sehr gefragt.<br />
Wie gehen Sie mit der Vorstellung<br />
um, dass diese Erfolgswelle auch<br />
wieder abebben könnte<br />
Ich kann mich glücklich schätzen. Manche<br />
Sachen sind gut und gross herausgekommen,<br />
manche Sachen weniger, aber<br />
sie werden nicht kaputt gemacht. Die<br />
Angst, es könnte mal vorbei sein, die<br />
trage ich vor mir her. Beruhigend ist,<br />
dass ich mir in den letzten 12 Jahren eine<br />
kleine finanzielle Sicherheit schaffen<br />
konnte. Ich gebe nicht viel Geld aus,<br />
könnte also eine Durststrecke durchstehen.<br />
Doch letztlich hat ja fast jeder<br />
Angst. <strong>Der</strong> Journalist, dass seine Zeitung<br />
hopsgeht, der Mechaniker, dass seine<br />
Bude dichtmacht.<br />
Und die Angst vor dem schwarzen<br />
Loch, dass Ihnen plötzlich keine<br />
Geschichten mehr einfallen, kennen<br />
Sie die auch<br />
Da fürchte ich mich eigentlich mehr vor<br />
Depressionen oder einem Burn-out. Allerdings<br />
vermute ich, dass dies eine Frage<br />
der Früherkennung ist. Ich glaube, ich bin<br />
einer, der seinem Umfeld wohl schon sehr<br />
früh signalisieren würde, dass es gerade<br />
nicht gut geht. Ich bin nicht der Typ, der<br />
ohne Gefühl geradeaus in eine Wand läuft.<br />
Nicht so wie die vielen Manager, die sagen:<br />
«Und dann bin ich am Morgen aufgestanden<br />
und ich realisierte, dass ich kaputt<br />
bin.» Ich habe grossen Respekt vor schwarzen<br />
Löchern. Wenn ich merke, es zieht<br />
mich nach unten, versuche ich rasch, Hilfe<br />
zu holen.<br />
Die Ideen scheinen Ihnen also nicht<br />
auszugehen.<br />
Die Angst davor, nicht mehr kreativ sein<br />
zu können, die kenne ich natürlich<br />
schon. Da geht es mir nicht anders als anderen<br />
Berufsleuten. So wie der Maurer<br />
Angst hat, plötzlich keine Kraft mehr zu<br />
haben. Bei uns ist es die Kraft der Imagination<br />
und vor allem die Möglichkeit, sie<br />
umzusetzen, die abhandenkommen<br />
kann. Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass<br />
es Schriftstellern an Ideen mangeln<br />
könnte. Ich habe Milliarden Ideen. Das<br />
Problem ist, sie umzusetzen.<br />
Wie steht es um den hochdeutschen<br />
Roman, der vor Jahren angekündigt<br />
wurde<br />
<strong>Der</strong> hat mit meiner Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb<br />
zu tun. Ich<br />
habe dort erlebt, wie es ist, wenn man<br />
sich öffentlich der Kritik aussetzt. Ich<br />
kannte zwar die Spielregeln, war aber<br />
doch ziemlich naiv, bin einfach hingefahren<br />
und habe gelesen. Die einen Autoren<br />
macht die Jury eine halbe Stunde lang<br />
kaputt, mich haben sie nur 10 Minuten<br />
drangenommen, weil sie zum Mittagessen<br />
wollten. Das hat mir die Lust an diesem<br />
Text genommen. Zwar habe ich es<br />
später noch lange mit dem Roman probiert,<br />
aber im Moment liegt er auf Eis.<br />
Dafür macht Ihre Geschichte «<strong>Der</strong><br />
Goalie bin ig» jetzt Karriere. Erst auf<br />
der Bühne des Stadttheaters, bald<br />
schon wird er im Kino aufgeführt.<br />
Können Sie den «Goalie» loslassen<br />
Das musste ich lernen, und es war<br />
nicht einfach. Beim Theater – da hatte<br />
ich schon die Erfahrung mit dem Film<br />
– sagte ich: Macht, was ihr wollt, ich<br />
habe keine Zeit. Die haben dann was<br />
Wunderbares gemacht. Beim Film war<br />
es anders. Da hatte ich die naive Idee,<br />
ich müsste dort, am Set, sein und den<br />
«Goalie» in den Fingern behalten. Das<br />
war ein schwieriger Prozess. Es gab da<br />
diese Phase, in der ich das Gefühl<br />
hatte, er entgleite mir. Und ich müsste<br />
um ihn kämpfen. Leichter wurde es<br />
erst, als ich realisierte, dass der Film<br />
ein ganz anderes Medium ist und dass<br />
der «Goalie» auch nicht mehr so viel<br />
mit mir und meiner Figur zu tun haben<br />
muss.<br />
Was heisst das<br />
Die Geschichte wird jetzt sehr stark getragen<br />
<strong>vom</strong> Schauspieler, von Marcus<br />
Signer. Aber auch von der Regie, dem<br />
sehr guten Bilddirektor, dem Kamerachef,<br />
das ist nun wirklich nicht mehr<br />
mein Metier. Anfangs versuchte ich<br />
zwar, um einzelne Formulierungen in<br />
den Dialogen zu kämpfen. Doch dann<br />
habe ich verstanden, dass die Filmleute<br />
Die Angst, nicht<br />
mehr kreativ<br />
sein zu können,<br />
kenne ich schon.<br />
genau wissen, was sie machen. Ich habe<br />
den «Goalie» inzwischen im Rohschnitt<br />
gesehen. Und es ist wirklich einer der<br />
schönsten Filme, die ich je gesehen<br />
habe. Obwohl es kein <strong>Pedro</strong>-<strong>Lenz</strong>-Film<br />
ist, sondern einer von Sabine Boss. Da<br />
gibts zum Beispiel dieses Lied von Tom<br />
Waits, da könnte ich weinen. Und Züri<br />
West hat auch eins geschrieben.<br />
<strong>Pedro</strong> <strong>Lenz</strong><br />
<strong>Der</strong> 48-jährige <strong>Pedro</strong> <strong>Lenz</strong> ist der erfolgreichste<br />
Mundartautor der Schweiz. Aufgewachsen<br />
in Langenthal, absolvierte er erst<br />
eine Maurerlehre und arbeitete auf dem Bau,<br />
bevor er die Matur nachholte und studierte.<br />
Seit 12 Jahren ist er freier Schriftsteller und<br />
veröffentlichte unter anderem «Das Kleine<br />
Lexikon der Provinzliteratur» und zuletzt «I bi<br />
meh aus eine». Sein Roman «<strong>Der</strong> Goalie bin<br />
ig» (2010) ist neben andern Sprachen auch<br />
auf Schottisch, Litauisch und Ungarisch<br />
übersetzt worden. <strong>Pedro</strong> <strong>Lenz</strong> ist Mitglied der<br />
Spoken-Word-Gruppe Bern, er ist auch am<br />
Bühnenprojekt Hohe Stirnen beteiligt. Weiter<br />
schreibt <strong>Lenz</strong> Theaterstücke sowie Kolumnen<br />
für verschiedene Zeitschriften. (bnb/len)<br />
Die gesammelten Samstagsinterviews unter<br />
www.samstagsinterviews.derbund.ch<br />
Leitartikel Die Untätigkeit nach dem jüngsten<br />
Klimabericht zeigt: Die Kluft zwischen Politik und<br />
Wissenschaft wird immer grösser. Matthias Meili<br />
Klimaforscher<br />
in der Politik-Falle<br />
Mit grossem Brimborium hat der<br />
Weltklimarat vor einer Woche die<br />
Zusammenfassung seines fünften<br />
Berichtes präsentiert. Selten erregt<br />
eine Anhäufung von Fakten derart viel<br />
Aufmerksamkeit. Dabei steht im Bericht<br />
nichts entscheidend Neues. Im<br />
Wesentlichen ist nun bekannt, dass der<br />
Mensch mit 95-prozentiger Sicherheit<br />
hauptschuldig an der Klimaerwärmung<br />
ist. Im letzten Bericht vor sechs Jahren<br />
wagten die Forscher dies erst mit<br />
90-prozentiger Sicherheit zu sagen.<br />
Eine Voraussage kann man jetzt<br />
schon und getrost ohne ausgeklügelte<br />
Computermodelle machen: Die Reaktionen<br />
der Politik werden ziemlich<br />
überschaubar bleiben. Die schnelle<br />
Abkehr von fossilen Brennstoffen,<br />
welche gemäss den Erkenntnissen der<br />
Forscher nötig wäre, um eine übermässige<br />
Erwärmung zu verhindern,<br />
wird kaum in nützlicher Frist erfolgen.<br />
Zu gross sind die Befürchtungen der<br />
Politiker vor negativen ökonomischen<br />
Folgen. Die «Süddeutsche Zeitung»<br />
sprach in ihrem Kommentar sogar von<br />
einer Kluft zwischen Politik und<br />
P h y s i k .<br />
Kurzatmige Politik<br />
<strong>Der</strong> Klimazwist offenbart einen grundsätzlichen<br />
Kulturunterschied zwischen<br />
Politik und Wissenschaft. Die Klimaforscher<br />
sind in die Politik-Falle getappt.<br />
Sie sind aber bei weitem nicht die<br />
Einzigen und nicht die Ersten. Ähnliches<br />
hat sich vor einem Jahr abgespielt,<br />
als einige Dutzend Schweizer Pflanzenforscher<br />
nach fünfjähriger intensiver<br />
Arbeit feststellten, dass gentechnisch<br />
veränderte Pflanzen keine ausserordentlichen<br />
Risiken in sich bergen,<br />
weder für die Umwelt noch für die<br />
Gesundheit – und somit keine wissenschaftlichen<br />
Gründe bestehen, das<br />
Anbaumoratorium in der Landwirtschaft<br />
aufrechtzuerhalten. Kaum war<br />
die Tinte trocken, verlängerten die<br />
Politiker das Quasi-Verbot in der<br />
Schweiz und desavouierten somit die<br />
Forscher, die ihre Studie im Auftrag<br />
eben dieser Politik erarbeitet hatten,<br />
um ihr die nötigen Entscheidungsgrundlagen<br />
zu liefern.<br />
Für die Kluft zwischen der politischen<br />
und der wissenschaftlichen<br />
Kultur gibt es zwei Hauptgründe: den<br />
unterschiedlichen Zeithorizont einerseits,<br />
den unterschiedlichen Umgang<br />
mit Unsicherheiten andererseits. <strong>Der</strong><br />
Rhythmus der Politik ist <strong>vom</strong> Tagesgeschäft<br />
bestimmt – allenfalls dauert er<br />
vier Jahre, nämlich bis zur nächsten<br />
Wahl. Taktgeber sind grosse Ereignisse,<br />
auf welche die Politik eine schnelle<br />
Antwort parat haben muss: Unwetterkatastrophen,<br />
Lawinen, Bergstürze.<br />
<strong>Der</strong> Forschung dienen solche per se im<br />
Kurzzeitraum stattfindende Ereignisse<br />
allenfalls als Seismograf. Doch ihr<br />
Interesse gilt den langfristigen Trends,<br />
nur diese öffnen die Tür zum Verständnis<br />
der Katastrophen.<br />
<strong>Der</strong> zweite und vielleicht noch<br />
zentralere Unterschied zwischen<br />
Wissenschaft und Politik ist das<br />
Dilemma der Unsicherheiten. Politiker<br />
scheuen Unsicherheiten wie der Teufel<br />
das Weihwasser. Ganz anders die<br />
Forscher: Ihr Interesse gilt gerade dem<br />
Ungewissen, den weissen Flecken auf<br />
den Karten des Wissens, dem Unbekannten.<br />
Zwar will der Forscher den<br />
Nebel auch lichten, zu seinem eigenen<br />
Ruhm oder im Dienste der Gesellschaft,<br />
aber seine innerste Motivation<br />
gilt dem Unerforschten.<br />
<strong>Der</strong> jüngste Klimabericht betont<br />
zwar die sichere Faktenlage, gerade<br />
weil er für die Politiker geschrieben<br />
wurde. Doch hinter jeder Zeile und aus<br />
jeder Fussnote blitzen die Unsicherheiten<br />
auf, egal, ob es um die rätselhafte<br />
Klimapause geht, um die Frage, wie das<br />
Klimasystem auf CO2-Emissionen<br />
reagiert oder um die Spanne bei den<br />
Prognosen für die Entwicklung der<br />
Temperaturen oder des Meeresspiegels.<br />
Für Wissenschaftler ist das selbstverständlich:<br />
Ein Bericht, der diese<br />
Unsicherheiten nicht zugibt, wäre<br />
schlicht nicht glaubwürdig. <strong>Der</strong> Politik<br />
und vor allem auch den Klimaskeptikern<br />
bieten sie aber ein dankbares Feld<br />
für fundamentale Kritik, selbst wenn<br />
die Unsicherheiten die Hauptaussagen<br />
nur marginal beeinflussen. Während<br />
die Wissenschaft mithilfe der Erkenntnisse<br />
der Statistik gelernt hat, dass eine<br />
zu 95 Prozent wahrscheinliche Aussage<br />
«eigentlich» zu 100 Prozent stimmt,<br />
bauschen die Politiker die 5 fehlenden<br />
Prozent zur ganzen Wahrheit auf.<br />
Ein Bericht,<br />
der die Unsicherheiten<br />
nicht<br />
zugibt, wäre<br />
schlicht nicht<br />
glaubwürdig.<br />
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