ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

Weitere Magazine

Empfehlungen

Info

Zeitgeschichte Merkwürdigerweise gelang es Erhard aber nicht, seinen Wahlerfolg zur Stabilisierung seiner Stellung zu nutzen. Ganz im Gegenteil: Die Koalitionsverhandlungen verliefen nicht wie erwartet. Erhard konnte seine personellen und inhaltlichen Vorstellungen kaum durchsetzen. Die Stimmung in der Union verschlechterte sich zusehends, und Erhards Gegner arbeiteten weiter auf seinen Sturz und die Bildung einer Regierung der Großen Koalition hin. Das Ende Erhards als Bundeskanzler zeichnete sich in dem Moment ab, als sich die Konjunktur eintrübte und eine „Delle“ in der wirtschaftlichen Entwicklung als „Wirtschaftskrise“ wahrgenommen wurde. Dies war 1966 der Fall, als die für heutige Verhältnisse extrem niedrige Arbeitslosenzahl etwas anstieg, das Haushaltsdefizit auf zehn Milliarden D-Mark geschätzt wurde und der Preisanstieg der Lebenshaltungskosten 4,5 Prozent erreichte. Hinzu kamen Krisenerscheinungen in der Kohle- und Stahlindustrie, von denen besonders Nordrhein-Westfalen betroffen war. Dies war insofern problematisch, als in diesem Bundesland am 10. Juli Landtagswahlen anstanden. Während der Wahlkampfauftritte Erhards kam es zu Tumulten, durch die sich Erhard zu aggressiven Äußerungen hinreißen ließ, die nicht gut ankamen. Entsprechend fiel das Wahlergebnis aus. Die CDU erlitt erhebliche Stimmenverluste und wurde erstmals von der SPD überflügelt. Damit war offensichtlich geworden, dass der „Wahllokomotive“ der Dampf ausgegangen war. Erhard war nicht länger der Garant für den Wahl - erfolg der CDU und hatte damit seinen Wert für die Partei eingebüßt. Damit zeichnete sich das Ende seiner Kanzlerschaft bereits ab. In Bonn herrschte „Kanzlerdämmerung“ (Rudolf Morsey), Erhards wachsender Autoritätsverlust war nicht mehr zu übersehen. Alle seine Versuche, das Defizit des Haushalts auszugleichen, scheiterten. Der amerikanische Präsident Johnson, den Erhard im September aufsuchte, um einen Aufschub von Devisenausgleichszahlungen der Bundesrepublik an die USA zu erlangen, verweigerte sich im Hinblick auf die eigene, durch den Vietnamkrieg ausgelöste schwierige Haushaltslage, den Bitten des Kanzlers. Als Erhard Steuererhöhungen ins Gespräch brachte, widersprach der Koalitionspartner FDP, deren Minister Ende Oktober das Kabinett verließen. Dass Erhard zu diesem Zeitpunkt noch als Kanzler amtierte, war allein dem Umstand geschuldet, dass sich die möglichen Nachfolger gegenseitig blockierten. Erhard regierte daher an der Spitze einer Minderheitsregierung weiter. Er weigerte sich zunächst zurückzutreten. Selbst als ihm die Mehrheit von SPD und FDP im Bundestag in einer von diesen Parteien eingebrachten Vertrauensfrage das Misstrauen ausgesprochen hatten, blieb er im Amt. Erst als sich Union und SPD auf eine Regierung unter Kurt Georg Kiesinger geeinigt hatten, trat Erhard am 30. November 1966 zurück. Am Ende war Erhard in der Tat ein „Volkskanzler ohne Volk“. Seine Konzeption, Politik ohne Hausmacht in der eigenen Partei und ohne Einbindung von Interessengruppen zu betreiben und stattdessen die Sicherung der eigenen Stellung allein auf die Zustimmung durch das Volk zu gründen, war letztlich allein vom wirtschaftlichen Erfolg abhängig. Als hieran Zweifel aufkamen, kündigte das Volk seine Gefolgschaft auf. Damit waren Erhards Erwartungen zu Beginn seiner Kanzlerschaft, am „Beginn einer neuen Epoche“ zu stehen, gescheitert. Erhard war – wie sein Nachfolger Kurt Georg Kiesinger, dessen Amtszeit noch um einige Wochen kürzer dauerte – ein Kanzler des Übergangs, der in der Geschichte der Bundesrepublik wenig Spuren hinterlassen hat. Daniel Koerfer hat Erhards Kanzlerschaft mit Blick auf die knappe Amtszeit von drei Jahren als „unvollkommen, unvollendet, episodenhaft“ 11 bezeichnet und damit eine Bewertung abgegeben, die ohne Einschränkung als zutreffend bezeichnet werden kann. 11 Peter Gillies/Daniel Koerfer/Udo Wengst, a. a. O., Seite 56. 64 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 127 (1/2011)
ORIENTIERUNGEN 127 ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK Impressum Herausgeber Ludwig-Erhard-Stiftung e. V. Anschrift Johanniterstraße 8, 53113 Bonn Telefon 02 28/5 39 88-0 Telefax 02 28/5 39 88-49 E-Mail info@ludwig-erhard-stiftung.de Internet www.ludwig-erhard-stiftung.de Bankverbindung Redaktion Deutsche Bank AG Bonn, Konto-Nr.: 0272005, BLZ 38070059 Dipl.-Volksw. Berthold Barth Dipl.-Volksw. Natalie Furjan Dipl.-Volksw. Lars Vogel Autoren dieser Ausgabe Dr. Stephan Articus Prof. Dr. Hanno Beck Prof. Dr. Charles B. Blankart Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel Prof. Dr. Walter Hamm Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke Carsten Holst Martin Knapp Dr. Sebastian Lakner Dr. Oliver Märker Dr. Werner Rügemer Oberbürgermeister Christian Schramm PD Dr. Josef Wehner Prof. Dr. Udo Wengst Prof. Dr. Hans Willgerodt Graphische Konzeption Druck und Herstellung Werner Steffens, Düsseldorf Druckerei Gerhards GmbH, Bonn-Beuel Vertrieb Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH, Gerokstraße 51, 70184 Stuttgart, Telefax: 0711 / 24 20 88 ISSN 0724-5246 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 127 – März 2011. Die Orientierungen erscheinen vierteljährlich. Alle Beiträge in den Orien tier ungen sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigung bedürfen der Geneh migung der Redaktion. Namensartikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion bzw. des Herausgebers wieder.
Seite 1 und 2:
ORIENTIERUNGEN ZUR WIRTSCHAFTS- UND
Seite 3 und 4:
Editorial Hallo, ihr Liberalen! - S
Seite 5 und 6:
Gemeindefinanzen weitung eines Rech
Seite 7 und 8:
Gemeindefinanzen ten Schritt darste
Seite 9 und 10:
Gemeindefinanzen Vielmehr ist Trans
Seite 11 und 12:
Gemeindefinanzen Der deutliche Rüc
Seite 13 und 14:
Gemeindefinanzen schlechte Erfahrun
Seite 15 und 16: Gemeindefinanzen sollten der Optimi
Seite 17 und 18: Gemeindefinanzen halt sollte der ö
Seite 19 und 20: Gemeindefinanzen sowie mit eigenen
Seite 21 und 22: Gemeindefinanzen Eine weitere Ziels
Seite 23 und 24: Gemeindefinanzen internetbasierten
Seite 25 und 26: Gemeindefinanzen den müssten. Es g
Seite 27 und 28: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in
Seite 29 und 30: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Hi
Seite 31 und 32: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk na
Seite 33 und 34: Ordnungsdenken in Zeiten der Unordn
Seite 35 und 36: ORDO-Jahrbuch Philosophie versus Ma
Seite 37 und 38: ORDO-Jahrbuch sich gerade unter dem
Seite 39 und 40: Wirtschaftspolitik im Ausnahmezusta
Seite 41 und 42: Abkehr von Grundsätzen nahmezustan
Seite 43 und 44: Griechenland sich seither bestens i
Seite 45 und 46: Griechenland dere problematische St
Seite 47 und 48: Griechenland wie noch Geld vorhande
Seite 49 und 50: Euro-Rettung zum Gipfelgespräch in
Seite 51 und 52: Euro-Rettung der alten EFSF von 440
Seite 53 und 54: Euro-Rettung tieren. Die derzeitige
Seite 55 und 56: Industriell versus bäuerlich „in
Seite 57 und 58: Industriell versus bäuerlich ökol
Seite 59 und 60: Industriell versus bäuerlich Aufga
Seite 61 und 62: Bundeskanzler Ludwig Erhard genden
Seite 63 und 64: Bundeskanzler Ludwig Erhard mehr in
Seite 65: Bundeskanzler Ludwig Erhard Erhards
Alle anzeigen

ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Template löschen?

Als Template speichern?