ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Euro-Rettung<br />
tieren. Die derzeitigen Finanzhilfen an Griechenland<br />
und Irland belegen dies.<br />
Umschuldungsphase samt<br />
Forderungsverzicht<br />
Der Rat scheint zuversichtlich, dass ein finanziell<br />
angeschlagenes Land durch die Liquiditätshilfen<br />
der zweiten Phase stabilisiert wird. Somit könnte<br />
der ESM hier zu Ende sein. Mehr der Vollständigkeit<br />
halber fährt der Rat dann fort: „Sollte der unerwartete<br />
Fall eintreten, dass sich ein Land als insolvent<br />
erweist, so muss dieser Mitgliedstaat zur<br />
Wiederherstellung eines tragbaren Verschuldungsmaßes<br />
entsprechend der IWF-Praxis mit seinen<br />
privaten Gläubigern einen umfassenden Re -<br />
strukturierungsplan aushandeln.“ 12<br />
Der Rat konkretisiert diesen abstrakten Satz: So sollen<br />
standardisierte Umschuldungsklauseln, sogenannte<br />
„Collective Action Clauses“, in die Pros pekte<br />
der Wertpapiere über Neuschulden ab 2013 eingebaut<br />
werden. Diese Klauseln sind per Kaufvertrag<br />
für alle Anleihezeichner bindend, egal ob sie bei der<br />
Gläubigerversammlung dabei sind oder nicht. Darin<br />
enthalten ist beispielsweise eine Regelung, nach der<br />
in der Gläubigerversammlung alle Schuldtitel zusammengefasst<br />
und aggregiert verhandelt werden.<br />
Dies wiederum erlaubt es, im Insolvenzfall qualifizierte<br />
Mehrheitsentscheidungen zu treffen, in denen<br />
die Zahlungsbedingungen für alle verbindlich<br />
je nach der finanziellen Lage des Staates angepasst<br />
werden. Es kann zum Beispiel ein Moratorium verhängt,<br />
die Fristigkeit verlängert oder der Zinssatz<br />
oder Nominalwert herabgesetzt werden (sogenannter<br />
Haircut), ohne dass einige Gläubiger das Verfahren<br />
strategisch blockieren. Auch können die über<br />
den ESM garantierten Gelder gegenüber den bestehenden<br />
Gläubigern rangmäßig bevorzugt werden.<br />
Den ESM vom Kopf auf die Füße stellen!<br />
Der von Bundesfinanzminister Schäuble zusammen<br />
mit der Kommission konzipierte Europäische Stabilitätsmechanismus<br />
beginnt mit der Präventionsphase<br />
und läuft über die Liquiditätshilfephase zu<br />
Umschuldung und Forderungsverzicht. Für potenzielle<br />
Defizitstaaten soll das Procedere immer<br />
ungemütlicher werden, sodass sie sich gleich<br />
schon in der ersten Phase an die Regeln halten<br />
und die Stabilität der Eurozone gesichert ist.<br />
Das ist jedoch nicht der richtige Weg, da er die<br />
Kosten nach oben treibt. Potenzielle Defizitstaaten<br />
betrachten den Prozess nicht von vorne nach hinten,<br />
sondern von hinten nach vorne. Die für sie relevanten<br />
Fragen sind: Wie schlimm wird es am Ende<br />
kommen Sie berechnen das Drohpotenzial aus<br />
dem Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und<br />
Schwere der Sanktionen. Hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
hat sich der Rat schon festgelegt.<br />
Ein Haircut wäre schlimm; aber dass es dazu<br />
kommt, ist nach Ansicht des Rates unwahrscheinlich.<br />
Der ESM ist so ausgerichtet, dass das<br />
bittere Ende möglichst nicht eintritt. Eine Regierung<br />
kann sich sagen: Wenn wir die Prävention<br />
nicht befolgen, dann landen wir weich in der Liquiditätshilfephase.<br />
Die Verantwortung, dass wir<br />
von dort wieder auf die Beine kommen, liegt bei<br />
denen, die uns dieses Verfahren verordnet haben:<br />
bei der Kommission und den Zahlerstaaten, vor allem<br />
bei Deutschland. Dass es dann noch zu einer<br />
Umschuldung kommt, scheint unwahrscheinlich.<br />
Was ist also zu tun Damit der ESM ein glaubwürdiges<br />
und vor allem kostengünstiges Instrument<br />
wird, muss er vom Kopf auf die Füße gestellt werden<br />
und in umgekehrter Reihenfolge erfolgen.<br />
Am Anfang muss die Umschuldung des bankrotten<br />
Staates stehen, da ihn das finanziell entlastet<br />
und ihm einen Neuanfang erlaubt. Danach können<br />
ihm bis zur Wiedererlangung seiner Kreditfähigkeit<br />
subsidiäre Liquiditätshilfen gewährt werden,<br />
sodass die Wogen geglättet werden. Zuletzt<br />
kann man darauf vertrauen, dass er die Regeln des<br />
Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie der Schuldenbremse<br />
aus eigenem Anreiz einhält; denn ohne<br />
die kostspieligen gemeinschaftlichen Garantien<br />
in Form eines Rettungsschirms hängt der<br />
Zinssatz, zu dem er Kredite aufnehmen kann, von<br />
der Seriosität seiner Haushaltsführung ab.<br />
Immer wieder wird gesagt, eine Umschuldung mit<br />
Gläubigerbeteiligung bringe die Finanzmärkte<br />
durcheinander. Dies lässt sich vermeiden, wenn<br />
ein abgestuftes Verfahren gewählt wird. Die Gläubiger<br />
sollten zunächst durch ein Schuldenmoratorium<br />
oder einen Zinsschnitt beteiligt werden. Liquiditätshilfen<br />
könnten in Mindestkursgarantien<br />
und Direkthilfen bestehen. Dadurch würden die<br />
Gläubiger vorsichtig, und die Schuldner hätten<br />
Anreize, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu befolgen.<br />
Die Kosten für eine Rettung durch den<br />
ESM würden so auf einen Bruchteil des derzeit geplanten<br />
Volumens begrenzt. 13 <br />
12 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen, 16./17. Dezember 2010,<br />
EUCO 30/10.<br />
13 Der Autor dankt Achim Klaiber und Erik R. Fasten für Hinweise<br />
und Unterstützung.<br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />
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