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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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Euro-Rettung<br />

der alten EFSF von 440 Milliarden Euro sind dies<br />

„nur“ zusätzliche 60 Milliarden Euro, ein Betrag,<br />

der bislang aus der Haushaltsreserve der Kommission<br />

zur Verfügung gestellt wurde. Ob ein Beitrag<br />

des IWF hinzukommt, ist noch nicht endgültig entschieden.<br />

Von den gesamten 500 Milliarden Euro<br />

würde auf Deutschland ein Anteil von 27 Prozent<br />

entfallen. Da aber die Euro-Anleihen vieler an der<br />

EFSF beteiligten Staaten unterhalb der höchsten<br />

Klassifikation AAA eingestuft sind, müsste Deutschland<br />

das zusammen mit den anderen AAA-Staaten<br />

wettmachen, das heißt den Anteil der finanzschwachen<br />

Staaten (wenigstens zum Teil) mit übernehmen.<br />

Es kann aber auch der Fall eintreten, dass<br />

Frankreich und andere Staaten erklären, sie könnten<br />

keinen Beitrag leisten. In diesem Fall könnte<br />

der Anteil Deutschlands bis auf 40 Prozent des<br />

ESM ansteigen. Im Fall Irlands wären das zum Beispiel<br />

40 Milliarden Euro. Hinzu kämen dann noch<br />

Leistungen an andere hilfsbedürftige Staaten. Alles<br />

in allem werden also noch einmal wesentlich mehr<br />

Mittel zur Krisenbekämpfung eingesetzt, was auch<br />

mehr potenzielle Verbindlichkeiten für Deutschland<br />

bedeutet. Die Befürchtung eines Aufschaukelns<br />

der Kosten statt einer Stabilisierung lässt sich<br />

daher nicht ausräumen.<br />

Der ESM soll in drei Phasen ablaufen: erstens die<br />

präventive Phase, zweitens die Liquiditätshilfephase<br />

und drittens die Umschuldungsphase. Dieser<br />

Reihenfolge liegt die – vielleicht naive – Vorstellung<br />

zugrunde, dass es zuerst darauf ankomme,<br />

mittels strenger Maßnahmen Haushaltsdisziplin<br />

durchzusetzen, sodass eine nachfolgende Liquiditätskrise,<br />

die gar mit einem Forderungsverzicht<br />

der Gläubiger enden könnte, praktisch ausgeschlossen<br />

werden kann. Zudem erklärt sich die<br />

Reihenfolge daraus, dass die finanzschwachen Euro-Staaten,<br />

die eine Umschuldung verabscheuen<br />

wie der Teufel das Weihwasser, diese daher – wenn<br />

sie schon unumgänglich sein sollte – an den<br />

Schluss des Prozesses setzen wollten.<br />

Präventive Phase<br />

10 Vgl. Resolution of the European Council on the Stability and<br />

Growth Pact, Amsterdam, 17. Juni 1997.<br />

Seit es die Europäische Währungsunion gibt, achten<br />

die Mitgliedstaaten mehr oder weniger den<br />

Stabilitäts- und Wachstumspakt. Dieser ist in erster<br />

Linie auf eine Beschränkung der strukturellen<br />

Staatsverschuldung ausgerichtet. Die Haushalte<br />

der Mitgliedstaaten sollen mit einer schwarzen<br />

Null abschließen. 10 Verfehlt ein Mitgliedstaat dieses<br />

Ziel, muss er mit Sanktionen rechnen. Hierbei<br />

wird ein genauer Stufenplan eingehalten. Zuerst<br />

ist die EU-Kommission an der Reihe, den Haushalt<br />

jedes Mitgliedstaates auf ein mögliches Defizit zu<br />

prüfen. Gegebenenfalls warnt sie die nationale Regierung<br />

und erstattet in einer nächsten Stufe Bericht<br />

an den Europäischen Rat.<br />

Der Rat beurteilt den Bericht der Kommission und<br />

beschließt zuerst Empfehlungen, die als schärfere<br />

Maßnahme nach einer bestimmten Frist veröffentlicht<br />

werden können, worauf beschlossen werden<br />

kann, den Staat in Verzug zu setzen und in der weiteren<br />

Folge Zwangseinlagen oder Geldbußen zu<br />

verhängen. Die Arbeitsgruppe des ständigen Ratspräsidenten<br />

Herman Van Rompuy hat im vergangenen<br />

Jahr eine Beschleunigung und Verschärfung<br />

dieses Verfahrens erarbeitet, das bislang nur teilweise<br />

vom Rat verabschiedet worden ist. Des Weiteren<br />

sollen der Kommission nach Van Rompuys<br />

Plan die nationalen Haushalte in einem sogenannten<br />

Semester vorgängig vorgelegt werden, sodass<br />

diese gegebenenfalls Korrekturen anbringen kann.<br />

In strukturpolitischer Hinsicht soll eine Art Anzeigetafel<br />

errichtet werden, auf der für jeden Mitgliedstaat<br />

der Grad der Zielerfüllung von Preisstabilität,<br />

Zahlungsbilanzgleichgewicht und spezifischen<br />

Lohnkosten öffentlich angezeigt werden.<br />

Trotz dieser Verschärfungen bleibt dem Stabilitätsund<br />

Wachstumspakt eine Eigenheit von EU-Verfahren<br />

untrennbar erhalten: Er muss Schritt für<br />

Schritt und Beschluss für Beschluss ablaufen. Auf<br />

jeder Stufe der obigen Kriterien soll der Mitgliedstaat<br />

seine Sache – gegebenenfalls nach veränderten<br />

Umständen – neu darlegen können, bevor der<br />

nächste Schritt beschlossen wird. Einen Automatismus<br />

im Procedere gibt es nicht.<br />

Gerade hierin liegt das Dilemma des Stabilitätsund<br />

Wachstumspaktes. Einerseits scheint das<br />

schrittweise Verfahren notwendig, um Willkür zu<br />

vermeiden, den Beteiligten Vertrauen in das Verfahren<br />

zu vermitteln und ein Sanktionssystem akzeptabel<br />

zu machen. Andererseits sinkt die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Sanktion, wenn sie erst am<br />

Ende einer bestimmten Zahl von Beschlüssen ausgesprochen<br />

werden kann. In der Tat wurden auf<br />

Basis des Stabilitäts- und Wachstumspakts noch<br />

nie Bußgelder ausgesprochen.<br />

Diese Schwäche des Stabilitäts- und Wachstums -<br />

paktes als präventive Maßnahme scheint auch<br />

Kanzlerin Merkel erkannt zu haben. Sie legte dem<br />

Rat am 4. Februar 2011 einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit<br />

vor. Er enthält sechs Forderungen:<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />

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