ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Europäische Währungsunion<br />
Europäischer Stabilitätsmechanismus:<br />
Wie weit umschulden, wie weit aushelfen<br />
Prof. Dr. Charles B. Blankart<br />
Institut für öffentliche Finanzen, Humboldt Universität zu Berlin<br />
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion haben bisher dreistellige Milliardenbeträge zur Rettung des Euro<br />
bereitgestellt. Doch der sogenannte Rettungsschirm wirkt nicht disziplinierend auf die nationalen Haushaltspolitiken.<br />
Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus, der ab Mitte 2013 wirksam werden soll, ist mit diesem Mangel behaftet.<br />
Staatsfinanzkrisen sind in der Geschichte nichts<br />
Besonderes. In einer jüngeren Studie wird belegt,<br />
dass in den vergangenen hundert Jahren gut ein<br />
Fünftel aller Staaten ein oder mehrere Male ban -<br />
krott waren. 1 An den derzeitigen Euro-Staatsban -<br />
krotten fällt auf, dass ihre Kosten weit über den<br />
Kosten der Staatsbankrotte der 1990er Jahre, beispielsweise<br />
dem in Argentinien, liegen. Wohin<br />
wird das führen Der von Bundesfinanzminister<br />
Wolfgang Schäuble unterstützte Europäische Stabilitätsmechanismus<br />
(ESM) zum Auffangen bankrotter<br />
Euro-Staaten, der ab 2013 wirksam werden soll,<br />
wird bis zu 500 Milliarden Euro erfordern. Wenn<br />
Deutschland nach Berechnungen des Münchner<br />
ifo-Instituts inklusive Folgeverpflichtungen hierzu<br />
bis zu 360 Milliarden Euro ohne Aussicht auf<br />
Rückzahlung beitragen muss, so steigt seine Staatsschuld<br />
um 18 Prozent. Das würde sich für breite<br />
Bevölkerungsschichten in einer spürbaren Senkung<br />
des verfügbaren Einkommens und Wohlstands<br />
niederschlagen. Weitere Erhöhungen des<br />
Fonds sind nicht ausgeschlossen.<br />
Der Weg in die Euro-Krise:<br />
Versäumnisse der EU-Kommission<br />
Erste Anzeichen der Euro-Staatsfinanzkrise zeigten<br />
sich im Herbst 2008, als die Regierungen der westlichen<br />
Industriestaaten als Folge der zusammengebrochenen<br />
Bank Lehman Brothers beschlossen,<br />
größere Banken in ihren jeweiligen Staaten nicht<br />
mehr in Konkurs gehen zu lassen. Sie vereinbarten,<br />
notfalls deren Schulden zu übernehmen. In der<br />
Folge wurden die Gläubiger von Staatsanleihen<br />
skeptisch. Die Zinsdifferenzen zwischen Staaten<br />
1 Vgl. Carmen M. Reinhart/Kenneth S. Rogoff, This Time Is Different,<br />
Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2010.<br />
mit solider und unsolider Budgetpolitik nahmen<br />
erstmals seit Gründung der Währungsunion beträchtlich<br />
zu. In Brüssel wurden jedoch keine Konsequenzen<br />
gezogen. Statt für den Fall einer Staatsinsolvenz<br />
ein Umschuldungsverfahren zu entwickeln,<br />
das dem Verbot der gegenseitigen Haftung,<br />
dem No-bail-out, Rechnung trägt, beruhigte die<br />
Europäische Kommission die Gläubiger, indem sie<br />
den gefährdeten Staaten nicht näher bestimmte<br />
Lösungen für ihre Schuldenprobleme in Aussicht<br />
stellte. 2 Dadurch hat die Kommission, die traditionell<br />
als „Hüterin des Vertrags“ bezeichnet wird,<br />
über ein Jahr wertvolle Zeit verstreichen lassen, um<br />
dem Rat eine vertragsgemäße Lösung zu unterbreiten.<br />
Als dann im Januar 2010 die Zinsdifferenzen<br />
für griechische Staatsanleihen erneut drastisch<br />
anstiegen, musste die Kommission den anfänglich<br />
abgeneigten Europäischen Rat dazu bringen, einem<br />
Hilfsprogramm zugunsten Griechenlands zuzustimmen.<br />
Dieses wurde im März und April 2010<br />
entwickelt und am 2. Mai 2010 in der Höhe von<br />
110 Milliarden Euro erlassen.<br />
Eine Beruhigung der Märkte bewirkte es nicht. Im<br />
Gegenteil: Ausgelöst durch defizitäre Staatshaushalte<br />
der sogenannten GIIPS-Staaten Griechenland,<br />
Irland, Italien, Portugal und Spanien brach<br />
kurzfristig die Nachfrage nach Staatspapieren dieser<br />
Euro-Staaten ein. Erst die Zustimmung des<br />
Deutschen Bundestages zum Griechenlandpaket<br />
am 7. Mai 2010 brachte wieder Beruhigung in die<br />
Märkte. Dennoch standen die Staats- und Regierungschefs<br />
noch unter dem Schock des Kurseinbruchs<br />
der Vortage, als sie sich am 7./8. Mai 2010<br />
2 EU-Kommissar Joaquin Almunía am 3. März 2009: „Wenn eine solche<br />
Krise in einem Euro-Staat auftritt, gibt es dafür eine Lösung, bevor<br />
dieses Land beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe<br />
bitten muss.“ Er fügte hinzu: „Es ist nicht klug, öffentlich über diese<br />
Lösung zu sprechen, aber die Lösung besteht“ (Quelle: Bloomberg).<br />
46 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)