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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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Griechenland<br />

dere problematische Staatsanleihen als Sicherheit<br />

akzeptiert.<br />

Bis heute können viele Griechen nicht begreifen,<br />

was gemeint ist, wenn gesagt wird, sie hätten über<br />

ihre Verhältnisse gelebt. Schließlich haben sie gearbeitet<br />

und sind dafür bezahlt worden, in den<br />

allermeisten Fällen nicht einmal sonderlich gut.<br />

Dass sich der Staat über Jahre hinweg massiv Geld<br />

geliehen hat, um einen „potemkinschen“ Wohlstand<br />

aufzubauen, war den allermeisten nicht bewusst.<br />

Auf der anderen Seite ist die private Verschuldung<br />

in Griechenland sehr moderat. Rechnet<br />

man die private und die öffentliche Verschuldung<br />

zusammen, steht Griechenland sogar besser<br />

da als mancher Nordstaat Europas. Nur leider<br />

kann man mit dieser Statistik keine Staatsanleihen<br />

zurückzahlen.<br />

Das Memorandum:<br />

Ein optimistischer Ansatz<br />

Wenn in Griechenland derzeit von einem Memorandum<br />

die Rede ist, fragt niemand mehr, welches<br />

Memorandum gemeint sei. Es gibt nur das eine<br />

Memorandum: die Vereinbarung zwischen der<br />

griechischen Regierung und der sogenannten<br />

Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank<br />

und Internationalem Währungsfonds über<br />

den Ausweg Griechenlands aus der Schuldenkrise.<br />

Der Inhalt des Memorandums hat per Beschluss<br />

des griechischen Parlamentes Gesetzeskraft erhalten,<br />

seine Umsetzung erfolgt schrittweise. Kont -<br />

rolleure der Troika treffen alle paar Monate in<br />

Athen ein, um das Erreichte zu überprüfen. Anschließend<br />

geben sie eine Empfehlung ab in Bezug<br />

auf die Auszahlung der nächsten Rate des sogenannten<br />

Hilfspaketes in Höhe von 110 Milliarden<br />

Euro. Griechenland benötigt diese Raten jedes<br />

Mal, wenn alte Anleihen fällig werden. Ohne<br />

die jeweilige Rate müsste das Land die Rückzahlung<br />

der Anleihen einstellen.<br />

Das Memorandum haben wenige gelesen, viele<br />

aber haben es kritisiert. Es wird mittlerweile für jede<br />

unpopuläre Maßnahme verantwortlich gemacht,<br />

die getroffen werden muss. Dem Text und<br />

seinen Verfassern ist vorzuwerfen, dass es auf einem<br />

zu optimistischen Ansatz beruht. Es liest sich<br />

auf weite Strecken wie ein Lehrbuch der Nationalökonomie<br />

der liberalen Schule, geschrieben von<br />

Leuten, die aus Industrienationen stammen und<br />

in entsprechenden Kategorien denken. Leitmotiv<br />

ist die Konkurrenzfähigkeit, die durch Senkung<br />

der Produktionskosten wiederhergestellt werden<br />

soll. Dabei wird jedoch nicht hinterfragt, auf welchem<br />

Gebiet und mit welchem Land Griechenland<br />

konkurriert. Soll es sich künftig in Konkurrenz<br />

zu Bulgarien und Rumänien als preiswerter<br />

Investitionsstandort in Südosteuropa profilieren<br />

Und ginge das überhaupt<br />

Kenner der griechischen Wirklichkeit wurden bei<br />

der Abfassung des Memorandums offensichtlich<br />

nicht zu Rate gezogen, und die hinter dem Text<br />

stehenden Organisationen machen sich erst jetzt<br />

im Nachhinein allmählich mit den besonderen<br />

Verhältnissen in Griechenland vertraut – nachdem<br />

das Memorandum längst zum „Grundgesetz“ des<br />

Landes geworden ist.<br />

Die Rolle des Staates<br />

Eine Besonderheit in Griechenland ist das Verständnis<br />

von der Rolle des Staates. In Griechenland<br />

ist stets der Ruf nach dem Staat zu hören, der<br />

alle Probleme lösen soll, obwohl ihm das niemand<br />

wirklich zutraut. Wenn es bei einem Erdbeben Opfer<br />

gibt, macht man den Staat zwar nicht für das<br />

Beben selbst verantwortlich, wohl aber für sämtliche<br />

Folgen. Dass der Staat trotz seiner hervorragenden<br />

personellen Ausstattung nicht funktioniert,<br />

ist nicht nur eine Phrase, sondern ironischerweise<br />

auch die Basis für einen großen Teil<br />

der griechischen Volkswirtschaft.<br />

Zum Beispiel das Bildungswesen: In einem Land<br />

ohne nennenswerte Industrie gibt es weniger berufliche<br />

Alternativen als in einem Industrieland.<br />

Wo man keine Facharbeiter braucht, bildet man<br />

sinnvollerweise auch keine aus. Letztlich ist das<br />

Studium das einzige erstrebenswerte Ziel für jeden<br />

jungen Griechen. Vor diesen Preis aber haben die<br />

hellenischen Götter den Schweiß gesetzt, und das<br />

nicht zu knapp. Es wurde ein scheinbar korruptionsfreies<br />

Hochschulzugangssystem geschaffen,<br />

das auf zentralen Prüfungen beruht, bei welchen<br />

riesige Wissensmengen abgefragt werden. Aus verschiedenen<br />

Gründen kann die Schule ihre Schüler<br />

jedoch auf diese Prüfungen nicht ausreichend<br />

vorbereiten. Auch der genialste Schüler hat keine<br />

Chance auf einen Studienplatz, wenn er nicht parallel<br />

zur Schule abends eine der sündhaft teuren<br />

Nachhilfeschulen besucht, die gezielt auf die Aufnahmeprüfungen<br />

vorbereiten.<br />

Für eine Durchschnittsfamilie bedeutet das eine<br />

hohe finanzielle Belastung und für den Schüler<br />

selbst eine Jugendzeit, an die er sich später mit<br />

Grauen erinnern wird. Dennoch schafft es etwa<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />

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