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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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Europäische Währungsunion<br />

Volkswirtschaft verlorenes Jahrzehnt betrachtet<br />

werden.<br />

Hat sich Griechenland<br />

in die Eurozone eingeschlichen<br />

Der nächste Schlag kam 1990, als die große Wende<br />

in Osteuropa den europäischen Unternehmen<br />

günstige Investitionsstandorte in Hülle und Fülle<br />

bescherte. Investitionen, die unter anderen Umständen<br />

in Länder wie Portugal oder Griechenland<br />

geflossen wären, gingen fortan fast ausschließlich<br />

nach Osteuropa. In der Tat ist kaum eine<br />

nennenswerte produktive Investition zu finden,<br />

die seither in Griechenland getätigt wurde. Auch<br />

griechische Firmen investierten in den letzten<br />

zwanzig Jahren verstärkt im Ausland, vor allem in<br />

den nördlichen Nachbarstaaten. Die griechischen<br />

Gesamtinvestitionen dort werden auf circa 40<br />

Milliarden Euro geschätzt. Das kann den Unternehmen<br />

nicht vorgeworfen werden, denn jedes<br />

Unternehmen ist verpflichtet, sein eigenes Überleben<br />

zu sichern. Nichtsdestoweniger blieb Griechenland<br />

selbst dabei auf der Strecke. Portugal<br />

und Griechenland werden auf internationaler<br />

Ebene seit nunmehr zwanzig Jahren als Ferienparks<br />

und als Absatzmärkte für Konsumgüter<br />

wahrgenommen.<br />

Eine weitere Belastung für die griechische Wirtschaft<br />

stellte die Auflösung Jugoslawiens dar. Zunächst<br />

versperrte der Krieg die Transportwege<br />

nach Mitteleuropa, dann kamen die neuen Grenzen.<br />

Waren früher zwei Grenzübertritte notwendig,<br />

um zum Beispiel nach Österreich zu gelangen,<br />

sind es heute fünf. Die einzige Alternative ist<br />

der teurere Seeweg über Italien.<br />

So stellte sich also die Situation dar, als vor einem<br />

Jahrzehnt der Euro in das Leben der Griechen<br />

trat. Plötzlich richteten sich die Zinsen im Land<br />

nicht mehr nach den Gegebenheiten der eigenen<br />

Volkswirtschaft, sondern nach europäischen<br />

Durchschnittsgrößen. Das heißt, Geld war so billig<br />

wie seit Langem nicht mehr. Den Südeuropäern<br />

wird vorgeworfen, dass sie mit dem preiswerten<br />

Geld unvernünftig umgegangen seien. Dieser Vorwurf<br />

trifft nur teilweise zu, nämlich in dem Maße,<br />

wie es um die Regierungen geht. Sie haben sich<br />

mit günstigen Krediten eingedeckt, um damit<br />

Wohltaten für ihre jeweilige Klientel zu finanzieren.<br />

Dass auf der anderen Seite auch unverhältnismäßig<br />

viel Geld in den Bausektor geflossen ist, vor<br />

allem in Spanien, daraus kann man niemandem<br />

einen Vorwurf machen. In einer freien Wirtschaft<br />

findet jedes Produkt den Weg dorthin, wo die entsprechende<br />

Nachfrage herrscht. Das gilt auch für<br />

Kredite.<br />

Vor allem in Deutschland wurde viel Aufhebens<br />

um die angeblich gefälschten Zahlen gemacht, mit<br />

denen sich Griechenland in die Eurozone eingeschlichen<br />

habe. Nun, die Zahlen waren nicht gefälscht<br />

– sie waren ausgedacht. Um Zahlen zu fälschen,<br />

müssen die richtigen bekannt sein. Gibt es<br />

keine verlässliche statistische Grundlage, muss<br />

man schätzen. Und wer würde sich schon Zahlen<br />

einfallen lassen, die nicht in sein Konzept passen<br />

Den damals Verantwortlichen muss zugutegehalten<br />

werden, dass sie keinerlei böse Absichten hegten.<br />

Niemand wollte Europa schaden. Was immer<br />

man tat, man tat es im Bewusstsein der eigenen<br />

Unwichtigkeit. Wer konnte damals schon ahnen,<br />

dass eine Situation eintreten könnte, wo ein Land,<br />

das nur mit 2,5 Prozent an der Wirtschaftsleistung<br />

der Eurozone beteiligt ist, eine so große Bedeutung<br />

erlangen würde Weder in Athen noch in<br />

Brüssel oder in Bonn wurde der griechischen Statistik<br />

größere Bedeutung beigemessen.<br />

Die dreifache Krise Griechenlands<br />

Die Krise kam still und heimlich nach Griechenland,<br />

gewissermaßen durch die Hintertür. Zunächst<br />

sah es so aus, als ob das Land die internationale<br />

Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008 relativ<br />

gut überstehen könnte, denn die griechischen<br />

Banken und Privatleute hatten kaum toxische Produkte<br />

aus den USA gekauft. Aber die Banken hatten<br />

jede Menge griechische Staatsanleihen. Damit<br />

nahm das Verhängnis seinen Lauf. Ende 2009 hörten<br />

die Kapitalmärkte auf, einer Staatsanleihe nur<br />

deshalb zu vertrauen, weil sie in Euro ausgestellt<br />

war. Der Rest ist bekannt.<br />

Die Krise in Griechenland ist eine Dreifach-Krise:<br />

Die Staatsschuldenkrise zeigt sich darin, dass niemand<br />

mehr bereit ist, dem griechischen Staat zu<br />

akzeptablen Bedingungen Geld zu leihen; die<br />

Zahlungsbilanzkrise äußert sich darin, dass das<br />

Defizit der Außenhandelsbilanz so groß geworden<br />

ist, dass es nicht mehr durch Überschüsse bei den<br />

Dienstleistungen ausgeglichen wird; die Liquiditätskrise<br />

äußert sich darin, dass die griechischen<br />

Banken aus dem Ausland nichts mehr geliehen<br />

bekommen, da ihr Bestand an griechischen<br />

Staatsanleihen zu groß ist. Hier hilft zurzeit die<br />

Europäische Zentralbank, die unter Verletzung ihrer<br />

eigenen Regeln vorläufig griechische und an-<br />

42 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)

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