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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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Griechenland<br />

sich seither bestens im Kapitalismus eingerichtet<br />

haben, haben sich eine antikapitalistische Grundeinstellung<br />

bewahrt, auch wenn sie längst nicht<br />

mehr bereit sind, die Parteien der extremen Linken<br />

zu wählen. Der Osten mag untergegangen<br />

sein, doch aus dem Westen kann nichts Gutes<br />

kommen. Alte ostkirchliche Traditionen spielen<br />

hier durchaus eine Rolle. Wenn es um Europa und<br />

vor allem um das „böse“ Deutschland geht, sind<br />

die Stellungnahmen der Linken und der sogenannten<br />

Völkischen Orthodoxen Sammlungsbewegung<br />

(LAOS) am rechten Rand des Parteienspektrums<br />

oft nur schwer auseinanderzuhalten.<br />

Sicherlich wird das Misstrauen durch das Verhalten<br />

vieler Vertreter des Kapitalismus genährt. Dabei<br />

geht es nicht nur um den einheimischen „Aeritzis“,<br />

also den sogenannten Luftverkäufer, der<br />

mit undurchsichtigen Geschäften reich wird.<br />

Vielmehr geht es auch um international tätige<br />

Unternehmen, wobei solche aus Deutschland<br />

interessanterweise in den Augen der Bevölkerung<br />

die Nase deutlich vorn haben. Im Mittelpunkt fast<br />

aller großen Korruptionsskandale der letzten Jahre<br />

stehen Unternehmen, die ihre Zentrale in<br />

Deutschland haben, sodass zumindest die Korruption<br />

im großen Stil mittlerweile als deutsches Exportprodukt<br />

gilt. Die alltägliche Kleinkorruption<br />

dagegen wird durchaus als einheimisches Gewächs<br />

wahrgenommen.<br />

Das Schicksalsjahr 1981:<br />

Beginn eines verlorenen Jahrzehnts<br />

Erst dem leidenschaftlichen Populisten Andreas<br />

Papandreou, Sohn des früheren Ministerpräsidenten<br />

Georgios Papandreou und Vater des heutigen Ministerpräsidenten<br />

gleichen Namens, gelang es, die<br />

Kräfte der Bürgerkriegsverlierer weitgehend zu<br />

bündeln und damit die Parlamentswahlen des Jahres<br />

1981 deutlich zu gewinnen. Für den griechischen<br />

Staatsapparat, bis dahin ein Erbhof der „Nationalgesinnten“,<br />

hatte das fatale Folgen. Der<br />

Nachholbedarf der bislang Ausgegrenzten an einer<br />

Teilhabe an den Wohltaten des Staates war<br />

enorm, und Andreas Papandreou beeilte sich, diesem<br />

Nachholbedarf gerecht zu werden, vor allem<br />

durch die Verbeamtung vieler seiner Parteigänger.<br />

Auch konnte sich in jenen Jahren manch eine 35-<br />

jährige beim Staat beschäftigte Mutter unmittelbar<br />

in den Ruhestand abmelden – eine Altlast, unter<br />

der das Rentensystem noch viele Jahrzehnte zu tragen<br />

haben wird.<br />

Unvergessen ist vielen Griechen eine Szene aus<br />

dem Wahlkampf 1989, als Papandreou auf einer<br />

Großveranstaltung in Athen seinen Finanzminister<br />

Dimitrios Tsovolas lautstark aufforderte: „Tsovolas,<br />

gib ihnen alles!“ Gemeint war ganz offensichtlich<br />

die Staatskasse, die der Finanzminister unters Volk<br />

bringen sollte. Der Jubel der Masse war groß, doch<br />

rund zwanzig Jahre später wird dem Volk die Rechnung<br />

präsentiert.<br />

Die Ironie der Geschichte will, dass es ausgerechnet<br />

Papandreous Sohn Georgios II. Papandreou getroffen<br />

hat, der heute als Ministerpräsident die<br />

Kastanien aus dem Feuer holen soll. Im Feuer liegen<br />

aber nicht nur die Kastanien, die sein Vater<br />

Papandreou dort hineingelegt hat, sondern auch<br />

etliche weitere, die unter den nachfolgenden Regierungen,<br />

konservativen wie sozialistischen, hinzukamen.<br />

Seit dreißig Jahren versuchten die beiden<br />

großen Parteien – Papandreus Panhellenische<br />

Sozialistische Bewegung (PASOK) und die konservative<br />

Neue Demokratie (ND) –, sich gegenseitig<br />

mit Geschenken für die Wählerschaft zu übertrumpfen.<br />

Kurz vor Andreas Papandreous Wahlsieg im Jahr<br />

1981 war Griechenland der Europäischen Gemeinschaft<br />

(EG) beigetreten. Dieser Beitritt war<br />

das Lebenswerk des konservativen Premiers<br />

Konstantinos Karamanlis, des Onkels des gleichnamigen<br />

Ministerpräsidenten der Jahre 2004 bis<br />

2009. Auch vor dreißig Jahren gab es Zweifler, die<br />

nicht daran glauben wollten, dass Griechenland<br />

im Wettbewerb mit den entwickelten Volkswirtschaften<br />

Europas würde bestehen können. Diesen<br />

pflegte Konstantinos Karamanlis I. entgegenzuhalten,<br />

dass er die Griechen ins Meer geworfen habe,<br />

wo sie wohl oder übel schwimmen lernen müssten.<br />

Nun, sie sind dreißig Jahre lang geschwommen,<br />

doch jetzt sind sie müde.<br />

Schon bald nach dem Beitritt zur EG zeigte sich,<br />

dass der Industrialisierungsschub, den man sich<br />

vom Beitritt erhofft hatte, ausblieb. Im Gegenteil:<br />

Griechische Firmen, die vorher wohlbehütet hinter<br />

Zollmauern existiert hatten, erwiesen sich als<br />

nicht konkurrenzfähig. Aus Industriellen wurden<br />

Importeure. Ausländische Firmen, die nur im<br />

Land produziert hatten, weil sie den griechischen<br />

Markt wegen der Zölle nicht hätten erschließen<br />

können, wandelten ihre Produktionsstätten in reine<br />

Auslieferungslager um. Die wenig investorenfreundliche<br />

Haltung der Regierung in den ersten<br />

Jahren unter Papandreou trug ebenfalls dazu bei,<br />

dass die 1980er Jahre als ein für die griechische<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />

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