ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Abkehr von Grundsätzen<br />
nahmezustand müssen Maßnahmen ergriffen werden,<br />
die zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse<br />
notwendig sind. Das ist auch liberale Auffassung,<br />
zum Beispiel die Meinung Friedrich August<br />
von Hayeks. In so einer Situation wird geltendes<br />
Recht vorübergehend nicht angewandt. Dadurch<br />
sollen freiheitlich geordnete Verhältnisse wiederhergestellt<br />
werden.<br />
Von der Vorstellung, es sei eine vorübergehende<br />
Ausnahmesituation zu bewältigen, hat man inzwischen<br />
Abschied genommen. Mit der kaum ausreichend<br />
begründeten Hilfe für das wohlhabende Irland<br />
öffnet man eine Schleuse zum permanenten<br />
Ausnahmezustand. Die Stabilitätsanstrengungen<br />
Portugals und Spaniens werden deshalb nachlassen,<br />
wenn auch sie zur Nothilfe für das reichere Irland<br />
beitragen sollen. An die Größenordnung, die<br />
für eine Rettung Italiens nötig wäre, wagt man gar<br />
nicht zu denken. Und schon werden weitere<br />
Fonds ins Auge gefasst, im Umfang von einer Billion<br />
Euro und mehr.<br />
Die Möglichkeit des Zugriffs auf riesige und wahrscheinlich<br />
immer wieder aufgefüllte Rettungsfonds<br />
steigert die politische Ausgabenneigung. In<br />
der Zeit Ludwig Erhards und Fritz Schäffers konnte<br />
diese Tendenz noch zurückgestaut werden, freilich<br />
mit blamablen Ausnahmen wie dem berüchtigten<br />
„Kuchenausschuss“ von 1955, bei dem sich<br />
Politiker verschiedener Parteien zusammengesetzt<br />
haben, um Mittel zu verteilen, die längst bei der<br />
Zentralbank eingezahlt und aus dem Verkehr gezogen<br />
waren. Heute nutzt der Staat nicht mehr die<br />
Zentralbank als illusionäre Sparkasse. Vielmehr<br />
drängt die Politik danach, Verschuldungsspielräume<br />
zu nutzen, und wird darin von vulgärkeynesianischen<br />
Lehren ermutigt.<br />
Wenn man die EU in eine Transfergemeinschaft<br />
zugunsten von Ländern mit Staatsdefiziten verwandeln<br />
will, sollte der Vertrag über die Wirtschaftsunion<br />
entsprechend geändert werden. Dazu<br />
braucht man aber Einstimmigkeit der Mitglieder.<br />
Der europäische Staatenbund würde mit einem<br />
solchen Schritt fiskalisch in einen Bundesstaat<br />
verwandelt. Die Souveränität der Einzelmitglieder<br />
wäre insoweit aufgehoben. Wenn man dies<br />
will, ist wohl in jedem Mitgliedstaat die Verfassung<br />
zu ändern. Meist sind auch die Völker selber zu<br />
fragen, ob sie den Verlust ihrer finanziellen und<br />
damit prinzipiellen Eigenstaatlichkeit wollen – zugunsten<br />
einer Union, die sich von einer Krise zur<br />
anderen hangelt und die sich kaum dadurch beliebter<br />
gemacht hat, dass die Teilnehmer fremde<br />
Staatsdefizite finanzieren sollen. Im Gegenteil: Die<br />
damit verbundenen Lasten für die Bürger der abgabepflichtig<br />
gemachten Länder legen ihnen den<br />
Austritt aus der Währungsunion nahe, solange er<br />
noch möglich ist. Mögliche neue, finanziell solide<br />
Mitglieder der EU werden durch die Zahlungspflicht<br />
eher vom Beitritt zur Währungsunion abgehalten.<br />
Denn dieses System bestraft fiskalische<br />
Sparsamkeit.<br />
Konstanz der Wirtschaftspolitik<br />
Umverteilungswünsche sind nicht nur ein Prinzip<br />
der Sozialpolitik. Die Tendenz, auf Kosten anderer<br />
zu leben oder zu verteilen, besteht allgemein. Das<br />
helfende Regieren mit dem Geld anderer Leute<br />
wird heute auch zum Regieren mit dem Geld anderer<br />
Völker. In wirklicher Not kann dies sinnvoll<br />
sein. Aber ein sich oft wiederholender „Notstand“<br />
hört auf, ein Ereignis zu sein, das zu Sondermaßnahmen<br />
berechtigt. Dies gilt vor allem, wenn die<br />
Not auf unsolide Staatsfinanzen zurückgeht. Sie<br />
gehören in das Gebiet von politischem Betrug und<br />
Untreue.<br />
Das Regieren mit dem Ausnahmezustand hat jedoch<br />
für gestaltungsfreudige Politiker seinen besonderen<br />
Reiz. Die Hemmungen, die das Recht zu<br />
setzen hat, fallen weg. Man sieht irgendwo in der<br />
Wirtschaft kritische Entwicklungen. Wahltaktiker,<br />
Alarmjournalisten oder Interessengruppen drängen<br />
zum Eingriff der Regierung. Diese wiederum<br />
bietet Hilfe an, ohne das Ordnungsgefüge einer<br />
freiheitlichen Wirtschaft zu beachten. Man hält<br />
das Volk und seine Unternehmer für nur sekundär<br />
mündig, um ihre eigenen Probleme zu lösen. Wer<br />
nicht entmündigt werden will, weist wie im Fall<br />
Opel die Hilfe zurück.<br />
Die Marktwirtschaft ist der staatlichen Intervention<br />
im Normalfall überlegen. Sie braucht freilich<br />
das, was Walter Eucken „Konstanz der Wirtschaftspolitik“<br />
– sprich: Berechenbarkeit – genannt hat.<br />
Das ist aber gerade das Gegenteil eines permanenten<br />
staatlichen und gesetzgeberischen Ausnahmezustands.<br />
Rechtssicherheit ist nicht schon dann gegeben,<br />
wenn für alle Vorgänge Gesetze erlassen<br />
werden. Viele Juristen und Ökonomen halten das<br />
Recht für einen Werkzeugkasten mit zahllosen variablen<br />
Instrumenten, auf die nach Bedarf und<br />
Belieben zurückgegriffen werden kann. Das mag<br />
seinen legitimen Spielraum haben. Ordnungspolitik<br />
dagegen sichert den Freiheitsraum der Bürger<br />
– und zwar dauerhaft. Dieser beruht nicht zuletzt<br />
auf der Stabilität von Geld und Staatsfinanzen. <br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />
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