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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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Wirtschaftspolitik im Ausnahmezustand<br />

Prof. Dr. Hans Willgerodt<br />

Emeritierter Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität zu Köln<br />

und ehemaliger Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik<br />

Die Finanzhilfen für Griechenland und Irland könnten das Wesen der Europäischen Währungsunion verändern. Als<br />

vo rübergehende Notstandsmaßnahme ins Leben gerufen, droht der europäische Rettungsschirm immer größer und zu<br />

einer dauerhaften Institution zu werden. Diese Entwicklung beruht auf einem tief verwurzelten politischen Prozess,<br />

der auch in Deutschland zu beobachten ist: dem zunehmenden „Regieren mit dem Ausnahmezustand“. Eine solche Politik,<br />

die oft als alternativlos hingestellt wird, ist offenkundig nicht mit einer freiheitlichen Ordnungspolitik vereinbar.<br />

Der griechische Staat ist durch falsche Angaben<br />

Mitglied der Europäischen Währungsunion (EWU)<br />

geworden. Er hat sich danach so stark verschuldet,<br />

dass er zahlungsunfähig geworden ist. Bei Privatpersonen<br />

würde dies als betrügerischer Bankrott<br />

mit Gefängnis bestraft. Von Maßnahmen gegen die<br />

Politiker in Athen, Brüssel und anderen Hauptstädten,<br />

die dies veranlasst oder geduldet haben, ist<br />

nichts bekannt geworden. Und auch die Bankiers,<br />

die den Vorgang als Gewinnquelle nutzen konnten,<br />

sind nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Dem<br />

folgte ein weiterer Rechtsbruch: Unter französischem<br />

Druck wurde ein Rettungsfonds gegründet,<br />

mit dem griechische Staatspapiere angekauft werden<br />

konnten, die nicht aus eigener Kraft voll verzinst<br />

und zurückgezahlt werden.<br />

Die Währungsunion als Transferunion<br />

Die Insolvenz Griechenlands scheint damit vorläufig<br />

abgewendet zu sein – zumindest bis zur Fälligkeit<br />

der neuen Verbindlichkeiten, die Griechenland<br />

hat eingehen müssen. Es sei denn, die neuen<br />

Gläubiger verzichten auf ihre Forderungen. Zum<br />

Fonds hatten die nichtgriechischen Mitglieder der<br />

EWU beizutragen. Mit Ausnahme der Slowakei haben<br />

die Euro-Staaten diese Regelung akzeptiert.<br />

Die Wertminderung griechischer Staatspapiere<br />

läuft darauf hinaus, dass einige Mitglieder der Europäischen<br />

Union (EU) für die Schulden anderer<br />

Mitglieder aufkommen. Unter Führung Frankreichs<br />

und Deutschlands wurde die dem entgegenstehende<br />

Bestimmung des Lissabon-Vertrags<br />

über die Europäische Union (Artikel 125 Absatz 1<br />

Satz 2) außer Kraft gesetzt. Der Vertrag selbst wurde<br />

nicht geändert, obwohl das dessen Logik entsprochen<br />

hätte. Denn diese Klausel war in den Vertrag<br />

aufgenommen worden, um stabilitätsbewusste<br />

Unionsmitglieder – wie damals Deutschland – vor<br />

der „Ausbeutung“ durch andere Mitglieder zu<br />

schützen. Das jetzt davon abweichende Verfahren<br />

wurde eingeführt, ohne die Käufer griechischer<br />

Staatspapiere an den entstehenden Kosten und<br />

Verlusten zu beteiligen. Sie haben aber durch ihre<br />

Kreditgewährung die griechische Zahlungskrise<br />

mit verursacht. Das Verfahren dient also weniger<br />

der Rettung Griechenlands als dem Schutz seiner<br />

Gläubiger, vor allem international agierender<br />

Großbanken. Bei der „Griechenland-Hilfe“ wurde<br />

bislang wenig getan, um die griechische Wirtschaft<br />

wieder zahlungsfähig zu machen.<br />

An eine Korrektur der offenkundigen Mängel des<br />

Eurosystems wird erst jetzt gedacht. Es wird sogar<br />

erwogen, die Gläubiger künftig bei einer von ihnen<br />

mit verschuldeten Krise zur Bereinigung he -<br />

ranzuziehen. Doch sofort gibt es Widerstand<br />

wegen möglicher Kursverluste, die sich allerdings<br />

auch inszenieren lassen. Zudem möchte man ungern<br />

darauf verzichten, eigene Risiken profitabel<br />

auf helfende Fonds abzuwälzen, die irgendwann<br />

von irgendeinem Steuerzahler getragen werden<br />

oder als „tote Verlustlast“ in den Bilanzen der<br />

Gläubigerstaaten stehen bleiben.<br />

Die heutige Politik ist auf Lastverschiebung spezialisiert,<br />

notwendige und zunächst einschneidende<br />

Reformen werden aufgeschoben. Augenblicksnöte<br />

werden durch die Gewährung von Bürgschaften<br />

überbrückt. Man meint, dadurch den Markt beruhigen<br />

zu können, und setzt die alte Defizitpolitik<br />

fort. Irgendwann aber gibt der Markt den hierfür<br />

nötigen Vertrauensvorschuss nicht mehr und verlangt<br />

wirkliche Zahlung. Das dazu nötige Geld<br />

kann von der Europäischen Zentralbank (EZB)<br />

geschaffen werden, die sich auch schon auf diesen<br />

Weg begeben hat. Irgendwann muss sich das neu<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />

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