ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Ordnungspolitik<br />
und durch eine Kultur der Verständlichkeit einen<br />
interdisziplinären Dialog nicht nur innerhalb der<br />
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, sondern<br />
auch hin zu Philosophie, Theologie und Naturwissenschaften<br />
zu pflegen. Das Denken in Ordnungen<br />
ist besser als viele modernistische und modische<br />
Theorieansätze dazu geeignet, die großen<br />
Probleme des menschlichen Zusammenlebens<br />
wirklichkeitsnah zu erfassen.<br />
Die Ordnungsökonomik tut sich zu schwer damit,<br />
vorausschauend auf die Politik einzuwirken. Sie<br />
muss mehr Kraft entwickeln, politische Debatten<br />
zu stimulieren und in die richtigen Bahnen zu lenken.<br />
Man gerät trotz vieler guter Argumente allzu<br />
leicht in die Defensive, wenn man die Positionen<br />
der Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft wie<br />
eine Monstranz vor sich her trägt und die Gegenwart<br />
daran misst, wie weit sie von einem imaginären<br />
Ideal der Vergangenheit abweicht. Ganz abgesehen<br />
davon, dass auch zu Ludwig Erhards Zeiten<br />
die deutsche Wirtschaftspolitik kein tadelloses<br />
Muster ordnungspolitischer Klarheit war, läuft<br />
man damit Gefahr, immer wieder in eine reaktive<br />
Haltung gegenüber neuen oder alten Forderungen<br />
nach politischem Interventionismus zu geraten.<br />
Selbst wenn man in der Sache die richtigen<br />
Argumente auf seiner Seite hat, zieht man dann<br />
politisch auf längere Sicht den Kürzeren.<br />
Die Ordnungsökonomik benötigt ein besseres Gespür<br />
für ideenpolitische Trends, mehr Mut zu riskantem<br />
Denken, das sich aus alten Gleisen löst,<br />
das festgefahrene Debatten neu definieren kann<br />
sowie Themen und Begriffe zu setzen weiß, an denen<br />
sich andere orientieren müssen. Ist eine Entscheidungsfrage<br />
erst einmal politisch aktuell geworden,<br />
ist der Zug oftmals schon abgefahren,<br />
und man kann dann kaum mehr tun, als den entstehenden<br />
Schaden zu begrenzen. Die Ordnungsökonomen<br />
müssen also ihre Strategiefähigkeit in<br />
Sachen Ideenpolitik und Begriffspolitik verbessern,<br />
sie müssen selbst Ideen mit langem Atem<br />
ventilieren und Problemdeutungen prägen, die<br />
mit Verzögerung in die Tagespolitik Einzug halten.<br />
Sie müssen auch mehr Sinn für machtpolitische<br />
Konstellationen entwickeln. Gesetzmäßige<br />
Kausalitäten erkennen ist das eine, aber eine andere<br />
Sache ist es, komplexe Entscheidungssituationen<br />
der Politik zu verstehen und mit eigenen<br />
Positionierungen und Kommentaren zum richtigen<br />
Zeitpunkt und an der richtigen Stelle wirksam<br />
zu werden. Der Politik lästig werden, falschen Positionen<br />
aufrecht entgegentreten und für die konsequente<br />
Alternative werben ist eine notwendige,<br />
aber keine hinreichende Bedingung für den Erfolg<br />
einer praktisch orientierten Wissenschaft.<br />
Zugegebenermaßen ist die politische Aufgabe der<br />
Ordnungsökonomik nicht leicht zu lösen. Allzu<br />
oft müssen ihre Vertreter in der Rolle des Spielverderbers<br />
auftreten, der populäre Forderungen<br />
nach materiellen Wohltaten und schützenden Privilegien<br />
zurückweist und an lästige Prinzipien wie<br />
Freiheit, Haftung und Verantwortung erinnern<br />
muss. Niemanden kann es wundern, dass Politiker<br />
und Wähler lieber den Weg des geringsten Widerstands<br />
und des bequemsten Arguments gehen.<br />
Umso wichtiger ist es, dass die Ordnungsökonomik<br />
in der politischen Übersetzung ihrer Kernpositionen<br />
mehr Phantasie dafür entwickelt, die Idee<br />
der Freiheit wieder zu einer attraktiven Vision zu<br />
entwickeln. An Stoff für die nächsten ORDO-Jahrbücher<br />
mangelt es also nicht. <br />
36 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)