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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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ORDO-Jahrbuch<br />

sich gerade unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise<br />

in zentralen Perspektiven bestätigt fühlen.<br />

Als Korrektiv zur sterilen Geschäftigkeit der Wirtschafts-<br />

und Sozialwissenschaften ist sie wichtiger<br />

denn je. Das Denken in Ordnungen zwingt die<br />

Wissenschaften dazu, in Interdependenzen zu<br />

denken und eine synoptische Perspektive einzunehmen<br />

und damit eben jene Integrationsleistung<br />

zu vollbringen, die man von der Politik zu Recht<br />

tagtäglich verlangt.<br />

Aber man kann nicht darüber hinwegsehen, dass<br />

die Ordnungsökonomik im Zuge der Finanzmarktkrise<br />

an politischem Boden verloren hat.<br />

Aufrecht argumentierten ihre Vertreter gegen den<br />

konjunktur- und sozialpolitischen Voluntarismus,<br />

aber viel Gehör schenkte man ihnen nicht. Die<br />

Ordnungspolitik ist in die Defensive geraten und<br />

hat jedenfalls im Augenblick dem Drang nach<br />

prinzipienlosem Interventionismus und der neuen<br />

Lust an makroökonomischer Globalsteuerung<br />

nur wenig entgegenzusetzen. Die Schwerhörigkeit<br />

der Politik und der Öffentlichkeit gegenüber ordnungspolitischen<br />

Argumenten war schon immer<br />

stark ausgeprägt, aber sie hat sich in den vergangenen<br />

Jahren erkennbar verschlimmert. Wir leben<br />

in einer Zeit der neuen Beliebigkeit, in der ordnungspolitische<br />

Selbstdisziplin und das Denken<br />

über den kurzsichtigen Horizont der demokratischen<br />

Politiker oder gar der Finanzmarktakteure<br />

hinaus wenig zählen. Wenn die Ordnungsökonomik<br />

ihren politischen Einfluss steigern und mehr<br />

Durchsetzungskraft zurückgewinnen will, kommt<br />

sie um eine politisch-strategische Erneuerung<br />

nicht herum.<br />

Unübersehbar steht die Ordnungsökonomik vor<br />

einem Generationenproblem. Der diesjährige<br />

ORDO-Band zeigt, dass große Vertreter der zweiten<br />

und dritten Generation, die in den 1960er und<br />

1970er Jahren Schüler der Gründergeneration um<br />

Walter Eucken, Alfred Müller-Armack oder Fritz W.<br />

Meyer waren, nach wie vor ihre Stimme kraftvoll erheben.<br />

Andere Aufsätze und viele der rezensierten<br />

Buchtitel lassen auch erkennen, dass es einen starken<br />

Nachwuchs gibt. Aber diesen zieht es nolens<br />

volens eher in die wirtschaftliche oder politische<br />

Praxis, seltener jedoch an die Universitäten. Die<br />

Besetzungspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte<br />

hat an vielen Hochschulen den Stellenwert der<br />

Ordnungsökonomik untergraben. Nur an einer<br />

Handvoll von Standorten lässt sich noch mit Fug<br />

und Recht von einer starken und lebendigen Tradition<br />

der Ordnungsökonomik sprechen.<br />

Wenn die Ordnungsökonomik nicht allmählich<br />

austrocknen will, werden ihre verbliebenen Vertreter<br />

mehr Anstrengungen unternehmen müssen,<br />

ihren geistigen Nachwuchs in der Wissenschaft<br />

zu halten – sei es durch eine bessere Durchsetzung<br />

in der universitären Personalpolitik, sei es<br />

durch den Ausbau von außeruniversitären Instituten<br />

und privat finanzierten Stiftungen, in denen<br />

man dem Anpassungsdruck der dominanten Fachkultur<br />

und ihrer freiwilligen Zensur durch die wuchernde<br />

Akkreditierungs- und Evaluationsbürokratie<br />

weniger ausgesetzt ist. Es müssen mehr Gelegenheiten<br />

geschaffen werden, um wieder einen<br />

echten, kreativen Wettbewerb der Ideen in Gang<br />

zu bringen, welcher innerhalb der Wissenschaften<br />

mindestens genauso notwendig ist wie in der Wirtschaft.<br />

Die Ordnungsökonomik darf ihr Licht<br />

nicht unter den Scheffel stellen<br />

Selbstbesinnung und Selbstvergewisserung über<br />

die ideenhistorischen Ausgangspunkte und über<br />

die geistigen Grundlagen sind wichtig, um die eigenen<br />

Argumente zu schärfen und das Forschungsprogramm<br />

voranzutreiben. Aber das darf<br />

nicht zu einer Verinselung der Ordnungsökonomik<br />

im heutigen Wissenschafts- und Politikbetrieb<br />

führen. Es kommt darauf an, anschlussfähig und<br />

satisfaktionsfähig zu bleiben. Wo es der Lösung<br />

der sachlichen Probleme dient, spricht nichts dagegen,<br />

dass sich die Ordnungsökonomen stärker<br />

als in der Vergangenheit um die Integration quantitativer<br />

Methoden bemühen. Aber sie haben beileibe<br />

keinen Grund, methodologische Minderwertigkeitskomplexe<br />

zu entwickeln und um jeden<br />

Preis auf den Zug der Mathematisierung der Wirtschafts-<br />

und Sozialwissenschaften aufzuspringen.<br />

Es wäre eine unnötige Selbstverleugnung, wenn<br />

das Forschungsprogramm der Ordnungsökonomik<br />

im Säurebad des Mainstreams bis zur Unkenntlichkeit<br />

aufgelöst würde.<br />

Die Ordnungsökonomik sollte sich ihrer Stärken<br />

bewusst bleiben, und das bedeutet insbesondere,<br />

dass sie ihre Fähigkeit pflegt, in Zusammenhängen<br />

zu denken, die kulturellen und historischen Bedingtheiten<br />

von Institutionen zu begreifen sowie<br />

die Komplexität von Ordnung und Steuerung in<br />

modernen Gesellschaften zu durchdringen. Das<br />

besondere Talent der Ordnungsökonomik – und<br />

davon zeugen auch einige der Beiträge des diesjährigen<br />

ORDO-Bandes – liegt darin, Fachgrenzen<br />

zu überwinden und durch synoptisches Denken,<br />

durch eine problemorientierte Sicht der Dinge<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />

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