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ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127

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Ordnungsdenken in Zeiten der Unordnung –<br />

Das ORDO-Jahrbuch im siebten Jahrzehnt<br />

Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke<br />

Außerplanmäßiger Professor an der Universität Rostock<br />

Besprochen wird:<br />

ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von<br />

Wirtschaft und Gesellschaft, Band 61, Lucius<br />

& Lucius Verlag, Stuttgart 2010, 482 Seiten.<br />

Die Finanzmarktkrise hat eine neue Ära der wirtschaftspolitischen<br />

Experimente eingeleitet und<br />

der ordnungstheoretisch begründeten Disziplinierung<br />

der Politik einen schweren Schlag versetzt.<br />

Nicht das Vertrauen auf die reinigende Kraft<br />

des Wettbewerbs, nicht die Besinnung auf eine<br />

stabilitätsorientierte Geldpolitik, nicht die Einforderung<br />

einer ordnungspolitischen Zurückhaltung<br />

des Staates und auch nicht die fiskalische<br />

Nachhaltigkeit im Interesse künftiger Generationen<br />

waren das Gebot der Stunde. Stattdessen folgten<br />

der Finanzmarktkrise marktwidrige Rettungsaktionen<br />

für Banken und Großunternehmen zulasten<br />

der Steuerzahler, gut gemeinte, aber nicht<br />

immer durchdachte Regulierungen der Finanzmärkte,<br />

konjunktur- und sozialpolitischer Interventionismus<br />

sowie eine neue Welle der Staatsverschuldung.<br />

Die Politik hat Regeln zur Währungsstabilität,<br />

zur Haushaltsdisziplin oder zur Begrenzung<br />

der Eigendynamik der europäischen Integration<br />

wie lästige Fesseln abgeschüttelt und sich<br />

der wiedererwachten Lust auf makroökonomische<br />

Globalsteuerung bereitwillig hingegeben.<br />

Kurz gesagt: Um die Durchsetzungskraft des ordnungspolitischen<br />

Arguments ist es seither<br />

schlechter denn je bestellt. Deutschland und Europa<br />

haben in den vergangenen zwei bis drei Jahren<br />

eine wirtschaftspolitische Zeitenwende erlebt,<br />

die nicht anders als Abwendung vom neoliberalen<br />

Konzept der Sozialen Marktwirtschaft verstanden<br />

werden kann. Denjenigen, die das politische Erbe<br />

Ludwig Erhards eigentlich zu wahren hätten, fällt<br />

dies größtenteils nicht auf, weil sie die schleichende<br />

Uminterpretation des Begriffs Soziale Marktwirtschaft<br />

– weg von einem an grundlegenden<br />

Prinzipien ausgerichteten, in sich kohärenten<br />

Ordnungsmodell hin zu einer beliebigen Kreuzung<br />

aus marktwirtschaftlichen, planwirtschaftlichen<br />

und wohlfahrtsstaatlichen Merkmalen –<br />

längst verinnerlicht haben und keinen inneren<br />

Kompass mehr besitzen.<br />

Selbstbesinnung der Ordnungstheorie<br />

und ihr Transfer in andere Wissenschaften<br />

Wer in solchen bewegten Zeiten ordnungspolitische<br />

Orientierung sucht, der wird auch in diesem<br />

Jahr zum ORDO-Jahrbuch greifen, das inzwischen<br />

schon im siebten Jahrzehnt steht und in dessen<br />

Jahrgängen sich seit 1948 die großen Kontroversfragen<br />

der deutschen Wirtschaftsgeschichte wie in<br />

einem Brennglas spiegeln.<br />

Die Ouvertüre des diesjährigen Bandes stammt<br />

aus der Feder von Hans Willgerodt, der mit seinem<br />

Beitrag „Verwirrte Gegenwart“ eine Art ordnungspolitischen<br />

Leitartikel vorlegt. Statt programmatischer<br />

Klarheit und Voraussicht beobachtet<br />

Willgerodt vielerorts kurzfristiges Denken, allgemeinen<br />

Opportunismus, eine kurzsichtige Tagespolitik,<br />

verbreitete Unsicherheit in den politischen<br />

Meinungen sowie eine auffällige Unwissenheit von<br />

Politik und Verwaltung über volkswirtschaftliche<br />

Zusammenhänge. Aus dem praktischen Beispiel<br />

der Familienpolitik, die in den letzten Jahren<br />

gründlich umgekrempelt wurde, destilliert Willgerodt<br />

einige allgemeine Schlussfolgerungen, in denen<br />

sich die Erfahrungen eines langen Gelehrtenlebens<br />

spiegeln. Dass einiges im Argen liegt, verdeutlicht<br />

er insbesondere am Verfall des Rechts,<br />

der sich ausdrückt in der wachsenden Zahl von<br />

Maßnahmengesetzen, in kurzatmiger Regulierung<br />

und Mangel an Beständigkeit, in der Überfrachtung<br />

der Verfassung mit kleinteiligen Programmwünschen,<br />

in der verbreiteten Leichtfertigkeit bei<br />

Änderungen von Verfassung und Gesetzen sowie<br />

im geflissentlichen Hinwegsetzen über bestehende<br />

Normen.<br />

Vor allem zwei Botschaften Willgerodts bleiben im<br />

Gedächtnis: Zum einen muss Politik vom Normalfall<br />

ausgehen und wissen, was Regel und was Ausnahme<br />

ist. Zum anderen muss man sich vom ver-<br />

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />

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