ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Gemeindefinanzen<br />
internetbasierten Verfahren in so kurzer Zeit so große Bevölkerungsgruppen<br />
aus einer über mehrere Jahrzehnte hinweg verordneten Passivität zwischen<br />
den Wahlgängen sich hätten herausführen lassen. Sie müssten sich auch fragen<br />
lassen, wann es jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland<br />
„konventionellen“ Verfahren gelungen ist, mehrere Tausend Bürger zu motivieren,<br />
gemeinsam über mehrere Wochen hinweg sich mit politischen Themen<br />
zu beschäftigen.<br />
Bürgerhaushalte im Entwicklungsstadium<br />
Spar-Bürgerhaushalte befinden sich an der Nahtstelle zwischen Politik und<br />
Bürgern. Sie stehen für eine Neuverhandlung der Beziehungen zwischen den<br />
beiden Seiten. Diese Verhandlung hat gerade erst begonnen. Erste Projekte<br />
stimmen zuversichtlich. Niemals zuvor haben sich so viele Menschen in einer<br />
überwiegend sachlichen Einstellung mit kommunalen Belangen wie dem Thema<br />
Haushalt und Finanzkonsolidierung auseinandergesetzt, ihre Erwartungshaltungen<br />
und Präferenzen erkennen lassen, Interesse an ein verbessertes Verhältnis<br />
zu ihren politischen Vertretern geäußert und damit auch der Politik –<br />
bei allen Kontroversen in der Beurteilung des Verfahrens – zu mehr Rückhalt<br />
in der Bevölkerung verholfen.<br />
An den Schwachstellen der Verfahren – angefangen von Problemen der Übersichtlichkeit<br />
der Plattform über die fehlende Qualität der Beiträge bis hin zur<br />
Dominanz gut organisierter Interessengruppen – wird zu arbeiten sein. Erfreulicherweise<br />
hat sich dazu eine öffentliche Debatte entwickeln können, an<br />
der nicht nur die Berater und Verfahrensanbieter, sondern auch die Kommunen<br />
selbst teilnehmen. Sie verdeutlicht, dass Bürgerhaushalte sich noch im<br />
Entwicklungsstadium befinden. Das belegen nicht nur die im Rahmen der jeweils<br />
gewählten Beteiligungsmethodik auftretenden Probleme, sondern auch<br />
die unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Verständnisse dessen,<br />
was unter einem erfolgreichen Bürger-Spar-Haushalt zu verstehen ist. Je nach<br />
Verständnis treten zum Teil ganz andere Erfolgsfaktoren und damit verbundene<br />
Herausforderungen in den Blick.<br />
Umso wichtiger ist es, Voraussetzungen zu schaffen, solche Debatten sinnvoll<br />
führen zu können. Empfehlenswert ist deshalb die Einrichtung von Lenkungsgruppen,<br />
Beiräten oder Netzwerken, die der Diskussion von Stärken und<br />
Schwächen der Verfahren, der Anhörung von Kritikern oder dem Austausch<br />
von Erfahrungen zwischen den Kommunen dienen. Dazu gehören Projekte,<br />
die ähnliche methodische und technische Prinzipien verfolgen und deshalb<br />
Vergleiche ermöglichen, die wiederum Austausch- und Lernchancen eröffnen.<br />
Unterstützend wirkt hier die Transparenz der Verfahren. Man sieht nicht nur<br />
die Teilnahmeaktivitäten, sondern kann auch das Verfahren beobachten. Im<br />
Vergleich dazu bleiben andere Verfahren, die sich mit der Ermittlung der öffentlichen<br />
Meinung befassen, vor allem der etablierten Umfrage- und Meinungsforschung,<br />
weitgehend im Verborgenen: In die Öffentlichkeit gelangen<br />
nur die Ergebnisse, aber nicht deren Zustandekommen. <br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />
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