ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Ordnungspolitische Positionen<br />
Auch favorisiert Offenheit des Verfahrens organisierte Initiativen, die es leichter<br />
haben, Stimmen für oder gegen Vorschläge zu mobilisieren. Beteiligungsmöglichkeiten<br />
bewegen sich also zwischen konfligierenden Ansprüchen: Sie<br />
sollen einerseits methodisch, technisch und organisatorisch qualitativen Erwartungen<br />
gerecht werden sowie die Autonomie der Politik nicht gefährden;<br />
andererseits soll niemand vom Verfahren ausgeschlossen sein, die Dominanz<br />
von Partizipationsprofis soll vermieden werden, und in den politischen Entscheidungen<br />
sollen Partizipationseffekte sichtbar werden.<br />
Der daraus resultierende Kompromisscharakter der Verfahrenslösungen erzeugt<br />
für die Politik Rechtfertigungslasten, die noch einmal dadurch gesteigert<br />
werden, dass Bürgerbeteiligungen im Vergleich zur üblichen kommunalen Beschwerde-<br />
und Eingabepraxis, aber auch zur intransparenten und bürgerfernen,<br />
oftmals millionenschweren Beratung der Kommunen, öffentlich sind und<br />
als weitgehend transparent gelten. Jeder kann den Beteiligungsprozess sowohl<br />
in Hinblick auf seine inhaltlichen als auch formalen Merkmale beobachten<br />
und – bereits auf der Plattform selbst und damit auch wieder öffentlich – positiv<br />
wie negativ kommentieren, so beispielsweise in den immer parallel geschalteten<br />
Lob-und-Kritik-Foren auf den Internetplattformen der Beteiligungsverfahren.<br />
Im Gegensatz zum „Hinterbühnencharakter“ der üblichen Beraterpraxis<br />
und eingespielten Lobbyarbeit besteht hier also die Möglichkeit, auf Schwächen<br />
des Verfahrens öffentlich hinzuweisen und diese zu diskutieren. Das<br />
macht Bürgerbeteiligungen einerseits demokratischer, eben bürgernäher; das<br />
macht sie jedoch andererseits auch einladend für Skeptiker.<br />
Kritische Stimmen<br />
Kritik kommt erwartungsgemäß vor allem aus der Politik bzw. aus politiknahen<br />
Stiftungen und Verbänden, die das Thema E-Partizipation zu entdecken beginnen.<br />
So werden beispielsweise zu Recht beklagte Schwachstellen eines Verfahrens<br />
(zum Beispiel „fehlende Informationen oder Erläuterungen zu relevanten<br />
Sparmaßnahmen“ oder „fehlende Übersichtlichkeit der Vorschläge“)<br />
mit politisch motivierten Unterstellungen verbunden („strategisch motivierte<br />
Informationsvorenthaltung“ oder „vorsätzliche Täuschung der Wähler“), um<br />
abschließend das Verfahren zu disqualifizieren. Oder es wird ein konzeptioneller<br />
Aspekt des Verfahrens (zum Beispiel Kontrolle des Verfahrens) herausgegriffen<br />
und für unzureichend umgesetzt befunden, ohne die angesprochenen<br />
Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Kriterien zu berücksichtigen.<br />
Eine weitere Variante der Kritik besteht darin, Maßstäbe (zum Beispiel Zahlen<br />
der Wahlbeteiligungen, Einwohnerzahlen, Mitgliederzahlen von Vereinen)<br />
oder Zielsetzungen (zum Beispiel Lösung der Haushaltsprobleme, Repräsentativität<br />
der Beteiligung) anzulegen, die den Sinn der Bürgerbeteiligung verfehlen,<br />
weil sich die Verfahren an den Zahlen bzw. Aktivitäten der Bürgerbeteiligung<br />
messen lassen müssen, wie sie bislang zwischen den Wahlen bzw. im<br />
Rahmen der durch die Gemeindeordnung (§ 80 Absatz 3) vorgesehenen formellen<br />
Beteiligung am Haushaltsverfahren festzustellen waren. So wurde beispielsweise<br />
in Bonn in den Jahren zuvor in jedem der vier Stadtbezirke eine Informationsveranstaltung<br />
zum Haushalt durchgeführt. Nie wurden – alle Veranstaltungen<br />
zusammengenommen – mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger<br />
gezählt.<br />
Schließlich wird moniert, dass Bürgerhaushalte nur ein bis fünf Prozent der<br />
wahlberechtigten Bürger einer Kommune als aktiv Teilnehmende gewinnen.<br />
Diese Kritiker müssten sich allerdings fragen lassen, wie anders als durch die<br />
20 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)