ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Gemeindefinanzen<br />
halt sollte der öffentlichen Beschlussfassung über die kommunalen Einnahmen<br />
und Ausgaben dienen. Dazu lud die dortige Stadtverwaltung zu großen<br />
Versammlungen ein. Heute schmücken sich in Deutschland etwa 140 Stadtverwaltungen<br />
mit einem Bürgerhaushalt, ganz modern im Internet. Doch die Bürger<br />
sollen nur vorschlagen, wie und wo „gespart“ werden kann.<br />
Ein Widerstand, der sich für die Interessen der Einwohnermehrheit einsetzt,<br />
muss sich deshalb in aller Regel gegen die eigenen Stadtoberen und gegen die<br />
Ratsmehrheiten richten. Sie waren und sind Mittäter und Mitverursacher der<br />
Verschuldung. Punktuelle lokale Abwehrbündnisse und Bürgerinitiativen gegen<br />
die alte und die neue Sparpolitik sind zahlreich. Doch eine solche Abwehr<br />
ist perspektivlos.<br />
Gegenwärtig bilden sich jedoch Formen konzeptionellen Widerstands heraus.<br />
An einem wesentlichen systematischen Punkt setzt das Netzwerk „Berliner Wassertisch“<br />
an. Es will über ein Volksbegehren die bei Privatisierungen und Pub -<br />
lic-Private-Partnership-Projekten übliche Geheimhaltung aufbrechen und damit<br />
die Rekommunalisierung einleiten. Die Verträge und Nebenabreden beim<br />
Verkauf von 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe sollen offengelegt und<br />
die üblichen staatlichen Gewinngarantien für die privaten Miteigentümer der<br />
Öffentlichkeit präsentiert werden, um die Legitimation infrage zu stellen. Der<br />
gegen alle Parteien durchgesetzte Volksentscheid war am 12. Februar 2011<br />
überraschend erfolgreich.<br />
Die Kommunen brauchen Hilfe von Bund und Ländern<br />
Die Kämmerer und kommunalen Mehrheitspolitiker versuchen gegenüber Kritikern<br />
rituell mit der Frage zu punkten: Welche realistische und intelligente Alternative<br />
gibt es denn Damit wollen sie wohl andeuten, dass es zur klischeehaften<br />
und gescheiterten Sparpolitik keine Alternative gibt. Dass eine einfache<br />
und intelligente Alternative darin besteht, die bisherigen Mittäter und Mitverursacher<br />
der Misere abzulösen, können sie nicht verstehen. Da hilft nur Demokratie.<br />
Wer nicht hören will, muss fühlen.<br />
Wesentlicher Inhalt des sich anbahnenden Selbstbewusstseins ist der Bruch des<br />
zentralen Tabus: Sparen zeugt nicht von Intelligenz, sondern von ritualisierter<br />
Dummheit. Die Alternative liegt in der Erschließung neuer Einnahmequellen.<br />
Dabei geht es nicht um solche wie die kommunale Bürgersteuer: Sie würde in<br />
neuer Form die bisher schon Geschröpften noch weiter schröpfen. Vielmehr<br />
muss die Gewerbesteuer auf alle Gewerbetreibenden ausgedehnt, hohe Freibeträge<br />
sowie Steuer- und Finanzoasen müssen abgeschafft werden.<br />
Die Qualifizierung der öffentlichen Bediensteten wurde seit Jahrzehnten vernachlässigt<br />
– man hatte ja die Berater. Diese Berater sind jedoch nicht am Allgemeinwohl<br />
orientiert. Der öffentliche Dienst muss deshalb die Qualifizierung<br />
seiner Beschäftigten selbst in die Hand nehmen.<br />
Vor allem geht es aber um die Einsicht: Die Kommunen können sich finanziell<br />
nicht selbst aus dem Sumpf ziehen. Ein Gesetz zur Rekommunalisierung und<br />
ein damit verbundener staatlicher Rettungsfonds stellen eine Möglichkeit dar,<br />
auf die Krise der Gemeindefinanzen zu reagieren. <br />
Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)<br />
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