ZUR WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITIK 127
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Ordnungspolitische Positionen<br />
So hat der Bundestag beschlossen, dass die Kommunen bis 2013 für 35 Prozent<br />
aller Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz schaffen, für die Ein- und<br />
Zweijährigen sogar mit Rechtsanspruch. Das kann finanziell nicht realisiert<br />
werden. Dasselbe gilt für die Grundsicherung im Alter und für die mit der<br />
Hartz-IV-Reform verbundene neue Aufgabe der Kommunen, die Wohnungsmieten<br />
der Empfänger des Arbeitslosengeldes II zu übernehmen.<br />
Unter dem ideologischen Deckmantel der Autonomie trägt der Staat Armut<br />
und Verwahrlosung in die Kommunen. Um die nach der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
wachsenden Sozialausgaben zu bewältigen, könne der Staat den<br />
Kommunen zwar kein Geld, aber „mehr Autonomie“ einräumen, damit sie „eigenständiger“<br />
über die Verteilung des Wenigen „befinden“ können, so Bundesfinanzminister<br />
Wolfgang Schäuble in der Süddeutschen Zeitung vom 9. Juli 2010.<br />
Leitungsnetze und Stadtwerke zurückholen<br />
Nach den Erfahrungen mit den „strategischen Partnern“ und den „strukturierten<br />
Finanzprodukten“ kommt nun die Rekommunalisierung auf die Tagesordnung.<br />
Zwischen 2011 und 2015 laufen in Deutschland etwa 1 000 Konzessionsverträge<br />
aus, in denen Kommunen auf ihrem Territorium den Energiekonzernen<br />
für einen befristeten Zeitraum zwischen zehn und 30 Jahren den<br />
Bau und den Betrieb von Leitungsnetzen für Gas und Strom einräumten.<br />
Wenn die Kommunen die Netze selbst betreiben, ist der Gewinn daraus höher<br />
als die Einnahmen aus den Abgaben der Konzerne. Allerdings sind für die<br />
Übernahme und den Betrieb Kapital und qualifiziertes Personal erforderlich,<br />
die jetzt kaum zur Verfügung stehen.<br />
In Hamburg etwa läuft 2014 die Konzession an den Vattenfall-Konzern für das<br />
Energienetz aus. Die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, zusammengesetzt<br />
aus Umwelt- und Verbraucherverbänden sowie kirchlichen Organisationen,<br />
fordert nicht nur den Rückkauf durch das Land Hamburg, sondern: Alle<br />
Netze für Strom, Gas und Fernwärme sollen in öffentliches Eigentum überführt<br />
werden. Auch hier fehlt aber das Geld.<br />
Die Interessen der Mehrheit und der gegenwärtigen Stadtoberen können<br />
durchaus zeitweise zusammenfallen. So wurde die Forderung des Stuttgarter<br />
Wasserforums, die 2002 an Energie Baden-Württemberg (EnBW) verkauften<br />
Neckarwerke Stuttgart (Gas, Strom, Wasser) zurückzukaufen, lange belächelt.<br />
Doch am 17. Juni 2010 beschloss der Stuttgarter Gemeinderat den Rückkauf.<br />
In diesem Fall ist Geld da, weil die im Jahr 2002 erlöste Summe nicht ausgegeben,<br />
sondern angelegt wurde. Ob aber die Stadtoberen das Geld dafür nutzen,<br />
ist offen.<br />
Neues Selbstbewusstsein der Kommunen<br />
Neues Selbstbewusstsein regt sich in den Kommunen, doch die bisher Verantwortlichen<br />
– Mehrheitsfraktionen, Kämmerer, Bürgermeister – sind ihren Bundes-<br />
und Landesregierungen verpflichtet, die das Geld lieber für die Bankenund<br />
Euro-Rettung ausgeben und Sparmaßnahmen verordnen. Nur wenige wagen<br />
es, Großbanken wegen Falschberatung zu verklagen und den Beratern den<br />
Laufpass zu geben.<br />
„Bürgerhaushalte“ haben Konjunktur, doch sie werden von den Stadtoberen<br />
umfunktioniert. Der im brasilianischen Porto Allegre entwickelte Bürgerhaus-<br />
14 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik <strong>127</strong> (1/2011)