Der Findling - Peter Ustinov Stiftung

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19.01.2015 Aufrufe

Der Findling Erinnerungen an Peter Ustinov. Von Roger Willemsen Es gibt eine Episode im Leben des Peter Ustinov, die viel über ihn preisgibt. Er dreht in Indien für die dreiteilige BBC‐Dokumentarserie „Ustinov's People” ein Porträt über Indira Gandhi. Auf das verabredete Gespräch wartend, spricht er frei in die Kamera, sinngemäß: „Hier stehe ich also im Garten von Indira Gandhi. Es sind Vögel in den Bäumen. Wächter stehen in den Winkeln. Es ist ruhig.” Plötzlich hört man Lärm, eine große Aufregung. Ustinov: „Oh, ich höre ein Geräusch. Es irren Leute durch die Gegend, die Wächter laufen. Aber ich glaube nicht, dass etwas Schlimmes passiert ist.” Das Bild wird dunkel, flammt wieder auf. Ustinov steht auf derselben Stelle: „Ich muss gestehen: Als ich eben sagte, es sei nichts Ernstes geschehen, habe ich mir selbst nicht geglaubt. Auf Indira Gandhi ist soeben geschossen worden. Die Wächter stehen nicht mehr in den Winkeln. Aber die Vögel sind noch in den Bäumen.” Tatsächlich ist Indira Gandhi auf dem Weg zum Gespräch mit Peter Ustinov erschossen worden. Jeder Dokumentarfilmer wäre mit der Handkamera zum Ort des Geschehens gestürmt, Ustinov bleibt dem Ort fern und ist dem Geschehen doch viel näher. „Die Vögel sind noch in den Bäumen” – mit diesem Satz, mit dieser Mischung aus Literarizität und Pathos wurde er mir unvergesslich. Ein Weltbürger zu sein – das dürfen nur wenige von sich behaupten. Ustinov erzählte gern, er sei in Leningrad gezeugt, in London geboren und in Schwäbisch Gmünd getauft worden. Gefühlt hat er sich wohl als Russe, und das Englische war ihm die nächste Sprache. Und doch glaubte er an die Fülle des Deutschen, die vom Kategorischen Imperativ bis hinab zum „Alles klar” des Sprach‐Yuppies reiche. Ein Humor, der aus Mitgefühl und Menschlichkeit erwuchs Ustinov war nicht nur Bürger aller Welt, sondern auch aller Epochen. Auf einschüchternde Weise dehnte er sich durch Zeiten und Räume aus, die Kulturgeschichte war seine Nährflüssigkeit. In der römischen Geschichte ebenso beheimatet wie in der Renaissance‐ Malerei oder in der Comedy der Gegenwart, gab es kein Gebiet, für das er sich nicht interessiert hätte. Osmotisch hat er die Gegenwarts‐ und Vergangenheitswelt in sich eindringen lassen, wie ein Anthropologe an allem teilgenommen, um es in Humor zu verwandeln. Für mich war Ustinov immer ein Meteorit, der unversehens auf die Erde gedonnert ist und sich da erhebt wie ein Findling. Er hat aber nicht nur ein schwer fassbares Quantum an Intelligenz mitgebracht; sich von Kindheit an geradezu intravenös von Lektüren ernährt, die Welt schneller aufgenommen als alle anderen um ihn herum und daraus die Haltung des Entertainers gewonnen. So ist er der Mann geworden, der den Ernst der Kulturgeschichte plünderte und doch sein Publikum nie ohne ein Lachen nach Hause gehen ließ.

<strong>Der</strong> <strong>Findling</strong><br />

Erinnerungen an <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong>. Von Roger Willemsen<br />

Es gibt eine Episode im Leben des <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong>, die viel über ihn preisgibt. Er dreht in<br />

Indien für die dreiteilige BBC‐Dokumentarserie „<strong>Ustinov</strong>'s People” ein Porträt über Indira<br />

Gandhi. Auf das verabredete Gespräch wartend, spricht er frei in die Kamera, sinngemäß:<br />

„Hier stehe ich also im Garten von Indira Gandhi. Es sind Vögel in den Bäumen. Wächter<br />

stehen in den Winkeln. Es ist ruhig.” Plötzlich hört man Lärm, eine große Aufregung.<br />

<strong>Ustinov</strong>: „Oh, ich höre ein Geräusch. Es irren Leute durch die Gegend, die Wächter laufen.<br />

Aber ich glaube nicht, dass etwas Schlimmes passiert ist.” Das Bild wird dunkel, flammt<br />

wieder auf. <strong>Ustinov</strong> steht auf derselben Stelle: „Ich muss gestehen: Als ich eben sagte, es<br />

sei nichts Ernstes geschehen, habe ich mir selbst nicht geglaubt. Auf Indira Gandhi ist<br />

soeben geschossen worden. Die Wächter stehen nicht mehr in den Winkeln. Aber die Vögel<br />

sind noch in den Bäumen.”<br />

Tatsächlich ist Indira Gandhi auf dem Weg zum Gespräch mit <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> erschossen<br />

worden. Jeder Dokumentarfilmer wäre mit der Handkamera zum Ort des Geschehens<br />

gestürmt, <strong>Ustinov</strong> bleibt dem Ort fern und ist dem Geschehen doch viel näher. „Die Vögel<br />

sind noch in den Bäumen” – mit diesem Satz, mit dieser Mischung aus Literarizität und<br />

Pathos wurde er mir unvergesslich.<br />

Ein Weltbürger zu sein – das dürfen nur wenige von sich behaupten. <strong>Ustinov</strong> erzählte gern,<br />

er sei in Leningrad gezeugt, in London geboren und in Schwäbisch Gmünd getauft worden.<br />

Gefühlt hat er sich wohl als Russe, und das Englische war ihm die nächste Sprache. Und<br />

doch glaubte er an die Fülle des Deutschen, die vom Kategorischen Imperativ bis hinab zum<br />

„Alles klar” des Sprach‐Yuppies reiche.<br />

Ein Humor, der aus Mitgefühl und Menschlichkeit erwuchs<br />

<strong>Ustinov</strong> war nicht nur Bürger aller Welt, sondern auch aller Epochen. Auf einschüchternde<br />

Weise dehnte er sich durch Zeiten und Räume aus, die Kulturgeschichte war seine<br />

Nährflüssigkeit. In der römischen Geschichte ebenso beheimatet wie in der Renaissance‐<br />

Malerei oder in der Comedy der Gegenwart, gab es kein Gebiet, für das er sich nicht<br />

interessiert hätte. Osmotisch hat er die Gegenwarts‐ und Vergangenheitswelt in sich<br />

eindringen lassen, wie ein Anthropologe an allem teilgenommen, um es in Humor zu<br />

verwandeln. Für mich war <strong>Ustinov</strong> immer ein Meteorit, der unversehens auf die Erde<br />

gedonnert ist und sich da erhebt wie ein <strong>Findling</strong>. Er hat aber nicht nur ein schwer fassbares<br />

Quantum an Intelligenz mitgebracht; sich von Kindheit an geradezu intravenös von<br />

Lektüren ernährt, die Welt schneller aufgenommen als alle anderen um ihn herum und<br />

daraus die Haltung des Entertainers gewonnen. So ist er der Mann geworden, der den Ernst<br />

der Kulturgeschichte plünderte und doch sein Publikum nie ohne ein Lachen nach Hause<br />

gehen ließ.


An erster Stelle ist <strong>Ustinov</strong> wohl Autor gewesen. Das Schreiben hat ihm am meisten<br />

abverlangt, mit ihm hat er ringen müssen, unter ihm hat er gelitten. Die Schauspielerei<br />

hingegen, so sagte er einmal, sei für ihn wie ein Bienenflug: Man saugt von überall Honig<br />

und geht am Abend trotzdem hungrig nach Hause.<br />

Als Vielfelderwirt der Unterhaltung blüht er auf im Wechsel der Formen, und immer hatte<br />

ich das Gefühl, das alles seien Akzentwechsel derselben künstlerischen Erregung. <strong>Ustinov</strong><br />

war die rare Vielfachbegabung, ohne Leiden an den konkurrierenden Kräften. Vielmehr<br />

machte er in der Produktion, im Zustand der Hervorbringung einen so seligen Eindruck,<br />

dass man oft das Gefühl hatte, die größte Strapaze durchleide er auf den Wegen zwischen<br />

den Auftritten. Kaum stand er auf der Bühne, konnte er sich endlich gehen lassen und in<br />

seinem Element sein, in <strong>Ustinov</strong>.<br />

Bis in die Nuance erinnert sein Humor immer wieder an Oscar Wilde. Dieser Humor meint<br />

etwa, das Schlimmste an der Reformation sei gewesen, dass Luther immer so geschmacklos<br />

gekleidet war. Es gab nichts, was er nicht der Lächerlichkeit hätte preisgeben können, doch<br />

nicht aus Überlegenheit oder Hochmut, sondern aus Empathie und fundamentaler<br />

Menschenliebe. Sein Humor war human, Herablassung war ihm fremd. Dabei war <strong>Ustinov</strong><br />

wunderbar selbstironisch und ging mit dem eigenen Leben und seiner Person gern pietätlos<br />

um. Einmal erzählte er von seinen geheimen Kinderwünschen: Zuerst wollte er ein Auto<br />

werden, später eine Echse. Anschließend spielte er seine Wünsche vor, wurde auf der<br />

Bühne Auto und Echse – und machte, ein alter Mann, erst röhrend und hupend, dann<br />

spähend und züngelnd, eine lächerliche, groteske Figur.<br />

Vielleicht war das Leben für <strong>Ustinov</strong> von Anfang an eine Folge verschiedener Rollen. Das<br />

dicke Kind musste sich vor seinen Feinden retten, indem es sie imitierte. Wenn er begehrt<br />

werden wollte, blieben ihm nur sein Witz, sein in Aperçus funkelnder Geist, seine maßlos<br />

akkumulierte Bildung. Und doch hat er seine komischsten Sachen immer mit großem Ernst<br />

vorgetragen, mit einer Feierlichkeit, die entweder ins Lapidare umschlug – oder in ein<br />

angenommenes Staunen darüber, dass gelacht wurde. <strong>Ustinov</strong> war nicht der Mann, der<br />

mitgelacht hätte, eher war er einer, der freundlich in das Schweigen vor dem großen<br />

Gelächter blickt und sich seiner Sache sicher ist. Eitel habe ich ihn nie erlebt, im Gegenteil,<br />

ich glaube, sein Ego ist im Laufe der Jahre immer kleiner geworden.<br />

Im Kino hat er sein Backpfeifengesicht lauter unsympathischen Typen geliehen, die alle<br />

nicht er selber waren: Kaiser Nero, dem Sklavenhändler in Spartacus, aber auch Hercule<br />

Poirot, der ja dauernd spioniert und an Schlüssellöchern lauscht. Als seine Lieblingsrolle hat<br />

er den Taxifahrer in Topkapi genannt, eine dubiose, feige, unterwürfige Gestalt. Solche<br />

Typen assimilierte er sich, wurde wirklich der Verwandler, dem man immer zutraute, dass<br />

in dieser multiplen Persönlichkeit auch der Lauscher an der Wand, der Konformist stecken<br />

könnte.<br />

Seine Witze hatten eine Schwindel erregende Fallhöhe. Als er von der Queen zum Ritter<br />

geschlagen wurde, sagte er: „I'm deeply touched.” Als ihn später ein Interviewer fragte:


„Wünschen Sie mit Sir <strong>Peter</strong> angeredet zu werden”, antwortete <strong>Ustinov</strong>: „So tief berührt<br />

bin ich nun auch wieder nicht.” Darin war er groß: in der Zurücknahme des Feierlichen,<br />

auch in der Feier der eigenen Person.<br />

Es gab wohl kaum eine Situation, die für ihn ohne Eros war. Vermutlich hätte er gesagt, er<br />

sei in jedem Lebensalter darstellungsfähig. Mit einem permanenten Appetit auf Außenwelt,<br />

als nimmermüder Beobachter aller Zeiterscheinungen konnte er selbst mit Verona<br />

Feldbusch Expo‐Werbung machen, doch an ihm selbst blieb da nichts hängen. Auch darin<br />

zeigt es sich, das Geheimnis seiner Persönlichkeit. <strong>Ustinov</strong> hat den sozialen und medialen<br />

Raum definiert, in dem er auftrat – und nicht umgekehrt. Er hätte sogar bei Nur die Liebe<br />

zählt sitzen können – es wäre plötzlich eine andere Sendung gewesen. Bei den meisten<br />

Schauspielern sind die Formate, in denen sie erscheinen, größer als sie selbst. Bei <strong>Ustinov</strong><br />

war es immer umgekehrt. Er war der Pater Patriae und ironisch bis zuletzt. Nur wenn er<br />

über das Humane sprach, von der Menschenwürde und den Menschenrechten, hatte der<br />

Spaß ein Ende, dort ging es ums Ganze.<br />

„Die einzige Heimat, die zählt, ist das zivilisierte Benehmen.”<br />

Wahrscheinlich war <strong>Ustinov</strong> ein Ironiker, damit er kein Tragiker sein musste, denn für die<br />

Tragik fehlte ihm das Pathos. Er konnte zwar pathetisch agieren, aber ich glaube nicht, dass<br />

das Leben insgesamt für ihn sehr viel Pathos hatte. Leben zu retten, und zwar in der<br />

doppelten Bedeutung des Wortes, geistig und kreatürlich, war ein Auftrag, den ihm die<br />

Kulturgeschichte vermacht hat. <strong>Ustinov</strong> konnte nicht Goethe lesen, ohne den<br />

humanistischen Imperativ mitzutragen. Im Kern war er Humanist, und die Aufgabe als<br />

UNICEF‐Botschafter nahm er sehr ernst, verstand sie aber nicht missionarisch. Sanft, durch<br />

Ansteckung konnte er die Menschen vom Schönen überzeugen. Den Zeigefinger brauchte<br />

er dazu nicht. Er rezensierte nicht, sondern wirkte durch das, was sich in ihm spiegelte.<br />

Am meisten geliebt wurde <strong>Ustinov</strong> wohl in Deutschland. Vielleicht, weil er die Deutschen<br />

immer verteidigt hat, war er doch wie Yehudi Menuhin überzeugt, dass Deutschland sich<br />

verändert habe, und so hat er den Deutschen ihren Zustand mit seinem wunderbaren<br />

britischen Spott gern aufgehellt. <strong>Ustinov</strong> kannte die „deutsche Seele”, ihr ständiges<br />

Gründeln, das schon Goethe auf den Begriff gebracht hat: „Die Deutschen werden schwer<br />

über allem, und alles wird schwer über ihnen.”<br />

Er war ein Renaissance‐Mensch und tönte aus einer anderen Zeit. Es ist fatal, so etwas zu<br />

sagen, weil man das Gefühl hat, man stirbt selber ein bisschen mit ihm. Aber eine<br />

Bildungsgeschichte wie die von <strong>Peter</strong> <strong>Ustinov</strong> kann man sich heute kaum mehr vorstellen.<br />

Menschen wie er werden heute wohl nicht mehr geboren. Jedenfalls kenne ich keinen<br />

Künstler, der zwischen dem Humanen und dem Ironischen solch eine glückliche Balance<br />

gefunden hätte. Keinen, der so dinosaurierartig Hochkultur und Unterhaltung<br />

zusammenbrachte. Ich kenne niemanden, der auf so vielen Feldern auf solchem Niveau zu<br />

Hause war. Nicht weil er sie annektiert hätte, sondern weil er auf ihnen lebte.


Und <strong>Ustinov</strong> war diskret, unendlich diskret. Immer hatte ich das Gefühl, Leiden sei für ihn<br />

etwas Intimes, das sich nur auflösen lässt, wenn man es in einem Running Gag stilisiert. Auf<br />

die Frage, wo er wohnen möchte, hat er einmal gesagt: „Dort, wo man im Herbst die Äpfel<br />

fallen hört.” Doch eine Heimat brauchte er nicht. „Die einzige Heimat, die für mich zählt, ist<br />

das zivilisierte Benehmen.” War er wohl fromm Wohl eher nicht. Als man ihn einmal<br />

fragte, was auf seinem Grabstein stehen soll, sagte er: „Bitte nicht aufs Gras treten.” Die<br />

einzige Transzendenz, die er kannte, war die Religion der Kunst. Schwärmerisch konnte er<br />

von Bildern reden, von Opernarien, von großen Konstellationen in großen Romanen.<br />

Spirituell aber in einer anderen Bedeutung als der künstlerischen ist sein Himmel wohl nicht<br />

gewesen, und darüber zu sprechen wäre ihm wiederum zu intim gewesen.<br />

Genauso, wie er auch über den Tod kaum ernsthaft redete. Einmal habe ich ihn hinter der<br />

Bühne in Baden‐Baden in einem Erschöpfungszustand gesehen, der ihn unverwandelbar<br />

zeigte, erloschen. Da saß er wie eine Skulptur von der Osterinsel und starrte vor sich hin,<br />

schlicht nicht mehr gegenwärtig. Er sah aus wie ein Stück Kulisse. Man hätte in dem<br />

Augenblick gedacht, das Leben ist ihm nicht mehr zuzumuten. Das Einzige, was ihm noch<br />

zuzumuten war, war die Bühne.<br />

© Roger Willemsen<br />

Quelle: „DIE ZEIT” vom 1. April 2004

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