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Ausgabe 6 - AHS-Gewerkschaft

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auch manche Ergebnisse, so etwa, dass die für ihre<br />

hohe Zahl an Schülerselbstmorden berühmten Schulsysteme<br />

Chinas oder Japans bei den Vergleichen<br />

regelmäßig einen Spitzenplatz einnehmen. Man wird<br />

einer „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung“ (OECD) allerdings nachsehen<br />

müssen, dass sie keine pädagogischen, kulturellen<br />

oder aufklärerischen, sondern eben ökonomische<br />

Interessen im Auge hat.<br />

Pädagogik: abgemessen und ausgezählt<br />

Gegen die Durchführung solcher Tests ist selbstverständlich<br />

nichts einzuwenden – solange man die<br />

Ergebnisse vor dem Hintergrund jener partikularen<br />

Interessen betrachtet, die für ihre Produktion maßgeblich<br />

sind. Leider dienen sie gegenwärtig ungeachtet<br />

ihrer Engführungen als unproblematischer<br />

Ausgangspunkt der Reform des Bildungswesens –<br />

und zu allem Unglück nicht nur als Ausgangspunkt:<br />

Betrachtet man Bildungsstandards, Zentralmatura<br />

und Kompetenzorientierung, so zeigt sich, dass die<br />

hauptsächliche Erneuerungsstrategie selbst bloß in<br />

der Auf-Dauer-Stellung des Zählens und Messens<br />

besteht. Selbst die Kompetenzorientierung besteht ja<br />

im Grunde primär in der Umstellung des Unterrichtens<br />

auf die Erzielung genau zähl- und messbarer Ergebnisse.<br />

(Dass man nicht nur etwas gelernt haben,<br />

sondern dann auch etwas können sollte, war jedem<br />

ernsthaften Pädagogen auch bisher schon immer<br />

klar).<br />

Dies mag die erstaunte Frage provozieren, wie denn<br />

das unablässige Erheben eines Zustandes schon<br />

seine Verbesserung bewirken soll. Würde man hier<br />

nicht eher qualitative Veränderungen des Unterrichtsbetriebs<br />

erwarten Doch die Pointe, die sich<br />

hinter dem unternehmensberaterischen Mantra der<br />

Output-Orientierung verbirgt, hat schon ihre Logik:<br />

Wie der Unterricht besser werden soll, wird den einzelnen<br />

Akteuren überlassen, von Amts wegen erhalten<br />

sie (zunächst) nur die kritische Diagnose, (bald<br />

schon) vielleicht auch entsprechende Sanktionen,<br />

wenn ihnen die Verbesserung nicht ausreichend<br />

gelingt.<br />

Von besonderer Bedeutung scheinen mir bei dieser<br />

Reform die atmosphärischen Verschiebungen zu<br />

sein, die mit ihr einhergehen: Die reißerische Inszenierung<br />

der Testergebnisse, die durch die Aura präziser<br />

Wissenschaftlichkeit legitimierte Schelte des Bildungssystems,<br />

die kritiklose Propagierung der Logik des<br />

Abzählens von Leistungspunkten und die unablässige<br />

Wiederholung unterschiedlichster Tests durchsetzen<br />

die öffentliche Meinung mit ökonomistisch verengten<br />

Prämissen, Denkmustern und Argumentationsfiguren.<br />

Diese werden allmählich zu unhinterfragbaren<br />

Axiomen und Selbstverständlichkeiten zeitgemäßer<br />

Pädagogik. Abweichende Vorstellungen geraten in<br />

ein schiefes Licht, kritische Rückfragen werden als<br />

hinterwäldlerisch diskriminiert, Resignation gegenüber<br />

dem allgegenwärtigen Kontrollapparat macht<br />

sich breit, und damit werden die Möglichkeiten des<br />

pädagogischen Handelns erheblich eingeschränkt.<br />

Dies lässt sich an den Forderungen nach Effizienz,<br />

Individualisierung und Spaß beispielhaft veranschaulichen.<br />

Bildung oder effiziente Ineffektivität<br />

Effizienz: Die Allgegenwart und als unhinterfragbar<br />

inszenierte Autorität des Testens und Vergleichens<br />

setzt den Versuch, effizient zu arbeiten, unter einen<br />

permanenten Nachweis-, Zeit- und Rechtfertigungsdruck.<br />

Effizienz wird zu einem Synonym für regelmäßigen<br />

Testerfolg. Damit steigt der Druck, alle Lernprozesse<br />

gezielt auf die erwartbaren Testsituationen<br />

auszurichten. Bildung wird zu dem, was der nächste<br />

Test messen wird. Neben der inhaltlichen Einengung<br />

zwingt dieses Verständnis von Effizienz auch zu zeitlicher<br />

Eile, zu oberflächlicher Aneignung der geforderten<br />

Items, zum kürzesten Weg von Vorgabe zu<br />

Vorgabe.<br />

Wer pädagogisch zu denken gelernt hat, weiß jedoch,<br />

dass man gerade Zeit und Ruhe benötigt, um an den<br />

Dingen 'in die Tiefe' gehen zu können, um lehrreiche<br />

'Um- und Irrwege' erproben zu können und um die<br />

Freude am Entdecken und Verstehen der Welt nicht<br />

zu ersticken. Aus der Kreativitätsforschung wissen wir,<br />

dass neue Einsichten, Erkenntnisse und Erfindungen<br />

genau das benötigen, was der Institution Schule einst<br />

ihren Namen gegeben hat: , Muße. Selbstverständlich<br />

sollten die aufgewandten Ressourcen nicht<br />

vergeudet, sondern sinnvoll eingesetzt werden, doch<br />

kann die 'Eigenzeit' des geistigen Verarbeitungsvorgangs<br />

nicht künstlich abgekürzt werden.<br />

Außerdem ist die Frage zu stellen, was denn nun effizient<br />

herbeigeführt werden soll: Arbeitet ein Bildungssystem<br />

sinnvoll, wenn ganze Schülerkohorten vordefinierte<br />

Rechenaufgaben in Rekordzeit fehlerfrei lösen<br />

können Oder erfüllt es seine Aufgabe, wenn es ihm<br />

über die in Anspruch genommene Schulzeit gelingt,<br />

aus den Heranwachsenden wache, kluge, verantwortliche,<br />

handlungsbereite Menschen zu machen<br />

Ich vermute, wir könnten uns rasch auf Letzteres<br />

einigen. Weder aber messen die Tests solch wertvolles<br />

Gut, noch unterstützen sie seine Kultivierung.<br />

Was durch den permanent erhöhten Druck, den sie<br />

erzeugen, vielmehr hervorgetrieben wird, ist effiziente<br />

Ineffektivität: Alle lernen, immer schneller ein immer<br />

größeres Pensum zu erledigen, aber dieses Pensum<br />

wird immer mehr zur sinnentleerten 'to-do-list', deren<br />

Abarbeitung kein wirkliches Erschließen der Welt mehr<br />

verbürgt.<br />

18 gymnasium

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