Ausgabe 6 - AHS-Gewerkschaft

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18.01.2015 Aufrufe

im fokus Univ.-Prof. Dr. Bernd Hackl bernd.hackl@uni-graz.at Die pädagogische Output-Orientierung und ihre Nebenwirkungen Zur Person: Bernd Hackl ist Professor und Leiter des Instituts für Schulpädagogik an der Universität Graz. Er betreibt phänomenologisch-hermeneutisch orientierte Forschung über sprachliche und körperliche Kommunikation im Unterricht und beschäftigt sich kritisch mit dem pädagogischen Zeitgeist. Die aktuelle Bildungsreform versucht die Qualitätssicherung in der Schule auf moderne Unternehmensideologien umzustellen. Ob dies ein verbessertes Abschneiden bei PISA & Co bewirken wird, ist fraglich, die bedenklichen Nebenwirkungen dagegen sicher. Die österreichische Schule erlebt derzeit dramatische Veränderungen, und dies könnte ein gutes Zeichen sein, denn die Schule hat Verbesserungen dringend nötig. Müsste sie doch für die Heranwachsenden noch viel motivierender werden, Selektion stärker durch Förderung ersetzen, sich bereitwilliger an die unterschiedlichen Möglichkeiten, Bedürfnisse und mitgebrachten Erfahrungen der Heranwachsenden anpassen und diese wesentlich mehr als bisher zu weltoffenen, verantwortlichen, kritisch denkenden und handlungsbereiten Menschen erziehen. Ganz ähnlich lauten auch die erklärten Ziele jener Reformallianz aus Vertretern von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Publizistik, welche gegenwärtig dem Schulsystem einen entsprechenden Entwicklungsschub zu verpassen versuchen. Bei diesem Versuch werden auf der einen Seite gesetzliche Regelungen geschaffen, die direkt in das Schulsystem eingreifen und auf der anderen durch bildungspolitisches product placement einprägsame Forderungen an die Schule in Umlauf gebracht. Was beides zusammen ergibt, möchte ich ein wenig genauer untersuchen und zwar am Beispiel von drei besonders populären Forderungen: Schule soll effizient sein, sie soll individualisieren und sie soll Spaß machen. Was soll die Schule leisten Die Schule soll ihr Wissen effizient vermitteln. Das scheint auf den ersten Blick eine sehr vernünftige Forderung: Die Ressourcen sind begrenzt und weder der monetäre Aufwand noch die Lebenszeit der Heranwachsenden sollte unproduktiv vergeudet werden. Das bloße Absitzen von Schulzeit hilft niemandem und bei all der geleisteten Anstrengung sollte auch etwas Vernünftiges herauskommen. Die Schule soll individualisieren. Auch diese Forderung scheint unmittelbar einleuchtend: Natürlich kann es nicht sinnvoll sein, alle Heranwachsenden über einen Kamm zu scheren und sie mit pädagogischen Fließbandprogrammen abzuspeisen. Sie sind eigenständige Persönlichkeiten und haben unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse. Sie brauchen daher ganz auf sie zugeschnittene Anregungen und Unterstützungen. Die Schule soll Spaß machen. Wieder eine ganz plausible Forderung: Wer wollte bestreiten, dass es dem Lernen zuträglich ist, wenn Heranwachsende gerne zur Schule gehen, sich dort wohl fühlen und die ihnen gestellten Aufgaben mit Freude erfüllen Und es gebietet doch schon die Zuneigung zu jungen Menschen, dass man ihnen möglichst viel gute Laune vergönnt. 16 gymnasium

Foto: IStock Was sich dem gesunden Hausverstand so unmittelbar erschließt, erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch als vertrackte Materie: Wie kann man die pädagogische Effizienz erhöhen Soll man in den verfügbaren Stunden den Stoff schneller vortragen, die Anzahl der Aufgaben erhöhen oder die Heranwachsenden härter 'rannehmen' Wie kann es gelingen, zu individualisieren, wenn die Ziele und Leistungsvorgaben immer präziser vorgegeben werden Sollen wir Spaß garantieren, indem wir schnell zu einem Action-Comic greifen und zur Bedienungsanleitung des Taschenrechners, wenn es zu anstrengend ist, ein kompliziertes Gedicht oder die Logik des Integrals zu verstehen Schule in der Assessment-Zange Fragen dieser Art sprechen natürlich nicht gegen die drei Forderungen, an die sie gerichtet sind. Doch erst wenn sie sorgfältig geklärt wurden, wissen wir, ob und wie wir ihnen pädagogisch sinnvoll entsprechen können. Dazu wird es allerdings nicht genügen, die Probleme bloß in abstrakter Realitätsferne zu überdenken, denn wie man die pädagogische Arbeit tatsächlich gestalten kann, hängt weniger von wohlmeinenden Fantasien ab als von den realen Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Diese Bedingungen werden durch die laufenden Reformen gerade neu definiert. Das Projekt geht auf die Ergebnisse von Leistungstests zurück, die der Schule allerlei unverzeihliche Schwächen attestiert haben. Als beispielhaft und als mit Abstand am einflussreichsten kann sicherlich das Programme for International Student Assessment, kurz 'PISA', gesehen werden, doch gibt es noch eine Reihe weiterer nationaler und internationaler Prüfverfahren dieser oder ähnlicher Art. Was bei derlei Tests gemessen und verglichen wird, gibt allerdings nur über einen sehr kleinen und selektiven Ausschnitt der möglichen Eigenschaften, nicht aber über die Qualität eines Schulsystems Auskunft. Problematisch ist etwa, dass die Ergebnisse nur auf die ganz kurze Momentaufnahme einer punktuellen Testsituation zurückgehen. Eine besondere 'Schlagseite' der Tests zeigt sich darin, dass von vornherein nur sprachliche, mathematische und naturwissenschaftliche Leistungen erhoben werden, aber keinerlei geisteswissenschaftliches Wissen, nichts über Philosophie, Kunst, Sport, Spiritualität und anderes mehr. Kurios sind 17

im fokus<br />

Univ.-Prof. Dr. Bernd Hackl<br />

bernd.hackl@uni-graz.at<br />

Die pädagogische<br />

Output-Orientierung und ihre<br />

Nebenwirkungen<br />

Zur Person: Bernd Hackl ist Professor<br />

und Leiter des Instituts für<br />

Schulpädagogik an der Universität<br />

Graz. Er betreibt phänomenologisch-hermeneutisch<br />

orientierte<br />

Forschung über sprachliche<br />

und körperliche Kommunikation<br />

im Unterricht und beschäftigt<br />

sich kritisch mit dem pädagogischen<br />

Zeitgeist.<br />

Die aktuelle Bildungsreform versucht die Qualitätssicherung<br />

in der Schule auf moderne Unternehmensideologien<br />

umzustellen. Ob dies ein verbessertes Abschneiden bei<br />

PISA & Co bewirken wird, ist fraglich, die bedenklichen<br />

Nebenwirkungen dagegen sicher.<br />

Die österreichische Schule erlebt derzeit dramatische<br />

Veränderungen, und dies könnte ein gutes Zeichen<br />

sein, denn die Schule hat Verbesserungen dringend<br />

nötig. Müsste sie doch für die Heranwachsenden noch<br />

viel motivierender werden, Selektion stärker durch Förderung<br />

ersetzen, sich bereitwilliger an die unterschiedlichen<br />

Möglichkeiten, Bedürfnisse und mitgebrachten<br />

Erfahrungen der Heranwachsenden anpassen und<br />

diese wesentlich mehr als bisher zu weltoffenen, verantwortlichen,<br />

kritisch denkenden und handlungsbereiten<br />

Menschen erziehen.<br />

Ganz ähnlich lauten auch die erklärten Ziele jener<br />

Reformallianz aus Vertretern von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft<br />

und Publizistik, welche gegenwärtig dem<br />

Schulsystem einen entsprechenden Entwicklungsschub<br />

zu verpassen versuchen. Bei diesem Versuch werden auf<br />

der einen Seite gesetzliche Regelungen geschaffen, die<br />

direkt in das Schulsystem eingreifen und auf der anderen<br />

durch bildungspolitisches product placement einprägsame<br />

Forderungen an die Schule in Umlauf gebracht.<br />

Was beides zusammen ergibt, möchte ich ein wenig<br />

genauer untersuchen und zwar am Beispiel von drei<br />

besonders populären Forderungen: Schule soll effizient<br />

sein, sie soll individualisieren und sie soll Spaß machen.<br />

Was soll die Schule leisten<br />

Die Schule soll ihr Wissen effizient vermitteln. Das scheint<br />

auf den ersten Blick eine sehr vernünftige Forderung:<br />

Die Ressourcen sind begrenzt und weder der monetäre<br />

Aufwand noch die Lebenszeit der Heranwachsenden<br />

sollte unproduktiv vergeudet werden. Das bloße<br />

Absitzen von Schulzeit hilft niemandem und bei all der<br />

geleisteten Anstrengung sollte auch etwas Vernünftiges<br />

herauskommen.<br />

Die Schule soll individualisieren. Auch diese Forderung<br />

scheint unmittelbar einleuchtend: Natürlich kann es<br />

nicht sinnvoll sein, alle Heranwachsenden über einen<br />

Kamm zu scheren und sie mit pädagogischen Fließbandprogrammen<br />

abzuspeisen. Sie sind eigenständige<br />

Persönlichkeiten und haben unterschiedliche Interessen<br />

und Bedürfnisse. Sie brauchen daher ganz auf sie zugeschnittene<br />

Anregungen und Unterstützungen.<br />

Die Schule soll Spaß machen. Wieder eine ganz plausible<br />

Forderung: Wer wollte bestreiten, dass es dem Lernen<br />

zuträglich ist, wenn Heranwachsende gerne zur Schule<br />

gehen, sich dort wohl fühlen und die ihnen gestellten<br />

Aufgaben mit Freude erfüllen Und es gebietet doch<br />

schon die Zuneigung zu jungen Menschen, dass man<br />

ihnen möglichst viel gute Laune vergönnt.<br />

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