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Homosexual's Film Quarterly - Sissy

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dvd<br />

ein kuss ist ein kuss<br />

von sascha westPhal<br />

John Schlesingers melancholische Dreiecksgeschichte „Sunday, Bloody Sunday“ von<br />

1971 erscheint endlich in Deutschland auf DVD. Sie enthält einen der ersten Männerküsse<br />

der <strong>Film</strong>geschichte, zu dem sich Hauptdarsteller Peter Finch angeblich überwand‚<br />

indem er die Augen schloss und an England dachte.<br />

s Ein <strong>Film</strong> der Sehnsüchte und der Täuschungen,<br />

die meist Selbsttäuschungen sind.<br />

„Soave sia il vento, / Tranquilla sia l’onda, /<br />

Ed ogni elemento / Benigno risponda / Ai<br />

nostri desir.“ Wieder und wieder erklingt<br />

dieses Terzett aus Mozarts gewagter und<br />

gerade dadurch so hellsichtiger Oper „Così<br />

fan tutte“. Die Stimmen von Pilar Lorengar,<br />

Yvonne Minton und Barry McDaniel begleiten<br />

den Arzt Dr. Daniel Hirsh in diesen letzten<br />

zehn Tagen seiner Affäre mit dem jungen<br />

Künstler Bob Elkin auf Schritt und Tritt.<br />

Der Abschied, den er möglichst verhindern<br />

oder wenigstens hinausschieben will und der<br />

doch kommen muss – in da Pontes Versen ist<br />

er schon vollzogen. Die perfekte Harmonie<br />

dieses Trios, das aber eben auch die Lüge und<br />

den Verrat in sich trägt, ist zugleich Balsam<br />

und Gift, weckt Hoffnungen und Träume,<br />

schürt Ängste und Zweifel. Schließlich weiß<br />

Daniel ganz genau, dass er den sich nach<br />

Erfolg und den Staaten verzehrenden Jüngling<br />

nie für sich alleine hatte. Er musste ihn<br />

von Anfang an mit der geschiedenen Alex<br />

Greville teilen.<br />

Nur einmal, ganz am Schluss, als das<br />

opake Objekt ihrer Begierde schon in einem<br />

Flugzeug nach New York sitzt, stehen sich<br />

der von Peter Finch gespielte erfolgreiche<br />

Arzt und die nur noch vor sich hintreibende<br />

Tochter aus reichem Haus (Glenda Jackson)<br />

gegenüber. Es ist eine Begegnung zweier<br />

Verlierer, die immer schon auf den Falschen<br />

gehofft und gesetzt hatten. Die von Mozart<br />

und da Ponte beschworene Wankelmütigkeit<br />

der Liebe hat in Murray Heads Bob Elkin<br />

eine moderne Gestalt angenommen. Sie<br />

ist nicht mehr an den Reiz der Verführung<br />

und eine momentane Schwäche des Gefühls<br />

geknüpft.<br />

Im London des Jahres 1970, als die<br />

Träume der Swingin’ Sixites der harschen<br />

Realität der Rezession nicht trotzen konnten,<br />

wird auch Liebe zu einem Problem der<br />

Ökonomie. Es gilt, zu haushalten, nicht zu<br />

viel anzulegen und Gewinn aus dem ewigen<br />

Wankelmut zu ziehen. Also hält Bob seine<br />

Gefühle im Gleichgewicht. Daniel und Alex,<br />

beide bekommen sie ihren Teil, aber eben nur<br />

so viel, wie er zu geben bereit ist. Der jüdische<br />

Arzt in den Fünfzigern und die immer<br />

noch gegen ihren kühl distanzierten Vater<br />

rebellierende Enddreißigerin wollen natürlich<br />

alles haben. Allerdings investieren auch<br />

sie nur gerade so viel wie eben nötig: „Weht<br />

leise, ihr Winde, / Seid milde, ihr Wogen /<br />

Und all ihr Elemente / entsprecht gütig /<br />

unserm Verlangen.“<br />

Ein <strong>Film</strong> der kleinen Wunder und der leisen,<br />

der sehr leisen alltäglichen Trauer, die<br />

tiefer trifft als jede schicksalhafte Tragik.<br />

„Così van tutte“ ist ein Balanceakt zwischen<br />

Komödie und Tragödie. Am Ende haben sich<br />

alle wieder, und doch ist nichts mehr im<br />

Lot. Der Zweifel ist gesät und wird einmal<br />

Früchte tragen. In Sunday, Bloody Sunday<br />

stehen am Ende zwei Menschen alleine da,<br />

die auch vorher schon einsam waren. Viel ist<br />

also nicht geschehen, verändert hat sich auch<br />

kaum etwas. Nur die Hoffnung, die sie in den<br />

flatterhaften, aber in seiner Oberflächlichkeit<br />

absolut ehrlichen Künstler gesetzt hatten, ist<br />

CMV LASErViSioN<br />

noch etwas brüchiger, noch haltloser geworden.<br />

Alex wird sich mit ihrem Vater nicht<br />

versöhnen und ihre Mutter nie wirklich verstehen.<br />

David wird weiter zwei Leben führen.<br />

Wenn er mit Freunden und Bekannten<br />

zusammen ist, ist er ganz offen. Aber seinen<br />

Eltern und seiner Familie wird er für immer<br />

den Junggesellen vorspielen, der bisher einfach<br />

nicht die Richtige gefunden hat.<br />

Selbst in der privilegierten Welt, in der<br />

sich David, Bob und Alex bewegen, scheinen<br />

die in den 60er Jahren gelebten Freiheiten<br />

nach und nach zu schwinden. Der Traum<br />

einer ganzen Gesellschaft von einem Leben<br />

in Offenheit ist schon wieder zu einem Vorrecht<br />

einer Klasse geworden, und deren Vertreter<br />

verkehren ihn wie Alex’ und Davids<br />

so überaus liberale Freunde systematisch<br />

ins lächerlich Absurde. Aber in John Schlesingers<br />

<strong>Film</strong> bleibt er trotz allem lebendig,<br />

in der Selbstverständlichkeit, mit der David<br />

und Bob ihr Begehren ausleben, und in dem<br />

innigen, von Liebe und Zärtlichkeit erfüllten<br />

Kuss, mit dem Peter Finch und Murray Head<br />

Kinogeschichte geschrieben haben. s<br />

Sunday, Bloody Sunday<br />

von John Schlesinger<br />

UK 1971, 110 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

CMV Laservision,<br />

www.cmv-laservision.de<br />

Der moment<br />

von mIchael Sollorz<br />

Michael Sollorz hat Drehbücher („Banale Tage“), Kolumnen (Siegessäule, Queer), erotische Literatur und<br />

romane geschrieben, die – wie sein letzter, „Die Eignung“, – weit über die Nischengrenzen hinaus von der<br />

Kritik gefeiert wurden. im September erscheint sein neuer Erzählband „Piratenherz“.<br />

s So ein hoffnungsvoller Anfang! Jockel und Stefan, zwei hübsche<br />

junge Kerle aus dem linksautonomen Berliner Wagenburgmilieu kurz<br />

nach Mauerfall, ein liebenswertes Paar. Sie schieben ihre Fahrräder<br />

durch den Kiez und kleben Plakate gegen Drogen-Dealer. Dabei werden<br />

sie aus einem Auto heraus von zwei Männern beobachtet. Zivilbullen,<br />

meint Stefan. Ledertrinen, befindet Jockel und folgt dem Ruf<br />

der Wildnis, als die Männer aussteigen, in einen Hinterhof, in einen<br />

halbdunklen Keller. Die Gefahr ist Teil der Erregung, und dort unten<br />

nehmen und benutzen die Männer ihn, so wie er sie benutzt für eine<br />

kleine Glückseligkeit, während sein Stefan kurz nachschaut, ob alles<br />

okay ist, und dann oben herumsteht und wartet, an eine Hauswand<br />

gelehnt, allein.<br />

„Wie wars?“, fragt er hinterher. „Klasse“, antwortet Jockel, und<br />

man wünscht den Beiden, dass sie es schaffen. Doch sie scheitern,<br />

weil das Drehbuch es so will, ihre Liebe geht die Spree runter, und am<br />

Müggelsee gibt’s noch Kloppe von Ost-Skins. Ein schmutziges, grausames<br />

Märchen, um Wahrhaftigkeit ringend, und mitten drin Jockel,<br />

der Prinz, zum Fressen süß, das Versprechen seines hungrigen Körpers,<br />

den er martert mit Heroin, das ihn am Ende tötet.<br />

Dann ging das Licht an und das Publikum klatschte, vor siebzehn<br />

Jahren im klirrend winterlichen Saarbrücken. Wir hatten uns für<br />

Zeitungen beim Nachwuchs-<strong>Film</strong>festival Max Ophüls akkreditieren<br />

lassen, mein Freund und ich. Beide selber kaum älter als die Helden,<br />

hockten wir nach der Vorführung in einer Bar, und irgendwas hing<br />

auf einmal schräg. Zwar standen noch weitere <strong>Film</strong>e auf unserm<br />

Programm, bis tief in die Nacht – sie liefen ohne uns. Wir blieben in<br />

der Bar und machten Notizen für unsere Artikel. Stocks Kreuzberger<br />

Junkie-Märchen sei wütendes Kino für wenig Geld, schrieb ich<br />

Tage darauf in der Wochenpost. Frei von romantischem Voyeurismus<br />

lasse er die Kamera durch die Protest-Demo vom 3. Oktober fahren,<br />

durch die Fixer am Kottbusser Tor, Menschengesichter, voller Not.<br />

Wir überboten einander in trefflichem <strong>Film</strong>geschwätz, zwei erhitzte<br />

Jung-Journalisten, und tranken zügiger als sonst, absolut außerstande,<br />

miteinander endlich darüber zu sprechen, was uns vorhin im<br />

Kino wirklich so berührt hatte und verstörend nachwirkte.<br />

Es war die Kellerszene – sie warf einen Schatten. Sie kam höchst<br />

ungelegen, indem sie daran erinnerte, dass unsere Begierde etwas<br />

Ungezähmteres war, als wir beide in unserm rosigen zweiten Jahr<br />

wahrhaben wollten. Wir hatten uns wiedererkannt in Jockel, wie er<br />

in den Keller runtersteigt, dieser kleine Moment von Anarchie, süchtig<br />

und instinktsicher wie ein Tier. War es das nicht, worüber wir<br />

schließlich miteinander so wortreich schwiegen, der Wunsch, alle<br />

Kontrolle fahren zu lassen, sich wegzuschmeißen, aufzulösen in einer<br />

größeren Geborgenheit, als die Umarmung des Geliebten sie jemals<br />

zu bieten vermag? Und war unsere Sexualität nicht tatsächlich auch<br />

den Drogen verwandt, weil sie in Bereiche unseres innersten Selbst<br />

führen kann, zu denen wir sonst keinen Zugang finden? Ist es das, was<br />

uns magisch anzieht und zugleich zurückweichen lässt wie vor einer<br />

unaussprechlichen Wahrheit?<br />

Noch heute, das erste Grau in den Bärten, erinnern wir uns<br />

manchmal an unsere Hilflosigkeit damals auf dem Festival. Seither<br />

hat jeder ein paar Lebenssachen ausprobiert und ist dabei zumindest<br />

nicht nachweislich dümmer geworden, ruhiger jedenfalls, manchmal.<br />

Aber die kleine, an sich banale Kellerszene, sie brennt noch. Dabei ist<br />

die Frage, die sie am Ende stellt, nicht mal mehr besonders mysteriös:<br />

Wie kann ich dich loslassen, wenn ich dich liebe? Das Loslassen überhaupt,<br />

heute nicken wir artig, ist die große Lektion unseres Lebens.<br />

Doch wem hätte Einsicht je geholfen? Was wäre anders gekommen,<br />

wenn wir damals beherzt hätten sprechen können? Die Furcht ist<br />

stärker gewesen, ihre Zerstörungskraft, von der wir in Saarbrücken<br />

vielleicht schon dunkel ahnten, dass sie auch uns ein paar Jahre später<br />

als Paar würde scheitern lassen. s<br />

Prinz in Hölleland<br />

von Michael Stock<br />

DE 1993, 90 Minuten, dt. OF<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Die Eignung<br />

von Michael Sollorz<br />

Roman, 160 Seiten<br />

film-flirt<br />

Piratenherz<br />

von Michael Sollorz<br />

Erzählungen, 136 Seiten<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

beide bei Männerschwarm Skript,<br />

www.maennerschwarm.de<br />

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