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Homosexual's Film Quarterly - Sissy

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kino<br />

buddysex<br />

von hanno stecher<br />

Heterosexuelle Männer können alles, auch schwul. Denken sie zumindest. regisseurin<br />

Lynn Shelton macht daraus mit zwei improvisierenden Schauspielern ein Experiment<br />

mit offenem Ausgang, das ziemlich komisch ausfällt. Was man neuerdings als<br />

Mumblecore-Ästhetik im uS-amerikanischen independentfilm bezeichnet, funktioniert<br />

hier in der tastenden Suche nach den Grenzen einer Männerfreundschaft ganz<br />

hervorragend. „Humpday“ läuft ab 9. September in den Kinos.<br />

s Im Hipster-Magazin „Vice“ gab es vor<br />

Kurzem eine Fotostrecke, in welcher man<br />

einen sich als heterosexuell identifizierenden,<br />

großflächig tätowierten jungen Mann<br />

dabei beobachten konnte, wie er sich quasi<br />

„als Experiment“ einen Buttplug zu Gemüte<br />

führte. Die Fotos, kommentiert durch zotige<br />

Sprüche, wurden inszeniert als Grenzüberschreitung,<br />

als das große Abenteuer, sich als<br />

Heterotyp schwule Sextechniken anzueignen<br />

– und damit vielleicht doch selbst ein<br />

kleines bisschen schwul zu sein. So weit, so<br />

albern. Dass es allerdings auch möglich ist,<br />

das Verhältnis nicht-schwuler Männer zu<br />

schwulem Sex jenseits infantilen Sprücheklopfens<br />

genauer unter die Lupe zu nehmen,<br />

zeigt Lynn Shelton in Humpday. Der <strong>Film</strong><br />

spielt in Seattle, der Heimatstadt der Regisseurin,<br />

und widmet sich mit einem ziemlich<br />

großartigen Sinn für Humor der Männerfreundschaft<br />

zweier alter Collegefreunde<br />

in den Dreißigern, die sich nach etlichen<br />

Jahren wieder begegnen. Ein gemeinsamer<br />

Saufabend bringt die beiden netten Kerle Ben<br />

und Andrew auf die Idee, zusammen einen<br />

„Kunstfilm“ zu drehen, der zeigen soll, wie<br />

sie, die beiden besten Kumpels, miteinander<br />

in die Kiste steigen. Die Idee wird schnell zur<br />

Wette und nun nimmt alles seinen Lauf.<br />

Denn beide Männer haben gute Gründe,<br />

die ungewöhnliche Wette nicht zu verlieren,<br />

ist sie doch ganz konkret an ihr Selbstverständnis<br />

und ihre jeweilige Lebenssituation<br />

geknüpft: Ben ist gerade dabei, mit seiner<br />

Freundin Anna ein spießiges Familienleben<br />

aufzubauen und spürt seine Freiheiten<br />

dahinschwinden, während Weltenbummler<br />

Andrew seinen Ruf als durchgeknallter Typ<br />

retten will und den Deal als eine Art künstlerische<br />

Herausforderung betrachtet. Schwuler<br />

Sex wird so für beide Männer zum Ausdruck<br />

einer anti-bürgerliche Grundhaltung<br />

und zum Weg, sich selbst zu beweisen, dass<br />

man immer noch irgendwie „offen“ ist. Mit<br />

diesem Verhältnis spielt auch der doppeldeutige<br />

Titel des <strong>Film</strong>s – während „Humpday“<br />

umgangssprachlich für den Mittwoch als<br />

Mitte der Arbeitswoche benutzt wird, kann<br />

das Verb „to hump“ auch schlicht „ficken“<br />

bedeuten.<br />

Shelton geht es bei ihrem dritten Spielfilm<br />

vor allem darum, die Auswirkungen<br />

des gemeinsamen Deals auf die Beziehung<br />

der beiden Männer genauer unter die Lupe<br />

FuGu FiLMVErLEiH<br />

zu nehmen. Die Frage, ob da jenseits dieser<br />

Wette vielleicht noch ein viel tieferes Begehren<br />

in den Jungs vor sich hin schlummert,<br />

bleibt dabei mehr oder weniger unbeantwortet.<br />

Stattdessen nutzt die Regisseurin den<br />

„Humpday“ als Katalysator, als etwas, das<br />

eine klassische Männerfreundschaft plötzlich<br />

aus den Fugen geraten lässt. Denn, so ihre<br />

These, durch den Plan, etwas Schwules zu<br />

machen, sind die zwei in ihrem Selbstbild bislang<br />

eher unangetasteten Männer plötzlich<br />

dazu gezwungen, sowohl ihr Verhältnis zueinander,<br />

als auch zu sich selbst zu reflektieren.<br />

In ihrer Dekonstruktion von Männlichkeit(en)<br />

gelingt es Shelton dabei, ihre Protagonisten<br />

immer wieder in Situationen zu<br />

lotsen, in denen Komik und Tragik so nahe<br />

beieinander liegen, dass man als Zuschauer<br />

vor Fremdscham am liebsten im Boden versinken<br />

würde. Denn ein großer Teil der Kommunikation<br />

zwischen den beiden Freunden<br />

findet trotz Veränderungen in ihrer Beziehung<br />

auch weiterhin auf einer Ebene statt,<br />

auf der vieles unausgesprochen bleibt. Alles<br />

andere, so scheint es, würde die Freundschaft<br />

wohl sprengen. Wichtiger Nebenschauplatz<br />

ist hier auch Bens Beziehung zu<br />

seiner Freundin, die natürlich irgendwann<br />

von der Sache Wind bekommt. Dass gerade<br />

in diesen Momenten die Stärke des <strong>Film</strong>s liegen,<br />

hängt besonders mit dem perfekt aufeinander<br />

abgestimmten Schauspielerduo Mark<br />

Duplass und Joshua Leonard zusammen, die<br />

ihre Texte während des Drehs weitestgehend<br />

improvisiert haben und dabei immer<br />

den richtigen Ton treffen. Darüber hinaus<br />

hat sich Shelton entschieden, mit Handkameras<br />

zu drehen, die nur wenig Distanz zu<br />

dem Geschehen zulassen, bestimmte Gesten<br />

betonen und, natürlich, Authentizität<br />

simulieren. Dabei spielt sie die Stärken eines<br />

klassischen Indiefilms so gut aus, dass die<br />

Sundance-Jury ihr für Humpday im vergangenen<br />

Jahr einen Sonderpreis, den „Spirit of<br />

Independence“-Award, verliehen hat.<br />

Tja, und irgendwann ist er dann tatsächlich<br />

da, der große Tag. Aber spätestens als<br />

die beiden Jungs anfangen, vor laufender<br />

Handkamera noch einmal ihre Heterosexualität<br />

zu beschwören, wird klar, dass dieses<br />

Date genauso kompliziert wird wie man es<br />

befürchtet hat. s<br />

Humpday<br />

von Lynn Shelton<br />

US 2008, 94 Minuten, OmU<br />

Fugu <strong>Film</strong>verleih, www.fugu-films.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 9. September<br />

www.humpdayfilm.com<br />

Venus im trash<br />

von Jan küneMund<br />

Pornodarsteller, obdachlose, Leichenfledderei, Festivalausladung in Melbourne, blasierte Langeweile in<br />

Locarno, drohende indizierung: Bruce LaBruce hat einen neuen <strong>Film</strong> gemacht. Sich zwischen alle Stühle zu<br />

setzen ist für ihn selbstverständlich und für seine Fans Ausdruck einer queeren Strategie. ob man gut dabei<br />

aussieht, wenn man sich zwischen die Stühle setzt, ist eine andere Frage. und ob man am Ende überhaupt<br />

irgendwo sitzt, muss angesichts von „L.A. zombie“ (Kinostart am 7. oktober) tatsächlich auch mal gefragt<br />

werden.<br />

s Die erste Stuhlreihe: Pornografie – Independentkino<br />

– Kommerz – Zensur. LaBruce<br />

hat diesen <strong>Film</strong> wieder einmal sehr originell<br />

finanziert, über das Zusammenbringen mehrerer<br />

Gay-Adult-Anbieter, einem Mode/Neue<br />

Medien-Projekt, einer Galerie, einem Independent-<strong>Film</strong>label.<br />

Die schon eingeübte Strategie,<br />

deren unterschiedliche Verwertungsketten<br />

zu bedienen, soll auch diesmal wieder<br />

verfolgt werden, in dem aus L.A. Zombie<br />

eine Softcore-Version entsteht (die jetzt auch<br />

ins Kino kommt und zumindest bei einigen<br />

Festivals gelaufen ist und laufen wird) und<br />

gleichzeitig eine Hardcore-Version für das<br />

innovative Pornolabel Wurstfilm. Nun ist<br />

die Arthouse-Version von der Indizierung<br />

bedroht (wahrscheinlich wegen dem, was da<br />

mit Leichen veranstaltet wird; die deutschen<br />

Behörden sind wie auch die FSK da sehr kreativ),<br />

was eine DVD-Auswertung bedroht<br />

und damit die Hardcore-Version auf Dauer<br />

zur „eigentlichen“ machen wird. Diese wiederum<br />

dürfte kaum die genreüblichen Anforderungen<br />

erfüllen, denn der Sex, um den es<br />

hier geht, entspricht ziemlich ungewöhnlichen<br />

oder mutmaßlich ziemlich selten Fantasien.<br />

Die zweite Stuhlreihe: Kino – DVD –<br />

Internet – Museum. Das ist eine aktuelle und<br />

zugleich ziemlich alte Frage (wenn man an<br />

Anger, Deren, Genet denkt): Wo genau finden<br />

queere Bewegtbilder eigentlich statt?<br />

Zunächst kam der L.A. Zombie zu einer Ausstellung<br />

der Galerie Peres Projects in Berlin,<br />

in der das Video des <strong>Film</strong>s eigentlich nur<br />

Beiwerk war zu großformatigen Fotografien<br />

des Darstellers François Sagat in Zombie-<br />

Fashion-Look, die als Standfotos eines <strong>Film</strong>s<br />

inszeniert waren, den es vielleicht gar nicht<br />

gab. LaBruce zufolge entstand der <strong>Film</strong> dazu<br />

tatsächlich auch erst auf Bitten anderer, er<br />

selbst hätte ihn gar nicht unbedingt machen<br />

müssen (zumal er mit Otto, or: Up With<br />

Dead People schon einen sehr ernsthaften<br />

und komplexen Queer-Zombie-<strong>Film</strong> gedreht<br />

hatte). Nun geht der <strong>Film</strong> seinen Festival-<br />

und Kino-Weg oder vielleicht auch nicht,<br />

wenn er tatsächlich sogar hierzulande indi-<br />

ziert wird und die Festivals ihn nicht spielen<br />

(oder wieder streichen, wie z.B. Melbourne).<br />

Das Netz bliebe als ohnehin sich mehr und<br />

mehr anbietender Abspielort für innovatives<br />

queeres Kino. <strong>Film</strong>kritiker mit konventionellem<br />

„Kinofilm“-Begriff haben schon<br />

in Locarno mehrheitlich die Frage gestellt,<br />

ob L.A. Zombie überhaupt ein „<strong>Film</strong>“ ist und<br />

nicht eher ein „Clip“.<br />

Die dritte Stuhlreihe: Zombies – Obdachlose<br />

– schwule Ikonen – das Kunstverweis-<br />

System: Wie ernst ist das alles eigentlich<br />

gemeint? War der Zombie in Otto noch eine<br />

ernsthafte, melancholische Figur in der Tradition<br />

des frühen Tourneur-<strong>Film</strong>s I walked<br />

with a Zombie (1942), so ist der Nachfolger<br />

in L.A. zwar auch eine Missfit-Ikone, die<br />

aber völlig in einem Zitat-System konstruiert<br />

wird: eine schauerliche Botticelli-<br />

Venus, ein seelenloses Romero-Wesen, ein<br />

„vogelfreier“ (Agnes Varda) Obdachloser,<br />

eine Porno-Ikone mit sexy Aussparungen<br />

im Penner-Look, ein pervertierter Captain<br />

America usw. Grease wird zitiert, Morricone<br />

auch. Die Porno-Orgien-Szene findet<br />

in einem White Cube statt, der Soundtrack<br />

besteht aus schlechter Pseudosinfonik und<br />

GMFiLMS<br />

noch oberflächlicherem Electro/Folk/Indie/<br />

Pop-Gesäusel.<br />

Wo sitzt dieser <strong>Film</strong> nun eigentlich? Im<br />

punkigen, aber auch kühl kalkulierenden<br />

Selbstvertrauen, das alles auf Gedeih und Verderb<br />

kombinieren zu können und sich dahinter<br />

unsichtbar zu machen? Maske & Requisite<br />

wechseln zwischen zwei Schnitten, die Idee<br />

einer an Ort und Zeit gebundenen Handlung<br />

ist völlig aufgehoben, der Zombie kommt<br />

als Retter, fickt die Toten ins Leben zurück<br />

(in einer Szene buchstäblich ins Herz), der<br />

Pornoindustrie wird ihre eigene industrielle<br />

Kälte vorgeführt und mit gehörnten Schwänzen,<br />

schwarzem Ejakulat und kreativ genutzten<br />

Körperöffnungen beantwortet, die eher<br />

die männliche Penetrationsfantasie oder<br />

männliche Sexualität überhaupt dekonstruiert<br />

als geil macht. Und François Sagat, mit<br />

seinem Pitbull-Körper und den schönen jungenhaften<br />

Augen, seinem Toupet-Tattoo und<br />

der Steroid-Hautspannung weint zu französischen<br />

Chansons blutige Tränen und steht,<br />

unschuldig in Szene gesetzt, als männliche<br />

Ikone für die Jetztzeit da wie einst Dallessandro<br />

für die Endsechziger. Man darf gespannt<br />

sein, ob dieser Queerness jemand folgen wird<br />

wie einst (aus Liebe) dem Tourneur-Zombie.<br />

Bitte Platz zu nehmen, aber: Vorsicht! s<br />

L.A. Zombie<br />

von Bruce LaBruce<br />

DE/US/FR 2010, 63 Minuten,<br />

OF (ohne Dialog)<br />

GMfilms, www.gmfilms.de<br />

34 35<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 7. Oktober<br />

www.lazombie.com<br />

kino

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