Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
kino<br />
AlleS iN<br />
ORDNuNg<br />
interview: Patrick heidMann<br />
Seit ihrem ersten Spielfilm „High Art“ (1997) ist Lisa Cholodenko eine feste Größe im uS-independent-<br />
Kino. Nach der prominent besetzten Vierecks-Familien-Geschichte „Laurel Canyon“ (2002) legt die<br />
regisseurin, die zwischendurch auch Folgen für TV-Serien wie „Six Feet under“ oder „The L-Word“<br />
realisierte, nun ihre bislang populärste Arbeit vor: „The Kids Are All right“, mit Julianne Moore und Annette<br />
Bening als lesbischem Paar, dessen Kinder sich auf die Suche nach ihrem Vater macht, lief mit Erfolg auf<br />
der diesjährigen Berlinale, gewann den Spielfilm-Teddy, entpuppte sich als einer der überraschungshits<br />
im amerikanischen Kino-Sommer und kommt am 18. November auch auf die deutschen Leinwände.<br />
Mit der SiSSY sprach Cholodenko unter anderem über ihre eigene Kindheit, Schwulenpornos und die<br />
familienpolitische rückständigkeit der uSA.<br />
sissy: Erzählt „The Kids Are All Right“ eigentlich etwas Neues?<br />
Lisa Cholodenko: Und ob! Und es ist eine echte Erleichterung, dass<br />
mir das überhaupt gelungen ist. Während ich das Drehbuch schrieb,<br />
staunte ich selbst oft, wie toll und zeitgemäß unsere Geschichte war –<br />
und dass noch niemand vorher etwas Ähnliches erzählt hatte. Immerhin<br />
ist die amerikanische Presse in den letzten Jahren voll gewesen<br />
von Geschichten über die Homo-Ehe oder Kinder, die nach ihren<br />
Samenspender-Vätern suchen. Bis zum Schluss hatte ich die Sorge,<br />
jemand könnte uns das Thema vor der Nase wegschnappen.<br />
Teilten denn alle Ihre Begeisterung? Standen die Geldgeber Schlange?<br />
Natürlich nicht. Im Gegenteil, und ich war wirklich überrascht, wie<br />
schwer es letztlich war, den <strong>Film</strong> auf die Beine zu stellen. Aus irgendwelchen<br />
Gründen war ich davon ausgegangen, wir würden mit einer<br />
derart modernen Geschichte offene Türen einrennen, zumal wir das<br />
Thema ja nicht von einer politischen oder kontroversen Seite angehen,<br />
sondern sehr das Komödiantische und Menschliche in den Vordergrund<br />
rücken. Aber selbst, als wir unsere prominente Besetzung<br />
zusammen hatten, waren noch nicht alle Produzenten überzeugt und<br />
ich brauchte mehrere Jahre, bis alles unter Dach und Fach war.<br />
Wie früh kamen Julianne Moore und Annette Bening denn ins Spiel?<br />
Julie war schon sehr früh mit an Bord. Wir hatten schon vor Jahren<br />
mal darüber gesprochen zusammenzuarbeiten und so hatte ich sie<br />
bereits im Hinterkopf, als ich die Geschichte schrieb. Als ich meinen<br />
Sohn bekam, nahm erst einmal eine kleine Auszeit, feilte weiter am<br />
Drehbuch und es wurde immer pointierter. So kam ich auf Annette,<br />
denn für mich gibt es wenige Schauspielerinnen, die Drama und<br />
Komödie so gut miteinander vereinen können wie sie.<br />
Haben Sie vorher ausprobiert, ob zwischen den beiden überhaupt die<br />
Chemie stimmt?<br />
Dafür fehlten mir, ehrlich gesagt, die Zeit und das Geld. Den Luxus,<br />
tagelang Probeaufnahmen mit Julianne und zehn verschiedenen Kolleginnen<br />
zu machen, konnte ich mir einfach nicht erlauben. Zumal<br />
das bei Schauspielerinnen vom Kaliber der beiden auch einfach nicht<br />
wirklich üblich ist.<br />
Wollten Sie mit einer Komödie über eine ungewöhnliche Familie ein<br />
größeres Publikum erreichen als mit ihren früheren <strong>Film</strong>en?<br />
Ganz so bewusst lief das nicht. Ich hatte eher das Gefühl, dass die<br />
Thematik geradezu danach schrie. So ernst die Sache ist, birgt sie<br />
einfach auch etwas unglaublich Albernes. Ich weiß das, ich kenne<br />
das aus meinem eigenen Leben. Das Kind von meiner Lebensgefährtin<br />
und mir stammt auch von einem Samenspender. Aber ich wollte<br />
um Gottes Willen keine überdramatische Betroffenheitskiste daraus<br />
machen.<br />
SuzANNE TENNEr / uNiVErSAL<br />
Zu den vielen hübschen Details des <strong>Film</strong>s gehört es, dass das lesbische<br />
Paar sich im Bett gerne mal Schwulenpornos anguckt. Ist das auch<br />
autobiografisch?<br />
Oh ja, damit kenne ich mich aus. Und ich kenne viele Frauen, die<br />
damit ebenfalls vertraut sind. Mir lag es extrem am Herzen, dass es<br />
diese Szene gibt, in der Julianne Moore das ihren Kindern erklärt.<br />
FEATurES<br />
Natürlich war mir klar, dass das die wenigsten Zuschauer wirklich<br />
FoCuS /<br />
begreifen würden, deswegen war ich gespannt, ob wenigstens sie es<br />
schafft, den Leuten das irgendwie zu vermitteln. Und ich finde, dass<br />
JoNES<br />
sie ihre Sache ziemlich gut macht, oder? KELViN<br />
So zeitgemäß das Familienkonzept in „The Kids Are All Right“ auch ist,<br />
brechen Sie doch nicht mit einem eher konservativen Bild des Zusammenlebens<br />
und den zugehörigen Werten...<br />
Sie haben Recht, da kommt wohl meine Kindheit durch. Ich bin zwar im<br />
Los Angeles der Siebziger Jahren aufgewachsen, also wirklich liberal,<br />
aber in meiner Familie wurde viel Wert auf Traditionen gelegt. Meine<br />
Etern sind seit 50 Jhren verheiratet und leben immer noch in dem gleichen<br />
Haus. Wenn mein Vater um 19 Uhr nach Hause kam, gab es Essen.<br />
Nach einem Geburtstag wurden Dankeskarten verschickt. Dass wir<br />
Kinder heimlich Pott rauchten, war dagegen kein großes Thema …<br />
Wird denn ein <strong>Film</strong> wie „The Kids Are All Right“ in Punkto Liberalität<br />
etwas ändern? Zum Beispiel, was den Diskurs über homosexuelle Eltern<br />
angeht?<br />
Ich bin stolz darauf, dass der <strong>Film</strong> einfach ein Familien porträt, kein<br />
politisches Pamphlet ist. Denn gerade durch diese Haltung ist der <strong>Film</strong><br />
letztlich doch auch ein gesellschaftliches Statement, das sicher zur<br />
richtigen Zeit kommt. Der Umgang in den USA mit dem Thema Homo-<br />
Ehe, wo immer noch alles von jedem Staat individuell geregelt wird, ist<br />
wirklich beschämend. Dass mein <strong>Film</strong> nun vielleicht von ein paar mehr<br />
Zuschauern als den Lesben in New York und San Francisco gesehen<br />
wird, kann deswegen sicher nicht schaden. Aber er wird wohl leider die<br />
nötigen Veränderungen in unserem Land, das da erschreckenderweise<br />
vielen anderen hinterherhinkt, nicht beschleunigen können.<br />
Wie kam es eigentlich zu dem <strong>Film</strong>titel „The Kids Are All Right“?<br />
Eigentlich geht es doch vor allem um die Erwachsenen …<br />
In gewisser Hinsicht ist das ein ironischer Kommentar meinerseits<br />
auf all die Ängste, die viele Menschen immer noch vor homosexuellen<br />
Eltern oder Lehrern und ihrem Einfluss auf Kinder haben. In meinem<br />
Fall sind die Kinder viel souveräner als ihre Mütter. Ursprünglich<br />
schrieb sich der Titel The Kids Are Alright, aber da gab es ein paar<br />
Copyright-Schwierigkeiten mit The Who. So finde ich ihn aber auch<br />
nicht schlecht, denn jetzt wird noch klarer, dass mit diesen Kids eben<br />
wirklich alles ‚richtig‘ ist.<br />
Verglichen mit Ihren vorherigen Arbeiten ist der <strong>Film</strong> viel größer und<br />
aufwendiger produziert. Könnten Sie sich vorstellen, noch mal so zu<br />
drehen wie früher?<br />
Eigentlich nicht, wenn ich ehrlich bin. Das geht schon deswegen<br />
nicht mehr, weil ich ja mittlerweile Mitglied der Regie-Gewerkschaft<br />
bin und mich an gewisse Vorschriften halten muss. Als ich High Art<br />
drehte, studierte ich noch, alle am Set arbeiteten umsonst. Noch einmal<br />
würde ich niemanden derart ausbeuten wollen. Vor allem nicht,<br />
wenn ich die Wahl habe!<br />
Würden Sie sich denn für viel Geld von einem Hollywoodstudio für einen<br />
<strong>Film</strong> engagieren lassen, dessen Drehbuch nicht von Ihnen stammt?<br />
Warum nicht? Wenn das eine Geschichte ist, zu der ich einen persönlichen<br />
Bezug finde, würde so etwas durchaus für mich in Frage kommen.<br />
Völlig austauschbare Stangenware käme dabei aber sicherlich<br />
nicht heraus.<br />
The Kids Are All Right<br />
von Lisa Cholodenko<br />
US 2010, 106 Minuten, dt. SF, OmU<br />
UPI Germany,www.universal-pictures.de<br />
Im Kino<br />
Kinostart: 18. November<br />
www.the-kids-are-all-right.de<br />
32 33<br />
kino