Homosexual's Film Quarterly - Sissy
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kino<br />
Daniel Schmidt – Le chat qui pense<br />
von Pascal Hofmann und Benny Jaberg<br />
CH 2010, 83 Minuten, OmU<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
Ab 2. September in ausgewählten Kinos.<br />
Das Metropolis (Hamburg) und die Tilsiter<br />
Lichtspiele (Berlin) zeigen begleitend auch <strong>Film</strong>e<br />
von Daniel Schmid, ebenso das Kino achteinhalb<br />
(Saarbrücken) ab dem 27. September.<br />
www.danielschmid-film.com<br />
EDiTioN SALzGEBEr (2)<br />
aus den 1970er Jahren, war dieser Weg nicht unbedingt absehbar.<br />
Denn Schmid hatte sich damals, zwischen den beiden paradigmatischen<br />
deutschen Positionen von Werner Schroeter und Rainer<br />
Werner Fassbinder, dafür entschieden, so lange wie möglich beiden<br />
zu entsprechen. Das bedeutete konkret in Heute nacht oder nie und<br />
vier Jahre später in Schatten der Engel: Verschiebung der politischen<br />
Revolution ins Ästhetische und danach Verschiebung der politischen<br />
Enttäuschung in die Dekadenz. Heute nacht oder nie war Schmids<br />
Revolutionsfilm, und vermutlich hat er deswegen so viel Ärgernis<br />
erregt, weil darin so deutlich dem revolutionären Umschwung das<br />
Subjekt geraubt wurde. Die Dienerschaft, die hier einem alten Brauch<br />
entsprechend einen Abend lang die Herren stellt (während die Herrschaft<br />
zu ihrer Unterhaltung alles aufbietet, was sie an Tenören und<br />
Tangos zu bieten hat), versäumt nachgerade programmatisch den<br />
Moment, an dem die alte Ordnung wieder ins Recht gesetzt wird. Sie<br />
ergreift ihre Chance nicht (weil Schmid sie auch schonungslos als<br />
begriffsstutzig darstellt), deswegen bleibt alles beim Alten in diesem<br />
alten Schloss, das in der langen Vorspannsequenz als Ort der Handlung<br />
etabliert wird und das dabei stark transsilvanische Konnotationen<br />
bekommt. In Heute nacht oder nie wird wenig gesprochen, dafür<br />
aber umso mehr gesungen und musiziert. Der Soundtrack des <strong>Film</strong>s<br />
ist dessen eigentlicher Diskurs, eine Abfolge unterschiedlichster<br />
kultureller Formen von der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts<br />
bis zu einem modernen Musikstück, zu dem Schmid eine großartige<br />
(Wimmelbild-)Plansequenz entworfen hat. Dazu kommen Schlager<br />
und Tanzmusik, all das also, was für einen kleinen Jungen, der auf<br />
der Bühne des Foyers eines Traditionshotels aufgewachsen ist, die<br />
Welt bedeutet.<br />
Während aber Werner Schroeter in diesen Jahren zum Teil sich<br />
vollständig ins Asemantische und Avantgardistische wagt (Eika<br />
Ka tappa), kappt Schmid die Verbindungen zum herkömmlichen Spielfilm<br />
nicht. In La Paloma spielt seine Muse Ingrid Caven eine Prostituierte,<br />
die sich für ihr Zuhören und ihr Schweigen bezahlen lässt, und<br />
die nach einem Mann sucht, der ihr das Leben nehmen kann. In Schatten<br />
der Engel wiederholt die Caven diese Rolle unter den veränderten<br />
Vorzeichen des noch stärker politisch und nachkriegshistorisch konnotierten<br />
Patriarchats: Fassbinder, der die umstrittene Vorlage, das<br />
Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ geschrieben hatte, spielt ihren<br />
Zuhälter, und Klaus Löwitsch die Skandalfigur von <strong>Film</strong> und Stück,<br />
den reichen Juden. Die ganze Anlage dieser Verfilmung zeugt von<br />
Schmids unbedingtem Glauben an eine Unschuld des Ästhetischen –<br />
er hat nicht versucht, der Vorlage von Fassbinder das Anstößige (den<br />
vielfach festgestellten Antisemitismus, der in der Darstellung einer<br />
Klischeefigur liegt) zu nehmen, er hat es in einen Zusammenhang<br />
gestellt, der Ästhetik in unrettbare Ambivalenz umschlagen lässt. Er<br />
hat später nie mehr so radikal auf der Freiheit der Kunst bestanden,<br />
durch ihre eigene Zeitlichkeit auch an Tabus des Politischen rühren<br />
zu können: die Abstumpfung der Arbeiterklasse, die Ortlosigkeit<br />
der Juden in Nachkriegsdeutschland, die sexuelle Grundierung des<br />
Kolonialismus. Daniel Schmid wurde zu einem konventionelleren<br />
<strong>Film</strong>emacher, der sich an das europäische Autorenkino der Qualität<br />
annäherte, während Fassbinder die amerikanischen Genreformen,<br />
vor allem das Melodram, auf den Stand der bundesrepublikanischen<br />
Wirklichkeit zu bringen versuchte. Es wäre reizvoll, die spezifische<br />
Unzeitgemäßheit von Daniel Schmid mit seiner Herkunft aus der<br />
Schweiz in Beziehung zu setzen: ein <strong>Film</strong>emacher aus der provinziellen<br />
Mitte Europas konstituiert für sich selbst und für das Kino einen<br />
Sehnsuchtsort, der die Herkunft transzendiert – einen Himmel des<br />
Ästhetischen, zugleich politische Utopie und anachronistische Politik,<br />
ein Bubentraum, in dem der Protagonist allmählich lernt, auf Spezialeffekte<br />
zu verzichten. Er wird erwachsen, aber er steht doch kompromisslos<br />
quer / queer zu der Zeitordnung des linearen Fortschritts.<br />
Eine Kraft der Vergangenheit, deren Sprengkraft nicht selten unterschätzt<br />
wird. s<br />
Voll autobiografisch<br />
von dietrich kuhlBrodt<br />
Frank ripplohs Kultfilm über einen schwulen Lehrer, der seine bürgerliche Existenz mit einem<br />
facettenreichen Sexualleben in Einklang zu bringen versucht, stach 1980 in das Wespennest einer um<br />
positive Selbstbilder bemühten Schwulenszene. Angesichts der Kino-Wiederaufführung am 4. November<br />
kann man wie unser Autor feststellen, wie haltbar diese filmische Provokation nach wie vor ist.<br />
s Da ist er also wieder, der Kultfilm von vor dreißig Jahren. Schwuler<br />
Sex bis zum Abwinken. „Witzig, konsequent und unsentimental“,<br />
lobte damals das Time Magazine. Und die Süddeutsche Zeitung sah<br />
eine schwule „Komödie voller Selbstironie und raschem Witz. Dergleichen<br />
gab es noch nicht“. Und heute, hallo, gibt’s dergleichen<br />
inzwischen? Antwort: mitnichten. Ich sah den <strong>Film</strong> 1981. Ich sehe ihn<br />
2010. Und Taxi zum Klo ist frech und frisch und quicklebendig wie<br />
eh und je. Okay, um glaubwürdig zu sein, müsste ich an irgendwas<br />
herummäkeln. Mach ich vielleicht später. Zum Beispiel stimmt es<br />
nicht, dass Regisseur und Hauptdarsteller Frank Ripploh lebt. Er ist<br />
vor acht Jahren gestorben. An Krebs. Im Krankenhaus lag er damals,<br />
wegen Virenzeug, glaube ich. Aids gab es ja noch nicht. Was tun,<br />
wenn’s im Bett langweilig wird? Also das Taxi zur Klappe. Bitte, eine<br />
halbe Stunde warten. Zeit für ein paar erigierte Penisse. Und zurück.<br />
Ja, die Handlung. Sie ist voll autobiografisch. Frank, genannt<br />
Peggy, Hauptschullehrer in Berlin, unterrichtet eine Jungsklasse als<br />
Beamter auf Probe (war er auch noch während der Drehzeit). Ein<br />
originaler Schwarzweißlehrfilm über das, was heute als Missbrauch<br />
bekannt geworden ist, wird gezeigt. Zur Abwechslung wird in das<br />
Lehrmaterial ein Junge eingeschnitten, der mit Vergnügen auf Peggys<br />
Schoß hopst. Wer das nicht mehr okay findet und sich auskennt,<br />
kann sich mit Auftritten von Magdalena Montezuma (Arzthelferin)<br />
und Tabea Blumenschein vergnügen. Als Großwetterlage haben wir<br />
viel Regen in Berlin. Am Fehrbelliner Platz und drum herum. So war<br />
das 1980. Ein jungbeamtenwürdiges Ambiente. Peggy lässt sich von<br />
Bernd (Bernd Broaderup), Kino-Vorführer in der Yorckstraße, bekochen,<br />
betun, betutteln und mit Visionen vom gesunden Landleben<br />
belabern, am besten einen kleinen Hof bei Hitzacker mit viel Schafen<br />
drauf. Folge: „Wir müssen reden.“ Weitere Folge: Peggy sucht<br />
seine Sexpartner auf der Straße oder wo auch immer. Muscleboys,<br />
Schüchterlinge, den Tankwart rumkriegen. Fellatio, Ejakulation in<br />
Pro-FuN MEDiA<br />
den Mund, Samenschlucken in Großaufnahme und in der Länge, die<br />
es braucht, um zum Orgasmus zu kommen. Übrigens ist es der ejakulierende<br />
Schwanz von Regisseur Frank Ripploh, der ausführlich<br />
zur Geltung kommt. Und dann geht’s der Reihe nach inklusive Golden<br />
Shower.<br />
Eklig eventuell? – Aber nein. Was wir sehen, ist auf fast geheimnisvolle<br />
Weise ehrlich, selbstironisch und trotz der vielen komischen<br />
Elemente im Ergebnis eben nicht eine Komödie. Es sieht sogar tragisch<br />
aus für das Paar Bernd/Peggy. Zum Berliner Tuntenball kommt<br />
Bernd als Matrose, seine Schafe im Kopf. Peggy aber im Citykobrafummel,<br />
ganz in Tüll. Die Nacht ist um. Die Schule fängt an. Keine<br />
Zeit zum Umziehen. Peggy beginnt die Stunde im Fummel. – Noch<br />
Fragen? Den <strong>Film</strong> ansehen!<br />
Taxi im Klo wurde 1981 aus dem Stand bejubelt, unisono von<br />
Zuschauern und <strong>Film</strong>kritik. Gewiss, die Darsteller sprechen nicht wie<br />
Schauspieler, sondern wie Laien. Aber grad das machte den Witz, die<br />
Offenheit und die Ehrlichkeit (sprich: Authentizität) des <strong>Film</strong>s aus.<br />
Und siehe da, das was überall sonst als Pornografie verboten wird,<br />
wurde in Ripplohs <strong>Film</strong> normal. Ein Einmalereignis. Die Behörden<br />
gaben den <strong>Film</strong> frei. Gedreht war er mit 100.000 DM ohne irgendein<br />
Fördermittel. Taxi to the Toilet sahen in New York 200.000 Besucher.<br />
Eingespielt hatte er allein dort eine Million Dollar. In Boston wurde er<br />
zum besten fremdsprachigen <strong>Film</strong> gekürt. In der BRD wurde er ebenfalls<br />
Kult. In den Kinos. Auf den Festivals (Hof, dann Saarbrücken mit<br />
dem renommierten Max-Ophüls-Preis). Aber weil das damals alles so<br />
war, bräuchte das heute nicht zu interessieren. Das Sensationelle ist<br />
doch, dass das, was <strong>Film</strong>-Einmalereignis der frühen achtziger Jahre<br />
war, auch heute funktioniert. Aus dem Stand. Jedenfalls bei mir.<br />
Mehr kann ich ja nicht sagen. Ich rede doch keinem etwas ein. Aber<br />
ich gönne allen die Fahrt mit dem Taxi zum Klo. s<br />
Taxi zum Klo<br />
von Frank Ripploh<br />
DE 1979, 91 Minuten, dt. OF<br />
Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />
Im Kino<br />
Kinostart der Wiederaufführung: 4. November<br />
20 21<br />
kino