Homosexual's Film Quarterly - Sissy
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kino<br />
DeR<br />
uNZeitgemÄSSe<br />
von Bert reBhandl<br />
in ihrem schwebenden Porträt „Daniel Schmid – Le chat qui pense“ (ab 2. September im Kino) verbinden<br />
Pascal Hofmann und Benny Jaberg <strong>Film</strong>ausschnitte, Archivmaterial und interviews mit Schmids Freunden<br />
und Wegbegleitern zu einer liebevollen und angemessenen Würdigung des Schweizer <strong>Film</strong>emachers. Wer<br />
bisher keine oder nur einzelne <strong>Film</strong>e von Daniel Schmid (1941–2006) kannte, wird sie nach diesem poetischen<br />
Dokumentarfilm alle sehen wollen, denn seine <strong>Film</strong>e sind welthaltig, eigenständig und warmherzig<br />
und bilden einen besonderen Beitrag zum Weltkino. unser Autor markiert in seinem Text für die SiSSY die<br />
besondere Querstellung des Schmid-Kinos.<br />
s Die Ewigkeit ist eine Vorstellung, die einen kleinen Jungen überfordern<br />
muss. Er hat die Zeit in ihrer Offenheit vor sich, kaum nachzuvollziehen<br />
also, wie es in einem Himmel (oder in einer Hölle) sein<br />
soll, in der gar keine Zeit mehr vergeht. Bleibt dann alles immer so,<br />
wie es jetzt gerade ist? Ein schrecklicher Gedanke, den Daniel Schmid<br />
nichtsdestoweniger in seinem <strong>Film</strong> Zwischensaison in Szene setzt. Der<br />
kleine Valentin, das kindliche Alter Ego des <strong>Film</strong>emachers, durchschreitet<br />
mit seiner Großmutter einen Himmel, der identisch ist mit<br />
dem Schweizer Alpenhotel, in dem er aufwächst. Alle Gäste sind da,<br />
in weißen Engelsgewändern, nur lebendig sind sie nicht mehr. Sie sind<br />
eingefroren in ein Lächeln, das als ein Stereotyp von Glückseligkeit<br />
erscheinen soll, das in Wahrheit aber grotesk ist wie die ganze Szene.<br />
Es ist paradoxerweise die Zeit selbst, die diesem erstarrten<br />
Moment die Groteskerie wieder nimmt, die ihn zu einer zärtlichen<br />
Erinnerung macht, in der sich der Künstler verlieren konnte, zu dem<br />
Daniel Schmid geworden ist: ein <strong>Film</strong>emacher aus Graubünden, ein<br />
Weltbürger, der in Berlin und Paris gelebt und in Tokio gedreht hat,<br />
der aber immer an dieses wie der Zeit entrückte Hotel „mit Meerblick“<br />
in den Alpen zurückgebunden blieb. Der Proust’sche Gestus der<br />
(Wieder-)Belebung von Objekten, von dem nicht nur Zwischensaison<br />
geprägt ist, weist dem Regisseur von <strong>Film</strong>en eine besondere Rolle zu,<br />
die in den Kindheitstagen im Hotel ihr erstes Vorbild in dem Zauberer<br />
Professor Malini hatte, von dem Valentin/Daniel seinen damaligen<br />
Berufwunsch ableiten konnte: „maître d’effets spéciaux“, Meister der<br />
Spezialeffekte.<br />
Daniel Schmid gehört zu einer Generation, deren Ambivalenz<br />
gegenüber dem Kino sich gut mit diesem Begriff beschreiben lässt:<br />
Das Medium ist als solches ein Spezialeffekt, eine technische Pointe,<br />
in der die Alltagswahrnehmung überboten wird. Man kann diese<br />
Überbietung zelebrieren, oder man kann sie in Dienst nehmen, für<br />
Zwecke, die dem Medium äußerlich sind. Als Schmid in den 1960er<br />
Jahren in Berlin das Studium an der dffb aufnahm, in deren erstem<br />
Jahrgang, da begann der kritische Diskurs zum Kino gerade mit aller<br />
Wucht. Gleichzeitig gab es im deutschsprachigen Autorenfilm dieser<br />
Jahre aber auch zahlreiche Außenseiter, die sich vom Imaginationspotential<br />
des Mediums nicht abbringen lassen wollten.<br />
Man unterschied damals in der <strong>Film</strong>kritik zwischen einer politischen<br />
und einer ästhetischen Linken, zwei Begriffe, die wie verzerrte<br />
westliche Korrelate zu den Formalismusdebatten in den kommunistischen<br />
Ländern wirken mussten. Einer politischen Linken waren<br />
Formfragen oder gar ästhetische Qualitäten erst in zweiter Linie<br />
angelegen, wichtiger waren inhaltliche Fragen (in den achtziger Jahren<br />
hatten diese Debatten eine zweite Auflage im Zusammenhang<br />
der Repräsentationskritik, die verstärkt aus der Position von Minderheiten<br />
geübt wurde: schwullesbische, feministische, antirassistische<br />
Identitätspolitik).<br />
Daniel Schmid war homosexuell, aber nicht das erscheint im<br />
Rückblick als der entscheidende Grund dafür, dass er ausgerechnet<br />
um 1968 mit einer dezidierten Option für das ästhetische Potential des<br />
Kinos hervortrat. Es hat wohl eher mit den unterschiedlichen Zeitlichkeiten<br />
zu tun, die zwischen der politischen und der ästhetischen<br />
Linken nicht zu verhandeln waren. In dem Dokumentarfilm Daniel<br />
Schmid – Le chat qui pense von Pascal Hofman und Benny Jaberg gibt<br />
es eine bezeichnende Szene, in der Schmid zu sehen ist, wie er 1973<br />
auf den Solothurner <strong>Film</strong>tagen seinen <strong>Film</strong> Heute nacht oder nie verteidigt,<br />
der als zu ästhetisch in den Verdacht politischer Irrelevanz<br />
geraten war. Der Regisseur sitzt auf dem Podium, rauchend, und sagt<br />
einen bedeutungsvollen Satz: „Ich habe keine Vorstellung davon, wie<br />
es weitergeht.“<br />
Damit bringt er einerseits einen latent apokalyptischen Zeitgeist<br />
zum Ausdruck, der in den 1970er Jahren immer neue Nahrung fand.<br />
Es äußert sich in diesem Satz aber auch noch etwas Grundsätzlicheres,<br />
eine künstlerische Position, die dem Bildmedium Kino eine<br />
Funktion zuschreibt, die eben konstitutiv nach hinten gerichtet ist,<br />
auf die Rekonstruktion von Szenarien, die der Gegenwart erst die<br />
Prägung gegeben haben. Die ästhetische Option von Daniel Schmid<br />
ist zugleich eine Option für eine bestimmte Zeitlichkeit, die sich in<br />
unterschiedlichen Konstellationen durch sein Werk zieht: die mytho-<br />
logische Grundierung einer erotischen Passion vor<br />
kolonialem Hintergrund in Hécate, aber auch der markante<br />
Traditionalismus des Kabuki in Das geschriebene<br />
Gesicht, in dem es um japanische Tradition geht, über die<br />
sich eine weiter gefasste, westliche Nostalgie vermitteln<br />
kann. Von Schmid erzählen die Menschen, die ihn gut<br />
gekannt haben, in Le chat qui pense, dass er immer einmal<br />
nach Shanghai wollte (der Hafen von Tokio in Das<br />
geschriebene Gesicht ist wohl auch ein „Stand-In“ für den<br />
Weltumschlagplatz der chinesischen Hafenstadt). Aber<br />
er hatte nicht die Metropole der chinesischen Modernisierung<br />
vor dem geistigen Auge, die heute so viele Menschen<br />
interessiert, sondern ein geistiges, ein ästhetisches<br />
Shanghai, das für ihn ein für alle Mal durch die <strong>Film</strong>e von<br />
Josef von Sternberg bestimmt war. Auch hier herrscht also<br />
ein Geist von cinephiler Retrospektivität, der einher geht<br />
mit dem Beharren auf einer ästhetischen Überhöhung,<br />
von der das Medium <strong>Film</strong> in seinem Mainstream schon<br />
lange Abschied genommen hat – und den es während des<br />
guten Vierteljahrhunderts seines filmischen Schaffens<br />
auch den Randbereichen auszutreiben beginnt. Ästhetische<br />
Überhöhung bedeutet auch: Kontakt zu den anderen<br />
Kunstformen, Hang zum Gesamtkunstwerk, taktile und<br />
musikalische Prägung, Theatralität und Literarizität.<br />
In Hécate erzählte Schmid nach einem Roman von<br />
Paul Morand die Geschichte eines französischen Kolonialbeamten,<br />
der in der fremden Welt des Orients einer<br />
schönen, eigenwilligen Frau verfällt. Clothilde de Watteville<br />
wurde von Lauren Hutton gespielt, die als Fotomodell<br />
und Schauspielerin beide Bereiche zu transzendieren<br />
vermochte und davor schon von Paul Schrader (in American<br />
Gigolo, 1980) sehr ikonisch eingesetzt wurde. Hutton<br />
spielt in Hécate die unbewusste, weil ganz auf sich konzentrierte<br />
Verführerin, die ihren Verehrer immer stärker<br />
in die Eifersucht treibt. Auch hier findet sich (wohl schon<br />
in der Vorlage) ein Satz, der die ästhetische Überhöhung<br />
in das Präteritum (und in den Kontext eines Mediums)<br />
stellt: „Die Tage vergingen wie in einem alten <strong>Film</strong>, in<br />
dem der Wind die Kalenderblätter davonweht.“<br />
Schmid war kein unpolitischer Regisseur, und in<br />
Hécate ist auch erkennbar, dass ihn dieser Stoff nicht<br />
zuletzt deswegen interessiert, weil sich darin etwas<br />
kreuzte: das allmähliche Untergehen der großen, westlichen<br />
Kolonialimperien mit dem Entstehen eines Medi-<br />
Die tage vergingen wie in einem alten <strong>Film</strong>,<br />
in dem der wind die kalenderblätter davonweht.<br />
ums, das davon technische Bilder überlieferte. Das Kino<br />
löst die Kalenderblätter ab, die in dem genannten Zitat<br />
ein dem Alltag entrücktes Vergehen der Zeit (nicht mehr)<br />
markieren, das Kino hat die Kalenderblätter aber auch<br />
abgelöst, insofern ein neueres Massenkommunikationsmittel<br />
an die Stelle eines älteren getreten ist, eines, das<br />
sich mit einem viel stärkeren Imaginationspotential verbunden<br />
hat – und dieses immer wieder schnöde an die<br />
kulturindustrielle Bewirtschaftung desselben verrät.<br />
Hécate entstand 1982, im Werk von Schmid markiert<br />
es einen Höhepunkt insofern, als es seinen Moment der<br />
Qualität darstellt (Qualität durchaus in jenem Sinn verstanden,<br />
der von der Nouvelle Vague zur Überwindung<br />
und Ablösung freigegeben worden war). Qualität wird<br />
hier durch die Vorlage, durch das Budget einer internationalen<br />
Koproduktion, durch den amerikanischen Star<br />
Lauren Hutton gewährleistet. Nach Heute nacht oder nie<br />
und Schatten der Engel, zwei seiner wichtigsten <strong>Film</strong>e<br />
18 19<br />
EDiTioN SALzGEBEr<br />
kino