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Homosexual's Film Quarterly - Sissy

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kino kino<br />

ich biN<br />

Nicht DeR<br />

mARkt.<br />

interview: Paul schulz<br />

im oktober wird es eine Gay-<strong>Film</strong>nacht, im November eine<br />

L-<strong>Film</strong>nacht nur mit Kurzfilmen geben. Das heißt: junges queeres<br />

<strong>Film</strong>schaffen von heute, zum Teil frisch von den <strong>Film</strong>hochschulen<br />

dieser Welt. Nachdem wir in der SiSSY 4 schon mal<br />

eine junge <strong>Film</strong>emacherin über die Bedingungen, Freiheiten<br />

und Widerstände befragt haben, am Anfang der regie-Karriere<br />

mit queeren Themen zu jonglieren, sprechen wir diesmal mit<br />

Stefan Butzmühlen, der regie an der Hochschule für <strong>Film</strong> und<br />

Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam studiert und dort den<br />

Kurzfilm „Nach Klara“ gedreht hat, der in der Gay-Kurzfilmnacht<br />

im oktober zu sehen sein wird.<br />

Herr Butzmühlen kommt ein bisschen zu spät, weil sich das Wetter in<br />

Berlin-Kreuzberg nicht entscheiden kann, ob es jetzt Sturzbachregen<br />

oder Spätsommer sein möchte. Als er sein Fahrrad angeschlossen hat,<br />

ist er ein bisschen nass, aber ziemlich fröhlich. Er raucht während des<br />

gesamten Gesprächs, macht lange Denkpausen, bevor er antwortet,<br />

und lächelt viel.<br />

sissy: Sag mal, wie arrogant muss man eigentlich sein, um „<strong>Film</strong>regisseur“<br />

werden zu wollen?<br />

Stefan Butzmühlen: Nicht so sehr, glaube ich. Natürlich muss ein<br />

gewisses Grundbedürfnis vorhanden sein, sich ausdrücken zu wollen,<br />

und Dinge in die Welt zu stellen. Und es gibt auf der Hochschule auch<br />

einige, die das falsch verstehen und sich vor allem dabei toll vorkommen,<br />

beim <strong>Film</strong> zu sein.<br />

Aber ist <strong>Film</strong>emachen nicht etwas unglaublich Narzisstisches?<br />

Wenn man es so versteht, dass man sich gerne viel mit sich selbst<br />

beschäftigt und seine daraus resultierende Sicht auf die Welt im <strong>Film</strong><br />

zur Disposition stellt, dann muss Narzissmus ja überhaupt nichts<br />

Negatives sein.<br />

Was hast du auf der <strong>Film</strong>hochschule gelernt?<br />

Um ehrlich zu sein, habe ich da bisher gar nicht soviel gelernt wie ich<br />

dachte. Ich bin da auch nicht wirklich oft. Ich hatte mir das alles ein<br />

bisschen anders vorgestellt.<br />

Wie denn?<br />

Ich habe gedacht, wir reden im Studium mehr über <strong>Film</strong>, tauschen<br />

uns aus, loten Möglichkeiten aus, wie man Sachen anders machen<br />

kann. Davon passiert aber nicht viel.<br />

Was passiert denn?<br />

Es wird viel geredet von einem Handwerk …<br />

Aber ist <strong>Film</strong>regie das nicht auch?<br />

Ja, auch. Aber ich weiß gar nicht so genau, ob man das wirklich jedem<br />

gleich beibringen kann. Wenn von Handwerk die Rede ist, geht es<br />

eigentlich immer um das Handwerk Hollywoods, sozusagen als<br />

Grundweisheit – aber ein Schreiner muss doch ein anderes Handwerk<br />

lernen als ein Schlosser und da komm ich mir einfach manchmal wie<br />

in der falschen Lehre vor und denke, dass man sich mit mehr auseinandersetzen<br />

könnte …<br />

STEFAN BuTzMüHLEN<br />

Und das unterstützt die Hochschule nicht?<br />

Eigene Sichtweisen stehen nicht unbedingt im Vordergrund, nein. Ich<br />

habe das Gefühl, man soll da eher auf „den Markt“ vorbereitet werden.<br />

Und ich bin nicht der Markt.<br />

Sondern?<br />

Ich kann mit Genrebegriffen nicht so viel anfangen und kann meine<br />

Geschichten in diesen Grenzen auch nicht so gut erzählen.<br />

Was für Geschichten sind das?<br />

Ich bin ein eher unsicherer Mensch. Sich hinzustellen und zu sagen<br />

„So ist das!“, ist nicht meine Art. Ich mag die Zwischenstufen im Leben<br />

gern. Die Räume und Momente, wo Platz für Möglichkeiten ist.<br />

Ist es als Regisseur nicht eher unpraktisch, unsicher zu sein?<br />

Unsicherheit ist vielleicht auch das falsche Wort. Zweifel trifft es eher.<br />

Ich zweifle gern. Und erzähle auch gern davon. Weil ich Zweifel einen<br />

wichtigen Motor im Leben finde, für Entwicklung und Bewegung. Ich<br />

mag es ganz gerne, wenn man Dinge nicht so genau weiß, wenn nicht<br />

alles in drei Akten aufgefädelt wird, wenn die Figuren nicht sind wie<br />

ein offenes Buch und man dem Publikum nicht vorschreibt, was es<br />

zu empfinden hat. Ich mag es, Gegenbilder zum Allgemeingültigen zu<br />

zeigen.<br />

EINSCHUB: Genau für diese Qualität ist Butzmühlen gerade ausgezeichnet<br />

worden. Sein Kurzfilm „Nach Klara“ hat bei den 56. Kurzfilmtagen<br />

in Oberhausen den 3sat-Förderpreis bekommen. Die Jury<br />

begründet ihre Entscheidung so: „Ein junger Mann erlebt das Gefühl<br />

des Begehrtwerdens. Mit formaler Leichtigkeit inszenierte Momentaufnahmen<br />

aus dem Leben eines jungen Mannes, der nach sexueller<br />

Orientierung sucht und sich doch nur dem flüchtigen Augenblick hingeben<br />

kann.“ Das Schöne: Butzmühlen belässt es bei der Suche, Ergebnis:<br />

offen. Wir verlassen den Protagonisten, während er noch nicht<br />

weiß, ob er „Nach Klara“ jetzt schwul wird oder nicht. Es gibt da einen<br />

Mann, den er wirklich mag, aber rauszufinden, ob er wirklich öfter als<br />

das erste schöne Mal mit dem schlafen will, ist erst mal wichtiger als<br />

sich gleich eine neue Identität überzustülpen. Dadurch erhält „Nach<br />

Klara“ ein schwebende Qualität, die nicht nur professionelle Jurys<br />

beeindruckt.<br />

Ist es leicht, auf der <strong>Film</strong>hochschule für diese Haltung Mitstreiter zu<br />

finden?<br />

Ja und nein. Ich habe ein paar Leute, mit denen ich schon relativ lange<br />

zusammenarbeite und die ich gut kenne. Meine Cutterin Maja Tennstedt<br />

zum Beispiel. Aber sonst ist das nicht so einfach. Nach Klara war<br />

eine schwierige Arbeit, weil ich bis auf Maja nicht mit meinen Leuten<br />

arbeiten konnte, mit denen ich vor der Hochschule angefangen habe<br />

<strong>Film</strong>e zu machen, sondern mit anderen drehen musste.<br />

Wie kommt das?<br />

Die Projekte werden folgendermaßen zusammengestellt: Es gibt eine<br />

große Vorstellungsrunde vor dem gesamten Jahrgang. Alle versammeln<br />

sich im Kino der Hochschule und jeder Regisseur stellt sein<br />

Projekt vor. Dann wartet er auf seinem Platz darauf, wer sich zu ihm<br />

gesellt, weil er den potentiellen <strong>Film</strong> auch spannend findet.<br />

Klingt wie die Auswahl beim Schulsport. Mit dem altbekannten Gefühl<br />

„Lieber Gott, lass mich hier nicht als Letzter alleine stehen, bitte!“<br />

Fühlt sich auch ein bisschen so an.<br />

Wollten bei „Nach Klara“ viele mitspielen?<br />

Es ging so (lacht). Überrannt worden bin ich nicht gerade. Aber es gab<br />

andere interessante Reaktionen. Nach der Vorstellung des Projekts<br />

ging das Getuschel los: „Der Stefan ist also schwul, aha.“<br />

Ist das ein Problem?<br />

Nein. Ich finde das eher interessant (lacht).<br />

Was bist du denn?<br />

Nach Klara hat einen autobiografischen Einschlag: Es gab diesen<br />

Mann, der mich wollte und das hat mir gefallen. Und es gibt diese<br />

Verunsicherung in mir, dieses Gefühl, es nicht zu wissen. Und auf der<br />

anderen Seite auch das Bedürfnis, gar nicht wissen wollen zu müssen.<br />

Ich habe gerade eine Freundin und das ist wunderschön und passt<br />

total. Aber die queere Szene ist sehr wichtig für mich. Weil es da eben<br />

bestimmte Fragen gibt: Bin ich schwul, weil ich mal mit Männern<br />

schlafe? Bin ich hetero, weil ich eine Frau liebe? Ist das nicht egal,<br />

ist Identität so unglaublich wichtig? Und wenn doch: Wie stabil sind<br />

solche Begriffe wie schwul oder hetero, wie viel davon lässt man sich<br />

von außen vorschreiben, wie viel kommt aus einem selbst?<br />

Wie fortschrittlich.<br />

Ach was. Ich kann ja nur die Geschichten erzählen, die ich auch verstehe.<br />

Und mit meiner kleinen <strong>Film</strong>familie kann ich das halt. Ich fühle<br />

mich da aufgehoben und erkannt und gut. Und deswegen war es so<br />

schwer, Nach Klara mit Leuten umzusetzen, denen dazu gar nichts<br />

einfällt. <strong>Film</strong>, so wie ich ihn gerne mache, ist ein Prozess, bei dem<br />

man gemeinsam herausfindet, wie es geht. Anderen vorzuschreiben<br />

zu müssen, wie sie Dinge machen sollen, find ich nicht gut. Ich mag es,<br />

wenn Menschen eigene Ideen haben und die mitbringen.<br />

Wie war denn das Echo auf der HFF, als der <strong>Film</strong> fertig war?<br />

Es sind ein paar zurückhaltend freundliche Dinge gesagt worden.<br />

Aber es wurde schon gefragt, warum ich nicht stringenter erzähle<br />

und mein Publikum so im Unklaren lasse.<br />

Als der <strong>Film</strong> dann auf Festivals lief und sogar Preise gewann, wie war<br />

das?<br />

Schön. Ich muss gestehen: eine Genugtuung, irgendwie.<br />

Es gab in den letzten zwei Jahren eine ganze Reihe interessanter Kurzfilme<br />

von der HFF, die mehr oder weniger eine schwule oder queere<br />

Thematik hatten, und die jetzt zusammen mit „Nach Klara“ auf einer<br />

DVD gelandet sind. Fühlst du dich gut aufgehoben und gibt es so was<br />

wie ein queeres Netzwerk an der Hochschule?<br />

Ein queeres Netzwerk würde ich nicht sagen. Mit Josephine Frydetzki<br />

aber z.B., die mit B96 mit auf der DVD vertreten ist, habe ich vor<br />

zwei Jahren einen <strong>Film</strong>club gegründet, während ich mit Florian Gottschick,<br />

der Zwillinge gemacht hat, einfach nicht soviel zu tun habe.<br />

Mein Netzwerk ist eher außerhalb der Hochschule.<br />

Gay-Kurzfilmnacht mit den <strong>Film</strong>en „Nach Klara“,<br />

„Wofür hältst du mich?“, „Traurige Jungs tanzen,<br />

wenn niemand hinsieht“, „Die Schwanzwand“, „Speed<br />

Dating“ und „Billys Dad ist ein Nougatstecher“<br />

Im Kino<br />

Gay-Kurzfilmnacht am 15. Oktober<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

L-Kurzfilmnacht mit den <strong>Film</strong>en „Trophy“, „Liebste<br />

Prinzessin Leben“, „Babysitting Andy“, „Dani & Alice“,<br />

„Don’t mess with Texas“ und anderen<br />

Im Kino<br />

L-Kurzfilmnacht am 26. November<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Kleine Vandalen<br />

schwule Kurzfilme<br />

D/CH 2007–2010, 109 Minuten,<br />

dt. OF<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

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