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Homosexual's Film Quarterly - Sissy

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sissy Ausgabe<br />

Homosexual’s <strong>Film</strong> <strong>Quarterly</strong><br />

sieben · September bis November 2010 · kostenlos<br />

s Sœur Sourire: Sing und bete! s Wunschkind: Ein Tippfehler namens Patrik s Daniel Schmid: Meister der Spezialeffekte s Paris-Orly:<br />

Bodenpersonnage s Nicht wissen wollen müssen: Kurzfilmer Stefan Butzmühlen s Herzoperation: Die Heimsuchungen des Sébastien<br />

Lifshitz s Im Taxi: Schwuler Sex bis zum Abwinken s Wasser und Blut: Schwul, schwarz und artsy s Poröser Schwellenkörper: Das<br />

Wolfsmaul s Lisa Cholodenko: Eine von der Gewerkschaft s LaBruce: A bloody mess s Mittwoch: Lass uns erst mal reden! s Sonntag:<br />

Küssen für England! s Das Kellerloch: Michael Sollorz flirtet in Saarbrücken s Regenbogennapf: Wiener Fundgrube


Gay-<strong>Film</strong>nacht<br />

im CinemaxX<br />

Kommst du mit ins Kino?<br />

Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Berlin Potsdamer Platz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.00 Uhr<br />

Bielefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Dresden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

17. SEPTEMBER<br />

Patrik 1,5<br />

von Ella Lemhagen<br />

TEILNEHMENDE KINOS UND UHRZEITEN<br />

15. OKTOBER<br />

Gay-Kurzfi lmnacht<br />

19. NOVEMBER<br />

Plein Sud<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Hamburg-Wandsbek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Hannover Niko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Magdeburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20.15 Uhr<br />

WWW.GAY-FILMNACHT.DE<br />

Karten unter www.cinemaxx.de<br />

NEU: Einheitlicher Spieltermin<br />

für alle teilnehmenden Kinos!<br />

München. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Offenbach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Oldenburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Stuttgart an der Liederhalle . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Wuppertal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

<strong>Sissy</strong> sieben<br />

Es ist nicht zu übersehen – die SISSY ist etwas dick geworden. Aus<br />

schönem Anlass: Das überreiche queere <strong>Film</strong>angebot in den deutschen<br />

Kinos füllt dieses Mal mühelos bisherige 32 und weitere zwölf<br />

Seiten. Nicht nur, dass sowohl der Spielfilm- (The Kids Are All Right)<br />

als auch der Dokumentarfilm- (La Bocca Del Lupo) Teddy-Gewinner<br />

der diesjährigen Berlinale ins Kino kommen, auch das Spektrum<br />

ist atemberaubend. In den nächsten drei Monaten bringen zwei der<br />

renommiertesten Regisseure des französischen Kinos ihre neuen<br />

<strong>Film</strong>e nach Deutschland (Ozon, Lifshitz), es gibt queere Mumblecore-<br />

und Berliner-Schule-Beiträge, den lang erwarteten <strong>Film</strong> über<br />

den <strong>Film</strong>emacher Daniel Schmid, Zombie-Trash, Klassiker, Aufreger,<br />

Nischenfutter und gediegenes Arthouse-Kino. Und da ist noch<br />

nicht mal der Cannes-Gewinner dabei, den es auch ab September auf<br />

den Leinwänden zu bestaunen gibt: Apichatpong<br />

Weerasethakul, einer der aufregendsten<br />

Bildermacher unserer Zeit und Regisseur des<br />

Queer-Cinema-Klassikers Tropical Malady<br />

präsentiert Uncle Boonmee erinnert sich an<br />

seine früheren Leben. Darin verwandeln sich<br />

Männer in Frauen, Menschen in Tiere und<br />

Verstorbene in Geister – auch das ist ein Beitrag<br />

über die ständige Veränderbarkeit von<br />

Identitäten und sei an dieser Stelle einfach mal<br />

all jenen empfohlen, die im Kino tatsächlich<br />

neue Erfahrungen machen möchten.<br />

Erwähnen möchten wir außerdem, dass die<br />

SISSY als schwärmerisches Fachblatt für den<br />

nicht-heterosexuellen <strong>Film</strong> einen kleinen Bruder<br />

bekommen hat: vor Kurzem ist in den USA „Uncle Boonmee …“ ab 30. September im Kino (Movienet, www.movienetfilm.de).<br />

die erste Ausgabe von „Little Joe“ erschienen,<br />

„a magazine about cinema and queers, mostly“. Der Herausgeber<br />

Sam Ashby ist wie viele von uns noch maßgeblich von den VHS-<br />

Zeiten geprägt, in denen man in bestimmten, für sich selbst bedeutsamen,<br />

meist erotisch aufgeladenen Momenten das Band an einer<br />

bestimmten Stelle einfach anhielt und es damit (und durch mehrmalige<br />

Wiederholung des Vorgangs) auf Dauer zerstörte. Doch um diese<br />

Momente geht es eben, der SISSY genauso wie dem kleinen Joe. Beide<br />

Hefte gibt es im Buchladen Ihres Vertrauens, bestimmt auch in dem,<br />

den wir auf Seite 45 porträtieren.<br />

vorspann<br />

3


mein dvd-regal<br />

4<br />

Richard Dyer, <strong>Film</strong>wissenschaftler<br />

richard dyer<br />

5


kino<br />

Zum<br />

NieDeRkNieN<br />

von Jessica ellen<br />

Ende der 1950er Jahre flüchtet die lebenslustige Jeannine vor<br />

ihrer kontrollsüchtigen Mutter und den Avancen ihrer besten<br />

Freundin Annie ins Kloster, um ausgerechnet dort ein Schlagerstar<br />

zu werden. Die „Schwester des Lächelns“ gab es wirklich<br />

und ihr Hit „Dominique“ verdrängte damals Elvis und die<br />

Beatles aus den Charts. Stijn Coninx hat den Weg der singenden<br />

Nonne zur emanzipierten und lesbischen Frau in einem<br />

Spielfilm nachgezeichnet, der im September in der L-<strong>Film</strong>nacht<br />

laufen wird.<br />

s Gerade meine exkatholischen Freundinnen, die nicht selten Klosterschulen<br />

durchlitten haben, finden es seltsam, dass ich als jüdische<br />

(und lesbische) Cineastin ausgerechnet auf Nonnenfilme stehe. Aber<br />

mit meiner Schwäche für Nonnen bin ich wahrlich nicht allein: Schon<br />

vor Jahren erschien das spannende Büchlein „Schwesterlich, keusch<br />

und ohne Makel?“, herausgegeben von Samanta Maria, auf dessen<br />

Einband zwei küssende Nonnen zu sehen sind. Der Nonnenfilm ist<br />

tatsächlich ein eigenes, oft lesbisch konnotiertes Genre ohne männliches<br />

Pendant, wenn wir mal von Ausnahmen wie dem – schon in<br />

Umberto Eccos literarischer Vorlage – eher schwulenfeindlichen Der<br />

Name der Rose absehen.<br />

Der Nonnenfilm bot schon vielen weiblichen <strong>Film</strong>größen wie<br />

Deborah Kerr, Vanessa Redgrave, Audrey Hepburn, Glenda Jackson,<br />

Shirley Maclaine, Carmen Maura und zuletzt Barbara Sukowa in<br />

Margarethe von Trottas rundherum gelungenem Biopic Vision – Aus<br />

dem Leben der Hildegard von Bingen Gelegenheit, als Charakterdarstellerin<br />

im Habit zu glänzen.<br />

Cécile de France als Protagonistin in Sœur Sourire – Die singende<br />

Nonne ist da keine Ausnahme. Allein schon die Wandlung dieser schönen,<br />

leicht androgynen Schauspielerin vom bebrillten, verklemmten<br />

Baby Butch zur Nonne und schließlich zu einer gereiften Liebenden<br />

macht diesen <strong>Film</strong> unbedingt sehenswert.<br />

Kein Kind der 50er und 60er Jahre kam an ihrem Hit „Dominique“<br />

vorbei: Über die Belgierin Jeannine Deckers, genannt „Sœur<br />

Sourire“ oder „die singende Nonne“ und ihre Klampfe wurde schon<br />

damals, als sie noch lebte und auf dem Zenith ihres Ruhmes stand, ein<br />

Hollywood-<strong>Film</strong> mit dem Titel The Singing Nun gemacht. Sein Nachfolger<br />

Sœur Sourire ist nun keineswegs ein Remake, sondern erzählt<br />

die ganze Geschichte bis zum bitteren Ende.<br />

Mit einer Laufzeit von 120 Minuten ist der <strong>Film</strong> zwar lang, aber<br />

nie langatmig. Dabei nimmt er sich zwar ein paar künstlerische Freiheiten<br />

bei der „lächelnden Schwester“ heraus, wie z.B. dass sie bereits<br />

Gitarre spielt, als sie ins Kloster eintritt, während das reale Vorbild es<br />

erst im Kloster lernte; im Großen und Ganzen hält er sich aber an die<br />

biographischen Tatsachen und vermeidet Klischees.<br />

Fröhlich, wie der titelgebende Künstlername „Sœur Sourire“ und<br />

jenes Lied, das sie zum Popstar katapultierte, ist er allerdings nicht.<br />

Jeannine Deckers’ Tragik entsteht zwar nicht aus ihrem zunächst<br />

abgewehrten und später gelebten Lesbischsein oder ihrer Liebe zu<br />

einer bestimmten Frau, denn wie im wirklichen Leben ist beides kein<br />

Bollwerk gegen das Scheitern am Leben. Scheitern an einer Zeit, in<br />

der selbst das Gerücht, homosexuell zu sein, verbreitet von einer<br />

damals wie heute notorisch sensationsgeilen Presse, reichte, um den<br />

Job zu verlieren. Die lesbische Exnonne als Opfer? Oder eines jener<br />

eindimensionalen „Aufstieg und Fall“-Künstlerinnen-Biopics, wie sie<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

gerade im neueren französischen Kino (ich denke z.B. an Françoise<br />

Sagan, Edith Piaf u.a.) so häufig sind? So einfach macht es sich der<br />

<strong>Film</strong> nicht. Was hier verhandelt wird, ist vielmehr weibliche Kreativität<br />

und das damit verbundenen Geltungsbedürfnis, das sich an komplexen<br />

Strukturen aufreibt.<br />

Singende und komponierende Ordensschwestern an sich sind<br />

keine Erfindung der Neuzeit, sondern haben eine Jahrhunderte alte<br />

Tradition; hierfür ist die Äbtissin Hildegard von Bingen das bekannteste<br />

Beispiel. Doch dass eine Novizin aus der Masse des Chores heraustritt<br />

und mit ihrer individuellen Stimme in kürzester Zeit eine<br />

riesige Öffentlichkeit erreicht, ist ein Phänomen des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts, in dem die Kirche zugleich eine Chance zur Verbreitung<br />

ihrer Botschaft mit zeitgemäßen Mitteln, eine Einnahmequelle<br />

und ein Problem sieht. Das Problem ist die „Sünde des Hochmuts“,<br />

welche zu begehen diejenige in Gefahr ist, mit deren Gabe sich doch<br />

der Orden schmücken will.<br />

Deshalb wird die „singende Nonne“ zunächst anonym vermarktet,<br />

was einerseits den Ordensinteressen entgegenkommt, andererseits<br />

aber die Medien anstachelt, das Geheimnis um ihre Person zu<br />

lüften. Das funktioniert wie der Nonnenhabit selbst, der ja besonders<br />

die erotisch prickelnde Neugier darauf weckt, was sich wohl für ein<br />

Körper darunter verbirgt. Für Jeannine ist das Gewand ein Schutz<br />

vor der eigenen schlaksigen Körperlichkeit, dem eigenen unbeholfenen<br />

Begehren. So ist ihre Enttarnung eine zwiespältige Erfahrung,<br />

die sie gleichwohl genießt wie den Ruhm, von dem sie nicht will, dass<br />

er ihr und ihrem erwachenden Ehrgeiz vorenthalten wird. Sie hat Blut<br />

geleckt und weiß sich zu behaupten. Das plötzliche Interesse ihrer<br />

Mutter, die ihre Tochter eigentlich nicht wiedersehen wollte, sollte<br />

diese ins Kloster gehen, durchschaut sie sofort und weist es zurück.<br />

Jeannine ist kein Opfer.<br />

Es gibt immer wieder Menschen, die an Jeannine glauben; sogar<br />

die Mutter Oberin, die ihr zunächst die Gitarre wegnimmt und sie<br />

ziemlich brutal diszipliniert, berücksichtigt ihre Wünsche dann doch<br />

und will sie halten. Das tut sie zwar nicht ohne finanziellen Eigennutz<br />

und mit dem liberalen Rückenwind des Zweiten Vatikanischen<br />

Konzils, aber ein auf Hierarchien und Gehorsam beruhendes System<br />

verträgt nun mal nicht allzu viel Dissens. Außerdem war Jeannine<br />

– im Gegensatz zu früheren Frauengenerationen – freiwillig und aus<br />

Überzeugung ins Kloster gekommen.<br />

Jeannines Beichtvater, den sie ziemlich rüde aus dem Beichtstuhl<br />

zerrt und unter Vorwürfen gegen die Wand drückt, lässt sich dadurch<br />

nicht einschüchtern und ermutigt sie sogar, wenn auch indirekt, ihren<br />

lesbischen Neigungen zu folgen.<br />

Ihr Manager versucht alles, um Jeannines Karriere zu retten,<br />

aber gegen Feigheit und Opportunismus der Konzertagenturen ist er<br />

genauso machtlos wie gegen Jeannines Enttäuschung und Kränkung.<br />

Der Regisseur Stijn Coninx interpretiert Jeannine als eine Frau<br />

voller Widersprüche. Provokant und ängstlich, stolz und selbstzweiflerisch,<br />

freiheitsliebend und auf der Suche nach einer festen<br />

Struktur, die sie hält und vor sich selbst schützt. Unentschlossen und<br />

voller Sehnsucht nach Verbindlichkeit, ist sie ständig auf der Flucht:<br />

Vor der lieblosen Mutter flieht sie mit der Schwester im Tagtraum<br />

nach Afrika, vor der Verliebtheit ihrer Freundin auf der Kunsthochschule,<br />

die für Selbstverwirklichung steht, hinter die Klostermauer<br />

zur Selbstverneinung, zu der sie aber auch nicht fähig ist. Sie rebelliert,<br />

besteht auf ihre individuelle Kreativität, wird berühmt, verlässt<br />

das Kloster und zieht, noch immer voller Abwehr, mit ihrer Freundin<br />

zusammen. Mit allem ist sie vollständig überfordert. Am meisten<br />

jedoch damit, dass ihre Karriere, die so phänomenal begann, an eben<br />

jenen Instanzen scheitert, die sie anfangs förderten – den Medien<br />

und der Kirche. Ohne ihr Habit ist sie einfach nur eine junge Frau<br />

mit einer guten Stimme. Ihre brave Musik und Kleidung langweilen<br />

die Popfans, ihr Loblied auf die Pille ruft die katholische Kirche<br />

auf den Plan, die es der verlorenen Tochter heimzahlen will. Zudem<br />

hat sie versäumt, sich die riesigen Summen, die sie verdient hat und<br />

die ihr Orden für sich einstrich, quittieren zu lassen. So fordert das<br />

Finanzamt entsprechende Steuern von ihr, die sie nicht zahlen kann<br />

– die einzige Stelle im <strong>Film</strong>, an der Verzweiflung mit harmonischen<br />

Bildern verliebter Zweisamkeit zugekleistert wird. Schließlich nimmt<br />

sie sich mit ihrer Freundin in ihrem Haus das Leben – dezent werden<br />

die Rollläden davor heruntergelassen. Ihre Schwester, die tatsächlich<br />

als Ärztin nach Afrika gegangen ist, erhält ihren stark beschönigenden<br />

Abschiedsbrief. So endet Jeannines Leben, wie sie es gelebt hat:<br />

in dem Widerspruch, als immer noch gläubige Katholikin den Suizid<br />

zu wählen, den die Kirche verdammt.<br />

Warum dieser <strong>Film</strong> mich besonders berührt? Meine katholische<br />

Großmutter Hilde, Jahrgang 1906, zweifelte als Mädchen in Wien<br />

lange, ob sie ins Kloster oder auf die Bühne bzw. vor die Kamera wollte.<br />

Ähnlicher Konflikt, doch andere Lösung: Sie wurde Schauspielerin<br />

und spielt mit besonderer Hingabe Nonnen, deren Alltag sie persönlich<br />

und mit Wohlgefallen bei Klosteraufenthalten recherchierte. An<br />

einen ihrer <strong>Film</strong>titel erinnere ich mich noch, weil er so schön klang:<br />

Ave Maria. An seine Seite ist nun Sœur Sourire getreten. s<br />

Sœur Sourire –<br />

Die singende Nonne<br />

von Stijn Coninx<br />

FR 2009, 124 Minuten, dt. SF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-<strong>Film</strong>nacht am 24. September<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Anschließend in ausgewählten Kinos<br />

6 7<br />

kino<br />

EDiTioN SALzGEBEr (2)


kino<br />

SchwieRigeS<br />

AlteR<br />

von Maike schultz<br />

Männer mit Kinderwunsch sind eine rarität im schwulen <strong>Film</strong>. „Patrik 1,5“ will das ändern – mit einer so<br />

charmanten wie ungewöhnlichen Patchwork-Familien-Komödie, die im September in der Gay-<strong>Film</strong>nacht und<br />

danach in ausgewählten Kinos zu sehen sein wird.<br />

8<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

s Was für eine Wohltat! Nicht nur das lesbische Kino, auch das<br />

schwule hat sich also auf die Fortpflanzungsproblematik eingeschossen.<br />

Nachdem einem jüngst viele Kurzfilme (eigentlich das innovativste<br />

Genre) den lesbischen Kinderwunsch in so vielen Variationen<br />

vorsetzte, dass einem nun wirklich jede Sehnsucht nach Befruchtung<br />

vergehen konnte, kommt nun dieser kleine, feine <strong>Film</strong> aus Skandinavien<br />

daher. Und siehe da, diesmal sind es zwei Männer, die in die Vorstadtsiedlung<br />

gezogen sind, um ihren Traum von Haus, Garten und<br />

Baby zu leben. Wurde ja auch Zeit, 22 Jahre nach Paul Bogarts <strong>Film</strong><br />

Torch Song Trilogy – Das Kuckucksei, in dem Harvey Fierstein ein<br />

Kind mit Matthew Broderick adoptierte.<br />

Zwar ist die Sehnsucht nach Bürgerlichkeit unter Schwulen kein<br />

neues Phänomen. Dass ein Kinofilm sich dieses Themas annimmt,<br />

passiert dagegen äußerst selten, und so überrascht es dann doch wieder<br />

wenig, dass die Idee für Patrik 1,5 von einer Frau stammt. Ella<br />

Lemhagen, Drehbuchautorin und Regisseurin (Tsatsiki – Tintenfische<br />

und erste Küsse) aus Stockholm, erzählt darin die Geschichte der<br />

Schweden Göran und Sven, eines jener wohlsituierten Ehepaare, wie<br />

sie im Vorortidyll an jeder Ecke wohnen. Nur dass diese Orte meist<br />

ziemlich heteronormativ geprägt sind. Besonders der von Arzt Göran<br />

und Unternehmer Sven, in dem sogar eine Bürgerwehr für Recht und<br />

Ordnung sorgt. Wunderbar selbstverständlich siedelt Lemhagen ihre<br />

Protagonisten mitten im Wahnsinn dieses Beziehungs-Mainstreams<br />

an; blumenverkitscht wie in der schönsten Hollywood-Romanze, aber<br />

abgründig, wie es wohl nur die US-Fernsehserie Desperate Housewives<br />

besser kann.<br />

Da ist zum Beispiel der Nachbar, der sich weigert, seine Kinder<br />

von Göran behandeln zu lassen. Ein anderer wiederum hält Görans<br />

niederschmetternde Diagnose vor seiner Frau geheim und erträgt lieber<br />

stillschweigend ihre Affäre mit dem Familienvater von gegenüber;<br />

jener promiske Vater, der das schwule Traumpaar nicht zur Gartenparty<br />

einlädt, im Grunde aber selbst nichts gegen einen jungen Liebhaber<br />

hätte. Vor allem aber sind da Göran und Sven, die sich nichts<br />

sehnlicher wünschen als ein Kind, um ihr Glück perfekt zu machen.<br />

Sven hat sogar schon eines, eine Tochter aus früherer Ehe, mitten<br />

in der Pubertät und nicht eben froh über den Lebenswandel ihres<br />

Herrn Papas. Vielleicht wirkt dieser deshalb etwas weniger enthusiastisch<br />

als sein Gatte, der am liebsten täglich in der Adoptionsbehörde<br />

vorsprechen würde. Als das Amt endlich einwilligt und per Brief einen<br />

kleinen „Patrik 1,5“ verspricht, ist die Freude bei beiden groß – und<br />

umso größer die Irritation, als wenige Tage später ein 15-Jähriger vor<br />

der Tür steht. Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Problemkind! Dass<br />

es nichts wird mit dem Babywunsch, ist hier ausnahmsweise mal<br />

nicht der Sexualität der Antragsteller, sondern allein einem menschlichen<br />

Versagen verschuldet: Ein schlichter Tippfehler holt Göran und<br />

Sven einen homophoben Kleinkriminellen ins Haus, der die ganze<br />

Welt, vor allem aber seine neuen Zieheltern hasst. Da können sie lange<br />

hoffen, dass es sich bei ihrem Patrik um eine Verwechslung handeln<br />

muss. Fortan brauchen sie ihre „Babywatch“-Kamera zur Überwachung<br />

eines verstoßenen, schwer erziehbaren Gewalttäters, der doch<br />

eigentlich nichts anderes will, als endlich geliebt zu werden.<br />

Nun kann man sich schon denken, wohin der Hase läuft in dieser<br />

<strong>Film</strong>handlung, in der die Streithähne doch viel voneinander lernen<br />

können. Jene Vorurteile, die es Patrik so schwer machen, die Männer<br />

zu akzeptieren, sind es natürlich auch, die letztlich alle verbinden:<br />

Immerhin gehören beide Parteien einer Minderheit an, die sich<br />

den Respekt ihrer Umwelt erst erkämpfen muss, was Patrik und<br />

Göran dann auch zunehmend zusammenschweißt. Im Grunde ist das<br />

Kuckuckskind nämlich ein ziemlich lieber Kerl, der viel mehr über<br />

Hortensienpflege weiß, als seine „Fuck you, you fucking fuck!“-Shirt-<br />

Attitüde je erahnen lassen würde. Eine herrliche Szene ist das, wenn<br />

das komplette Viertel den Adoptivsohn als Gärtner anheuert, der sich<br />

kurz zuvor noch als Schreck ihrer „Homos, Homos!“ krähenden Kinder<br />

erwiesen hat. Nur Sven tut sich mit dem Rabauken schwer, oder<br />

vielleicht auch damit, dem Patchwork-Familienleben zuliebe seine<br />

Freiheit zu opfern. Schon bald sehnt sich der überforderte Macho<br />

nach seinem alten Partyleben in der Stadt zurück – und stellt seine<br />

Beziehung mit einer Flucht auf eine harte Bewährungsprobe.<br />

So gelingt es Ella Lemhagen, aus einem simplen dramaturgischen<br />

Einfall ein Drama zu kreieren, das auf vielen verschiedenen Ebenen<br />

funktioniert. Völlig zu Recht erhielt ihr vierter Spielfilm den Zuschauerpreis<br />

beim San Fancisco International Lesbian & Gay <strong>Film</strong> Festival<br />

und den Hauptpreis beim Verzaubert Festival, das er 2009 eröffnete:<br />

Schonungslos entlarvt sie die Verlogenheit des schönen Scheins,<br />

in dem sich die Nachbarschaft des Männerpaares ihr warmes Nest<br />

errichtet hat. Und nicht minder behutsam nutzt sie den pöbelnden<br />

Teenager in diesem Mikrokosmos als Spiegel, um ein Psychogramm<br />

der beiden Hauptfiguren zu zeichnen. Während der schüchterne<br />

Göran gemeinsam mit Patrik einen Weg findet, sich als Außenseiter<br />

gegen die Spießer um ihn herum zu wehren, wird Sven durch die komplizierte<br />

Erziehungsaufgabe mit seiner ureigenen Angst vor Verantwortung<br />

konfrontiert. In seiner ungewöhnlichen Erfüllung entzweit<br />

der Zukunftstraum die liebenden Partner, Bedürfnisse kollidieren<br />

im Alltag, und plötzlich beginnt der Zuschauer sich zu fragen, ob ein<br />

Anderthalbjähriger die Sache eigentlich viel besser gemacht hätte.<br />

Selbst das Happy-End ist glücklicherweise nicht so angelegt, wie<br />

es nach all den Irrungen und Wirrungen vielleicht erwartbar gewesen<br />

wäre, und so weiß man gar nicht, ob man denn nun lachen oder<br />

weinen soll. Was bleibt ist der Wunsch, noch viel mehr <strong>Film</strong>e wie<br />

diesen zu sehen: Zwei Schauspieler, die mit Berlinale-Shooting-Star<br />

Gustaf Skarsgård als Göran und Torkel Petersson (Kops) als Sven<br />

keine schwulen Abziehbilder, sondern einfach die netten Typen von<br />

nebenan verkörpern. Und das authentische Porträt einer Generation,<br />

die das Coming-Out schon hinter sich hat, mitten im Leben steht und<br />

sich dort angekommen fragen muss, was sie von diesem eigentlich<br />

erwartet. Schließlich ist nichts so spannungsgeladen wie vermeintliche<br />

Normalität. s<br />

Patrik 1,5<br />

von Ella Lemhagen<br />

SE 2008, 105 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht am 17. September<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Kinostart: 7. Oktober<br />

kino<br />

9<br />

EDiTioN SALzGEBEr


kino<br />

Aus der traurigkeit heraus<br />

von angelika nguyen<br />

Aus dem Nichts heraus trifft Marion die Entscheidung, mit 50 noch einmal ihr Leben zu ändern und verlässt<br />

ihre Familie für eine andere Frau. Doch auch Claude hat zu viel erlebt, als dass sie sich umstandslos auf<br />

eine neue Liebe einlassen könnte. Der französische <strong>Film</strong> „out of The Blue“ über zwei reife und komplexe<br />

Frauen und ihre Entscheidung für einen neuen Lebensabschnitt begeisterte in Frankreich das Publikum und<br />

die Presse und läuft im oktober in der L-<strong>Film</strong>nacht. Allein die beiden Hauptdarstellerinnen Mireille Perrier<br />

(„orly“) und rachida Brakni („Barakat!“) sind das Drama wert!<br />

s Programmatisch beginnt der <strong>Film</strong> mit Marions Spiegelbild, das<br />

sie kritisch mit ihren fast 50 Jahre alten Augen betrachtet. So intensiv<br />

und traurig sieht Marion sich an, dass die Zuversicht erwacht, hier<br />

ginge es nicht nur um kosmetische Probleme. Das wird belohnt, denn<br />

fünf Minuten später trennt Marion sich von Paul, nach über 20 Jahren<br />

Ehe.<br />

Sie zieht in eine eigene Wohnung und reserviert auch der 17-jährigen<br />

Tochter Justine ein Zimmer. Als Marion dann der schönen Antiquitätenhändlerin<br />

Claude mit den großen Augen begegnet, nähern sie<br />

sich zunächst einander an wie tagtäglich viele Frauen – mit Sympathie<br />

und ähnlichen Sorgen. Sie lachen zusammen über ihre Erfahrungen<br />

als Ehefrauen. Sie machen sich gegenseitig Komplimente über ihre gut<br />

in Schuss gehaltenen Körper. Erst auf einer gemeinsamen Reise stellt<br />

sich der Verdacht ein, es könne sich um romantische Liebe handeln,<br />

es ginge um Verlangen, Sinnlichkeit, gar Sex – und um all die Kämpfe<br />

einer regelrechten Amour Fou. Bin ich’s oder bin ich’s nicht? Diese<br />

Frage reißt die eher bürgerliche Marion in eine tiefe Verunsicherung.<br />

Coming-Out. Out Of The Blue. Wird Marion herauskommen?<br />

Normalerweise ist beim Verlieben die Welt doch ein einziges Ja.<br />

Ja zur begehrten Person, Ja zur Welt, Ja zu allem, was den anderen<br />

oder die andere ausmacht. Ja, ja, ja. Die Liebe zwischen Marion und<br />

Claude hingegen beginnt mit einem Nein. Von beiden Seiten. Denn<br />

Marion will nicht lesbisch sein, und Claude, die in Trauer ist, will<br />

nicht noch einmal solche Schmerzen erleben. Diese Liebe hier überfällt<br />

die Frauen nicht wie ein Raubtier, benimmt sich eher wie ein<br />

scheues Reh. Für’s Erste verursacht sie Rückzug und Kontaktabbruch.<br />

Und selbst später, nach der ersten gemeinsamen Nacht, fühlt Marion<br />

sich immer noch fremd in dieser Gleichgeschlechtlichkeit. „Ich fühle<br />

mich wie ein Mutant“, sagt sie zu Claude. Dabei steht Marion sonst<br />

selbstbewusst im Leben, arbeitet engagiert als Lehrerin. Statt sich in<br />

ihre Gefühle fallen zu lassen, reflektiert sie darüber. Auch ihrer Toch-<br />

10<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

ter will sie es nicht sagen. Am Ende hilft ein schwerer Unfall den beiden,<br />

sich füreinander zu entscheiden.<br />

Out Of The Blue ist in gewisser Weise ein politischer Liebesfilm.<br />

Regisseur Alain Tasma verstand sich schon zuvor als politischer <strong>Film</strong>emacher,<br />

als er einen dokumentarischen Spielfilm über das französische<br />

Nationaltabu des 17. Oktober 1961 drehte, den Tag des Massakers<br />

französischer Polizisten an Hunderten algerischer Demonstranten.<br />

La Surprise, so der Originaltitel, ist kein Lesbenfilm für das<br />

Independent-Kino, sondern einer für ein breiteres TV-Publikum. So<br />

ist der <strong>Film</strong> durchweg auch ein bisschen Aufklärung, beispielsweise<br />

durch die Abarbeitung von Vorurteilen wie jenen von Marions Ex-<br />

Mann („Dann lass uns einen Dreier machen!“) oder konservativer<br />

Haltungen der Tochter („Ihr widert mich an!“), des Widerstandes<br />

von Marion in sich selbst. Vielleicht wird deshalb manchmal mehr<br />

miteinander geredet als erlebt. Marions und Claudes Sinnlichkeit<br />

füreinander bleibt unter den Kleidern verborgen, die sie öfter an- als<br />

ausziehen, Sexszenen gibt es keine. Es ist ein <strong>Film</strong>, der vor allem den<br />

Prozess einer Bewusstwerdung zeigen will. Eine Frau schwimmt ans<br />

andere Ufer, will manchmal umkehren, manchmal lieber untergehen.<br />

Liebe passiert einfach jenseits von Ideologie, erzählt der <strong>Film</strong>.<br />

Besonders Mireille Perrier als Marion zeigt schmerzhaft und<br />

genau den inneren Kampf einer Frau, die gleichgeschlechtliche Verliebtheit<br />

zunächst als Identitätskrise erlebt.<br />

Die Darstellerin der Claude, Rachida Brakni spielt wiederum dramatisch<br />

herb und extrem verletzbar die ganz normale Furcht eines<br />

Menschen, sich nach einer kaum überstandenen großen Liebe neu<br />

auf jemanden einzulassen. So sind die Hindernisse beidseitig, aber<br />

auch die Annäherungen. Wenn die eine das letzte Mal den Kontakt<br />

abbrach, knüpft ihn die andere neu. Zu Ende ist es nie. s<br />

Out Of The Blue<br />

von Alain Tasma<br />

FR 2007, 90 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-<strong>Film</strong>nacht am 29. Oktober<br />

www.l-filmnacht.de<br />

L-<strong>Film</strong>nacht<br />

im CinemaxX<br />

Gute <strong>Film</strong>e, lange Nächte, viel L-Gefühl!<br />

Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Berlin Potsdamer Platz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.00 Uhr<br />

Bielefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Dresden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

24. SEPTEMBER<br />

Sœur Sourire – Die singende Nonne<br />

von Stijn Coninx<br />

29. OKTOBER<br />

Out Of The Blue<br />

von Alain Tasma<br />

26. NOVEMBER<br />

L-Kurzfi lmnacht<br />

TEILNEHMENDE KINOS UND UHRZEITEN<br />

Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Hamburg-Wandsbek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Hannover Niko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Magdeburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20.15 Uhr<br />

WWW.L-FILMNACHT.DE<br />

Karten unter www.cinemaxx.de<br />

NEU: Einheitlicher Spieltermin<br />

für alle teilnehmenden Kinos!<br />

München. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Offenbach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Oldenburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Stuttgart an der Liederhalle . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr<br />

Wuppertal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21.00 Uhr


kino kino<br />

ich biN<br />

Nicht DeR<br />

mARkt.<br />

interview: Paul schulz<br />

im oktober wird es eine Gay-<strong>Film</strong>nacht, im November eine<br />

L-<strong>Film</strong>nacht nur mit Kurzfilmen geben. Das heißt: junges queeres<br />

<strong>Film</strong>schaffen von heute, zum Teil frisch von den <strong>Film</strong>hochschulen<br />

dieser Welt. Nachdem wir in der SiSSY 4 schon mal<br />

eine junge <strong>Film</strong>emacherin über die Bedingungen, Freiheiten<br />

und Widerstände befragt haben, am Anfang der regie-Karriere<br />

mit queeren Themen zu jonglieren, sprechen wir diesmal mit<br />

Stefan Butzmühlen, der regie an der Hochschule für <strong>Film</strong> und<br />

Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam studiert und dort den<br />

Kurzfilm „Nach Klara“ gedreht hat, der in der Gay-Kurzfilmnacht<br />

im oktober zu sehen sein wird.<br />

Herr Butzmühlen kommt ein bisschen zu spät, weil sich das Wetter in<br />

Berlin-Kreuzberg nicht entscheiden kann, ob es jetzt Sturzbachregen<br />

oder Spätsommer sein möchte. Als er sein Fahrrad angeschlossen hat,<br />

ist er ein bisschen nass, aber ziemlich fröhlich. Er raucht während des<br />

gesamten Gesprächs, macht lange Denkpausen, bevor er antwortet,<br />

und lächelt viel.<br />

sissy: Sag mal, wie arrogant muss man eigentlich sein, um „<strong>Film</strong>regisseur“<br />

werden zu wollen?<br />

Stefan Butzmühlen: Nicht so sehr, glaube ich. Natürlich muss ein<br />

gewisses Grundbedürfnis vorhanden sein, sich ausdrücken zu wollen,<br />

und Dinge in die Welt zu stellen. Und es gibt auf der Hochschule auch<br />

einige, die das falsch verstehen und sich vor allem dabei toll vorkommen,<br />

beim <strong>Film</strong> zu sein.<br />

Aber ist <strong>Film</strong>emachen nicht etwas unglaublich Narzisstisches?<br />

Wenn man es so versteht, dass man sich gerne viel mit sich selbst<br />

beschäftigt und seine daraus resultierende Sicht auf die Welt im <strong>Film</strong><br />

zur Disposition stellt, dann muss Narzissmus ja überhaupt nichts<br />

Negatives sein.<br />

Was hast du auf der <strong>Film</strong>hochschule gelernt?<br />

Um ehrlich zu sein, habe ich da bisher gar nicht soviel gelernt wie ich<br />

dachte. Ich bin da auch nicht wirklich oft. Ich hatte mir das alles ein<br />

bisschen anders vorgestellt.<br />

Wie denn?<br />

Ich habe gedacht, wir reden im Studium mehr über <strong>Film</strong>, tauschen<br />

uns aus, loten Möglichkeiten aus, wie man Sachen anders machen<br />

kann. Davon passiert aber nicht viel.<br />

Was passiert denn?<br />

Es wird viel geredet von einem Handwerk …<br />

Aber ist <strong>Film</strong>regie das nicht auch?<br />

Ja, auch. Aber ich weiß gar nicht so genau, ob man das wirklich jedem<br />

gleich beibringen kann. Wenn von Handwerk die Rede ist, geht es<br />

eigentlich immer um das Handwerk Hollywoods, sozusagen als<br />

Grundweisheit – aber ein Schreiner muss doch ein anderes Handwerk<br />

lernen als ein Schlosser und da komm ich mir einfach manchmal wie<br />

in der falschen Lehre vor und denke, dass man sich mit mehr auseinandersetzen<br />

könnte …<br />

STEFAN BuTzMüHLEN<br />

Und das unterstützt die Hochschule nicht?<br />

Eigene Sichtweisen stehen nicht unbedingt im Vordergrund, nein. Ich<br />

habe das Gefühl, man soll da eher auf „den Markt“ vorbereitet werden.<br />

Und ich bin nicht der Markt.<br />

Sondern?<br />

Ich kann mit Genrebegriffen nicht so viel anfangen und kann meine<br />

Geschichten in diesen Grenzen auch nicht so gut erzählen.<br />

Was für Geschichten sind das?<br />

Ich bin ein eher unsicherer Mensch. Sich hinzustellen und zu sagen<br />

„So ist das!“, ist nicht meine Art. Ich mag die Zwischenstufen im Leben<br />

gern. Die Räume und Momente, wo Platz für Möglichkeiten ist.<br />

Ist es als Regisseur nicht eher unpraktisch, unsicher zu sein?<br />

Unsicherheit ist vielleicht auch das falsche Wort. Zweifel trifft es eher.<br />

Ich zweifle gern. Und erzähle auch gern davon. Weil ich Zweifel einen<br />

wichtigen Motor im Leben finde, für Entwicklung und Bewegung. Ich<br />

mag es ganz gerne, wenn man Dinge nicht so genau weiß, wenn nicht<br />

alles in drei Akten aufgefädelt wird, wenn die Figuren nicht sind wie<br />

ein offenes Buch und man dem Publikum nicht vorschreibt, was es<br />

zu empfinden hat. Ich mag es, Gegenbilder zum Allgemeingültigen zu<br />

zeigen.<br />

EINSCHUB: Genau für diese Qualität ist Butzmühlen gerade ausgezeichnet<br />

worden. Sein Kurzfilm „Nach Klara“ hat bei den 56. Kurzfilmtagen<br />

in Oberhausen den 3sat-Förderpreis bekommen. Die Jury<br />

begründet ihre Entscheidung so: „Ein junger Mann erlebt das Gefühl<br />

des Begehrtwerdens. Mit formaler Leichtigkeit inszenierte Momentaufnahmen<br />

aus dem Leben eines jungen Mannes, der nach sexueller<br />

Orientierung sucht und sich doch nur dem flüchtigen Augenblick hingeben<br />

kann.“ Das Schöne: Butzmühlen belässt es bei der Suche, Ergebnis:<br />

offen. Wir verlassen den Protagonisten, während er noch nicht<br />

weiß, ob er „Nach Klara“ jetzt schwul wird oder nicht. Es gibt da einen<br />

Mann, den er wirklich mag, aber rauszufinden, ob er wirklich öfter als<br />

das erste schöne Mal mit dem schlafen will, ist erst mal wichtiger als<br />

sich gleich eine neue Identität überzustülpen. Dadurch erhält „Nach<br />

Klara“ ein schwebende Qualität, die nicht nur professionelle Jurys<br />

beeindruckt.<br />

Ist es leicht, auf der <strong>Film</strong>hochschule für diese Haltung Mitstreiter zu<br />

finden?<br />

Ja und nein. Ich habe ein paar Leute, mit denen ich schon relativ lange<br />

zusammenarbeite und die ich gut kenne. Meine Cutterin Maja Tennstedt<br />

zum Beispiel. Aber sonst ist das nicht so einfach. Nach Klara war<br />

eine schwierige Arbeit, weil ich bis auf Maja nicht mit meinen Leuten<br />

arbeiten konnte, mit denen ich vor der Hochschule angefangen habe<br />

<strong>Film</strong>e zu machen, sondern mit anderen drehen musste.<br />

Wie kommt das?<br />

Die Projekte werden folgendermaßen zusammengestellt: Es gibt eine<br />

große Vorstellungsrunde vor dem gesamten Jahrgang. Alle versammeln<br />

sich im Kino der Hochschule und jeder Regisseur stellt sein<br />

Projekt vor. Dann wartet er auf seinem Platz darauf, wer sich zu ihm<br />

gesellt, weil er den potentiellen <strong>Film</strong> auch spannend findet.<br />

Klingt wie die Auswahl beim Schulsport. Mit dem altbekannten Gefühl<br />

„Lieber Gott, lass mich hier nicht als Letzter alleine stehen, bitte!“<br />

Fühlt sich auch ein bisschen so an.<br />

Wollten bei „Nach Klara“ viele mitspielen?<br />

Es ging so (lacht). Überrannt worden bin ich nicht gerade. Aber es gab<br />

andere interessante Reaktionen. Nach der Vorstellung des Projekts<br />

ging das Getuschel los: „Der Stefan ist also schwul, aha.“<br />

Ist das ein Problem?<br />

Nein. Ich finde das eher interessant (lacht).<br />

Was bist du denn?<br />

Nach Klara hat einen autobiografischen Einschlag: Es gab diesen<br />

Mann, der mich wollte und das hat mir gefallen. Und es gibt diese<br />

Verunsicherung in mir, dieses Gefühl, es nicht zu wissen. Und auf der<br />

anderen Seite auch das Bedürfnis, gar nicht wissen wollen zu müssen.<br />

Ich habe gerade eine Freundin und das ist wunderschön und passt<br />

total. Aber die queere Szene ist sehr wichtig für mich. Weil es da eben<br />

bestimmte Fragen gibt: Bin ich schwul, weil ich mal mit Männern<br />

schlafe? Bin ich hetero, weil ich eine Frau liebe? Ist das nicht egal,<br />

ist Identität so unglaublich wichtig? Und wenn doch: Wie stabil sind<br />

solche Begriffe wie schwul oder hetero, wie viel davon lässt man sich<br />

von außen vorschreiben, wie viel kommt aus einem selbst?<br />

Wie fortschrittlich.<br />

Ach was. Ich kann ja nur die Geschichten erzählen, die ich auch verstehe.<br />

Und mit meiner kleinen <strong>Film</strong>familie kann ich das halt. Ich fühle<br />

mich da aufgehoben und erkannt und gut. Und deswegen war es so<br />

schwer, Nach Klara mit Leuten umzusetzen, denen dazu gar nichts<br />

einfällt. <strong>Film</strong>, so wie ich ihn gerne mache, ist ein Prozess, bei dem<br />

man gemeinsam herausfindet, wie es geht. Anderen vorzuschreiben<br />

zu müssen, wie sie Dinge machen sollen, find ich nicht gut. Ich mag es,<br />

wenn Menschen eigene Ideen haben und die mitbringen.<br />

Wie war denn das Echo auf der HFF, als der <strong>Film</strong> fertig war?<br />

Es sind ein paar zurückhaltend freundliche Dinge gesagt worden.<br />

Aber es wurde schon gefragt, warum ich nicht stringenter erzähle<br />

und mein Publikum so im Unklaren lasse.<br />

Als der <strong>Film</strong> dann auf Festivals lief und sogar Preise gewann, wie war<br />

das?<br />

Schön. Ich muss gestehen: eine Genugtuung, irgendwie.<br />

Es gab in den letzten zwei Jahren eine ganze Reihe interessanter Kurzfilme<br />

von der HFF, die mehr oder weniger eine schwule oder queere<br />

Thematik hatten, und die jetzt zusammen mit „Nach Klara“ auf einer<br />

DVD gelandet sind. Fühlst du dich gut aufgehoben und gibt es so was<br />

wie ein queeres Netzwerk an der Hochschule?<br />

Ein queeres Netzwerk würde ich nicht sagen. Mit Josephine Frydetzki<br />

aber z.B., die mit B96 mit auf der DVD vertreten ist, habe ich vor<br />

zwei Jahren einen <strong>Film</strong>club gegründet, während ich mit Florian Gottschick,<br />

der Zwillinge gemacht hat, einfach nicht soviel zu tun habe.<br />

Mein Netzwerk ist eher außerhalb der Hochschule.<br />

Gay-Kurzfilmnacht mit den <strong>Film</strong>en „Nach Klara“,<br />

„Wofür hältst du mich?“, „Traurige Jungs tanzen,<br />

wenn niemand hinsieht“, „Die Schwanzwand“, „Speed<br />

Dating“ und „Billys Dad ist ein Nougatstecher“<br />

Im Kino<br />

Gay-Kurzfilmnacht am 15. Oktober<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

L-Kurzfilmnacht mit den <strong>Film</strong>en „Trophy“, „Liebste<br />

Prinzessin Leben“, „Babysitting Andy“, „Dani & Alice“,<br />

„Don’t mess with Texas“ und anderen<br />

Im Kino<br />

L-Kurzfilmnacht am 26. November<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Kleine Vandalen<br />

schwule Kurzfilme<br />

D/CH 2007–2010, 109 Minuten,<br />

dt. OF<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

12 13


kino<br />

OFFeNe<br />

köRpeR<br />

von Jan küneMund<br />

Sébastien Lifshitz hat mit „Plein Sud“ (im November in der<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht, danach in ausgewählten Kinos) nach sechs<br />

Jahren endlich wieder einen <strong>Film</strong> gedreht. Während die Kritik<br />

Schwierigkeiten hat, seine riskanten und doch im Arthouse<br />

verwurzelten <strong>Film</strong>e zu würdigen, sind vor allem „Sommer wie<br />

Winter …“ und „Wild Side“ zu Klassikern des Queer Cinema<br />

geworden. Ein Versuch über das Kino des französischen regisseurs.<br />

14<br />

1.<br />

Seine Mutter habe die Kinder ständig fotografiert, erzählt<br />

Lifshitz. Abzüge gemacht, vergrößert und die Fotos schließlich<br />

an die Wand gehängt. Aber da sie von der Fotografie geradezu<br />

besessen gewesen war, hätte ihr das nicht gereicht. Also hat sie die<br />

Fotos zerschnitten und auf einem großen Bogen Papier die Fragmente<br />

zusammengeklebt, zu Mosaiken, zu Geschichten.<br />

Die Mutter – die Fotos – die zerschnittenen Porträts, von denen<br />

man tagtäglich umgeben war. Eigentlich ist das zu schön, um wahr zu<br />

sein und das als Einleitung zum Porträt eines queeren <strong>Film</strong>emachers<br />

zu verwenden.<br />

Das Queer Cinema ist das Versprechen eines Kinos, das<br />

2. nicht auf Identität fixiert ist. Es will seine Figuren nicht<br />

festlegen auf das Mann-Sein, Frau-Sein, Schwul-Sein, Lesbisch-Sein,<br />

Weiß-Sein, Arm-Sein, Schön-Sein. Darin keine Folie sehen, vor der<br />

etwas Melodramatisches passiert. Nicht nur dabei zusehen, wie seine<br />

Figuren Identität erlangen oder verfehlen, gegen die Welt, gegen die<br />

widrigen Umstände, auf sich allein gestellt große „Ich“-Entscheidungen<br />

fällend. Obwohl das Coming-Out in den meisten <strong>Film</strong>en eine<br />

Identitätserzählung ist, die abbricht, wenn die Hauptfigur endlich<br />

„ich“ sagt und die danach scheinbar nichts mehr zu erzählen hat,<br />

ist Sébastien Lifshitz mit Sommer wie Winter … (Presque rien) ein<br />

Coming-Out-<strong>Film</strong>-Klassiker gelungen, der es nicht bei der Coming-<br />

Out-Erzählung belässt, sondern seine Hauptfigur mit einem Reichtum<br />

an Geheimnissen und ungelösten Widersprüchen ausstattet. Schöner<br />

kann das eigentlich nicht laufen, ein 18-jähriger, gefühlskalter Junge<br />

in den Sommerferien, der einen anderen, aber gefühlvollen 18-Jährigen<br />

kennenlernt, sich durch diesen als Liebenden erfährt, sich zu den<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

Gesten der Liebe durchringt, Verantwortung für jemand Anderen<br />

übernimmt, schließlich allen gegenüber „ich“ sagt. Lifshitz fragmentiert<br />

diese Geschichte, kalte Winterbilder greifen in den Feriensommer<br />

ein, verweisen auf Verletzungen und Traurigkeiten, die passiert<br />

sind, längst nachdem Mathieu öffentlich „ich“ gesagt hat. Das Meer<br />

ist grau und unerbittlich, im kaltweißen Krankenhaus wird ihm der<br />

Magen ausgepumpt, alte Männer sitzen an der Theke der Dorfkneipe<br />

und interessieren sich nicht für ihn. Was ist passiert? Es lief doch alles<br />

gut mit der schwulen Liebe. Kaum etwas ist passiert, sagt Lifshitz,<br />

„presque rien“. Er hat eben nur Ausschnitte aus dem Leben eines<br />

Teenagers gezeigt, zerschnittene Fotos, das Leben, keine schwule,<br />

männliche, bürgerliche Identität. Kontexte, in denen man das Glück<br />

eines Sommers nicht weiterglühen lassen kann, eine kranke Mutter,<br />

ein abwesender Vater, ein toter Bruder, eine neidische Schwester, eine<br />

Familie, die trauert, nicht funktioniert, trotzdem klammert, nicht loslassen<br />

kann, nichts zu tun hat eigentlich mit dem schwulen Glück von<br />

Mathieu. Wer ist Mathieu? Wir erfahren es nicht. Der <strong>Film</strong> will es<br />

nicht wissen. Ein Bogen Papier, auf dem Ausschnitte einen provisorischen<br />

Zusammenhang ergeben.<br />

Lifshitz ist, wie er selbst sagt, ein „verunglückter Fotograf“.<br />

3. Er hat Kunstgeschichte studiert, nicht <strong>Film</strong>regie. Er hat<br />

der eigenwilligen Fotografin Suzanne Lafont assistiert, am Centre<br />

Pompidou gearbeitet. Auch heute noch kauft er keine <strong>Film</strong>bücher,<br />

sondern Fotobildbände. Auf Reisen geht er nicht ins Kino, sondern<br />

besucht Antiquitätenläden, sucht nach alten, aufgelassenen Fotos,<br />

aus denen er Geschichten macht, wie früher seine Mutter. <strong>Film</strong>e drehen<br />

ist allerdings nur oberflächlich gesehen etwas anderes als Bilder<br />

machen. Man muss sich nur entscheiden, ob man die lückenlose,<br />

‚natürliche‘ Bewegung imitieren will (wie die meisten <strong>Film</strong>emacher),<br />

oder tatsächlich Bilder nebeneinander stellen wie Lifshitz. So dass<br />

sie Aussparungen lassen, aus unterschiedlichen Quellen ineinandergreifen,<br />

tatsächlich montiert werden. Ellipsen sparen genau das aus,<br />

was uns wichtig ist. Jeder bisherige <strong>Film</strong> von Lifshitz erzählt in Ellipsen,<br />

niemals chronologisch, lässt immer mindestens zwei Zeitebenen<br />

zusammentreffen, fügt sich niemals zu Gesamtbildern, Gesamtbewegungen.<br />

Sie betonen die Lücken, die Geheimnisse, verweigern<br />

den Schlüssel zum Verständnis einer Person, eines Gefühls. Darin<br />

sind Les Corps Ouverts (1997), Les Terres Froides (1999), Sommer wie<br />

Winter … (2000), La Traversee (2001), Wild Side (2004) und Plein Sud<br />

(2009), das filmische Gesamtwerk von Sébastien Lifshitz, erstaunlich<br />

konsequent.<br />

Lifshitz ist Jahrgang 1969. Er gehört zu einer Generation<br />

4. französischer <strong>Film</strong>emacher, die hierzulande kaum wahrgenommen<br />

wird: Bertrand Bonello, Noémie Lvovsky, Lætitia Masson,<br />

Ursula Meier, Gaël Morel. Die beiden einzigen bekannten neben ihm<br />

sind ausgesprochen ‚queere‘ <strong>Film</strong>emacher, die es geschafft haben, das<br />

bürgerliche Publikum ab und zu zu verblüffen, zu bezaubern, eher<br />

spielerisch herauszufordern: François Ozon und Christoph Honoré,<br />

beide in jüngerer Zeit von der Kritik nicht mehr ernst genommen, als<br />

blasierte, unernste, postmoderne Spieler „entlarvt“. Diese <strong>Film</strong>emacher<br />

haben kein ausgesprochenes politisches Interesse, kein soziales<br />

Anliegen auf den ersten Blick, keine Verweigerungsradikalität im<br />

Ästhetischen. Es sind Stilisten, die mit dem Geschichtenerzählen ringen,<br />

halbwegs von staatlichen Subventionen unterstützt, ab und zu<br />

mal schockieren, aber in der Regel im cinephilen französischen Kosmos<br />

kreisen, ohne im Weltkino Spuren zu hinterlassen. Aufregend<br />

sind sie trotzdem, vor allem für Zuschauer, die Unbehagen angesichts<br />

des US-amerikanisch geprägten Identitätskinos haben. Geboren zu<br />

einer Zeit der sozialpolitischen Experimente, der letzten großen Freiheitserzählungen,<br />

zeichnen ihre <strong>Film</strong>e ein durchgängiges Problem mit<br />

den Emanzipationsgeschichten, dem kollektiven Gestaltungspathos,<br />

dem Aktionismus. Die formalen Vorbilder sind klar: die gebrochenen<br />

Helden der amerikanischen Independents, die dekonstruktivistische<br />

Philosophie, das wilde, sinnliche, ‚rekomponierende‘ Montagekino<br />

„Offene Herzen“ (oben), „Sommer wie Winter …“ (unten)<br />

kino<br />

von Claire Denis, der postmoderne Genremix, das gehetzte Tempo<br />

der Téchiné-<strong>Film</strong>e. Lifshitz & Co. sind Ästheten (bekannter Vorwurf<br />

gegen schwule Künstler), ohne Dogma und Sendungsbewusstsein.<br />

Dass das Kinopublikum ihre <strong>Film</strong>e so selten, eigentlich kaum noch<br />

zu sehen bekommt, ist schade. Und die Kritik, die sie hierzulande<br />

abbekommen, ist vernichtend, unverständlich, anmaßend. Sie heißt<br />

„Arthouse“.<br />

Die <strong>Film</strong>e von Lifshitz sind immer entweder zu bürgerlich,<br />

5. zu Mittelklasse – oder zu plakativ außenseiterisch. Entweder<br />

geht es zu sehr um Familie (immer ist die Mutter todkrank<br />

und der Vater abwesend) oder das Milieu ist zu abgekoppelt. Entweder<br />

hängen Lifshitz’ Bilder zu sehr in der Körperschönheit seiner<br />

Schauspieler oder sie befriedigen verschämt hässliche Fantasien.<br />

Wild Side z.B. wagt die sexuelle und familiäre Utopie eines Dreiers<br />

aus transsexueller Prostituierter, maghrebinischem Gelegenheitsstricher<br />

und russischem Kriegsflüchtling. Was nach einer schrillen<br />

Überzeichnung antibürgerlicher Typen klingt, ist in Wirklichkeit<br />

ein humanistisches Manifest. Eine Liebe, in der jede(r) Geheimnisse<br />

hat, Fremdheit und unheilbare Wunden, und doch ist diese Liebe in<br />

jedem <strong>Film</strong>korn sichtbar, bis hin zu den Muskeln in den Händen von<br />

Stéphanie und Michail, die sich nach dem Sex noch einmal anspannen,<br />

während sie sich umklammern. „Are you a boy or a girl?“, singt<br />

Antony Hegarty in diesem <strong>Film</strong> leibhaftig in die Richtung der Transsexuellen,<br />

nicht als platte Verdopplung des Sichtbaren, sondern im<br />

Klartext und komplexen Mit-Gefühl, denn eine Identität hilft nicht<br />

weiter, wenn man Familie oder Heimat sucht. Tatsächlich sind alle<br />

biologischen Familien in den Lifshitz-<strong>Film</strong>en dysfunktional, sogar im<br />

einzigen Dokumentarfilm La Traversee, in dem er seinen Ko-Autoren<br />

Stéphane Bouquet in die USA begleitet, um dessen Vater zu suchen,<br />

der von der Existenz seines Sohnes gar nichts weiß. Das an sich ist<br />

15<br />

EDiTioN SALzGEBEr (2)


kino<br />

<strong>Film</strong>ografie Sébastien lifshitz<br />

il faut que je l’aime (1994)<br />

claire denis, La Vagabonde (1995)<br />

Offene herzen<br />

(Les corps ouverts, 1997)<br />

im reich meines Vaters<br />

(Les terres froides, 1999)<br />

Sommer wie Winter … (Presque<br />

rien, 2000)<br />

Sommer wie Winter …<br />

von Sébastien Lifsitz<br />

FR/BE 2000, 95 Minuten,<br />

dt. SF / OmU<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Offene Herzen<br />

von Sébastien Lifsitz<br />

FR 1997, 48 Minuten, OmU<br />

Demnächst auf DVD<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Wild Side<br />

von Sébastien Lifsitz<br />

FR/BE/UK 2004, 91 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

16<br />

La Traversée (2001)<br />

Wild Side (2004)<br />

Plein Sud (2009)<br />

noch kein <strong>Film</strong>-Thema, aber die Sehnsucht<br />

danach, die Ausformulierung der Zersplitterung,<br />

das Zusammensetzen neuer Familien ist<br />

es. Genauso wie das Coming-Out kein Thema<br />

ist, aber die vorsichtige Zusammensetzung der<br />

Erfahrungswelt von Teenagern, wie sie Lifshitz<br />

in Les Corps Ouverts, Sommer wie Winter<br />

… und Les Terres Froides angeht. Für sich<br />

allein lösen sich die Figuren auf. Zusammen<br />

können sie für kurze Zeit bestehen.<br />

Traurigkeit gibt es in jedem <strong>Film</strong> von<br />

6. Lifshitz. Unendlich schöne Soundtracks,<br />

die Spannungen schaffen und mit ihrer<br />

Zerbrechlichkeit und Gebrochenheit leben<br />

können (Perry Blake in Sommer wie Winter …,<br />

Antony Hegarty in Wild Side, Marie Modiano<br />

in Plein Sud). Sex. Und zeitlose Landschaften<br />

– der riesige schwarze Berg in der nordfranzösischen<br />

Provinz von Wild Side, die sonnendurchtränkte<br />

Ebenen-Ödnis auf dem Weg in<br />

den Süden (Plein Sud), immer wieder der wilde<br />

Atlantik, dem egal ist, welche Melodramen sich<br />

vor seiner Kulisse abspielen, ob vor ihm oder<br />

in ihm jemand Sex hat. Die Traurigkeit hängt<br />

oft am Jungsein, an der Möglichkeit eines filmwirksamen<br />

Glücks von erster Liebe und erstem<br />

Sex, in das immer wieder das übergriffige<br />

Unglück der Familien eingezogen ist, auch das<br />

eigene, das vergangene und das zukünftige.<br />

Und an den Leerstellen. Des vatersuchenden<br />

Drehbuchautoren z.B., der auf der Reise merkt,<br />

dass er niemals „ich“ sagen konnte, weil er der<br />

Mutter immer den Mann ersetzte, auch auf der<br />

Suche nach ihm. Oder die Leerstelle, die im<br />

„Wild Side“ (oben), „Plein Sud“ (unten)<br />

Lifshitz-Kino durch den Tod des fantastischen Schauspielers Yasmine Belmadi entstanden ist, dem Hauptdarsteller<br />

in Les Corps Ouverts, Les Terres Froides und Wild Side, der wie kein anderer den großmäuligen verletzlichen Jungen<br />

gespielt hat, der nie seine Identität findet. Man kann kaum ansehen, wie er in Wild Side als Djamel dem Kriegsflüchtling<br />

Michail von seinen Mopedunfällen erzählt, ihm seine (echten, seine Yasmine-) Narben zeigt, wenn man weiß, dass<br />

Belmadi vor ungefähr einem Jahr nachts in Paris mit seinem Moped gegen einen Laternenmast gefahren ist und dabei<br />

umkam. Sein Porträt aus drei <strong>Film</strong>en von Lifshitz bleibt fragmentarisch – bezeichnend die Szene, in er als Rémi in Les<br />

Corps Ouverts einem (ihn begehrenden) <strong>Film</strong>regisseur eine völlig falsche Autobiografie ausformuliert, ohne dass der<br />

<strong>Film</strong> über ihn die richtige erzählte.<br />

Lifshitz mag das sozialrealistische Kino nicht, genauso wenig wie Ozon oder Honoré. Aber er spielt auch<br />

7. nicht damit. Er möchte die Figuren, ihre Energien isolieren, Affektkino drehen, in dem Körper und Gefühle<br />

aufeinander reagieren, ohne Zeitbezug, ohne Ortsbezug. Trauer, Wut, Sehnsucht, Begierde werden nicht psychologisch<br />

hergeleitet, sie prallen aufeinander, man sieht dabei zu, man darf assoziieren. Im neuen <strong>Film</strong>, Plein Sud, gibt es<br />

keine mittleren Einstellungen. Nur Landschaften und Gesichter, Stimmungen und Blicke, kein Einbetten von Gefühlen<br />

in den sozialen Kontext. Prompter Vorwurf: Oberflächlichkeit. Tatsächlich treibt Lifshitz seine ästhetischen Überzeugungen<br />

hier auf die Spitze: eine sexuell aufgeladene Situation dreier Teenager, deren Begehren sich auf den älteren<br />

Fremden richten; ein zerschnittenes Porträt dieses Fremden aus drei Zeitschichten (Kind, Teenager, Erwachsener),<br />

das trotzdem nicht erklären kann, was er vorhat; eine Reise, ein Roadmovie zur kranken und instabilen Mutter, als<br />

Bewegung durch zeitlose, vom Geschehen unberührte Landschaften. Einen Mix aus Western und Soap-Opera hat<br />

Lifhitz das selbst genannt, nicht ohne Provokation. Ein Portfolio schöner Teeniekörper mit pubertären Allerweltsproblemen,<br />

die sich (wie Jana Papenbroock hellsichtig bemerkt hat) wie ein Kommentar zum Warenwert von Schönheit im<br />

Supermarkt aufgabeln und irgendwann einfach aus der <strong>Film</strong>-Geschichte fliegen. In einer Figur aber, der des Fremden<br />

Sam, staffelt sich der <strong>Film</strong> in die Tiefe, baut ein Porträt, das wiederum zu vielschichtig ist für eine psychologische Herleitung.<br />

Eigentlich ist das Kino von Lifshitz ein schüchternes Kino. Das sich, das drohende Scheitern, das Verlassen des<br />

Muts vor Augen, immer weiter antreibt, um endlich unverschämt zu werden.<br />

Mit Plein Sud gibt es also bald eine neue Möglichkeit, sich mit dem Kino von Sébastien Lifhitz auseinander-<br />

8. zusetzen. Auch dieser <strong>Film</strong> zerschneidet die üblichen Konstellationen, die filmischen wie die sozialen, setzt<br />

die Fragmente in Bewegung, holt Luft und ordnet sie neu. Wieder wird es am Ende keine Menschen geben, die sich<br />

gefunden haben, kein Liebesglück, kein Happy-End. Dafür aber das langsame Zurruhekommen einer Wasseroberfläche,<br />

nachdem ein schöner Männerkörper dort eingetaucht ist. Darauf ein Glitzern von letzten Abendsonnenstrahlen.<br />

Und ein trauriger Song von Marie Modiano. s<br />

Pro-FuN MEDiA<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

was uns heimsucht<br />

interview: gerhard Midding<br />

Es ist Sommer in „Plein Sud“, dem neuen<br />

<strong>Film</strong> von Sébastien Lifshitz. Sam, 27 Jahre<br />

alt, sitzt am Steuer seines alten Ford und ist<br />

auf dem Weg nach Süden. Auf dem Rücksitz<br />

ein Geschwister-Paar, Léa und Matthieu, die<br />

Sam als Anhalter mitgenommen hat. Léa liebt<br />

die Männer, Matthieu auch. Auf ihrer langen<br />

Reise werden sie sich kennen lernen, sich<br />

herausfordern, sich verlieben. Aber Sam hat<br />

ein Geheimnis, eine alte Wunde, die wieder<br />

aufgerissen ist – er hat nach langer Zeit eine<br />

Nachricht von seiner Mutter erhalten und<br />

jetzt will er sie wiedersehen.<br />

SISSY sprach mit Sébastien Lifshitz über seinen<br />

neuen <strong>Film</strong>.<br />

sissy: Warum gab es eine Pause von fünf Jahren<br />

zwischen „Wild Side“ und Ihrem neuen <strong>Film</strong>?<br />

Sébastien Lifshitz: Zwischenzeitlich habe ich<br />

am Drehbuch für einen Kriminalfilm gearbeitet.<br />

Ich hatte allerdings überhaupt keine<br />

Erfahrung mit Genrefilmen. Nach zwei Jahren<br />

und 17 verschiedenen Fassungen merkte<br />

ich, dass das nirgendwo hinführt. Ich fühlte<br />

mich verloren. Unterdessen war dem Produzenten<br />

das Geld ausgegangen, er hatte gerade<br />

noch genug übrig, um mich fürs Schreiben zu<br />

bezahlen. Aber ich glaube, diese Arbeit war<br />

nicht ganz vergeblich, denn in Plein Sud gibt<br />

es einige Elemente, die von diesem gescheiterten<br />

Projekt übrig geblieben sind: Er ist<br />

handlungsbetonter als meine früheren <strong>Film</strong>e,<br />

besitzt größere dramatische Spannung.<br />

Dabei haben Sie durchaus Erfahrung mit Kriminalfilmen:<br />

Ich denke an den Fernsehfilm für<br />

Arte, der bei uns „Im Reich meines Vaters“<br />

hieß.<br />

Ach ja? Ein schöner Titel.<br />

Er fasst beinahe Ihre gesamte <strong>Film</strong>ografie<br />

zusammen: Oft geht es um eine Vatersuche.<br />

Stimmt. Es geht immer um die Suche nach<br />

Wurzeln. Die Familie ist eine Obsession für<br />

mich.<br />

Woher rührt das?<br />

Ich glaube, das hat viel mit der Fotografie zu<br />

tun. In der Fotografie herrscht ein anderes<br />

Verhältnis zur Zeit: Sie kann etwas festhalten,<br />

was vergangen und tot ist. Die Vergangenheit<br />

hinterlässt in ihr einen Abdruck.<br />

Meine Mutter hatte die etwas morbide Angewohnheit,<br />

unser ganzes Haus mit Vergrößerungen<br />

ihrer Bilder zu tapezieren. So war<br />

unsere Familiengeschichte überall präsent.<br />

Mich hat diese Obsession früh angesteckt.<br />

Schon mit neun Jahren ließen meine Eltern<br />

mich allein auf den Flohmarkt gehen, wo ich<br />

mit meinem Taschengeld alte Fotos und Zeitschriften<br />

kaufte. Ich lebte eher in der Vergangenheit<br />

als in der Gegenwart. Mit Fünfzehn<br />

hat mich ein <strong>Film</strong> von Truffaut ungeheuer<br />

beeindruckt, Das grüne Zimmer. Da geht es<br />

um jemanden, der das Andenken der Toten<br />

bewahren und sie dadurch weiterleben lassen<br />

will. Deshalb mag ich sicher auch die Installationen<br />

von Christian Boltanski so gern, der<br />

viel über die Shoah arbeitet und Erinnerungen<br />

ganz haptisch darstellt, in dem er Kleindung<br />

und andere Artefakte sammelt.<br />

In „Plein Sud“ geht es wie in vielen Ihrer <strong>Film</strong>e<br />

darum, die Vergangenheit zu rekonstruieren,<br />

ein Familientrauma aufzuarbeiten. War Ihnen<br />

schon beim Schreiben klar, dass Sie die Erinnerungen<br />

von Sam wie eine parallele Geschichte<br />

erzählen wollen?<br />

Ja, das war schon im Drehbuch angelegt.<br />

Aber die Rückblenden waren anders platziert.<br />

Nun sind sie stärker in die Handlung eingeflochten.<br />

Sams Vater taucht zum Beispiel erst<br />

später auf. Je mehr sich Sam seiner Mutter<br />

nähert, desto stärker ist der Vater präsent.<br />

Ich führe ja eigentlich zwei Geschichten<br />

parallel, eine äußere und die innere<br />

Reise. Zugleich sind das aber auch ästhetisch<br />

gegenläufige Linien. Da gibt es einerseits<br />

Sams Familiengeschichte, die sehr melodramatisch<br />

ist. Und dann die Geschichte der<br />

Anhalter, die er mitnimmt. Die ist beinahe<br />

wie eine amerikanische Sitcom erzählt. Sie<br />

sind eher Figuren als Charaktere, aber laden<br />

den <strong>Film</strong> noch einmal mit einer ganz anderen<br />

Energie auf.<br />

Wie in „Sommer wie Winter …“ ist auch hier<br />

die Mutter depressiv.<br />

Ja, meine <strong>Film</strong>e werden bevölkert von kranken,<br />

zerstörten, verlorenen Familien. Das<br />

Glück passt da nicht hinein.<br />

Das gilt auch für die Familie, die sich spontan<br />

während der Autofahrt bildet.<br />

Mich erstaunt selbst, welch starkes Klima von<br />

Aggressionen und Konflikten da entstand. Es<br />

herrscht ein ständiger Kampf, die Beziehungen<br />

untereinander sind allesamt bedroht,<br />

können in jedem Moment abgebrochen werden.<br />

Wie gesagt, ich kann keine Geschichte<br />

über harmonische Familien erzählen.<br />

kino<br />

Was wird aus den Anhaltern, nachdem Sam<br />

sie zurücklässt?<br />

Keine Ahnung. In einer früheren Drehbuchfassung<br />

blieben sie zusammen und suchten<br />

gemeinsam seine Mutter. Aber wir fanden,<br />

dass es dramaturgisch ein Opfer geben muss,<br />

dass sich ihre Wege trennen müssen.<br />

„Plein Sud“ ist ein ungewöhnliches Roadmovie,<br />

weil die Fahrt wie eine Blase der Emotionen<br />

wirkt. Er spielt zwar in einer vagen Gegenwart,<br />

kommt aber ohne sozialen Kontext aus.<br />

Genau, es sollte ein lyrischer <strong>Film</strong> werden.<br />

Eigentlich geht es um die Frage, ob Sam weiterleben<br />

oder sterben will. Seine Mission,<br />

die er sich selbst gewählt hat, ist morbide,<br />

selbstzerstörerisch. Auch wenn die Jüngeren<br />

das Leben verkörpern, ist das, was ihn heimsucht,<br />

stärker.<br />

Tatsächlich ist es in gewisser Weise ein Geisterfilm.<br />

Dabei spielt Nicole Garcia die Mutter<br />

jedoch nicht als ein Phantom, sondern verleiht<br />

ihr eine sehr konkrete Präsenz.<br />

Das ist ein wichtiges Wort für mich: Phantom.<br />

Meine <strong>Film</strong>e kreisen um das, was uns<br />

heimsucht. Aber Sie haben Recht, die Konkretion<br />

ist ebenso wichtig. Bei Nicole wusste<br />

ich, dass sie der Mutter auch Menschlichkeit<br />

geben würde. Sie hat nur wenige Szenen, in<br />

denen sie Ihre Figur entstehen lassen kann.<br />

Das gilt eigentlich für alle Schauspieler: Sie<br />

müssen physisch sofort präsent sein. Lea<br />

Seydoux ist eine Lolita, Théo Frilet ist ein<br />

romantischer Prinz, Yannick Renier ist etwas<br />

trocken und finster, wie ein Westernheld.<br />

Meine <strong>Film</strong>e sind so lakonisch und elliptisch<br />

erzählt, da müssen wenigstens die Figuren<br />

eine Evidenz besitzen.<br />

Plein Sud<br />

von Sébastien Lifsitz<br />

FR 2009, 87 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht am 19. November<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Kinostart: Dezember 2010<br />

17


kino<br />

DeR<br />

uNZeitgemÄSSe<br />

von Bert reBhandl<br />

in ihrem schwebenden Porträt „Daniel Schmid – Le chat qui pense“ (ab 2. September im Kino) verbinden<br />

Pascal Hofmann und Benny Jaberg <strong>Film</strong>ausschnitte, Archivmaterial und interviews mit Schmids Freunden<br />

und Wegbegleitern zu einer liebevollen und angemessenen Würdigung des Schweizer <strong>Film</strong>emachers. Wer<br />

bisher keine oder nur einzelne <strong>Film</strong>e von Daniel Schmid (1941–2006) kannte, wird sie nach diesem poetischen<br />

Dokumentarfilm alle sehen wollen, denn seine <strong>Film</strong>e sind welthaltig, eigenständig und warmherzig<br />

und bilden einen besonderen Beitrag zum Weltkino. unser Autor markiert in seinem Text für die SiSSY die<br />

besondere Querstellung des Schmid-Kinos.<br />

s Die Ewigkeit ist eine Vorstellung, die einen kleinen Jungen überfordern<br />

muss. Er hat die Zeit in ihrer Offenheit vor sich, kaum nachzuvollziehen<br />

also, wie es in einem Himmel (oder in einer Hölle) sein<br />

soll, in der gar keine Zeit mehr vergeht. Bleibt dann alles immer so,<br />

wie es jetzt gerade ist? Ein schrecklicher Gedanke, den Daniel Schmid<br />

nichtsdestoweniger in seinem <strong>Film</strong> Zwischensaison in Szene setzt. Der<br />

kleine Valentin, das kindliche Alter Ego des <strong>Film</strong>emachers, durchschreitet<br />

mit seiner Großmutter einen Himmel, der identisch ist mit<br />

dem Schweizer Alpenhotel, in dem er aufwächst. Alle Gäste sind da,<br />

in weißen Engelsgewändern, nur lebendig sind sie nicht mehr. Sie sind<br />

eingefroren in ein Lächeln, das als ein Stereotyp von Glückseligkeit<br />

erscheinen soll, das in Wahrheit aber grotesk ist wie die ganze Szene.<br />

Es ist paradoxerweise die Zeit selbst, die diesem erstarrten<br />

Moment die Groteskerie wieder nimmt, die ihn zu einer zärtlichen<br />

Erinnerung macht, in der sich der Künstler verlieren konnte, zu dem<br />

Daniel Schmid geworden ist: ein <strong>Film</strong>emacher aus Graubünden, ein<br />

Weltbürger, der in Berlin und Paris gelebt und in Tokio gedreht hat,<br />

der aber immer an dieses wie der Zeit entrückte Hotel „mit Meerblick“<br />

in den Alpen zurückgebunden blieb. Der Proust’sche Gestus der<br />

(Wieder-)Belebung von Objekten, von dem nicht nur Zwischensaison<br />

geprägt ist, weist dem Regisseur von <strong>Film</strong>en eine besondere Rolle zu,<br />

die in den Kindheitstagen im Hotel ihr erstes Vorbild in dem Zauberer<br />

Professor Malini hatte, von dem Valentin/Daniel seinen damaligen<br />

Berufwunsch ableiten konnte: „maître d’effets spéciaux“, Meister der<br />

Spezialeffekte.<br />

Daniel Schmid gehört zu einer Generation, deren Ambivalenz<br />

gegenüber dem Kino sich gut mit diesem Begriff beschreiben lässt:<br />

Das Medium ist als solches ein Spezialeffekt, eine technische Pointe,<br />

in der die Alltagswahrnehmung überboten wird. Man kann diese<br />

Überbietung zelebrieren, oder man kann sie in Dienst nehmen, für<br />

Zwecke, die dem Medium äußerlich sind. Als Schmid in den 1960er<br />

Jahren in Berlin das Studium an der dffb aufnahm, in deren erstem<br />

Jahrgang, da begann der kritische Diskurs zum Kino gerade mit aller<br />

Wucht. Gleichzeitig gab es im deutschsprachigen Autorenfilm dieser<br />

Jahre aber auch zahlreiche Außenseiter, die sich vom Imaginationspotential<br />

des Mediums nicht abbringen lassen wollten.<br />

Man unterschied damals in der <strong>Film</strong>kritik zwischen einer politischen<br />

und einer ästhetischen Linken, zwei Begriffe, die wie verzerrte<br />

westliche Korrelate zu den Formalismusdebatten in den kommunistischen<br />

Ländern wirken mussten. Einer politischen Linken waren<br />

Formfragen oder gar ästhetische Qualitäten erst in zweiter Linie<br />

angelegen, wichtiger waren inhaltliche Fragen (in den achtziger Jahren<br />

hatten diese Debatten eine zweite Auflage im Zusammenhang<br />

der Repräsentationskritik, die verstärkt aus der Position von Minderheiten<br />

geübt wurde: schwullesbische, feministische, antirassistische<br />

Identitätspolitik).<br />

Daniel Schmid war homosexuell, aber nicht das erscheint im<br />

Rückblick als der entscheidende Grund dafür, dass er ausgerechnet<br />

um 1968 mit einer dezidierten Option für das ästhetische Potential des<br />

Kinos hervortrat. Es hat wohl eher mit den unterschiedlichen Zeitlichkeiten<br />

zu tun, die zwischen der politischen und der ästhetischen<br />

Linken nicht zu verhandeln waren. In dem Dokumentarfilm Daniel<br />

Schmid – Le chat qui pense von Pascal Hofman und Benny Jaberg gibt<br />

es eine bezeichnende Szene, in der Schmid zu sehen ist, wie er 1973<br />

auf den Solothurner <strong>Film</strong>tagen seinen <strong>Film</strong> Heute nacht oder nie verteidigt,<br />

der als zu ästhetisch in den Verdacht politischer Irrelevanz<br />

geraten war. Der Regisseur sitzt auf dem Podium, rauchend, und sagt<br />

einen bedeutungsvollen Satz: „Ich habe keine Vorstellung davon, wie<br />

es weitergeht.“<br />

Damit bringt er einerseits einen latent apokalyptischen Zeitgeist<br />

zum Ausdruck, der in den 1970er Jahren immer neue Nahrung fand.<br />

Es äußert sich in diesem Satz aber auch noch etwas Grundsätzlicheres,<br />

eine künstlerische Position, die dem Bildmedium Kino eine<br />

Funktion zuschreibt, die eben konstitutiv nach hinten gerichtet ist,<br />

auf die Rekonstruktion von Szenarien, die der Gegenwart erst die<br />

Prägung gegeben haben. Die ästhetische Option von Daniel Schmid<br />

ist zugleich eine Option für eine bestimmte Zeitlichkeit, die sich in<br />

unterschiedlichen Konstellationen durch sein Werk zieht: die mytho-<br />

logische Grundierung einer erotischen Passion vor<br />

kolonialem Hintergrund in Hécate, aber auch der markante<br />

Traditionalismus des Kabuki in Das geschriebene<br />

Gesicht, in dem es um japanische Tradition geht, über die<br />

sich eine weiter gefasste, westliche Nostalgie vermitteln<br />

kann. Von Schmid erzählen die Menschen, die ihn gut<br />

gekannt haben, in Le chat qui pense, dass er immer einmal<br />

nach Shanghai wollte (der Hafen von Tokio in Das<br />

geschriebene Gesicht ist wohl auch ein „Stand-In“ für den<br />

Weltumschlagplatz der chinesischen Hafenstadt). Aber<br />

er hatte nicht die Metropole der chinesischen Modernisierung<br />

vor dem geistigen Auge, die heute so viele Menschen<br />

interessiert, sondern ein geistiges, ein ästhetisches<br />

Shanghai, das für ihn ein für alle Mal durch die <strong>Film</strong>e von<br />

Josef von Sternberg bestimmt war. Auch hier herrscht also<br />

ein Geist von cinephiler Retrospektivität, der einher geht<br />

mit dem Beharren auf einer ästhetischen Überhöhung,<br />

von der das Medium <strong>Film</strong> in seinem Mainstream schon<br />

lange Abschied genommen hat – und den es während des<br />

guten Vierteljahrhunderts seines filmischen Schaffens<br />

auch den Randbereichen auszutreiben beginnt. Ästhetische<br />

Überhöhung bedeutet auch: Kontakt zu den anderen<br />

Kunstformen, Hang zum Gesamtkunstwerk, taktile und<br />

musikalische Prägung, Theatralität und Literarizität.<br />

In Hécate erzählte Schmid nach einem Roman von<br />

Paul Morand die Geschichte eines französischen Kolonialbeamten,<br />

der in der fremden Welt des Orients einer<br />

schönen, eigenwilligen Frau verfällt. Clothilde de Watteville<br />

wurde von Lauren Hutton gespielt, die als Fotomodell<br />

und Schauspielerin beide Bereiche zu transzendieren<br />

vermochte und davor schon von Paul Schrader (in American<br />

Gigolo, 1980) sehr ikonisch eingesetzt wurde. Hutton<br />

spielt in Hécate die unbewusste, weil ganz auf sich konzentrierte<br />

Verführerin, die ihren Verehrer immer stärker<br />

in die Eifersucht treibt. Auch hier findet sich (wohl schon<br />

in der Vorlage) ein Satz, der die ästhetische Überhöhung<br />

in das Präteritum (und in den Kontext eines Mediums)<br />

stellt: „Die Tage vergingen wie in einem alten <strong>Film</strong>, in<br />

dem der Wind die Kalenderblätter davonweht.“<br />

Schmid war kein unpolitischer Regisseur, und in<br />

Hécate ist auch erkennbar, dass ihn dieser Stoff nicht<br />

zuletzt deswegen interessiert, weil sich darin etwas<br />

kreuzte: das allmähliche Untergehen der großen, westlichen<br />

Kolonialimperien mit dem Entstehen eines Medi-<br />

Die tage vergingen wie in einem alten <strong>Film</strong>,<br />

in dem der wind die kalenderblätter davonweht.<br />

ums, das davon technische Bilder überlieferte. Das Kino<br />

löst die Kalenderblätter ab, die in dem genannten Zitat<br />

ein dem Alltag entrücktes Vergehen der Zeit (nicht mehr)<br />

markieren, das Kino hat die Kalenderblätter aber auch<br />

abgelöst, insofern ein neueres Massenkommunikationsmittel<br />

an die Stelle eines älteren getreten ist, eines, das<br />

sich mit einem viel stärkeren Imaginationspotential verbunden<br />

hat – und dieses immer wieder schnöde an die<br />

kulturindustrielle Bewirtschaftung desselben verrät.<br />

Hécate entstand 1982, im Werk von Schmid markiert<br />

es einen Höhepunkt insofern, als es seinen Moment der<br />

Qualität darstellt (Qualität durchaus in jenem Sinn verstanden,<br />

der von der Nouvelle Vague zur Überwindung<br />

und Ablösung freigegeben worden war). Qualität wird<br />

hier durch die Vorlage, durch das Budget einer internationalen<br />

Koproduktion, durch den amerikanischen Star<br />

Lauren Hutton gewährleistet. Nach Heute nacht oder nie<br />

und Schatten der Engel, zwei seiner wichtigsten <strong>Film</strong>e<br />

18 19<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

kino


kino<br />

Daniel Schmidt – Le chat qui pense<br />

von Pascal Hofmann und Benny Jaberg<br />

CH 2010, 83 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Ab 2. September in ausgewählten Kinos.<br />

Das Metropolis (Hamburg) und die Tilsiter<br />

Lichtspiele (Berlin) zeigen begleitend auch <strong>Film</strong>e<br />

von Daniel Schmid, ebenso das Kino achteinhalb<br />

(Saarbrücken) ab dem 27. September.<br />

www.danielschmid-film.com<br />

EDiTioN SALzGEBEr (2)<br />

aus den 1970er Jahren, war dieser Weg nicht unbedingt absehbar.<br />

Denn Schmid hatte sich damals, zwischen den beiden paradigmatischen<br />

deutschen Positionen von Werner Schroeter und Rainer<br />

Werner Fassbinder, dafür entschieden, so lange wie möglich beiden<br />

zu entsprechen. Das bedeutete konkret in Heute nacht oder nie und<br />

vier Jahre später in Schatten der Engel: Verschiebung der politischen<br />

Revolution ins Ästhetische und danach Verschiebung der politischen<br />

Enttäuschung in die Dekadenz. Heute nacht oder nie war Schmids<br />

Revolutionsfilm, und vermutlich hat er deswegen so viel Ärgernis<br />

erregt, weil darin so deutlich dem revolutionären Umschwung das<br />

Subjekt geraubt wurde. Die Dienerschaft, die hier einem alten Brauch<br />

entsprechend einen Abend lang die Herren stellt (während die Herrschaft<br />

zu ihrer Unterhaltung alles aufbietet, was sie an Tenören und<br />

Tangos zu bieten hat), versäumt nachgerade programmatisch den<br />

Moment, an dem die alte Ordnung wieder ins Recht gesetzt wird. Sie<br />

ergreift ihre Chance nicht (weil Schmid sie auch schonungslos als<br />

begriffsstutzig darstellt), deswegen bleibt alles beim Alten in diesem<br />

alten Schloss, das in der langen Vorspannsequenz als Ort der Handlung<br />

etabliert wird und das dabei stark transsilvanische Konnotationen<br />

bekommt. In Heute nacht oder nie wird wenig gesprochen, dafür<br />

aber umso mehr gesungen und musiziert. Der Soundtrack des <strong>Film</strong>s<br />

ist dessen eigentlicher Diskurs, eine Abfolge unterschiedlichster<br />

kultureller Formen von der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts<br />

bis zu einem modernen Musikstück, zu dem Schmid eine großartige<br />

(Wimmelbild-)Plansequenz entworfen hat. Dazu kommen Schlager<br />

und Tanzmusik, all das also, was für einen kleinen Jungen, der auf<br />

der Bühne des Foyers eines Traditionshotels aufgewachsen ist, die<br />

Welt bedeutet.<br />

Während aber Werner Schroeter in diesen Jahren zum Teil sich<br />

vollständig ins Asemantische und Avantgardistische wagt (Eika<br />

Ka tappa), kappt Schmid die Verbindungen zum herkömmlichen Spielfilm<br />

nicht. In La Paloma spielt seine Muse Ingrid Caven eine Prostituierte,<br />

die sich für ihr Zuhören und ihr Schweigen bezahlen lässt, und<br />

die nach einem Mann sucht, der ihr das Leben nehmen kann. In Schatten<br />

der Engel wiederholt die Caven diese Rolle unter den veränderten<br />

Vorzeichen des noch stärker politisch und nachkriegshistorisch konnotierten<br />

Patriarchats: Fassbinder, der die umstrittene Vorlage, das<br />

Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ geschrieben hatte, spielt ihren<br />

Zuhälter, und Klaus Löwitsch die Skandalfigur von <strong>Film</strong> und Stück,<br />

den reichen Juden. Die ganze Anlage dieser Verfilmung zeugt von<br />

Schmids unbedingtem Glauben an eine Unschuld des Ästhetischen –<br />

er hat nicht versucht, der Vorlage von Fassbinder das Anstößige (den<br />

vielfach festgestellten Antisemitismus, der in der Darstellung einer<br />

Klischeefigur liegt) zu nehmen, er hat es in einen Zusammenhang<br />

gestellt, der Ästhetik in unrettbare Ambivalenz umschlagen lässt. Er<br />

hat später nie mehr so radikal auf der Freiheit der Kunst bestanden,<br />

durch ihre eigene Zeitlichkeit auch an Tabus des Politischen rühren<br />

zu können: die Abstumpfung der Arbeiterklasse, die Ortlosigkeit<br />

der Juden in Nachkriegsdeutschland, die sexuelle Grundierung des<br />

Kolonialismus. Daniel Schmid wurde zu einem konventionelleren<br />

<strong>Film</strong>emacher, der sich an das europäische Autorenkino der Qualität<br />

annäherte, während Fassbinder die amerikanischen Genreformen,<br />

vor allem das Melodram, auf den Stand der bundesrepublikanischen<br />

Wirklichkeit zu bringen versuchte. Es wäre reizvoll, die spezifische<br />

Unzeitgemäßheit von Daniel Schmid mit seiner Herkunft aus der<br />

Schweiz in Beziehung zu setzen: ein <strong>Film</strong>emacher aus der provinziellen<br />

Mitte Europas konstituiert für sich selbst und für das Kino einen<br />

Sehnsuchtsort, der die Herkunft transzendiert – einen Himmel des<br />

Ästhetischen, zugleich politische Utopie und anachronistische Politik,<br />

ein Bubentraum, in dem der Protagonist allmählich lernt, auf Spezialeffekte<br />

zu verzichten. Er wird erwachsen, aber er steht doch kompromisslos<br />

quer / queer zu der Zeitordnung des linearen Fortschritts.<br />

Eine Kraft der Vergangenheit, deren Sprengkraft nicht selten unterschätzt<br />

wird. s<br />

Voll autobiografisch<br />

von dietrich kuhlBrodt<br />

Frank ripplohs Kultfilm über einen schwulen Lehrer, der seine bürgerliche Existenz mit einem<br />

facettenreichen Sexualleben in Einklang zu bringen versucht, stach 1980 in das Wespennest einer um<br />

positive Selbstbilder bemühten Schwulenszene. Angesichts der Kino-Wiederaufführung am 4. November<br />

kann man wie unser Autor feststellen, wie haltbar diese filmische Provokation nach wie vor ist.<br />

s Da ist er also wieder, der Kultfilm von vor dreißig Jahren. Schwuler<br />

Sex bis zum Abwinken. „Witzig, konsequent und unsentimental“,<br />

lobte damals das Time Magazine. Und die Süddeutsche Zeitung sah<br />

eine schwule „Komödie voller Selbstironie und raschem Witz. Dergleichen<br />

gab es noch nicht“. Und heute, hallo, gibt’s dergleichen<br />

inzwischen? Antwort: mitnichten. Ich sah den <strong>Film</strong> 1981. Ich sehe ihn<br />

2010. Und Taxi zum Klo ist frech und frisch und quicklebendig wie<br />

eh und je. Okay, um glaubwürdig zu sein, müsste ich an irgendwas<br />

herummäkeln. Mach ich vielleicht später. Zum Beispiel stimmt es<br />

nicht, dass Regisseur und Hauptdarsteller Frank Ripploh lebt. Er ist<br />

vor acht Jahren gestorben. An Krebs. Im Krankenhaus lag er damals,<br />

wegen Virenzeug, glaube ich. Aids gab es ja noch nicht. Was tun,<br />

wenn’s im Bett langweilig wird? Also das Taxi zur Klappe. Bitte, eine<br />

halbe Stunde warten. Zeit für ein paar erigierte Penisse. Und zurück.<br />

Ja, die Handlung. Sie ist voll autobiografisch. Frank, genannt<br />

Peggy, Hauptschullehrer in Berlin, unterrichtet eine Jungsklasse als<br />

Beamter auf Probe (war er auch noch während der Drehzeit). Ein<br />

originaler Schwarzweißlehrfilm über das, was heute als Missbrauch<br />

bekannt geworden ist, wird gezeigt. Zur Abwechslung wird in das<br />

Lehrmaterial ein Junge eingeschnitten, der mit Vergnügen auf Peggys<br />

Schoß hopst. Wer das nicht mehr okay findet und sich auskennt,<br />

kann sich mit Auftritten von Magdalena Montezuma (Arzthelferin)<br />

und Tabea Blumenschein vergnügen. Als Großwetterlage haben wir<br />

viel Regen in Berlin. Am Fehrbelliner Platz und drum herum. So war<br />

das 1980. Ein jungbeamtenwürdiges Ambiente. Peggy lässt sich von<br />

Bernd (Bernd Broaderup), Kino-Vorführer in der Yorckstraße, bekochen,<br />

betun, betutteln und mit Visionen vom gesunden Landleben<br />

belabern, am besten einen kleinen Hof bei Hitzacker mit viel Schafen<br />

drauf. Folge: „Wir müssen reden.“ Weitere Folge: Peggy sucht<br />

seine Sexpartner auf der Straße oder wo auch immer. Muscleboys,<br />

Schüchterlinge, den Tankwart rumkriegen. Fellatio, Ejakulation in<br />

Pro-FuN MEDiA<br />

den Mund, Samenschlucken in Großaufnahme und in der Länge, die<br />

es braucht, um zum Orgasmus zu kommen. Übrigens ist es der ejakulierende<br />

Schwanz von Regisseur Frank Ripploh, der ausführlich<br />

zur Geltung kommt. Und dann geht’s der Reihe nach inklusive Golden<br />

Shower.<br />

Eklig eventuell? – Aber nein. Was wir sehen, ist auf fast geheimnisvolle<br />

Weise ehrlich, selbstironisch und trotz der vielen komischen<br />

Elemente im Ergebnis eben nicht eine Komödie. Es sieht sogar tragisch<br />

aus für das Paar Bernd/Peggy. Zum Berliner Tuntenball kommt<br />

Bernd als Matrose, seine Schafe im Kopf. Peggy aber im Citykobrafummel,<br />

ganz in Tüll. Die Nacht ist um. Die Schule fängt an. Keine<br />

Zeit zum Umziehen. Peggy beginnt die Stunde im Fummel. – Noch<br />

Fragen? Den <strong>Film</strong> ansehen!<br />

Taxi im Klo wurde 1981 aus dem Stand bejubelt, unisono von<br />

Zuschauern und <strong>Film</strong>kritik. Gewiss, die Darsteller sprechen nicht wie<br />

Schauspieler, sondern wie Laien. Aber grad das machte den Witz, die<br />

Offenheit und die Ehrlichkeit (sprich: Authentizität) des <strong>Film</strong>s aus.<br />

Und siehe da, das was überall sonst als Pornografie verboten wird,<br />

wurde in Ripplohs <strong>Film</strong> normal. Ein Einmalereignis. Die Behörden<br />

gaben den <strong>Film</strong> frei. Gedreht war er mit 100.000 DM ohne irgendein<br />

Fördermittel. Taxi to the Toilet sahen in New York 200.000 Besucher.<br />

Eingespielt hatte er allein dort eine Million Dollar. In Boston wurde er<br />

zum besten fremdsprachigen <strong>Film</strong> gekürt. In der BRD wurde er ebenfalls<br />

Kult. In den Kinos. Auf den Festivals (Hof, dann Saarbrücken mit<br />

dem renommierten Max-Ophüls-Preis). Aber weil das damals alles so<br />

war, bräuchte das heute nicht zu interessieren. Das Sensationelle ist<br />

doch, dass das, was <strong>Film</strong>-Einmalereignis der frühen achtziger Jahre<br />

war, auch heute funktioniert. Aus dem Stand. Jedenfalls bei mir.<br />

Mehr kann ich ja nicht sagen. Ich rede doch keinem etwas ein. Aber<br />

ich gönne allen die Fahrt mit dem Taxi zum Klo. s<br />

Taxi zum Klo<br />

von Frank Ripploh<br />

DE 1979, 91 Minuten, dt. OF<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart der Wiederaufführung: 4. November<br />

20 21<br />

kino


kino kino<br />

Der<br />

Fremdkörper<br />

von Paul schulz<br />

Nach „Parallel Sons“ und „Winter der Entscheidung“ erzählt<br />

John G. Young in „Wasser und Blut“ (Kinostart: 2. September)<br />

eine tragische Südstaatengeschichte. Schön. Traurig.<br />

s Die Messlatte ist fix gelegt, und zwar hoch. William Faulkner,<br />

Flannery O’Connor, James Baldwin. Das ganz große Fish-Out-Of-<br />

Water-Südstaaten-Drama soll Wasser und Blut sein. Der deutsche<br />

Titel des <strong>Film</strong>s spielt fein mit der Dickflüssigkeit und damit verbundenen<br />

Sprichwörtlichkeit beider Substanzen und fasst die (Wahl-)<br />

Familiengeschichte, die der <strong>Film</strong> auch ist, so gut zusammen. Leider<br />

verpasst er dabei die Anspielung des Originaltitels (Rivers wash over<br />

me) auf die Passionsgeschichte. So sind die Zuschauer nicht sofort<br />

darüber im Bilde, was da auf sie zurollt.<br />

Sequan ist schwarz, schwul und das, was man in seiner bisherigen<br />

New Yorker Heimat „artsy“ nennt: eine kleine Tunte mit großen<br />

Träumen, die sie in bunten T-Shirts und engen Hosen mit sich<br />

herumträgt. Nach dem Tod seiner Mutter muss er zu seiner Tante in<br />

den tiefsten Süden der USA in ein verschlafenes Kaff ziehen, in dem<br />

BiLDKrAFT<br />

nur drei Dinge wirklich zählen: der liebe Gott, Ruhe als erste Bürgerpflicht<br />

und Football. Sequan hat für nichts davon eine große Begabung,<br />

glaubt, seine Identität längst gefunden zu haben und will sich<br />

nicht anpassen.<br />

Das wird ihm zum Verhängnis. Wasser und Blut mutet seinem Publikum<br />

viel zu: Schläge, Vergewaltigung, Drogen, familiäre Kälte und<br />

ein großes, grausames Schweigen über alle Probleme der kleinstädtischen<br />

Gemeinschaft. Hält sich also an seine Vorgabe: Die Geschichte<br />

des Fremden, der in eine Gemeinschaft geworfen wird, die weder willens<br />

noch in der Lage ist, ihn aufzunehmen, und in der er an seiner<br />

Entfremdung und Einsamkeit zu Grunde geht, ist Grundlage vieler<br />

großer Romane und einiger <strong>Film</strong>e über den amerikanischen Süden.<br />

Allerdings ist Wasser und Blut explizit, wo Faulkner oder Baldwin ob<br />

ihres Produktionszeitraumes verschämt sein mussten: Sequans Problem<br />

ist seine Sexualität. Oder besser: sein Umgang damit. Denn es<br />

ist nicht so, dass es in seiner neuen Umgebung keine Schwulen gäbe.<br />

Einer davon ist Sequans Cousin, mit dem er ein Zimmer und bald auch<br />

das Bett teilt, allerdings nie freiwillig. „I can’t be a faggot. You are the<br />

faggot. You are my faggot, bitch“, fasst der Peiniger seine Sicht der<br />

Welt zusammen.<br />

Regisseur und Drehbuchautor John G. Young hat schon mit Parallel<br />

Sons und Winter der Entscheidung das amerikanische Independentkino<br />

um zwei spannende Beiträge über Identität bereichert.<br />

Und auch dort trafen schon weiße und schwarze Lebenswelten aufeinander.<br />

Das tun sie auch hier: Sequan trifft Lori, die weiße, reiche, ständig<br />

koksende Highschoolschlampe. Für sie ist es Freundschaft auf den<br />

ersten Blick, der Exil-New Yorker muss erst ein bisschen abwarten<br />

und schauen, bevor er bemerkt, dass hinter Loris katastrophaler Fassade<br />

und großem Mundwerk ein noch größeres Herz und ein scharfer<br />

Verstand stecken. Lori ist die vielleicht dankbarste Rolle im ganzen<br />

<strong>Film</strong>. Oder vielleicht ist Elizabeth Dennis auch nur die talentierteste<br />

Schauspielerin im gesamten, guten Ensemble. Sie ist jedenfalls diejenige,<br />

deren Bild hängenbleibt vor dem geistigen Auge: die fröhlich<br />

versoffene, dickere Schwester von Kirsten Dunst.<br />

Was ein Problem des <strong>Film</strong>s illustriert: Er ist niedlich, aber nicht<br />

100% stimmig besetzt. Man sieht den Hauptdarstellern Derrick L.<br />

Middleton und Aidan Schultz-Meyer sehr, sehr gern dabei zu, wie sie<br />

sich als Sequan und Loris kleiner Bruder Jake zart ineinander verlieben.<br />

Aber die großen emotionalen Bögen des <strong>Film</strong>s sind ab und an<br />

zu groß für die beiden Herren mit den großen Welpenaugen und den<br />

einander fremden Körpern. Da hätte John G. Young gut daran getan,<br />

fünf Jahre älter zu casten.<br />

Aber das ist auch egal. Denn entweder lässt man sich von dem<br />

emotionalen Sturm und Drang, den Wasser und Blut auffährt, mitreißen<br />

und sich von der simplen Digitalkamera-Ästhetik nicht stören.<br />

Oder man lehnt sich entspannt europäisch zurück und fängt an<br />

zu nörgeln. Was schade wäre. Denn Wasser und Blut ist ein wirklich<br />

guter, kleiner <strong>Film</strong>. Vielleicht nicht ganz Faulkner-Roman, aber eine<br />

hübsche, dunkle Kurzgeschichte des Meisters. s<br />

Wasser und Blut<br />

von John G. Young<br />

US 2009, 87 Minuten, OmU<br />

Bildkraft,www.bildkraft.biz<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 2. September<br />

Sorgepflichten<br />

von richard garay<br />

Thomas und Francisco lieben sich. Der eine ist der fünf Jahre älter Bruder des anderen. Das schwule inzest-<br />

Thema macht aus „From Beginning To End“ laut Verleih einen „Skandalfilm“. unser Autor fragt sich, worin<br />

genau der Skandal hier begründet ist. Alle anderen können sich das ab dem 11. November fragen, denn<br />

dann ist der <strong>Film</strong> im Kino zu sehen.<br />

s Ich gebe zu: Ich bin Einzelkind. Ich habe das nie erlebt, was es<br />

heißt, einen Bruder zu haben. Schon gar nicht, einen schwulen Bruder<br />

zu haben. Ich kann mir natürlich vorstellen: die besondere Nähe,<br />

die Ambivalenz zwischen Liebe, Fürsorge, Neid, Konkurrenz in den<br />

Gefühlen zum Anderen. Die Pubertät zu erleben auf engem körperlichen<br />

Raum mit einem anderen Jungen. Erfahrungen machen und<br />

austauschen. Und alles, was ich mir nicht vorstellen konnte, habe ich<br />

in „Just Above My Head“ von James Baldwin gelesen oder im Kurzfilm<br />

Starcrossed von James Burkhammer gesehen.<br />

Und jetzt kommen Thomas und Francisco, begleitet von einem<br />

realen oder aufgebauschten Skandal in Brasilien, von über einer Million<br />

Trailer-Klicks und einem verzögerten Kinostart. Und ich denke<br />

mir: ja, Thomas und Francisco. Warum auch nicht? In der 40. Minute<br />

dieses <strong>Film</strong>s haben die beiden gerade ihre Mutter zu Grabe getragen,<br />

stehen im Wohnzimmer der Designer-Wohnung vor einander und ziehen<br />

sich aus. Und gestehen sich anschließend im Bett, warum sie sich<br />

lieben. Und da geht alles durcheinander: Fürsorge, Bewunderung,<br />

Gewöhnung, Männlichkeitsideen und Unaussprechliches. Und mit<br />

einer gewaltigen Geste braust die Musik auf, wird das Orchester angeworfen,<br />

wie schon so oft und nicht zum letzten Mal in diesem <strong>Film</strong>.<br />

Regisseur Aluizio Abranches will nämlich: die große, gewaltige,<br />

unendliche, nicht zur Ruhe kommende Liebe erzählen, die Verschmelzung,<br />

das Eins-Werden, das Klein- und Bedeutungslos-Werden der<br />

Welt um zwei Menschen herum, from Beginning to End.<br />

Der Eine öffnet als Neugeborener erst die Augen, als der fünf<br />

Jahre Ältere vor ihm steht. Und wird auch sonst niemanden mehr<br />

ansehen. Der Ältere wird dem Vater die Sorgepflicht für den Bruder<br />

abnehmen. Und wird auch sonst niemand anderen sich mehr um ihn<br />

sorgen lassen, noch nicht mal den Bruder für sich selbst.<br />

Aber was ist das für eine Welt, die so bedeutungslos werden kann<br />

für zwei Brüder, die sich lieben? Es gibt zwei Väter, immerhin. Einer<br />

Pro-FuN MEDiA<br />

in Rio, also zuhause, der andere in Buenos Aires. Beide haben wenig zu<br />

melden, nur besorgt zu schauen. Und sich schließlich milde aus dem<br />

Staub zu machen. Es gibt eine Mutter, die ebenfalls besorgt schaut.<br />

Und aus Rücksichtnahme auf diese Mutter passiert der besorgniserregende<br />

Sex erst nach ihrem Tod. Es gibt eine Wohnung, hell, groß,<br />

weiß, teuer eingerichtet, mit Swimmingpool. Diese wird den Brüdern<br />

einfach überlassen, so dass sie zum Liebesspiel die vertraute Designercouch<br />

benutzen können. Es gibt andere – sehr wenige – Menschen<br />

in diesem <strong>Film</strong>: Ein Schwimmlehrer ist darunter, der eigentlich<br />

nicht gebraucht wird, weil der erfahrene Schwimmer Francisco<br />

dem Schwimmtalent Thomas schon alles beigebracht hat. Ein DJ, der<br />

Angst davor hat, seine Nachbarn mit seiner Musik zu belästigen. Ein<br />

Club mit hübschen weißen harmlosen netten jungen Menschen, eine<br />

Jeunesse dorée Rios, ohne Freaks, ohne Arme, ohne Schwarze. Aber<br />

selbst, als Thomas plötzlich für drei Jahre ins olympische Schwimmertrainingscamp<br />

nach Russland muss (wieso das eigentlich?), gibt<br />

es einfach nichts und niemanden, kein Stück Welt, das zwischen die<br />

beiden Brüder passt, die durch den <strong>Film</strong> strahlen, lächeln, tänzeln wie<br />

zwei Menschen, die seit zwanzig Jahren in jedem Moment frisch verliebt<br />

sind.<br />

Das ist alles ungeheuerlich. Nicht, weil es um schwulen „Inzest“<br />

geht (der ja aus bestimmten Gründen in der heterosexuellen Variante<br />

tabuisiert ist). Nicht, weil tatsächlich nackte Haut und wilde<br />

Küsse zu sehen sind, weil die Eltern Verständnis aufbringen und der<br />

<strong>Film</strong> nahe legt, dass das immer so weiter gehen wird wie nach dem<br />

Frischverlieben. Ungeheuerlich ist die filmische Zubereitung des<br />

Ganzen, die soziale und ästhetische Isolation des Geschehens, die<br />

Auflösung der Räume, Städte, der Zeit, der Konflikte – die sorgenfreie<br />

Dolce&Gabbana-Welt, in der sich hier zwei Männer ansehen<br />

und nichts anderes mehr sehen und sich berühren und nichts anderes<br />

mehr berühren. In einer Szene auf der Designercouch liest der Ältere<br />

dem Jüngeren eine obszöne Stelle aus einem Roman vor, es geht um<br />

ein Loblied auf den männlichen Arsch, und das in eindeutiger Absicht.<br />

Und dann sagt er „Bleib so!“ und geht kurz aus dem Bild und man kann<br />

sich nichts anderes vorstellen, als dass er nun das Gleitgel holt. Doch<br />

er holt zwei Gläser Champagner. s<br />

From Beginning To End<br />

von Aluizio Abranches<br />

BR 2009, 94 Minuten, dt. SF / OF<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 11. November<br />

22 23


kino<br />

Ozonschichten<br />

Uninteressiert an Menschen und ihren Problemen, oberflächlich, bourgeois, unbeständig,<br />

zynisch – die Zeit, als François Ozon als einer der wichtigsten Vertreter des europäischen<br />

Autorenkinos galt und sich die Kritiker gerne von seinen <strong>Film</strong>en verblüffen und<br />

herausfordern ließen, ist – so scheint es – vorbei. „Ein schlechter Witz“ hieß es über<br />

„Ricky“, „ein Aufguss eines handelsüblichen Heulers“ über „Angel“. Da Ozon aber neben<br />

Pedro Almodóvar der einzige Regisseur ist, der mit einer dezidiert queeren Position ein<br />

größeres, bürgerliches Publikum erreicht, möchte es sich die SISSY anlässlich des neuen<br />

<strong>Film</strong>s „Rückkehr ans Meer“ (Start: 9. September) nicht so einfach mit ihm machen.<br />

Also: drei Schwärmereien über François Ozon.<br />

ArSENAL<br />

1. Der Rollenspieler<br />

von Jana PaPenBroock<br />

„Natürlich zu sein ist eine so schwer aufrechtzuerhaltende Pose.“<br />

(Oscar Wilde, „Ein idealer Gatte“)<br />

s In „Notes On Camp“ (1964) unterscheidet Susan Sontag zwischen<br />

„naivem Camp“ und „bedachtem Camp“, um die unterschiedlichen<br />

Qualitäten von purem und gewissermaßen unschuldigem,<br />

ernst gemeintem Kitsch und dem vorsätzlichen „Camping“, also dem<br />

bewussten Parodieren von Kitsch, voneinander abzugrenzen. Was<br />

Ozon so vermeintlich problematisch bzw. schwer zu fassen macht, ist<br />

die Vermischung genau dieser eigentlich konträren Stile und Abstraktionsgrade.<br />

Von <strong>Film</strong> zu <strong>Film</strong> und manchmal in einem einzigen <strong>Film</strong><br />

wechselt der Gestus unaufhörlich von seriösem, genuin unironischem<br />

Kitsch, sowohl in der Charakterzeichnung seiner Figuren als auch in<br />

der zum Teil sehr überhöhten Dramaturgie, zum verspielten, bewusst<br />

inszenierten, postmodernen Zitat (wie die Tanzeinlage in Tropfen auf<br />

heiße Steine, oder die Musicaleinlagen in 8 Frauen). Manchmal sind<br />

seine <strong>Film</strong>e wiederum ganz schlichte, elliptisch elegant erzählte heterosexuelle<br />

Dramen (wie 5µ2), die mit präzisem und zärtlichem Blick<br />

vor allem auf die Frauenfiguren von den maßgeblichen Problemen der<br />

Liebesbeziehung erzählen.<br />

Wie Fassbinder oder Truffaut produziert Ozon seine <strong>Film</strong>e quasi<br />

ununterbrochen in einem rasanten Tempo, was sich sowohl in der<br />

immensen Quantität seines Œuvres äußert, als auch in der auffällig<br />

heterogenen Vielfalt an Stilen, Genres und auch Qualität seiner<br />

Werke. Wer so viele <strong>Film</strong>e macht, macht zwangsläufig einige Bessere<br />

und andere weniger Gelungene. Dieser schnelle Produktionsrhythmus,<br />

<strong>Film</strong>e eher skizzenhaft aus einem Wurf und einer Energie heraus<br />

zu machen, anstatt jahrelang an einem Werk mit akribisch ausdifferenziertem<br />

Plot und minutiöser Charakterentwicklung zu feilen,<br />

führt dazu, dass Ozons Figuren oft nur bürgerlichen Stereotypien<br />

entsprechen, die er jedoch immer durch ihre teils melodramatischen<br />

Erlebnisse, ihr konfliktgeladenes und kontrastreiches Aufeinandertreffen<br />

oder ihre ausgesprochen freie und unverklemmte Sexualität<br />

aufbricht und wiederum teils ins Absurd-Groteske oder Überzeichnet-Stilisierte<br />

verkehrt.<br />

Seine oftmals künstlichen Plots reichen von skurril-unwirklichem,<br />

stilistischem Perfektionismus, der an Douglas Sirk erinnert,<br />

bis zum anderen Extrem des eher „hässlichen“, anti-stilisierten, sozialrealistischen<br />

Stils eines Eric Rohmer, bei dem er in Paris studierte,<br />

der vor allem über die Begegnung gegensätzlicher Charaktere, ihre<br />

Gespräche und Lügen über Lebensentwürfe und -moral die „allzumenschlichen“<br />

Prämissen gesellschaftlicher Verhältnisse und Rollenbilder<br />

mit einem großzügig zwinkernden Auge entlarvt.<br />

Eines ist freilich allen <strong>Film</strong>en, vom verführerisch-glatten Swimming<br />

Pool bis hin zum flüchtig-leichten Kurzfilm Das Sommerkleid<br />

gemein: Alle seine <strong>Film</strong>e handeln von Liebenden, vom performativen<br />

Spiel vermeintlicher Identität und ihrem Scheitern an derselben,<br />

von der Artifizialität aller nominell natürlichen Posen und Verhältnisse,<br />

die die Figuren immer neu für sich herausfinden müssen. Ozon<br />

vermag mit einer Leichtigkeit von einem emotionalen Extrem zum<br />

nächsten zu springen und noch einen drauf zu setzen, er ist furchtlos<br />

vor diskontinuierlichen Stilen und zelebriert mit geradezu kindlicher<br />

Liebe die Aufführung und das frontale Theater.<br />

Man mag Ozon ein rein oberflächliches, kultisches und apolitisches<br />

Verhältnis zum <strong>Film</strong> und zu seinen Stars vorwerfen. Wer das<br />

tut übersieht jedoch, dass hinter dem stilisierten Exzess seiner Musicaleinlagen,<br />

seiner manchmal holzschnittartigen, physisch perfekt<br />

modellierten Schauspieler und seinem frivolen Camping immer eine<br />

Kritik heterosexueller Vorrechte und Anmaßungen liegt, ein ironi-<br />

scher Spott über eine für wahr gehaltene, eindeutige sexuelle Identität<br />

und die Wahrnehmung des „seriösen“, gesellschaftlichen Lebens<br />

als Theaterspektakel. Sein entspricht bei Ozon Rollenspielen, Realität<br />

zeigt sich als Erscheinung, Wahrheit ist nichts als ein Stil und Charakter<br />

eher die Wiederholung imitierter Personifikationen. In diesem<br />

Sinne ist Ozon also ganz und gar anti-essentialistisch ein positiver<br />

Materialist.<br />

Seine Figuren tragen ihre affektiven Intensitäten vor sich her, die<br />

sie eher aufführen und symbolisch repräsentieren, als psychologisierend<br />

zu internalisieren. Sie spielen, probieren sich aus, gehen Risiken<br />

ein und geben sich stets leidenschaftlich hin. Es gibt kaum einen Regisseur,<br />

der so direkt und schön Paare beim Sex filmen kann wie Ozon.<br />

Ob man seinen hybriden Stilmix nun als Pansch abwertet oder<br />

facettenreich lobt, bleibt dem Zuschauer selbst überlassen.<br />

Sein fester Platz in der Kinogeschichte und Repräsentanz queerer<br />

und nicht-queerer Liebender ist gleichwohl unbestritten. s<br />

2. wie die welt (wirklich)<br />

(auch) (nicht) ist.<br />

von andré wendler<br />

s Il est different. Er ist anders, heißt es einmal in François Ozons<br />

Ricky über das gleichnamige Vorstadt-Kind mit den Vogelflügeln.<br />

Anders ist auch die Protagonistin aus Angel, die mit einem Wimpernschlag<br />

von der Krämertochter zur gefeierten Bestsellerautorin wird.<br />

Beide <strong>Film</strong>e gehören zusammen, weil in ihnen die Enden des Chiasmus<br />

verkörpert sind, um den sich vielleicht alle <strong>Film</strong>e Ozons drehen.<br />

Während Angel von der unwahrscheinlichen Kraft der Imagination<br />

handelt, sich die Wirklichkeit völlig zu unterwerfen und sie schließlich<br />

sogar zu verändern, lässt Ricky mitten in der sauersten Realität aus<br />

Fließband und Sozialwohnung ein märchenhaftes Wesen erscheinen.<br />

1. Angel Deverell schreibt offenbar die schlimmsten Kitschromane,<br />

an die sich überhaupt denken lässt. Mehr als ein paar cheesy<br />

Fragmente bekommen wir davon allerdings nicht zu hören: „Er<br />

küsste ihre heißen Lippen im Licht der Sonne, die im brodelnden<br />

Meer versank.“ Wir wissen nur, dass Angel mit diesem klebrigen Zeug<br />

so berühmt wird, dass sie sich ein Haus kaufen kann, das direkt aus<br />

diesen ihren Fiktionen zu stammen scheint: Paradise House ist eine<br />

groteske Mischung aus Xanadu und Manderlay, vollgestopft mit den<br />

unsäglichsten Dekorationen, historistischem Kunstkitsch, pferdegroßen<br />

Hunden und was noch alles hier hin gehört. Angel durchwandert<br />

diesen wahr gewordenen Traum mit absurden Kleidern, Hüten mit<br />

ganzen ausgestopften Vögeln darauf, Mänteln in den wahnsinnigsten<br />

Farb- und Stoffkombinationen. Ich mochte es selbst kaum glauben,<br />

mit welch absurder Faszination ich Ozons Bilder dieser unsäglichen<br />

Geschmacklosigkeiten anstarren musste. Man kann nicht<br />

wegschauen, ebensowenig wie die Leser_innen Deverells von ihren<br />

Büchern lassen können. Deverell ist camp, die Bilder tropfen vor Ironie,<br />

aber man muss sie so ernst nehmen, wie Angel selbst ihre imaginierte<br />

Welt nimmt, die ausdrücklich ihrer Fantasie entstammt und<br />

eben nicht nach der Wirklichkeit geformt ist.<br />

2. Ricky verfährt genau anders herum: Eine fast schon hyperrealistische<br />

Welt, wie wir sie aus den <strong>Film</strong>en etwa der Dardennes<br />

kennen, wird plötzlich zum Ort wuchernder Fantasmen. Das neugeborene<br />

Baby ist das erste Mal beim Abendessen der Familie dabei<br />

und seine Schwester wünscht sich vom Hühnchen, das auf dem Tisch<br />

steht, die Flügel, beißt herzhaft hinein und kaut schmatzend und mit<br />

Blick auf ihren kleinen Bruder auf dem Vogelflügel herum. Kurz darauf<br />

bekommt der Bruder selbst welche. Oder: Der Vater des Kleinen<br />

ist stark behaart, was die Mutter besonders sexy, weil animalisch fin-<br />

24 25<br />

kino


kino<br />

det. Was soll da nur für ein Kind herauskommen? All das entwickelt<br />

mitten in dieser etwas trostlosen Arbeitersiedlung eine faszinierende<br />

Plausibilität, der man sich kaum entziehen kann. Die Welt als Wunsch<br />

und Vorstellung und nicht als moralische Lehranstalt.<br />

3. Beide <strong>Film</strong>e haben etwas zauberhaft Leichtes, Unbeschwertes.<br />

Vielleicht kommt das von ihrer Faszination für ihre Oberflächen, in<br />

deren Zeichen sie bereitwillig und lustvoll ihrer Substanz entleert<br />

werden. In Angel beispielsweise bleibt der Inhalt der Romane Angel<br />

Deverells unbestimmt. Wir wissen nicht genau, worum es in ihren<br />

Büchern geht, werden nur mit wenigen Details gefüttert, die gerade<br />

genügen, um deren Charakter zu erraten. Der <strong>Film</strong> kreist um diese<br />

letztlich leeren Bücher und lässt von ihnen nur eins übrig: ihren<br />

Stil, ihren Charakter, ihre Poetik, ihre Machart. Und Ricky, der als<br />

inhaltsschweres Sozialdrama beginnt, hat irgendwann nur noch das<br />

Problem, was mit einem Kind zu machen ist, das Flügel hat.<br />

4. Ozons <strong>Film</strong>e, und zwar nicht nur Ricky und Angel, ließen sich<br />

nun leicht allegorisch lesen: Kinder, die flügge werden, die Einholung<br />

eskapistischer Literatur durch die Realität usw. Durch ihr Insistieren<br />

auf einem letztlich leeren Zentrum führen die <strong>Film</strong>e aber alle solche<br />

Interpretation an der Nase herum. Vielleicht wäre es vor dem Hintergrund<br />

solcher Entsubstantialisierungen einmal möglich, Ozon als<br />

queeren <strong>Film</strong>emacher zu bezeichnen, der nicht Identitäten sucht,<br />

sondern deren Bedingungen dekonstruiert. s<br />

3. Rückkehr ans meer<br />

von Michael eckhardt<br />

s Ja, man kann sie schon wieder anschwellen hören, all die schrillen<br />

Stimmen jener nostalgischen Kläger und unilateralen Geschmackspolizisten,<br />

die sich immer dann erheben, wenn François Ozon, das<br />

einstige Wunderkind des französischen Kinos, sich anschickt, genau<br />

den <strong>Film</strong> zu drehen, den sie so mal wieder nicht erwartet haben. Die<br />

einen meinen träge, Ozon habe doch gefälligst bei seinen Wurzeln<br />

zu bleiben und in Dauerschleife Blutig-Sexualisiertes à la Sitcom und<br />

Schwül-Schräges im Geiste von Tropfen auf heiße Steine zu drehen.<br />

Die anderen wiederum fordern dreist den Ozonschen Purismus, den<br />

er in Unter dem Sand und Die Zeit die bleibt offerierte. Unisono wurde<br />

genörgelt, als plötzlich in Angel – von den meisten Abtrünnigen unerkannt<br />

augenzwinkernd – die Roben rauschten, und in Ricky einem<br />

Baby spontan Flügel wuchsen. Ja, die Ansprüche an Ozon, gerade<br />

durch die filmbeschreibende Zunft, sind keine geringen, genauer<br />

betrachtet sind sie ziemlich grober Unfug. Und für Ozon selbst nicht<br />

von großem Interesse. Er dreht allen Festgefahrenen eine Nase, denn<br />

macht er doch einfach, was er will. Genau so sieht dann immer sein<br />

nächster <strong>Film</strong> aus, und erfreut damit all jene, die nur eine Erwartung<br />

an Ozon haben: vom spielfreudigsten <strong>Film</strong>emacher der Gegenwart<br />

das Unerwartete zu bekommen. Man kann es nicht genug goutieren,<br />

dass es eben genau die erzählerische Diversität in Ozons Œuvre ist,<br />

die ohne Abrieb anhaltend fasziniert, und dass sich diese formale<br />

und inhaltliche Vielfalt dennoch in einer erkennbaren Handschrift<br />

bündelt. Klingt widersprüchlich? Quatsch, man muss einfach Ozons<br />

<strong>Film</strong>e sehen – immer wieder. Diesen hier zum Beispiel. Der ist beim<br />

ersten Mal schon sehr gut, beim zweiten Mal bricht er einem fast das<br />

Herz. Und zur Ergänzung für Erbsenzähler und Schubladenfetischisten<br />

– ja, Rückkehr ans Meer ließe sich eher an die Seite der stilleren<br />

Werke Ozons stellen.<br />

Louis und Mousse – das klingt reiner, als es ist. Die Wohnung, in<br />

der beide leben, ist barock, liegt an der Seine, in den großen Fenstern<br />

spiegelt sich der nächtliche Fluss geradezu spielerisch. Doch hinter<br />

dem Glas, da kriecht der Dreck. Da wohnt die Sucht. Da liegt ein kümmerliches<br />

Bündel vor Schmerz gekrümmt auf den zerwühlten Laken<br />

– Mousse. Da empfängt einer halbnackt und ungeduldig den Boten<br />

kurzen Glücks – Louis. Und Licht kommt erst durch die Fenster, wenn<br />

das Heroin zu wirken beginnt, und wenn sich für Louis das Tor ganz<br />

weit öffnet. Seine Mutter findet den Jungen bizarr kniend, starren<br />

Blickes und mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden der prächtigen<br />

Wohnung, Mousse aber kann gerettet werden. Allein dieser Moment,<br />

der „nur“ Auftakt zur eigentlichen Geschichte ist, gelingt Ozon zum<br />

großen „Chant de douleur“, da er in wenigen Pinselstrichen Schicksale,<br />

Milieus, Lebenshaltungen und dann – gottlob – Zukünftiges<br />

skizziert. Unglaublich! Diese ruhig inszenierten, traurigen Momente<br />

ArSENAL<br />

Alle Bilder aus „Rückkehr ans Meer“.<br />

zu Beginn stellen Ende und Anfang gegenüber: Mousses Rettung ist der Neuanfang, für das<br />

Ende steht die Kälte von Louis verbitterter, wohlhabender Mutter, die derart beherrscht dem<br />

Heraustragen des Leichnams ihres leiblichen Kindes beiwohnt, dass man kotzen möchte.<br />

Diese Frau trickst mit Resolution und hat dabei jede Kontrolle längst verloren. Ozon will<br />

sie vergessen, zu Recht, und schaut zur nun auf sich gestellten Mousse – hin zu ihr und dem<br />

Kind in ihrem Bauch. Das wachsende Baby ist für die strengstens auf den Ruf bedachte Familie<br />

Louis’ nur eine „Angelegenheit“, um die sich ein vertrauter Arzt kümmern werde. Doch<br />

Mousse geht weg, unangekündigt, weg vom Pariser Krach in eine ländliche Stille. Sie braucht<br />

endlich Licht. Sie braucht Ruhe. Deswegen fühlt sie sich auch gestört, als sie einige Monate<br />

später Besuch bekommt – von Paul, Louis’ schwulem Bruder. Schlichtweg faszinierend, wie<br />

Ozon diese Ablehnung vorerst in Neugier und schließlich in tiefe Zuneigung transferiert, wie<br />

es ihm gelingt, Ort und Zeit tatsächlich zu lebensnotwendigen Paradigmen zweier sich neu<br />

Findender zu machen. Und diese Reise ans Meer ist natürlich auch für Ozon eine Rückkehr,<br />

filmt doch keiner wie er den Strand. Und da darf man tatsächlich Parallelen ziehen – der trügerische<br />

Postkartensonnenuntergang in 5µ2, die böse atlantische Pracht in Unter dem Sand<br />

oder die Kindheitsspiegelungen am Meer in Die Zeit die bleibt. Aus letzterem „kopiert“ Ozon<br />

ein sehr schönes Bild, wenn er jetzt in einer Szene Paul sich neben Louis schweigend ins Bett<br />

legen und sie sich anschauen lässt, so wie einst Romain sich selbst als kindlicher Lockenkopf<br />

begegnete. Das rührt unheimlich an, weil es viel über den brüderlichen Verlust erzählt, und<br />

weil Ozon mit diesem Kniff eine ganz neue erzählerische Reife beweist, die ihm bestens steht.<br />

Ozons Rückkehr ans Meer stellt mit Mousse und Paul ganz bewusst zwei so konträre Figuren<br />

gegenüber, denn so ist es regelrecht schön zu sehen, wie Grenzen, Neigungen und Zukunftspläne<br />

verwischen. Trotz aller Unterschiede in der Lebensweise verbindet Paul und Mousse<br />

sehr viel, deswegen ist Rückkehr ans Meer auch eine Geschichte über fehlende Liebe, schmerzlichen<br />

Verlust und nicht zuletzt über das Bewusstsein, dass wir alle in bestimmten Lebensphasen<br />

allein sind – und manchmal allein sein müssen. Und da Ozon den harten Schnitt mag,<br />

passt das – auf den flüchtigen Gedanken – doch sehr krasse Ende erst einmal sehr gut. Denn<br />

wenn man ganz genau in Mousses Gesicht schaut, wenn man Paul beobachtet, wie er das Neugeborene<br />

in seinen großen Händen hält, dann weiß man, dass es auch ein sehr erwachsener<br />

und durchaus mit Hoffnung verbundener Schluss ist. s<br />

<strong>Film</strong>ografie François Ozon<br />

Kurzfilme: das Sommerkleid, der<br />

kleine Tod, Besuch am Meer (1996–<br />

1997, dVd edition Salzgeber)<br />

Sitcom (1998, dVd Pro-Fun Media)<br />

criminal Lovers (1999,<br />

dVd alamode/alive)<br />

Tropfen auf heiße Steine (2000,<br />

dVd Pro-Fun Media)<br />

Unter dem Sand (2000,<br />

dVd alamode/alive)<br />

8 Frauen (2002, dVd Universum)<br />

Swimming Pool (2003, dVd highlight)<br />

5∞2 (2004, dVd Paramount)<br />

die Zeit die bleibt (2005, dVd Paramount)<br />

angel (2007, dVd concorde)<br />

ricky (2009, dVd concorde)<br />

rückkehr ans Meer (2009)<br />

Potiche (2010, abgedreht)<br />

ArSENAL<br />

Rückkehr ans Meer<br />

von François Ozon<br />

FR 2009, 90 Minuten, dt. SF / OmU<br />

Arsenal, www.arsenalfilm.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 9. September<br />

26 27<br />

kino


kino<br />

Augenblicksraum<br />

von Jan küneMund<br />

in „orly“, dem neuen <strong>Film</strong> von Angela Schanelec (Kinostart 21. oktober), fängt die Kamera Flirts von<br />

Menschen ein, die in einer öffentlichen Wartesituation gefangen sind. Ein Cruising besonderer Art, das sich<br />

auch auf die filmische Form überträgt.<br />

s Der öffentliche Raum ist grundsätzlich sexualisiert und seine<br />

Bewohner notwendigerweise Voyeure, behauptet der Stadtsoziologe<br />

Henning Bech. Denn dort gewinne das Spiel der Blicke gerade in der<br />

Grenzenlosigkeit des visuellen Angebots und im Bewusstsein, selbst<br />

beobachtet zu werden, einen erotischen Reiz. Sich „einem Raum zu<br />

überlassen, ohne zu wissen, was er mit einem macht“, so beschreibt<br />

Angela Schanelec das, was mit ihren Figuren in Orly passiert. In der<br />

räumlich gefassten Bewegung von Fremden wird dabei ein Rausch<br />

der Potentialität inszeniert, in dem sich Blicke und Geschichten,<br />

aber keine Identitäten ineinander verhaken.<br />

Ein Junge wartet mit seiner Mutter im Flughafencafé. Er geht zur<br />

Theke, bestellt etwas, bezahlt. Der junge Kellner bedient ihn professionell,<br />

sie wechseln kaum einen Blick. Die Kamera registriert das aus<br />

großer Entfernung. Der handlungsfixierte Kinozuschauer ist geneigt,<br />

nur flüchtig zuzuschauen, so alltäglich und belanglos ist die Aktion.<br />

Wenig später, der Junge ist als Handlungsträger des <strong>Film</strong>s etabliert,<br />

kommt der Kellner an seinen Tisch, fragt „darf ich?“ und räumt ab.<br />

Und plötzlich: ein Blick. Ein Ansehen, ein verlegenes Wegsehen, ein<br />

interessiertes Hinterhersehen. Und aus der Distanz, der Kellner ist<br />

längst wieder hinter dem Tresen angelangt, fängt die Kamera zwei<br />

lange Blicke auf. Vom Kellner, dann vom Jungen. Als der Junge mit<br />

seiner Mutter das Café verlässt, sieht er sich nicht noch einmal nach<br />

dem Kellner um. Und viel später läuft eine ganz andere Figur des<br />

<strong>Film</strong>s, die ihrerseits in einem erotischen Blickflirt gefangen ist, an<br />

dem Kellner vorbei, für den das Spiel der Blicke vorbei ist. Erotisch<br />

aufgeladen ist dieses Spiel nicht nur durch die Flirts der Flughafengäste<br />

– es ist auch aufgeladen durch den Blick der Kamera, die sich<br />

von weit weg als Voyeur betätigt, aus der Bewegung vieler Menschen<br />

einzelne herausschält, ihnen ein Begehren gibt und dieses im Verlauf<br />

des <strong>Film</strong>s lebendig hält. Schanelec hat beschrieben, dass die Schauspieler<br />

sich oft gar nicht von der Kamera beobachtet fühlten, weil<br />

diese viel zu weit weg war.<br />

Cruising ist eine subkulturelle Strategie, sich einen Raum anzuverwandeln,<br />

der eigentlich eine andere Funktion erfüllt. Insofern<br />

sind die erotischen Absichten nur für Menschen mit ähnlichen<br />

Absichten lesbar. In diesem Spiel zählen keine Identitäten. Im<br />

Gegenteil: Identitäten sind hinderlich, weil sie sich sichtbar und lesbar<br />

machen wollen. Das Outing, das in diesem <strong>Film</strong> passiert, wird<br />

damit zur Ungeheuerlichkeit, denn da bringt jemand plötzlich, in<br />

einem Raum der flüchtigen Begegnungen, seine gesamte Identität<br />

ins Spiel. Schanelec inszeniert das als verzweifelte Tat: Mutter und<br />

Sohn, die sich niemals ausgesprochene Dinge erzählen, obwohl schon<br />

jede banale Aussage zwischen ihnen missverstanden wird, Konflikte<br />

provoziert, ins Leere läuft. Ihr Gespräch ist wie das zweier Fremder,<br />

die sich die schlimmsten Dinge sagen können, weil sie außerhalb<br />

dieses Raums keine Konsequenzen zu befürchten haben. Noch verzweifelter<br />

wirkt ein Zufallsbekanntschaftspaar, dass sich die ganze<br />

Lebensgeschichte erzählt, Kinderfotos zückt, die wichtigen, identi-<br />

PiFFL MEDiEN (2)<br />

Orly<br />

von Angela Schanelec<br />

DE/FR 2010, 84 Minuten, dt./frz. OF, dt. UT<br />

Piffl Medien,www.piffl-medien.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 21. Oktober<br />

tätsstiftenden Momente markiert, im Reisesetting vom Zuhausesein<br />

schwärmt und am Ende versucht, sich für das weitere Leben zu verabreden.<br />

Hier bleibt der <strong>Film</strong> statisch, die Szenen sind dialoglastig,<br />

wenn auch gut gespielt.<br />

Der Cruising-Entwurf dazu, der sich notwendigerweise ganz<br />

anders, filmischer, auflöst, dessen Poesie nur im <strong>Film</strong> zustande<br />

kommt, sieht so aus: Ein junges Backpackerpaar wartet, sie schickt<br />

ihn los, um noch etwas einzukaufen. An der Kasse steht er hinter<br />

einer schönen Frau. Als sie sich umsieht, fängt sie seinen Blick auf.<br />

Musik setzt ein (die einzige in diesem <strong>Film</strong>): Cat Power, Remember<br />

Me. Und während diese „We are only here / just for a little while“<br />

singt, fängt ein Spiel an aus Hinterhersehen, Innehalten, Verfolgen,<br />

Überholen, aus Unbeteiligt-Tun und Heimlich-Anstarren, während<br />

die Kamera von weit weg das Schauspiel verfolgt. Als der junge<br />

Mann wieder bei seiner Freundin ist, wird die Musik nicht ausgeblendet,<br />

auch nicht, als die Freundin schon mit ihm spricht. Obwohl<br />

sie nebeneinander sitzen, zieht die Kamera sie scharf, ihn unscharf.<br />

In diesem magischen Moment, der auf seinem Flirt beharrt, ist etwas<br />

zwischen zwei Menschen passiert, das keine Konsequenzen hat, in<br />

diesem <strong>Film</strong> aber alles bedeutet. Ob sie diesen <strong>Film</strong> „gebaut“ habe,<br />

als „Architektin“, wurde Angela Schanelec gefragt. Sie antwortete:<br />

„Nein, ich gucke ja nur.“ Naja. s<br />

28 29<br />

kino<br />

Jetzt auf DVD! www.salzgeber.de


kino<br />

haut aus blicken<br />

von gunther geltinger<br />

in der fast schon untergegangenen Welt des Hafenviertels von Genua hat sich die Liebesgeschichte<br />

von Enzo und der Transsexuellen Mary ereignet. Pietro Marcello hat aus dem ort und der Liebe einen<br />

außergewöhnlichen Dokumentarfilm gewebt, der auf der letzten Berlinale sowohl den Teddy als auch den<br />

Caligari-<strong>Film</strong>preis erhielt und ab dem 21. oktober in den deutschen Kinos zu sehen sein wird. unser Autor<br />

wurde von diesem <strong>Film</strong> in einen tagelangen rausch der Bilder und Gedanken versetzt.<br />

s Ein Schiff sticht ins Meer. Langsam bewegt es sich vom rechten<br />

zum linken Bildrand, aus dem Hafen von Genua hin zum Horizont<br />

und dem Ende des Sichtbaren. Der Blick des Wissens geht, entlang der<br />

Schrift, in Europa von links nach rechts, der Blick der Sehnsucht aber<br />

ist auf diesem ersten <strong>Film</strong>bild ein gegenläufiger, der über das Meer nach<br />

Süden schweift, über Inseln hinweg und nach Arabien, wo die Perspektive<br />

auf Europa eine andere, entgegengesetzte ist, und sich Geschichte<br />

– und ihre Geschichten – von rechts nach links festschreiben.<br />

In Genua, an der Mündung, la bocca, der Flüsse Polcevera und<br />

Bisagno, führen seit jeher die Wege vom Norden ins Meer und aus dem<br />

Meer die Flüsse hinauf über die Alpen. Am Fuß der Berge drängt die<br />

uralte Stadt ans Wasser, ein poröser Schwellenkörper aus geschichteter<br />

Zeit. An der Grenze seiner Haut wachen die Fischer in ihren Höh-<br />

len über das Kommen und Gehen der Schiffbrüchigen, machen ein<br />

Feuer und blicken aufs Meer, wo auf dem nächsten Bild, einer Archivaufnahme,<br />

junge Menschen von einem Sprungbrett federn, Körper<br />

aus Licht, die im Wasser verlöschen.<br />

Auch Enzo ist ein Gestrandeter, der als Kind von Sizilien heraufgekommen<br />

ist und mit seinem Vater Zigaretten verkauft hat. Andere<br />

illegale Geschäfte haben ihn bald in den Knast und dort zur Liebe<br />

seines Lebens gebracht, der damals heroinsüchtigen Transsexuellen<br />

Mary, die ihm für ein paar Zigaretten die Hosen säumte. Sie hat<br />

sich sofort verliebt, sagt sie, in diesen Jungen im Körper eines Riesen.<br />

Zwanzig Jahre später knüpfen sie noch immer gemeinsam ihre<br />

Träume, in Briefen und auf Tonbändern, die sie sich hin und her schicken,<br />

sie aus dem Wartesaal des Lebens ins Gefängnis, er aus dem<br />

ArSENAL DiSTriBuTioN<br />

Gefängnis hinaus in die Welt, die auch ein Gefängnis ist, nur größer<br />

und voller Möglichkeiten, die aber nie Wege, immer schon Versäumnisse<br />

gewesen sind. Wenigstens einen Traum, den bescheidenen,<br />

fast bürgerlichen von einem Haus mit Hund und Garten, werden die<br />

beiden im <strong>Film</strong> noch verwirklichen, doch Mary wird es bedauern,<br />

dass Enzo kein Schauspieler geworden ist, mit diesem Gesicht, dem<br />

Gesicht des Camorra-Paten schlechthin, das Al Pacino und Robert de<br />

Niro wie nette Schwiegersöhne aussehen lässt.<br />

Die Chance versinkt in einer Collage aus <strong>Film</strong>plakaten von alten<br />

Gangsterfilmen, verraucht in einer von Enzos zahllosen Schießereien.<br />

Es bleiben die patrouillierenden Ordnungshüter und Huren,<br />

das Sirenengeheul im Hafenviertel, Menschen irren von links nach<br />

rechts und rechts nach links. Hindurch gräbt sich die Liebe von Mary<br />

und Enzo, von der beide stets in der Vergangenheit sprechen, als wäre<br />

sie bereits eine der Legenden, die das Meer unentwegt an Land spült.<br />

Denn schon auf dem nächsten Bild stößt die Abrisszange eines Baggers<br />

wie die allmächtige Hand der Geschichtsschreibung in die Ablagerungen<br />

von Gewusstem und Geträumtem, reißt willkürlich etwas<br />

heraus, wälzt es um und trägt es schließlich davon wie eine Trophäe:<br />

ein altes Eisen, eine Bahnschiene, über die, auf einer anderen<br />

Archiv aufnahme, mit Geröll beladene Loren rattern, ein junger Mann<br />

springt auf den Zug, einer, der die Weiche gestellt hat und weiter will.<br />

Wohin, weiß nur das Meer.<br />

Steine rutschen ins Wasser, Mauern stürzen ein, in der gleichen<br />

Bewegung, mit der eine Welle an den Kai rollt und Wolken – oder ist<br />

es Asche? – über Ruinen ziehen. Trotz der rhythmischen, fast tänzerischen<br />

Montage tobt die Zeit wie eine Sturmflut durch die inszenierten,<br />

dokumentarischen und historischen Räume des <strong>Film</strong>s, verwüstet das<br />

Leben von Mary und Enzo, kaum, dass die Erzählung es herausgeschält<br />

hat aus den tiefen Schichtungen von Material, Mensch und Meer.<br />

Pietro Marcello, der an der Accademia di Belle Arti in Neapel,<br />

Genuas Spiegelstadt im Süden, studiert hat, erhielt bei der diesjährigen<br />

Berlinale den Teddy Award für den besten Dokumentarfilm. Doch<br />

La bocca del lupo, „Der Wolfsmund“, wie auch ein Roman des Genueser<br />

Schriftstellers Gaspare Invrea von 1892 heißt, ist weit mehr als ein<br />

Dokumentarfilm. Er ist, was Kino in seinen besten und magischsten<br />

Momenten sein kann, im kinetischsten, also bewegtesten und bewegendsten<br />

Sinne, und darüber hinaus eine verstörend schöne Elegie<br />

auf das Vergessen und eine Liebeserklärung an eine beinahe untergegangene<br />

Stadt.<br />

Zum Schluss, in ihrem Haus mit Hund und Garten, hoch über<br />

dem Hafen von Genua und der Wolkendecke nahe wie einer weiteren<br />

Ebene ihres Traumes, sitzen Mary und Enzo am Feuer wie zu Beginn<br />

des <strong>Film</strong>s die Fischer. Doch sie wissen, dass sie auch hier im aufgerissenen<br />

Wolfsrachen leben, am Rande der Existenz und mitten im<br />

Kollaps der Zivilisationen, der am Ende alle Bilder verschlingt. Ob<br />

man sich gegenseitig beherrscht oder sich nur sehr gut kennt, ist die<br />

letzte Frage, die das Paar an seine Liebe stellt. Sie schallt aufs Meer<br />

hinaus, durch beider Vergangenheiten in die Gegenwart dieses <strong>Film</strong>s,<br />

in unsere eigene Zukunft, und weiter. Was bleibt, sind Spuren der<br />

Erinnerung und Schatten, die sich auflösen, wie der Fischer in seiner<br />

Höhle sagt. Was bleibt, sind die Wellen auf dem Meer wie eine Haut<br />

aus Blicken. s<br />

La bocca del lupo<br />

von Pietro Marcello<br />

IT 2009, 75 Minuten, OmU<br />

Arsenal Distribution, www.arsenal-berlin.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 21. Oktober<br />

30 31<br />

kino


kino<br />

AlleS iN<br />

ORDNuNg<br />

interview: Patrick heidMann<br />

Seit ihrem ersten Spielfilm „High Art“ (1997) ist Lisa Cholodenko eine feste Größe im uS-independent-<br />

Kino. Nach der prominent besetzten Vierecks-Familien-Geschichte „Laurel Canyon“ (2002) legt die<br />

regisseurin, die zwischendurch auch Folgen für TV-Serien wie „Six Feet under“ oder „The L-Word“<br />

realisierte, nun ihre bislang populärste Arbeit vor: „The Kids Are All right“, mit Julianne Moore und Annette<br />

Bening als lesbischem Paar, dessen Kinder sich auf die Suche nach ihrem Vater macht, lief mit Erfolg auf<br />

der diesjährigen Berlinale, gewann den Spielfilm-Teddy, entpuppte sich als einer der überraschungshits<br />

im amerikanischen Kino-Sommer und kommt am 18. November auch auf die deutschen Leinwände.<br />

Mit der SiSSY sprach Cholodenko unter anderem über ihre eigene Kindheit, Schwulenpornos und die<br />

familienpolitische rückständigkeit der uSA.<br />

sissy: Erzählt „The Kids Are All Right“ eigentlich etwas Neues?<br />

Lisa Cholodenko: Und ob! Und es ist eine echte Erleichterung, dass<br />

mir das überhaupt gelungen ist. Während ich das Drehbuch schrieb,<br />

staunte ich selbst oft, wie toll und zeitgemäß unsere Geschichte war –<br />

und dass noch niemand vorher etwas Ähnliches erzählt hatte. Immerhin<br />

ist die amerikanische Presse in den letzten Jahren voll gewesen<br />

von Geschichten über die Homo-Ehe oder Kinder, die nach ihren<br />

Samenspender-Vätern suchen. Bis zum Schluss hatte ich die Sorge,<br />

jemand könnte uns das Thema vor der Nase wegschnappen.<br />

Teilten denn alle Ihre Begeisterung? Standen die Geldgeber Schlange?<br />

Natürlich nicht. Im Gegenteil, und ich war wirklich überrascht, wie<br />

schwer es letztlich war, den <strong>Film</strong> auf die Beine zu stellen. Aus irgendwelchen<br />

Gründen war ich davon ausgegangen, wir würden mit einer<br />

derart modernen Geschichte offene Türen einrennen, zumal wir das<br />

Thema ja nicht von einer politischen oder kontroversen Seite angehen,<br />

sondern sehr das Komödiantische und Menschliche in den Vordergrund<br />

rücken. Aber selbst, als wir unsere prominente Besetzung<br />

zusammen hatten, waren noch nicht alle Produzenten überzeugt und<br />

ich brauchte mehrere Jahre, bis alles unter Dach und Fach war.<br />

Wie früh kamen Julianne Moore und Annette Bening denn ins Spiel?<br />

Julie war schon sehr früh mit an Bord. Wir hatten schon vor Jahren<br />

mal darüber gesprochen zusammenzuarbeiten und so hatte ich sie<br />

bereits im Hinterkopf, als ich die Geschichte schrieb. Als ich meinen<br />

Sohn bekam, nahm erst einmal eine kleine Auszeit, feilte weiter am<br />

Drehbuch und es wurde immer pointierter. So kam ich auf Annette,<br />

denn für mich gibt es wenige Schauspielerinnen, die Drama und<br />

Komödie so gut miteinander vereinen können wie sie.<br />

Haben Sie vorher ausprobiert, ob zwischen den beiden überhaupt die<br />

Chemie stimmt?<br />

Dafür fehlten mir, ehrlich gesagt, die Zeit und das Geld. Den Luxus,<br />

tagelang Probeaufnahmen mit Julianne und zehn verschiedenen Kolleginnen<br />

zu machen, konnte ich mir einfach nicht erlauben. Zumal<br />

das bei Schauspielerinnen vom Kaliber der beiden auch einfach nicht<br />

wirklich üblich ist.<br />

Wollten Sie mit einer Komödie über eine ungewöhnliche Familie ein<br />

größeres Publikum erreichen als mit ihren früheren <strong>Film</strong>en?<br />

Ganz so bewusst lief das nicht. Ich hatte eher das Gefühl, dass die<br />

Thematik geradezu danach schrie. So ernst die Sache ist, birgt sie<br />

einfach auch etwas unglaublich Albernes. Ich weiß das, ich kenne<br />

das aus meinem eigenen Leben. Das Kind von meiner Lebensgefährtin<br />

und mir stammt auch von einem Samenspender. Aber ich wollte<br />

um Gottes Willen keine überdramatische Betroffenheitskiste daraus<br />

machen.<br />

SuzANNE TENNEr / uNiVErSAL<br />

Zu den vielen hübschen Details des <strong>Film</strong>s gehört es, dass das lesbische<br />

Paar sich im Bett gerne mal Schwulenpornos anguckt. Ist das auch<br />

autobiografisch?<br />

Oh ja, damit kenne ich mich aus. Und ich kenne viele Frauen, die<br />

damit ebenfalls vertraut sind. Mir lag es extrem am Herzen, dass es<br />

diese Szene gibt, in der Julianne Moore das ihren Kindern erklärt.<br />

FEATurES<br />

Natürlich war mir klar, dass das die wenigsten Zuschauer wirklich<br />

FoCuS /<br />

begreifen würden, deswegen war ich gespannt, ob wenigstens sie es<br />

schafft, den Leuten das irgendwie zu vermitteln. Und ich finde, dass<br />

JoNES<br />

sie ihre Sache ziemlich gut macht, oder? KELViN<br />

So zeitgemäß das Familienkonzept in „The Kids Are All Right“ auch ist,<br />

brechen Sie doch nicht mit einem eher konservativen Bild des Zusammenlebens<br />

und den zugehörigen Werten...<br />

Sie haben Recht, da kommt wohl meine Kindheit durch. Ich bin zwar im<br />

Los Angeles der Siebziger Jahren aufgewachsen, also wirklich liberal,<br />

aber in meiner Familie wurde viel Wert auf Traditionen gelegt. Meine<br />

Etern sind seit 50 Jhren verheiratet und leben immer noch in dem gleichen<br />

Haus. Wenn mein Vater um 19 Uhr nach Hause kam, gab es Essen.<br />

Nach einem Geburtstag wurden Dankeskarten verschickt. Dass wir<br />

Kinder heimlich Pott rauchten, war dagegen kein großes Thema …<br />

Wird denn ein <strong>Film</strong> wie „The Kids Are All Right“ in Punkto Liberalität<br />

etwas ändern? Zum Beispiel, was den Diskurs über homosexuelle Eltern<br />

angeht?<br />

Ich bin stolz darauf, dass der <strong>Film</strong> einfach ein Familien porträt, kein<br />

politisches Pamphlet ist. Denn gerade durch diese Haltung ist der <strong>Film</strong><br />

letztlich doch auch ein gesellschaftliches Statement, das sicher zur<br />

richtigen Zeit kommt. Der Umgang in den USA mit dem Thema Homo-<br />

Ehe, wo immer noch alles von jedem Staat individuell geregelt wird, ist<br />

wirklich beschämend. Dass mein <strong>Film</strong> nun vielleicht von ein paar mehr<br />

Zuschauern als den Lesben in New York und San Francisco gesehen<br />

wird, kann deswegen sicher nicht schaden. Aber er wird wohl leider die<br />

nötigen Veränderungen in unserem Land, das da erschreckenderweise<br />

vielen anderen hinterherhinkt, nicht beschleunigen können.<br />

Wie kam es eigentlich zu dem <strong>Film</strong>titel „The Kids Are All Right“?<br />

Eigentlich geht es doch vor allem um die Erwachsenen …<br />

In gewisser Hinsicht ist das ein ironischer Kommentar meinerseits<br />

auf all die Ängste, die viele Menschen immer noch vor homosexuellen<br />

Eltern oder Lehrern und ihrem Einfluss auf Kinder haben. In meinem<br />

Fall sind die Kinder viel souveräner als ihre Mütter. Ursprünglich<br />

schrieb sich der Titel The Kids Are Alright, aber da gab es ein paar<br />

Copyright-Schwierigkeiten mit The Who. So finde ich ihn aber auch<br />

nicht schlecht, denn jetzt wird noch klarer, dass mit diesen Kids eben<br />

wirklich alles ‚richtig‘ ist.<br />

Verglichen mit Ihren vorherigen Arbeiten ist der <strong>Film</strong> viel größer und<br />

aufwendiger produziert. Könnten Sie sich vorstellen, noch mal so zu<br />

drehen wie früher?<br />

Eigentlich nicht, wenn ich ehrlich bin. Das geht schon deswegen<br />

nicht mehr, weil ich ja mittlerweile Mitglied der Regie-Gewerkschaft<br />

bin und mich an gewisse Vorschriften halten muss. Als ich High Art<br />

drehte, studierte ich noch, alle am Set arbeiteten umsonst. Noch einmal<br />

würde ich niemanden derart ausbeuten wollen. Vor allem nicht,<br />

wenn ich die Wahl habe!<br />

Würden Sie sich denn für viel Geld von einem Hollywoodstudio für einen<br />

<strong>Film</strong> engagieren lassen, dessen Drehbuch nicht von Ihnen stammt?<br />

Warum nicht? Wenn das eine Geschichte ist, zu der ich einen persönlichen<br />

Bezug finde, würde so etwas durchaus für mich in Frage kommen.<br />

Völlig austauschbare Stangenware käme dabei aber sicherlich<br />

nicht heraus.<br />

The Kids Are All Right<br />

von Lisa Cholodenko<br />

US 2010, 106 Minuten, dt. SF, OmU<br />

UPI Germany,www.universal-pictures.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 18. November<br />

www.the-kids-are-all-right.de<br />

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kino


kino<br />

buddysex<br />

von hanno stecher<br />

Heterosexuelle Männer können alles, auch schwul. Denken sie zumindest. regisseurin<br />

Lynn Shelton macht daraus mit zwei improvisierenden Schauspielern ein Experiment<br />

mit offenem Ausgang, das ziemlich komisch ausfällt. Was man neuerdings als<br />

Mumblecore-Ästhetik im uS-amerikanischen independentfilm bezeichnet, funktioniert<br />

hier in der tastenden Suche nach den Grenzen einer Männerfreundschaft ganz<br />

hervorragend. „Humpday“ läuft ab 9. September in den Kinos.<br />

s Im Hipster-Magazin „Vice“ gab es vor<br />

Kurzem eine Fotostrecke, in welcher man<br />

einen sich als heterosexuell identifizierenden,<br />

großflächig tätowierten jungen Mann<br />

dabei beobachten konnte, wie er sich quasi<br />

„als Experiment“ einen Buttplug zu Gemüte<br />

führte. Die Fotos, kommentiert durch zotige<br />

Sprüche, wurden inszeniert als Grenzüberschreitung,<br />

als das große Abenteuer, sich als<br />

Heterotyp schwule Sextechniken anzueignen<br />

– und damit vielleicht doch selbst ein<br />

kleines bisschen schwul zu sein. So weit, so<br />

albern. Dass es allerdings auch möglich ist,<br />

das Verhältnis nicht-schwuler Männer zu<br />

schwulem Sex jenseits infantilen Sprücheklopfens<br />

genauer unter die Lupe zu nehmen,<br />

zeigt Lynn Shelton in Humpday. Der <strong>Film</strong><br />

spielt in Seattle, der Heimatstadt der Regisseurin,<br />

und widmet sich mit einem ziemlich<br />

großartigen Sinn für Humor der Männerfreundschaft<br />

zweier alter Collegefreunde<br />

in den Dreißigern, die sich nach etlichen<br />

Jahren wieder begegnen. Ein gemeinsamer<br />

Saufabend bringt die beiden netten Kerle Ben<br />

und Andrew auf die Idee, zusammen einen<br />

„Kunstfilm“ zu drehen, der zeigen soll, wie<br />

sie, die beiden besten Kumpels, miteinander<br />

in die Kiste steigen. Die Idee wird schnell zur<br />

Wette und nun nimmt alles seinen Lauf.<br />

Denn beide Männer haben gute Gründe,<br />

die ungewöhnliche Wette nicht zu verlieren,<br />

ist sie doch ganz konkret an ihr Selbstverständnis<br />

und ihre jeweilige Lebenssituation<br />

geknüpft: Ben ist gerade dabei, mit seiner<br />

Freundin Anna ein spießiges Familienleben<br />

aufzubauen und spürt seine Freiheiten<br />

dahinschwinden, während Weltenbummler<br />

Andrew seinen Ruf als durchgeknallter Typ<br />

retten will und den Deal als eine Art künstlerische<br />

Herausforderung betrachtet. Schwuler<br />

Sex wird so für beide Männer zum Ausdruck<br />

einer anti-bürgerliche Grundhaltung<br />

und zum Weg, sich selbst zu beweisen, dass<br />

man immer noch irgendwie „offen“ ist. Mit<br />

diesem Verhältnis spielt auch der doppeldeutige<br />

Titel des <strong>Film</strong>s – während „Humpday“<br />

umgangssprachlich für den Mittwoch als<br />

Mitte der Arbeitswoche benutzt wird, kann<br />

das Verb „to hump“ auch schlicht „ficken“<br />

bedeuten.<br />

Shelton geht es bei ihrem dritten Spielfilm<br />

vor allem darum, die Auswirkungen<br />

des gemeinsamen Deals auf die Beziehung<br />

der beiden Männer genauer unter die Lupe<br />

FuGu FiLMVErLEiH<br />

zu nehmen. Die Frage, ob da jenseits dieser<br />

Wette vielleicht noch ein viel tieferes Begehren<br />

in den Jungs vor sich hin schlummert,<br />

bleibt dabei mehr oder weniger unbeantwortet.<br />

Stattdessen nutzt die Regisseurin den<br />

„Humpday“ als Katalysator, als etwas, das<br />

eine klassische Männerfreundschaft plötzlich<br />

aus den Fugen geraten lässt. Denn, so ihre<br />

These, durch den Plan, etwas Schwules zu<br />

machen, sind die zwei in ihrem Selbstbild bislang<br />

eher unangetasteten Männer plötzlich<br />

dazu gezwungen, sowohl ihr Verhältnis zueinander,<br />

als auch zu sich selbst zu reflektieren.<br />

In ihrer Dekonstruktion von Männlichkeit(en)<br />

gelingt es Shelton dabei, ihre Protagonisten<br />

immer wieder in Situationen zu<br />

lotsen, in denen Komik und Tragik so nahe<br />

beieinander liegen, dass man als Zuschauer<br />

vor Fremdscham am liebsten im Boden versinken<br />

würde. Denn ein großer Teil der Kommunikation<br />

zwischen den beiden Freunden<br />

findet trotz Veränderungen in ihrer Beziehung<br />

auch weiterhin auf einer Ebene statt,<br />

auf der vieles unausgesprochen bleibt. Alles<br />

andere, so scheint es, würde die Freundschaft<br />

wohl sprengen. Wichtiger Nebenschauplatz<br />

ist hier auch Bens Beziehung zu<br />

seiner Freundin, die natürlich irgendwann<br />

von der Sache Wind bekommt. Dass gerade<br />

in diesen Momenten die Stärke des <strong>Film</strong>s liegen,<br />

hängt besonders mit dem perfekt aufeinander<br />

abgestimmten Schauspielerduo Mark<br />

Duplass und Joshua Leonard zusammen, die<br />

ihre Texte während des Drehs weitestgehend<br />

improvisiert haben und dabei immer<br />

den richtigen Ton treffen. Darüber hinaus<br />

hat sich Shelton entschieden, mit Handkameras<br />

zu drehen, die nur wenig Distanz zu<br />

dem Geschehen zulassen, bestimmte Gesten<br />

betonen und, natürlich, Authentizität<br />

simulieren. Dabei spielt sie die Stärken eines<br />

klassischen Indiefilms so gut aus, dass die<br />

Sundance-Jury ihr für Humpday im vergangenen<br />

Jahr einen Sonderpreis, den „Spirit of<br />

Independence“-Award, verliehen hat.<br />

Tja, und irgendwann ist er dann tatsächlich<br />

da, der große Tag. Aber spätestens als<br />

die beiden Jungs anfangen, vor laufender<br />

Handkamera noch einmal ihre Heterosexualität<br />

zu beschwören, wird klar, dass dieses<br />

Date genauso kompliziert wird wie man es<br />

befürchtet hat. s<br />

Humpday<br />

von Lynn Shelton<br />

US 2008, 94 Minuten, OmU<br />

Fugu <strong>Film</strong>verleih, www.fugu-films.de<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 9. September<br />

www.humpdayfilm.com<br />

Venus im trash<br />

von Jan küneMund<br />

Pornodarsteller, obdachlose, Leichenfledderei, Festivalausladung in Melbourne, blasierte Langeweile in<br />

Locarno, drohende indizierung: Bruce LaBruce hat einen neuen <strong>Film</strong> gemacht. Sich zwischen alle Stühle zu<br />

setzen ist für ihn selbstverständlich und für seine Fans Ausdruck einer queeren Strategie. ob man gut dabei<br />

aussieht, wenn man sich zwischen die Stühle setzt, ist eine andere Frage. und ob man am Ende überhaupt<br />

irgendwo sitzt, muss angesichts von „L.A. zombie“ (Kinostart am 7. oktober) tatsächlich auch mal gefragt<br />

werden.<br />

s Die erste Stuhlreihe: Pornografie – Independentkino<br />

– Kommerz – Zensur. LaBruce<br />

hat diesen <strong>Film</strong> wieder einmal sehr originell<br />

finanziert, über das Zusammenbringen mehrerer<br />

Gay-Adult-Anbieter, einem Mode/Neue<br />

Medien-Projekt, einer Galerie, einem Independent-<strong>Film</strong>label.<br />

Die schon eingeübte Strategie,<br />

deren unterschiedliche Verwertungsketten<br />

zu bedienen, soll auch diesmal wieder<br />

verfolgt werden, in dem aus L.A. Zombie<br />

eine Softcore-Version entsteht (die jetzt auch<br />

ins Kino kommt und zumindest bei einigen<br />

Festivals gelaufen ist und laufen wird) und<br />

gleichzeitig eine Hardcore-Version für das<br />

innovative Pornolabel Wurstfilm. Nun ist<br />

die Arthouse-Version von der Indizierung<br />

bedroht (wahrscheinlich wegen dem, was da<br />

mit Leichen veranstaltet wird; die deutschen<br />

Behörden sind wie auch die FSK da sehr kreativ),<br />

was eine DVD-Auswertung bedroht<br />

und damit die Hardcore-Version auf Dauer<br />

zur „eigentlichen“ machen wird. Diese wiederum<br />

dürfte kaum die genreüblichen Anforderungen<br />

erfüllen, denn der Sex, um den es<br />

hier geht, entspricht ziemlich ungewöhnlichen<br />

oder mutmaßlich ziemlich selten Fantasien.<br />

Die zweite Stuhlreihe: Kino – DVD –<br />

Internet – Museum. Das ist eine aktuelle und<br />

zugleich ziemlich alte Frage (wenn man an<br />

Anger, Deren, Genet denkt): Wo genau finden<br />

queere Bewegtbilder eigentlich statt?<br />

Zunächst kam der L.A. Zombie zu einer Ausstellung<br />

der Galerie Peres Projects in Berlin,<br />

in der das Video des <strong>Film</strong>s eigentlich nur<br />

Beiwerk war zu großformatigen Fotografien<br />

des Darstellers François Sagat in Zombie-<br />

Fashion-Look, die als Standfotos eines <strong>Film</strong>s<br />

inszeniert waren, den es vielleicht gar nicht<br />

gab. LaBruce zufolge entstand der <strong>Film</strong> dazu<br />

tatsächlich auch erst auf Bitten anderer, er<br />

selbst hätte ihn gar nicht unbedingt machen<br />

müssen (zumal er mit Otto, or: Up With<br />

Dead People schon einen sehr ernsthaften<br />

und komplexen Queer-Zombie-<strong>Film</strong> gedreht<br />

hatte). Nun geht der <strong>Film</strong> seinen Festival-<br />

und Kino-Weg oder vielleicht auch nicht,<br />

wenn er tatsächlich sogar hierzulande indi-<br />

ziert wird und die Festivals ihn nicht spielen<br />

(oder wieder streichen, wie z.B. Melbourne).<br />

Das Netz bliebe als ohnehin sich mehr und<br />

mehr anbietender Abspielort für innovatives<br />

queeres Kino. <strong>Film</strong>kritiker mit konventionellem<br />

„Kinofilm“-Begriff haben schon<br />

in Locarno mehrheitlich die Frage gestellt,<br />

ob L.A. Zombie überhaupt ein „<strong>Film</strong>“ ist und<br />

nicht eher ein „Clip“.<br />

Die dritte Stuhlreihe: Zombies – Obdachlose<br />

– schwule Ikonen – das Kunstverweis-<br />

System: Wie ernst ist das alles eigentlich<br />

gemeint? War der Zombie in Otto noch eine<br />

ernsthafte, melancholische Figur in der Tradition<br />

des frühen Tourneur-<strong>Film</strong>s I walked<br />

with a Zombie (1942), so ist der Nachfolger<br />

in L.A. zwar auch eine Missfit-Ikone, die<br />

aber völlig in einem Zitat-System konstruiert<br />

wird: eine schauerliche Botticelli-<br />

Venus, ein seelenloses Romero-Wesen, ein<br />

„vogelfreier“ (Agnes Varda) Obdachloser,<br />

eine Porno-Ikone mit sexy Aussparungen<br />

im Penner-Look, ein pervertierter Captain<br />

America usw. Grease wird zitiert, Morricone<br />

auch. Die Porno-Orgien-Szene findet<br />

in einem White Cube statt, der Soundtrack<br />

besteht aus schlechter Pseudosinfonik und<br />

GMFiLMS<br />

noch oberflächlicherem Electro/Folk/Indie/<br />

Pop-Gesäusel.<br />

Wo sitzt dieser <strong>Film</strong> nun eigentlich? Im<br />

punkigen, aber auch kühl kalkulierenden<br />

Selbstvertrauen, das alles auf Gedeih und Verderb<br />

kombinieren zu können und sich dahinter<br />

unsichtbar zu machen? Maske & Requisite<br />

wechseln zwischen zwei Schnitten, die Idee<br />

einer an Ort und Zeit gebundenen Handlung<br />

ist völlig aufgehoben, der Zombie kommt<br />

als Retter, fickt die Toten ins Leben zurück<br />

(in einer Szene buchstäblich ins Herz), der<br />

Pornoindustrie wird ihre eigene industrielle<br />

Kälte vorgeführt und mit gehörnten Schwänzen,<br />

schwarzem Ejakulat und kreativ genutzten<br />

Körperöffnungen beantwortet, die eher<br />

die männliche Penetrationsfantasie oder<br />

männliche Sexualität überhaupt dekonstruiert<br />

als geil macht. Und François Sagat, mit<br />

seinem Pitbull-Körper und den schönen jungenhaften<br />

Augen, seinem Toupet-Tattoo und<br />

der Steroid-Hautspannung weint zu französischen<br />

Chansons blutige Tränen und steht,<br />

unschuldig in Szene gesetzt, als männliche<br />

Ikone für die Jetztzeit da wie einst Dallessandro<br />

für die Endsechziger. Man darf gespannt<br />

sein, ob dieser Queerness jemand folgen wird<br />

wie einst (aus Liebe) dem Tourneur-Zombie.<br />

Bitte Platz zu nehmen, aber: Vorsicht! s<br />

L.A. Zombie<br />

von Bruce LaBruce<br />

DE/US/FR 2010, 63 Minuten,<br />

OF (ohne Dialog)<br />

GMfilms, www.gmfilms.de<br />

34 35<br />

Im Kino<br />

Kinostart: 7. Oktober<br />

www.lazombie.com<br />

kino


dvd<br />

Zwei FAhRkARteN,<br />

SOweit wie möglich!<br />

IntervIew: Jan Künemund<br />

Michael roes, einer der spannendsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur („rub-Al’Khali – Leeres<br />

Viertel“), dreht auch <strong>Film</strong>e. Wie z.B. „Timimoun“, der Ende August auf DVD erscheint. Er erzählt von der<br />

Freundschaft zweier Jungen in einem zerrissenen Land.<br />

sissy: Lieber Michael, man kennt dich ja als äußerst produktiven Autor<br />

– allein 2010 erscheinen zwei große Romane von dir. Wann findest du<br />

überhaupt die Zeit, auch noch <strong>Film</strong>e zu drehen?<br />

Michael Roes: Ich sehe mich selbst eher als langsamen und konzentrierten<br />

Arbeiter. Dass ich so produktiv wirke, hängt womöglich mit<br />

der untrennbaren Verschränkung meiner Arbeit mit meinem Leben<br />

zusammen: Schreiben und <strong>Film</strong>en sind nicht nur ein Teil meines<br />

Lebens, sondern unmittelbar gelebte Zeit. Insofern macht es keinen<br />

Unterschied, ob dieses Künstler/Dasein gerade im Nachdenken, im<br />

Hinschauen, im Schreiben oder im <strong>Film</strong>en besteht. Für mich ist der<br />

<strong>Film</strong> im Grunde nichts anderes als die Arbeit an einem neuen Roman<br />

mit anderen Mitteln.<br />

Aber stellen das Schreiben und das <strong>Film</strong>emachen nicht völlig verschiedene<br />

Anforderungen, was die Auseinandersetzung mit einem Stoff<br />

angeht?<br />

Bei den dezidierten Autoren-<strong>Film</strong>ern wie Pasolini oder Cocteau ließ<br />

sich das Schreiben vom <strong>Film</strong>en nicht trennen. Und längst sind klassische<br />

<strong>Film</strong>techniken wie Montage, Vor- und Rückblenden Stilmittel<br />

des modernen Romans, so wie wir bei manchen <strong>Film</strong>werken von<br />

einem epischen oder lyrischen <strong>Film</strong> sprechen.<br />

Nein, die unterschiedliche Auseinandersetzung mit dem Stoff<br />

liegt nicht in der Formsprache, sondern (bei mir) allein in der Technik.<br />

In dem Augenblick, wo ich Kameraführung und Schnitt ebensogut<br />

beherrsche wie meine sprachlichen Mittel, kann ich den „Stoff“,<br />

der sich in mir, bevor ich überhaupt mit dem ersten Wort beginne,<br />

immer schon als ein innerer <strong>Film</strong> darstellt, sowohl in die eine oder<br />

andere „Sprache“ übersetzen.<br />

Für „Timimoun“ hasst du allerdings auch eine genuin filmische Form<br />

gewählt, weil sie per se mit Bewegung zu tun hat – das Roadmovie. Ein<br />

Junge kehrt – nicht ganz freiwillig – zu seiner Familie ins algerische<br />

Hinterland zurück und sein bester Freund begleitet ihn. In dieser Konstellation,<br />

einer Freundschaft in Bewegung, liegt ja an sich schon etwas<br />

sehr <strong>Film</strong>isches …<br />

Auch der erste Roman der Weltliteratur, Homers „Odyssee“, ist<br />

bereits ein „Roadmovie“. Und die Schrift (im vordigitalen Zeitalter)<br />

stellt eine Linie, einen Weg dar und bewegt sich, nicht anders als der<br />

<strong>Film</strong>, linear in der Zeit fort.<br />

Doch am Anfang von Timimoun stand nicht eine fertige Geschichte,<br />

sondern ein Land und seine besonderen Menschen: Algerien und die<br />

Freunde, die ich dort während langer Aufenthalte gewonnen hatte.<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

Die letzten zwanzig Jahre waren unvorstellbar grausam,<br />

und die heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen sind in einer<br />

Zeit permanenten Terrors aufgewachsen. Mich selbst hat<br />

die Situation so entsetzt, dass ich nach künstlerischen<br />

Wegen gesucht habe, meiner Sprachlosigkeit angesichts<br />

der alltäglichen Verwundungen Herr zu werden. Der<br />

Mythos der Orestie, übersetzt in die psycho-dramatische<br />

Form des <strong>Film</strong>s, schien für mich und meine Freunde<br />

ein Weg zumindest der Vergegenwärtigung, wenn auch<br />

nicht der Heilung. Also bestand mein erster Ausdrucksversuch<br />

in einem Drehbuch, meinen engsten Freunden in<br />

der Kabylei auf den Leib geschrieben. Und als sie sich in<br />

diesem Drehbuch vollkommen verstanden wiederfanden,<br />

war damit der weitere Weg vorgezeichnet.<br />

Diese Überblendung von Mythos und moderner algerischer<br />

Geschichte hört sich zunächst sehr gewagt und konstruiert<br />

an – tatsächlich wirken die Szenen aber ganz leicht und<br />

spontan, sie sind voller Interaktionen und dokumentarischer<br />

Spannung.<br />

Wenn der <strong>Film</strong> tatsächlich eine gewisse Leichtigkeit<br />

und Spontaneität bewahrt hat, so freut mich das sehr.<br />

Die realen Drehbedingungen waren nämlich geradezu<br />

ein Albtraum. Nachdem endgültig klar war, dass ich für<br />

ein derart ambitioniertes Projekt, eine moderne Version<br />

der Orestie in Algerien, keine Fördermittel bekommen<br />

werde, haben meine Freunde und ich beschlossen, diesen<br />

<strong>Film</strong> trotzdem zu wagen, ohne jedes Budget, ohne<br />

Drehgenehmigung und Unterstützung. Von Anfang an<br />

hatten die algerischen Behörden ein Auge auf uns. Es gibt<br />

ja immer noch kaum europäische Reisende im Land. Die<br />

Behörden wollten keinen diplomatischen Eklat provozieren<br />

und mich wegen der illegalen Dreharbeiten aus dem<br />

Land werfen. Statt dessen haben sie die Taktik gewählt,<br />

mich und vor allem meine algerischen Mitstreiter so sehr<br />

einzuschüchtern, dass mir im Lauf der Wochen bis auf die<br />

beiden Hauptdarsteller alle Mitarbeiter verloren gingen.<br />

Am Ende haben wir mehr Zeit auf Polizeirevieren als an<br />

Drehorten verbracht. Als ich aus Algerien abgereist bin,<br />

hatte ich befürchtet, dass all die wochenlangen Anstrengungen<br />

und Kämpfe vergeblich gewesen seien. Erst am<br />

Schneidetisch hat das diesen widrigen Umständen abgetrotzte<br />

und am Ende eher improvisierte Material sich auf<br />

wundersame Weise doch zu jenem <strong>Film</strong> gefügt, den ich<br />

zu drehen geplant hatte.<br />

Ich denke vor allem an die Szenen im Bus, in denen die beiden<br />

Schauspieler mit den Mitfahrern agieren und die Kamera<br />

ganz dicht dran ist …<br />

Die meisten der Roadmovie-Szenen sind tatsächlich<br />

semidokumentarisch gedreht: Wir haben den regulären<br />

Bus genommen, die Insassen gefragt, ob sie Darsteller in<br />

unserem <strong>Film</strong> sein wollten und drauflosgedreht. Keine<br />

dieser Szenen hätten wir wiederholen können. Aber<br />

wenn man überwiegend mit Laien arbeitet, sollte ohnehin<br />

die erste Aufnahme sitzen. Mit jeder Wiederholung<br />

geht Spannung und Authentizität verloren.<br />

In einem Land, in dem Homosexualität und z.T. sogar das<br />

Abspielen von Liebesliedern verboten sind, zeigst du eine<br />

deutlich homoerotisch aufgeladene Jungenfreundschaft<br />

und füllst den Soundtrack des <strong>Film</strong>s mit (französischen)<br />

Liebesliedern. Über Laid wird zwar in den Rückblenden<br />

erzählt, dass er in mehrfacher Hinsicht ein ‚besonderer‘<br />

Junge ist, dennoch entsteht dieser Eindruck vor allem<br />

durch den Blick der Kamera und den musikalischen Kommentar,<br />

oder?<br />

Ein homosexueller Sub- oder Kontext entsteht zunächst<br />

erst mal (und vielleicht ausschließlich) im Auge des europäischen<br />

Betrachters. Die größte Repression in der muslimischen<br />

Welt betrifft Beziehungen zwischen unverheirateten<br />

Männern und Frauen. Und dieses Tabu hat<br />

seine Wurzeln weniger in religiösen Vorschriften als in<br />

tribalen Strukturen, in denen Familienbindungen immer<br />

auch eine wirtschaftliche und politische Bedeutung<br />

zukommt.<br />

Bevor das koloniale Europa unsere westlichen Konzepte<br />

von „Homosexualität“ in die muslimische Welt<br />

exportiert hat, konnten im Windschatten der heterosexuellen<br />

Tabus wesentlich intensivere Freundschaftsideale<br />

herausgebildet werden als im körperscheuen Europa.<br />

An keiner Stelle der Dreharbeiten habe ich meinen Darstellern<br />

gegenüber diesen möglichen europäischen Blickwinkel<br />

auf die Freundschaft von Laid zu Nadir auch nur<br />

angedeutet, sondern die Ausgestaltung dieser Beziehung<br />

ganz dem persönlichen Spiel der beiden Protagonisten<br />

überlassen.<br />

Aber du hast doch diese Freundschaft, die ja so viel weicher<br />

wirkt als die starre, von Hass- und Rachegefühlen<br />

und „mittelalterlichen“ Ritualen bestimmte Familie Laids,<br />

schon als eine alternative und freiere Lebensform inszeniert,<br />

in der man abhauen kann, reisen, aus der mythischen<br />

Schicksalhaftigkeit aussteigen, am Ende auf Reifenschläuchen<br />

einfach die Wüstendünen herunterrutschen …<br />

Ja, ich wollte im <strong>Film</strong> eine Wahlmöglichkeit, einen Ausweg<br />

aufzeigen. Aber es handelt sich um eine poetische<br />

Erfindung, eine Utopie, die für die meisten Altersgenossen<br />

von Laid und Nadir nicht realisierbar ist. Laids Preis für<br />

die Emanzipation ist die Aufgabe der Familie. Als Ersatz<br />

oder Trost biete ich ihm die Freundschaft. In Wirklichkeit<br />

aber ist es für die algerische Jugend nahezu unmöglich,<br />

ohne das soziale Netz der Familie zu überleben. Und<br />

das relative Maß an sozialer Sicherheit ist natürlich mit<br />

einer nahezu lebenslangen sozialen Kontrolle und Ein-<br />

und Unterordnung in die Familienhierarchie erkauft.<br />

Du hast diese Geschichte anschließend noch einmal in deinem<br />

Roman „Weg nach Timimoun“ erzählt. Hat sie sich<br />

dort weiter entwickelt?<br />

Am Anfang stand die Idee für einen <strong>Film</strong> und das Drehbuch.<br />

Als aus den Monaten des Wartens auf eine <strong>Film</strong>förderung<br />

oder sonstiger Unterstützung Jahre wurden,<br />

habe ich die <strong>Film</strong>idee zunächst als Roman ausgesponnen.<br />

Durch die besonderen Umstände des Drehens hat<br />

der <strong>Film</strong> dann aber einen ganz anderen Charakter als der<br />

Roman angenommen. Die Widerständigkeit des Realen<br />

hat sich als Co-Regisseur in die Inszenierung geschlichen<br />

und ihr einen zusätzlichen, vollkommen unberechenbaren<br />

Stempel aufgedrückt. Und nun macht womöglich<br />

gerade diese Unberechenbarkeit den besonderen Charme<br />

des <strong>Film</strong>s aus.<br />

Timimoun<br />

von Michael Roes<br />

DE/DZ 2010, 96 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Weg nach Timimoun<br />

von Michael Roes<br />

Roman, 175 Seiten<br />

Geschichte der Freundschaft<br />

von Michael Roes<br />

Roman, 320 Seiten<br />

beide bei Matthes & Seitz, Berlin,<br />

www.matthes-seitz-berlin.de<br />

36 37<br />

dvd


dvd<br />

ein kuss ist ein kuss<br />

von sascha westPhal<br />

John Schlesingers melancholische Dreiecksgeschichte „Sunday, Bloody Sunday“ von<br />

1971 erscheint endlich in Deutschland auf DVD. Sie enthält einen der ersten Männerküsse<br />

der <strong>Film</strong>geschichte, zu dem sich Hauptdarsteller Peter Finch angeblich überwand‚<br />

indem er die Augen schloss und an England dachte.<br />

s Ein <strong>Film</strong> der Sehnsüchte und der Täuschungen,<br />

die meist Selbsttäuschungen sind.<br />

„Soave sia il vento, / Tranquilla sia l’onda, /<br />

Ed ogni elemento / Benigno risponda / Ai<br />

nostri desir.“ Wieder und wieder erklingt<br />

dieses Terzett aus Mozarts gewagter und<br />

gerade dadurch so hellsichtiger Oper „Così<br />

fan tutte“. Die Stimmen von Pilar Lorengar,<br />

Yvonne Minton und Barry McDaniel begleiten<br />

den Arzt Dr. Daniel Hirsh in diesen letzten<br />

zehn Tagen seiner Affäre mit dem jungen<br />

Künstler Bob Elkin auf Schritt und Tritt.<br />

Der Abschied, den er möglichst verhindern<br />

oder wenigstens hinausschieben will und der<br />

doch kommen muss – in da Pontes Versen ist<br />

er schon vollzogen. Die perfekte Harmonie<br />

dieses Trios, das aber eben auch die Lüge und<br />

den Verrat in sich trägt, ist zugleich Balsam<br />

und Gift, weckt Hoffnungen und Träume,<br />

schürt Ängste und Zweifel. Schließlich weiß<br />

Daniel ganz genau, dass er den sich nach<br />

Erfolg und den Staaten verzehrenden Jüngling<br />

nie für sich alleine hatte. Er musste ihn<br />

von Anfang an mit der geschiedenen Alex<br />

Greville teilen.<br />

Nur einmal, ganz am Schluss, als das<br />

opake Objekt ihrer Begierde schon in einem<br />

Flugzeug nach New York sitzt, stehen sich<br />

der von Peter Finch gespielte erfolgreiche<br />

Arzt und die nur noch vor sich hintreibende<br />

Tochter aus reichem Haus (Glenda Jackson)<br />

gegenüber. Es ist eine Begegnung zweier<br />

Verlierer, die immer schon auf den Falschen<br />

gehofft und gesetzt hatten. Die von Mozart<br />

und da Ponte beschworene Wankelmütigkeit<br />

der Liebe hat in Murray Heads Bob Elkin<br />

eine moderne Gestalt angenommen. Sie<br />

ist nicht mehr an den Reiz der Verführung<br />

und eine momentane Schwäche des Gefühls<br />

geknüpft.<br />

Im London des Jahres 1970, als die<br />

Träume der Swingin’ Sixites der harschen<br />

Realität der Rezession nicht trotzen konnten,<br />

wird auch Liebe zu einem Problem der<br />

Ökonomie. Es gilt, zu haushalten, nicht zu<br />

viel anzulegen und Gewinn aus dem ewigen<br />

Wankelmut zu ziehen. Also hält Bob seine<br />

Gefühle im Gleichgewicht. Daniel und Alex,<br />

beide bekommen sie ihren Teil, aber eben nur<br />

so viel, wie er zu geben bereit ist. Der jüdische<br />

Arzt in den Fünfzigern und die immer<br />

noch gegen ihren kühl distanzierten Vater<br />

rebellierende Enddreißigerin wollen natürlich<br />

alles haben. Allerdings investieren auch<br />

sie nur gerade so viel wie eben nötig: „Weht<br />

leise, ihr Winde, / Seid milde, ihr Wogen /<br />

Und all ihr Elemente / entsprecht gütig /<br />

unserm Verlangen.“<br />

Ein <strong>Film</strong> der kleinen Wunder und der leisen,<br />

der sehr leisen alltäglichen Trauer, die<br />

tiefer trifft als jede schicksalhafte Tragik.<br />

„Così van tutte“ ist ein Balanceakt zwischen<br />

Komödie und Tragödie. Am Ende haben sich<br />

alle wieder, und doch ist nichts mehr im<br />

Lot. Der Zweifel ist gesät und wird einmal<br />

Früchte tragen. In Sunday, Bloody Sunday<br />

stehen am Ende zwei Menschen alleine da,<br />

die auch vorher schon einsam waren. Viel ist<br />

also nicht geschehen, verändert hat sich auch<br />

kaum etwas. Nur die Hoffnung, die sie in den<br />

flatterhaften, aber in seiner Oberflächlichkeit<br />

absolut ehrlichen Künstler gesetzt hatten, ist<br />

CMV LASErViSioN<br />

noch etwas brüchiger, noch haltloser geworden.<br />

Alex wird sich mit ihrem Vater nicht<br />

versöhnen und ihre Mutter nie wirklich verstehen.<br />

David wird weiter zwei Leben führen.<br />

Wenn er mit Freunden und Bekannten<br />

zusammen ist, ist er ganz offen. Aber seinen<br />

Eltern und seiner Familie wird er für immer<br />

den Junggesellen vorspielen, der bisher einfach<br />

nicht die Richtige gefunden hat.<br />

Selbst in der privilegierten Welt, in der<br />

sich David, Bob und Alex bewegen, scheinen<br />

die in den 60er Jahren gelebten Freiheiten<br />

nach und nach zu schwinden. Der Traum<br />

einer ganzen Gesellschaft von einem Leben<br />

in Offenheit ist schon wieder zu einem Vorrecht<br />

einer Klasse geworden, und deren Vertreter<br />

verkehren ihn wie Alex’ und Davids<br />

so überaus liberale Freunde systematisch<br />

ins lächerlich Absurde. Aber in John Schlesingers<br />

<strong>Film</strong> bleibt er trotz allem lebendig,<br />

in der Selbstverständlichkeit, mit der David<br />

und Bob ihr Begehren ausleben, und in dem<br />

innigen, von Liebe und Zärtlichkeit erfüllten<br />

Kuss, mit dem Peter Finch und Murray Head<br />

Kinogeschichte geschrieben haben. s<br />

Sunday, Bloody Sunday<br />

von John Schlesinger<br />

UK 1971, 110 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

CMV Laservision,<br />

www.cmv-laservision.de<br />

Der moment<br />

von mIchael Sollorz<br />

Michael Sollorz hat Drehbücher („Banale Tage“), Kolumnen (Siegessäule, Queer), erotische Literatur und<br />

romane geschrieben, die – wie sein letzter, „Die Eignung“, – weit über die Nischengrenzen hinaus von der<br />

Kritik gefeiert wurden. im September erscheint sein neuer Erzählband „Piratenherz“.<br />

s So ein hoffnungsvoller Anfang! Jockel und Stefan, zwei hübsche<br />

junge Kerle aus dem linksautonomen Berliner Wagenburgmilieu kurz<br />

nach Mauerfall, ein liebenswertes Paar. Sie schieben ihre Fahrräder<br />

durch den Kiez und kleben Plakate gegen Drogen-Dealer. Dabei werden<br />

sie aus einem Auto heraus von zwei Männern beobachtet. Zivilbullen,<br />

meint Stefan. Ledertrinen, befindet Jockel und folgt dem Ruf<br />

der Wildnis, als die Männer aussteigen, in einen Hinterhof, in einen<br />

halbdunklen Keller. Die Gefahr ist Teil der Erregung, und dort unten<br />

nehmen und benutzen die Männer ihn, so wie er sie benutzt für eine<br />

kleine Glückseligkeit, während sein Stefan kurz nachschaut, ob alles<br />

okay ist, und dann oben herumsteht und wartet, an eine Hauswand<br />

gelehnt, allein.<br />

„Wie wars?“, fragt er hinterher. „Klasse“, antwortet Jockel, und<br />

man wünscht den Beiden, dass sie es schaffen. Doch sie scheitern,<br />

weil das Drehbuch es so will, ihre Liebe geht die Spree runter, und am<br />

Müggelsee gibt’s noch Kloppe von Ost-Skins. Ein schmutziges, grausames<br />

Märchen, um Wahrhaftigkeit ringend, und mitten drin Jockel,<br />

der Prinz, zum Fressen süß, das Versprechen seines hungrigen Körpers,<br />

den er martert mit Heroin, das ihn am Ende tötet.<br />

Dann ging das Licht an und das Publikum klatschte, vor siebzehn<br />

Jahren im klirrend winterlichen Saarbrücken. Wir hatten uns für<br />

Zeitungen beim Nachwuchs-<strong>Film</strong>festival Max Ophüls akkreditieren<br />

lassen, mein Freund und ich. Beide selber kaum älter als die Helden,<br />

hockten wir nach der Vorführung in einer Bar, und irgendwas hing<br />

auf einmal schräg. Zwar standen noch weitere <strong>Film</strong>e auf unserm<br />

Programm, bis tief in die Nacht – sie liefen ohne uns. Wir blieben in<br />

der Bar und machten Notizen für unsere Artikel. Stocks Kreuzberger<br />

Junkie-Märchen sei wütendes Kino für wenig Geld, schrieb ich<br />

Tage darauf in der Wochenpost. Frei von romantischem Voyeurismus<br />

lasse er die Kamera durch die Protest-Demo vom 3. Oktober fahren,<br />

durch die Fixer am Kottbusser Tor, Menschengesichter, voller Not.<br />

Wir überboten einander in trefflichem <strong>Film</strong>geschwätz, zwei erhitzte<br />

Jung-Journalisten, und tranken zügiger als sonst, absolut außerstande,<br />

miteinander endlich darüber zu sprechen, was uns vorhin im<br />

Kino wirklich so berührt hatte und verstörend nachwirkte.<br />

Es war die Kellerszene – sie warf einen Schatten. Sie kam höchst<br />

ungelegen, indem sie daran erinnerte, dass unsere Begierde etwas<br />

Ungezähmteres war, als wir beide in unserm rosigen zweiten Jahr<br />

wahrhaben wollten. Wir hatten uns wiedererkannt in Jockel, wie er<br />

in den Keller runtersteigt, dieser kleine Moment von Anarchie, süchtig<br />

und instinktsicher wie ein Tier. War es das nicht, worüber wir<br />

schließlich miteinander so wortreich schwiegen, der Wunsch, alle<br />

Kontrolle fahren zu lassen, sich wegzuschmeißen, aufzulösen in einer<br />

größeren Geborgenheit, als die Umarmung des Geliebten sie jemals<br />

zu bieten vermag? Und war unsere Sexualität nicht tatsächlich auch<br />

den Drogen verwandt, weil sie in Bereiche unseres innersten Selbst<br />

führen kann, zu denen wir sonst keinen Zugang finden? Ist es das, was<br />

uns magisch anzieht und zugleich zurückweichen lässt wie vor einer<br />

unaussprechlichen Wahrheit?<br />

Noch heute, das erste Grau in den Bärten, erinnern wir uns<br />

manchmal an unsere Hilflosigkeit damals auf dem Festival. Seither<br />

hat jeder ein paar Lebenssachen ausprobiert und ist dabei zumindest<br />

nicht nachweislich dümmer geworden, ruhiger jedenfalls, manchmal.<br />

Aber die kleine, an sich banale Kellerszene, sie brennt noch. Dabei ist<br />

die Frage, die sie am Ende stellt, nicht mal mehr besonders mysteriös:<br />

Wie kann ich dich loslassen, wenn ich dich liebe? Das Loslassen überhaupt,<br />

heute nicken wir artig, ist die große Lektion unseres Lebens.<br />

Doch wem hätte Einsicht je geholfen? Was wäre anders gekommen,<br />

wenn wir damals beherzt hätten sprechen können? Die Furcht ist<br />

stärker gewesen, ihre Zerstörungskraft, von der wir in Saarbrücken<br />

vielleicht schon dunkel ahnten, dass sie auch uns ein paar Jahre später<br />

als Paar würde scheitern lassen. s<br />

Prinz in Hölleland<br />

von Michael Stock<br />

DE 1993, 90 Minuten, dt. OF<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Die Eignung<br />

von Michael Sollorz<br />

Roman, 160 Seiten<br />

film-flirt<br />

Piratenherz<br />

von Michael Sollorz<br />

Erzählungen, 136 Seiten<br />

EDiTioN SALzGEBEr<br />

beide bei Männerschwarm Skript,<br />

www.maennerschwarm.de<br />

38 39


frisch ausgepackt<br />

Neu auf DVD<br />

von Maike schultz, Paul schulz und Jan küneMund<br />

DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY<br />

GB 2009, regie: oliver Parker, Concorde Home Entert.<br />

Diesmal gibt Ben Barnes<br />

den Dorian Gray, der<br />

Prinz Kaspian von Narnia.<br />

Er ist alles andere als<br />

eine Schlampe. Eher einer<br />

dieser kein-Sex-vor-der-<br />

Ehe-Vampir-Typen. Wie<br />

grenzenlos naiv er sich<br />

durch die zynische Londoner<br />

Gesellschaft stottert. Wie süß er sich in<br />

die Spelunken verirrrt, ohne wirklich getrieben<br />

zu sein. Wie er beim Verkauf seiner Seele<br />

einfach nur zu denken scheint: ewige Jugend,<br />

ja, warum eigentlich nicht? Ist das nicht eigentlich<br />

die perfekte Castingidee, diese Oberfläche<br />

eines jungen Mannes in die oberflächengeile<br />

Welt zu schicken, auf die filmisch oberflächlichste<br />

Art und Weise? Die Teenies kreischen:<br />

„Ein <strong>Film</strong> mit Ben Barnes!“ Und der Verleih<br />

empfiehlt ihn der SISSY mit den Worten: „Die<br />

Kostüme sind so schön!“ Das Bildnis aber<br />

faucht und sabbert und die Maden kriechen aus<br />

ihm heraus. „Die Anstrengungen in der Welt<br />

des <strong>Film</strong>s, das eigene jugendliche Ideal-Bild zu<br />

konservieren, haben – welch böse Ironie – oftmals<br />

dazu geführt, sich nicht die Merkmale<br />

Dorian Grays, sondern die seines Zauber-Porträts<br />

anzueignen, nämlich maskenhafte Erstarrung<br />

und fratzenhafte Entstellung.“ (Christoph<br />

Meyring in SISSY 1/10)<br />

DIE REGENSCHIRME<br />

VON CHERBOURG<br />

Fr 1964, regie: Jacques Demy, Arthaus Kinowelt<br />

„Wie trist!“, sagt die in<br />

bonbonrosa ausstaffierte<br />

Mutter der Protagonistin<br />

vor einer lachsroten Tapete<br />

und gießt Tee in ein<br />

weißes Service mit rosaroten,<br />

floralen Mustern.<br />

Und falsch: Sie sagt es<br />

nicht, sie singt es! Wie<br />

auch der Automechaniker die Frage nach der<br />

Überstunde singend beantwortet, die Geliebte<br />

den Kriegsbericht ihres Freundes aus einem<br />

Brief vorsingt und der Briefträger sein „Bonjour<br />

Madame“ trällert. In Die Regenschirme<br />

von Cherbourg, dem französischen Hitmusical<br />

der 1960er Jahre, wird tatsächlich alles gesungen,<br />

alles in Knallfarben dekoriert, in jedem<br />

40<br />

(auch sehr ernsten) Moment eine atemberaubende<br />

Künstlichkeit zelebriert, dem das puppenhaft<br />

in Perfektion erstarrte Gesicht von Cathérine<br />

Deneuve in ihrer ersten Rolle wie von<br />

Ferne zuschaut. Selbst der Regen in der Titelsequenz<br />

scheint direkt von der Kamera herunterzufließen,<br />

nicht vom Himmel. Diese kleine<br />

Geschichte vom insolventen Regen schirmladen<br />

und einer Liebe, die vom Algerienkrieg vereitelt<br />

wird, stammt von Jacques Demy, dem französischen<br />

Queer-<strong>Film</strong>-Pionier und Träumer<br />

der Nouvelle Vague, auf den sich heute Ozon<br />

und Honoré berufen, und erscheint hiermit<br />

zum ersten Mal auf DVD (zusammen mit einem<br />

Porträt des Regisseurs von seiner Frau Agnès<br />

Varda, die sich seit dem Aids-Tod Demys<br />

1990 darum bemüht, dass seine <strong>Film</strong>e angemessen<br />

gewürdigt werden). Die Knalligkeit der<br />

Farben konnte man leider nur annähernd rekonstruieren,<br />

aber die Musik strahlt noch und<br />

der Hauptdarsteller Nino Castelnuovo auch.<br />

Und der Camp des <strong>Film</strong>s zeigt sich nicht zuletzt<br />

im Vermögen, Kitsch ernst zu nehmen<br />

und sich gleichzeitig über sich lustig zu machen:<br />

„Aus Liebe stirbt man nur in <strong>Film</strong>en“,<br />

sagt die Mutter zur armen Cathérine Deneuve.<br />

Und: Er hasse „alle Sachen, in denen nur gesungen<br />

wird“, singt (!) ein Automechaniker und<br />

empfiehlt als Alternative: das Kino! jk<br />

MEIN SÜSSER KLEINER ARSCH<br />

CH 1997, regie: Simon Bischoff, GM<strong>Film</strong>s<br />

In der Welt drehe sich ja<br />

alles nur um das Geld und<br />

um den Arsch, findet Jean<br />

Neuenschwander. In seiner<br />

kleinen Welt ist das<br />

tatsächlich so. Neuenschwander<br />

ist ein rüstiger<br />

Frührentner, der dauerhaft<br />

nach Tanger gezogen<br />

ist, wo Geld und Ärsche keine Probleme mehr<br />

bereiten. Seine Freunde sind ein Zirkel europäischer<br />

Herren in ähnlicher Situation, für die<br />

Hubert Fichte mal den Ausdruck „Ricard-Tanten“<br />

geprägt hat: Sie genießen das Leben, teilen<br />

sich die Jungs, sorgen für Ordnung (Neuenschwander<br />

war mal Postangestellter) und<br />

schwärmen von den großen „Riemen“. Simon<br />

Bischoffs <strong>Film</strong> lässt sich ganz auf ihre Welt ein,<br />

lauscht ihrer Selbstdarstellung, findet die naheliegenden<br />

Bilder zu ihrer etwas angestrengt<br />

deftigen Sprache. Hat sich Neuenschwander im<br />

Verlauf von dreizehn Jahren angewöhnt, seine<br />

Liebhaber gleichen Namens durchzunummerieren,<br />

so listet auch der <strong>Film</strong> Mohammed 1,<br />

Mohammed 2 und Mohammed 3 als Protagonisten<br />

auf. Ein einziger Marokkaner darf nach<br />

70 Minuten auch mal seine Geschichte erzählen<br />

(ohne dass es dabei um mehr als um Geld<br />

oder Ärsche ginge). Und so wächst die Faszination<br />

dieses <strong>Film</strong>s, gerade weil er im Ricard-Tanten-Milieu<br />

so völlig verloren geht. Er zeigt europäische<br />

Ordnungsfanatiker, die das Begehren<br />

in die chaotische Fremde treibt, gestandene<br />

Männer, die sich auf ihren Arsch reduzieren.<br />

Und Paul Bowles (über den eine großartige Geschichte<br />

erzählt wird) blickt für einen kurzen<br />

Augenblick alt und stumm in die Kamera. Der<br />

Regisseur lebt jetzt angeblich auch in Marokko<br />

und hat wohl mit dem <strong>Film</strong>en aufgehört. jk<br />

VERzAUBERt<br />

D 1993, regie: diverse, Edition Salzgeber<br />

1977 kam der Dokumentarfilm<br />

„Word is Out“ in<br />

den USA heraus und setzte<br />

damit einen Trend.<br />

Schwule und Lesben erzählten<br />

darin von ihren<br />

Erfahrungen und aus ihren<br />

Erinnerungen und damit<br />

setzte sich für die lesbischschwule<br />

Community ein selbstbewusstes<br />

Bild des eigenen Lebensstils zusammen, das<br />

man den Vorurteilen und Klischees der (<strong>Film</strong>-)<br />

Geschichte entgegensetzen konnte. Anfang der<br />

1990er begannen Studentinnen und Studenten<br />

der Uni Hamburg etwas ähnlich Naheliegendes<br />

und Verdienstvolles: sie fragten ältere Lesben<br />

und Schwule in ihrer Stadt, wie sie ihre<br />

Jugend erlebt haben. Also: als Verfolgte, Illegale,<br />

Verfemte und erst spät (wenn überhaupt)<br />

Rehabilitierte in den 1930er bis 1950er Jahren.<br />

Da fallen Sätze wie: „Eigentlich war ja unser<br />

ganzes Leben auf ständigen Lügen aufgebaut“.<br />

Es wird vom Rosa Winkel gesprochen, von<br />

„Schutzhaft“, von Anschwärzungen, Selbstmorden<br />

und „Freundesehen“. Und auch davon,<br />

dass viele Homosexuelle, die halbwegs heil<br />

durch die NS-Zeit gekommen waren, schließlich<br />

im ebenso repressiven Nachkriegsdeutschland<br />

zugrunde gegangen sind. Aber das Bild ist<br />

facettenreicher, es schließt mit ein, wie tatsächlich<br />

der Alltag aussah, wie man „verzaubert“<br />

ausgehen, sich verlieben, lange Partnerschaften<br />

eingehen konnte. Die <strong>Film</strong>emacher<br />

stellen die richtigen Fragen und halten sich an-<br />

genehm zurück, und die Protagonisten erzählen<br />

stolz, mit Witz und Würde. Nur einmal<br />

setzt man sich über sie hinweg. Da erzählt<br />

Wally, die mal auf der Reeperbahn gearbeitet<br />

hat, was für ein „alter Wichser“ Hans Albers in<br />

Wahrheit gewesen war, doch ausgerechnet ihm<br />

gehört das letzte Wort: sein „Goodbye, Johnny“<br />

liegt als verklemmte und ungeplante Homohymne<br />

über den Abschlusstiteln. Ein <strong>Film</strong><br />

für jedes DVD-Regal von selbstbewussten Lesben<br />

und Schwulen! jk<br />

POStCARD tO DADDY<br />

DE 2010, regie: Michael Stock, Edition Salzgeber<br />

„Michael Stock suchte<br />

den Kontakt zum Vater,<br />

besuchte den inzwischen<br />

längst in einer neuen Familie<br />

lebenden, schwer<br />

kranken Mann, stellte die<br />

Kamera auf und forderte<br />

eine Stellungnahme,<br />

mehr noch: eine Entschuldigung<br />

ein. Der Selbstmord eines Freundes,<br />

der Ähnliches mit seinem Vater erlebt<br />

hatte und an dessen Kälte zerbrach, löste diese<br />

Initiative aus. Das Mindeste geschah, der Alte<br />

gab die Einwilligung, diese Szene der Selbstentblößung<br />

im <strong>Film</strong> zu verwenden. Was er<br />

über sich und den Missbrauch an seinem Sohn<br />

sagt, ist erschütternd. In Postcard to Daddy<br />

spielt es keine Rolle, dass es äußerst schwer<br />

ist, adäquate Bildebenen für das Erzählte zu<br />

finden, die nicht von den Genre-Konventionen<br />

kontaminiert sind. Michael Stocks <strong>Film</strong> berührt,<br />

weil er bei seinen glaubwürdigen persönlichen<br />

Ausdrucksmitteln bleibt.“ (Clara<br />

Brink in SISSY 2/10)<br />

PRINz IN HöLLELAND<br />

DE 1993, regie: Michael Stock, Edition Salzgeber<br />

Nachdem Regisseur Michael<br />

Stock seit der diesjährigen<br />

Berlinale für seinen<br />

autobiografischen<br />

D o k u m e n t a r fi l m Postcard<br />

to Daddy ganz zu Recht<br />

einen <strong>Film</strong>preis nach dem<br />

anderen bekommt und<br />

das öffentliche Interesse<br />

an seinem Werk groß ist, wird nun dankenswerter<br />

Weise auch Prinz in Hölleland, sein<br />

Spielfilmdebüt, wieder veröffentlicht. Das ist<br />

inzwischen 17 Jahre alt, aber erstaunlicherweise<br />

noch genauso sehenswert wie zu Beginn<br />

der 90er Jahre, wenn auch aus anderen Gründen.<br />

Was seinerzeit scheinbar vor allem als<br />

komplett gelungene Momentaufnahme eines<br />

schwulen Nachwende-Westberlins zu faszinieren<br />

schien, entpuppt sich jetzt einfach als<br />

hervorragendes Drama, wunderbar gebaut,<br />

großartig gespielt und fein beobachtet. Natür-<br />

lich kann der <strong>Film</strong> aber auch einfach als nostalgischer<br />

Trip an Orte und in Umstände gesehen<br />

werden, die längst Geschichte sind. Aber<br />

dafür ist das herzzerreißende Kasperletheater<br />

und böse Junkiemärchen, das Stock hier erzählt<br />

und in einer der Hauptrollen auch selber<br />

spielt, fast zu schade. ps<br />

tIMIMOUN<br />

DE/Dz 2010, regie: Michael roes, Edition Salzgeber<br />

Zwei Freunde auf einer<br />

Reise. Laid und Nadir sind<br />

auf dem Weg ins algerische<br />

Hinterland, zu Laids<br />

Familie, in Laids Vergangenheit.<br />

Nadir kommt<br />

mit, weil er Laids Freund<br />

ist. Und diese Freundschaft<br />

wird mehr und<br />

mehr zur Möglichkeit, aus den alten Familienstrukturen<br />

auszubrechen, in der immer wieder<br />

nur die Ehre beschädigt wird und gewaltsam<br />

wiederhergestellt werden muss. Die Reise<br />

der beiden Freunde behält gegen dieses starre<br />

System ihre Leichtigkeit, ihre Beweglichkeit<br />

und ihren Humor. Wie auch dieser <strong>Film</strong>, der<br />

mit einfachsten Mitteln Großes wagt. Ob das<br />

noch Freundschaft ist oder schon Liebe, bleibt<br />

dahingestellt. Auf jeden Fall eine Utopie. Mehr<br />

auf Seite 36.<br />

ANDER<br />

ES 2009, regie: roberto Castón, Bildkraft<br />

Die „Süddeutsche Zeitung<br />

fand: „Ein richtiger<br />

Schwulenfilm ist Ander<br />

nicht.“ und hat ein bisschen<br />

Recht damit. Nichts<br />

an der langsam, in der<br />

großartigen Kulisse des<br />

spanischen Baskenlandes<br />

erzählten Bauer-sucht-<br />

Mann-Geschichte, erinnert an den lärmenden,<br />

ironisch unterfütterten Habitus, mit dem<br />

Storys über moderne Homosexuelle gemeinhin<br />

erzählt werden. Ander ist 40 und bricht<br />

sich bei der Arbeit mit den Tieren ein Bein,<br />

weshalb der junge peruanische Hilfsarbeiter<br />

auf dem Hof ankommt, um das Vieh zu versorgen.<br />

Die beiden verlieben sich ineinander und<br />

am Ende kann auch Anders Rabenaas von alter<br />

Mutter nichts daran ändern, dass die Beziehungsmoderne<br />

Einzug hält und alle irgendwie<br />

glücklich werden. Regisseur Roberto<br />

Castón ist für Ander mit Lob und Preisen überhäuft<br />

worden, weil er keine Angst vor der Stille<br />

hat, mit der die Liebe manchmal eben einfach<br />

passiert und vor der Kraft, mit der seine<br />

Schauspieler den totalen Wandel in ihren Leben<br />

ruhig und gelassen darstellen. Ein bemerkenswertes,<br />

ganz und gar wunderbares Stück<br />

spanisches Kino, das es auf Anhieb in den Ka-<br />

non der schönsten schwulen <strong>Film</strong>e aller Zeiten<br />

schafft, egal, was in der „Süddeutschen“<br />

steht. ps<br />

SPINNIN’<br />

ES 2007, regie: Eusebio Pastrana, Edition Salzgeber<br />

„In Form einer recht losen<br />

Erzählstruktur mit unzähligenNebenschauplätzen<br />

umreißt der <strong>Film</strong> die<br />

Schwierigkeiten, mit denen<br />

sich ein schwules<br />

Paar mit Kinderwunsch<br />

herumschlägt. Dabei geht<br />

es ihm darum, nachvollziehbar<br />

zu machen, wie kreativ und produktiv<br />

der einzelne Mensch werden kann, wenn er<br />

versucht, für sich eine den eigenen Wünschen<br />

und Sehnsüchten entsprechende Zukunftsperspektive<br />

zu entwickeln. Für dieses Plädoyer für<br />

individuelle Lebenslösungen hat der Regisseur<br />

die Form des mit Skurrilitäten durchsetzten<br />

und zugleich warmherzigen „Feelgood-Movies“<br />

im Geiste von Jean-Pierre Jeunet‘s Amélie<br />

oder Michel Gondrys Science of Sleep gewählt.<br />

Soll heißen, dass gerade in tragischen Situationen<br />

auch gerne mal ältere Herren in Tütüs<br />

durchs Bild tanzen oder munter die <strong>Film</strong>küsse<br />

durch das Hochhalten handgemalter Nummernschilder<br />

gezählt werden. Und natürlich<br />

fehlt auch das für diese Art von <strong>Film</strong>en obligatorische<br />

Plädoyer für die Liebe als alles am<br />

Laufen haltende Urkraft nicht.“ (Hanno Stecher<br />

in SISSY 2/10)<br />

JAY<br />

frisch ausgepackt<br />

HK 2008, regie: Francis Xavier Pasion, CMV Laservision<br />

Auf den Philippinen, einem<br />

politischen Operettenstaat<br />

ohne Kinoszene,<br />

entstehen seit einigen<br />

Jahren ziemlich aufregende<br />

und facettenreiche<br />

<strong>Film</strong>e, die vor allem auf<br />

westlichen Festivals gefeiert<br />

werden. Obwohl<br />

der Blick der <strong>Film</strong>e auf die Realität des Landes<br />

oft präzise und erbarmungslos ist, erschöpfen<br />

sie sich selten im dokumentarischen Stil. Der<br />

Pseudo-Ratgeber „Wie man auf den Philippinen<br />

Dokumentarfilme macht“ liegt auf dem<br />

Nachttisch des TV-Produzenten Jay, dem Helden<br />

des gleichnamigen <strong>Film</strong>s. Das ist eine böse<br />

Pointe. Eigentlich recherchiert er zwar den<br />

Mord an einem anderen Jay, einem schwulen<br />

Lehrer – doch von Recherche kann eigentlich<br />

keine Rede sein. Es soll ein wüstes, manipulatives<br />

Format werden mit heulenden Müttern,<br />

betretenen Kollegen, wilden Verbrecherjagden<br />

und herzzereißenden Liebesbekenntnissen<br />

des Exfreundes. Und wie man es wiederum<br />

in medienkritischen Spielfilmen erwartet,<br />

41


frisch ausgepackt<br />

machen die „einfachen“ Leute nicht nur alles<br />

mit, was der zynische Fernsehmensch von ihnen<br />

verlangt, sondern setzen gerne noch eins<br />

drauf, um vielleicht so in die nächste Casting-<br />

Show zu kommen. Das Ganze ist bitterböse<br />

ausformuliert, auch wenn der letzte Twist des<br />

Drehbuchs, der das Verhältnis von Fiktion und<br />

Realität noch einmal neu ordnet, nicht unbedingt<br />

hätte sein müssen. In dieser durch und<br />

durch korrumpierten Welt gehorchen nämlich<br />

alle der Fiktionsmaschine, dem Sender, der<br />

bezeichnenderweise „Mutter“ genannt wird.<br />

Für diese Erkenntnis wurde Jay auf westlichen<br />

Festivals gefeiert. jk<br />

ANtONIOS GEHEIMNIS<br />

PH 2008, regie: Joselito Altarejos, Bildkraft<br />

Antonio hat alles, was<br />

man als heranwachsender<br />

Homosexueller so<br />

braucht: einen abwesenden<br />

Vater, der als Gastarbeiter<br />

in Dubai das Geld<br />

ranschafft, und eine dominante<br />

Mutter, die keine<br />

weiteren Lebensinhalte<br />

hat als ihre Familie, die nur aus ihrem Sohn<br />

besteht. Aber eigentlich geht es dem 15-Jährigen<br />

nicht schlecht damit: Er weiß was er will,<br />

hat eine Amouresque mit seinem Kumpel Nathan<br />

und hiernach gleich mal sein Coming-<br />

Out im Freundeskreis. Alles könnte so schön<br />

sein, glaubte Mama nicht, Antonio bräuchte<br />

eine Vaterfigur. Die wird mit dem jungen Onkel<br />

Jonbert besetzt, der wenig väterliche Gefühle<br />

für Antonio entwickelt, aber genau weiß,<br />

wie dessen Leben künftig ablaufen soll: Antonios<br />

… psychologisches Strickmuster steuert<br />

direkt in die Katastrophe. Das ist ein bisschen<br />

anstrengend, aber Joselito Altarejos’ <strong>Film</strong> rettet<br />

sich durch die bemerkenswerten Leistungen<br />

aller seiner Darsteller selbst. Kenjie Garcia<br />

als Antonio und Josh Ivan Morales als<br />

Jonbert, liefern sich einen zähen, sehenswerten<br />

Kampf um die Frage, was „schwul“ heißt<br />

und wie das funktioniert. Der <strong>Film</strong> ist eins von<br />

inzwischen gefühlten 500 asiatischen Jugenddramen<br />

der letzten Jahre, gehört aber zu den<br />

besten 20 davon. ps<br />

FEUILLE<br />

CN 2004, regie: Youxin Yang, CMV Laservision<br />

Warum müssen Französinnen<br />

in Lesbenfilmen<br />

eigentlich immer so destruktiv<br />

sein? Schon in<br />

Emma und Marie war die<br />

liebeskranke lesbische<br />

Protagonistin nur schwer<br />

erträglich. Und die in<br />

Feuille macht es nicht<br />

besser: Die Fotografin Stéphanie trifft in Pa-<br />

42<br />

ris die Malerin Meihua. Sie ist aus China nach<br />

Frankreich gekommen, um Kunst zu studieren.<br />

Die beiden verstehen sich auf Anhieb,<br />

doch während Meihua vor allem an Stéphanies<br />

Sprachunterricht und Kunstverständnis<br />

interessiert ist, würde diese gerne auch das<br />

Bett mit der Chinesin teilen. Aus dieser Konstellation<br />

hätte eine poetische Liebesgeschichte<br />

im Spannungsfeld zwischen sexueller und<br />

kultureller Identität werden können. Stattdessen<br />

sieht man sich mit homophoben und<br />

manipulativen Figuren konfrontiert: Weil<br />

ihre Angebetete Homosexualität für eine<br />

Krankheit hält, die man heilen kann, sabotiert<br />

die gedemütigte Stéphanie Meihuas Beziehung<br />

zu ihrem Verlobten. Als wäre das<br />

nicht Drama genug, kommt auch noch die<br />

Aids-Krise ins Spiel – immerhin ein Thema,<br />

das in Frauenbeziehungen so gut wie nie thematisiert<br />

wird. Natürlich kann Meihua ihre<br />

Feuille nicht so leicht vergessen. „Aber was<br />

hat diese Liebe mit Homosexualität zu tun?“,<br />

fragt sie am Ende. „Ich würde sagen, dass so<br />

etwas Anmutiges über den Geschlechtern<br />

steht.“ ms<br />

HANNAH FREE<br />

uS 2009, regie: Wendy Jo Carlton, Pro-Fun Media<br />

Hannah liegt im Altersheim<br />

nur wenige Meter<br />

von ihrer langjährigen<br />

Geliebten entfernt, und<br />

ist ihr doch ferner als je<br />

zuvor. Rachel ist nach einem<br />

Schlaganfall ins<br />

Koma gefallen und wird<br />

von ihrer eifersüchtigen<br />

Tochter bewacht. Ohne jede Rechtsgrundlage,<br />

ihre Partnerin noch einmal sehen zu können,<br />

flüchtet Hannah sich in Tagträume. In Rückblenden<br />

erzählt die Regisseurin Wendy Jo<br />

Carlton in Hannah Free , wie die beiden Frauen<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts gemeinsam<br />

aufwuchsen; wie sich aus Freundschaft Liebe<br />

entwickelte, die in einer puritanischen US-<br />

Kleinstadt im Mittleren Westen doch nie offen<br />

gelebt werden konnte. In Gesprächen, die<br />

Hannah im Geiste mit Rachel führt, arbeiten<br />

sie alte Konflikte auf: Hannah ihre Enttäuschung<br />

über die Angepasstheit der verheirateten<br />

Hausfrau – und die ihre Wut über die vielen<br />

Reisen der abenteuerlustigen Freundin.<br />

Erst die Begegnung mit einer geheimnisvollen<br />

jungen Besucherin bringt sie wieder zusammen.<br />

Das ist nicht nur anrührend anzusehen,<br />

sondern als <strong>Film</strong> über Lesben im Alter auch<br />

eine echte Rarität. Wie erfreulich, dass so viel<br />

Sex darin vorkommt; und welch ein Glücksfall,<br />

dass Golden-Globe-Gewinnerin Sharon<br />

Gless (Queer as Folk) die Hauptrolle spielt. Sie<br />

verleiht Hannah so viel Leidenschaft und trockenen<br />

Humor, dass man sie auf der Stelle als<br />

Oma adoptieren möchte. ms<br />

UNtERWEGS MIt KAtHY K.<br />

uS 2009, regie: Nancy Kissam, Edition Salzgeber<br />

Die vernachlässigte Hausfrau<br />

Anora bekommt von<br />

ihrer neuen Nachbarin,<br />

einer Kosmetikvertreterin,<br />

endlich das was sie<br />

braucht: Handcreme. Und<br />

Liebe. „Soweit das Auge<br />

reicht – alle queer und<br />

verrückt. Vielleicht besser<br />

für Ehemann Cheb, dass man ihn erschießt. In<br />

Nancy Kissams Welt erscheint er wie Charlton<br />

Heston in Planet der Affen – sprich: der letzte<br />

Überlebende. Und da in der Welt des heterosexuellen<br />

Patriarchen kein Platz für queeres Leben<br />

ist, gibt man ihm den Gnadenschuss.“ (Alice<br />

Roberts in SISSY 1/10)<br />

tHREE – DREI SIND KEINER zUVIEL<br />

uS 1996, regie: Stephen Bulfield, CMV Laservision<br />

Howard Roffman ist ja<br />

auch so einer, der die „natürliche<br />

Schönheit“ von<br />

jungen Männern in sinnlichenSchwarzweiß-Fotografien<br />

festhalten will.<br />

„Aktfotograf“, nennt das<br />

Wikipedia nüchtern. Anders<br />

als in den stilisierten<br />

Phantasien seiner Fotobände kommen einem<br />

die Modelle John, Gary und Kris im fast fünfzehn<br />

Jahre später veröffentlichten Begleit-<br />

<strong>Film</strong> durchaus lebensecht und normal vor. Das<br />

Spektakuläre ist ihre Dreierbeziehung, und<br />

die Jungs bemühen sich auch sehr, ihre bisherigen<br />

schönen und traurigen Erfahrungen in<br />

dieser Verbindung auszuloten. Ein wirklich<br />

präzises Bild bekommt man trotzdem nicht<br />

vom Alltag und den konkreten Bedingungen<br />

des Zusammenseins. Und man wüsste auch<br />

gerne, ob die vom Fotografen verkuppelten<br />

Jungs noch immer zusammen sind. Und erkennt<br />

schließlich, dass hier auch „nur“ eine<br />

stilisierte Phantasie geschaffen wird, wenn<br />

auch in Farbe und Digitalvideo. Aber es ist<br />

niedlich, wie das Leben immer wieder in die<br />

Bilder fließt: Wie oft sie denn nun miteinander<br />

Sex haben, will Bulfield wissen; Und John sagt<br />

stolz: zu dritt mindestens einmal am Tag.<br />

Dann kommt Kris nach Hause, John fragt ihn<br />

das gleiche, beisst sich vor Erwartung auf die<br />

Lippe, und Kris bemerkt lakonisch: ein paar<br />

Mal in der Woche vielleicht, aber das sei ganz<br />

unterschiedlich. Ein Rezensent hat tatsächlich<br />

schon bedauert, dass man ja im <strong>Film</strong> erst sieht,<br />

wie tuntig die Jungs sind – was die Aktbilder<br />

wohlweislich verschweigen. Das kann man<br />

aber auch sehr schön finden. Nach fünfzehn<br />

Jahren bleibt das ein lebendiger Eindruck,<br />

während der Fotoband längst zum Antiquariatstitel<br />

geworden ist. jk<br />

NEWCAStLE<br />

Regisseur Ron Oliver<br />

Au/JP 2008, regie: Dan Castle, Pro-Fun Media<br />

wurde schon dreimal für<br />

einen Emmy nominiert.<br />

Es ist relativ egal, was hier über Newcastle<br />

Der Emmy ist der wich-<br />

steht, diesen <strong>Film</strong> werden sich viele schwule<br />

tigste Fernsehpreis der<br />

Männer viele Male ansehen. Beworben wird<br />

USA und eine Prestige-<br />

Dan Castles Streifen mit dem grenzdementen<br />

trächtige Angelegenheit.<br />

Claim: „Top Gun in den Wellen; Rocky mit Sur-<br />

Wer nominiert wird, dem<br />

fern!“ Wer jetzt versucht, sich vorzustellen,<br />

sagt eine Branche, in der<br />

anzeige_schwubus_sissi_09_2009:cover_msk<br />

wie Tom Cruise erfolglos versucht,<br />

10.08.10<br />

ein<br />

11:51<br />

es viel<br />

Seite<br />

Neid<br />

1<br />

und Missgunst gibt: „Fein gemacht,<br />

ck grafik design<br />

MR. RIGHt<br />

GB 2009, regie: Jacqui & David Morris, Pro-Fun Media<br />

„Fancy a fuck?“ Schöne<br />

Abschlussfrage nach einem<br />

Beziehungsgespräch.<br />

Irgendwie merkt man<br />

gleich – man ist in Großbritannien.<br />

Hipperweise<br />

in Soho, um genau zu sein.<br />

Und dort, unter Kreativen,<br />

also Kreativ-TV-Produzenten,<br />

Kreativ-Köchen, Kreativ-Anti quitätenhändlern<br />

und lauter Möchte gernschauspielern,<br />

haben die Männer Probleme und ein paar<br />

Freundinnen, die ihnen dabei zuschauen. Eine<br />

Clique also, Liebessorgen, Bindungsängste,<br />

Seitensprünge und der allgemeine Lebensblues.<br />

Aber das geht auch witzig und ist hier<br />

leicht aufbereitet. Die Dialoge sind spitz, das<br />

Tempo hoch, die Schauspieler gut, nur der<br />

Soundtrack etwas überladen (19 Songs, behauptet<br />

der Abspann). Schon nach kurzer Zeit<br />

mag man die Jungs und ihre unrealistischen<br />

Vorstellungen von Glücksverwirklichung ganz<br />

gerne; bis auf einen, den Galleristen für ausgesprochen<br />

„schwule Kunst“, dem ganz übel mitgespielt<br />

wird – vom Freund und vom Drehbuch.<br />

Doch dann merkt man, dass der Regisseur diese<br />

Rolle mit sich selbst besetzt hat und das ist<br />

dann wieder sehr selbstironisch, britisch<br />

eben. jk<br />

Ob brandneu oder wieder aufgelegter Klassiker…<br />

Maßgeschneidert!<br />

A Single Man<br />

DVD, FSK 12, 15,99 Euro<br />

Surf brett in einen Düsenjet<br />

zu stopfen oder wie<br />

Sylvester Stallone in Boxhandschuhen<br />

im Sonnenaufgang<br />

in die Gischt<br />

kippt, ist selber schuld.<br />

Denn das eigentliche Verkaufsargument<br />

von Newcastle<br />

lautet: „Blonde, surfende<br />

Australier um die 18 laufen 90 Minuten<br />

halb oder ganz nackt rum und einer von denen<br />

ist sogar schwul.“ Das ist für DVD-Boxen zu<br />

lang, zugegeben, dafür aber die Wahrheit.<br />

Newcastle ist einer dieser <strong>Film</strong>e für Männer,<br />

die zu feige für echte Pornografie sind und deswegen<br />

so tun müssen, als würden sie das hier<br />

wegen der gar nicht mal schlechten Coming-<br />

Out-Geschichte oder des Sozialdramas gucken,<br />

das der Regisseur seinen jugendlichen Amateur-Darstellern<br />

zum Spielen am Strand mitgegeben<br />

hat. Wofür man den <strong>Film</strong> hingegen sehr<br />

gut gucken kann: Shane Jacobson als proletarischer<br />

Vater eines schwulen Sohnes, den er genauso<br />

liebt, wie seine anderen beiden und die<br />

absolut spektakulären Unterwasser-Aufnahmen.<br />

Aber wie gesagt, es ist auch völlig egal,<br />

was hier steht. ps<br />

„DONALD StRACHEY: UND RAUS<br />

BISt DU”, „ICE BLUES”,<br />

DONALD-StRACHEY-BOx<br />

uSA 2005–2008, regie: ron oliver, Pro-Fun Media<br />

Erschütternd!<br />

Bent<br />

DVD, FSK 16, 17,99 Euro<br />

frisch ausgepackt<br />

weiter so. Jetzt musst du dir erst mal eine Weile<br />

keine Sorgen um Jobs machen.“ Das war auch<br />

bei Ron Oliver so. Seit er für Goosebumps und<br />

Ultimate Goosepumps fast preisgekrönt wurde,<br />

kann er sich vor Arbeit kaum retten: Er ist seit<br />

fünf Jahren fast ausschließlich für den schwulen<br />

Fernsehsender „here TV“ tätig. Oliver dreht<br />

zwei bis drei <strong>Film</strong>e mit schwuler oder lesbischer<br />

Thematik im Jahr und gehört damit zu<br />

den Fließband-Regisseuren des Genres. Das<br />

Bemerkenswerte: Olivers Durchbruch Goosebumps<br />

war nicht, wie man ob des gänsehäutigen<br />

Titels annehmen könnte, ein Erotik- oder<br />

Horrorstreifen, sondern ein Kinderprogramm<br />

über ein kleines, nettes Wesen Namens, genau,<br />

Goosebumps. Von da aus stieg Oliver über den<br />

Umweg Queer as Folk fast direkt bei „here TV“<br />

ein und bewies: Er weiß, was Jungs wollen,<br />

egal wie alt die sind. In den USA sind das, wie<br />

überall auf der Welt, vor allem Krimis. Deswegen<br />

nahm sich Oliver zwischen 2005 und 2008<br />

gleich viermal den bekanntesten schwulen Privatdetektiv<br />

der Welt Donald Strachey vor und<br />

verfilmte einen der Romane, in denen Richard<br />

Stevenson Strachey unterhaltsam und ganz<br />

und gar offen schwul Räuber, Diebe und Mörder<br />

jagen lässt. Und zwar aus cineastischer<br />

Sicht gar nicht mal schlecht. Die Vorlagen sind<br />

das, was man in Amerika liebevoll „Pulp Fiction“<br />

nennt, Groschenromane, und die Fernsehumsetzung<br />

hat Spaß dabei, sich an diese Vorgabe<br />

zu halten. Chad Allen gibt als Strachey<br />

einen schnuckeligen Detektiv ab, die Fälle sind<br />

von jedem Deppen zu durchschauen, es gibt in<br />

jeder Folge hübsche Gastauftritte camper Gesichtsvermieter<br />

von Matthew Rush bis Morgan<br />

Fairchild und der Ton ist süffisant ironisch.<br />

Warum sich der deutsche DVD-Vertrieb entschieden<br />

hat, die <strong>Film</strong>e in der falschen Reihenfolge<br />

zu veröffentlichen, muss man jetzt nicht<br />

mehr fragen, denn mit Und du bist raus (Teil 1)<br />

und Systemschock erscheinen jetzt die letzten<br />

beiden, der Kunde kann seinen Satz also kom-<br />

Wir haben (fast) alles.<br />

Auch aus dem Ausland.<br />

Und was wir nicht am Lager haben,<br />

besorgen wir gerne.<br />

Auch aus dem Ausland.<br />

Portofrei<br />

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BERLIN - EISENHERZ Lietzenburger Straße 9a | HAMBURG - MÄNNERSCHWARM Lange Reihe 102 | STUTTGART - ERL KOE NIG Nesenbachstraße 52 | MÜNCHEN - MAX & MILIAN Ick statt straße 2


frisch ausgepackt<br />

plettieren. Oder sich gleich die Strachey-Box<br />

kaufen und sich fast acht Stunden kindlichkerlige<br />

Krimikost gönnen. Für die Sonntag-<br />

Abende ohne UFO-Tatort. ps<br />

L-SHORtS<br />

CH/CA/uS/Fr 2004–2009, Edition Salzgeber<br />

Zwei Jahre nach der letzten<br />

Ausgabe von Liebesperlen<br />

freut sich die Kurzfilmverwöhnte<br />

Frau von<br />

Welt auf Nachschub. Und<br />

muss feststellen, dass die<br />

lesbische Welt ganz schön<br />

monothematisch geworden<br />

ist: In L-Shorts, den<br />

sieben beliebtesten Kurzfilmen der L-<strong>Film</strong>nacht,<br />

dreht sich vieles um Kinder, Kinder und<br />

nochmals Kinder. Da klaut Möchtegern-Mom<br />

Lillith in einer nächtlichen Einbruchsaktion<br />

die Spermien ihres Schwagers, den sie per Katzenhypnose<br />

ins Nirvana geschickt hat (Succubus);<br />

zwei Französinnen lassen sich von ihrer<br />

Wissenschaftsverrückten Freundin Fruchtbarkeitsdrinks<br />

andrehen, um eine künstliche<br />

Gebärmutter zu züchten (Pepita, Laura und<br />

Kitty), und eine Tankstellenbesitzerin trifft,<br />

vergessen an der Zapfsäule, die Tochter, die sie<br />

selbst nie hatte (Pit Stop). Wie gut, dass die US-<br />

Regisseurin Laura Terruso mit Dyke Dollar<br />

auch eine wirklich abgedrehte Story beigesteuert<br />

hat: Einst von lesbischen Aktivistinnen gedruckt,<br />

um auf ihre Benachteiligung im patriarchalen<br />

Finanzsystem hinzuweisen, erwacht<br />

ein Geldschein jedes Mal neu zum Leben, wenn<br />

er den Besitzer wechselt. Wie ein Flaschengeist<br />

weicht der „Dyke Dollar“ diesem dann nicht<br />

mehr von der Seite, bis er ihn zu einem homofreundlichen<br />

Menschen erzogen hat – eine<br />

herrlich schräge Utopie. ms<br />

REIFEPRÜFUNG<br />

Fr/uK/uS/CA 2001–2009, Edition Salzgeber<br />

15 ist ein schwieriges Alter.<br />

Man weiß noch nicht<br />

so viel, aber ahnt schon so<br />

manches, kann noch<br />

nichts, aber will schon<br />

mehr als alles. Auf Reifeprüfung<br />

sind gleich sechs<br />

<strong>Film</strong>e über 15-jährige<br />

Jungs drauf, die dem Zuschauer<br />

alles zwischen erstem Mal und letzter<br />

Unschuld erzählen. Lieblingsfilm des Rezensenten:<br />

Danach. Die Verfilmung eines Dennis-<br />

Cooper-Gedichts erzählt von drei jungen Perversen<br />

und einem unschuldigen Footballspieler<br />

und kommt ganz ohne Worte aus. Hübsch bunt<br />

und mit einer hübschen Pointe. Die hat auch<br />

Wofür hältst du mich?, ein kleines schottisches<br />

Proletarierdrama, in dem man nie genau weiß,<br />

wer wen wirklich will. Ein Sonnenstrahl trifft<br />

das Auge ist hübsch naturverbunden, obwohl<br />

es tränentreibend ist, jemandem dabei zuzusehen,<br />

wie er sich einem Baum anvertraut, weil er<br />

sonst niemandem hat, mit dem er über seine<br />

erste große Liebe reden kann. Dafür ist dieses<br />

Kleinod ganz wunderbar gedreht und erzeugt<br />

innerhalb weniger Bilder eine große Intimität<br />

und Nähe zu seinem Protagonisten. Das Jungsein<br />

eine immer schöne und einfache Sache ist,<br />

glaubt man vielleicht dann doch nur im Retrospekt.<br />

Reifeprüfung zeigt warum. ps<br />

KLEINE VANDALEN<br />

DE/CH 2007–2010, Edition Salzgeber<br />

Wenn man Kleine Vandalen<br />

als Indiz für die Qualität<br />

der Ausbildung an<br />

deutschen <strong>Film</strong>hochschulen<br />

anguckt, muss es dort<br />

von Leuten wimmeln, die<br />

genau wissen, wie man<br />

die Kreativität und das<br />

Talent ihrer Schützlinge<br />

in die genau richtigen Bahnen lenkt. Die sechs<br />

Kurzfilme von vor kurzem oder in Bälde von<br />

Hochschulen abgegangenen Herren und Damen<br />

sind ein einziger Grund, sich auf ihre<br />

Langfilme zu freuen. Egal ob Josephine Frydetzkis<br />

Brandenburg-Melodram B96 mit einem<br />

wunderbaren Harry Baer, die Punkromanze<br />

Love Kills von Tor Iben oder das nächtlich-inzestuöse<br />

Bübchen-Schaulaufen Zwillinge von<br />

Florian Gottschick, hier haben sechs <strong>Film</strong>emacher<br />

Geschichten über die schwule Selbstfindung<br />

zu erzählen, die von brüllend komisch<br />

über sozialdramatisch bis hocherotisch jeden<br />

Anspruch bedienen, den man als homosexueller<br />

Kinozuschauer so haben kann. Wer sich in<br />

den nächsten drei Monaten nur eine DVD<br />

kauft, sollte diese kaufen, es lohnt sich über<br />

alle Maßen. (Siehe auch Seite 12.) ps<br />

A SINGLE MAN<br />

uS 2009, regie: Tom Ford, Senator<br />

Tom Fords schwelgerische<br />

und dramatisierte<br />

Isherwood-Verfilmung ist<br />

vor allem ein <strong>Film</strong> über<br />

das Älterwerden – und<br />

über die Unsichtbarkeit<br />

schwuler Lebensentwürfe<br />

in den USA vor den großenEmanzipationsbewegungen.<br />

„Der Vorwurf der Oberflächlichkeit,<br />

der den <strong>Film</strong> seit seiner Premiere bei den <strong>Film</strong>festspielen<br />

von Venedig fortwährend begleitet,<br />

blendet nicht nur konsequent aus, mit welcher<br />

Entschlossenheit Ford hier als schwuler<br />

Künstler Stellung bezieht. Er verfehlt zudem<br />

auch das innerste Wesen seiner filmischen<br />

Strategie. Letztlich gleicht A Single Man dem<br />

mit seinen riesigen Panoramascheiben und<br />

von Glas dominierten Außenwänden allen Blicken<br />

offenen John-Lautner-Haus, in dem der<br />

von Colin Firth gespielte George Falconer<br />

wohnt. Ford löst Isherwoods ‚stream of<br />

consciousness‘-Erzählung konsequent in einen<br />

Strom von Bildern auf, der Georges Innerstes<br />

offenbart. Seine makellosen, beinahe hermetisch<br />

wirkenden Einstellungen sind auf eine<br />

ganz und gar einzigartige Weise selbst gläsern,<br />

also durchsichtig und eben nicht oberflächlich.“<br />

(Sascha Westphal in SISSY 1/10)<br />

Vertrauensort,<br />

leseheimat,<br />

Anlaufstelle<br />

von PhIlIPP wagner<br />

Wer in Wien einen neuen regenbogennapf für den Kater<br />

braucht oder nicht-heterosexuelle Bücher oder DVDs, sollte in<br />

die Buchhandlung Löwenherz gehen. Mama kann man ruhig<br />

mitnehmen.<br />

s „Warum kaufst du eigentlich deine Sachen nur in der Buchhandlung<br />

Löwenherz?“, blickt mich mein Kollege über den Bildschirmrand<br />

hinweg fragend an. Was meint er bloß damit? „Meine Sachen“ ist ein<br />

doch recht weitgefächerter Begriff, und bei Löwenherz handelt es<br />

sich um eine spezielle Fachbuchhandlung.<br />

Aber nach genauer Selbstbetrachtung muss ich bekennen: Er hat<br />

schon recht. Wenn es sich nicht gerade um Flugtickets handelt, sind<br />

die Chancen recht hoch, dass ich die Löwenherzen aufsuche. Eigentlich<br />

bekomme ich da alles, was ich will: gedruckte Wissenschaft und<br />

Belletristik, Soundtracks, Klassik-CDs und Hörbücher, Independent-<br />

<strong>Film</strong>e und Hochglanzpornos auf DVD – und Regenbogennäpfe für<br />

meine Kater, Pins für den Anzug, Fahnen für die Parade.<br />

Meine erste Antwort auf die Frage des Kollegen ist: „Weil ich<br />

immer schon dort eingekauft habe.“ Das ist schon etwas wienerisch,<br />

zugegeben. Es fällt mir jedoch tatsächlich schwer, mich an eine Zeit<br />

„vor Löwenherz“ zu erinnern.<br />

Zum ersten Mal führte mich der Weg im Rahmen meines Studiums<br />

dorthin. Ich begann mich für Homo/Sexualitätsgeschichte zu<br />

interessieren und brauchte Literatur zu diesem Thema. Wer mir die<br />

Buchhandlung Löwenherz empfohlen hat – und ob das überhaupt<br />

passiert ist –, kann ich nicht mehr sagen. Und obwohl ich vorher noch<br />

nie dort gewesen war, wurde mir schnell klar, dass sie die beste Wahl<br />

dafür ist. Auf die Idee, mich in die Uni- und Institutsbibliotheken zu<br />

bemühen, bin ich gar nicht gekommen.<br />

Nichts Besseres konnte mir also passieren. Der helle Laden der<br />

Löwenherzen ist mir seitdem bibliophiler Vertrauensort, Leseheimat<br />

und Anlaufstelle für die vielfältigsten Lebensprobleme (Regenbogennäpfe!)<br />

geworden. Vielleicht bin ich vorbelastet. Meine Eltern haben<br />

einander im Buchhandel kennen gelernt. Und innerfamiliär waren<br />

wir uns immer einig: Bücher kann man/frau gar nicht genug lesen.<br />

Bei den DVDs bin ich bei weitem nicht so suchtgefährdet wie bei<br />

den Büchern, aber die Löwenherzen machen es einem schon schwer:<br />

Der für Buchhändler erstaunlich vorurteilsfreie Umgang mit <strong>Film</strong>en<br />

(schon zu VHS-Zeiten!) hat ein Angebot von vermutlich an die<br />

1.000 schwulen <strong>Film</strong>en wachsen lassen, das auch mich immer wieder<br />

schwach werden lässt.<br />

Mein persönlicher Suchtmittelindex: der viermal jährlich erscheinende<br />

Katalog. Gut aufbereitet und warmherzig werden Neuerscheinungen<br />

vorgestellt, Empfehlungen abgegeben und Veranstaltungen<br />

angekündigt. Denn es versteht sich von selbst, dass die Löwenherzen<br />

ihre Aktivitäten nicht auf den Verkauf von Büchern und anderen Spei-<br />

Jürgen Ostler, Thomas Kriegel und Veit Schmidt<br />

chermedien beschränken. Selbstverständlich sind sie in der Wiener<br />

Szene fest verankert und oft Schauplatz szenepolitischer Treffen. Eng<br />

verbunden ist die Geschichte der Buchhandlung mit der Etablierung<br />

der Regenbogenparade (des Wiener CSD) und des Regenbogenballs.<br />

Erste Ansprechpartner sind die Löwenherzen, wenn es um Projekte<br />

wie Ausstellungen geht, die das schwullesbische Leben in Wien bzw.<br />

Österreich behandeln. Und schließlich zahlt es sich auch immer aus,<br />

auf einen Tratsch vorbeizukommen – sei es mit den Löwenherzen<br />

oder den KundInnen, die gerade da sind. So kann es auch passieren,<br />

dass Beratungsgespräche („Ich suche etwas in Richtung …“) zu Gruppendiskussionen<br />

werden.<br />

StammkundInnen genießen natürlich gewisse Vorteile. Wer öfter<br />

dort einkauft, bekommt gerne auch „ungefragt“ Empfehlungen. Auf<br />

das Wagnis sollte man sich einlassen. Denn die Löwenherzen empfehlen<br />

nicht nur Lektüre aus dem immerselben Topf, sondern schlagen<br />

auch Bücher und <strong>Film</strong>e vor, die mal ganz anders sind, als man sie<br />

ansonsten konsumiert. Diese Buchhandlung ist tatsächlich noch eine<br />

echte Bildungseinrichtung.<br />

Also, es ist wirklich eine seltsame Frage, warum ich alle „meine<br />

Sachen“ nur in der Buchhandlung Löwenherz kaufe. s<br />

PS: Meine Mutter ist mittlerweile auch Stammkundin.<br />

PPS: Löwenherz bietet gerade wieder einen Ausbildungsplatz an.<br />

Bewerbung bitte an buchhandlung@loewenherz.at<br />

Philipp Wagner ist Historiker und Autor von „Homosexualität und<br />

Gesellschaft. Ein Beitrag zur Geschichte der Homosexuellenbewegung<br />

in Wien nach 1945“.<br />

Homosexualität und<br />

Gesellschaft<br />

von Philipp Wagner<br />

124 Seiten, kartoniert<br />

VDM Verlag Dr. Müller,<br />

www.vdm-verlag.de<br />

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Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BERLIN B_BOOKS Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · BRuNO’S Bülowstraße<br />

106, 030/61500385 · BRuNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387<br />

· DuSSMANN Friedrichstraße 90 · GALERIE JANSSEN Pariser Straße 45,<br />

030/8811590 · KADEWE Tauentzienstraße 21–24 · MEDIA MARKT ALExA Grunerstraße<br />

20 · MEDIA MARKT NEuKöLLN Karl-Marx-Straße 66 · NEGATIVE-<br />

LAND Dunckerstraße 9 · PRINZ EISENHERZ BuCHLADEN Lietzenburger Straße<br />

9a, 030/3139936 · SATuRN ALExANDERPLATZ Alexanderplatz 7 · SATuRN<br />

EuROPACENTER Tauentzienstraße 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73<br />

· VIDEODROM Fürbringer Straße 17 BOCHuM SATuRN Kortumstraße<br />

72 DARMSTADT SATuRN Ludwigplatz 6 DORTMuND LITFASS DER<br />

BuCHLADEN Münsterstraße 107, 0231/834724 DüSSELDORF BOOKxxx<br />

Bismarckstraße 86, 0211/356750 · SATuRN Königsallee 56 · SATuRN<br />

Am Wehrhahn 1 ESSEN MüLLER Limbecker Straße 59–65 FRANK-<br />

FuRT/MAIN OSCAR WILDE BuCHHANDLuNG Alte Gasse 51, 069/281260<br />

· SATuRN Zeil 121 HAMBuRG BuCHLADEN MäNNERSCHWARM Lange<br />

Reihe 102, 040/436093 · BRuNO’S Lange Reihe/Danziger Straße 70,<br />

040/98238081 · CLEMENS Clemens-Schultz-Straße 77 · EMPIRE MEGASTO-<br />

RE Bahrenfelder Straße 242–244 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz<br />

15 KöLN BRuNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA MARKT Hohe<br />

Straße 121 · SATuRN Hansaring 97 · SATuRN Hohe Straße 41–53 · VIDEO-<br />

TAxI Hohenzollernring 75–77 LEIPZIG LEHMANNS BuCHHANDLuNG<br />

Grimmaische Straße 10 MANNHEIM DER ANDERE BuCHLADEN M2 1,<br />

0621/21755 MüNCHEN BRuNO’S Thalkirchner Straße 4, 089/97603858<br />

· LILLEMOR’S FRAuENBuCHLADEN Barerstraße 70, 089/2721205 · MAx<br />

& MILIAN Ickstattstraße 2, 089/2603320 · SATuRN Schwanthalerstraße<br />

115 · SATuRN Neuhauser Straße 39 NüRNBERG MüLLER Königstraße<br />

26 STuTTGART BuCHLADEN ERLKöNIG Nesenbachstraße 52,<br />

0711/639139 TRIER MEDIA MARKT Ostallee 3–5 TüBINGEN FRAuEN-<br />

BuCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 WIEN BuCHHAND-<br />

LuNG LöWENHERZ Berggasse 8, + 43/1/13172982<br />

Dominikanerplatz 4<br />

WüRZBuRG MüLLER<br />

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Nicht-heterosexuelle <strong>Film</strong>e können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

AALEN KINO AM KOCHER Schleifbrückenstraße 15,<br />

07361/5559994 ASCHAFFENBuRG CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse<br />

1, 06021/4510772 AuGSBuRG CINEMAxx Willy-Brandt-Platz 2,<br />

01805/24636299 BERLIN ARSENAL Potsdamer Straße 2, 030/26955100<br />

· KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · xENON KINO<br />

Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · CINEMAxx POTSDAMER PLATZ Potsdamer<br />

Straße 5, 01805/24636299 · EISZEIT Zeughofstraße 20, 030/6116016<br />

· FSK AM ORANIENPLATZ Segitzdamm 2, 030/6142464 BIELEFELD CI-<br />

NEMAxx Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 BOCHuM ENDSTATION<br />

KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BRE-<br />

MEN KINO 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CINEMAxx Breitenweg<br />

27, 01805/24636299 DORTMuND SCHAuBuRG Brückstraße 66,<br />

0231/9565606 DRESDEN KID – KINO IM DACH Schandauer Straße 64,<br />

0351/3107373 · CINEMAxx Hüblerstraße 8, 01805/24636299 ESSEN CI-<br />

NEMAxx Berliner Platz 4–5, 01805/24636299 ESSLINGEN KOMMu-<br />

NALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 FRANKFuRT/MAIN MAL SEH’N<br />

Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee<br />

45, 069/70769100 FREIBuRG KOMMuNALES KINO Urachstraße 40,<br />

0761/709033 · CINEMAxx Bertholdstraße 50, 01805/24636299 GöT-<br />

TINGEN KINO LuMIèRE Geismar Landstraße 19, 0551/484523 HAM-<br />

BuRG METROPOLIS KINO Steindamm 52–54, 040/342353 · CINEMAxx<br />

WANDSBEK Quarree 8–10, 01805/24636299 HANNOVER APOLLO STuDIO<br />

Limmerstraße 50, 0511/452438 · CINEMAxx Nikolaistraße 8, 01805/24636299<br />

· KINO IM KüNSTLERHAuS Sophienstraße 2, 0511/16845522 KARLSRu-<br />

HE KINEMATHEK KARLSRuHE KINO IM PRINZ-MAx-PALAIS Karlstraße<br />

10, 0721/25041 KIEL DIE PuMPE – KOMMuNALES KINO Haßstraße 22,<br />

0431/2007650 · CINEMAxx Kaistraße 54–56, 01805/24636299 · TRAuM<br />

KINO Grasweg 48, 0431/544450 KöLN FILMPALETTE Lübecker Straße 15,<br />

0221/122112 · KöLNER FILMHAuS Maybachstraße 111, 0221/2227100 KON-<br />

STANZ ZEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 LEIPZIG PAS-<br />

SAGE KINO Hainstraße 19 a, 0341/2173865 MAGDEBuRG CINEMAxx<br />

Kantstraße 6, 01805/24636299 MANNHEIM CINEMA QuADRAT Collinistraße<br />

5, 0621/1223454 MARBuRG CINEPLEx Biegenstraße 1a,<br />

06421/17300 MüNCHEN NEuES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-<br />

Straße 7, 089/2603265 · CITy KINO Sonnenstraße 12, 089/591983 · CINE-<br />

MAxx Isartorplatz 8, 01805/24636299 MüNSTER CINEMA FILMTHEA-<br />

TER Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 NüRNBERG KOMMKINO<br />

Königstraße 93, 0911/2448889 OFFENBACH CINEMAxx Berliner Straße<br />

210, 01805/24636299 OLDENBuRG CINE K Bahnhofstraße 11,<br />

0441/2489646 · CINEMAxx Stau 79–85, 01805/24636299 POTSDAM<br />

THALIA ARTHOuSE Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 RE-<br />

GENSBuRG WINTERGARTEN Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CINEMAxx<br />

Friedenstraße 25, 01805/24636299 SAARBRüCKEN KINO ACHTEINHALB<br />

Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAuS Mainzer Straße<br />

8, 0681/372570 SCHWEINFuRT KuK – KINO uND KNEIPE Ignaz-Schön-<br />

Straße 32, 09721/82358 STuTTGART CINEMAxx AN DER LIEDERHALLE<br />

Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299 TRIER BROADWAy FILMTHEATER<br />

Paulinstraße 18, 0651/96657200 WEITERSTADT KOMMuNALES KINO<br />

Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 WuPPERTAL CI-<br />

NEMAxx Bundesallee 250, 01805/24636299 1181<br />

Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299<br />

WüRZBuRG CINEMAxx<br />

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IMPRESSuM<br />

herausgeber Björn Koll<br />

Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

Art Director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

Autoren Richard Dyer, Michael Eckhardt, Jessica Ellen, Richard Garay, Gunther<br />

Geltinger, Patrick Heidmann, Jan Künemund, Dietrich Kuhlbrodt,<br />

Gerhard Midding, Angelika Nguyen, Jana Papenbroock, Bert Rebhandl,<br />

Maike Schultz, Paul Schulz, Michael Sollorz, Hannt Stecher, Philipp<br />

Wagner, André Wendler, Sascha Westphal<br />

Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 2/2010 (www.sissymag.de/media).<br />

Druck Möller Druck, Berlin<br />

Rechte Digitale oder analoge Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung<br />

oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen<br />

Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

Verteilung deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-<br />

Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Freiburg,<br />

Hamburg, Hannover, Kiel, Magdeburg, Mannheim, München, Offenbach,<br />

Oldenburg, Stuttgart, Wuppertal. Außerdem hier: Hochschule für<br />

<strong>Film</strong> und Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), Deutsche <strong>Film</strong>- und<br />

Fernsehakademie Berlin, Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café Gnosa<br />

(Hamburg), Café ERA (Köln), Kunsthochschule für Medien Köln. Wenn<br />

Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten: Kurze Mail genügt!<br />

haftung Für gelistete Termine und Preise können wir keine Garantie geben. Die<br />

Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />

Abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren. E-Mail genügt:<br />

abo@sissymag.de<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).<br />

Auch das noch …<br />

ISSN 1868-4009<br />

Eine 16mm-<strong>Film</strong>kopiebüchse, ganz frisch aus unserem Keller. Nach 23 Jahren schicken wir „5 Ways To Kill<br />

Yourself“ an Gus van Sant zurück – seine eigene Kopie war ihm abhanden gekommen.<br />

„Brokeback Tempelberg!“ JUNGLE WORLD<br />

„Eindringlich und berührend!“ NZZ<br />

„Ein zärtlicher Tabubruch!“ EMOTION<br />

„Ein Werk, das auf die Macht<br />

des Kinos vertraut.“ TIP<br />

AB 30.9. AUF DVD!<br />

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