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WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy

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frisch ausgepackt<br />

Neu auf DVD<br />

von jan künemund, Paul schulz und axel schock<br />

TEENAGE ANGST<br />

D 2008, Regie: thomas Stuber, Edition Salzgeber<br />

Tief fliegt die Kamera<br />

über eine Flussidylle<br />

und nimmt das malerische<br />

Schlossinternat in<br />

den Blick. Was wie ein<br />

öffentlich-rechtlicher<br />

P r i met i me -T V-F i l m<br />

beginnt, mit hochglänzenden<br />

Aufnahmen<br />

deutscher Landschaften<br />

und attraktiven Gesichtern deutscher<br />

Jungschauspieler (Dinda, Kohrt, Ginsburg und<br />

Kocaj), wird schnell zu einer eisigen aktuellen<br />

Version der „Verwirrungen des Knaben Törless“.<br />

Die Söhne aus besten Kreisen, unterfordert<br />

von einem pseudo-liberalen Lehrpersonal,<br />

finden ihre eigenen sadistischen Herren-Rituale,<br />

um sich stets und ständig zu beweisen,<br />

dass sie die Auserwählten sind, eine natürliche<br />

Selektion künftiger Manager und Führer, für<br />

die die „Kinderkacke“ der bürgerlichen Ideale<br />

keine Perspektive darstellt. Ein Ideologe,<br />

sein brutaler Handlanger, ein feiger Mitläufer<br />

und ein masochistisch veranlagter Außenseiter,<br />

von ihren Eltern „abgeparkt am Arsch der<br />

Welt“ – eine brodelnde Mischung aus pubertärem<br />

Größenwahn, Gewaltphantasien und<br />

pseudointellektueller Rechtfertigung dumpfster<br />

Triebe. Für einen Augenblick deutet sich<br />

eine homoerotische Allianz zwischen Opfer<br />

und Mitläufer an, die aber vom Gruppenzwang<br />

erstickt wird. Thomas Stubers engagierte<br />

Jugendgewalt-Studie wird konsequent bis zum<br />

bitteren Ende durchgespielt und schlägt sich<br />

keinesfalls auf die Seite der moralisch argumentierenden<br />

Erwachsen – diese erscheinen<br />

allenfalls als Witzfiguren mit hohlen Sprüchen<br />

und selbstgefälliger Ignoranz, die am Ende<br />

dafür (gerechterweise?) die Strafe zahlen müssen.<br />

Shootingstar Franz Dinda spielt die spannendste,<br />

weil ambivalenteste Figur des Mitläufers<br />

Stürmer. jk<br />

REICH MIR DEINE HAND<br />

F/D 2008, Regie: Pascal-Alex vincent, Edition Salzgeber<br />

Antoine und Quentin sind Brüder, achtzehn,<br />

von zu Hause abgehauen und auf dem Weg<br />

zu sich selbst. Zwillinge, die noch niemals<br />

getrennt waren, in Hassliebe vereint und von<br />

großer Attraktivität für ihre Umwelt. Zum<br />

Maultrommel-Sound der Band Tarwater (den<br />

28<br />

Soundtrack gibt es bei<br />

der DVD dazu) rückt<br />

der Spielfilm mit großer<br />

Intensität den fast identischen<br />

Jungs auf den<br />

Leib. Reich mir deine<br />

Hand, das poetischatmosphärischeLangfilmdebüt<br />

des französischen<br />

Filmemachers<br />

Pascal-Alex Vincent, ist auch eine Hommage<br />

an die amerikanischen Filme der 70er Jahre,<br />

dem so genannten ‚New Hollywood‘, und wie<br />

diese ein Roadmovie. Das Unterwegssein der<br />

Figuren ist dabei ganz wörtlich zu verstehen:<br />

Sie gehen auf eine Reise, sind auf der Suche –<br />

nach Liebe, nach Orientierung, nach Glück,<br />

nach dem Leben und nach sich selbst. Am<br />

Ende werden die Erfahrungen sie verändert<br />

haben. Wie bei jedem Roadmovie geht es nicht<br />

um das Ziel der Reise, sondern um die Reise<br />

selbst, geprägt von zufälligen Begegnungen<br />

und Erlebnissen. Die Landschaft wird fast<br />

zu einer dritten Hauptfigur, die die Reisenden<br />

einverleibt, abstößt, ihre Gefühle spiegelt<br />

und sie immer wieder herausfordert. Die beiden<br />

Jungs müssen sich selbst behaupten und<br />

hinterfragen, gegen den anderen durch- und<br />

absetzen. „Wer bin ich?“ – diese Frage wird für<br />

die beiden auf dieser Reise existenziell. Auf der<br />

Suche nach einer Antwort werden sie ein Stück<br />

weit erwachsen.“ (Thomas Abeltshauser in der<br />

SISSY 01/09)<br />

MA MÈRE – MEINE MUTTER<br />

FR 2007, Regie: christophe Honoré, cMv laservision<br />

Papa ist tot. Mama<br />

und ihr Sohn bleiben<br />

allein auf Gran Canaria<br />

zurück. Mama sagt:<br />

„Vergiss nicht, so zu tun,<br />

als wärst du traurig!“<br />

und „Wenn du mich<br />

wirklich liebst, sagst<br />

du mir, wie abscheulich<br />

ich bin!“ Mama ist Isabelle<br />

Huppert. Ihr Sohn vermisst seinen Vater<br />

dann doch und äußert das, wie es in französischen<br />

Skandalfilmen Brauch ist: Er läuft sehr<br />

lange nackt herum, uriniert auf die Familienfotos<br />

und verliert sich in einem Strudel aus<br />

polymorphen Perversionen, Drogen und Alkohol,<br />

um am Ende wieder in Mamas Armen und<br />

zwischen ihren Schenkeln zu landen. Inzest<br />

als die finale Rückkehr in den Schoß der Familie.<br />

Ma mère ist die Verfilmung eines posthum<br />

veröffentlichten Romans von Georges Bataille<br />

und ist nach Chansons D’amour und Dans Paris<br />

schon die dritte Zusammenarbeit von Hauptdarsteller<br />

Louis Garrel und Regisseur Christoph<br />

Honoré. Man kann den Film als Kritik<br />

an einem System sehen, in dem alles und jeder<br />

käuflich ist und auch die Familie keinen Schutz<br />

vor Verletzungen mehr bietet. So hat Honoré<br />

ihn wohl gemeint. Aber wenn man Ma mère<br />

einfach als erotische Schlacht zwischen einer<br />

phänomenalen Isabelle Huppert und dem in<br />

jeder Hinsicht unterlegenden Louis Garrel<br />

guckt, hat man mehr Spaß. ps<br />

PALERMO ODER WOLFSBURG<br />

D 1980, Regie: Werner Schroeter, Filmgalerie 451<br />

Werner Schroeters<br />

Gastarbeiter-Oper aus<br />

dem Jahr 1980 ist drei<br />

Stunden lang. Langeweile<br />

kommt nicht auf,<br />

denn der Film wechselt<br />

zweimal komplett<br />

den Ton und den Ort.<br />

Der schöne Nicola (das<br />

‚Lämmchen‘) bricht aus<br />

Sizilien auf, geht in Deutschland vor die Wölfe<br />

und schließlich wird ihm in einer grellen<br />

Gerichtsverhandlung der Prozess gemacht. Der<br />

Film, 1980 immerhin mit dem Goldenen Bären<br />

der Berlinale ausgezeichnet, verbindet grandios<br />

gewagt die größten Gegensätze: Palermo<br />

und Wolfsburg, sinnliche Landschaften ohne<br />

Perspektive und kalte Industrieorte voller<br />

Gewalt, weinende Männer und harte Frauen,<br />

sizilianische Volksgesänge und das von Juliane<br />

Werding anmoderierte und von Isolde Barth<br />

kaputtgekrächzte „Zwei kleine Italiener“. Eine<br />

größenwahnsinnige Sensation, doch – wie<br />

immer bei Schroeter – zutiefst humanistisch.<br />

Man muss den Regisseur selbst darüber reden<br />

hören, um das alles zu verstehen – und das<br />

kann man auch in dieser vorbildlichen DVD-<br />

Ausgabe, denn es gibt noch ein kurzes Interview<br />

mit ihm aus 2008 als Bonus. jk<br />

ABFALLPRODUKTE DER LIEBE<br />

D 1996, Regie: Werner Schroeter, Filmgalerie 451<br />

Vielleicht ist es ein<br />

Missverständnis, große<br />

Opernkünstler zu fragen,<br />

was sie privat über<br />

Liebe und Tod denken,<br />

und sich davon zu<br />

versprechen, dadurch<br />

hinter das Geheimnis<br />

ihrer besonderen<br />

Ausdrucksfähigkeit zu<br />

kommen. Doch was in diesem Dokumentar-<br />

film des ausgesprochenen Opernliebhabers<br />

Werner Schroeter aus diesem Missverständnis<br />

heraus entsteht, ist vielleicht noch schöner<br />

als der musiktheoretische Erkenntnisgewinn.<br />

Zehn Lieblingssänger(innen) Schroeters in<br />

einer mittelalterlichen Abtei, Freunde, Schauspieler,<br />

nackte Jünglinge auf Pferden, eine<br />

Korrepetitorin und ein Stab an Licht-, Kostüm-<br />

und Makeup-Künstlern erwecken Arien zum<br />

Leben, stellen einander Fragen, werden vom<br />

Regisseur herumgescheucht. Die Anstrengung<br />

schwankt zwischen grandioser Inszenierung<br />

der Stimmen, Körper und Gesichter (was vor<br />

allem der Kamerafrau Elfi Mikesch zu verdanken<br />

ist), der Herstellung eines perfekten dramatischen<br />

Moments in und durch Kunst, und<br />

dem Versuch, hinter die Masken zu schauen<br />

– Musikclip und Making-Off zugleich. Und so<br />

sieht man Opernstars joggen, tanzen, weinen,<br />

Suppe kochen und zuhören, Isabelle Huppert<br />

Mozart singen und die große Anita Cerquetti<br />

die Lippen zu ihrer fast vierzig Jahre alten Aufnahme<br />

von „Casta Diva“ bewegen. Und einen<br />

Regisseur, der von den vielen an Aids verstorbenen<br />

Freunden erzählt und sich seinen privaten<br />

Callas-Gottesdienst aus Liebes- und Todesarien<br />

zusammenstellt. Das ist großartig und<br />

vermessen zugleich, doch alle machen mit. „Im<br />

Theater wird man von jedermann fortwährend<br />

beleidigt“, erzählt Martha Mödl. jk<br />

SÜNDIGER SOMMER<br />

USA 1970, Regie: Barbara Peeters, Edition Salzgeber<br />

Sie hatten Titel wie<br />

Caged Heat, 10 Violent<br />

Women oder Chained<br />

Girls – die Filme der<br />

‚Lesploitation‘-Welle<br />

der 1960er und frühen<br />

1970er, die lesbische<br />

Themen als Vorwand<br />

nahmen, um bei jeder<br />

nur möglichen Gelegenheit<br />

unbekleidete Frauen zu zeigen. Das Lesbischsein<br />

wird darin oft dröge diskutiert, und<br />

die meisten Frauen waren am Ende entweder<br />

geheilt oder tot. Sündiger Sommer ist, obwohl<br />

er eindeutig in dieser Tradition steht, etwas<br />

Besonderes. Natürlich ist die technische Ausstattung<br />

aufs Schönste billig und die Sets zeitbedingt<br />

ein Alptraum aus giftgrünen Flokatis,<br />

pseudoindischen Wandbehängen und niedlichen<br />

Blümchentapeten. Auch treten Hippiebands<br />

auf und Tanzgruppen in unvorteilhaften<br />

Ganzköpertrikots. Und natürlich ist Adria und<br />

Denise, den beiden gelangweilten Hausfrauen,<br />

die beim Beobachten eines jungen lesbischen<br />

Paares auf Ideen kommen, kein männerloses<br />

Happy-End bestimmt. Aber völlig unbeeindruckt<br />

davon ist die Geschichte wirklich<br />

ergreifend, die Hauptdarstellerin Elizabeth<br />

Plump ein Traum und Regisseurin Barbara<br />

Pe(e)ters gelingen immer wieder Bilder von<br />

großer poetischer Kraft – wie die unbewegten,<br />

in Grimassen erstarrten Karussellpferde<br />

am Anfang, die auf die gezügelte Energie und<br />

die boykottierten Selbstverwirklichungen der<br />

Hausfrauen hindeuten, die sich in ihren lesbischen<br />

Fantasien viel eher mit echten Pferden in<br />

weite Landschaften träumen, dem Sonnenuntergang<br />

entgegen reitend… jk<br />

ANNA & EDITH<br />

D 1975, Regie: Gerrit Neuhaus, Edition Salzgeber<br />

Ein warmherziger und<br />

kämpferischer Lesbenfilm-Klassiker<br />

aus<br />

Deutschland, von vier<br />

Frauen ins dröge deutsche<br />

Fernsehen der<br />

1970er Jahre gehievt:<br />

Cristina Perincioli<br />

und Cillie Rentmeister<br />

schrieben, Regina Ziegler<br />

produzierte und Alexandra von Grote setzte<br />

durch. „Auf der einen Seite ist Anna & Edith<br />

ein klassischer Agit-Prop-Film jener Zeit, auf<br />

der anderen Seite ein wichtiges Zeitdokument<br />

und der erste selbstbewusste Lesbenfilm der<br />

deutschen Fernsehgeschichte, in der lesbische<br />

Liebe nicht direkt ins Verderben führt, in dem<br />

zum ersten Mal ein leidenschaftlicher Kuss<br />

zwischen zwei Frauen zu sehen war. Wenn<br />

man sich den Film heute ansieht, ahnt man<br />

nicht, welche Bedeutung er zum Zeitpunkt seiner<br />

Entstehung für vier daran beteiligte Frauen<br />

erlangte. Für die einen als Lebenselixier, für<br />

die anderen als Albtraum und Sprungbrett<br />

zugleich.“ (Diana Näcke in der SISSY 02/09)<br />

LOVE STORIES –<br />

JUNGS ZUM VERLIEBEN<br />

USA/cA/FR/SE 2007, Edition Salzgeber<br />

Plötzlich ist er da, der<br />

Moment, der so oder so<br />

alles verändern wird.<br />

Ein Liebesgeständnis<br />

dem ‚besten Freund‘<br />

gegenüber wird im besten<br />

Fall erwidert – im<br />

anderen Fall wird er<br />

die Freundschaft verändern,<br />

vielleicht sogar<br />

zerstören. Insofern sind das alles hier eigentlich<br />

Beinahe-Love-Stories, die das Potential<br />

großer Liebesgeschichten in sich tragen, aber<br />

eigentlich nur diesem entscheidenden Moment<br />

entgegenfiebern.<br />

Wie sie das tun ist natürlich wieder ganz<br />

unterschiedlich. Die WG der schwedischen<br />

Jungs in Mitbewohner scheint so selbstverständlich<br />

jungshaft wortkarg, das jedes emotionale<br />

Geständnis quasi unmöglich erscheint.<br />

Die Teenies auf dem Land in Silver Road und<br />

Heartland müssen wahrscheinlich erst in die<br />

Stadt ziehen, bevor das möglich wird, was sie<br />

sich wünschen. In einigen Geschichten spielt<br />

die verrinnende Zeit eine Rolle, bis der Traummann<br />

heiratet oder weggeht, um sein Studium<br />

zu beginnen. Filme, die sich auf einen besonderen<br />

Moment konzentrieren, funktionieren hervorragend<br />

auch in der Kurzform. Hintereinander,<br />

das heißt 96 Minuten am Stück, ist das eine<br />

ziemlich aufwühlende Angelegenheit. jk<br />

COMING OF AGE, VOL. 2<br />

cMv laservision<br />

Zwei Jungs treffen sich<br />

am Rande einer Sportveranstaltung.<br />

Mit<br />

Sport haben sie beide<br />

nichts zu tun, der eine<br />

liest Dickens und hört<br />

Velvet Underground<br />

mit dem Walkman (es<br />

ist 1997!), der andere<br />

will nur zu seinem Lieblingsort<br />

auf dem Dach der Anlage. Zwischen<br />

beiden funkt es sofort, sie können über Dickens<br />

und Rimbaud reden, über depressive Musik<br />

sowieso, über Schule & Französisch Lernen…<br />

da liegt es nahe, dass der eine den anderen<br />

irgendwann küssen will. Leider ist der noch<br />

nicht soweit und flüchtet. Der allein Gelassene<br />

spiegelt sich schließlich im wegfahrenden<br />

Auto. Nicht mehr und nicht weniger erzählt<br />

Robert Little in seinem Kurzfilm The Good<br />

Son, dem schönsten Beitrag auf dieser Sammlung<br />

über das schwule Großwerden. Ansonsten<br />

variieren die Filme dieses Thema eher experimentell<br />

– als Spielerei eines diskriminierten<br />

Hetero-Teenagers, der unter lauter Homosexuellen<br />

aufwächst oder als persönlicher Essay<br />

eines Beziehungsgestörten, der sich selbst mit<br />

der Kamera analysiert, obwohl er eigentlich ein<br />

schwules Märchen drehen will. jk<br />

LIEB MICH! GAy SHORTS 2<br />

MX 1996–2008, Pro-Fun Media<br />

frisch ausgepackt<br />

Unter diesem etwas<br />

verzweifelten Befehl<br />

sind hier sechs Kurzgeschichtenversammelt,<br />

die sich bis auf<br />

Mr_Right_ 22 vor allem<br />

auf Bilder, Körper und<br />

Musik verlassen und<br />

nicht auf Dialoge. Am<br />

witzigsten funktioniert<br />

das in den 3½ Minuten Brüderliebe der<br />

Geschwister Pfister, deren Ferkeleien von der<br />

Mutter einfallsreich vereitelt werden. In Arie<br />

ereignet sich ein Coming-Out als Tanz, im<br />

Duett eines Choreographen mit einem verlieb-<br />

29

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