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WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy

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profil<br />

Foto Links: Mario Montez als Meerjungfrau. Foto Rechts: Francis Francine als Rosa Fee. Beide Fotos aus „Normal Love“<br />

Susanne Sachsse<br />

ist Schauspielerin,<br />

Regisseurin<br />

und Künstlerin.<br />

Engagements an<br />

verschiedenen<br />

Staatstheatern, seit<br />

2000 freiberuflich.<br />

2001 gründete<br />

Sachsse mit anderen Künstlern das<br />

Kollektiv CHEAP. Im Film ist sie u.a.<br />

als Gudrun in Bruce LaBruces „The<br />

Raspberry Reich“ (2004) und Hella<br />

Bent in LaBruces „Otto; or, Up With<br />

Dead People“ (2008) zu sehen.<br />

Marc Siegel<br />

ist wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im<br />

Sonderforschungsbereich<br />

„Kulturen<br />

des Performativen“<br />

an der Freien<br />

Universität Berlin.<br />

Schwerpunkte<br />

seiner Forschung sind Experimentalfilm<br />

und Queer Studies.<br />

Mitherausgeber von „Outside: Die<br />

Politik queerer Räume“ (bbooks,<br />

2005). Er arbeitet als freie Filmkurator<br />

und ist auch Mit-Begründer<br />

des Künstlerkollektivs CHEAP.<br />

Stefanie Schulte-Strathaus<br />

Film- und Videokuratorin,<br />

lebt und<br />

arbeitet in Berlin.<br />

Vorstandsmitglied<br />

im Arsenal – Institut<br />

für Film und Videokunst.<br />

Mitglied<br />

im Auswahlkomitee<br />

des Forums und verantwortlich für<br />

Forum Expanded im Rahmen der<br />

Berlinale. Veröffentlichungen u.a.<br />

in „Frauen und Film“, „The Moving<br />

Image“, „Texte zur Kunst“, „Ästhetik<br />

& Kommunikation“, „Schriftenreihe<br />

Kinemathek“ sowie in Festivalund<br />

Ausstellungskatalogen.<br />

LIVE FILM! JACK SMITH!<br />

Five Flaming Days in a Rented World<br />

28. Oktober bis 1. November im Kino Arsenal und im HAU 1 Berlin<br />

www.arsenal-berlin.de, www.hebbel-am-ufer.de<br />

tierung des Films den Körpern nicht mehr<br />

klar zuordnen. Das fand ich unglaublich<br />

befreiend. Weil es eine der Bedeutungen von<br />

„queer“ ist, die ich sehr wichtig finde. Eine<br />

junge Studentin von mir sagte mal, nach dem<br />

ich den Film in einem Seminar gezeigt hatte:<br />

„Ich habe noch nie eine solche Vielfalt an<br />

Weiblichkeit gesehen.“<br />

Susanne: Das kann ich so bestätigen. Flaming<br />

Creatures aber auch Normal Love waren<br />

Offenbarungen für mich, weil ich an viel<br />

von dem glaube, was er da zeigt: die Auflösung<br />

geschlechtlicher Kategorien und sexueller<br />

Identitäten, oder auch sein Umgang<br />

mit Drag. Da geht es nicht um die perfekte<br />

Imitation von Weiblichkeit, sondern um die<br />

Repräsentation von Weiblichkeit in männlichen<br />

Körpern. Brustbehaarung macht Drag<br />

für mich als Frau einfach gleich noch mal<br />

so sexy. Ich habe das gesehen und gedacht,<br />

in dieser Welt – die sehr queer ist – in der<br />

könnte ich mich zurechtfinden, da käme ich<br />

klar. Denn: Ich kann mich nicht als homosexuell<br />

oder heterosexuell beschreiben und<br />

will das auch gar nicht. Und müsste das in<br />

dieser utopischen Jack-Smith-Welt auch<br />

nicht. Aber was heißt utopisch – es hat sie ja<br />

gegeben, diese Welt. Zumindest in der Drehsituation<br />

und in der Szene, in der Smith sich<br />

bewegt hat.<br />

Marc: Es ist in diesem Zusammenhang auch<br />

wichtig zu erwähnen, dass die Filme ja nicht<br />

narrativ sind. Geschlechterkategorien und<br />

andere soziale Kategorien werden genau so<br />

außer Kraft gesetzt wie filmische.<br />

Das macht die Filme aber auch schwerer<br />

zugänglich als die von Warhol oder anderen<br />

Smith-Zeitgenossen.<br />

Susanne: Was ja nichts Schlimmes ist. Warhol<br />

war ein Marketinggenie, das verkaufen wollte.<br />

Sich und seine Kunst. Smith war ganz anders.<br />

Marc: Ich finde, man kann die beiden eigentlich<br />

nicht vergleichen. Warhol war der<br />

reichste Experimentalfilmer aller Zeiten und<br />

hat im Gegensatz zu Smith ganz klar für einen<br />

Markt produziert, auf dem er seine Kunst verkaufen<br />

wollte. Smith fand das Verkaufen von<br />

Kunst eher widerlich.<br />

Ist er deshalb nicht berühmt?<br />

Marc: Vielleicht. Da kommt viel zusammen.<br />

Er mochte Kommerzialität insgesamt nicht.<br />

Er fand das ganze kapitalistische System, das<br />

er in „Landlords“ (Vermieter) und „Tenants“<br />

(Mieter) aufgeteilt hatte, schrecklich.<br />

Susanne: Aber er war dabei nicht unromantisch.<br />

Mein Lieblingszitat von ihm lautet:<br />

„Anarchy is the giving part of politics.“ Ist das<br />

nicht toll?<br />

Kommen wir noch mal zum Festival selbst. Wie<br />

habt ihr Mario Montez dazu bekommen, nach<br />

dreißig Jahren wieder aufzutreten?<br />

Marc: Als wir im März die teilnehmenden<br />

Künstler eingeladen haben, um mit ihnen<br />

zusammen die Filme zu schauen, war auch<br />

der Warhol-Drehbuchautor Ronald Tavel<br />

dabei, der eng mit Smith, Warhol und Montez<br />

zusammengearbeitet hatte. Er hatte viel Spaß<br />

an der Auseinandersetzung mit einer ganz<br />

neuen Generation von Smith-Fans. Während<br />

seiner Heimreise ist er dann ganz überraschend<br />

gestorben. Wir hatten Mario schon<br />

angefragt und er hatte abgelehnt. Tavels Tod<br />

hat Mario Montez sehr getroffen und dazu<br />

gebracht, noch einmal neu darüber nachzudenken,<br />

ob und wie er Smith, dem er ja viel zu<br />

verdanken hat, jetzt ehren kann. Deswegen<br />

kommt er nach Berlin, um seine Erinnerungen<br />

einer jüngeren Generation mitzuteilen.<br />

Stefanie: Was natürlich schön für uns ist,<br />

obwohl der Anlass ein trauriger ist.<br />

Zu Ehren von Tavel inszeniert Ihr sein Stück<br />

„The Life of Juanita Castro“. Wer ist daran<br />

beteiligt?<br />

Stefanie: Rainald Goetz übernimmt die Rolle<br />

Tavels als Regisseur, Bruce LaBruce spielt<br />

Juanita und Katharina Sieverding wird Fidel<br />

sein. Darauf freue ich mich schon sehr. Das<br />

wird sicher einer der Höhepunkte des Festivals.<br />

Bleibt es denn bei dieser einmaligen Aktion, oder<br />

gibt es Nachfolgeprojekte?<br />

Stefanie: Teile des Festivals werden in Frankfurt<br />

noch einmal aufgeführt werden. Und die<br />

entstandenen Filme können natürlich überall<br />

gezeigt werden. Es gibt schon Interesse aus<br />

Toronto, New York und noch von ein paar<br />

anderen Orten, zu denen wir gute Beziehungen<br />

haben, etwas Ähnliches zu machen.<br />

Marc: Das Festival soll eher ein Anfang als ein<br />

einmaliges Ereignis sein. Es soll dazu führen,<br />

Jack Smith wieder dauerhaft in die Welt zu<br />

bringen. s<br />

LITTLE SHOP OF CULTURE<br />

ein Film-TreaTmenT von ciTizen_b<br />

Frankfurt am Main. Außen, Nacht, Regen. Die Alte Gasse, die schwule Hauptstraße der hektischen<br />

Bankenmetropole. Montage: Die Fassaden einiger schwuler Szenekneipen, ein paar attraktive Edelstricher,<br />

die nach dem nächsten zahlungskräftigen Sugardaddy Ausschau halten, Autos mit potentiellen Freiern<br />

fahren vorbei und hupen. Es blitzt und donnert. zoom auf das hell erleuchtete Schaufenster der schwullesbischen<br />

Oscar Wilde Buchhandlung, die jetzt im Herbst ihr 15-jähriges Bestehen feiert.<br />

s Die Oscar Wilde Buchhandlung. Innen. Der Inhaber, Harald Eck,<br />

ein bemerkenswert gut aussehender Endvierziger mit Schnauzbart<br />

und Brille, thront hinter seinem Tresen, zählt die Tageseinnahmen<br />

und kichert so unbekümmert wie der Dalai Lama, während er von<br />

den Gründerjahren seines Medienimperiums berichtet.<br />

Rückblende in schwarz-weiß: Wir sehen eine Lesung mit Armistead<br />

Maupin, eine Signierstunde mit Ralf König, eine bewegende<br />

Lesung mit Erica Fischer, einen Auftritt von Mirjam Müntefering.<br />

Populäre Szeneautoren wie Bernd Aretz, Detlef Meyer, Mario<br />

Wirz oder Boris von Brauchitsch geben sich die Klinke in die Hand.<br />

Schwule und Lesben sitzen auf einer gemütlichen Ottomane und blättern<br />

in Büchern und Hochglanzmagazinen. Eine tätowierte LKW-<br />

Lesbe parkt ihren riesigen Supertruck mit Anhänger direkt vor der<br />

Buchhandlung und fragt nach der neuen „Lespress“. Matthias, ein<br />

attraktiver rothaariger Mitarbeiter von Oscar Wilde, winkt mit einer<br />

Regenbogenfahne und küsst seinen Freund. Ein harter Lederkerl in<br />

Chaps kauft eine Billy-Puppe. Claudia, eine ehemalige Mitarbeiterin<br />

von Oscar Wilde, hält ihr Baby in die Kamera und lacht. Ein Schimpanse<br />

im Smoking läuft auf Rollschuhen durch den Laden und dreht<br />

Pirouetten. Karin, eine resolute Mitarbeiterin von Oscar Wilde, fährt<br />

mit ihrem Fahrrad bei der CSD-Parade mit und präsentiert eine<br />

Oscar-Wilde-Fahne. Die homosexuelle Intelligentia der Mainmetropole<br />

diskutiert und lamentiert zwischen Türmen von Büchern, DVD-<br />

Hüllen und kitschigem Regenbogentinneff, während Eck und seine<br />

Crew Kaffee und Kuchen servieren und Sektflaschen öffnen. Im Hintergrund<br />

läuft „I Will Survive“ von Gloria Gaynor.<br />

Voice-over (Eck): „Das war 1994. Wir wollten schon ein bisschen<br />

mehr bieten als nur ein paar schwule Schmöker, Photobände, Coming-<br />

Out-Ratgeber, Reiseführer und Postkarten. Uns schwebte eine allumfassende<br />

homosexuelle Medienhandlung vor. Mit Büchern, Magazinen,<br />

CDs und Videokassetten für Lesben, Schwule und Transgender.<br />

Damals gab es noch Videokassetten (seufzt). Wir setzten nicht nur auf<br />

kurzfristig aktuelle Filmhits, an die sich heute kein Schwein mehr<br />

erinnern kann, sondern auch auf etwas anspruchsvollere Kost wie<br />

Derek Jarman, Almodóvar oder James Bidgood. Oscar Wilde ist quasi<br />

ein Hotspot, in dem sich (beinahe) alles, was mit schwulem und lesbischem<br />

Film zu tun hat, konzentriert und wo Mann oder Frau ohne<br />

große Sucherei findet, was er oder sie sucht. Wir haben eine Backlist,<br />

die sich sehen lassen kann. Insgesamt bestimmt mehr als 800 Titel.<br />

Über die Filme informieren wir unsere Kunden regelmäßig durch<br />

einen speziellen Newsletter.“<br />

Eck, der gut ein Drittel seiner Studentenzeit im Heidelberger<br />

Gloria-Programmkino verbrachte, und so schon früh zu einem homophilen<br />

Cineasten wurde, kennt sich nicht nur mit den Spielfilmen,<br />

Komödien, Dokus und Fernsehserien von Edition Salzgeber, Pro Fun,<br />

Arthaus, CMV Laservision und Absolut Medien aus. Auch die Meisterwerke<br />

von Cazzo, Bel Ami, Cadinot, Titan, Wurstfilm und Dolphin<br />

sind dem charismatischen Dandy keineswegs fremd. Viele von ihnen<br />

hat er sogar eigenhändig durchgeprüft.<br />

Harald Ecks Lieblingsfilme: 1. Ein Mann namens Herbstblume, 2. Der Mann meines<br />

Herzens, 3. Felix, 4. Taxi zum Klo, 5. Wiegenlied für eine Leiche.<br />

„Schon bald wurde Oscar Wilde ein fester Bestandteil der Community.<br />

Der Laden war und ist eine Institution, ein Auskunftsbüro<br />

für alles Mögliche und Unmögliche in der Frankfurter Szene“, erzählt<br />

Eck, während er eine Mentholzigarette anzündet. „Drei Jahre später<br />

haben wir dann unseren Onlineshop eröffnet, der 1999 zur besten<br />

Themenbuchhandlung im Internet gekürt wurde und den E-Commerce-Oscar<br />

auf der Frankfurter Buchmesse gewann.“ Der Internetshop<br />

ist gerade rechtzeitig zum Jubiläum generalüberholt und modernisiert<br />

worden.<br />

Überhaupt planen Eck und seine MitarbeiterInnen eine grandiose<br />

Festwoche zum 15. Geburtstag, zeitgleich zur diesjährigen Buchmesse.<br />

„Eine Fotoausstellung zur Geschichte des Ladens, eine Ausstellung<br />

mit weiblichen und männlichen Aktbildern, mindestens drei<br />

Lesungen, ein großer Sektempfang am 17. Oktober mit Prominenz und<br />

bis zu 50% Rabatt auf alle DVDs (vom 1. bis 17. Oktober) und Pipapo“,<br />

verspricht Eck – und schaut optimistisch in die Zukunft. „Und 2019<br />

kommt ja auch schon das 25. Jubiläum. Dann sehen wir weiter!“<br />

Die Kamera fährt auf den sympathischen Unternehmer zu, der<br />

einen Rauchring ins Kameraobjektiv haucht und leicht diabolisch<br />

strahlt wie ein Honigkuchenpferd auf Eck-Stacy. – The End – s<br />

Keiner küsst wie Daddy Cool<br />

von Citizen_b<br />

Himmelstürmer Verlag,<br />

www.himmelstuermer-verlag.de<br />

Webshop: www.oscar-wilde.de<br />

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