WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy
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Uzi PARNES<br />
MR. SMITH<br />
GOES TO<br />
BERLIN<br />
von Paul schulz · inTervieW von Paul schulz und jan künemund<br />
im Oktober findet in Berlin fünf tage lang an zwei Orten mit über 50 Gästen ein<br />
Festival mit dem titel „live Film! Jack Smith! Five Flaming Days in a Rented World“<br />
statt. viele werden sich jetzt fragen: Jack wer?<br />
s Erstmal: Jack Smith ist einer der wichtigste Künstler der amerikanischen<br />
Postmoderne. Ohne ihn würde es unabhängiges Kino und<br />
experimentelles Theater in ihrer jetzigen Form nicht geben. Er gilt<br />
als Erfinder der modernen Performancekunst und hat Drag schon<br />
gelebt, als Susan Sontag noch nicht mal darüber geschrieben hatte.<br />
Er wohnte von 1953 bis 1989 in New York und schuf dort aus Müll<br />
und überaltertem Film sein eigenes gedankliches Universum. Sein<br />
bekanntester Film Flaming Creatures ist in den USA bis heute wegen<br />
Obszönität und Pornografie offiziell verboten. Sein größtes Idol war<br />
die Schauspielerin Maria Montez, Star zahlloser Hollywood-Kostümschinken<br />
der 1940er. Für Federico Fellini, John Waters, David<br />
Lynch, Nan Goldin, Laurie Anderson, Cindy Sherman, Todd Haynes<br />
und viele andere war wiederum Smiths Arbeit so beeindruckend,<br />
dass sich sein Einfluss in ihren Werken direkt nachweisen lässt.<br />
Andy Warhol, Ken Jacobs und Robert Wilson haben mit ihm zusammen<br />
gearbeitet, ihn sehr bewundert und sich künstlerisch bei ihm<br />
bedient, wo es nur ging.<br />
Daraus folgt: Jack Smith kennt außerhalb relativ enger cineastischer<br />
und künstlerischer Zirkel kein Mensch. Obwohl er Regisseur,<br />
Schauspieler, Fotograf, Performer und multimedialer Künstler war.<br />
Das liegt hauptsächlich daran, dass Smith wirklich etwas gegen den<br />
Kapitalismus und seine Vermarktungsstrategien hatte: Er war Anarchist.<br />
Und als solcher ein Kontrollfreak, was seine Arbeit, und eine<br />
Nervensäge, was seine Kontakte zum Kunstbetrieb anbelangte. Er<br />
war Zeit seines Lebens arm. Und der vielleicht erste wirklich queere<br />
Mensch der Welt.<br />
Außerdem: Jack Smith war über den Skandal, den sein erster Film<br />
Flaming Creatures auslöste, und das nachfolgende Verbot des Films,<br />
so schockiert und enttäuscht, dass er danach nur noch einen anderen<br />
Langfilm (Normal Love) und einige wenige Kurzfilme fertig stellte.<br />
Diese und der Rest seines filmischen Werkes waren Teil von Performances,<br />
bei denen der Künstler die Filme ständig und noch während<br />
der Aufführung umschnitt, kommentierte und inhaltlich ergänzte.<br />
Als Smith 1989 an den Folgen von Aids starb, gründeten Underground-Performerin<br />
Penny Arcade und der Filmhistoriker J. Hoberman<br />
die „Plaster Foundation“ zur Verwaltung seines Nachlasses. Der<br />
Non-Profit-Organisation gelang es im Laufe von 15 Jahren, Smiths<br />
Film-Material restaurieren zu lassen und eine große Retrospektive<br />
im P.S. 1 auszurichten. Im Jahr 2004 wurde Smiths Erbe vor Gericht<br />
seiner Schwester zugesprochen, die sich für seine Homosexualität<br />
und für seinen Aids-Tod geschämt hatte und Smiths Gesamtwerk<br />
ohne Umschweife an eine New Yorker Galerie verkaufte.<br />
Und so kommt es, dass: Vom 28.Oktober bis einschließlich 1. November<br />
veranstalten das Kino Arsenal und das „Hebbel am Ufer“ in<br />
Berlin eine fünftägige Jack-Smith-Offensive, kuratiert von Schauspielerin<br />
Susanne Sachsse, Kulturwissenschaftler Marc Siegel und<br />
Stefanie Schulte Strathaus, eine der Leiterinnen des Arsenal Instituts<br />
für Film und Video e.V. Unter dem Motto „Live Film! Jack Smith! Five<br />
Flaming Days in a Rented World“ werden so gut wie alle von Smiths<br />
Filmen zum ersten Mal gemeinsam zu sehen sein. Aber um Smiths<br />
Anspruch an Film als Performance auch zwanzig Jahre nach seinem<br />
Tod gerecht werden zu können, reicht die einfache Projektion seiner<br />
Werke nicht. Deswegen haben die Kuratoren über 50 Künstler,<br />
Autoren und Wissenschaftler eingeladen, sich 2009 mit Smiths Werk<br />
auseinander zu setzen. Darunter so unterschiedliche Menschen wie<br />
Bruce LaBruce, Diedrich Diederichsen, Rainald Goetz, Eric D. Clark,<br />
Ulrike Ottinger, Guy Maddin, Tim Stüttgen und Katharina Sieverding.<br />
Dabei sind Konzerte, Performances, Installationen, Vorträge<br />
und eine ganze Reihe neuer Filme herausgekommen, die im Laufe der<br />
Offensive unter Teilnahme der Macher gezeigt und aufgeführt werden.<br />
Stargast der Offensive ist der Hauptdarsteller vieler Jack-Smith-<br />
Filme, Warhol-Superstar Mario Montez, der aus diesem Anlass zum<br />
ersten Mal seit dreißig Jahren in der Öffentlichkeit auftritt. Darüber<br />
musste SISSY reden.<br />
sissy: Könnt ihr uns als erstes mal erklären, warum es das Festival erst<br />
jetzt gibt? Smith ist ja schon eine ganze Weile tot.<br />
Stefanie: Na weil wir die Filme erst jetzt haben! Und zwar alle. Das<br />
Arsenal ist weltweit die einzige Institution, die das sagen kann. Wir<br />
haben die gesammelten restaurierten Jack-Smith-16mm-Positive<br />
sowie Digitalisierungen der Super8-Filme in den letzten Jahren von<br />
der „Plaster Foundation“ sozusagen „geerbt“.<br />
Warum erbt das Arsenal das Gesamtwerk eines New Yorker Undergroundstars<br />
und nicht zum Beispiel das MoMA?<br />
Marc: Jerry Tartaglia, der die Filme im Auftrag der Foundation restauriert<br />
hatte, hat ein sehr gutes Verhältnis zu Berlin, weil er einige<br />
wenige Jack-Smith-Filme schon im Rahmen der Berlinale gezeigt<br />
hatte und hier immer gut aufgenommen worden war. Als die „Plaster<br />
Foundation“ sich im letzten Jahr aus verschiedenen Gründen auflösen<br />
musste, wurde ein Nachfolger gesucht.<br />
Es gab angeblich Erbstreitigkeiten. Kannst du die kurz erklären?<br />
Marc: Ich kann es versuchen. Als Jack Smith 1989 starb, war seine<br />
Schwester nicht an den Filmen interessiert. Alles was sie wollte, war<br />
Jacks Modeschmuck und ihren schwulen, an Aids gestorbenen Bruder<br />
so schnell wie möglich vergessen. Penny Arcade und die Foundation<br />
haben sich über zehn Jahre um die Filme und den Nachlass gekümmert,<br />
alles restauriert, geordnet, aufbewahrt und dafür gesorgt, dass<br />
Smith wieder bekannter wurde. Dann hat die Schwester irgendwo<br />
gehört, der Smith-Nachlass wäre jetzt Millionen wert und hat die<br />
Foundation auf Herausgabe ihres Erbes verklagt. Und den Prozess<br />
natürlich gewonnen, weil leider auch in den USA Blutsverwandschaft<br />
mehr Gewicht hat. Sie bekam die Rechte an allen Negativen und am<br />
Gesamtwerk. Und hat alles sofort an die Gladstone Gallery in New<br />
York verkauft. Jack Smith ist einer dieser klassischen Fälle, wo die<br />
Familie nach dem Aids-Tod eines schwulen Mannes das Erbe einfach<br />
an sich reißt, obwohl Smith mit seiner Schwester schon lange keinen<br />
Kontakt mehr hatte und seine Freunde seine eigentliche Familie<br />
waren.<br />
Jetzt bin ich verwirrt. Wer hat denn nun die Rechte, das Arsenal oder<br />
die Gladstone Gallery?<br />
Stefanie: Die Rechte liegen bei der Galerie, dort sind auch die Negative.<br />
Aber wir können die restaurierten Positive im Rahmen unseres<br />
Kulturauftrags und im „educational context“ aufführen. Als wir<br />
angefragt wurden, ob wir hier archivierend tätig werden wollen,<br />
haben wir uns natürlich sehr gefreut und waren sehr aufgeregt. Das<br />
ist schon eine richtig schöne Sache.<br />
Susanne: Die Frage war aber: Wie kriegt man das jetzt zu den Leuten,<br />
wie organisiert man 2009 die Rezeption seiner Filme.<br />
Stefanie: Du kannst sie ja nicht einfach ins Kino bringen, weil sie bis<br />
auf wenige Ausnahmen Teil einer performativen Praxis waren und<br />
auch weiter sein sollen.<br />
Susanne: Also haben wir Künstler, Wissenschaftler und Filmemacher<br />
gefragt, ob sie Lust haben, sich wieder oder ganz neu mit Jack Smiths<br />
Werk auseinander zu setzen. Und aus ihren Ideen, zusammen mit den<br />
Filmen, entsteht nun das Festival. Es war uns dabei wirklich wichtig,<br />
Theorie und künstlerische Praxis zueinander zu bringen.<br />
Soweit zum Hintergrund. Jetzt werden wir persönlich: Was ist das<br />
Tolle an Jack Smith?<br />
Marc: Als ich Flaming Creatures zum ersten Mal gesehen habe, hat<br />
der Film mein Leben verändert. Weil er mir eine ganz neue Welt aufgemacht<br />
hat, in der Gender und Sexualität auf eine Art zusammengebracht<br />
wurden, die ich so vorher noch nie gesehen hatte. Jack Smiths<br />
Arbeiten zeigen uns, dass einen Schwanz zu haben nicht bedeutet,<br />
dass man ein Mann ist, oder eine Vagina zu haben nicht heißt, dass<br />
man eine Frau ist. Die Geschlechter lassen sich durch die Fragmen-<br />
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