WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy
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BAYERiScHE StAAtSOPER<br />
EDitiON SAlzGEBER<br />
tellerrand<br />
in Dessous als glühend Verliebte in einer Mansarde, von Netrebko und<br />
Villazón erotisch aufgeladen gesungen und gespielt, während sie sich<br />
später als glamouröses Paar der Goldenen 20er auf dem Parkett der<br />
Eitelkeiten bewegen. Schließlich begegnet die als leichtes Mädchen<br />
Eingekerkerte ein letztes Mal dem Mann ihres Lebens, den sie ein<br />
Leben lang immer wieder betrog. Wie der Mexikaner und die Russin<br />
das spielten, war zu recht 2007 trotz aller Kritik an der vermeintlichen<br />
Oberflächlichkeit der Regie ein Ereignis. In Salzburg hätten die beiden<br />
ihren Erfolg des Jahres 2005 mit Verdis „Traviata“ fortsetzen sollen,<br />
doch die Schwangerschaft der jungen Russin, die von Erwin Schrott<br />
einen Sohn bekam, war die große Chance für Nino Machaidze: An der<br />
Seite von Villazón war sie in Charles Gounods „Roméo et Juliette“ eine<br />
Julia, der man das schwärmerische naive Mädchen, die plötzliche Reife<br />
zur Frau und die Intensität der Sterbeszene gleichermaßen glaubte.<br />
Und Villazón konnte einmal mehr den Ausdruck des schwärmerisch<br />
Liebenden in sein burschikoses Spiel und die verzehrende Intensität<br />
seiner unverwechselbaren Tenor-Stimme legen.<br />
Oben: Anja Harteros und Jonas Kaufmann in Richard Jones’ „Lohengrin“.<br />
Unten: Joseph Kaiser in Kenneth Branaghs Verfilmung der „Zauberflöte“.<br />
Das jüngste Traumpaar der Oper freilich heißt Jonas Kaufmann<br />
und Anja Harteros. Bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen<br />
sangen sie im „Lohengrin“ Wagners Schwanenritter und Elsa. Selten<br />
haben der Gralsgesandte und die des Brudermords Verdächtigte,<br />
die er vor dem mutmaßlichen Tod errettet, so natürlich gespielt und<br />
gesungen wie hier. Der fesche, schöne Zimmermann auf der Walz<br />
und das Mädel mit seinen geflochtenen Zöpfen in der weiten Latzhose<br />
waren so sichtbar verliebt, dass das geheimnisumwitterte Frageverbot,<br />
das Lohengrins Herkunft verschleiert und schon in der ersten<br />
Brautnacht zur Katastrophe führt, hier eine Beziehung zerstörte, die<br />
in der Inszenierung von Richard Jones gerade auf zunehmende Nähe<br />
baute – in einem drei Akte immer weiter fortschreitenden Verfertigen<br />
eines Hauses. Ohne den smarten Jonas Kaufmann mit seinen dunkelbraunen<br />
Locken und die Halbgriechin mit nicht minder schönem Profil<br />
und großartiger Haarpracht wäre das kühne Konzept von Richard<br />
Jones wohl kaum aufgegangen.<br />
Travestie und Frauenpaare<br />
Wagner liegt ihm denkbar fern, aber wer Pavol Breslik als Mozarts<br />
Idamante im „Idomeneo“ live in München, im Kino oder auf DVD<br />
erlebt hat, weiß, warum Regisseur Dieter Dorn unbedingt einen<br />
Tenor und keinen Mezzosopran in der Rolle des noch 1781 für einen<br />
Kastraten komponierten Kreter-Prinzen haben wollte. So viel herbzarte<br />
Jungmännlichkeit, so viel Ausstrahlung, Präsenz in Spiel und<br />
fein timbrierter heller Stimme sind überaus selten. An der Seite von<br />
Edita Gruberova verkörperte der 30-jährige Slowake an der Bayerischen<br />
Staatsoper zuletzt den Sohn der berüchtigten Giftmischerin<br />
Lucrezia Borgia in Donizettis gleichnamiger Oper. Sein Gennaro<br />
an der Seite von einem Dutzend Freunde – hübscher junger, immer<br />
latent aggressiver Männer in wadenfrei hochgekrempelten Anzügen<br />
– singt das eigentliche Liebesduett der Oper, die keine Liebeshandlung,<br />
sondern vor allem einen Mutter-Sohn-Konflikt enthält, mit der<br />
wunderbar androgyn wirkenden Alice Coote als Maffio Orsini: „Ah!<br />
non posso abbandonarti! Mio Gennaro! – Ich kann dich nicht verlassen,<br />
mein Gennaro!“ und „Ah! non io lasciar ti vo! Caro Orsini! – Ich<br />
will dich nicht lassen, liebster Orsini!“ singen sie sich minutenlang<br />
zu und beider Stimmen mischen sich aufs Schönste. Ein Schelm, der<br />
Böses dabei denkt!<br />
Nicht minder aufregend ist der Oktavian einer Sophie Koch,<br />
auch sie ein Mezzo, der in der Baden-Badener Inszenierung des<br />
Strauss’schen „Rosenkavaliers“ in der Hosenrolle des Oktavian schon<br />
zu Beginn in weißem Hemd und kurzer Hose seine Marschallin in<br />
Gestalt der schönen Renée Fleming anschmachten darf und das mit<br />
ausgesuchter Eleganz und Charme tut: Zwei Damen, die sich da küssen<br />
und herzen als 35-jährige Frau und ihr 17-jähriger Geliebter – wie<br />
im Text Hugo von Hofmannsthals vorgesehen – nach einer leidenschaftlichen<br />
Liebesnacht, über die das Orchestervorspiel keinerlei<br />
Zweifel aufkommen lässt. Im zweiten Akt stößt Oktavian als Überbringer<br />
der silbernen Rose, also als „Rosenkavalier“, auf die gleichaltrige<br />
Sophie der Diana Damrau, die einem geilen Halbedelmann vom<br />
Lande verheiratet werden soll. Schöner als die beiden zusammen singen,<br />
kann ein Duett zwischen einem hohen Sopran und einem glühenden<br />
Mezzo nicht klingen und nicht aussehen. Im dritten Akt freilich<br />
wird die Geschlechterverwirrung perfekt: Denn nun muss der junge<br />
Mann in Gestalt einer Frau den Burschen spielen, der ein Mädel mimt,<br />
um so dessen Sexsucht öffentlich bloßzustellen.<br />
Mann und Frau, Männerpaare, Frauenpaare, die Frau, die einen Mann<br />
spielt, der eine Frau darstellt: Das Spiel der Geschlechteridentitäten<br />
bedient die Oper virtuos und treibt es gerne auch mal auf die Spitze.<br />
Vielleicht ist es ja das, was so richtig „queer“ ist an dieser Gattung<br />
und den Anteil der schwulen Männer jeden Abend prozentual weit<br />
ausschlagen lässt. s<br />
Roméo et Juliette von Charles Gounod, Inszenierung: Barlett Sher, Bildregie: Brian Large<br />
Salzburger Festspiele, D/A 2008, ca. 163 Min, frz. OF mit dt. UT<br />
Im Kino: Classica im Kino im September<br />
Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart, Inszenierung: Claus Guth, Bildregie: Brian Large<br />
Salzburger Festspiele, D/A 2008, 176 Min, OmU<br />
Im Kino: Classica im Kino im Oktober<br />
Otello von Giuseppe Verdi, Inszenierung: Stephen Langridge, Bildregie: Peter Schöndorfer<br />
Salzburger Festspiele, D/A 2008, ca. 142 Min, ital. OF mit dt. UT<br />
Im Kino: Classica im Kino im November<br />
Alice in Wonderland von Unsuk Chin, Inszenierung: Achim Freyer, Bildregie: Ellen Fellmann<br />
Münchner Opernfestspiele, D 2007, 123 Min, engl. OF mit dt. UT<br />
Im Kino: Classica im Kino im Dezember<br />
Kinos und Termine unter www.classica-im-kino.de<br />
KiNOWElt<br />
Der Moment<br />
von EgbErt Hörmann<br />
Egbert Hörmann, der die SiSSY auch gerne einmal mit der Frage, ob sie zu lange in der Maske gesessen<br />
hätte, darauf hinweist, wenn sie cary Grant mit Gary cooper verwechselt, ist freier Autor, Filmkritiker,<br />
Kulturjournalist und Übersetzer und lebt in Berlin und St. Petersburg. Er sichtet seit Jahren für die Berlinale<br />
und hat 1984 mit Wieland Speck zusammen das Drehbuch zu „Westler“ geschrieben. zuletzt erschien von<br />
ihm der wunderbare Essayband „cruising mit den Wonderboys (Und andere schwule Erkenntnisse)“, im<br />
September erscheint „F*ck – Wenn Sex daneben geht“, für das er einige Geständnisse einschlägiger Autoren<br />
gesammelt hat. Außerdem arbeitet er seit längerem an seinem Meister- bzw. Monsterwerk, den intimen<br />
Memoiren „Weiße Nächte eines alten Kindes“.<br />
s Orson Welles beantwortete einmal die Frage „Was ist<br />
ein Star?“ mit dem delphischen Satz: „Ein Star ist eine<br />
Frau.“ Auf weitere Erklärung gedrängt, antwortete er:<br />
„Wenn es jetzt keine Stars mehr gibt, liegt das daran,<br />
dass es keine Frauen mehr gibt.“ Er meinte sicher damit,<br />
dass es diese geheimnisvollen, entrückten Hollywood-<br />
Lichtgestalten nicht mehr gibt, die die Logik außer Kraft<br />
setzen und sich auf eine Art und Weise benehmen, die<br />
ein Mensch weder verstehen kann noch möchte. Man<br />
muß sie ja nicht immer mögen, aber Bette Davis, Mae<br />
West, Joan Crawford, Rita Hayworth, Marlene Dietrich,<br />
Eli za beth Taylor und Greta Garbo waren einfach ein<br />
anderes Kaliber als Whoopie Goldberg, Sandra Bullock<br />
oder Meryl Streep.<br />
Schwule haben eine ganz spezifische Beziehung zu<br />
den klassischen weiblichen Stars. Wir haben, der Camp-<br />
Theorie Susan Sontags folgend, einfach eine Schwäche<br />
für das Extreme, Außerordentliche, Barocke, Schmuckvolle,<br />
Künstliche. Aufgrund ihrer kollektiven Geschichte<br />
verstehen Schwule das Spiel mit den Masken und Sexualitäten,<br />
sie schätzen das Synthetische und genießen das<br />
Theatralische, das an sich zum Wesen der Frau gehört.<br />
Und niemand war so cool wie die großen Diven, und<br />
Schwule verstehen das instinktiv: Cool sein ist der Ort<br />
wirklicher, unangestrengter Männlichkeit, das Hemingwaysche<br />
„grace under pressure“, wie es am besten von<br />
Frauen gehandhabt wird.<br />
Ein solches Ausnahmefleisch wird es nicht mehr<br />
geben – die größte italienische Schauspielerin war die<br />
1908 geborene Anna Magnani, der 1945 mit Roma, città<br />
aperta die seltene Besonderheit gelang,<br />
„ihre eigene meteorische Flugbahn mit<br />
dem geheimnisvollen und widersprüchlichen<br />
Orbit jenes Kometen zu kreuzen,<br />
der Geschichte genannt wird.“ (Alberto<br />
Moravia)<br />
1972. Eine 60-Sekunden-Sequenz,<br />
die letzte, ehrlichste und verstörendste<br />
eines doch recht „verkochten“ Films. Es<br />
ist Nacht, es ist schon spät. Das Klappern<br />
hochhackiger Schuhe auf dem<br />
Kopfsteinpflaster. Wir sehen von hinten<br />
eine Frau, die allein die Via degli Astalli<br />
hinuntergeht, zum Palazzo Altieri. Ein<br />
Mann folgt ihr. Es ist derselbe Mann, der<br />
1948 in Rossellinis skandalösem Amore<br />
den Schafhirten spielte, den Magnani in<br />
einem Anfall religiöser Trance für einen Heiligen hält,<br />
sich ihm hingibt und den Dörflern dann erzählt, sie sei<br />
das auserwählte Instrument einer unbefleckten Empfängnis<br />
geworden.<br />
„Anna“, ruft der Mann flehend. Anna Magnani geht<br />
ungerührt weiter. „Anna, Anna“, hört man ihn noch<br />
einmal. Magnani bleibt stehen, ohne sich umzudrehen.<br />
„Was ist deine Meinung zu Rom? Wie du weißt, bist du<br />
fast ein Symbol von…“ Sie dreht sich um und starrt ihn in<br />
der Dunkelheit mit funkelnden Augen an. „Was weiß ich!<br />
Was soll das Zeug!“ Er läßt nicht locker. „Wölfin und Vestalin,<br />
Aristokrat, Bettler, Gaukler… wie würdest du sagen<br />
bist du Rom ähnlich?“ – „Geh weg, geh nach Hause. Geh<br />
schlafen.“ Anna Magnani wendet sich ab und betritt den<br />
Palazzo. In der Tür wendet sie ihm die tragische Maske<br />
ihres Gesichts zu. Sie sagt die letzten Worte, die sie auf<br />
der Leinwand sprechen sollte: „Ich vertraue Dir nicht.“<br />
Und das schwere Portal schließt sich hinter ihr. Verwirrt<br />
und unsicher bleibt der Mann zurück. Es ist Federico<br />
Fellini, der Kollege aus neorealistischen Tagen. Der Film<br />
ist sein Roma, und er enthält Magnanis finale Zurückweisung<br />
aller öffentlichen Personae und all der Rollen<br />
(Mutter, Hure, Krawallschwester, „popolana“, Vorstadtpflanze),<br />
die auf sie projiziert worden waren, und sie läßt<br />
uns mit einem kurzen, fragmentarischen Blick in ihre<br />
intime Einsamkeit zurück. s<br />
Fellinis Roma<br />
von Federico Fellini<br />
United Artists<br />
Rom, offene Stzadt<br />
Roberto Rossellini<br />
Arthaus, www.kinowelt.de/dvd<br />
Cruising mit den Wonderboys<br />
von Egbert Hörmann<br />
Querverlag, www.querverlag.de<br />
F*ck – Wenn Sex daneben geht<br />
Hrsg. Egbert Hörmann<br />
Querverlag, www.querverlag.de<br />
22 23<br />
film-flirt