WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy
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tellerrand<br />
20<br />
O BEAUTY,<br />
O HANDSOMENESS,<br />
GOODNESS!<br />
von klaus kalchschmid<br />
Der Opern-Film von heute hat für den homosexuellen Mann einiges zu bieten.<br />
Auch SiSSY gerät ins Schwärmen!<br />
WilFRiED HöSl<br />
s Wer heute in die Oper geht – und die Schwulen unter den Männern<br />
zwischen 25 und 50 machen da geschätzte 50% aus –, erwartet<br />
nicht nur schönen Gesang und Sexappeal in der Stimme. Heute<br />
muss das, was sich auf der Bühne zwischen den handelnden Personen<br />
ereignet, müssen die großen Gefühle, wenn sie denn intensiv über die<br />
Rampe kommen sollen, von Sängerdarstellern gespielt und gesungen<br />
werden, denen man ihre Figuren in jeder Minute glaubt; von Menschen,<br />
die auch altersmäßig keine Lichtjahre von einem Tamino oder<br />
Romeo, Oktavian oder Lenski entfernt sind. An der Rampe stehen und<br />
wunderbar singen, das genügt erst recht nicht, wenn Gesichter und<br />
Gestik in Nahaufnahme auf der großen Leinwand oder auf DVD zu<br />
sehen sind. In den letzten Jahren, ja bereits Jahrzehnten hat sich da<br />
viel geändert. Heute überzeugen viele, wenn nicht die meisten Sänger<br />
auch als Darsteller. Nicht erst mit Anna Netrebko und Rolando Villazón<br />
hat das begonnen, sondern wohl schon vor mittlerweile über<br />
dreißig Jahren mit der bis heute faszinierenden Inszenierung Patrice<br />
Chéreaus von Wagners „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth. Nicht<br />
umsonst war und ist der bei der Premiere 1976 gerade mal 31-jährige<br />
Franzose zugleich Theater-, Film- und Opernregisseur.<br />
Männerpaare<br />
Die schwule Operntrulla oder -tucke, wie man sich unter Gleichgesinnten<br />
gerne augenzwinkernd und selbstironisch nennt, liebt die<br />
großen Diven à la Maria Callas, Edita Gruberova oder Renée Fleming,<br />
aber ein Männer-Paar wie im neuen Salzburger „Don Giovanni“ beflügelt<br />
schwule Fantasien doch erheblich mehr: Zwei Machos, die beiden<br />
verdammt sexy aussehenden und spielenden Darsteller von Giovanni<br />
und seinem Diener Leporello, knien da im düsteren Grimm’schen<br />
Märchenwald hintereinander und spielen eine Verführungsszene<br />
zwischen Mann und Frau. Christopher Maltman und Erwin Schrott<br />
macht das sichtlich Spaß, wie umgekehrt der Zuschauer sich bei den<br />
nicht selten nackten, muskulösen Oberkörpern der beiden wie ein<br />
Voyeur fühlt. Und erinnert sich vielleicht an ein nicht minder erotisches<br />
Paar in der gleichen Oper: Denn in der Verfilmung von Peter<br />
Sellars aus dem Jahr 1990 verhalfen sich zum Verwechseln ähnlich<br />
sehende schwarze Zwillingsbrüder, die ebenfalls mit Lust am Sichzur-Schau-Stellen<br />
und mit enormer physischer Präsenz spielten,<br />
wechselseitig zu Liebesabenteuern. Bei diesen Brüdern im realen<br />
Leben war der Identitätswechsel auch ohne Kleidertausch verwirrend.<br />
Zwei Männer waren das hier wie dort, von denen man nicht<br />
genau weiß, was und wieviel sie eigentlich verbindet, mehr wohl als<br />
das Verhältnis von Herr und Diener. In Salzburg ist das Leben des<br />
schon zu Beginn angeschossenen Giovanni vom Fixen abhängig, von<br />
den Schüssen, die ihm der Diener immer wieder setzt, ohne die der<br />
Frauenheld das finale Aufbäumen in der letzten Nacht seines Lebens<br />
nicht mehr so lange hätte hinauszögern können.<br />
Die Beziehung der Freunde Lenski und Onegin in Tschaikowskys<br />
„Eugen Onegin“ geht mutmaßlich über Freundschaft hinaus, wie<br />
Krzysztof Warlikowski das in München zeigen wollte. Da sind die<br />
beiden ein verkappt schwules Paar, das sich seine Neigungen nicht<br />
einzugestehen traut. Auch wenn Andrea Breth mit Peter Mattei und<br />
Joseph Kaiser in Salzburg 2007 den aus der Biographie des Komponisten<br />
gewonnenen Subtext nicht mitinszenierte, hatten wir es doch<br />
ebenfalls mit zwei attraktiven Männern zu tun, deren Intensität die<br />
breite Bühne des Großen Festspielhauses mühelos füllte: Vor allem<br />
der junge Kanadier Joseph Kaiser, mit seiner großen, mächtigen<br />
Gestalt und den durchdringend blauen Augen ein Bild und Baum von<br />
einem Mann, konnte in seiner Eifersucht bei Tschaikowsky wie ein<br />
Berserker wüten, besaß aber auch als Tamino in der „Zauberflöten“-<br />
Verfilmung von Kenneth Branagh eine enorm männliche und zugleich<br />
sensibel weiche Ausstrahlung. Man denke nur an die Szene gleich zu<br />
Beginn, wenn er da im Schützengraben traumverloren eine Blume<br />
pflückt oder an die schwarz-weiße Traumsequenz, in der er mit<br />
Pamina in slow motion Walzer tanzt.<br />
Oben: Erwin Schrott und Christopher Maltman in Claus Guths„Don Giovanni“.<br />
Unten: Rolando Villazón in Bartlett Shers „Roméo et Juliette“.<br />
Ganze Seite links: Pavol Breslik und John Mark Ainsley in Dieter Dorns „Idomeneo“.<br />
tellerrand<br />
Auch Annette Dasch ist mit Partien in Mozart-Opern berühmt<br />
geworden. Nach „Figaro“-Gräfin, Aminta in „Il re pastore“ zum<br />
Mozartjahr in Salzburg und Donna Elvira an der Mailänder Scala gab<br />
sie letztes Jahr ihr Debüt als Elettra im Münchner „Idomeneo“ und<br />
war gleichzeitig in Salzburg die andere der großen leidenschaftlich<br />
liebenden Frauen im „Giovanni“, die Donna Anna. In München gab sie<br />
die zwischen Furor und Sehnsucht nach Idylle schwankende mykenische<br />
Königstochter, die vergeblich den Kreterprinzen Idamante<br />
begehrt, als sinnliche Frau, die von ihrem eigenen Zorn schließlich<br />
verzehrt wird. Ein voller, saftiger Sopran stand ihr als Stimme dafür<br />
zur Verfügung. Claus Guth machte in Salzburg ebenfalls aus der vermeintlich<br />
von Don Giovanni gleich zu Beginn der Oper sexuell Genötigten<br />
eine leidenschaftlich Liebende. Keinen Zweifel ließ Guth an der<br />
Frage, was sich zwischen ihr und dem Don abgespielt hat, während<br />
im Orchestergraben noch die Ouvertüre tobte: Hier ist es nicht die<br />
Verlobte Don Ottavios, die den potentiellen Vergewaltiger loswerden<br />
will, hier ist es Don Giovanni, der sich von der aktiven Frau bedroht<br />
sieht und dann doch einen besonderen Thrill dabei erlebt, wenn sie<br />
ihm das Hemd vom Leib reißt. Traumpaar könnte man die beiden<br />
dennoch kaum nennen, weil sie in der Oper auch zu keinem werden.<br />
Traumprinzen und -prinzessinnen<br />
Anna Netrebko und Rolando Villazón dagegen machten in Jules Massenets<br />
„Manon“ an der Berliner Lindenoper von der ersten bis zur letzten<br />
Sekunde glaubhaft, dass hier zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher<br />
nicht sein könnten, bis in den Tod voneinander nicht loskommen.<br />
Anfangs trifft Student auf verwöhntes, gelangweiltes Mädchen in einem<br />
Straßencafé, dann zeigt Regisseur Vincent Paterson beide barfuß und<br />
21<br />
ORF / Ali ScHAFlER<br />
cläRcHEN BAUS-MAttAR UND MAttHiAS BAUS