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WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy

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kino<br />

ALLES, <strong>WAS</strong> <strong>HOLLYWOOD</strong><br />

<strong>NICHT</strong> <strong>ERLAUBT</strong><br />

von sascha WesTPhal<br />

Der eitle Hollywood-Star Guy Stone bezaubert auf der leinwand die Hausfrauen und vernascht in seinem<br />

Bungalow heimlich seine männlichen Fans. Das kann nicht lange gut gehen. „Straight Jacket“ ist eine grelle<br />

Satire über Pirouetten in der zwangsjacke und bunte Dekors in einer moralpolitisch schwarzen zeit.<br />

s Hollywood in den frühen 50er Jahren. Über dem Tor zu den mittlerweile<br />

schon ein wenig heruntergekommenen SRO-Studios prunkt<br />

in großen schwarzen Lettern vollmundig der Reklamespruch: „Where<br />

the stars don’t burn out“. Wo die Sterne nicht ausbrennen – das ist<br />

das große Versprechen nicht nur der Traumfabrik, sondern Amerikas<br />

in dieser Dekade. Doch die Wirklichkeit sieht natürlich ganz anders<br />

aus. Die großen Träume und Hoffnungen nach dem Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs sind Sternen gleich explodiert. Was danach noch von<br />

ihnen übrig war, konnte nur zu einem schwarzen Loch namens Kalter<br />

Krieg kollabieren. Und das ist 1953 schon auf dem besten Weg, Hollywood<br />

und mit ihm gleich auch noch alles andere zu verschlucken.<br />

Guy Stone, der gerade am hellsten strahlende Stern am SRO-<br />

Himmel, bekommt von all dem allerdings kaum etwas mit. Dafür ist<br />

der „begehrteste Junggeselle Amerikas“ viel zu sehr mit sich selbst<br />

beschäftigt. Ihn interessiert nur, ob er die Titelrolle in Ben Hur<br />

bekommt, dem prestigeträchtigen Monumentalfilm, den der Filmmogul<br />

und SRO-Besitzer Saul Ornstein gerade vorbereitet. Auch wenn er<br />

Abend für Abend durch dieses andere, verborgene Los Angeles streift,<br />

durch die Welt, die John Rechy so treffend „City of Night“ genannt<br />

hat, denkt er nur an sich. Einmal betritt er eine Schwulen-Bar gar mit<br />

den Worten: „Und wer ist heute der glückliche Gewinner?“.<br />

Eroberungen für eine Nacht, mehr will Guy gar nicht. Und die<br />

fallen ihm, seinem Starruhm sei’s gedankt, wahrhaftig in den Schoß.<br />

Aber einmal kommt es dann, wie es kommen musste. Schließlich<br />

hat Guy mit seiner Arroganz und seiner Sorglosigkeit wenn nicht<br />

das Schicksal, so doch zumindest all die herausgefordert, denen ein<br />

schwuler Kinostar ein Dorn im Auge ist. Er gerät in eine Razzia des<br />

berüchtigten Vice Squad des LAPD und wird mit Handschellen aus<br />

dem Club geführt, vor dem schon ein Photograph eines der Skandalblättchen<br />

dieser Zeit wartet. Diese Photos könnten Guy für immer<br />

ruinieren. Also greift seine Agentin, die toughe Jerry Albrecht, nach<br />

einem letzten Strohhalm: Guy muss heiraten und zwar sofort. Ein<br />

williges und zudem auch noch unsterblich in den Star verliebtes Opfer<br />

ist in Gestalt Sallys, der blonden Sekretärin Saul Ornsteins, schnell<br />

gefunden. Schon bald läuten die Hochzeitsglocken und das neue<br />

Traumpaar Hollywoods ist erschaffen. Dass Sally nicht einmal ahnt,<br />

warum Guy auf getrennten Schlafzimmern besteht, ist dabei ganz im<br />

Sinne der Drahtzieher dieser Ehe-Scharade, um so besser spielt sie<br />

die ihr zugedachte Rolle.<br />

Wer nun bei dem von Carrie Preston und Matt Letscher gespielten<br />

Paar an Rock Hudson und seine kurzzeitige Ehefrau Phyllis Gates<br />

denkt, hat natürlich Recht. Straight-Jacket, Richard Days Verfilmung<br />

seines gleichnamigen Theaterstücks, bedient sich schon geradezu<br />

schamlos bei dieser besonders traurigen Episode aus Hollywoods (Celluloid)<br />

Closet. Im November 1955 hat der in Wirklichkeit allerdings eher<br />

zurückhaltende Rock Hudson die Sekretärin seines mächtigen Agenten<br />

Henry Wilson auf dessen Betreiben hin geheiratet. Die Hochzeit sollte<br />

endgültig alle Gerüchte aus der Welt schaffen, die den aufstrebenden<br />

Star damals umschwirrten. 1958, nach nicht einmal drei Jahren Ehe,<br />

reichte Phyllis Gates die Scheidung ein und bezichtigte Hudson „seelischer<br />

Grausamkeit“ und konsequenter Vernachlässigung. Er willigte<br />

ein, und so endete dieses Kapitel in seinem Leben erstaunlich unspektakulär,<br />

zumindest so weit es die Öffentlichkeit betraf.<br />

Day folgt weitgehend der Version der Geschichte, die Gates nach<br />

dem Tod Hudsons in ihrer Autobiographie „My Husband, Rock Hudson“<br />

erzählt, und streut auch sonst noch jede Menge Anspielungen auf<br />

das Paar ein. So sollen die Dreharbeiten zu Ben Hur in Italien stattfinden.<br />

Dort hat Hudson Wem die Stunde schlägt gedreht. Die Affäre, die<br />

er in diesen Monaten mit einem italienischen Schauspieler hatte, ist<br />

seiner Frau zu Ohren gekommen, die daraufhin sofort die Scheidung<br />

eingeleitet hat. Gates hat später dann als Innenarchitektin Karriere<br />

gemacht. Das erste, was Sally nach der Hochzeit in Angriff nimmt, ist<br />

eine komplette Umdekoration von Guys Haus, das übrigens wie Hudsons<br />

in den Hügeln über dem Sunset Boulevard liegt.<br />

Aber trotz all dieser kleinen und großen Verweise ist Days Technicolor-bunte<br />

Camp-Version der 50er Jahre und ihrer Popkultur kein<br />

film à clef, kein Schlüsselfilm, im eigentlichen Sinne. Die Geschichte<br />

dieser Ehe und die sie umgebenden Gerüchte sind für ihn genauso<br />

wie der wild wuchernde Antikommunismus, den er dann in der<br />

zweiten Hälfte seiner Satire ins Visier nimmt, nur ein Symptom des<br />

ganzen Wahnsinns einer durch und durch repressiven Ära. Straight<br />

Jacket – das ist die Zwangsjacke der so genannten Normalität, in die<br />

das heteronormative, kapitalistische und zutiefst paranoide Amerika<br />

der 50er wie der 00er Jahre ohne Rücksicht auf Verluste jeden steckt,<br />

der anders ist. s<br />

Straight Jacket von Richard Day, USA 2004, 96 Min, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino: Gay-Filmnacht im November, www.gay-filmnacht.de<br />

EDitiON SAlzGEBER<br />

WARUM BRINGEN WIR<br />

DEN CHEF <strong>NICHT</strong> UM?<br />

von jessica ellen<br />

Der Arbeitsmarkt bestimmt das Geschlecht. Der neue Film der „Aaltra“-Regisseure Gustave de Kervern<br />

& Benoît Delépine betreibt unglamouröses Gender-Bending in einer rabenschwarzen Komödie. Unsere<br />

Autorin findet nicht nur das suchtbildend.<br />

s Schon die Eingangsszene ist von jener makabren Komik, die einen<br />

einstimmt auf das was kommt: Eine Einäscherung zu den Klängen<br />

der Internationalen als ironischer Abgesang – und alles klemmt. Also<br />

muss mit ein bisschen Gewalt nachgeholfen werden. Hier wird mehr<br />

zu Asche werden als nur der anonyme Verstorbene auf dem Foto.<br />

Der Sozialismus mag tot sein, aber die Anarchie, auch die sexuelle,<br />

ist höchst lebendig, wenn sich Protagonisten wie Louise (Yolande<br />

Moreau) und Michel (Bouli Lanners) ihrer annehmen.<br />

Doch bevor sie sich begegnen, muss der Turbo-Kapitalismus noch<br />

seine hässliche Fratze zeigen. Dafür brauchte das Regie-Duo Gustave<br />

de Kervern und Benoît Delépine nur die Zeitung zu lesen: Ein netter<br />

Unternehmer hatte seinen Arbeitern neue Arbeitskleidung spendiert<br />

und am darauf folgenden Wochenende alle Maschinen „ihres“ Betriebes<br />

nach Osteuropa transferieren lassen. Genau das passiert Louise<br />

samt Kolleginnen. Sie legen ihre Abfindungen zusammen und überlegen,<br />

was damit getan werden könnte. Louise meldet sich zu Wort:<br />

„Was haltet ihr davon, den Boss abknallen zu lassen?“ Eine gute Idee,<br />

finden alle, der Vorschlag wird einstimmig angenommen und Louise<br />

mit der organisatorischen Umsetzung betraut. Wir erfahren, dass<br />

Louise als Mann im Knast war und nur den Fummel angelegt hat,<br />

um den mies bezahlten Job als Näherin zu kriegen. Da der ehemalige<br />

Mit-Knacki bedauerlicherweise nicht mehr im Geschäft ist und so als<br />

Auftragsmörder ausfällt, sucht Louise weiter und findet den Wachmann<br />

Michel, der sich eine Fremdenlegionärsbiographie zugelegt<br />

hat, aber nicht schießen kann. Was hier nicht stimmt, wird schnell<br />

klar: Ein dickes Mädchen, das Michel verblüffend ähnelt, schwingt<br />

den Wurfhammer, der in der Ferne verschwindet. „Meinst Du nicht,<br />

dass Du mal über eine Hormonbehandlung nachdenken solltest“,<br />

fragt die Sportlehrerin spitz. Aber aus der Sportlerkarriere ist trotz<br />

allem nichts geworden, statt dessen langweilt sich Michel in seinem<br />

Job als Wachmann im Trailerpark.<br />

Mit Hilfe von Lebensmüden kommen Louise und Michel ihrem<br />

Plan und einander Schritt für Schritt näher – von der Picardie nach<br />

Brüssel und schließlich auf die Insel Jersey. Nur müssen sie jedes Mal<br />

feststellen, dass der gerade Umgelegte gar nicht der Oberboss ist…<br />

Die Regisseure verstehen ihren Film als schwarze Komödie für<br />

alle, die von gierigen Bossen und Bankstern die Nase voll haben,<br />

und als eine Hommage an die Anarchistin Louise-Michel, die nicht<br />

zögerte, Waffen in die Hand zu nehmen und ein Attentat gegen Napoleon<br />

III. anzuzetteln. „Um so viel Energie und Entschlossenheit zu<br />

verkörpern, braucht es mindesten zwei Helden.“<br />

Darüber hinaus wird auch eine fröhliche Geschlechterrollenunordnung<br />

gestiftet. Selten ist im Kino ein „Genderbending“ so ruppig<br />

und unglamourös daher gekommen: Louise, der Knacki, ist überhaupt<br />

nicht weiblich, und das wirkt umso komischer, als er von einer<br />

Frau gespielt wird. Das Pendant Michel ist eine Frau, die als Mann<br />

auftritt und von einem Mann dargestellt wird und dabei mehr auf<br />

Köpfchen als auf selbstgeübte Brutalität setzt. So entsteht ein bissiger<br />

Kommentar über die brüchige Inszenierung von Geschlechtsidenti-<br />

täten, die nicht mehr das Pathos eigentlicher Selbstverwirklichung<br />

beschwört, sondern die Absurdität einer Anpassung an die Gegebenheiten<br />

des Arbeitsmarktes auf die Spitze treibt, um ihr eine höchst<br />

radikale Absage zu erteilen.<br />

Beide Hauptdarsteller sind auch als RegisseurInnen (und KomikerInnen<br />

mit Mut zur Hässlichkeit) dem deutschen Kinopublikum<br />

bekannt geworden. Yolande Moreau führte gemeinsam mit Gilles<br />

Porte Regie bei Quand la mer monte und spielte die weibliche Hauptrolle.<br />

Bouli Lanners erster Langspielfilm Ultranova wurde auf der<br />

Berlinale 2006 gezeigt, und Eldorado, bei dem er auch eine Hauptrolle<br />

übernahm, lief erst vor kurzem in hiesigen Kinos. Im Winter<br />

wird Yolande Moreau auch als Seraphine im dem gleichnamigen<br />

Biopik zu sehen sein. Warnung: Yolande Moreaus Leinwandpräsenz<br />

kann suchtbildend sein! s<br />

Louise hires a contract killer<br />

von Gustave de Kervern &<br />

Benoît Delépine<br />

FR 2008, 94, DF<br />

Kool Film, www.koolfilm.de<br />

Im Kino<br />

Bundesstart 24. September<br />

16 17<br />

kino<br />

KOOl FilM

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