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WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy

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kino<br />

SIE IST <strong>NICHT</strong>S.<br />

SIE IST NIEMAND.<br />

von birgiT binder<br />

Jesús Garays coming-Out-Drama „Eloïse“ läuft im September in der l-Filmnacht und<br />

ist ab 18. Oktober regulär im Kino zu sehen.<br />

s Ein blauer Wal hatte sich in den Mond verliebt. Während die anderen<br />

Wale nach Plankton suchten, stieg sie auf, um den Mond zu sehen.<br />

Sie war traurig. Nacht um Nacht sah sie den Mond, ohne ihn erreichen<br />

zu können. Und der Wal weinte und weinte. Eines Nachts schwamm<br />

der Wal in die tiefste Region des Meeres und sprang an die Oberfläche,<br />

höher als alle Wale jemals gesprungen waren. Aber der Mond war zu<br />

hoch und da sie ihn nicht erreichen konnte, warf sie ihm einen Kuss<br />

zu. Dieser Kuss war so voll von Liebe, dass das Wasser in der nächsten<br />

Nacht ein Abbild des Mondes reflektierte. (Eloïse zu Asia)<br />

Asia, 18, liegt im Krankenhaus im Koma, umsorgt von ihrer Mutter<br />

und ihrem Freund Nathaniel. Die filmischen Rückblenden, in denen<br />

der katalanische Regisseur Jesús Garay die Ereignisse vor Asias Einweisung<br />

erzählt, schrauben sich Schritt für Schritt immer weiter in die<br />

Vergangenheit der Architekturstudentin. Es ist ein langer Weg bis zu<br />

Asias Sprung, beginnt er doch, wie es sich für eine Tochter aus „besserem“<br />

Hause mit klammernder Über-Mutter gehört: Am Mensatisch<br />

mit zwei Freundinnen (die keine sind), den perfekten Boyfriend in spe,<br />

Nathaniel, beobachtend. Der hat zwar nur Augen für Asia, lädt aber<br />

dann doch alle Drei zum Kinobesuch mit zweien seiner Freunde ein.<br />

Wäre zuvor nicht Eloïse an ihrem Mittagstisch vorbei geschritten, über<br />

die sich Eríka und Norah abfällig äußern, bis Asia ihnen, ohne Eloïse<br />

kennengelernt zu haben, widerspricht, schauten wir dem Beginn einer<br />

bis zur Ödnis normierten Heterobeziehung in Barcelona zu.<br />

Garay inszeniert dieses auf dem Drehbuch von Christina Moncunill<br />

basierende Drama ohne Knalleffekte, ruhig, als atme man mühelos<br />

unter Wasser. Wenn Nathaniel und Asia in der Frontalen im Kino<br />

nebeneinander sitzen und auf die Leinwand, uns also, schauen, dann<br />

ist das wohl alltäglich zu nennen. Wenn Asia in einer kurzen Einstellung<br />

ihren Kopf zur Seite wendet und die Reihe entlang auf ein sich<br />

küssendes Paar schaut und erst dann Nathaniel ihre Hand halten lässt,<br />

ist das gleichzeitig ein kurzes Kommentar und eine feine Sequenz auf<br />

den vermeintlich natürlichen Zwang zur Reproduktion heterosexuellen<br />

Begehrens. Asia scheint die Situation zu genießen, nicht, weil sie<br />

agiert, sondern qua Imitation – Kino plus Händchenhalten mit Freund<br />

gleich prima, die da drüben machen’s ja genauso.<br />

Vielleicht ist es (nicht) der Kuss zwischen ihrem Freund Nathaniel<br />

und Uni-Freundin Eríka in der Disco, nachdem sich beide gut gelaunt<br />

ihres gemeinsamen homophoben Einverständnisses vergewissert<br />

haben, und (auch nicht) die Äußerung von Asias Mutter, die ihre Tochter<br />

von 23 Uhr bis 1 Uhr morgens mit den Worten „Du wirst mich endlich<br />

stolz auf dich machen!“ zum Lernen zwingt, die Asia eines Tages<br />

dem Aushang „Modelle gesucht“ in der Uni folgen lassen. Gewiss ist es<br />

ihre erste Abweichung vom geordneten Plankton-Ritual. „Ich wollte<br />

einmal etwas Impulsives tun“, wird sie Eloïse erklären, nachdem sie<br />

den ersten Schock, die offen lesbische Kommilitonin als Urheberin des<br />

Aufrufs im Zeichenraum wiederzufinden, überwunden hat. Im weiteren<br />

Verlauf des Films wird Asia dieses erste Auftauchen nicht mehr<br />

vergessen.<br />

Die am schwierigsten zu betrachtenden Szenen sind nicht die des<br />

inneren Mit-Sich-Selbst-Ringens von Asia, sondern die, deren erster<br />

Schein nicht eingelöst wird. Die ins Krankenhaus hastende Mutter (sie<br />

trägt bezeichnenderweise keinen Namen) findet Nathaniel am Krankenbett<br />

ihrer Tochter und stößt, Eloïse erwartend, hervor: „Wo ist<br />

sie?!“, woraufhin Nathaniel verwirrt zurückfragt: „Wer ist ‚sie‘?“ und<br />

die Mutter antwortet: „Sie ist nichts. Sie ist niemand“. Gerade diese<br />

beiden Figuren, die Mutter und Nathaniel, nie zur fratzenhaften Karikatur<br />

ach so normaler gesellschaftlicher Verhältnisse zu überzeichnen,<br />

ist ein besonderer Verdienst der Inszenierung. Bei allen stumpfen<br />

Äußerungen und tumbem Verhalten der beiden scheinen sie direkt aus<br />

jedermenschens Nachbarschaft auf die Straße getreten zu sein, nach<br />

jedem Gesetzbuch zu gewaltlos, um weggesperrt zu werden, aber nicht<br />

minder zerstörerisch, und zu ignorant-arrogant, um jemals ihren Status<br />

quo hinterfragt zu haben. Oder mit den Worten der Mutter: „Ich<br />

werde es verhindern!“, darauf Eloïse: „Was? Asias Glück?“<br />

„Eloïse“ ist bestes Schauspiel-Kino mit zwei Titelheldinnen, die<br />

eine Entdeckung sind. Dieser Film macht Mut, auch jenseits wohlbekannter<br />

Planktonbänke zu tauchen. Mit einer FSK 12 sind ihm in<br />

diesem Herbst viele junge Kino-ZuschauerInnen zu wünschen –<br />

Händchenhalten und Knutschen sind nicht obligatorisch. Und wenn<br />

wir tauchen wollen, um zu springen, dann so ungeduldig wie möglich,<br />

ohne Zögern. Geduld gehört sowieso zu den völlig überschätzten<br />

Tugenden. s<br />

Eloïse von Jesús Garay, ES 2009, 90 Min, OmU<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino: L-Filmnacht im September, www.l-filmnacht.de<br />

Bundesstart: 18. Oktober 2009<br />

PRO-FUN MEDiA<br />

MAUSI KOMMT<br />

IM KINO RAUS<br />

von silvy Pommerenke<br />

Kaum ein lesbischer coming-Out-Film hat in Deutschland soviel Spaß gemacht wie „Kommt Mausi raus?!“,<br />

Angelina Maccarones erster Film. Unsere Autorin erinnert sich an einen Abend vor 14 Jahren.<br />

s Wieder einer dieser Abende, an denen kein Schwein anruft und<br />

alle anderweitig verabredet sind. Okay, dann also die Zeit mit Glotze,<br />

Chips und Bier verbringen. Es ist Mittwoch, der 7. Juni 1995 und<br />

gerade fängt auf dem Ersten ein Film an. Na, wenigstens etwas. Ich<br />

hasse es, wenn ich den Beginn verpasse, auch wenn der Titel Kommt<br />

Mausi raus?! mich jetzt nicht wirklich umhaut. Aus Ermangelung<br />

einer Fernbedienung bleibe ich auf meiner Couch und bei dem Film<br />

hängen und sehe eine freche Göre, die ihre Freundin zum Spielen<br />

abholen will. Na, das sieht doch schon mal ganz witzig aus. Womit<br />

ich allerdings nicht gerechnet habe ist, dass die nächste Szene eine<br />

typische Hamburger Altbauwohnung mit Pappbett, totalem Chaos,<br />

überfülltem Mülleimer und – jetzt wird es spannend – zwei nackten<br />

Frauen im Bett zeigt! Völlig überrascht vergesse ich Chips & Bier und<br />

bin die nächsten neunzig Minuten Feuer und Flamme!<br />

Damals war mir bereits klar, dass hier ein ganz besonderer<br />

Coming-Out-Film gezeigt wurde, der sich deutlich von den vorwiegend<br />

schwermütigen „Ich bin lesbisch und mir bleibt nur der Suizid<br />

oder die Zwangsheterosexualität übrig“-Filmen abhob. Wie sehr dieser<br />

Film Kultstatus erreichen würde, war Mitte der Neunziger allerdings<br />

noch nicht abzusehen. Angelina Maccarone, die damals noch<br />

unbekannte Drehbuchautorin und Co-Regisseurin, verpackte dabei<br />

auf äußerst humorvolle Weise das Coming out einer Kleinstadtlesbe<br />

in Klischees und Komik. Die damals ebenfalls noch unbekannte Julia<br />

Richter als Kati „Mausi“ Breuer verursachte mit ihren großen braunen<br />

Augen eine Revolution in hungrigen Lesbenherzen, und selbstredend<br />

sorgte auch Inga Busch als obercoole Jo für feuchte Träume.<br />

Eine der witzigsten Figuren ist aber wohl Katis Mutter, die von Gisela<br />

Keiner im tiefsten westfälischen Dialekt gegeben wird. Ganz großes<br />

Kino! Sämtliche Erfahrungen, die „datt Kati“ mit ihrer heterosexuellen<br />

Umwelt machte, hatte man ebenfalls erlebt. Sei es die bange Frage<br />

der besten Freundin, warum sie denn nie sexuell etwas von ihr wollte,<br />

über den Vorwurf, sie sei immer schon renitent gewesen und deswegen<br />

sei das Lesbischsein nur eine logische Konsequenz dieser Lebenseinstellung<br />

bis hin zu den Mackersprüchen, sie müsse es nur einmal<br />

richtig besorgt bekommen… Also Identifikationsfläche pur, die das<br />

Publikum in den Bann zog und zieht. Selbst die Heteros dürften ihren<br />

Spaß dabei haben.<br />

Angelina Maccarone hat diese urkomische Komödie mit extrem<br />

leichter Hand geschrieben. Vor allem die Szenen, als Mausi nach<br />

Hause in die Pampa irgendwo in Westfalen fährt, um sich endlich<br />

vor ihrer Mutter zu outen. Nachdem sie sich schließlich unter dem<br />

Deckmäntelchen der Verschwiegenheit der Mutter und der besten<br />

Freundin anvertraut hat, weiß es bereits eine halbe Stunde später<br />

das ganze Dorf. Ausgerechnet an diesem Wochenende ist auch noch<br />

Schützenfest, so dass die Nachricht wie eine Bombe einschlägt. Aber<br />

Kati hält sich wacker, auch wenn ihre Mutter ihr immer wieder Wurst<br />

auftischen will (obwohl sie doch jetzt Vegetarierin ist), die spießige<br />

Schwester sie mit Vorwürfen überhäuft, weil sie selbst keinen Mann<br />

abbekommen hat (und jetzt auch nicht mehr wird) und der Lover<br />

ihrer besten Freundin totalen Ärger macht, weil er Angst hat, dass<br />

Mausi seine Süße umpolt. Als dann auch noch die ehemalige Französisch-Lehrerin<br />

– Mausis erste große Liebe – mit Kind und Kegel auf<br />

dem Rummelplatz auftaucht und ihr einen Kuss abpflückt, da weiß<br />

Kati, dass ihr Platz definitiv nicht mehr in der Provinz ist. Aus dem<br />

langhaarigen Kleinstadtküken ist eine kurzhaarige Großstadtlesbe<br />

geworden und sehnsüchtig fährt sie nach Hamburg zu ihrer Liebsten<br />

Yumiko (Alexandra Wilcke) zurück, die ihr während der kritischen<br />

Tage in Westfalen am Telefon moralischen und seelischen Beistand<br />

gegeben hat.<br />

Kommt Mausi raus?! war der Anfang der Karriere Angelina Maccarones,<br />

denn zwei Jahre später folgte die ebenfalls unglaublich witzige<br />

Lesbenschmonzette Alles wird gut, und neben anderen Kinofilmen<br />

hat sie mit Fremde Haut von 2004 bewiesen, dass sie sich nicht<br />

nur auf Komödien versteht. Es ist wirklich höchste Zeit, dass Mausi<br />

endlich im Kino und als DVD rauskommt, denn es handelt sich hierbei<br />

auch um ein Stück lesbischer Zeit- und Kulturgeschichte. Außerdem<br />

kann man dann die in einem völlig desolaten Zustand befindliche<br />

VHS-Kassette (auf der man damals irgendwann zu nächtlicher Stunde<br />

den Film aufgezeichnet hatte) endlich gegen ein Medium des digitalen<br />

Zeitalters austauschen.<br />

Apropos damals: Es stellte sich am nächsten Tag heraus, dass<br />

ein Großteil meiner Freund/innen abends zuvor auch Kommt Mausi<br />

raus?! gesehen hatte. Einig waren wir uns schnell: Wir hatten lesbische<br />

Fernsehgeschichte live miterlebt und waren hellauf begeistert<br />

von dieser Coming-Out-Komödie, die auch heute nichts an Faszination<br />

eingebüßt hat! s<br />

Kommt Mausi raus?! von Alexander Scherer und Angelina Maccarone, D 1995, 90 Min, dt. OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino: L-Filmnacht im Oktober, www.l-filmnacht.de<br />

10 11<br />

kino<br />

EDitiON SAlzGEBER

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