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WAS HOLLYWOOD NICHT ERLAUBT - Sissy

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sissy Ausgabe<br />

Homosexual’s Film Quarterly<br />

drei · September bis November 2009 · kostenlos<br />

s Ang Lee: Das Recht auf ein bisschen Glückseligkeit s Emma & Marie: Geheimes Geisterreich der Gefühle s Liebeslied für Yngve:<br />

Exzentrisch frisierte Heterojungs s Kommt Mausi raus?! Endlich! s Opern-Schwärmerei: Herb-zarte Jungmännlichkeit s Charlie David:<br />

Nischenexistenz s Louise hired a contract killer: Es braucht mindestens zwei Helden s Der Hochspringer: Sebastian Urzendowsky<br />

s Jack Smith: Endlich aus dem Safe befreit s Eck-Stacy: 15 Jahre „Oscar Wilde“ s „Ein Star ist eine Frau“: Ein kurzer Flirt mit Anna Magnani


<strong>Sissy</strong> drei<br />

Was, schon wieder ein Coming-Out-Film? Brauchen wir so was noch?<br />

Haben wir das nicht schon tausend Mal gesehen? Ist Queer Cinema<br />

nicht mehr als das?<br />

Der Junge mit den roten Haaren und der supercoolen Sonnenbrille<br />

(Modell von 1989) auf unserem Titel heißt Jarle und er ist Der<br />

Mann, der Yngve liebte. Also die Hauptfigur eines jener Coming-Out-<br />

Filme, die wir in der Tat unbedingt brauchen und den man so noch nie<br />

gesehen hat. Wie unser Autor bestenfalls anreißen kann, werden in<br />

der vor zwanzig Jahren angesiedelten Geschichte eines jugendlichen<br />

Möchtegern-Punksängers aus der immerhin viertgrößten<br />

Stadt Norwegens ganze Geflechte von popkulturellen Querverweisen,<br />

Jugend-Codes und Subkultur-Zeichen in einem<br />

handfesten und äußerst rührenden Identitätskonflikt queer<br />

infrage gestellt. Gleichzeitig sieht man mit Mitte/Ende Dreißig<br />

oder auch älter mit Nostalgie darauf, denn Subkulturen<br />

gibt es ja heute kaum noch. Wie die Jugendlichen von heute<br />

ihr Coming-Out erleben, wird sich in den Filmen der nächsten<br />

Jahre zeigen. Wir freuen uns auf sie.<br />

„Das Kino mit seinen klassischen Genres kann die Vorurteilskästchen<br />

nicht schließen, in die man Schwule immer<br />

noch steckt. Nur schwule Regisseure selbst können die klischeetriefenden<br />

Abziehbilder aus den Kinos und von den „Der Mann, der Yngve liebte“<br />

Bildschirmen verdrängen“, schrieb 1987 Hermann J. Huber<br />

in seinem Klassiker „Gewalt und Leidenschaft. Das Lexikon<br />

– Homosexualität in Film und Video“. Das war mit Visconti,<br />

Schroeter und Speck gegen die „Fummel-Spektakel“ und<br />

tragisch endenden „Hollywood-Melodramen“, gegen die<br />

komisch-exotischen Dreingaben homosexueller Figuren<br />

in die Massenunterhaltung gerichtet, denen Huber gerne<br />

eigene Bilder entgegenstellen wollte, die er aus 90-jähriger<br />

Kino- und Pornofilm(!)-Geschichte herausgesucht hatte.<br />

Bei nicht wenigen Schwulen und Lesben hatte er damit eine<br />

Filmleidenschaft entfacht und ein Gespür für die filmische<br />

Repräsentation schwuler Lebensentwürfe. Unser lieber<br />

Kollege, Wegbereiter, Schwärmer und Genießer Hermann<br />

J. Huber ist – viel zu früh – am 28. Juli gestorben. Bis zuletzt<br />

hat er, u.a. für die Zeitschrift „Adam“, das Queer Cinema auf Hermann J. Huber<br />

seine ganz persönliche Art begleitet und weiterhin „kantige<br />

Filme, glaubwürdige Antworten auch auf Aids und unerschrockene<br />

Auseinandersetzungen“ eingefordert.<br />

Wir tun das auch auf den folgenden Seiten und wünschen viel Spaß<br />

mit der SISSY III.<br />

vorspann<br />

3


mein dvd-regal<br />

4<br />

Rosa von Praunheim,<br />

Filmemacher<br />

OlivER SEcHtiNG<br />

5


kino<br />

Taking Woodstock<br />

von Ang Lee<br />

USA 2009, 120, DF und OmU<br />

Tobis, www.tobis.de<br />

Im Kino<br />

Bundesstart 3. September<br />

www.takingwoodstock.de<br />

Brokeback Mountain<br />

von Ang Lee<br />

CA/USA 2005, 134 Min<br />

Ufa, www.universumfilm.de<br />

Das Hochzeitsbankett<br />

von Ang Lee<br />

TW/USA 1993, 106 Min<br />

Arthaus, www.kinowelt.de/dvd<br />

JUST GO<br />

WITH THE FLOW<br />

von Thomas abelTshauser<br />

Nach „Das Hochzeitsbankett“ und „Brokeback Mountain“ geht es auch in Ang lees neuem Film um die<br />

Story eines schwulen Mannes. in der Komödie „taking Woodstock“ organisiert der junge Elliot ein Festival<br />

auf der grünen Wiese, das sich zum Geschichte machenden Ereignis auswächst und Elliot dabei hilft, sich<br />

selbst zu finden. im interview mit SiSSY am tag nach der Weltpremiere in cannes erklärt der 56-jährige UStaiwanesische<br />

Filmemacher seine vorliebe für schwule Figuren, seinen Außenseiterblick und warum er sich<br />

nicht auf ein Genre festlegen lassen will.<br />

s sissy: Was interessierte Sie an Woodstock? Der Mythos<br />

oder die Geschichte dieses Jungen?<br />

Ang Lee: Ich bin Elliott Tiber eher zufällig begegnet, in<br />

einer Fernsehstation in San Francisco, als gerade mein<br />

letzter Film Gefahr und Begierde herauskam. Er war<br />

wegen seiner Autobiographie dort und hinter den Kulissen<br />

gab er mir einen 1-Minuten-Pitch mit den besten<br />

Woodstock-Anekdoten, wie er das Festival initiierte und<br />

auch überlebte – und das hat mich überzeugt. Mir wurde<br />

vor allem klar, dass ich seit Der Eissturm nur Tragödien<br />

gedreht habe, sechs Stück in 13 Jahren, und dass es<br />

höchste Zeit war, etwas Leichtes zu machen, ohne jeden<br />

Zynismus. Ich hatte das Gefühl, dass ich mir nach all dem<br />

Drama das Recht auf ein bisschen Glückseligkeit und<br />

unschuldige Unterhaltung verdient hätte. Ich habe dann<br />

das Buch gelesen und wusste: Die Geschichte ist einfach<br />

perfekt dafür.<br />

Als Woodstock stattfand, im August 1969, lebten Sie noch<br />

in Taiwan. Was bedeutet Ihnen Woodstock?<br />

Damals sah ich es nur im Fernsehen und hörte die Musik.<br />

Erst später erkannte ich die symbolische Kraft, die es<br />

hatte. Es ging um die Unschuld einer jungen Generation,<br />

die sich vom alten Establishment löste, auf der Suche<br />

nach einer Möglichkeit, mit Menschen anderer Kulturen<br />

friedlich zusammenzuleben. Und auch mit der Natur<br />

selbst. Klar ging es auch um Sex, Drogen und Rock’n’roll.<br />

Damals wurden einige Dinge gepflanzt, die wir heute<br />

sehr viel ernster nehmen. Es ist ein ikonischer Event,<br />

tOBiS<br />

ohne Frage. Und es wurde romantisiert, verherrlicht. Als ich mit<br />

der Recherche begann, stellte ich schnell fest, dass es auch ziemlich<br />

schmutzig zuging, und ich meine damit nicht nur den Schlamm auf<br />

den Wiesen. Es war auch ein dreckiges Geschäft. Aber man muss der<br />

halben Million Hippiekinder zugute halten, dass es tatsächlich drei<br />

Tage voller Liebe, Friede und Musik wurden, gewaltfrei. Das wäre<br />

heute unvorstellbar und das vermisse ich.<br />

Was war das Schwierigste an diesem Dreh?<br />

Dass die Komparsen echt wirkten. Junge Leute heute haben einfach<br />

eine völlig andere Körperhaltung und sehen ganz anders aus. Das hat<br />

gar nicht so viel mit den Frisuren zu tun. Es war wirklich schwer,<br />

Jungs zu finden, die schlank und fit aussehen, ohne wie Sportstudio-<br />

Abonnenten zu wirken und komplett rasiert zu sein. Damals hatten<br />

Typen noch Schamhaare und sahen nicht aus wie Ken-Puppen!<br />

Das sagt viel mehr über den Unterschied von 40 Jahren aus als alles<br />

andere.<br />

Nach „Das Hochzeitsbankett“ und „Brokeback Mountain“ hat Ihr<br />

neuer Film wieder eine schwule Hauptfigur. Zufall?<br />

Wir alle sind doch unglaublich komplizierte Wesen und schwer in<br />

Schubladen zu stecken. Nehmen Sie nur Wilma, die Securitytranse in<br />

Taking Woodstock. Sie ist unglaublich stark und schwer zu definieren.<br />

Wer oder was ist er oder sie? Wir alle bestehen aus unendlich vielen,<br />

teilweise widersprüchlichen Elementen. Mich interessieren vor allem<br />

großartige, dramatische Geschichten, und die haben – zufällig oder<br />

nicht – oft mit Homosexualität zu tun. Sie faszinieren mich und ich<br />

versuche, sie so wahrhaftig wie möglich darzustellen und hoffe, die<br />

Zuschauer reagieren darauf ebenso komplex. Die drei Filme, die Sie<br />

hier vergleichen, sind doch grundverschieden, auch wenn zumindest<br />

die ersten beiden von Tabus handeln. Das Hochzeitsbankett ist ein<br />

traditionelles asiatisches Familiendrama, Brokeback Mountain ein<br />

epischer Western. Die Idee zu Das Hochzeitsbankett kam mir beim<br />

Duschen, das Drehbuch habe ich selbst geschrieben und es beinhaltet<br />

viel meiner eigenen Welt, etwa die Elternfiguren. Brokeback Mountain<br />

ist das krasse Gegenteil: Meine Lebenserfahrung könnte gar nicht<br />

weiter entfernt sein vom Dasein schwuler Rancher in Wyoming. Im<br />

Gegensatz zu den ersten beiden Filmen ist in Taking Woodstock das<br />

Schwulsein nicht das Thema oder der Kern der Geschichte, sondern<br />

Teil des Ganzen und wir nehmen es wie Hippies: Anything goes. Just<br />

go with the Flow. Alles geht, lass dich nur treiben. Wissen Sie, ich bin<br />

in Taiwan aufgewachsen, aber ich war immer ein Fremder, immer<br />

ein Außenseiter. Deshalb hasse ich es, in Schubladen oder Kategorien<br />

gesteckt zu werden. Ich möchte auch nicht mit einem bestimmten<br />

Genre identifiziert werden. Ich möchte als ich selbst gesehen werden,<br />

so kompliziert oder simpel ich auch sein mag, deswegen mache ich<br />

diese Art Filme. Aber ich möchte nicht, dass sie kategorisiert werden.<br />

Sie wechseln scheinbar problemlos zwischen Projekten in den USA und<br />

Asien…<br />

Ich arbeite sehr hart. So problemlos ist das nicht.<br />

Wo fühlen Sie sich eher zu Hause? Sie leben seit über 30 Jahren in Amerika.<br />

Die ehrlichste Antwort wäre: Ich lebe in meinen Filmen. Ich borge<br />

mir einen Film nach dem anderen als meine Heimat. So sehe ich das.<br />

Daneben ist natürlich New York mein Zuhause, weil dort meine Familie<br />

lebt, meine Frau, meine Kinder. Wenn ich nach Taiwan zurückkehre,<br />

um meine Mutter und meine Geschwister zu besuchen, fühlt<br />

sich das ein bisschen wie Heimkommen an, aber zugleich fühle ich<br />

mich wie ein Gast. Ich kann dort nicht auf die Straße, weil mich sofort<br />

Passanten erkennen und auf mich zustürzen. Ich habe dort keine<br />

Freiheit, keine Entspannung.<br />

Warum wechseln Sie so häufig die Genres? Nach dem Riesenerfolg<br />

von „Tiger & Dragon“ gab es doch bestimmt weitere Angebote, einen<br />

Schwertkampffilm zu drehen…<br />

Viele! Aber das hat mich nicht interessiert. Ich hatte das hinter mir.<br />

Und ich möchte als Regisseur nicht gemietet werden. Die Leute sollen<br />

Ang Lee (rechts) bei den Dreharbeiten zu „Taking Woodstock“.<br />

nicht wissen, was sie von mir erwarten können, das würde mir Angst<br />

machen. Wie können sie es wissen, wenn ich es selbst noch nicht mal<br />

weiß? Das gibt mir Freiheit und die Möglichkeit, den Nervenkitzel<br />

zu erleben, was ich in einem bestimmten Material entdecken könnte.<br />

Man muss sich wohl auf eine Art Genre einigen, damit sie es verkaufen<br />

können, auch dem Publikum. Aber davon abgesehen, finde ich, ist<br />

es besser, möglichst schwer durchschaubar zu sein. Glücklicherweise<br />

habe ich mir das Recht dazu verdient.<br />

Viele Ihrer Filme drehen sich um Identitätsfragen…<br />

Ja, die Konfrontation mit dem was man will und die Angst davor. Das<br />

ist so etwas wie mein roter Faden. Man kann vor sehr vielem Angst<br />

haben und man fühlt sich machtlos. Es ist wie eine negative Kraft.<br />

Je mehr man dagegen ankämpft, umso stärker zieht es einen an. Wie<br />

ein schwarzes Loch. Ich rede oft auf diese Weise über Filme und deshalb<br />

wähle ich auch so unterschiedliche Projekte, weil für mich auch<br />

Filme solche schwarzen Löcher sind. Sie können mich zerstören, aber<br />

wenn ich heil wieder rauskomme, ist es eine große Befriedigung. Das<br />

Erlebnis ist es wert.<br />

Sie fühlen sich von Themen angezogen, die Ihnen Angst machen?<br />

Die fremdartig sind, ja. Wenn sie mir zu vertraut sind, langweilen sie<br />

mich. Dann wird es nur noch Malen nach Zahlen. Ich beschäftigte<br />

mich ein, zwei Jahre mit einem Projekt und wenn ich erst am Ende<br />

herausbekomme, worum es wirklich geht, vielleicht auch erst, wenn<br />

der Film fertig ist und ich in Gesprächen meine Situation reflektiere,<br />

finde ich das faszinierend. Aber diesmal stand wie gesagt eher im Vordergrund,<br />

nach den belastenden Drehs der letzten Jahre etwas Optimistisches,<br />

Lebensbejahendes zu drehen.<br />

Haben Sie nach dieser „leichten“ Erfahrung mehr Lust auf Komödien<br />

bekommen?<br />

Auf jeden Fall. Es war eine sehr schöne, aber auch enervierende<br />

Erfahrung. Wenn in einer Komödie keiner lacht, hast du versagt.<br />

Bei einem anspruchsvollen Drama kann man immer behaupten, das<br />

Publikum hat es halt nicht geschnallt. Ich würde gerne einmal eine<br />

richtig platte Komödie ohne jede Bedeutung machen. Das muss die<br />

höchste Kunst sein. s<br />

6 7<br />

kino<br />

tOBiS


kino<br />

Mulligans<br />

von Chip Hale<br />

CA 2008, 90 Min, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-Filmnacht im September<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Charlie David<br />

„Dante’s Cove“, Staffel 1 und 2,<br />

sind bei Pro-Fun Media erschienen.<br />

Charlie Davids Roman zum Film<br />

„Mulligans“ (250 Seiten, Paperback,<br />

$14.95) sowie das Nachfolgewerk<br />

„Boys Midflight“ (230 Seiten,<br />

Paperback, $16,95), die Geschichte<br />

der ersten schwule Liebe eines<br />

19-jährigen Models, sind bei Palari<br />

Publishing, Richmond erschienen.<br />

KEINE EXPLOSIONEN,<br />

KEINE VERFOLGUNGS JAGDEN,<br />

KEINE KINDER<br />

von axel schock<br />

Das kanadische Multitalent charlie David hat sich beim Spielfilm „Mulligans“ erstmals auch als<br />

Drehbuchautor und Produzent ausprobiert. Ein Gespräch über Schauspielangebote nach dem coming-Out,<br />

die schwule Kulturnische, enttäuschte Frauen und harte vorgaben für die ersten Eigenproduktionen.<br />

s Die Davidsons scheinen eine geradezu perfekte,<br />

glückliche Familie zu sein. Der Vater Nathan ein sportiver<br />

Golfnarr, die Mutter eine verständnisvolle beste Freundin<br />

für alle und Sohn Tyler (Derek James) ein smarter Strahlemann.<br />

Der hat seinen besten Freund Chase (Charlie<br />

David) eingeladen, den Sommer gemeinsam am idyllisch<br />

gelegenen Haus am See zu verbringen. Kurz bevor das<br />

Idyll in Pilcher-Kitsch abzudriften droht, bringt es Chase<br />

mit seinem eher beiläufigen Coming-Out jedoch ins Wanken.<br />

Der 27 Jahre junge Charlie David hat sich bereits in<br />

vielen beruflichen Feldern sehr erfolgreich ausprobiert:<br />

Er arbeitete als Model, war einige Jahre Mitglied der US-<br />

Boyband 4Now, bevor er sich als Schauspieler etablierte.<br />

Mit seiner Rolle in der Mystery-Soap Dante’s Cove, einer<br />

Hochglanz-Trashperle des schwul-lesbischen Fernsehsenders<br />

here! TV, schuf sich der Kanadier David in den<br />

USA einen ersten Fankreis. Für Out TV, das kanadische<br />

Pendant zu here tv, steht er bereits in der vierten Staffel<br />

als Moderator des lesbisch-schwulen TV-Reisemagazins<br />

Bump! vor der Kamera (hierzulande bei TIMM zu sehen).<br />

Mit dem Spielfilm Mulligans hat sich Charlie David nun<br />

erstmals auch als Drehbuchautor und Produzent ausprobiert.<br />

SISSY hat sich mit ihm getroffen.<br />

sissy: Du bist derzeit als Schauspieler sicherlich nicht<br />

gerade unterbeschäftigt. Wieso produzierst du denn jetzt<br />

auch noch?<br />

Charlie David: So habe ich wesentlich mehr Einfluss auf<br />

das Gesamtprojekt, als ich es als Schauspieler allein<br />

je haben könnte. Und als Schauspieler bist du ständig<br />

von der Gnade von Castingchefs, Regisseuren und Produzenten<br />

abhängig, die entscheiden, ob du einen Job<br />

bekommst. Jetzt stehe ich nun auf der anderen Seite der<br />

Macht und kann selbst entscheiden, welche Leute ich für<br />

ein Projekt haben will.<br />

„Bump!“, „Dante’s Cove“ oder Spielfilme wie „A Four Letter<br />

Word“ (2007) und „Kiss the Bride“ (2008) – Werden<br />

dir als offen schwuler Schauspieler keine anderen Rollen<br />

angeboten?<br />

Während meiner Zeit in der Boyband musste ich mein<br />

Schwulsein in der Öffentlichkeit verschweigen. Das wollte<br />

die Plattenfirma so. Damit war dann Schluss, nachdem<br />

ich die Rolle bei Dante’s Cove übernommen hatte. Meine<br />

Managerin Linda Carter hatte mir damals prophezeit:<br />

„Du wirst durch dein Coming-Out einige Rollen verlieren,<br />

und du wirst deshalb einige andere bekommen. Das Beste<br />

aber ist, wenn du dir deine eigenen Rollen schaffst, dann<br />

hast du die komplette Kontrolle über deine Karriere.“ Das<br />

war ein kluger Rat und ich habe ich daran gehalten.<br />

Du hast also eine schwule Nische entdeckt, die dir die passenden<br />

Rollen und ausreichend Arbeit verschafft?<br />

Die schwule Community ist in den USA zum Glück<br />

groß genug, dass sie mich durchfüttern kann (lacht).<br />

Die nächste Herausforderung wird sein, darüber hinauszukommen.<br />

Ich weiß allerdings noch nicht, was das<br />

für mich heißen soll. Dass ich Heteros spiele? Dass ich<br />

alles, nur keinen Schwulen mehr spielen möchte? Oder<br />

lieber Parts, bei denen die sexuelle Orientierung der<br />

Figur überhaupt keine Rolle spielt oder vielleicht sogar<br />

gar nicht bekannt ist…<br />

EDitiON SAlzGEBER<br />

„Mulligans“ ist dein Debüt als Drehbuchautor…<br />

Ich hatte mich vorher schon an Drehbüchern versucht. Meine Managerin<br />

Linda Carter, die auch meine Co-Produzentin ist, fand sie alle<br />

ganz gut, aber für mein Debütfilm stellte sie mir harte Regeln auf:<br />

keine Explosionen, keine Autoverfolgungsjagden, keine historischen<br />

Kulissen, keine Kinder und Tiere. (lacht) Also möglichst unproblematische<br />

Szenarien und eine überschaubare Zahl Charaktere und<br />

Schauplätze. Für mich lag es da nahe, eine Familiengeschichte zu<br />

erzählen.<br />

Mit dem Coming-Out deiner Filmfigur Chase eröffnen sich gleich zwei<br />

Konfliktherde: zum einen das Verhältnis der beiden Ehepartner, zum<br />

anderen das zwischen den beiden Freunden. Mit Derek James, dem Darsteller<br />

von Tyler bist du auch im wahren Leben sehr eng befreundet.<br />

Ich hatte von vornherein vor, ein Drehbuch für mich und Derek zu<br />

schreiben, denn unsere Freundschaft (zwischen einem heterosexuellen<br />

und einem schwulen Mann), ist eigentlich schon ein spannender<br />

Stoff für sich. Aber noch dynamischer macht es die zweite Ebene<br />

des Plots: Ein verheirateter Mann und Familienvater jenseits der 40<br />

hat sein Coming-Out und stellt damit das bisherige Familienleben<br />

völlig in Frage.<br />

Hattest du dabei ebenfalls ein reales Vorbild im Kopf?<br />

Mein eigenes Leben! Schließlich gab es Zeiten, da ich auch noch mit<br />

Frauen liiert war. Manchen habe ich erzählt, dass ich manchmal auch<br />

mit Männern schlafe, aber ihnen immer versichert, dass ich nur mit<br />

ihnen zusammen sein möchte. Manche zeigten sich auch sehr verständnisvoll.<br />

Aber ich habe mich gefragt: Kann ein Mann seine Ehefrau<br />

von Herzen lieben und doch auch erotische oder sexuelle Gefühle<br />

zu einem anderen Mann entwickeln? Natürlich ist das möglich, denke<br />

ich. In Mulligans spiele ich den Fall durch.<br />

Thea Gyll (Lindsay „Linz“ Peterson aus „Queer as Folk“) war ein großes<br />

Glück für die Realsierung wie auch nun für die Vermarktung des<br />

Films. Wie konntest du Sie dazu gewinnen? Mit außerordentlichen<br />

Gagen wohl kaum, oder?<br />

Nein, das in der Tat nicht. Aber sie ist eine gute Freundin von mir.<br />

ARSENAL – INSTITUTE FOR FILM AND VIDEO ART<br />

Anzeige 93 x 126 (TW).indd 1 AND HEBBEL AM UFER (HAU)<br />

06.08.09 22:42<br />

Wir haben beide ein Haus in Victoria/Kanada, dort haben wir auch<br />

PRESENT<br />

den Film gedreht. Die meiste Zeit des Jahres sind wir aus beruflichen<br />

Gründen allerdings in Los Angeles. Ich habe sie schon lange bewun- LIVE FILM! JACK SMITH!<br />

dert und in der zweiten Staffel von Dante’s Cove haben wir dann endlich<br />

auch zusammen gearbeitet. Bei einem Abendessen habe ich sie<br />

einfach mal gefragt: „Ich hab da dieses Drehbuch, nur eine kleine<br />

Sache, hast du mal Zeit da reinzuschauen – und vielleicht wäre die<br />

Rolle ja was für dich…“ Sie hat es dann tatsächlich über Nacht gelesen<br />

und mir am nächsten Tag bereits zugesagt. Für sie war die Rolle<br />

der Ehefrau Stacey eine neue Herausforderung und sie hat an mich<br />

geglaubt.<br />

Und wird es bei deinem nächsten Film nun Explosionen, Autojagden,<br />

Tiere und Kinder geben?<br />

(lacht) Tiere eher nicht. Vielleicht ein Rentier, für den Fall dass es<br />

doch noch ein Weihnachtsfilm werden sollte. Eine richtige Autojagd<br />

gibt es auch nicht, aber immerhin eine lange Autofahrt. Das Drehbuch<br />

FIVE FLAMING DAYS IN A RENTED WORLD<br />

BERLIN, OCT. 28 – NOV. 1, 2009<br />

stammt diesmal übrigens von Derek, eine Familienkomödie mit dem SPECIAL GUEST – MARIO MONTEZ LIVE!!!<br />

Titel Happy Hour. Darin muss ein Typ schleunigst heiraten, damit er<br />

das Erbe seiner verstorben Großmutter bekommen und legal im Land OVER 50 INTERNATIONAL GUESTS!<br />

bleiben darf. Und weil die Familie denkt, dass es sowieso Zeit für Mr.<br />

Right ist, setzen sie alles in Bewegung, um einen Ehemann für ihn zu<br />

FILM & PERFORMANCE PREMIERES!<br />

finden. Er überredet allerdings seinen besten heterosexuellen Freund, LECTURES! CONCERTS! INSTALLATIONS!<br />

den schwulen Lover und Bräutigam zu spielen…<br />

Und wie weit seid ihr?<br />

Ich bin gerade dabei, das Geld dafür aufzutreiben. Im November oder<br />

Dezember können wir hoffentlich drehen. Es wird etwas völlig anderes<br />

als Mulligans; das eine ist ein Drama, das andere eine Komödie.<br />

STAR-STUDDED HOMAGE<br />

TO RONALD TAVEL!<br />

Und du wirst auch mitspielen?<br />

Ich denke schon und ich hoffe, ich kriege den Part des Heterofreundes<br />

WWW.ARSENAL–BERLIN.DE<br />

(lacht). s JACK SMITH IN COLOGNE, 1974. PHOTO: E. MICHELIS<br />

8 9<br />

kino


kino<br />

SIE IST <strong>NICHT</strong>S.<br />

SIE IST NIEMAND.<br />

von birgiT binder<br />

Jesús Garays coming-Out-Drama „Eloïse“ läuft im September in der l-Filmnacht und<br />

ist ab 18. Oktober regulär im Kino zu sehen.<br />

s Ein blauer Wal hatte sich in den Mond verliebt. Während die anderen<br />

Wale nach Plankton suchten, stieg sie auf, um den Mond zu sehen.<br />

Sie war traurig. Nacht um Nacht sah sie den Mond, ohne ihn erreichen<br />

zu können. Und der Wal weinte und weinte. Eines Nachts schwamm<br />

der Wal in die tiefste Region des Meeres und sprang an die Oberfläche,<br />

höher als alle Wale jemals gesprungen waren. Aber der Mond war zu<br />

hoch und da sie ihn nicht erreichen konnte, warf sie ihm einen Kuss<br />

zu. Dieser Kuss war so voll von Liebe, dass das Wasser in der nächsten<br />

Nacht ein Abbild des Mondes reflektierte. (Eloïse zu Asia)<br />

Asia, 18, liegt im Krankenhaus im Koma, umsorgt von ihrer Mutter<br />

und ihrem Freund Nathaniel. Die filmischen Rückblenden, in denen<br />

der katalanische Regisseur Jesús Garay die Ereignisse vor Asias Einweisung<br />

erzählt, schrauben sich Schritt für Schritt immer weiter in die<br />

Vergangenheit der Architekturstudentin. Es ist ein langer Weg bis zu<br />

Asias Sprung, beginnt er doch, wie es sich für eine Tochter aus „besserem“<br />

Hause mit klammernder Über-Mutter gehört: Am Mensatisch<br />

mit zwei Freundinnen (die keine sind), den perfekten Boyfriend in spe,<br />

Nathaniel, beobachtend. Der hat zwar nur Augen für Asia, lädt aber<br />

dann doch alle Drei zum Kinobesuch mit zweien seiner Freunde ein.<br />

Wäre zuvor nicht Eloïse an ihrem Mittagstisch vorbei geschritten, über<br />

die sich Eríka und Norah abfällig äußern, bis Asia ihnen, ohne Eloïse<br />

kennengelernt zu haben, widerspricht, schauten wir dem Beginn einer<br />

bis zur Ödnis normierten Heterobeziehung in Barcelona zu.<br />

Garay inszeniert dieses auf dem Drehbuch von Christina Moncunill<br />

basierende Drama ohne Knalleffekte, ruhig, als atme man mühelos<br />

unter Wasser. Wenn Nathaniel und Asia in der Frontalen im Kino<br />

nebeneinander sitzen und auf die Leinwand, uns also, schauen, dann<br />

ist das wohl alltäglich zu nennen. Wenn Asia in einer kurzen Einstellung<br />

ihren Kopf zur Seite wendet und die Reihe entlang auf ein sich<br />

küssendes Paar schaut und erst dann Nathaniel ihre Hand halten lässt,<br />

ist das gleichzeitig ein kurzes Kommentar und eine feine Sequenz auf<br />

den vermeintlich natürlichen Zwang zur Reproduktion heterosexuellen<br />

Begehrens. Asia scheint die Situation zu genießen, nicht, weil sie<br />

agiert, sondern qua Imitation – Kino plus Händchenhalten mit Freund<br />

gleich prima, die da drüben machen’s ja genauso.<br />

Vielleicht ist es (nicht) der Kuss zwischen ihrem Freund Nathaniel<br />

und Uni-Freundin Eríka in der Disco, nachdem sich beide gut gelaunt<br />

ihres gemeinsamen homophoben Einverständnisses vergewissert<br />

haben, und (auch nicht) die Äußerung von Asias Mutter, die ihre Tochter<br />

von 23 Uhr bis 1 Uhr morgens mit den Worten „Du wirst mich endlich<br />

stolz auf dich machen!“ zum Lernen zwingt, die Asia eines Tages<br />

dem Aushang „Modelle gesucht“ in der Uni folgen lassen. Gewiss ist es<br />

ihre erste Abweichung vom geordneten Plankton-Ritual. „Ich wollte<br />

einmal etwas Impulsives tun“, wird sie Eloïse erklären, nachdem sie<br />

den ersten Schock, die offen lesbische Kommilitonin als Urheberin des<br />

Aufrufs im Zeichenraum wiederzufinden, überwunden hat. Im weiteren<br />

Verlauf des Films wird Asia dieses erste Auftauchen nicht mehr<br />

vergessen.<br />

Die am schwierigsten zu betrachtenden Szenen sind nicht die des<br />

inneren Mit-Sich-Selbst-Ringens von Asia, sondern die, deren erster<br />

Schein nicht eingelöst wird. Die ins Krankenhaus hastende Mutter (sie<br />

trägt bezeichnenderweise keinen Namen) findet Nathaniel am Krankenbett<br />

ihrer Tochter und stößt, Eloïse erwartend, hervor: „Wo ist<br />

sie?!“, woraufhin Nathaniel verwirrt zurückfragt: „Wer ist ‚sie‘?“ und<br />

die Mutter antwortet: „Sie ist nichts. Sie ist niemand“. Gerade diese<br />

beiden Figuren, die Mutter und Nathaniel, nie zur fratzenhaften Karikatur<br />

ach so normaler gesellschaftlicher Verhältnisse zu überzeichnen,<br />

ist ein besonderer Verdienst der Inszenierung. Bei allen stumpfen<br />

Äußerungen und tumbem Verhalten der beiden scheinen sie direkt aus<br />

jedermenschens Nachbarschaft auf die Straße getreten zu sein, nach<br />

jedem Gesetzbuch zu gewaltlos, um weggesperrt zu werden, aber nicht<br />

minder zerstörerisch, und zu ignorant-arrogant, um jemals ihren Status<br />

quo hinterfragt zu haben. Oder mit den Worten der Mutter: „Ich<br />

werde es verhindern!“, darauf Eloïse: „Was? Asias Glück?“<br />

„Eloïse“ ist bestes Schauspiel-Kino mit zwei Titelheldinnen, die<br />

eine Entdeckung sind. Dieser Film macht Mut, auch jenseits wohlbekannter<br />

Planktonbänke zu tauchen. Mit einer FSK 12 sind ihm in<br />

diesem Herbst viele junge Kino-ZuschauerInnen zu wünschen –<br />

Händchenhalten und Knutschen sind nicht obligatorisch. Und wenn<br />

wir tauchen wollen, um zu springen, dann so ungeduldig wie möglich,<br />

ohne Zögern. Geduld gehört sowieso zu den völlig überschätzten<br />

Tugenden. s<br />

Eloïse von Jesús Garay, ES 2009, 90 Min, OmU<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino: L-Filmnacht im September, www.l-filmnacht.de<br />

Bundesstart: 18. Oktober 2009<br />

PRO-FUN MEDiA<br />

MAUSI KOMMT<br />

IM KINO RAUS<br />

von silvy Pommerenke<br />

Kaum ein lesbischer coming-Out-Film hat in Deutschland soviel Spaß gemacht wie „Kommt Mausi raus?!“,<br />

Angelina Maccarones erster Film. Unsere Autorin erinnert sich an einen Abend vor 14 Jahren.<br />

s Wieder einer dieser Abende, an denen kein Schwein anruft und<br />

alle anderweitig verabredet sind. Okay, dann also die Zeit mit Glotze,<br />

Chips und Bier verbringen. Es ist Mittwoch, der 7. Juni 1995 und<br />

gerade fängt auf dem Ersten ein Film an. Na, wenigstens etwas. Ich<br />

hasse es, wenn ich den Beginn verpasse, auch wenn der Titel Kommt<br />

Mausi raus?! mich jetzt nicht wirklich umhaut. Aus Ermangelung<br />

einer Fernbedienung bleibe ich auf meiner Couch und bei dem Film<br />

hängen und sehe eine freche Göre, die ihre Freundin zum Spielen<br />

abholen will. Na, das sieht doch schon mal ganz witzig aus. Womit<br />

ich allerdings nicht gerechnet habe ist, dass die nächste Szene eine<br />

typische Hamburger Altbauwohnung mit Pappbett, totalem Chaos,<br />

überfülltem Mülleimer und – jetzt wird es spannend – zwei nackten<br />

Frauen im Bett zeigt! Völlig überrascht vergesse ich Chips & Bier und<br />

bin die nächsten neunzig Minuten Feuer und Flamme!<br />

Damals war mir bereits klar, dass hier ein ganz besonderer<br />

Coming-Out-Film gezeigt wurde, der sich deutlich von den vorwiegend<br />

schwermütigen „Ich bin lesbisch und mir bleibt nur der Suizid<br />

oder die Zwangsheterosexualität übrig“-Filmen abhob. Wie sehr dieser<br />

Film Kultstatus erreichen würde, war Mitte der Neunziger allerdings<br />

noch nicht abzusehen. Angelina Maccarone, die damals noch<br />

unbekannte Drehbuchautorin und Co-Regisseurin, verpackte dabei<br />

auf äußerst humorvolle Weise das Coming out einer Kleinstadtlesbe<br />

in Klischees und Komik. Die damals ebenfalls noch unbekannte Julia<br />

Richter als Kati „Mausi“ Breuer verursachte mit ihren großen braunen<br />

Augen eine Revolution in hungrigen Lesbenherzen, und selbstredend<br />

sorgte auch Inga Busch als obercoole Jo für feuchte Träume.<br />

Eine der witzigsten Figuren ist aber wohl Katis Mutter, die von Gisela<br />

Keiner im tiefsten westfälischen Dialekt gegeben wird. Ganz großes<br />

Kino! Sämtliche Erfahrungen, die „datt Kati“ mit ihrer heterosexuellen<br />

Umwelt machte, hatte man ebenfalls erlebt. Sei es die bange Frage<br />

der besten Freundin, warum sie denn nie sexuell etwas von ihr wollte,<br />

über den Vorwurf, sie sei immer schon renitent gewesen und deswegen<br />

sei das Lesbischsein nur eine logische Konsequenz dieser Lebenseinstellung<br />

bis hin zu den Mackersprüchen, sie müsse es nur einmal<br />

richtig besorgt bekommen… Also Identifikationsfläche pur, die das<br />

Publikum in den Bann zog und zieht. Selbst die Heteros dürften ihren<br />

Spaß dabei haben.<br />

Angelina Maccarone hat diese urkomische Komödie mit extrem<br />

leichter Hand geschrieben. Vor allem die Szenen, als Mausi nach<br />

Hause in die Pampa irgendwo in Westfalen fährt, um sich endlich<br />

vor ihrer Mutter zu outen. Nachdem sie sich schließlich unter dem<br />

Deckmäntelchen der Verschwiegenheit der Mutter und der besten<br />

Freundin anvertraut hat, weiß es bereits eine halbe Stunde später<br />

das ganze Dorf. Ausgerechnet an diesem Wochenende ist auch noch<br />

Schützenfest, so dass die Nachricht wie eine Bombe einschlägt. Aber<br />

Kati hält sich wacker, auch wenn ihre Mutter ihr immer wieder Wurst<br />

auftischen will (obwohl sie doch jetzt Vegetarierin ist), die spießige<br />

Schwester sie mit Vorwürfen überhäuft, weil sie selbst keinen Mann<br />

abbekommen hat (und jetzt auch nicht mehr wird) und der Lover<br />

ihrer besten Freundin totalen Ärger macht, weil er Angst hat, dass<br />

Mausi seine Süße umpolt. Als dann auch noch die ehemalige Französisch-Lehrerin<br />

– Mausis erste große Liebe – mit Kind und Kegel auf<br />

dem Rummelplatz auftaucht und ihr einen Kuss abpflückt, da weiß<br />

Kati, dass ihr Platz definitiv nicht mehr in der Provinz ist. Aus dem<br />

langhaarigen Kleinstadtküken ist eine kurzhaarige Großstadtlesbe<br />

geworden und sehnsüchtig fährt sie nach Hamburg zu ihrer Liebsten<br />

Yumiko (Alexandra Wilcke) zurück, die ihr während der kritischen<br />

Tage in Westfalen am Telefon moralischen und seelischen Beistand<br />

gegeben hat.<br />

Kommt Mausi raus?! war der Anfang der Karriere Angelina Maccarones,<br />

denn zwei Jahre später folgte die ebenfalls unglaublich witzige<br />

Lesbenschmonzette Alles wird gut, und neben anderen Kinofilmen<br />

hat sie mit Fremde Haut von 2004 bewiesen, dass sie sich nicht<br />

nur auf Komödien versteht. Es ist wirklich höchste Zeit, dass Mausi<br />

endlich im Kino und als DVD rauskommt, denn es handelt sich hierbei<br />

auch um ein Stück lesbischer Zeit- und Kulturgeschichte. Außerdem<br />

kann man dann die in einem völlig desolaten Zustand befindliche<br />

VHS-Kassette (auf der man damals irgendwann zu nächtlicher Stunde<br />

den Film aufgezeichnet hatte) endlich gegen ein Medium des digitalen<br />

Zeitalters austauschen.<br />

Apropos damals: Es stellte sich am nächsten Tag heraus, dass<br />

ein Großteil meiner Freund/innen abends zuvor auch Kommt Mausi<br />

raus?! gesehen hatte. Einig waren wir uns schnell: Wir hatten lesbische<br />

Fernsehgeschichte live miterlebt und waren hellauf begeistert<br />

von dieser Coming-Out-Komödie, die auch heute nichts an Faszination<br />

eingebüßt hat! s<br />

Kommt Mausi raus?! von Alexander Scherer und Angelina Maccarone, D 1995, 90 Min, dt. OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino: L-Filmnacht im Oktober, www.l-filmnacht.de<br />

10 11<br />

kino<br />

EDitiON SAlzGEBER


kino<br />

s Stavanger, eine norwegische Stadt im<br />

Jahre 1989. Es ist das Jahr, in dem die Berliner<br />

Mauer fällt. Doch das ist Jarle Klepp ziemlich<br />

egal. Er befindet sich gerade mitten in der<br />

Pubertät, die eigenen Befindlichkeiten sind<br />

wichtiger als die Weltpolitik. „Eher fällt die<br />

Berliner Mauer, als dass wir in einen coolen<br />

Club kommen“, sagt einer aus Jarles Clique zu<br />

Beginn des Films, nachdem die Freunde mal<br />

wieder von Türstehern nach Hause geschickt<br />

worden sind. Die Betonung liegt auf den<br />

„coolen Clubs“, Berlin dagegen ist weit weg.<br />

Etwas später fällt die Mauer dann tatsächlich,<br />

Fernsehbilder von dem Ereignis flackern<br />

im Hintergrund, als Jarle und seine Mutter<br />

im Wohnzimmer sitzen. Beide beachten den<br />

Fernseher kaum, Jarle schießen ganz andere<br />

Dinge durch den Kopf. Er will seiner Mutter<br />

endlich gestehen, dass er in zwei Menschen<br />

gleichzeitig verliebt ist, in ein Mädchen und in<br />

einen Jungen. Doch wieder einmal bringt er es<br />

nicht über die Lippen…<br />

Stian Kristiansen klammert die historischen Ereignisse von 1989<br />

in seinem Spielfilmdebüt Der Mann, der Yngve liebte nicht aus, sondern<br />

legt den Schwerpunkt auf das, was für die Jugendlichen in dieser<br />

Zeit tatsächlich eine Rolle spielte. Man hatte sich zu entscheiden: cool<br />

oder uncool. Punk oder Popper. Skateboard oder Tennis. Nietengürtel<br />

oder pastellfarbene Lacoste-Hemden. Sonic Youth oder Synthiepop.<br />

Für Jarle ist die Entscheidung von Anfang an klar, er fällt sie in<br />

den ersten Minuten des Filmes – Jarle will zu den Coolen zählen. Bei<br />

einem Klassenausflug geht er auf seinen Mitschüler Helge zu, der mit<br />

seinen halblangen Haaren und dem verwaschenen Parka bereits zu<br />

den Coolen gehört. Beide tasten einander ab, typische Checker-Fragen<br />

werden ausgetauscht. Nachdem sie sich darüber einig sind, dass<br />

„Psychocandy“ von The Jesus And Mary Chain zu den besten Alben<br />

der Achtziger gehört, kommt es zum Handschlag, die neue Freundschaft<br />

ist besiegelt.<br />

Mit Liebe zum Detail rekonstruiert Regisseur Kristiansen eine<br />

Zeit, als Jugendkulturen noch übersichtlich waren. Die Trennlinie<br />

verlief zwischen Angepassten und Nichtangepassten. Zwischenstufen<br />

und Ambivalenzen schienen auf den ersten Blick nicht zu existieren.<br />

Die Wahl der Musik war bereits ein klarer Ausdruck von<br />

POP ALS<br />

LEBENSHILFE<br />

von marTin büsser<br />

Jarle, ein norwegischer teenie und angehender Popstar, schreibt für seine Freundin<br />

ein liebeslied und nimmt es auf tonband auf. Dann verliebt er sich in Yngve und<br />

schenkt stattdessen ihm die cassette. Weil in „Der Mann, der Yngve liebte“ coming-<br />

Out und Popmusik untrennbar miteinander verbunden sind, ist unser Autor diesem<br />

zusammenhang mal auf den Grund gegangen.<br />

Weltanschauung. Wer Punk und Indie-Rock hörte, gab sich als Nonkonformist<br />

zu erkennen, war politisch tendenziell eher links. „Wahrer<br />

Kommunismus hat ja nie existiert“, wirft Helge beispielsweise im<br />

Schulunterricht ein, als der Lehrer mit glänzenden Augen das Ende<br />

des Sowjetkommunismus verkündet. Die anderen hingegen, die Disco<br />

und Elektropop hören, gelten als angepasste Konsum-Kids, unreflektiert,<br />

unkritisch, schnöselige Kinder reicher Eltern. So zum Beispiel<br />

ein Mitschüler, stets in hellblauem Anorak gekleidet, der Jarle und<br />

Helge hinterher läuft, auch zu den Coolen gehören möchte, aber deren<br />

Codes nicht kennt. Als er mitbekommt, dass die Band, in der Jarle und<br />

Helge spielen, demnächst einen Auftritt hat, fragt er allen Ernstes:<br />

„Klingt eure Musik so wie die Dire Straits?“<br />

Mit den Dire Straits hat die Mathias Rust Band rein gar nichts zu<br />

tun. Sie spielen Punk, ihr heimlicher Hit heißt „Pussy Satan Anarchy<br />

Commando“, eine Aneinanderreihung von allem, was sich irgendwie<br />

skandalös und verrucht anhört. Selbstverständlich handelt es sich<br />

um eine reine Jungs-Combo. Die einzige Frau im Proberaum, Jarles<br />

Freundin Cathrine, darf lediglich zuhören und kritische Kommentare<br />

zur Musik beisteuern, die bei den Jungs allerdings auf taube<br />

Ohren stoßen.<br />

ARSENAl<br />

Bereits in diesen Proberaum-Szenen deutet Kristiansen<br />

mit subtilem Humor an, dass die Coolen vielleicht doch<br />

nicht so nonkonformistisch sind, wie sie gerne wären. Die<br />

Verbissenheit, mit der sie für ihren ersten Liveauftritt<br />

proben, hat eher etwas von protestantischem Arbeitsethos<br />

als von lockerer Scheißegal-Haltung. Ähnlich verbissen,<br />

nämlich als reines Pflichtprogramm, erscheint<br />

längst auch die Beziehung von Jarle zu seiner Freundin<br />

Cathrine. In einer Band zu spielen und eine Freundin zu<br />

haben, erweisen sich als unhinterfragte hetero normative<br />

Statussymbole, die für Jarle erst ins Wanken geraten, als<br />

ein neuer Mitschüler auftaucht – Yngve. Der spielt hervorragend<br />

Tennis, liebt die „Synthiepop“-Band Japan<br />

und gehört damit eigentlich zu den Uncoolen, zu den<br />

Poppern. Trotzdem fühlt sich Jarle zu Yngve hingezogen,<br />

eines Nachmittags besucht er ihn, beide liegen in Yngves<br />

Zimmer, lauschen der leicht ätherischen Stimme von<br />

Japan-Sänger David Sylvian, während Yngve verträumt<br />

in den Himmel blickt und Jarle erzählt, was für Figuren<br />

er gerade in den Wolken sieht. Um Jarle ist es geschehen.<br />

Er verliebt sich in diesen Mitschüler, der so gar nicht in<br />

das Bild des angepassten Poppers passen will, sondern<br />

eine Fähigkeit besitzt, die der Punk-Clique völlig fremd<br />

ist: den Tagtraum, das Abschweifen, die poetische Flucht<br />

aus der provinziellen Enge.<br />

Es gehört zu den Stärken von Der Mann, der Yngve<br />

liebte, dass alle Gender-Fragen, die der Film aufwirft,<br />

auch auf der Ebene der Musik und der jugendkulturellen<br />

Codes aufgegriffen werden, ohne dass die Musik dabei<br />

nur illustrierenden oder nostalgischen Soundtrack-Charakter<br />

hat. Sie demonstriert vielmehr auf einer zweiten<br />

Ebene, dass ein bestimmter Sound, ein bestimmter Habitus<br />

und ein bestimmtes Outfit unmittelbar mit Gender-<br />

Positionierung einhergehen. Es gibt keinen von Gender<br />

losgelösten Pop. Und es gelingt Regisseur Kristiansen,<br />

die Coolness-Codes seiner Protagonisten infrage zu stellen,<br />

denn Jarle wird immer stärker von Zweifeln über seinen<br />

bisherigen Lebensentwurf heimgesucht.<br />

Die Punk-Clique und das Auftreten der Mathias Rust<br />

Band erweisen sich letztlich als das, was der Musikwissenschaftler<br />

Matthew Bannister in seinem Buch „White<br />

Boys, White Noise: Masculinities and 1980s Indie Guitar<br />

Rock“ als „homosoziale Gemeinschaften“ bezeichnet hat.<br />

„Homosozialität“, führt er aus, „bedeutet eine männlich<br />

definierte soziale Hierarchie, die darauf aufbaut, dass<br />

man jederzeit der Homosexualität bezichtigt werden<br />

kann“. Es ist ein wenig wie im Fußball: Männerkörper reiben<br />

aneinander, prallen aufeinander, sie duschen gemeinsam,<br />

doch gerade wegen dieser extremen körperlichen<br />

Nähe wird homosexuelles Begehren zum größten Tabu.<br />

Obwohl „Punk“ ursprünglich eine Slang-Bezeichnung<br />

für ein homosexuelles Vergewaltigungsopfer im Gefängnis<br />

war, ist Punk sehr schnell zu einer heteromaskulinen<br />

Bewegung geworden. Hatten Mitte der 1970er noch<br />

Punk-Musikerinnen wie The Slits oder der transsexuelle<br />

Musiker Wayne/Jayne County herkömmliche Geschlechterrollen<br />

in Frage gestellt, so sollte sich Punkrock – mit<br />

Betonung auf Rock – im Laufe der 1980er endgültig<br />

zu einem maskulinen Stil entwickeln, der kaum mehr<br />

Gefühle jenseits von Aggressivität zuließ. Genau dieses<br />

Bild spiegelt auch die Mathias Rust Band im Film wider,<br />

kontrastiert von der eigenartig amorphen Musik Japans,<br />

die dem gegenüber so flüchtig und fragil erscheint wie<br />

die Bewegung der Wolken, die Yngve beobachtet. Der<br />

Gesang von David Sylvian steht für das Brüchige, Tastende,<br />

Nicht-Festgelegte, ist deswegen also tendenziell<br />

queer. Denn erst mit dem von vielen Punks abgelehnten<br />

Synthiepop, mit New Wave und so genanntem Postpunk,<br />

kam es in den 1980ern zu einer gravierenden Verqueerung<br />

der Popmusik. Im Vorwort zu Simon Reynolds<br />

Postpunk-Exegese „Rip It Up And Start Again“, schreibt<br />

Klaus Walter: „Die Auswirkungen der von Postpunk ausgelösten<br />

geschlechter- und stilpolitischen Erschütterungen<br />

lassen sich in den Achtzigern bis an die Spitze der<br />

Charts nachverfolgen. Nie zuvor – und auch danach nie<br />

wieder – gab es derart viele Hits von Acts, die so offensichtlich<br />

von der heterosexuellen Norm abwichen: Soft<br />

Cell, Bronski Beat, Frankie Goes To Hollywood, Culture<br />

Club, Wham!, Marilyn… und selbst Heterojungs wie die<br />

Gebrüder Kemp kamen mit Spandau Ballet daher, als<br />

wollten sie beim Maskenball der Friseur innung auftreten.“<br />

Zu diesen exzentrisch frisierten Heterojungs zählte<br />

auch David Sylvian von Japan.<br />

Die hier nur kurz skizzierte Widersprüchlichkeit des<br />

1980er-Pop zwischen schwulen und androgynen Chartstürmern<br />

und nonkonformistischen, aber heteronormativen<br />

Punkrockern wird in Der Mann, der Yngve liebte in<br />

ihrer ganzen Komplexität anhand von Jarles Coming-Out<br />

durchgespielt – ein Wechselbad der Gefühle, hin- und<br />

hergerissen zwischen schwuler Hingabe und zwanghaft<br />

aufrecht erhaltener Homophobie, von Darsteller Rolf<br />

Kristian Larsen so brillant gespielt, als sei es sein eigenes<br />

Dilemma.<br />

Pop und Alltag koexistieren im Film wie zwei einander<br />

umkreisende, aber doch höchst unterschiedliche<br />

Planeten. Pop ist Verheißung, bunte und abenteuerliche<br />

Glam-Welt, die so gar nichts mit dem eigenen Lebensumfeld<br />

gemein hat. Im Pop werden ungelebte und uneingestandene<br />

Träume kompensiert. Jarle traut sich nicht,<br />

seinen Freunden und seinen getrennt lebenden Eltern zu<br />

gestehen, dass er einen Jungen liebt. Doch schon vor dem<br />

Coming-Out hängen in seinem Zimmer homoerotisch<br />

aufgeladene Poster von The Smiths, einer Band, die auch<br />

in Jarles Punk-Clique akzeptiert wird. Solche Details<br />

werden in Der Mann, der Yngve liebte immer wieder eingestreut,<br />

um zu zeigen, wie wichtig Pop zumindest in den<br />

1980ern für die jugendliche Identitätsfindung war und<br />

wie stark über Pop auch sexuelle Präferenzen verhandelt<br />

wurden. Indem man zum Beispiel Fan von The Smiths<br />

sein konnte, ohne deswegen gleichzeitig unter Gleichaltrigen<br />

als schwul zu gelten, half Pop, mit sexuellen Identitäten<br />

zu spielen, bevor man sich zu entscheiden hatte, sie<br />

auch zu leben.<br />

Nach Cam Archers Wild Tigers I Have Known ist mit<br />

Der Mann, der Yngve liebte ein weiterer Film entstanden,<br />

in dem Musik als Begleitung des Coming-Out eine zentrale<br />

Rolle spielt. Während Musik in Archers Film jedoch<br />

Soundtrack bleibt, der die innere Zerrissenheit des jungen<br />

Protagonisten klanglich umsetzt, wird sie in Der Mann,<br />

der Yngve liebte zum Kommunikationsmittel, mit dessen<br />

Hilfe die Protagonisten untereinander mal bewusst, mal<br />

unbewusst sexuelle Identitäten aushandeln. Damit ist der<br />

Film letztlich eine große Liebeserklärung an die symbolpolitische<br />

Kraft des Pop. s<br />

Der Mann, der Yngve liebte von Stian Kristiansen, NOR 2008, 98 Min<br />

Arsenal, www.arsenalfilm.de<br />

Im Kino: Gay-Filmnacht im Oktober, www.gay-filmnacht.de<br />

On the Wild Side. Die wahre<br />

Geschichte der Popmusik.<br />

von Martin Büsser<br />

EVA, www.europaeischeverlagsanstalt.de<br />

Testcard. Beiträge zur Popgeschichte.<br />

Hrsg. Martin Büsser<br />

www.testcard.de<br />

White Boys, White Noise<br />

von Matthew Bannister<br />

Barnes & Noble,<br />

www.barnesandnoble.com<br />

Rip it up and start again<br />

von Simon Reynolds<br />

Faber and Faber, www.faber.co.uk<br />

Wild tigers I have known<br />

von Cam Archer<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

12 13<br />

kino


kino<br />

EDitiON SAlzGEBER<br />

zUM<br />

FRESSEN<br />

GERN<br />

von rüdiger suchsland<br />

Sophie laloys glänzendes Kinodebüt „Emma & Marie“,<br />

ein Psychothriller über liebe und sexuelles Erwachsen,<br />

durchlöchert die nur scheinbar festgefügte Grenze zwischen<br />

Autorenkino und Genre.<br />

s Harmonische Musik erklingt aus dem Off, man sieht Bilder eines<br />

Aufbruchs, eine Familie fährt im Auto von zu Hause weg. Während<br />

die Filmtitel noch über die Leinwand laufen, zeigen die ersten Bilder<br />

das Auto in der Fahrt: aus der Distanz, von oben, von der Seite. Man<br />

glaubt diese Bilder ganz vage wiederzuerkennen, und vielleicht ist es<br />

ein subtil gesetztes Zeichen der Regisseurin Sophie Laloy, vielleicht<br />

auch nur zufällige Koinzidenz, dass diese allerersten Einstellungen<br />

jenen ähneln, mit denen Michael Haneke seine Funny Games beginnen<br />

lässt. Auch die Musik, die einen hellen, harmonischen Grundklang<br />

mit leichten Disharmonien mischt, betont eher das Vage der Situation,<br />

baut subtil Atmosphären der Unsicherheit, ja: Bedrohung auf.<br />

Noch ist dies versteckt in der Freude der Wiederbegegnung der<br />

beiden Kindheitsfreundinnen Emma und Marie, die sich hier erstmals<br />

nach Jahren sehen. Doch die Blicke sprechen bereits eine andere<br />

Sprache: Verwunderung ist bemerkbar, genaue Beobachtung, Reserve.<br />

Noch weiß Marie vermutlich selbst nicht, wie ihr genau geschieht: zu<br />

überwältigend ist die Macht des Neuen. In Lyon wird sie am Konservatorium<br />

eine Ausbildung zur Pianistin beginnen, darum ist sie bei<br />

Emma eingezogen. „Ich werde im Zimmer meiner Eltern schlafen“,<br />

sagt diese zu Beginn, offenbar ist mit deren schneller Rückkehr nicht<br />

zu rechnen. Marie wird in Emmas alten Raum ziehen. Etwas später<br />

erfahren wir, dass Emmas Vater tot ist, die Mutter in den USA lebt.<br />

So weit der äußere Rahmen. Nach wenigen Minuten schon ist die<br />

Meisterschaft dieses Films offensichtlich: Bewunderswert, wie Laloy<br />

ein spannungsreiches Beziehungsnetz entfaltet, bestimmt von wechselseitiger<br />

Irritation, versteckten Vorwürfen, Misstrauen und heimlichem,<br />

ungelenktem Begehren. Die Beziehung der beiden jungen<br />

Frauen ist nicht aufrichtig. Schon früh steht viel Unausgesprochenes<br />

im Raum: Eine Vergangenheit, die offenbar Narben auf der Seele hinterließ<br />

– Emma habe sich sehr verändert, bemerkt Marie. „Ich war<br />

früher sehr schüchtern“, sagt Emma, und dann der Vorwurf, dass<br />

die Freundin irgendwann nicht mehr angerufen habe… Irgendetwas<br />

scheint vorgefallen. Immer rätselhafter wird das Verhältnis der beiden<br />

– intensiv und großartig gespielt von Judith Davies und Isild Le<br />

Besco – und mündet in einen Zweikampf der Gefühle. Die Musik ist<br />

jeweils als dramaturgisches Zeichen eingesetzt: Ob Ravels „Pavane<br />

pour une enfante défunte“ oder Schumanns „Carnaval“, Mussorgskys<br />

„Bilder einer Ausstellung“ – immer wieder geht es um Parallellwelten<br />

des Phantastischen, um das geheime Geisterreich der Gefühle.<br />

Die beiden sind denkbar unterschiedlich. Marie entspricht dem<br />

Klischees eines jungen Provinzmädchens: neugierig, offen, aber auch<br />

brav und langweilig. Emma gibt dem Betrachter mehr Rätsel auf:<br />

irgendwie spröde und streng, altklug und viel stärker als die Freundin.<br />

Eine Femme Fatale, auf ihre Art. Das entspricht durchaus dem<br />

schon früh angedeuteten Horror-Genre, in dem ein unschuldiges<br />

Wesen das Stahlbad der Todesgefahr überstehen muss, um stark zu<br />

werden – oder mindestens erwachsen.<br />

Aber in der Dynamik, die der Film entfaltet, verändern sich die<br />

Figuren bald, wechseln ihre Rollen. Und so wie im Film Noir die<br />

Dunkelhaarige meist die Femme Fatale und Stärkere, die der Nacht<br />

Verfallene ist, die Blonde dagegen das Unschuldige, Engelhafte,<br />

Reine verkörpert, so bekommt auch hier plötzlich Marie die Oberhand,<br />

erscheint Emma als die Verletzliche, Sensible. Und dann wieder<br />

doch nicht. Und doch wieder… Keine der beiden Seiten scheint<br />

hier klar unterlegen, hin und her reißt der Film die Sympathien der<br />

Zuschauer.<br />

Sophie Laloys glänzendes Kinodebüt Emma & Marie (Je Te Mangerais)<br />

ist ein Psychothriller über sexuelles Erwachen und Begehren.<br />

Nahe der Ästhetik des Horrorkinos durchlöchert dieser Film die nur<br />

scheinbar festgefügte Grenze zwischen Autorenkino und Genre. Ein<br />

eindrucksvolles Debüt, ein Noir-Melo mit Anleihen an Cocteau und<br />

Tourneur, mit dem sich Laloy als neue, eigenständige Stimme im<br />

französischen Kino zu erkennen gibt und zugleich die große Tradition<br />

des französischen Autorenfilms fortsetzt.<br />

Eine ganz radikale Sicht auf den Film würde hervorheben, dass<br />

Emma fast nur als Nachtgestalt existiert, dass sie nur abends auftaucht,<br />

dunkle Kleider trägt… Dass sie also fast ein Phantom ist, vielleicht<br />

zu großen Teilen nur in Maries Einbildung existiert. Emma<br />

& Marie ließe sich ganz und gar aus Maries Sicht beschreiben: Als<br />

Geschichte eines netten, aber etwas unbedarften Provinzgirls, das<br />

seine sexuelle Identität erst noch finden muss, das zwischen den<br />

Gefühlen für die Jungs im Konservatorium und die beste Freundin<br />

nicht recht gewichten kann, das diese Freundin so ungemein bewundert,<br />

dass es eins werden will mit ihr, die Erwachsensein und stilvolles<br />

Leben, Selbstständigkeit und große Welt verkörpert, den Abschied<br />

von den Eltern, den es selbst noch nicht vollzogen hat. Auch als emotionale<br />

Biographie einer Künstlerin, die unter Lampenfieber leidet, und<br />

sich mit der geheimnisvollen Pianistin Brigitte Engerer identifiziert.<br />

Umgekehrt, aus Emmas Sicht, geht es um Aneignung und Verschmelzung:<br />

Sie trägt schwer an einer unbewältigten Vergangenheit,<br />

versteckt ihre Verletzlichkeit hinter spröden, kühlen Gesten – bevor<br />

sie sich in hysterischen Ausbrüchen entlädt. Marie hat für Emma die<br />

unbelastete Normalität und festgefügte Identität, nach der sie sich<br />

sehnt. Sie findet ihren Halt nur im Schein: in Lügen und der Mode.<br />

Nur so erhält sie die Aufmerksamkeit, die sie offenbar so dringend<br />

benötigt.<br />

Ist dies nun eine Liebesgeschichte? Vielleicht. Jedenfalls aber<br />

keine einfache Coming-Out-Geschichte oder eine unglückliche lesbische<br />

Love-Story. Bestimmt aber sind Emma und Marie einander in<br />

einer ganz eigenen Form von Liebe verbunden. Das zeigt sich gerade<br />

am Ende des Films: Da löst sich in einer finalen Erschütterung die<br />

Härte in Maries Blick, und in den letzten Minuten des Films kulminiert<br />

alles, was die Regisseurin Sophie Laloy zuvor über 90 Minuten<br />

aufgebaut hat. s<br />

Emma & Marie<br />

von Sophie Laloy<br />

FR 2009, 96 Min, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-Filmnacht im November<br />

www.L-Filmnacht.de<br />

Danach regulär in den Kinos<br />

14 15<br />

kino


kino<br />

ALLES, <strong>WAS</strong> <strong>HOLLYWOOD</strong><br />

<strong>NICHT</strong> <strong>ERLAUBT</strong><br />

von sascha WesTPhal<br />

Der eitle Hollywood-Star Guy Stone bezaubert auf der leinwand die Hausfrauen und vernascht in seinem<br />

Bungalow heimlich seine männlichen Fans. Das kann nicht lange gut gehen. „Straight Jacket“ ist eine grelle<br />

Satire über Pirouetten in der zwangsjacke und bunte Dekors in einer moralpolitisch schwarzen zeit.<br />

s Hollywood in den frühen 50er Jahren. Über dem Tor zu den mittlerweile<br />

schon ein wenig heruntergekommenen SRO-Studios prunkt<br />

in großen schwarzen Lettern vollmundig der Reklamespruch: „Where<br />

the stars don’t burn out“. Wo die Sterne nicht ausbrennen – das ist<br />

das große Versprechen nicht nur der Traumfabrik, sondern Amerikas<br />

in dieser Dekade. Doch die Wirklichkeit sieht natürlich ganz anders<br />

aus. Die großen Träume und Hoffnungen nach dem Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs sind Sternen gleich explodiert. Was danach noch von<br />

ihnen übrig war, konnte nur zu einem schwarzen Loch namens Kalter<br />

Krieg kollabieren. Und das ist 1953 schon auf dem besten Weg, Hollywood<br />

und mit ihm gleich auch noch alles andere zu verschlucken.<br />

Guy Stone, der gerade am hellsten strahlende Stern am SRO-<br />

Himmel, bekommt von all dem allerdings kaum etwas mit. Dafür ist<br />

der „begehrteste Junggeselle Amerikas“ viel zu sehr mit sich selbst<br />

beschäftigt. Ihn interessiert nur, ob er die Titelrolle in Ben Hur<br />

bekommt, dem prestigeträchtigen Monumentalfilm, den der Filmmogul<br />

und SRO-Besitzer Saul Ornstein gerade vorbereitet. Auch wenn er<br />

Abend für Abend durch dieses andere, verborgene Los Angeles streift,<br />

durch die Welt, die John Rechy so treffend „City of Night“ genannt<br />

hat, denkt er nur an sich. Einmal betritt er eine Schwulen-Bar gar mit<br />

den Worten: „Und wer ist heute der glückliche Gewinner?“.<br />

Eroberungen für eine Nacht, mehr will Guy gar nicht. Und die<br />

fallen ihm, seinem Starruhm sei’s gedankt, wahrhaftig in den Schoß.<br />

Aber einmal kommt es dann, wie es kommen musste. Schließlich<br />

hat Guy mit seiner Arroganz und seiner Sorglosigkeit wenn nicht<br />

das Schicksal, so doch zumindest all die herausgefordert, denen ein<br />

schwuler Kinostar ein Dorn im Auge ist. Er gerät in eine Razzia des<br />

berüchtigten Vice Squad des LAPD und wird mit Handschellen aus<br />

dem Club geführt, vor dem schon ein Photograph eines der Skandalblättchen<br />

dieser Zeit wartet. Diese Photos könnten Guy für immer<br />

ruinieren. Also greift seine Agentin, die toughe Jerry Albrecht, nach<br />

einem letzten Strohhalm: Guy muss heiraten und zwar sofort. Ein<br />

williges und zudem auch noch unsterblich in den Star verliebtes Opfer<br />

ist in Gestalt Sallys, der blonden Sekretärin Saul Ornsteins, schnell<br />

gefunden. Schon bald läuten die Hochzeitsglocken und das neue<br />

Traumpaar Hollywoods ist erschaffen. Dass Sally nicht einmal ahnt,<br />

warum Guy auf getrennten Schlafzimmern besteht, ist dabei ganz im<br />

Sinne der Drahtzieher dieser Ehe-Scharade, um so besser spielt sie<br />

die ihr zugedachte Rolle.<br />

Wer nun bei dem von Carrie Preston und Matt Letscher gespielten<br />

Paar an Rock Hudson und seine kurzzeitige Ehefrau Phyllis Gates<br />

denkt, hat natürlich Recht. Straight-Jacket, Richard Days Verfilmung<br />

seines gleichnamigen Theaterstücks, bedient sich schon geradezu<br />

schamlos bei dieser besonders traurigen Episode aus Hollywoods (Celluloid)<br />

Closet. Im November 1955 hat der in Wirklichkeit allerdings eher<br />

zurückhaltende Rock Hudson die Sekretärin seines mächtigen Agenten<br />

Henry Wilson auf dessen Betreiben hin geheiratet. Die Hochzeit sollte<br />

endgültig alle Gerüchte aus der Welt schaffen, die den aufstrebenden<br />

Star damals umschwirrten. 1958, nach nicht einmal drei Jahren Ehe,<br />

reichte Phyllis Gates die Scheidung ein und bezichtigte Hudson „seelischer<br />

Grausamkeit“ und konsequenter Vernachlässigung. Er willigte<br />

ein, und so endete dieses Kapitel in seinem Leben erstaunlich unspektakulär,<br />

zumindest so weit es die Öffentlichkeit betraf.<br />

Day folgt weitgehend der Version der Geschichte, die Gates nach<br />

dem Tod Hudsons in ihrer Autobiographie „My Husband, Rock Hudson“<br />

erzählt, und streut auch sonst noch jede Menge Anspielungen auf<br />

das Paar ein. So sollen die Dreharbeiten zu Ben Hur in Italien stattfinden.<br />

Dort hat Hudson Wem die Stunde schlägt gedreht. Die Affäre, die<br />

er in diesen Monaten mit einem italienischen Schauspieler hatte, ist<br />

seiner Frau zu Ohren gekommen, die daraufhin sofort die Scheidung<br />

eingeleitet hat. Gates hat später dann als Innenarchitektin Karriere<br />

gemacht. Das erste, was Sally nach der Hochzeit in Angriff nimmt, ist<br />

eine komplette Umdekoration von Guys Haus, das übrigens wie Hudsons<br />

in den Hügeln über dem Sunset Boulevard liegt.<br />

Aber trotz all dieser kleinen und großen Verweise ist Days Technicolor-bunte<br />

Camp-Version der 50er Jahre und ihrer Popkultur kein<br />

film à clef, kein Schlüsselfilm, im eigentlichen Sinne. Die Geschichte<br />

dieser Ehe und die sie umgebenden Gerüchte sind für ihn genauso<br />

wie der wild wuchernde Antikommunismus, den er dann in der<br />

zweiten Hälfte seiner Satire ins Visier nimmt, nur ein Symptom des<br />

ganzen Wahnsinns einer durch und durch repressiven Ära. Straight<br />

Jacket – das ist die Zwangsjacke der so genannten Normalität, in die<br />

das heteronormative, kapitalistische und zutiefst paranoide Amerika<br />

der 50er wie der 00er Jahre ohne Rücksicht auf Verluste jeden steckt,<br />

der anders ist. s<br />

Straight Jacket von Richard Day, USA 2004, 96 Min, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino: Gay-Filmnacht im November, www.gay-filmnacht.de<br />

EDitiON SAlzGEBER<br />

WARUM BRINGEN WIR<br />

DEN CHEF <strong>NICHT</strong> UM?<br />

von jessica ellen<br />

Der Arbeitsmarkt bestimmt das Geschlecht. Der neue Film der „Aaltra“-Regisseure Gustave de Kervern<br />

& Benoît Delépine betreibt unglamouröses Gender-Bending in einer rabenschwarzen Komödie. Unsere<br />

Autorin findet nicht nur das suchtbildend.<br />

s Schon die Eingangsszene ist von jener makabren Komik, die einen<br />

einstimmt auf das was kommt: Eine Einäscherung zu den Klängen<br />

der Internationalen als ironischer Abgesang – und alles klemmt. Also<br />

muss mit ein bisschen Gewalt nachgeholfen werden. Hier wird mehr<br />

zu Asche werden als nur der anonyme Verstorbene auf dem Foto.<br />

Der Sozialismus mag tot sein, aber die Anarchie, auch die sexuelle,<br />

ist höchst lebendig, wenn sich Protagonisten wie Louise (Yolande<br />

Moreau) und Michel (Bouli Lanners) ihrer annehmen.<br />

Doch bevor sie sich begegnen, muss der Turbo-Kapitalismus noch<br />

seine hässliche Fratze zeigen. Dafür brauchte das Regie-Duo Gustave<br />

de Kervern und Benoît Delépine nur die Zeitung zu lesen: Ein netter<br />

Unternehmer hatte seinen Arbeitern neue Arbeitskleidung spendiert<br />

und am darauf folgenden Wochenende alle Maschinen „ihres“ Betriebes<br />

nach Osteuropa transferieren lassen. Genau das passiert Louise<br />

samt Kolleginnen. Sie legen ihre Abfindungen zusammen und überlegen,<br />

was damit getan werden könnte. Louise meldet sich zu Wort:<br />

„Was haltet ihr davon, den Boss abknallen zu lassen?“ Eine gute Idee,<br />

finden alle, der Vorschlag wird einstimmig angenommen und Louise<br />

mit der organisatorischen Umsetzung betraut. Wir erfahren, dass<br />

Louise als Mann im Knast war und nur den Fummel angelegt hat,<br />

um den mies bezahlten Job als Näherin zu kriegen. Da der ehemalige<br />

Mit-Knacki bedauerlicherweise nicht mehr im Geschäft ist und so als<br />

Auftragsmörder ausfällt, sucht Louise weiter und findet den Wachmann<br />

Michel, der sich eine Fremdenlegionärsbiographie zugelegt<br />

hat, aber nicht schießen kann. Was hier nicht stimmt, wird schnell<br />

klar: Ein dickes Mädchen, das Michel verblüffend ähnelt, schwingt<br />

den Wurfhammer, der in der Ferne verschwindet. „Meinst Du nicht,<br />

dass Du mal über eine Hormonbehandlung nachdenken solltest“,<br />

fragt die Sportlehrerin spitz. Aber aus der Sportlerkarriere ist trotz<br />

allem nichts geworden, statt dessen langweilt sich Michel in seinem<br />

Job als Wachmann im Trailerpark.<br />

Mit Hilfe von Lebensmüden kommen Louise und Michel ihrem<br />

Plan und einander Schritt für Schritt näher – von der Picardie nach<br />

Brüssel und schließlich auf die Insel Jersey. Nur müssen sie jedes Mal<br />

feststellen, dass der gerade Umgelegte gar nicht der Oberboss ist…<br />

Die Regisseure verstehen ihren Film als schwarze Komödie für<br />

alle, die von gierigen Bossen und Bankstern die Nase voll haben,<br />

und als eine Hommage an die Anarchistin Louise-Michel, die nicht<br />

zögerte, Waffen in die Hand zu nehmen und ein Attentat gegen Napoleon<br />

III. anzuzetteln. „Um so viel Energie und Entschlossenheit zu<br />

verkörpern, braucht es mindesten zwei Helden.“<br />

Darüber hinaus wird auch eine fröhliche Geschlechterrollenunordnung<br />

gestiftet. Selten ist im Kino ein „Genderbending“ so ruppig<br />

und unglamourös daher gekommen: Louise, der Knacki, ist überhaupt<br />

nicht weiblich, und das wirkt umso komischer, als er von einer<br />

Frau gespielt wird. Das Pendant Michel ist eine Frau, die als Mann<br />

auftritt und von einem Mann dargestellt wird und dabei mehr auf<br />

Köpfchen als auf selbstgeübte Brutalität setzt. So entsteht ein bissiger<br />

Kommentar über die brüchige Inszenierung von Geschlechtsidenti-<br />

täten, die nicht mehr das Pathos eigentlicher Selbstverwirklichung<br />

beschwört, sondern die Absurdität einer Anpassung an die Gegebenheiten<br />

des Arbeitsmarktes auf die Spitze treibt, um ihr eine höchst<br />

radikale Absage zu erteilen.<br />

Beide Hauptdarsteller sind auch als RegisseurInnen (und KomikerInnen<br />

mit Mut zur Hässlichkeit) dem deutschen Kinopublikum<br />

bekannt geworden. Yolande Moreau führte gemeinsam mit Gilles<br />

Porte Regie bei Quand la mer monte und spielte die weibliche Hauptrolle.<br />

Bouli Lanners erster Langspielfilm Ultranova wurde auf der<br />

Berlinale 2006 gezeigt, und Eldorado, bei dem er auch eine Hauptrolle<br />

übernahm, lief erst vor kurzem in hiesigen Kinos. Im Winter<br />

wird Yolande Moreau auch als Seraphine im dem gleichnamigen<br />

Biopik zu sehen sein. Warnung: Yolande Moreaus Leinwandpräsenz<br />

kann suchtbildend sein! s<br />

Louise hires a contract killer<br />

von Gustave de Kervern &<br />

Benoît Delépine<br />

FR 2008, 94, DF<br />

Kool Film, www.koolfilm.de<br />

Im Kino<br />

Bundesstart 24. September<br />

16 17<br />

kino<br />

KOOl FilM


kino<br />

zWISCHEN<br />

MENSCHEN<br />

UND<br />

KAMERAS<br />

von andré Wendler<br />

Petr kehrt Prag den Rücken und nimmt eine Stelle als lehrer in<br />

der tschechischen Provinz an. Seinen Schülern will er Biologie<br />

vermitteln, über seine eigene Natur aber ist er sich nicht im<br />

Klaren. „Der Dorflehrer“ von Bohdan Sláma läuft ab dem 27.<br />

August in den Kinos. SiSSY hat viel Schönes darin entdeckt.<br />

s „Und damit endete alles Schöne, was zwischen uns war.“ Wenn<br />

einer so etwas über eine Beziehung zu einem anderen Menschen sagen<br />

muss, wie soll man darauf reagieren? Wie soll man mit so etwas umgehen?<br />

Bohdan Slámas Film umkreist diese Aussage in zwei unglaublich<br />

schönen und mit Vorsicht konstruierten Plansequenzen. Ein junger<br />

Mann kommt zu seinen Eltern in die Großstadt und wird ihnen mitteilen,<br />

dass er homosexuell ist. So wie er das schon seiner Ex-Freundin<br />

gegenüber getan hat, worauf hin alles Schöne endete, was zwischen<br />

ihnen war. Vater, Mutter, Sohn und Kamera umtanzen sich in dieser<br />

Prager Wohnungs-Sequenz wie Bienen, wie sie der Vater auf dem Balkon<br />

züchtet, einander beim Honigtanz. Immer wieder und fast wie<br />

zufällig kommen Kamera und Filmfiguren zum Stillstand, schauen<br />

sich frontal an oder taxieren ihre Profile. Am Rand des Bildes die beiden<br />

Köpfe von Mutter und Sohn. Ihre hochgesteckten blonden Haare,<br />

die schwarze, etwas altmodische Brille, das leichte blau-grüne Sommerkleid,<br />

ihre sorgenfaltige Stirn. Sein Schädel, der manchmal etwas<br />

dümmlich, manchmal etwas teilnahmslos, immer aber traurig von der<br />

Leinwand glotzt. Und zwischen ihnen: soviel Schönes. Ein silbernes<br />

Morgenlicht, das Summen der Bienen, gleich die traurige Arie, die der<br />

Vater dreimal am Tag hört und die die Mutter nicht mehr ertragen<br />

kann. Wenn die Musik losgeht, springen Mutter und Kamera auf, sie,<br />

die Mutter, wirft fast ihre Kaffeetasse hinunter und geht in ein anderes<br />

Zimmer. Die Kamera bleibt im Flur und sieht von ferne zu. Dann<br />

einer der wenigen Schnitte. Die vier stehen auf dem Balkon und rauchen,<br />

wie um die Leere zwischen sich mit Rauch zu füllen. „Rauch<br />

nicht“, sagt der Vater und gibt ihr eine Zigarette.<br />

Das Schönste dieser Szene, die wunderbar melancholische Frauenstimme,<br />

die von einer weinenden Bratsche und einem trägen Cembalo<br />

begleitet wird, bleibt über diesen und auch den nächsten Schnitt,<br />

zurück aufs Land, erhalten. Dort rudert eine Frau einen alten grauen<br />

Kahn ans Ufer, steigt barfuß in den Uferschlamm und bringt Blumen<br />

und eine Flasche frische Milch. Erst als der Dorflehrer seine Kopfhörer<br />

abnimmt und die Frau begrüßt, wird die Musik auch auf der<br />

Tonspur leiser. Die Dinge wandern aus der Geschichte ins Kino und<br />

zurück. Für uns als Publikum ist die Musik so real, so greifbar und<br />

ergreifend, so wirksam wie für die Filmfiguren, die sie einmal aufregt,<br />

einmal tröstet und einmal traurig macht. Unsere Gefühle sind<br />

ihre Gefühle und wir leihen sie ihnen gern, denn außer Licht und<br />

Kamerabewegung haben sie in dieser Welt wie aus dem Bilderbuch<br />

nicht viel. Aber dieses Licht teilen sie bereitwillig mit uns. Da gibt es<br />

das schreiende Sommermittagslicht, das sich in roten Kirschen und<br />

grünen Blättern verfängt. Es gibt das Spätnachmittagslicht, das sich<br />

in der Oberfläche eines Sees bricht. Es gibt das Licht bunter Lichterketten<br />

auf einem etwas lausigen Dorffest mit zu lauter Musik. Und es<br />

gibt das müde gewordene Licht einer Nachttischlampe, das man kurz<br />

vor dem Einschlafen mit einem leisen Klick ausknipst.<br />

Der Film weiß bis zum Schluss nicht so recht, ob diese realen oder<br />

ausgedachten Probleme sich irgendwie lösen lassen, ob es zu viele<br />

oder zu wenige sind, ob man vor ihnen davon laufen soll oder zu ihnen<br />

zurückkehrt, ob die Jungen morgen eine Antwort finden werden oder<br />

die Alten gestern schon immer gewusst haben, was man tun soll. Mir<br />

ist es im Grunde genommen auch egal: Ich bin nicht homosexuell, sondern<br />

schwul, ich lebe nicht in Tschechien, bin kein Lehrer und muss<br />

keine Kälber zur Welt bringen. Insofern berührt mich die kritische<br />

Aufregung, die der Film wegen seiner etwas altmodischen und vielleicht<br />

stellenweise klischeehaften Geschichte verursacht hat, auch<br />

nicht. Ich weiß nichts über das Leben homosexueller Männer auf dem<br />

Land. Aber ich habe von diesem Film etwas Wunderbares über das<br />

Schöne, was zwischen Menschen sein kann, erfahren. Weil es etwas<br />

ist, was es so vielleicht nur im Kino gibt: ein Klang, ein Blick, die zärtliche<br />

Geste einer Kamerafahrt, die Unerbittlichkeit einer Einstellung,<br />

die einfach drauf bleibt: auf einem peinlichen Annäherungsversuch,<br />

auf der blutigen Geburt einer kleinen Kuh oder auf den schrecklichen<br />

Flirtversuchen eines Dorftrunkenboldes. Wo man sich als dritte Person<br />

abwenden müsste, kann die Kamera dabei bleiben, stumm mitreden,<br />

zurückhaltend intervenieren und diesen Raum, der die Menschen voneinander<br />

trennt, mit schönen, hellen, lauten und schnellen Dingen füllen.<br />

Was ich deswegen vom Schicksal des Dorlehrers halte, spielt keine<br />

Rolle: Er hat sich am Ende mit seiner Familie, seinen Beziehungen, seinen<br />

Männern und Frauen, seinen Aufgaben und seinen Orten soweit<br />

versöhnt, dass ich ihn mit seinen zauberhaften Traumkitschbildern<br />

getrost allein lassen kann, bis ich ihn eines Tages wieder sehen werde.<br />

Oder auch nicht, aber auch das macht nichts, denn das Kino vergisst so<br />

schnell nichts und auch den Dorflehrer, dem vorgeworfen wird, dass er<br />

immer vor allem wegläuft, werde ich hier wieder zu finden wissen. s<br />

Der Dorflehrer<br />

von Bohdan Sláma<br />

CZ/DE/FR 2008, 110, DF und OmU<br />

Neue Visionen, www.neuevisionen.de<br />

Im Kino<br />

Bundesstart 27. August<br />

NEUE viSiONEN<br />

AUF TEUFEL KOMM RAUS<br />

von PaTrick heidmann<br />

Wenn er mal lust auf eine Spielfilmhauptrolle hat, kann man sich auf etwas gefasst machen. in „Berlin ’36“ (Kinostart am 10.<br />

September) spielt Sebastian Urzendowsky eine von den Nazis geförderte leichtathletin(!) – eine Abwechslung nach seinen Rollen<br />

als Serienmörder, jugendlicher Pädophiler und Kz-Häftling. Ein Porträt über den vielleicht intensivsten deutschen Schauspieler<br />

seiner Generation.<br />

s Männer in Frauenkleidern – das gibt es nicht oft zu sehen im<br />

deutschen Kino, und wenn doch, dann hat man meistens das Pech, in<br />

einen Film mit bewegten Männern oder, schlimmer noch, mit Thomas<br />

Gottschalk geraten zu sein. In Berlin ’36 aber ist es Sebastian<br />

Urzendowsky, der sich schnell das Blümchenkleid überzieht, bevor<br />

seine Mutter ihn wieder in kurzen Hosen erwischt – und wer die hiesige<br />

Filmlandschaft in den vergangenen Jahren ein wenig verfolgt<br />

hat, weiß, dass das eine gute Nachricht ist.<br />

Die meisten anderen Kollegen in seinem Alter blicken nach gut<br />

zehn Jahren Schauspielerei zurück auf eine Handvoll Teenie-Komödien<br />

und ein paar Nebenrollen in Fernsehkrimis. Was man eben so<br />

spielt, wenn es einen schon in jungen Jahren und ohne Ausbildung mit<br />

aller Macht vor die Kameras zieht. Ganz anders Urzendowsky. Eigentlich<br />

habe er nie Schauspieler werden wollen, behauptet der zurückhaltende<br />

24-Jährige von sich, weswegen er sich nach seinem Auftritt mit<br />

dreizehn im TV-Film Paul Is Dead immer nur für ausgewählte Projekte<br />

entschiede habe, auf die er richtig Lust hatte.<br />

Eher als Hobby also drehte der zierliche junge Kerl mit den<br />

braunen Teddy-Augen mit renommierten Regisseuren wie Dominik<br />

Graf (Der Felsen) und Hans-Christian Schmid (Lichter), hielt sich<br />

geschmackssicher fern von alterstypischen Banalitäten und Albernheiten<br />

und spielte all die Rollen, an die man sich nur traut, wenn man<br />

keinen Gedanken an Ruhm oder Image verschwendet. In Ein Leben<br />

lang kurze Hosen tragen teilte er sich mit Tobias Schenke die Rolle<br />

des Serienmörders Jürgen Bartsch, im kammerspielartigen Drama<br />

Pingpong spielte er ebenso furios wie feinsinnig einen traumatisierten<br />

Jugendlichen, der eine Affäre mit der Mutter seiner besten Freundin<br />

beginnt, im Oscar-Gewinner Die Fälscher war er ein KZ-Häftling<br />

und in Guter Junge mit beeindruckender Intensität ein Pädophiler,<br />

der sich an kleine Jungs ranmacht. Demnächst läuft außerdem Es<br />

kommt der Tag in den Kinos, in dem er den Sohn einer von Iris Berben<br />

gespielten Terroristin gibt.<br />

Die Rolle der erst von der eigenen Mutter, später von den Nazis<br />

zum Frausein verdammten Hochspringerin Marie Ketteler in Berlin<br />

’36 ist nun ein weiterer Stein in Urzendowskys Mosaik komplexer<br />

Charakterstudien, und einmal mehr legt er dabei eine Subtilität an<br />

den Tag, wie sie auf der Leinwand nicht an der Tagesordnung ist. Sehr<br />

wenig verrät der auf wahren Begebenheiten basierende Film über diesen<br />

Menschen, sein Innenleben oder auch nur seine sexuelle Orientierung<br />

und positioniert gar Karoline Herfurth als jüdische Konkurrentin<br />

als eigentliche Protagonistin der Geschichte. Doch wann immer<br />

die Kamera die weichen, von dunklen Locken umrahmten Gesichtszüge<br />

Urzendowskys streift, tut sich wie von selbst ein Blick in die<br />

verstörte und verunsicherte Seele seiner Figur auf, die erahnen lässt,<br />

wovon dieses konventionelle Drama alles hätte erzählen können.<br />

Kein Wunder, dass sich der Berliner das mit dem unbedingten<br />

Willen zum Leben als Schauspieler längst anders überlegt hat: Nach<br />

dem Abitur entschied er sich für eine klassische Ausbildung an der<br />

Schauspielschule, deren Abschluss diesen Herbst bevorsteht. Der<br />

Schritt auf die Theaterbühnen reizt ihn momentan sehr, außerdem<br />

natürlich filmische Herausforderungen wie etwa seine erste internationale<br />

Produktion The Way Back, die er gerade mit Regisseur Peter<br />

Weir und Kollegen wie Colin Farrell und Ed Harris drehte. Gar nicht<br />

auszudenken, was für darstellerische Sternstunden Urzendowsky<br />

dem deutschen Kino noch bescheren wird, jetzt wo er die Sache endlich<br />

ernsthaft angeht. s<br />

Berlin ’36<br />

von Kaspar Heidelbach<br />

D 2009, 100 Min, dt. OF<br />

X Verleih<br />

www.x-verleih.de<br />

Im Kino<br />

Bundesstart 10. September<br />

18 19<br />

portrait<br />

PEtER ROHlFS


tellerrand<br />

20<br />

O BEAUTY,<br />

O HANDSOMENESS,<br />

GOODNESS!<br />

von klaus kalchschmid<br />

Der Opern-Film von heute hat für den homosexuellen Mann einiges zu bieten.<br />

Auch SiSSY gerät ins Schwärmen!<br />

WilFRiED HöSl<br />

s Wer heute in die Oper geht – und die Schwulen unter den Männern<br />

zwischen 25 und 50 machen da geschätzte 50% aus –, erwartet<br />

nicht nur schönen Gesang und Sexappeal in der Stimme. Heute<br />

muss das, was sich auf der Bühne zwischen den handelnden Personen<br />

ereignet, müssen die großen Gefühle, wenn sie denn intensiv über die<br />

Rampe kommen sollen, von Sängerdarstellern gespielt und gesungen<br />

werden, denen man ihre Figuren in jeder Minute glaubt; von Menschen,<br />

die auch altersmäßig keine Lichtjahre von einem Tamino oder<br />

Romeo, Oktavian oder Lenski entfernt sind. An der Rampe stehen und<br />

wunderbar singen, das genügt erst recht nicht, wenn Gesichter und<br />

Gestik in Nahaufnahme auf der großen Leinwand oder auf DVD zu<br />

sehen sind. In den letzten Jahren, ja bereits Jahrzehnten hat sich da<br />

viel geändert. Heute überzeugen viele, wenn nicht die meisten Sänger<br />

auch als Darsteller. Nicht erst mit Anna Netrebko und Rolando Villazón<br />

hat das begonnen, sondern wohl schon vor mittlerweile über<br />

dreißig Jahren mit der bis heute faszinierenden Inszenierung Patrice<br />

Chéreaus von Wagners „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth. Nicht<br />

umsonst war und ist der bei der Premiere 1976 gerade mal 31-jährige<br />

Franzose zugleich Theater-, Film- und Opernregisseur.<br />

Männerpaare<br />

Die schwule Operntrulla oder -tucke, wie man sich unter Gleichgesinnten<br />

gerne augenzwinkernd und selbstironisch nennt, liebt die<br />

großen Diven à la Maria Callas, Edita Gruberova oder Renée Fleming,<br />

aber ein Männer-Paar wie im neuen Salzburger „Don Giovanni“ beflügelt<br />

schwule Fantasien doch erheblich mehr: Zwei Machos, die beiden<br />

verdammt sexy aussehenden und spielenden Darsteller von Giovanni<br />

und seinem Diener Leporello, knien da im düsteren Grimm’schen<br />

Märchenwald hintereinander und spielen eine Verführungsszene<br />

zwischen Mann und Frau. Christopher Maltman und Erwin Schrott<br />

macht das sichtlich Spaß, wie umgekehrt der Zuschauer sich bei den<br />

nicht selten nackten, muskulösen Oberkörpern der beiden wie ein<br />

Voyeur fühlt. Und erinnert sich vielleicht an ein nicht minder erotisches<br />

Paar in der gleichen Oper: Denn in der Verfilmung von Peter<br />

Sellars aus dem Jahr 1990 verhalfen sich zum Verwechseln ähnlich<br />

sehende schwarze Zwillingsbrüder, die ebenfalls mit Lust am Sichzur-Schau-Stellen<br />

und mit enormer physischer Präsenz spielten,<br />

wechselseitig zu Liebesabenteuern. Bei diesen Brüdern im realen<br />

Leben war der Identitätswechsel auch ohne Kleidertausch verwirrend.<br />

Zwei Männer waren das hier wie dort, von denen man nicht<br />

genau weiß, was und wieviel sie eigentlich verbindet, mehr wohl als<br />

das Verhältnis von Herr und Diener. In Salzburg ist das Leben des<br />

schon zu Beginn angeschossenen Giovanni vom Fixen abhängig, von<br />

den Schüssen, die ihm der Diener immer wieder setzt, ohne die der<br />

Frauenheld das finale Aufbäumen in der letzten Nacht seines Lebens<br />

nicht mehr so lange hätte hinauszögern können.<br />

Die Beziehung der Freunde Lenski und Onegin in Tschaikowskys<br />

„Eugen Onegin“ geht mutmaßlich über Freundschaft hinaus, wie<br />

Krzysztof Warlikowski das in München zeigen wollte. Da sind die<br />

beiden ein verkappt schwules Paar, das sich seine Neigungen nicht<br />

einzugestehen traut. Auch wenn Andrea Breth mit Peter Mattei und<br />

Joseph Kaiser in Salzburg 2007 den aus der Biographie des Komponisten<br />

gewonnenen Subtext nicht mitinszenierte, hatten wir es doch<br />

ebenfalls mit zwei attraktiven Männern zu tun, deren Intensität die<br />

breite Bühne des Großen Festspielhauses mühelos füllte: Vor allem<br />

der junge Kanadier Joseph Kaiser, mit seiner großen, mächtigen<br />

Gestalt und den durchdringend blauen Augen ein Bild und Baum von<br />

einem Mann, konnte in seiner Eifersucht bei Tschaikowsky wie ein<br />

Berserker wüten, besaß aber auch als Tamino in der „Zauberflöten“-<br />

Verfilmung von Kenneth Branagh eine enorm männliche und zugleich<br />

sensibel weiche Ausstrahlung. Man denke nur an die Szene gleich zu<br />

Beginn, wenn er da im Schützengraben traumverloren eine Blume<br />

pflückt oder an die schwarz-weiße Traumsequenz, in der er mit<br />

Pamina in slow motion Walzer tanzt.<br />

Oben: Erwin Schrott und Christopher Maltman in Claus Guths„Don Giovanni“.<br />

Unten: Rolando Villazón in Bartlett Shers „Roméo et Juliette“.<br />

Ganze Seite links: Pavol Breslik und John Mark Ainsley in Dieter Dorns „Idomeneo“.<br />

tellerrand<br />

Auch Annette Dasch ist mit Partien in Mozart-Opern berühmt<br />

geworden. Nach „Figaro“-Gräfin, Aminta in „Il re pastore“ zum<br />

Mozartjahr in Salzburg und Donna Elvira an der Mailänder Scala gab<br />

sie letztes Jahr ihr Debüt als Elettra im Münchner „Idomeneo“ und<br />

war gleichzeitig in Salzburg die andere der großen leidenschaftlich<br />

liebenden Frauen im „Giovanni“, die Donna Anna. In München gab sie<br />

die zwischen Furor und Sehnsucht nach Idylle schwankende mykenische<br />

Königstochter, die vergeblich den Kreterprinzen Idamante<br />

begehrt, als sinnliche Frau, die von ihrem eigenen Zorn schließlich<br />

verzehrt wird. Ein voller, saftiger Sopran stand ihr als Stimme dafür<br />

zur Verfügung. Claus Guth machte in Salzburg ebenfalls aus der vermeintlich<br />

von Don Giovanni gleich zu Beginn der Oper sexuell Genötigten<br />

eine leidenschaftlich Liebende. Keinen Zweifel ließ Guth an der<br />

Frage, was sich zwischen ihr und dem Don abgespielt hat, während<br />

im Orchestergraben noch die Ouvertüre tobte: Hier ist es nicht die<br />

Verlobte Don Ottavios, die den potentiellen Vergewaltiger loswerden<br />

will, hier ist es Don Giovanni, der sich von der aktiven Frau bedroht<br />

sieht und dann doch einen besonderen Thrill dabei erlebt, wenn sie<br />

ihm das Hemd vom Leib reißt. Traumpaar könnte man die beiden<br />

dennoch kaum nennen, weil sie in der Oper auch zu keinem werden.<br />

Traumprinzen und -prinzessinnen<br />

Anna Netrebko und Rolando Villazón dagegen machten in Jules Massenets<br />

„Manon“ an der Berliner Lindenoper von der ersten bis zur letzten<br />

Sekunde glaubhaft, dass hier zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten, bis in den Tod voneinander nicht loskommen.<br />

Anfangs trifft Student auf verwöhntes, gelangweiltes Mädchen in einem<br />

Straßencafé, dann zeigt Regisseur Vincent Paterson beide barfuß und<br />

21<br />

ORF / Ali ScHAFlER<br />

cläRcHEN BAUS-MAttAR UND MAttHiAS BAUS


BAYERiScHE StAAtSOPER<br />

EDitiON SAlzGEBER<br />

tellerrand<br />

in Dessous als glühend Verliebte in einer Mansarde, von Netrebko und<br />

Villazón erotisch aufgeladen gesungen und gespielt, während sie sich<br />

später als glamouröses Paar der Goldenen 20er auf dem Parkett der<br />

Eitelkeiten bewegen. Schließlich begegnet die als leichtes Mädchen<br />

Eingekerkerte ein letztes Mal dem Mann ihres Lebens, den sie ein<br />

Leben lang immer wieder betrog. Wie der Mexikaner und die Russin<br />

das spielten, war zu recht 2007 trotz aller Kritik an der vermeintlichen<br />

Oberflächlichkeit der Regie ein Ereignis. In Salzburg hätten die beiden<br />

ihren Erfolg des Jahres 2005 mit Verdis „Traviata“ fortsetzen sollen,<br />

doch die Schwangerschaft der jungen Russin, die von Erwin Schrott<br />

einen Sohn bekam, war die große Chance für Nino Machaidze: An der<br />

Seite von Villazón war sie in Charles Gounods „Roméo et Juliette“ eine<br />

Julia, der man das schwärmerische naive Mädchen, die plötzliche Reife<br />

zur Frau und die Intensität der Sterbeszene gleichermaßen glaubte.<br />

Und Villazón konnte einmal mehr den Ausdruck des schwärmerisch<br />

Liebenden in sein burschikoses Spiel und die verzehrende Intensität<br />

seiner unverwechselbaren Tenor-Stimme legen.<br />

Oben: Anja Harteros und Jonas Kaufmann in Richard Jones’ „Lohengrin“.<br />

Unten: Joseph Kaiser in Kenneth Branaghs Verfilmung der „Zauberflöte“.<br />

Das jüngste Traumpaar der Oper freilich heißt Jonas Kaufmann<br />

und Anja Harteros. Bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen<br />

sangen sie im „Lohengrin“ Wagners Schwanenritter und Elsa. Selten<br />

haben der Gralsgesandte und die des Brudermords Verdächtigte,<br />

die er vor dem mutmaßlichen Tod errettet, so natürlich gespielt und<br />

gesungen wie hier. Der fesche, schöne Zimmermann auf der Walz<br />

und das Mädel mit seinen geflochtenen Zöpfen in der weiten Latzhose<br />

waren so sichtbar verliebt, dass das geheimnisumwitterte Frageverbot,<br />

das Lohengrins Herkunft verschleiert und schon in der ersten<br />

Brautnacht zur Katastrophe führt, hier eine Beziehung zerstörte, die<br />

in der Inszenierung von Richard Jones gerade auf zunehmende Nähe<br />

baute – in einem drei Akte immer weiter fortschreitenden Verfertigen<br />

eines Hauses. Ohne den smarten Jonas Kaufmann mit seinen dunkelbraunen<br />

Locken und die Halbgriechin mit nicht minder schönem Profil<br />

und großartiger Haarpracht wäre das kühne Konzept von Richard<br />

Jones wohl kaum aufgegangen.<br />

Travestie und Frauenpaare<br />

Wagner liegt ihm denkbar fern, aber wer Pavol Breslik als Mozarts<br />

Idamante im „Idomeneo“ live in München, im Kino oder auf DVD<br />

erlebt hat, weiß, warum Regisseur Dieter Dorn unbedingt einen<br />

Tenor und keinen Mezzosopran in der Rolle des noch 1781 für einen<br />

Kastraten komponierten Kreter-Prinzen haben wollte. So viel herbzarte<br />

Jungmännlichkeit, so viel Ausstrahlung, Präsenz in Spiel und<br />

fein timbrierter heller Stimme sind überaus selten. An der Seite von<br />

Edita Gruberova verkörperte der 30-jährige Slowake an der Bayerischen<br />

Staatsoper zuletzt den Sohn der berüchtigten Giftmischerin<br />

Lucrezia Borgia in Donizettis gleichnamiger Oper. Sein Gennaro<br />

an der Seite von einem Dutzend Freunde – hübscher junger, immer<br />

latent aggressiver Männer in wadenfrei hochgekrempelten Anzügen<br />

– singt das eigentliche Liebesduett der Oper, die keine Liebeshandlung,<br />

sondern vor allem einen Mutter-Sohn-Konflikt enthält, mit der<br />

wunderbar androgyn wirkenden Alice Coote als Maffio Orsini: „Ah!<br />

non posso abbandonarti! Mio Gennaro! – Ich kann dich nicht verlassen,<br />

mein Gennaro!“ und „Ah! non io lasciar ti vo! Caro Orsini! – Ich<br />

will dich nicht lassen, liebster Orsini!“ singen sie sich minutenlang<br />

zu und beider Stimmen mischen sich aufs Schönste. Ein Schelm, der<br />

Böses dabei denkt!<br />

Nicht minder aufregend ist der Oktavian einer Sophie Koch,<br />

auch sie ein Mezzo, der in der Baden-Badener Inszenierung des<br />

Strauss’schen „Rosenkavaliers“ in der Hosenrolle des Oktavian schon<br />

zu Beginn in weißem Hemd und kurzer Hose seine Marschallin in<br />

Gestalt der schönen Renée Fleming anschmachten darf und das mit<br />

ausgesuchter Eleganz und Charme tut: Zwei Damen, die sich da küssen<br />

und herzen als 35-jährige Frau und ihr 17-jähriger Geliebter – wie<br />

im Text Hugo von Hofmannsthals vorgesehen – nach einer leidenschaftlichen<br />

Liebesnacht, über die das Orchestervorspiel keinerlei<br />

Zweifel aufkommen lässt. Im zweiten Akt stößt Oktavian als Überbringer<br />

der silbernen Rose, also als „Rosenkavalier“, auf die gleichaltrige<br />

Sophie der Diana Damrau, die einem geilen Halbedelmann vom<br />

Lande verheiratet werden soll. Schöner als die beiden zusammen singen,<br />

kann ein Duett zwischen einem hohen Sopran und einem glühenden<br />

Mezzo nicht klingen und nicht aussehen. Im dritten Akt freilich<br />

wird die Geschlechterverwirrung perfekt: Denn nun muss der junge<br />

Mann in Gestalt einer Frau den Burschen spielen, der ein Mädel mimt,<br />

um so dessen Sexsucht öffentlich bloßzustellen.<br />

Mann und Frau, Männerpaare, Frauenpaare, die Frau, die einen Mann<br />

spielt, der eine Frau darstellt: Das Spiel der Geschlechteridentitäten<br />

bedient die Oper virtuos und treibt es gerne auch mal auf die Spitze.<br />

Vielleicht ist es ja das, was so richtig „queer“ ist an dieser Gattung<br />

und den Anteil der schwulen Männer jeden Abend prozentual weit<br />

ausschlagen lässt. s<br />

Roméo et Juliette von Charles Gounod, Inszenierung: Barlett Sher, Bildregie: Brian Large<br />

Salzburger Festspiele, D/A 2008, ca. 163 Min, frz. OF mit dt. UT<br />

Im Kino: Classica im Kino im September<br />

Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart, Inszenierung: Claus Guth, Bildregie: Brian Large<br />

Salzburger Festspiele, D/A 2008, 176 Min, OmU<br />

Im Kino: Classica im Kino im Oktober<br />

Otello von Giuseppe Verdi, Inszenierung: Stephen Langridge, Bildregie: Peter Schöndorfer<br />

Salzburger Festspiele, D/A 2008, ca. 142 Min, ital. OF mit dt. UT<br />

Im Kino: Classica im Kino im November<br />

Alice in Wonderland von Unsuk Chin, Inszenierung: Achim Freyer, Bildregie: Ellen Fellmann<br />

Münchner Opernfestspiele, D 2007, 123 Min, engl. OF mit dt. UT<br />

Im Kino: Classica im Kino im Dezember<br />

Kinos und Termine unter www.classica-im-kino.de<br />

KiNOWElt<br />

Der Moment<br />

von EgbErt Hörmann<br />

Egbert Hörmann, der die SiSSY auch gerne einmal mit der Frage, ob sie zu lange in der Maske gesessen<br />

hätte, darauf hinweist, wenn sie cary Grant mit Gary cooper verwechselt, ist freier Autor, Filmkritiker,<br />

Kulturjournalist und Übersetzer und lebt in Berlin und St. Petersburg. Er sichtet seit Jahren für die Berlinale<br />

und hat 1984 mit Wieland Speck zusammen das Drehbuch zu „Westler“ geschrieben. zuletzt erschien von<br />

ihm der wunderbare Essayband „cruising mit den Wonderboys (Und andere schwule Erkenntnisse)“, im<br />

September erscheint „F*ck – Wenn Sex daneben geht“, für das er einige Geständnisse einschlägiger Autoren<br />

gesammelt hat. Außerdem arbeitet er seit längerem an seinem Meister- bzw. Monsterwerk, den intimen<br />

Memoiren „Weiße Nächte eines alten Kindes“.<br />

s Orson Welles beantwortete einmal die Frage „Was ist<br />

ein Star?“ mit dem delphischen Satz: „Ein Star ist eine<br />

Frau.“ Auf weitere Erklärung gedrängt, antwortete er:<br />

„Wenn es jetzt keine Stars mehr gibt, liegt das daran,<br />

dass es keine Frauen mehr gibt.“ Er meinte sicher damit,<br />

dass es diese geheimnisvollen, entrückten Hollywood-<br />

Lichtgestalten nicht mehr gibt, die die Logik außer Kraft<br />

setzen und sich auf eine Art und Weise benehmen, die<br />

ein Mensch weder verstehen kann noch möchte. Man<br />

muß sie ja nicht immer mögen, aber Bette Davis, Mae<br />

West, Joan Crawford, Rita Hayworth, Marlene Dietrich,<br />

Eli za beth Taylor und Greta Garbo waren einfach ein<br />

anderes Kaliber als Whoopie Goldberg, Sandra Bullock<br />

oder Meryl Streep.<br />

Schwule haben eine ganz spezifische Beziehung zu<br />

den klassischen weiblichen Stars. Wir haben, der Camp-<br />

Theorie Susan Sontags folgend, einfach eine Schwäche<br />

für das Extreme, Außerordentliche, Barocke, Schmuckvolle,<br />

Künstliche. Aufgrund ihrer kollektiven Geschichte<br />

verstehen Schwule das Spiel mit den Masken und Sexualitäten,<br />

sie schätzen das Synthetische und genießen das<br />

Theatralische, das an sich zum Wesen der Frau gehört.<br />

Und niemand war so cool wie die großen Diven, und<br />

Schwule verstehen das instinktiv: Cool sein ist der Ort<br />

wirklicher, unangestrengter Männlichkeit, das Hemingwaysche<br />

„grace under pressure“, wie es am besten von<br />

Frauen gehandhabt wird.<br />

Ein solches Ausnahmefleisch wird es nicht mehr<br />

geben – die größte italienische Schauspielerin war die<br />

1908 geborene Anna Magnani, der 1945 mit Roma, città<br />

aperta die seltene Besonderheit gelang,<br />

„ihre eigene meteorische Flugbahn mit<br />

dem geheimnisvollen und widersprüchlichen<br />

Orbit jenes Kometen zu kreuzen,<br />

der Geschichte genannt wird.“ (Alberto<br />

Moravia)<br />

1972. Eine 60-Sekunden-Sequenz,<br />

die letzte, ehrlichste und verstörendste<br />

eines doch recht „verkochten“ Films. Es<br />

ist Nacht, es ist schon spät. Das Klappern<br />

hochhackiger Schuhe auf dem<br />

Kopfsteinpflaster. Wir sehen von hinten<br />

eine Frau, die allein die Via degli Astalli<br />

hinuntergeht, zum Palazzo Altieri. Ein<br />

Mann folgt ihr. Es ist derselbe Mann, der<br />

1948 in Rossellinis skandalösem Amore<br />

den Schafhirten spielte, den Magnani in<br />

einem Anfall religiöser Trance für einen Heiligen hält,<br />

sich ihm hingibt und den Dörflern dann erzählt, sie sei<br />

das auserwählte Instrument einer unbefleckten Empfängnis<br />

geworden.<br />

„Anna“, ruft der Mann flehend. Anna Magnani geht<br />

ungerührt weiter. „Anna, Anna“, hört man ihn noch<br />

einmal. Magnani bleibt stehen, ohne sich umzudrehen.<br />

„Was ist deine Meinung zu Rom? Wie du weißt, bist du<br />

fast ein Symbol von…“ Sie dreht sich um und starrt ihn in<br />

der Dunkelheit mit funkelnden Augen an. „Was weiß ich!<br />

Was soll das Zeug!“ Er läßt nicht locker. „Wölfin und Vestalin,<br />

Aristokrat, Bettler, Gaukler… wie würdest du sagen<br />

bist du Rom ähnlich?“ – „Geh weg, geh nach Hause. Geh<br />

schlafen.“ Anna Magnani wendet sich ab und betritt den<br />

Palazzo. In der Tür wendet sie ihm die tragische Maske<br />

ihres Gesichts zu. Sie sagt die letzten Worte, die sie auf<br />

der Leinwand sprechen sollte: „Ich vertraue Dir nicht.“<br />

Und das schwere Portal schließt sich hinter ihr. Verwirrt<br />

und unsicher bleibt der Mann zurück. Es ist Federico<br />

Fellini, der Kollege aus neorealistischen Tagen. Der Film<br />

ist sein Roma, und er enthält Magnanis finale Zurückweisung<br />

aller öffentlichen Personae und all der Rollen<br />

(Mutter, Hure, Krawallschwester, „popolana“, Vorstadtpflanze),<br />

die auf sie projiziert worden waren, und sie läßt<br />

uns mit einem kurzen, fragmentarischen Blick in ihre<br />

intime Einsamkeit zurück. s<br />

Fellinis Roma<br />

von Federico Fellini<br />

United Artists<br />

Rom, offene Stzadt<br />

Roberto Rossellini<br />

Arthaus, www.kinowelt.de/dvd<br />

Cruising mit den Wonderboys<br />

von Egbert Hörmann<br />

Querverlag, www.querverlag.de<br />

F*ck – Wenn Sex daneben geht<br />

Hrsg. Egbert Hörmann<br />

Querverlag, www.querverlag.de<br />

22 23<br />

film-flirt


profil<br />

Uzi PARNES<br />

MR. SMITH<br />

GOES TO<br />

BERLIN<br />

von Paul schulz · inTervieW von Paul schulz und jan künemund<br />

im Oktober findet in Berlin fünf tage lang an zwei Orten mit über 50 Gästen ein<br />

Festival mit dem titel „live Film! Jack Smith! Five Flaming Days in a Rented World“<br />

statt. viele werden sich jetzt fragen: Jack wer?<br />

s Erstmal: Jack Smith ist einer der wichtigste Künstler der amerikanischen<br />

Postmoderne. Ohne ihn würde es unabhängiges Kino und<br />

experimentelles Theater in ihrer jetzigen Form nicht geben. Er gilt<br />

als Erfinder der modernen Performancekunst und hat Drag schon<br />

gelebt, als Susan Sontag noch nicht mal darüber geschrieben hatte.<br />

Er wohnte von 1953 bis 1989 in New York und schuf dort aus Müll<br />

und überaltertem Film sein eigenes gedankliches Universum. Sein<br />

bekanntester Film Flaming Creatures ist in den USA bis heute wegen<br />

Obszönität und Pornografie offiziell verboten. Sein größtes Idol war<br />

die Schauspielerin Maria Montez, Star zahlloser Hollywood-Kostümschinken<br />

der 1940er. Für Federico Fellini, John Waters, David<br />

Lynch, Nan Goldin, Laurie Anderson, Cindy Sherman, Todd Haynes<br />

und viele andere war wiederum Smiths Arbeit so beeindruckend,<br />

dass sich sein Einfluss in ihren Werken direkt nachweisen lässt.<br />

Andy Warhol, Ken Jacobs und Robert Wilson haben mit ihm zusammen<br />

gearbeitet, ihn sehr bewundert und sich künstlerisch bei ihm<br />

bedient, wo es nur ging.<br />

Daraus folgt: Jack Smith kennt außerhalb relativ enger cineastischer<br />

und künstlerischer Zirkel kein Mensch. Obwohl er Regisseur,<br />

Schauspieler, Fotograf, Performer und multimedialer Künstler war.<br />

Das liegt hauptsächlich daran, dass Smith wirklich etwas gegen den<br />

Kapitalismus und seine Vermarktungsstrategien hatte: Er war Anarchist.<br />

Und als solcher ein Kontrollfreak, was seine Arbeit, und eine<br />

Nervensäge, was seine Kontakte zum Kunstbetrieb anbelangte. Er<br />

war Zeit seines Lebens arm. Und der vielleicht erste wirklich queere<br />

Mensch der Welt.<br />

Außerdem: Jack Smith war über den Skandal, den sein erster Film<br />

Flaming Creatures auslöste, und das nachfolgende Verbot des Films,<br />

so schockiert und enttäuscht, dass er danach nur noch einen anderen<br />

Langfilm (Normal Love) und einige wenige Kurzfilme fertig stellte.<br />

Diese und der Rest seines filmischen Werkes waren Teil von Performances,<br />

bei denen der Künstler die Filme ständig und noch während<br />

der Aufführung umschnitt, kommentierte und inhaltlich ergänzte.<br />

Als Smith 1989 an den Folgen von Aids starb, gründeten Underground-Performerin<br />

Penny Arcade und der Filmhistoriker J. Hoberman<br />

die „Plaster Foundation“ zur Verwaltung seines Nachlasses. Der<br />

Non-Profit-Organisation gelang es im Laufe von 15 Jahren, Smiths<br />

Film-Material restaurieren zu lassen und eine große Retrospektive<br />

im P.S. 1 auszurichten. Im Jahr 2004 wurde Smiths Erbe vor Gericht<br />

seiner Schwester zugesprochen, die sich für seine Homosexualität<br />

und für seinen Aids-Tod geschämt hatte und Smiths Gesamtwerk<br />

ohne Umschweife an eine New Yorker Galerie verkaufte.<br />

Und so kommt es, dass: Vom 28.Oktober bis einschließlich 1. November<br />

veranstalten das Kino Arsenal und das „Hebbel am Ufer“ in<br />

Berlin eine fünftägige Jack-Smith-Offensive, kuratiert von Schauspielerin<br />

Susanne Sachsse, Kulturwissenschaftler Marc Siegel und<br />

Stefanie Schulte Strathaus, eine der Leiterinnen des Arsenal Instituts<br />

für Film und Video e.V. Unter dem Motto „Live Film! Jack Smith! Five<br />

Flaming Days in a Rented World“ werden so gut wie alle von Smiths<br />

Filmen zum ersten Mal gemeinsam zu sehen sein. Aber um Smiths<br />

Anspruch an Film als Performance auch zwanzig Jahre nach seinem<br />

Tod gerecht werden zu können, reicht die einfache Projektion seiner<br />

Werke nicht. Deswegen haben die Kuratoren über 50 Künstler,<br />

Autoren und Wissenschaftler eingeladen, sich 2009 mit Smiths Werk<br />

auseinander zu setzen. Darunter so unterschiedliche Menschen wie<br />

Bruce LaBruce, Diedrich Diederichsen, Rainald Goetz, Eric D. Clark,<br />

Ulrike Ottinger, Guy Maddin, Tim Stüttgen und Katharina Sieverding.<br />

Dabei sind Konzerte, Performances, Installationen, Vorträge<br />

und eine ganze Reihe neuer Filme herausgekommen, die im Laufe der<br />

Offensive unter Teilnahme der Macher gezeigt und aufgeführt werden.<br />

Stargast der Offensive ist der Hauptdarsteller vieler Jack-Smith-<br />

Filme, Warhol-Superstar Mario Montez, der aus diesem Anlass zum<br />

ersten Mal seit dreißig Jahren in der Öffentlichkeit auftritt. Darüber<br />

musste SISSY reden.<br />

sissy: Könnt ihr uns als erstes mal erklären, warum es das Festival erst<br />

jetzt gibt? Smith ist ja schon eine ganze Weile tot.<br />

Stefanie: Na weil wir die Filme erst jetzt haben! Und zwar alle. Das<br />

Arsenal ist weltweit die einzige Institution, die das sagen kann. Wir<br />

haben die gesammelten restaurierten Jack-Smith-16mm-Positive<br />

sowie Digitalisierungen der Super8-Filme in den letzten Jahren von<br />

der „Plaster Foundation“ sozusagen „geerbt“.<br />

Warum erbt das Arsenal das Gesamtwerk eines New Yorker Undergroundstars<br />

und nicht zum Beispiel das MoMA?<br />

Marc: Jerry Tartaglia, der die Filme im Auftrag der Foundation restauriert<br />

hatte, hat ein sehr gutes Verhältnis zu Berlin, weil er einige<br />

wenige Jack-Smith-Filme schon im Rahmen der Berlinale gezeigt<br />

hatte und hier immer gut aufgenommen worden war. Als die „Plaster<br />

Foundation“ sich im letzten Jahr aus verschiedenen Gründen auflösen<br />

musste, wurde ein Nachfolger gesucht.<br />

Es gab angeblich Erbstreitigkeiten. Kannst du die kurz erklären?<br />

Marc: Ich kann es versuchen. Als Jack Smith 1989 starb, war seine<br />

Schwester nicht an den Filmen interessiert. Alles was sie wollte, war<br />

Jacks Modeschmuck und ihren schwulen, an Aids gestorbenen Bruder<br />

so schnell wie möglich vergessen. Penny Arcade und die Foundation<br />

haben sich über zehn Jahre um die Filme und den Nachlass gekümmert,<br />

alles restauriert, geordnet, aufbewahrt und dafür gesorgt, dass<br />

Smith wieder bekannter wurde. Dann hat die Schwester irgendwo<br />

gehört, der Smith-Nachlass wäre jetzt Millionen wert und hat die<br />

Foundation auf Herausgabe ihres Erbes verklagt. Und den Prozess<br />

natürlich gewonnen, weil leider auch in den USA Blutsverwandschaft<br />

mehr Gewicht hat. Sie bekam die Rechte an allen Negativen und am<br />

Gesamtwerk. Und hat alles sofort an die Gladstone Gallery in New<br />

York verkauft. Jack Smith ist einer dieser klassischen Fälle, wo die<br />

Familie nach dem Aids-Tod eines schwulen Mannes das Erbe einfach<br />

an sich reißt, obwohl Smith mit seiner Schwester schon lange keinen<br />

Kontakt mehr hatte und seine Freunde seine eigentliche Familie<br />

waren.<br />

Jetzt bin ich verwirrt. Wer hat denn nun die Rechte, das Arsenal oder<br />

die Gladstone Gallery?<br />

Stefanie: Die Rechte liegen bei der Galerie, dort sind auch die Negative.<br />

Aber wir können die restaurierten Positive im Rahmen unseres<br />

Kulturauftrags und im „educational context“ aufführen. Als wir<br />

angefragt wurden, ob wir hier archivierend tätig werden wollen,<br />

haben wir uns natürlich sehr gefreut und waren sehr aufgeregt. Das<br />

ist schon eine richtig schöne Sache.<br />

Susanne: Die Frage war aber: Wie kriegt man das jetzt zu den Leuten,<br />

wie organisiert man 2009 die Rezeption seiner Filme.<br />

Stefanie: Du kannst sie ja nicht einfach ins Kino bringen, weil sie bis<br />

auf wenige Ausnahmen Teil einer performativen Praxis waren und<br />

auch weiter sein sollen.<br />

Susanne: Also haben wir Künstler, Wissenschaftler und Filmemacher<br />

gefragt, ob sie Lust haben, sich wieder oder ganz neu mit Jack Smiths<br />

Werk auseinander zu setzen. Und aus ihren Ideen, zusammen mit den<br />

Filmen, entsteht nun das Festival. Es war uns dabei wirklich wichtig,<br />

Theorie und künstlerische Praxis zueinander zu bringen.<br />

Soweit zum Hintergrund. Jetzt werden wir persönlich: Was ist das<br />

Tolle an Jack Smith?<br />

Marc: Als ich Flaming Creatures zum ersten Mal gesehen habe, hat<br />

der Film mein Leben verändert. Weil er mir eine ganz neue Welt aufgemacht<br />

hat, in der Gender und Sexualität auf eine Art zusammengebracht<br />

wurden, die ich so vorher noch nie gesehen hatte. Jack Smiths<br />

Arbeiten zeigen uns, dass einen Schwanz zu haben nicht bedeutet,<br />

dass man ein Mann ist, oder eine Vagina zu haben nicht heißt, dass<br />

man eine Frau ist. Die Geschlechter lassen sich durch die Fragmen-<br />

24 25<br />

profil


profil<br />

Foto Links: Mario Montez als Meerjungfrau. Foto Rechts: Francis Francine als Rosa Fee. Beide Fotos aus „Normal Love“<br />

Susanne Sachsse<br />

ist Schauspielerin,<br />

Regisseurin<br />

und Künstlerin.<br />

Engagements an<br />

verschiedenen<br />

Staatstheatern, seit<br />

2000 freiberuflich.<br />

2001 gründete<br />

Sachsse mit anderen Künstlern das<br />

Kollektiv CHEAP. Im Film ist sie u.a.<br />

als Gudrun in Bruce LaBruces „The<br />

Raspberry Reich“ (2004) und Hella<br />

Bent in LaBruces „Otto; or, Up With<br />

Dead People“ (2008) zu sehen.<br />

Marc Siegel<br />

ist wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im<br />

Sonderforschungsbereich<br />

„Kulturen<br />

des Performativen“<br />

an der Freien<br />

Universität Berlin.<br />

Schwerpunkte<br />

seiner Forschung sind Experimentalfilm<br />

und Queer Studies.<br />

Mitherausgeber von „Outside: Die<br />

Politik queerer Räume“ (bbooks,<br />

2005). Er arbeitet als freie Filmkurator<br />

und ist auch Mit-Begründer<br />

des Künstlerkollektivs CHEAP.<br />

Stefanie Schulte-Strathaus<br />

Film- und Videokuratorin,<br />

lebt und<br />

arbeitet in Berlin.<br />

Vorstandsmitglied<br />

im Arsenal – Institut<br />

für Film und Videokunst.<br />

Mitglied<br />

im Auswahlkomitee<br />

des Forums und verantwortlich für<br />

Forum Expanded im Rahmen der<br />

Berlinale. Veröffentlichungen u.a.<br />

in „Frauen und Film“, „The Moving<br />

Image“, „Texte zur Kunst“, „Ästhetik<br />

& Kommunikation“, „Schriftenreihe<br />

Kinemathek“ sowie in Festivalund<br />

Ausstellungskatalogen.<br />

LIVE FILM! JACK SMITH!<br />

Five Flaming Days in a Rented World<br />

28. Oktober bis 1. November im Kino Arsenal und im HAU 1 Berlin<br />

www.arsenal-berlin.de, www.hebbel-am-ufer.de<br />

tierung des Films den Körpern nicht mehr<br />

klar zuordnen. Das fand ich unglaublich<br />

befreiend. Weil es eine der Bedeutungen von<br />

„queer“ ist, die ich sehr wichtig finde. Eine<br />

junge Studentin von mir sagte mal, nach dem<br />

ich den Film in einem Seminar gezeigt hatte:<br />

„Ich habe noch nie eine solche Vielfalt an<br />

Weiblichkeit gesehen.“<br />

Susanne: Das kann ich so bestätigen. Flaming<br />

Creatures aber auch Normal Love waren<br />

Offenbarungen für mich, weil ich an viel<br />

von dem glaube, was er da zeigt: die Auflösung<br />

geschlechtlicher Kategorien und sexueller<br />

Identitäten, oder auch sein Umgang<br />

mit Drag. Da geht es nicht um die perfekte<br />

Imitation von Weiblichkeit, sondern um die<br />

Repräsentation von Weiblichkeit in männlichen<br />

Körpern. Brustbehaarung macht Drag<br />

für mich als Frau einfach gleich noch mal<br />

so sexy. Ich habe das gesehen und gedacht,<br />

in dieser Welt – die sehr queer ist – in der<br />

könnte ich mich zurechtfinden, da käme ich<br />

klar. Denn: Ich kann mich nicht als homosexuell<br />

oder heterosexuell beschreiben und<br />

will das auch gar nicht. Und müsste das in<br />

dieser utopischen Jack-Smith-Welt auch<br />

nicht. Aber was heißt utopisch – es hat sie ja<br />

gegeben, diese Welt. Zumindest in der Drehsituation<br />

und in der Szene, in der Smith sich<br />

bewegt hat.<br />

Marc: Es ist in diesem Zusammenhang auch<br />

wichtig zu erwähnen, dass die Filme ja nicht<br />

narrativ sind. Geschlechterkategorien und<br />

andere soziale Kategorien werden genau so<br />

außer Kraft gesetzt wie filmische.<br />

Das macht die Filme aber auch schwerer<br />

zugänglich als die von Warhol oder anderen<br />

Smith-Zeitgenossen.<br />

Susanne: Was ja nichts Schlimmes ist. Warhol<br />

war ein Marketinggenie, das verkaufen wollte.<br />

Sich und seine Kunst. Smith war ganz anders.<br />

Marc: Ich finde, man kann die beiden eigentlich<br />

nicht vergleichen. Warhol war der<br />

reichste Experimentalfilmer aller Zeiten und<br />

hat im Gegensatz zu Smith ganz klar für einen<br />

Markt produziert, auf dem er seine Kunst verkaufen<br />

wollte. Smith fand das Verkaufen von<br />

Kunst eher widerlich.<br />

Ist er deshalb nicht berühmt?<br />

Marc: Vielleicht. Da kommt viel zusammen.<br />

Er mochte Kommerzialität insgesamt nicht.<br />

Er fand das ganze kapitalistische System, das<br />

er in „Landlords“ (Vermieter) und „Tenants“<br />

(Mieter) aufgeteilt hatte, schrecklich.<br />

Susanne: Aber er war dabei nicht unromantisch.<br />

Mein Lieblingszitat von ihm lautet:<br />

„Anarchy is the giving part of politics.“ Ist das<br />

nicht toll?<br />

Kommen wir noch mal zum Festival selbst. Wie<br />

habt ihr Mario Montez dazu bekommen, nach<br />

dreißig Jahren wieder aufzutreten?<br />

Marc: Als wir im März die teilnehmenden<br />

Künstler eingeladen haben, um mit ihnen<br />

zusammen die Filme zu schauen, war auch<br />

der Warhol-Drehbuchautor Ronald Tavel<br />

dabei, der eng mit Smith, Warhol und Montez<br />

zusammengearbeitet hatte. Er hatte viel Spaß<br />

an der Auseinandersetzung mit einer ganz<br />

neuen Generation von Smith-Fans. Während<br />

seiner Heimreise ist er dann ganz überraschend<br />

gestorben. Wir hatten Mario schon<br />

angefragt und er hatte abgelehnt. Tavels Tod<br />

hat Mario Montez sehr getroffen und dazu<br />

gebracht, noch einmal neu darüber nachzudenken,<br />

ob und wie er Smith, dem er ja viel zu<br />

verdanken hat, jetzt ehren kann. Deswegen<br />

kommt er nach Berlin, um seine Erinnerungen<br />

einer jüngeren Generation mitzuteilen.<br />

Stefanie: Was natürlich schön für uns ist,<br />

obwohl der Anlass ein trauriger ist.<br />

Zu Ehren von Tavel inszeniert Ihr sein Stück<br />

„The Life of Juanita Castro“. Wer ist daran<br />

beteiligt?<br />

Stefanie: Rainald Goetz übernimmt die Rolle<br />

Tavels als Regisseur, Bruce LaBruce spielt<br />

Juanita und Katharina Sieverding wird Fidel<br />

sein. Darauf freue ich mich schon sehr. Das<br />

wird sicher einer der Höhepunkte des Festivals.<br />

Bleibt es denn bei dieser einmaligen Aktion, oder<br />

gibt es Nachfolgeprojekte?<br />

Stefanie: Teile des Festivals werden in Frankfurt<br />

noch einmal aufgeführt werden. Und die<br />

entstandenen Filme können natürlich überall<br />

gezeigt werden. Es gibt schon Interesse aus<br />

Toronto, New York und noch von ein paar<br />

anderen Orten, zu denen wir gute Beziehungen<br />

haben, etwas Ähnliches zu machen.<br />

Marc: Das Festival soll eher ein Anfang als ein<br />

einmaliges Ereignis sein. Es soll dazu führen,<br />

Jack Smith wieder dauerhaft in die Welt zu<br />

bringen. s<br />

LITTLE SHOP OF CULTURE<br />

ein Film-TreaTmenT von ciTizen_b<br />

Frankfurt am Main. Außen, Nacht, Regen. Die Alte Gasse, die schwule Hauptstraße der hektischen<br />

Bankenmetropole. Montage: Die Fassaden einiger schwuler Szenekneipen, ein paar attraktive Edelstricher,<br />

die nach dem nächsten zahlungskräftigen Sugardaddy Ausschau halten, Autos mit potentiellen Freiern<br />

fahren vorbei und hupen. Es blitzt und donnert. zoom auf das hell erleuchtete Schaufenster der schwullesbischen<br />

Oscar Wilde Buchhandlung, die jetzt im Herbst ihr 15-jähriges Bestehen feiert.<br />

s Die Oscar Wilde Buchhandlung. Innen. Der Inhaber, Harald Eck,<br />

ein bemerkenswert gut aussehender Endvierziger mit Schnauzbart<br />

und Brille, thront hinter seinem Tresen, zählt die Tageseinnahmen<br />

und kichert so unbekümmert wie der Dalai Lama, während er von<br />

den Gründerjahren seines Medienimperiums berichtet.<br />

Rückblende in schwarz-weiß: Wir sehen eine Lesung mit Armistead<br />

Maupin, eine Signierstunde mit Ralf König, eine bewegende<br />

Lesung mit Erica Fischer, einen Auftritt von Mirjam Müntefering.<br />

Populäre Szeneautoren wie Bernd Aretz, Detlef Meyer, Mario<br />

Wirz oder Boris von Brauchitsch geben sich die Klinke in die Hand.<br />

Schwule und Lesben sitzen auf einer gemütlichen Ottomane und blättern<br />

in Büchern und Hochglanzmagazinen. Eine tätowierte LKW-<br />

Lesbe parkt ihren riesigen Supertruck mit Anhänger direkt vor der<br />

Buchhandlung und fragt nach der neuen „Lespress“. Matthias, ein<br />

attraktiver rothaariger Mitarbeiter von Oscar Wilde, winkt mit einer<br />

Regenbogenfahne und küsst seinen Freund. Ein harter Lederkerl in<br />

Chaps kauft eine Billy-Puppe. Claudia, eine ehemalige Mitarbeiterin<br />

von Oscar Wilde, hält ihr Baby in die Kamera und lacht. Ein Schimpanse<br />

im Smoking läuft auf Rollschuhen durch den Laden und dreht<br />

Pirouetten. Karin, eine resolute Mitarbeiterin von Oscar Wilde, fährt<br />

mit ihrem Fahrrad bei der CSD-Parade mit und präsentiert eine<br />

Oscar-Wilde-Fahne. Die homosexuelle Intelligentia der Mainmetropole<br />

diskutiert und lamentiert zwischen Türmen von Büchern, DVD-<br />

Hüllen und kitschigem Regenbogentinneff, während Eck und seine<br />

Crew Kaffee und Kuchen servieren und Sektflaschen öffnen. Im Hintergrund<br />

läuft „I Will Survive“ von Gloria Gaynor.<br />

Voice-over (Eck): „Das war 1994. Wir wollten schon ein bisschen<br />

mehr bieten als nur ein paar schwule Schmöker, Photobände, Coming-<br />

Out-Ratgeber, Reiseführer und Postkarten. Uns schwebte eine allumfassende<br />

homosexuelle Medienhandlung vor. Mit Büchern, Magazinen,<br />

CDs und Videokassetten für Lesben, Schwule und Transgender.<br />

Damals gab es noch Videokassetten (seufzt). Wir setzten nicht nur auf<br />

kurzfristig aktuelle Filmhits, an die sich heute kein Schwein mehr<br />

erinnern kann, sondern auch auf etwas anspruchsvollere Kost wie<br />

Derek Jarman, Almodóvar oder James Bidgood. Oscar Wilde ist quasi<br />

ein Hotspot, in dem sich (beinahe) alles, was mit schwulem und lesbischem<br />

Film zu tun hat, konzentriert und wo Mann oder Frau ohne<br />

große Sucherei findet, was er oder sie sucht. Wir haben eine Backlist,<br />

die sich sehen lassen kann. Insgesamt bestimmt mehr als 800 Titel.<br />

Über die Filme informieren wir unsere Kunden regelmäßig durch<br />

einen speziellen Newsletter.“<br />

Eck, der gut ein Drittel seiner Studentenzeit im Heidelberger<br />

Gloria-Programmkino verbrachte, und so schon früh zu einem homophilen<br />

Cineasten wurde, kennt sich nicht nur mit den Spielfilmen,<br />

Komödien, Dokus und Fernsehserien von Edition Salzgeber, Pro Fun,<br />

Arthaus, CMV Laservision und Absolut Medien aus. Auch die Meisterwerke<br />

von Cazzo, Bel Ami, Cadinot, Titan, Wurstfilm und Dolphin<br />

sind dem charismatischen Dandy keineswegs fremd. Viele von ihnen<br />

hat er sogar eigenhändig durchgeprüft.<br />

Harald Ecks Lieblingsfilme: 1. Ein Mann namens Herbstblume, 2. Der Mann meines<br />

Herzens, 3. Felix, 4. Taxi zum Klo, 5. Wiegenlied für eine Leiche.<br />

„Schon bald wurde Oscar Wilde ein fester Bestandteil der Community.<br />

Der Laden war und ist eine Institution, ein Auskunftsbüro<br />

für alles Mögliche und Unmögliche in der Frankfurter Szene“, erzählt<br />

Eck, während er eine Mentholzigarette anzündet. „Drei Jahre später<br />

haben wir dann unseren Onlineshop eröffnet, der 1999 zur besten<br />

Themenbuchhandlung im Internet gekürt wurde und den E-Commerce-Oscar<br />

auf der Frankfurter Buchmesse gewann.“ Der Internetshop<br />

ist gerade rechtzeitig zum Jubiläum generalüberholt und modernisiert<br />

worden.<br />

Überhaupt planen Eck und seine MitarbeiterInnen eine grandiose<br />

Festwoche zum 15. Geburtstag, zeitgleich zur diesjährigen Buchmesse.<br />

„Eine Fotoausstellung zur Geschichte des Ladens, eine Ausstellung<br />

mit weiblichen und männlichen Aktbildern, mindestens drei<br />

Lesungen, ein großer Sektempfang am 17. Oktober mit Prominenz und<br />

bis zu 50% Rabatt auf alle DVDs (vom 1. bis 17. Oktober) und Pipapo“,<br />

verspricht Eck – und schaut optimistisch in die Zukunft. „Und 2019<br />

kommt ja auch schon das 25. Jubiläum. Dann sehen wir weiter!“<br />

Die Kamera fährt auf den sympathischen Unternehmer zu, der<br />

einen Rauchring ins Kameraobjektiv haucht und leicht diabolisch<br />

strahlt wie ein Honigkuchenpferd auf Eck-Stacy. – The End – s<br />

Keiner küsst wie Daddy Cool<br />

von Citizen_b<br />

Himmelstürmer Verlag,<br />

www.himmelstuermer-verlag.de<br />

Webshop: www.oscar-wilde.de<br />

26 27<br />

profil<br />

PRivAt


frisch ausgepackt<br />

Neu auf DVD<br />

von jan künemund, Paul schulz und axel schock<br />

TEENAGE ANGST<br />

D 2008, Regie: thomas Stuber, Edition Salzgeber<br />

Tief fliegt die Kamera<br />

über eine Flussidylle<br />

und nimmt das malerische<br />

Schlossinternat in<br />

den Blick. Was wie ein<br />

öffentlich-rechtlicher<br />

P r i met i me -T V-F i l m<br />

beginnt, mit hochglänzenden<br />

Aufnahmen<br />

deutscher Landschaften<br />

und attraktiven Gesichtern deutscher<br />

Jungschauspieler (Dinda, Kohrt, Ginsburg und<br />

Kocaj), wird schnell zu einer eisigen aktuellen<br />

Version der „Verwirrungen des Knaben Törless“.<br />

Die Söhne aus besten Kreisen, unterfordert<br />

von einem pseudo-liberalen Lehrpersonal,<br />

finden ihre eigenen sadistischen Herren-Rituale,<br />

um sich stets und ständig zu beweisen,<br />

dass sie die Auserwählten sind, eine natürliche<br />

Selektion künftiger Manager und Führer, für<br />

die die „Kinderkacke“ der bürgerlichen Ideale<br />

keine Perspektive darstellt. Ein Ideologe,<br />

sein brutaler Handlanger, ein feiger Mitläufer<br />

und ein masochistisch veranlagter Außenseiter,<br />

von ihren Eltern „abgeparkt am Arsch der<br />

Welt“ – eine brodelnde Mischung aus pubertärem<br />

Größenwahn, Gewaltphantasien und<br />

pseudointellektueller Rechtfertigung dumpfster<br />

Triebe. Für einen Augenblick deutet sich<br />

eine homoerotische Allianz zwischen Opfer<br />

und Mitläufer an, die aber vom Gruppenzwang<br />

erstickt wird. Thomas Stubers engagierte<br />

Jugendgewalt-Studie wird konsequent bis zum<br />

bitteren Ende durchgespielt und schlägt sich<br />

keinesfalls auf die Seite der moralisch argumentierenden<br />

Erwachsen – diese erscheinen<br />

allenfalls als Witzfiguren mit hohlen Sprüchen<br />

und selbstgefälliger Ignoranz, die am Ende<br />

dafür (gerechterweise?) die Strafe zahlen müssen.<br />

Shootingstar Franz Dinda spielt die spannendste,<br />

weil ambivalenteste Figur des Mitläufers<br />

Stürmer. jk<br />

REICH MIR DEINE HAND<br />

F/D 2008, Regie: Pascal-Alex vincent, Edition Salzgeber<br />

Antoine und Quentin sind Brüder, achtzehn,<br />

von zu Hause abgehauen und auf dem Weg<br />

zu sich selbst. Zwillinge, die noch niemals<br />

getrennt waren, in Hassliebe vereint und von<br />

großer Attraktivität für ihre Umwelt. Zum<br />

Maultrommel-Sound der Band Tarwater (den<br />

28<br />

Soundtrack gibt es bei<br />

der DVD dazu) rückt<br />

der Spielfilm mit großer<br />

Intensität den fast identischen<br />

Jungs auf den<br />

Leib. Reich mir deine<br />

Hand, das poetischatmosphärischeLangfilmdebüt<br />

des französischen<br />

Filmemachers<br />

Pascal-Alex Vincent, ist auch eine Hommage<br />

an die amerikanischen Filme der 70er Jahre,<br />

dem so genannten ‚New Hollywood‘, und wie<br />

diese ein Roadmovie. Das Unterwegssein der<br />

Figuren ist dabei ganz wörtlich zu verstehen:<br />

Sie gehen auf eine Reise, sind auf der Suche –<br />

nach Liebe, nach Orientierung, nach Glück,<br />

nach dem Leben und nach sich selbst. Am<br />

Ende werden die Erfahrungen sie verändert<br />

haben. Wie bei jedem Roadmovie geht es nicht<br />

um das Ziel der Reise, sondern um die Reise<br />

selbst, geprägt von zufälligen Begegnungen<br />

und Erlebnissen. Die Landschaft wird fast<br />

zu einer dritten Hauptfigur, die die Reisenden<br />

einverleibt, abstößt, ihre Gefühle spiegelt<br />

und sie immer wieder herausfordert. Die beiden<br />

Jungs müssen sich selbst behaupten und<br />

hinterfragen, gegen den anderen durch- und<br />

absetzen. „Wer bin ich?“ – diese Frage wird für<br />

die beiden auf dieser Reise existenziell. Auf der<br />

Suche nach einer Antwort werden sie ein Stück<br />

weit erwachsen.“ (Thomas Abeltshauser in der<br />

SISSY 01/09)<br />

MA MÈRE – MEINE MUTTER<br />

FR 2007, Regie: christophe Honoré, cMv laservision<br />

Papa ist tot. Mama<br />

und ihr Sohn bleiben<br />

allein auf Gran Canaria<br />

zurück. Mama sagt:<br />

„Vergiss nicht, so zu tun,<br />

als wärst du traurig!“<br />

und „Wenn du mich<br />

wirklich liebst, sagst<br />

du mir, wie abscheulich<br />

ich bin!“ Mama ist Isabelle<br />

Huppert. Ihr Sohn vermisst seinen Vater<br />

dann doch und äußert das, wie es in französischen<br />

Skandalfilmen Brauch ist: Er läuft sehr<br />

lange nackt herum, uriniert auf die Familienfotos<br />

und verliert sich in einem Strudel aus<br />

polymorphen Perversionen, Drogen und Alkohol,<br />

um am Ende wieder in Mamas Armen und<br />

zwischen ihren Schenkeln zu landen. Inzest<br />

als die finale Rückkehr in den Schoß der Familie.<br />

Ma mère ist die Verfilmung eines posthum<br />

veröffentlichten Romans von Georges Bataille<br />

und ist nach Chansons D’amour und Dans Paris<br />

schon die dritte Zusammenarbeit von Hauptdarsteller<br />

Louis Garrel und Regisseur Christoph<br />

Honoré. Man kann den Film als Kritik<br />

an einem System sehen, in dem alles und jeder<br />

käuflich ist und auch die Familie keinen Schutz<br />

vor Verletzungen mehr bietet. So hat Honoré<br />

ihn wohl gemeint. Aber wenn man Ma mère<br />

einfach als erotische Schlacht zwischen einer<br />

phänomenalen Isabelle Huppert und dem in<br />

jeder Hinsicht unterlegenden Louis Garrel<br />

guckt, hat man mehr Spaß. ps<br />

PALERMO ODER WOLFSBURG<br />

D 1980, Regie: Werner Schroeter, Filmgalerie 451<br />

Werner Schroeters<br />

Gastarbeiter-Oper aus<br />

dem Jahr 1980 ist drei<br />

Stunden lang. Langeweile<br />

kommt nicht auf,<br />

denn der Film wechselt<br />

zweimal komplett<br />

den Ton und den Ort.<br />

Der schöne Nicola (das<br />

‚Lämmchen‘) bricht aus<br />

Sizilien auf, geht in Deutschland vor die Wölfe<br />

und schließlich wird ihm in einer grellen<br />

Gerichtsverhandlung der Prozess gemacht. Der<br />

Film, 1980 immerhin mit dem Goldenen Bären<br />

der Berlinale ausgezeichnet, verbindet grandios<br />

gewagt die größten Gegensätze: Palermo<br />

und Wolfsburg, sinnliche Landschaften ohne<br />

Perspektive und kalte Industrieorte voller<br />

Gewalt, weinende Männer und harte Frauen,<br />

sizilianische Volksgesänge und das von Juliane<br />

Werding anmoderierte und von Isolde Barth<br />

kaputtgekrächzte „Zwei kleine Italiener“. Eine<br />

größenwahnsinnige Sensation, doch – wie<br />

immer bei Schroeter – zutiefst humanistisch.<br />

Man muss den Regisseur selbst darüber reden<br />

hören, um das alles zu verstehen – und das<br />

kann man auch in dieser vorbildlichen DVD-<br />

Ausgabe, denn es gibt noch ein kurzes Interview<br />

mit ihm aus 2008 als Bonus. jk<br />

ABFALLPRODUKTE DER LIEBE<br />

D 1996, Regie: Werner Schroeter, Filmgalerie 451<br />

Vielleicht ist es ein<br />

Missverständnis, große<br />

Opernkünstler zu fragen,<br />

was sie privat über<br />

Liebe und Tod denken,<br />

und sich davon zu<br />

versprechen, dadurch<br />

hinter das Geheimnis<br />

ihrer besonderen<br />

Ausdrucksfähigkeit zu<br />

kommen. Doch was in diesem Dokumentar-<br />

film des ausgesprochenen Opernliebhabers<br />

Werner Schroeter aus diesem Missverständnis<br />

heraus entsteht, ist vielleicht noch schöner<br />

als der musiktheoretische Erkenntnisgewinn.<br />

Zehn Lieblingssänger(innen) Schroeters in<br />

einer mittelalterlichen Abtei, Freunde, Schauspieler,<br />

nackte Jünglinge auf Pferden, eine<br />

Korrepetitorin und ein Stab an Licht-, Kostüm-<br />

und Makeup-Künstlern erwecken Arien zum<br />

Leben, stellen einander Fragen, werden vom<br />

Regisseur herumgescheucht. Die Anstrengung<br />

schwankt zwischen grandioser Inszenierung<br />

der Stimmen, Körper und Gesichter (was vor<br />

allem der Kamerafrau Elfi Mikesch zu verdanken<br />

ist), der Herstellung eines perfekten dramatischen<br />

Moments in und durch Kunst, und<br />

dem Versuch, hinter die Masken zu schauen<br />

– Musikclip und Making-Off zugleich. Und so<br />

sieht man Opernstars joggen, tanzen, weinen,<br />

Suppe kochen und zuhören, Isabelle Huppert<br />

Mozart singen und die große Anita Cerquetti<br />

die Lippen zu ihrer fast vierzig Jahre alten Aufnahme<br />

von „Casta Diva“ bewegen. Und einen<br />

Regisseur, der von den vielen an Aids verstorbenen<br />

Freunden erzählt und sich seinen privaten<br />

Callas-Gottesdienst aus Liebes- und Todesarien<br />

zusammenstellt. Das ist großartig und<br />

vermessen zugleich, doch alle machen mit. „Im<br />

Theater wird man von jedermann fortwährend<br />

beleidigt“, erzählt Martha Mödl. jk<br />

SÜNDIGER SOMMER<br />

USA 1970, Regie: Barbara Peeters, Edition Salzgeber<br />

Sie hatten Titel wie<br />

Caged Heat, 10 Violent<br />

Women oder Chained<br />

Girls – die Filme der<br />

‚Lesploitation‘-Welle<br />

der 1960er und frühen<br />

1970er, die lesbische<br />

Themen als Vorwand<br />

nahmen, um bei jeder<br />

nur möglichen Gelegenheit<br />

unbekleidete Frauen zu zeigen. Das Lesbischsein<br />

wird darin oft dröge diskutiert, und<br />

die meisten Frauen waren am Ende entweder<br />

geheilt oder tot. Sündiger Sommer ist, obwohl<br />

er eindeutig in dieser Tradition steht, etwas<br />

Besonderes. Natürlich ist die technische Ausstattung<br />

aufs Schönste billig und die Sets zeitbedingt<br />

ein Alptraum aus giftgrünen Flokatis,<br />

pseudoindischen Wandbehängen und niedlichen<br />

Blümchentapeten. Auch treten Hippiebands<br />

auf und Tanzgruppen in unvorteilhaften<br />

Ganzköpertrikots. Und natürlich ist Adria und<br />

Denise, den beiden gelangweilten Hausfrauen,<br />

die beim Beobachten eines jungen lesbischen<br />

Paares auf Ideen kommen, kein männerloses<br />

Happy-End bestimmt. Aber völlig unbeeindruckt<br />

davon ist die Geschichte wirklich<br />

ergreifend, die Hauptdarstellerin Elizabeth<br />

Plump ein Traum und Regisseurin Barbara<br />

Pe(e)ters gelingen immer wieder Bilder von<br />

großer poetischer Kraft – wie die unbewegten,<br />

in Grimassen erstarrten Karussellpferde<br />

am Anfang, die auf die gezügelte Energie und<br />

die boykottierten Selbstverwirklichungen der<br />

Hausfrauen hindeuten, die sich in ihren lesbischen<br />

Fantasien viel eher mit echten Pferden in<br />

weite Landschaften träumen, dem Sonnenuntergang<br />

entgegen reitend… jk<br />

ANNA & EDITH<br />

D 1975, Regie: Gerrit Neuhaus, Edition Salzgeber<br />

Ein warmherziger und<br />

kämpferischer Lesbenfilm-Klassiker<br />

aus<br />

Deutschland, von vier<br />

Frauen ins dröge deutsche<br />

Fernsehen der<br />

1970er Jahre gehievt:<br />

Cristina Perincioli<br />

und Cillie Rentmeister<br />

schrieben, Regina Ziegler<br />

produzierte und Alexandra von Grote setzte<br />

durch. „Auf der einen Seite ist Anna & Edith<br />

ein klassischer Agit-Prop-Film jener Zeit, auf<br />

der anderen Seite ein wichtiges Zeitdokument<br />

und der erste selbstbewusste Lesbenfilm der<br />

deutschen Fernsehgeschichte, in der lesbische<br />

Liebe nicht direkt ins Verderben führt, in dem<br />

zum ersten Mal ein leidenschaftlicher Kuss<br />

zwischen zwei Frauen zu sehen war. Wenn<br />

man sich den Film heute ansieht, ahnt man<br />

nicht, welche Bedeutung er zum Zeitpunkt seiner<br />

Entstehung für vier daran beteiligte Frauen<br />

erlangte. Für die einen als Lebenselixier, für<br />

die anderen als Albtraum und Sprungbrett<br />

zugleich.“ (Diana Näcke in der SISSY 02/09)<br />

LOVE STORIES –<br />

JUNGS ZUM VERLIEBEN<br />

USA/cA/FR/SE 2007, Edition Salzgeber<br />

Plötzlich ist er da, der<br />

Moment, der so oder so<br />

alles verändern wird.<br />

Ein Liebesgeständnis<br />

dem ‚besten Freund‘<br />

gegenüber wird im besten<br />

Fall erwidert – im<br />

anderen Fall wird er<br />

die Freundschaft verändern,<br />

vielleicht sogar<br />

zerstören. Insofern sind das alles hier eigentlich<br />

Beinahe-Love-Stories, die das Potential<br />

großer Liebesgeschichten in sich tragen, aber<br />

eigentlich nur diesem entscheidenden Moment<br />

entgegenfiebern.<br />

Wie sie das tun ist natürlich wieder ganz<br />

unterschiedlich. Die WG der schwedischen<br />

Jungs in Mitbewohner scheint so selbstverständlich<br />

jungshaft wortkarg, das jedes emotionale<br />

Geständnis quasi unmöglich erscheint.<br />

Die Teenies auf dem Land in Silver Road und<br />

Heartland müssen wahrscheinlich erst in die<br />

Stadt ziehen, bevor das möglich wird, was sie<br />

sich wünschen. In einigen Geschichten spielt<br />

die verrinnende Zeit eine Rolle, bis der Traummann<br />

heiratet oder weggeht, um sein Studium<br />

zu beginnen. Filme, die sich auf einen besonderen<br />

Moment konzentrieren, funktionieren hervorragend<br />

auch in der Kurzform. Hintereinander,<br />

das heißt 96 Minuten am Stück, ist das eine<br />

ziemlich aufwühlende Angelegenheit. jk<br />

COMING OF AGE, VOL. 2<br />

cMv laservision<br />

Zwei Jungs treffen sich<br />

am Rande einer Sportveranstaltung.<br />

Mit<br />

Sport haben sie beide<br />

nichts zu tun, der eine<br />

liest Dickens und hört<br />

Velvet Underground<br />

mit dem Walkman (es<br />

ist 1997!), der andere<br />

will nur zu seinem Lieblingsort<br />

auf dem Dach der Anlage. Zwischen<br />

beiden funkt es sofort, sie können über Dickens<br />

und Rimbaud reden, über depressive Musik<br />

sowieso, über Schule & Französisch Lernen…<br />

da liegt es nahe, dass der eine den anderen<br />

irgendwann küssen will. Leider ist der noch<br />

nicht soweit und flüchtet. Der allein Gelassene<br />

spiegelt sich schließlich im wegfahrenden<br />

Auto. Nicht mehr und nicht weniger erzählt<br />

Robert Little in seinem Kurzfilm The Good<br />

Son, dem schönsten Beitrag auf dieser Sammlung<br />

über das schwule Großwerden. Ansonsten<br />

variieren die Filme dieses Thema eher experimentell<br />

– als Spielerei eines diskriminierten<br />

Hetero-Teenagers, der unter lauter Homosexuellen<br />

aufwächst oder als persönlicher Essay<br />

eines Beziehungsgestörten, der sich selbst mit<br />

der Kamera analysiert, obwohl er eigentlich ein<br />

schwules Märchen drehen will. jk<br />

LIEB MICH! GAy SHORTS 2<br />

MX 1996–2008, Pro-Fun Media<br />

frisch ausgepackt<br />

Unter diesem etwas<br />

verzweifelten Befehl<br />

sind hier sechs Kurzgeschichtenversammelt,<br />

die sich bis auf<br />

Mr_Right_ 22 vor allem<br />

auf Bilder, Körper und<br />

Musik verlassen und<br />

nicht auf Dialoge. Am<br />

witzigsten funktioniert<br />

das in den 3½ Minuten Brüderliebe der<br />

Geschwister Pfister, deren Ferkeleien von der<br />

Mutter einfallsreich vereitelt werden. In Arie<br />

ereignet sich ein Coming-Out als Tanz, im<br />

Duett eines Choreographen mit einem verlieb-<br />

29


frisch ausgepackt<br />

ten Tänzer, vor den Augen der verschmähten<br />

Freundin und des Konkurrenten. Erfasst hier<br />

die Kamera den Tanz dreier Männer, so ist der<br />

grandiose Bramadero von Julián Hernández<br />

selbst ein Tanz – in der Art und Weise, wie<br />

zwei Körper im Raum inszeniert werden, wie<br />

die Kamera sie umschleicht, ohne eigentlich<br />

eine Geschichte zu erzählen. Auch in dieser<br />

‚entschärften‘ (d.h. um 2½ explizite Minuten<br />

gekürzten) Version ist das atemberaubend:<br />

Zwei Jungs treffen in einem Hochhaus-Rohbau<br />

über der urbanen Kulisse von Mexico City aufeinander,<br />

betrachten sich, bedrohen sich, ficken<br />

– bis einer von beiden ausrastet und den anderen<br />

tötet. Die Szenerie umfasst einen gesamten<br />

Tag, bis die Nacht die Großstadt in Schwarz<br />

hüllt. Kein Wort fällt zwischen den beiden. Auf<br />

der Tonspur nur entfernte Baugeräusche und<br />

Verkehrslärm, ein leicht sich steigerndes elektronisches<br />

Wabern, am Ende ein Tango, „En<br />

esta tarde gris“ („An diesem grauen Abend“).<br />

Hernández, mehrfacher TEDDY-Gewinner<br />

(Mil Nubes und zuletzt Rabioso Sol, Rabioso<br />

Cielo) umkreist mit seinen Filmen eigentlich<br />

immer das schwule Begehren an sich, gerne<br />

auch mal drei Stunden lang. Hier inszeniert er<br />

knapp 20 Minuten Rausch und berauscht sich<br />

selbst dabei. jk<br />

BROADWAy FIEBER<br />

USA 1997, Regie: victor Mignatti, Edition Salzgeber<br />

Diese drei haben wirklich<br />

keinen blassen<br />

Schimmer. Marc und<br />

Robert wollen ins ‚Village‘<br />

ziehen und den<br />

Broadway erobern.<br />

Doch der eine kann<br />

nicht sprechen und<br />

der andere stirbt vor<br />

Nervosität (und will<br />

sowieso lieber Songwriter werden). Modeopfer<br />

Cynthia will bei Tina Brown arbeiten, hat<br />

statt eines Lebenslaufs aber nur einen reichen<br />

Vater vorzuweisen. Außerdem sind dummerweise<br />

schon die 1990er angebrochen – Stephen<br />

Sondheim hat schon lange kein erfolgreiches<br />

Musical mehr geschrieben und Tina Brown<br />

ist bei Vanity Fair schon auf dem Absprung.<br />

Auch in Manhattan ist es chic geworden, cool<br />

zu sein – da ist nicht viel Hoffnung für Träumer<br />

wie die drei. Oder gerade doch: Eine Wohnung<br />

findet Marc, weil der Hausmeister gerade<br />

etwas körperliche Zuwendung nötig hat und<br />

auch das Dilettieren im Songwriting fällt nicht<br />

so auf, wenn das Liebeslied an den Angehimmelten<br />

ins Schwarze trifft. Victor Mignatti<br />

hat eine warmherzige Komödie über kunst-<br />

und liebeshungrige Spinner gedreht, mit viel<br />

Greenwich Villager Lokalkolorit und wirklich<br />

schönen Gags – wie dem mit den beiden betagten<br />

Touristinnen, die den damals noch zweit-<br />

30<br />

größten New Yorker Wolkenkratzer betrachten<br />

und ausrufen: „Sieh mal, das Entire State<br />

Building!“ Oder von Robert, der auf der Christopher<br />

Street einen Souvenirladen betritt und<br />

nach einer Geburtstagskarte für seine Mutter<br />

sucht: „Haben Sie auch welche ohne Erektionen?“<br />

jk<br />

BIG EDEN<br />

USA 2000, Regie: thomas Bezucha, Pro-Fun Media<br />

Henry Hart ist Ende 30<br />

und muss nach Hause.<br />

Sein Großvater liegt<br />

im Sterben. Also fährt<br />

der eingefleischte New<br />

Yorker Single zurück<br />

nach Big Eden, ein Nest<br />

in den Bergen von Montana,<br />

dahin wo er großgeworden<br />

ist. Dort wird<br />

die Stadtmaus erst langsam wieder zur Landmaus<br />

und trifft dabei den Mann ihres Lebens.<br />

Kein anderer Film mit schwuler Thematik hat<br />

je so viele Preise gewonnen wie Big Eden. Wohl,<br />

weil er auf so vielen Ebenen gut funktioniert:<br />

als romantische Komödie, als amerikanischer<br />

Heimatfilm, als queere Utopie über das Zusammenleben<br />

der Geschlechter und Generationen<br />

und als großartiges Schauspielerkino. Oscarpreisträgerin<br />

Louise Fletcher, Tim DeKay und<br />

Eric Schweig als schwuler Indianer werfen sich<br />

so elegant die emotionalen Bälle zu, dass es eine<br />

Freude ist, ihnen dabei zuzusehen. Regisseur<br />

und Drehbuchautor Thomas Bezucha hat mit<br />

Big Eden ein kleines Meisterwerk geschaffen,<br />

das leicht und schlüssig eine Menge komplexer<br />

Themen anspricht, ohne dabei je belehrend<br />

oder gar langweilig zu sein. ps<br />

3-DAy WEEKEND<br />

USA 2008, Regie: Bob Williams, Pro-Fun Media<br />

Ein Ritual. An jedem<br />

langen Wochenende<br />

treffen sich die Ex-Partner<br />

Jason und Cooper<br />

in einer abgelegenen<br />

Berghütte mit ihren<br />

jeweils aktuellen Liebhabern.<br />

Diesmal soll es<br />

etwas spannender werden,<br />

also lädt jeder von<br />

ihnen noch einen Single-Mann ein. Also acht<br />

Typen im Nirgendwo, drei Doppel-, ein Einzelbettzimmer<br />

und eine Couch, ein Whirlpool,<br />

Wanderkarten und drei Tage Zeit. Es passiert,<br />

was passieren muss: Beziehungen vertiefen<br />

sich, bahnen sich an, ein Paar trennt sich. In<br />

jeder Nacht entscheidet sich neu, wer mit wem<br />

ins Bett geht. Zwischendurch Yogaübungen,<br />

Befindlichkeiten und Gespräche – über Heirat,<br />

Beziehung, Treue, Coming-Out und Aids. Das<br />

einzige, was am Ende klar ist, ist, dass Jason<br />

und Cooper an ihrem Ritual festhalten werden.<br />

Irgendwann geraten die Älteren mit den Jüngeren<br />

über die Frage aneinander, wie Schwule<br />

im Film repräsentiert werden sollen – die einen<br />

finden die aktuellen Komödien zu oberflächlich,<br />

die anderen wollen keine verklemmten<br />

Dramen vom Typ The Boys in the Band mehr<br />

sehen. 3-Day Weekend ist jedenfalls weder das<br />

eine noch das andere. jk<br />

I THINK I DO<br />

USA 1998, Regie: Brian Sloan, Pro-Fun Media<br />

I think I do ist Vier Hochzeiten<br />

und ein Todesfall<br />

oder Die Hochzeit<br />

meines besten Freundes<br />

durch die Augen<br />

des Queer Cinemas<br />

Ende der 1990er. Eine<br />

gemischtgeschlechtliche<br />

College-Clique<br />

trifft sich bei einer<br />

Hochzeit wieder. Zwei der Jungs, Brendan und<br />

Bob, waren mal ineinander verliebt, haben sich<br />

das aber nicht mal selbst eingestanden. Jetzt<br />

wären sie dann soweit, trauen sich aber immer<br />

noch nicht. Die Freunde eilen zu gutgemeinter<br />

statt gutgemachter Hilfe und richten dabei<br />

heilloses Chaos an. Die Zutaten von I think I do<br />

sind die einer klassischen Screwball-Komödie:<br />

messerscharfe Zungen, schnittige Dialoge und<br />

ein bisschen alberner Slapstick rund um ein<br />

niedliches, romantisches Paar, das zueinander<br />

finden soll. Wenn man darüber hinweg sieht,<br />

dass nichts so alt ist, wie die Mode und Frisuren<br />

von vor zehn Jahren, kann man mit I think<br />

I do jede Menge Spaß haben. ps<br />

CUT SLEEVE BOyS<br />

tH 2006, Regie: Ray Yeung, cMv laservision<br />

Als Mitteleuropäer hat<br />

man in den letzten 15<br />

Jahren dabei zusehen<br />

können, wie das asiatische<br />

Kino 100 Jahre<br />

queere Kinogeschichte<br />

im Zeitraffer nachvollzog.<br />

Dabei wurde das<br />

Publikum mit einer ganzen<br />

Reihe von Filmen<br />

konfrontiert, die es entweder nicht schafften,<br />

über bloße Elendsromantik hinauszukommen,<br />

oder ihren queerpolitischen Impetus mit dem<br />

cinematischen Holzhammer vortrugen. Die<br />

dritte Variante waren Adaptionen westlicher<br />

Genres für den asiatischen Markt. Hierzu zählt<br />

Cut Sleeve Boys (im Chinesischen ein liebevoller<br />

Ausdruck für Schwule). Die etwas hysterische<br />

romantische Komödie, die zwei chinesische<br />

Mittdreißiger in London beim Erwachsen-<br />

werden begleitet, ist streckenweise wirklich<br />

witzig, am Puls der Zeit und optisch ein Feuerwerk,<br />

bleibt aber auch mal im blanken Kitsch<br />

stecken, wozu das chinesische Verständnis von<br />

Tuntentum nicht unwesentlich beiträgt. Cut<br />

Sleeve Boys ist kein Iron Ladies-Nachfolger,<br />

hat aber alle Zutaten für einen vergnüglichen<br />

Videoabend mit Freunden. ps<br />

BINyAG – DIE VERLORENE UNSCHULD<br />

PH 2008, Regie: Miko Jacinto, cMv laservision<br />

Binyag (eigentlich „Die<br />

Taufe“) ist der erotische<br />

Monolog eines jungen<br />

Mannes. Von Leo,<br />

elternlos im Paradies<br />

aufgewachsen, das hier<br />

San Joaquin heißt, aber<br />

eigentlich die Essenz<br />

des Paradieses schlechthin<br />

ist: kein Ort, an dem<br />

man Kleidung trägt. Die Vertreibung daraus<br />

setzt weniger durch Leos schwules Erwachen<br />

ein, als durch die Filmindustrie – ein Talentscout<br />

verführt den Jungen, nimmt ihn mit nach<br />

Manila, wo er an weitere Produzenten, Fotografen<br />

und Autoren weitergegeben wird, die<br />

alle „einen Star“ aus ihm machen wollen und<br />

dann doch nur einen Körper aus ihm machen.<br />

Leo nimmt das alles hin und allzu viel macht es<br />

ihm auch nicht aus, denn er will sich selbst finden<br />

und das geht nur durch Erfahrung. Seine<br />

Stimme führt uns durch die verschiedenen<br />

Episoden, durch die Traumkulissen der Heimatstrände<br />

und die Smog-Glocke des Molochs.<br />

Und wieder zurück ins Paradies. Und nach<br />

knapp 60 Minuten kennt man jede Muskelfaser<br />

des ziemlich schönen Ran Domingo. Ein bisschen<br />

ins Nachdenken kommt man allerdings<br />

schon, wenn ein zynischer Filmproduzent<br />

auftritt und sagt: „Zeig nackte Männer… die<br />

Schwulen stehen Schlange… die haben Geld.“<br />

Verbuchen wir es mal unter Selbstironie. jk<br />

BURN THE BRIDGES<br />

MX 2007, Regie: Francisco Franco, Pro-Fun Media<br />

Die Ameisen fallen<br />

bereits über das alte<br />

Stadtpalais her. Die<br />

Mutter, eine populäre<br />

Sängerin, liegt im<br />

Sterben. Das Regiment<br />

hat Helena übernommen,<br />

die junge Tochter,<br />

unterstützt von einem<br />

fragilen Netzwerk aus<br />

Ärzten, Nachbarn, einer Haushälterin. An<br />

ihren Wänden hängen Sehnsuchtsbilder von<br />

Winterurlaubsorten. Doch sie kann nicht weg,<br />

solange es die Mutter und ihre traurigen Chansons<br />

gibt. Ihren Bruder Sebastian, den Träu-<br />

mer, packt sie in Watte und lässt andere Jungs<br />

sich um ihn kümmern. Doch Sebastian erwacht<br />

trotzdem, denn ‚Scarface‘, der Einzelgänger<br />

und Rebell, kommt neu an die Schule. Juan<br />

lehrt Sebastian das Springen – von Dächern<br />

und aus der selbstbezogenen dunklen Welt des<br />

sterbenden Hauses. Da Juan ihm vom Meer<br />

erzählt und Sebastian sich in ihn verliebt hat,<br />

malt er sein Zimmer blau. Und Helena spürt,<br />

dass ihr ihre kleine Welt entgleitet.<br />

Schließlich stirbt die Mutter und zunächst verwirklicht<br />

niemand seine Pläne für das Danach.<br />

Aneinander gekettet ziehen sich die Geschwister<br />

ins Haus zurück, bis sie einsehen, dass es so<br />

nicht weiter gehen kann.<br />

Burn the Bridges: Wer Brücken hinter sich<br />

abbrennt, muss nach vorne schauen. Man verliebt<br />

sich auf Anhieb in alle Figuren und glaubt<br />

alle behaupteten Gefühle. Jedes Bild sitzt,<br />

alle Gegenstände, alle Geräusche, alle Blicke<br />

erzählen etwas, auch in den Randgeschichten<br />

(Nonnen, die sich voller Lust die Kleider der<br />

verstorbenen Diva anhalten…). Ein traurigschönes<br />

Werk jk<br />

WÄRE DIE WELT MEIN –<br />

EIN TRAUM WIRD WAHR<br />

USA 2008, Regie: thomas Gustafson, Pro-Fun media<br />

Ihre Schule legt Wert<br />

auf eine breit gefächerte<br />

Ausbildung, so müssen<br />

sie Sport genauso<br />

ernstnehmen wie den<br />

musischen Unterricht.<br />

Doch die Jungs in<br />

Timothys High School<br />

toben sich am liebsten<br />

beim Rugby aus und<br />

finden den Theaterunterricht schwul. Timothy,<br />

der offen schwule Außenseiter, traut sich<br />

weder das eine noch das andere und ist der<br />

willkommene Kandidat für Hänseleien und<br />

pubertäre Spaße. Spießrutenlaufen in Röhrenjeans<br />

– bis die Literaturlehrerin eine Inszenierung<br />

des „Sommernachtstraums“ auf den<br />

Lehrplan setzt („Shakesqueer“ nennen das<br />

die Rugbyspieler). Da schlägt plötzlich Timothys<br />

Stunde und das ist die erste Zauberei des<br />

Films – ungeahnterweise kann er singen und<br />

spielen und verschafft sich bei seinen Kameraden<br />

zum ersten Mal Respekt. Doch der Film<br />

von Tom Gustafson und seinem Co-Autor Cory<br />

James Krueckeberg geht noch einen queeren<br />

Schritt weiter in seinem Mix aus Internatsgeschichte<br />

und Musical, Shakespeare und Take<br />

That: Nicht nur, dass Jungs in Frauenrollen<br />

schlüpfen, aus homophoben Schülern Feen<br />

werden und dass die schönen Songs von Jessica<br />

Fogle auf original Sommernachtstraum-Versen<br />

beruhen – wie der Puck bei Shakespeare verzaubert<br />

auch Timothy mit einem Feen-Nektar<br />

alle Menschen um sich herum, macht aus ihnen<br />

Liebende, vorzugsweise gleichen Geschlechts.<br />

Nur bei seinem Schwarm, so die Pointe, hätte<br />

er das gar nicht gebraucht – die Liebe war im<br />

Geheimen schon gegenseitig. Ein Fairy-Tale in<br />

mehrfacher Hinsicht. Schön, dass mit Gustavsons<br />

Kurzfilm Fairies auch die Vorstudie zu diesem<br />

Musical auf der DVD enthalten ist. jk<br />

WITH GILBERT & GEORGE<br />

UK 2007, Regie: Julian cole, Edition Salzgeber<br />

Gilbert und George<br />

geben in dem intimen<br />

Filmporträt ihres<br />

Freundes Julian Cole<br />

104 Minuten lang „Gilbert<br />

& George“ – das<br />

skurrilste Herrenpaar<br />

der Kunstgeschichte.<br />

„Es gelingt Cole, den<br />

queeren Charakter ihrer<br />

Kunst herauszuarbeiten, ohne dass das Leben<br />

der beiden Künstler als schwules Paar näher<br />

thematisiert wird. Das ist jedoch keine falsche<br />

Scheu, vielmehr setzen alle am Film Beteiligten<br />

diese Lebensform als Selbstverständlichkeit<br />

voraus. Das Wort ‚gay‘, erklärt George im Film,<br />

habe er nie gemocht. Er bevorzuge das Wort<br />

‚sexy‘ als neutrale, von Geschlechtszuweisung<br />

unabhängige Zustandsbeschreibung. ‚Niemand<br />

sagt ‚I feel heterosexy tonight‘‘, scherzt<br />

George, gerade deshalb sei der Begriff ‚sexy‘ so<br />

gut, um eine universelle Lust zu bezeichnen.<br />

‚Erst kämpften die Heterosexuellen um sexuelle<br />

Befreiung, dann kämpften die Homosexuellen,<br />

doch die nächste Schlacht wird für alle<br />

sein‘, erklärt George an einer anderen Stelle im<br />

Film.“ (Martin Büsser in der SISSY 02/09)<br />

CLANDESTINOS<br />

ES 2007, Regie: Antonio Hens, Pro-Fun Media<br />

frisch ausgepackt<br />

Xabi und zwei Kumpels<br />

gelingt die Flucht<br />

aus dem Jugendknast.<br />

Irgendwie schaffen sie<br />

es nach Madrid, einer<br />

von ihnen reißt unterwegs<br />

zwei Mädchen auf<br />

und Driss, der jüngste,<br />

ist froh, dass sie ihn<br />

überhaupt mitgenommen<br />

haben. Xabi allerdings hat andere Pläne<br />

als unterzutauchen und Party zu machen. Eine<br />

Liebesaffäre mit einem Terroristen hat aus ihm<br />

einen glühenden ETA-Jünger gemacht, also will<br />

er jetzt im Untergrund für ‚die Sache‘ kämpfen.<br />

Unter seiner Anleitung basteln die Jungs also<br />

Bomben, klauen ein bisschen, randalieren und<br />

Xabi verdient sich noch ein bisschen Geld auf<br />

dem Strich. Ganz schön, wie Regisseur Antonio<br />

Hens das erzählt, als jugendliches Chaos zwi-<br />

31


frisch ausgepackt<br />

schen Sex, Biertrinken, große Sprüche klopfen,<br />

Wohnungen verwüsten und den ‚echten‘ Terroristen<br />

dabei in die Quere kommen. Und der<br />

junge Israel Rodríguez spielt den Xabi grandios,<br />

fiebrig, nervös, physisch. Dass der kleine<br />

Gangster sich auf dem Strich wieder von einem<br />

älteren Mann aufreißen lässt – diesmal aber<br />

von einem ‚guten‘ Polizisten – und dadurch<br />

erst die Kurve kriegt, wird nicht weiter problematisiert.<br />

Ein Date im Knast jedenfalls ist eine<br />

interessante Happy-End-Variante. jk<br />

DRIFTER<br />

D 2007, Regie: Sebastian Heidinger, Edition Salzgeber<br />

Der junge dffb-Absolvent<br />

Sebastian Heidinger<br />

hat in seinem<br />

Dokumentarfilm Drifter<br />

Daniel, Angel und<br />

Aileen begleitet, drei<br />

Jugendliche, die sich<br />

am Bahnhof Zoo ihre<br />

Drogen besorgen, anschaffen<br />

gehen oder in<br />

Notunterkünften unterkommen. Es geht ihm<br />

um ihren Alltag, nicht um ihre Geschichte.<br />

Um das tägliche Durchhalten, Weitermachen<br />

und ‚Driften‘, ohne familiären Halt und mit<br />

wenig öffentlicher Unterstützung. Ein schonungsloser<br />

und sehr menschlicher Film über<br />

die Sucht und die prekären Beziehungen der<br />

um sie Kreisenden. „Es war unser Anspruch,<br />

uns als Personen komplett da reinzugeben. Auf<br />

der anderen Seite bist du als Regisseur natürlich<br />

ganz stur auf Material und gute Szenen<br />

angewiesen. Einerseits mussten wir im Sinne<br />

des Films überall dabei sein, andererseits aber<br />

auch das Gefühl behalten, dass wir ein paar Sachen<br />

nicht zeigen wollen, um die Jugendlichen<br />

zu schützen. Und natürlich ist es auch für uns<br />

hart, eine Fixszene zu drehen.“ (Sebastian Heidinger<br />

in der SISSY 02/09)<br />

MILK<br />

USA 2008, Regie: Gus van Sant, Highlight<br />

Ob Milk in 20 Jahren<br />

noch so sehenswert<br />

sein wird wie My own<br />

private Idaho heute,<br />

bleibt abzuwarten. Wo<br />

sich Idaho wegen van<br />

Sants intim-privater<br />

Metaphern in Bild<br />

und Figuren nie ganz<br />

erschließt und geheimnisvoll<br />

anziehend bleibt, ist Milk filmisch gesehen<br />

ein politisches Pamphlet. Ein wichtiges,<br />

großartig gespieltes und gesellschaftlich wirksames,<br />

keine Frage. Aber das Celluloid-Denkmal<br />

für den ersten offen schwulen Politiker der<br />

Welt ist nicht mit Preisen überhäuft worden,<br />

weil ein Meisterregisseur hier etwas filmisch<br />

wirklich Bemerkenswertes abgeliefert hätte.<br />

Sondern weil die Gesamtgesellschaft so weit<br />

war, Schwule im Kino 30 Jahre alte politische<br />

Forderungen stellen zu lassen, die zum großen<br />

Teil immer noch unerfüllt sind. Wer ihr dafür<br />

dankbar ist, hat Harvey Milk nicht verstanden.<br />

Es geht nicht darum, ihn zu feiern und sich<br />

über Erreichtes zu freuen, sondern darum, die<br />

alten Forderungen endlich umzusetzen. Als<br />

Anregung dafür ist van Sants Film so geeignet<br />

wie kaum einer vor ihm und sollte genau deswegen<br />

jetzt von jedem schwulen Mann auf diesem<br />

Planeten gesehen werden. ps<br />

ROSAS RACHE<br />

Filme und tagebücher seit 1960. Hrsg. v. Anke vetter.<br />

Martin Schmitz verlag 2009<br />

MEINE MÜTTER –<br />

SPURENSUCHE IN RIGA.<br />

D 2008, Regie: Rosa von Praunheim, Basis Film<br />

„Das Private ist politisch“,<br />

fand nicht nur<br />

die bundesrepublikanischeSchwulenbewegung<br />

der 70er Jahre,<br />

sondern findet bis heute<br />

Rosa von Praunheim.<br />

15 Jahre nach seiner<br />

Autobiografie mit Tagebuchausschnitten<br />

„50<br />

Jahre pervers“ lässt er nun ein weiteres Mal in<br />

seine Aufzeichnungen blicken. Keine einfache<br />

Aufgabe für die Herausgeberin Anke Vetter,<br />

aus den zahlreichen Kladden eine Auswahl zu<br />

treffen und zur 336 Seiten starken, reich bebilderten<br />

„Rosas Rache“ zusammenzustellen.<br />

Die ersten Einträge aus 1960. Der 17-jährige<br />

Holger nennt sich noch lange nicht Rosa und<br />

vom selbstbewusst kämpferischen Schwulenaktivisten<br />

Praunheim ist noch nichts zu<br />

spüren: Einen Freund, den er in Verdacht hat,<br />

„widergeschlechtlich veranlagt“, zu sein, will<br />

er sich lieber vom Leib halten. Als frischgebackener<br />

Student an der HdK Berlin bereitet ihm<br />

die von Schwulen bevölkerte Welt der Künstler<br />

heftige Sorge: „Es ist so schwer, charakterfest<br />

zu bleiben“. 1962 schließlich hat er zum ersten<br />

Mal Sex mit einem Mann: „Es war ein großes<br />

Erlebnis für mich. Obwohl ich nicht pervers zu<br />

sein glaube, war es für mich so ästhetisch, dass<br />

ich es nicht bereue“. „Rosas Rache“ enthüllt<br />

Praunheims Persönlichkeit wie seine künstlerischen<br />

Überzeugungen: „Ich brauche Leute,<br />

die darauf eingehen, mich anzuregen.“ Solch<br />

Inspirationsquellen findet er immer wieder,<br />

meist sind es kämpferische Frauen und Exzentrikerinnen<br />

wie Lotti Huber, Charlotte von<br />

Mahlsdorf und seine Tante Luzi Krynn (Die<br />

Bettwurst). Nicht mit allen klappt die kreative<br />

Symbiose. Die Faszination für die „völlig ver-<br />

rückte“ und „irre provozierende“ Nina Hagen<br />

schlägt nach wenigen Wochen der Zusammenarbeit<br />

um. „Ich sehe sie immer mehr als kapitalistische<br />

Glamourhure. Erfolg um jeden Preis,<br />

absolut egozentrisch. Ich sehe nichts Progressives<br />

mehr an ihr.“<br />

Aber auch gegen sich selbst ist Praunheim<br />

schonungslos. Er klagt über Geldsorgen und<br />

mangelnde Anerkennung und gesteht seinen<br />

Neid auf den Erfolg von Regiekollegen wie<br />

Werner Herzog, Tom Tykwer und Rainer Werner<br />

Fassbinder.<br />

„Filme zu machen ist nicht die Hauptsache, die<br />

Hauptsache ist, intensiv zu leben: Erfahrungen,<br />

Abenteuer, Erkenntnisse“ (1972).<br />

„Auf den Friedhof zu<br />

Mutter, anschließend<br />

in das Pornokino“<br />

heißt es einmal lapidar.<br />

Erst kurz vor ihrem<br />

Tod hatte Gertrud<br />

Mischwitzky, mit der<br />

er viele Jahre zusammen<br />

in seiner Berliner<br />

Wohnung zusammengelebt<br />

hatte, ihm offenbart, dass er nicht ihr<br />

leiblicher Sohn, sondern ein Kind aus einem<br />

Rigaer Waisenhaus ist. Die Suche nach seiner<br />

wahren Mutter, die ihn tief in die Geschichte<br />

Lettlands und in die Zeit der Besatzung durch<br />

die deutsche Wehrmacht führte, dokumentiert<br />

Praunheim in seinem berührenden Film<br />

Meine Mütter, der nun als DVD erschienen ist.<br />

Die Recherche ist nach vielen Irrwegen zuletzt<br />

schließlich erfolgreich. „Der Tag, vor dem ich<br />

mich gefürchtet hatte, der Dreh im Zentralgefängnis<br />

von Riga. Ich bekam Panik, als ich<br />

vor dem Tor stand. (…) Ein Oberarzt und eine<br />

Wärterin führten uns in einen kleinen Raum<br />

mit einem gynäkologischen Stuhl. Sehr wahrscheinlich<br />

bin ich hier geboren worden“, notiert<br />

er während der Dreharbeiten im Tagebuch.<br />

Im Interview, das der DVD als Bonus beigegeben<br />

ist, resümiert Praunheim: „Mein Passname<br />

ist Holger Mischwitzig, mein Geburtsname<br />

Holger Radke. Mein Künstlername ist Rosa<br />

von Praunheim (…) Das ist der Name auf den<br />

ich stolz bin. Ich habe mich selbst geschaffen,<br />

so wie ich mich empfinde und trotzdem bin ich<br />

meinen beiden Müttern dankbar.“ as<br />

NACHRUF<br />

von jan künemund<br />

zum tod von Pina Bausch (1940–2009)<br />

s www.youtube.com/watch?v=8rK6TJyGAHw: Ein Mann mit unbeweglichem<br />

Gesichtsausdruck. Nach dem Orchestervorspiel singt eine<br />

Frau „The Man I Love“ von George Gershwin. Der Mann übersetzt<br />

die Zeilen des Lieds in Gebärden. Bei „big and strong“: großer Bizeps.<br />

Bei „smile“: nach oben gerichtete Mundwinkel. Bei „understand“:<br />

Zeigefinder, der von der Stirn auffährt. Bei „who would? would you?“:<br />

ein mehrfaches Hin und Her der Hand zu sich und von sich weg.<br />

Lutz Förster tanzt „The Man I Love“ im Stück „Nelken“ von Pina<br />

Bausch, die am 30. Juni verstarb. In ihrem Tanztheater waren die<br />

Tänzer nie abstrakte Zeichen im Raum, sondern Körper, angefüllt mit<br />

Begehren, Aggression, Zärtlichkeit, Sehnsucht. Der Tanz von Förster<br />

entstand aus dem erinnerten Versuch, einem tauben Mann seine<br />

Liebe zu gestehen – Pina Bausch machte daraus die bewegte Tragödie<br />

eines Menschen, der seine Gefühle nicht artikulieren kann.<br />

Some day he’ll come along, the man I love;<br />

And he’ll be big and strong, the man I love;<br />

And when he comes my way, I’ll do my best to make him stay.<br />

Eine gestreckte<br />

Hand zwischen<br />

den Augen („The“)<br />

wird zur Brust<br />

heruntergenommen<br />

(„Man“), vor<br />

der Brust bilden<br />

die drei mittleren<br />

Finger eine Höhle,<br />

der Daumen zeigt<br />

zum Brustkorb,<br />

der gespreizte kleine Finger zeigt nach außen („I“), beide Arme werden<br />

über der Brust verschränkt, die Hände zur Faust geschlossen<br />

(„Love“).<br />

Pina Bausch im Film: Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?<br />

(Klaus Wildenhahn 1983), Fellinis Schiff der Träume (Federico<br />

Fellini 1983), Eines Tages fragte mich Pina (Chantal Akerman 1985),<br />

A Primer for Pina (Susan Sontag 1985), Die Klage der Kaiserin (Pina<br />

Bausch 1989), Damen und Herren ab 65 (Lilo Mangelsdorff 2002),<br />

Sprich mit ihr (Pedro Almodóvar 2002), Coffee with Pina (Lee Yanor<br />

2003, Bild oben) s<br />

32 33<br />

lEE YANOR (FilMStill AUS „A cOFFEE WitH PiNA“)<br />

PiNA BAUScH (FilMStill AUS „NElKEN – lES OEillEtS“, 1983)<br />

nachruf<br />

EIN GUTES BUCH.<br />

EIN GUTER FILM.<br />

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Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BERLIN B_BOOKS Lübbenerstraße 14 · BRUNO’S Bülowstraße 106,<br />

030/61500385 · BRUNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · DUSS-<br />

MANN Friedrichstraße 90 · GALERIE JANSSEN Pariser Straße 45,<br />

030/8811590 · KADEWE Tauentzienstraße 21–24 · MEDIA MARKT ALEXA<br />

Grunerstraße 20 · MEDIA MARKT NEUKöLLN Karl-Marx-Straße 66 · NEGA-<br />

TIVELAND Dunckerstraße 9 · PRINz EISENHERz BUCHLADEN Lietzenburger<br />

Straße 9a, 030/3139936 · SATURN ALEXANDERPLATz Alexanderplatz 7<br />

· SATURN EUROPACENTER Tauentzienstraße 9 · VIDEO WORLD Kottbusser<br />

Damm 73 · VIDEODROM Fürbringer Straße 17 BOCHUM SATURN Kortumstraße<br />

72 DARMSTADT SATURN Ludwigplatz 6 DORTMUND LIT-<br />

FASS DER BUCHLADEN Münsterstraße 107, 0231/834724 DÜSSEL-<br />

DORF BOOKXXX Bismarckstraße 86, 0211/356750 · SATURN Königsallee<br />

56 · SATURN Am Wehrhahn 1 FRANKFURT/MAIN OSCAR WILDE<br />

BUCHHANDLUNG Alte Gasse 51, 069/281260 · SATURN Zeil 121 HAM-<br />

BURG BUCHLADEN MäNNERSCHWARM Lange Reihe 102, 040/436093<br />

· BRUNO’S Lange Reihe/Danziger Straße 70, 040/98238081 · CLEMENS<br />

Clemens-Schultz-Straße 77 · EMPIRE MEGASTORE Bahrenfelder Straße<br />

242–244 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz 15 KöLN BRUNO’S<br />

Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA MARKT Hohe Straße 121 · SATURN<br />

Hansaring 97 · SATURN Hohe Straße 41–53 · VIDEOTAXI Hohenzollernring<br />

75–77 LEIPzIG LEHMANNS BUCHHANDLUNG Grimmaische Straße<br />

10 MANNHEIM DER ANDERE BUCHLADEN M2 1, 0621/21755 MÜN-<br />

CHEN BRUNO’S Thalkirchner Straße 4, 089/97603858 · LILLEMOR’S FRAU-<br />

ENBUCHLADEN Barerstraße 70, 089/2721205 · MAX & MILIAN Ickstattstraße<br />

2, 089/2603320 · SATURN Schwanthalerstraße 115 · SATURN Neuhauser<br />

Straße 39 STUTTGART BUCHLADEN ERLKöNIG Nesenbachstraße 52,<br />

0711/639139 TRIER MEDIA MARKT Ostallee 3–5 TÜBINGEN FRAU-<br />

ENBUCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590<br />

HANDLUNG LöWENHERz Berggasse 8, + 43/1/13172982<br />

WIEN BUCH-<br />

KINOS<br />

Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

ASCHAFFENBURG CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse 1,<br />

06021/4510772 AUGSBURG CINEMAXX Willy-Brandt-Platz 2,<br />

01805/24636299 BERLIN ARSENAL Potsdamer Straße 2, 030/26955100<br />

· KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · XENON KINO<br />

Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · CINEMAXX POTSDAMER PLATz Potsdamer<br />

Straße 5, 01805/24636299 · EISzEIT Zeughofstraße 20, 030/6116016<br />

· FSK AM ORANIENPLATz Segitzdamm 2, 030/6142464 BIELEFELD CI-<br />

NEMAXX Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 BOCHUM ENDSTATION<br />

KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BRE-<br />

MEN KINO 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CINEMAXX Breitenweg<br />

27, 01805/24636299 DRESDEN KID – KINO IM DACH Schandauer<br />

Straße 64, 0351/3107373 · CINEMAXX Hüblerstraße 8, 01805/24636299 ES-<br />

SEN CINEMAXX Berliner Platz 4–5, 01805/24636299 ESSLIN-<br />

GEN KOMMUNALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 FRANKFURT/<br />

MAIN MAL SEH’N Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · ORFEOS ER-<br />

BEN Hamburger Allee 45, 069/70769100 FREIBURG KOMMUNALES<br />

KINO Urachstraße 40, 0761/709033 · CINEMAXX Bertholdstraße 50,<br />

01805/24636299 GöTTINGEN KINO LUMIèRE Geismar Landstraße<br />

19, 0551/484523 HAMBURG METROPOLIS KINO Steindamm 52–54,<br />

040/342353 · CINEMAXX WANDSBEK Quarree 8–10, 01805/24636299 HAN-<br />

NOVER APOLLO STUDIO Limmerstraße 50, 0511/452438 · CINEMAXX<br />

Nikolaistraße 8, 01805/24636299 · KINO IM KÜNSTLERHAUS Sophienstraße<br />

2, 0511/16845522 KARLSRUHE KINEMATHEK KARLSRUHE KINO IM<br />

PRINz-MAX-PALAIS Karlstraße 10, 0721/25041 KIEL DIE PUMPE – KOM-<br />

MUNALES KINO Haßstraße 22, 0431/2007650 · CINEMAXX Kaistraße 54–56,<br />

01805/24636299 KöLN FILMPALETTE Lübecker Straße 15, 0221/122112<br />

· KöLNER FILMHAUS Maybachstraße 111, 0221/2227100 KONS-<br />

TANz zEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 LEIPzIG PAS-<br />

SAGE KINO Hainstraße 19 a, 0341/2173865 MAGDEBURG CINEMAXX<br />

Kantstraße 6, 01805/24636299 MANNHEIM CINEMA qUADRAT Collinistraße<br />

5, 0621/1223454 MARBURG CINEPLEX Biegenstraße 1a,<br />

06421/17300 MÜNCHEN NEUES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-<br />

Straße 7, 089/2603265 · CITY KINO Sonnenstraße 12, 089/591983 · CINE-<br />

MAXX Isartorplatz 8, 01805/24636299 MÜNSTER CINEMA FILMTHEA-<br />

TER Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 NÜRNBERG KOMMKINO<br />

Königstraße 93, 0911/2448889 OFFENBACH CINEMAXX Berliner Straße<br />

210, 01805/24636299 OLDENBURG CINE K Bahnhofstraße 11,<br />

0441/2489646 · CINEMAXX Stau 79–85, 01805/24636299 POTSDAM<br />

THALIA ARTHOUSE Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 RE-<br />

GENSBURG WINTERGARTEN Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CINEMAXX<br />

Friedenstraße 25, 01805/24636299 SAARBRÜCKEN KINO ACHTEINHALB<br />

Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAUS Mainzer Straße<br />

8, 0681/372570 SCHWEINFURT KUK – KINO UND KNEIPE Ignaz-Schön-<br />

Straße 32, 09721/82358 STUTTGART CINEMAXX AN DER LIEDERHALLE<br />

Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299 TRIER BROADWAY FILMTHEATER<br />

Paulinstraße 18, 0651/96657200 WEITERSTADT KOMMUNALES KINO<br />

Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 WUPPERTAL CI-<br />

NEMAXX Bundesallee 250, 01805/24636299 1181<br />

Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299<br />

WÜRzBURG CINEMAXX<br />

34<br />

Impressum<br />

Herausgeber Björn Koll<br />

Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

Art Director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

Autoren Thomas Abeltshauser, Birgit Binder, Martin Büsser, Citizen_B, Jessica<br />

Ellen, Patrick Heidmann, Egbert Hörmann, Klaus Kalchschmidt, Jan<br />

Künemund, Silvy Pommerenke, Rosa von Praunheim, Oliver Sechting,<br />

Axel Schock, Paul Schulz, Rüdiger Suchsland, André Wendler, Sascha<br />

Westphal<br />

Dank an Harald Eck, Sarah Jäckel, Tobias Rauscher, Nadja Talmi<br />

Lektorat Rut Ferner<br />

Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Druck Westermann, Braunschweig<br />

Rechte Digitale oder analoge Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung<br />

oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder bedürfen einer<br />

schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

Verteilung deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-<br />

Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Freiburg,<br />

Hamburg-Wandsbek, Hannover, Kiel, Magdeburg, München, Offenbach,<br />

Oldenburg, Regensburg, Stuttgart, Wuppertal, Würzburg und weiteren<br />

ausgewählten Orten.<br />

Haftung Für die gelisteten Termine und Preise können wir keine Garantie geben.<br />

Termin-Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />

Anzeigen Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom Januar 2009.<br />

Abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren. E-Mail genügt:<br />

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SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).<br />

Unterstützung SISSY bedankt sich bei der Filmförderungsanstalt FFA<br />

Esst mehr Obst!<br />

ISSN 1868-4009<br />

Aus „Kameraden“ von Steve Kokker<br />

Gay-Filmnacht<br />

im CinemaxX<br />

SEPTEMBER<br />

Mulligans<br />

von Chip Hale<br />

OKTOBER<br />

Der Mann, der Yngve liebte<br />

von Stian Kristiansen<br />

NOVEMBER<br />

Straight Jacket<br />

von Richard Day<br />

L-Filmnacht<br />

im CinemaxX<br />

MULLIGANS ELOÏSE<br />

SEPTEMBER<br />

Eloïse<br />

von Jesús Garay<br />

OKTOBER<br />

Kommt Mausi raus?!<br />

von Alexander Scherer und Angelina Maccarone<br />

NOVEMBER<br />

Emma & Marie<br />

von Sophie Laloy<br />

INFOS UND TERMINE: GAY-FILMNACHT.DE · L-FILMNACHT.DE · KARTEN: CINEMAXX.DE


Das wissenschaftliche PARSHIP-Prinzip®<br />

„Liebe ist,<br />

niemals um<br />

Verzeihung<br />

bitten zu<br />

müssen.“<br />

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Jetzt kostenlos anmelden<br />

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die Community:<br />

gay-PARSHIP ist<br />

offizieller Sponsor<br />

der 8. Gay Games<br />

in Köln.<br />

de<br />

Die große Liebe finden

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