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kino<br />
NaRzISSteN<br />
uNteR SIch<br />
von SaScha WeStphal<br />
Das Wunderkind xavier Dolan präsentiert in seinem zweiten Spielfilm die Chronik einer ménage à trois in<br />
Gedanken. „Herzensbrecher“ startet am 7. Juli in den Kinos.<br />
s Es muss einfach Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick gewesen sein. Alles<br />
andere wäre auch undenkbar. Schließlich war sie mit einmal da, die<br />
Antwort <strong>auf</strong> alle seit langem schwelenden, aber immer wieder verdrängten<br />
Hoffnungen und Sehnsüchte. Jeder von ihnen wusste, dass<br />
etwas fehlte in ihrem Leben, dass da eine Leere war, die weiter und<br />
weiter wuchs und gefüllt werden wollte. Und nun stand es also vor<br />
ihnen, in greifbarer Nähe, das ideale Objekt aller Begierden: bildschön<br />
und unberechenbar, impulsiv und geheimnisvoll, ein wenig zu<br />
selbstverliebt, aber dabei irgendwie doch ganz natürlich, fast schon<br />
unschuldig. Es ist Projektionsfläche und mehr noch Spiegel. Wenn der<br />
verklärte, allein von Wunschvorstellungen und Idealen erfüllte Blick<br />
des Betrachters <strong>auf</strong> ihn fällt, dann sieht er im Anderen nichts als seine<br />
scheinbar endlich wahr gewordenen Fantasien und Träume, also letzten<br />
Endes doch nur sich selbst.<br />
So in etwa ließe sich die Grundkonstellation in Herzensbrecher,<br />
Xavier Dolans zweitem Spielfilm, beschreiben, der im Original den<br />
noch weitaus verräterischeren Titel Les amours imaginaires trägt …<br />
die eingebildete Liebe, gleich auch noch in der Mehrzahl, so, als ob es<br />
gar keine andere gäbe, und zumindest in der Welt dieses Films gibt es<br />
sie auch nicht. Jede Liebe ist reine Imagination, Wunschdenken, das<br />
umschlägt in Obsession und Stalking. Doch erst einmal soll hier von<br />
einer ganz anderen Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick die Rede sein.<br />
Es muss ein denkwürdiger Frühlingstag gewesen sein, dieser<br />
18. Mai 2009, an dem Xavier Dolans Regiedebüt J’ai tué ma mère<br />
KooL FILM<br />
(I Killed My Mother) seine Premiere in<br />
Cannes feierte. Die Geschichte des Films,<br />
dessen autobiographisch eingefärbtes Drehbuch<br />
Dolan mit siebzehn geschrieben und<br />
dann mit neunzehn selbst in Szene gesetzt<br />
hat, ist mittlerweile eine Legende, genauso<br />
wie der Festival<strong>auf</strong>tritt seines Regisseurs,<br />
der zugleich auch noch sein eigener Hauptdarsteller<br />
und Produzent war. Seither sind<br />
es immer wieder die gleichen Adjektive und<br />
Formulierungen, die in den Texten über ihn<br />
und seine Filme <strong>auf</strong>tauchen. Er selbst wird<br />
als jung und schön, wenn auch ein wenig<br />
selbstverliebt und eitel beschrieben. Und<br />
das sind dann auch gleich die Etiketten, mit<br />
denen J’ai tué ma mère und Les amours imaginaires,<br />
der nur ein Jahr später, wieder in<br />
Cannes, ur<strong>auf</strong>geführt wurde, immer wieder<br />
gerne versehen werden.<br />
Es geht schließlich auch alles so perfekt<br />
zusammen: Dolans Alter und der betont<br />
jugendliche Habitus seiner Filme, sein Aussehen<br />
wie sein Auftreten und die Selbstsicherheit,<br />
mit der er sich durch die Geschichte<br />
des Autorenkinos zitiert. In einer Welt, die<br />
sich nach dem noch nie Dagewesenen verzehrt,<br />
die immer <strong>auf</strong> der Suche ist nach neuen<br />
Moden, in der Jugend an sich schon etwas<br />
Kultisches hat und also verehrt wird, musste<br />
Dolan einfach zum It-Boy der Saison werden,<br />
und dass er dann auch noch derart selbstverständlich<br />
schwul ist, passte nun endlich auch<br />
einmal perfekt ins Bild.<br />
Wie schon erwähnt, es war einfach Liebe<br />
<strong>auf</strong> den ersten Blick, und wahrscheinlich<br />
hatten weder das Publikum noch die ansonsten<br />
eher etwas zurückhaltende Kritik je<br />
eine Chance. Der Zauber musste sie einfach<br />
erfassen. Schließlich glichen Filmemacher<br />
und Werk einer Antwort <strong>auf</strong> ihre Kinostoßgebete.<br />
Mit ihnen wurde wenigstens dem<br />
Anschein nach alles real, was zuvor nur als<br />
vage Sehnsucht durch Köpfe und Herzen<br />
geisterte. Eine große Liebe war geboren …<br />
und wie alle welterschütternden Leidenschaften<br />
kann auch diese – folgt man Xavier<br />
Dolan – nur eine imaginäre sein, eine einseitige<br />
Einbildung, die ihr Objekt eigentlich<br />
gar nicht berührt und es doch in Krisen und<br />
Konflikte stürzen kann.<br />
Am Anfang ist der Blick, und der fällt<br />
sogleich <strong>auf</strong> den blond gelockten Nicolas, in<br />
dessen rechtem Mundwinkel gerade eine<br />
noch nicht angezündete Zigarette äußerst<br />
lässig hängt. Er ist ohne Frage der Star dieses<br />
Abends unter Freunden. Sie sitzen zwar<br />
alle im Kreis um einen runden Esstisch, aber<br />
er, der <strong>Neu</strong>e, der gerade aus der Provinz nach<br />
Montreal gekommen ist, steht im Zentrum<br />
der Aufmerksamkeit. Die versammelte Clique<br />
von hippen twentysomethings setzt sich<br />
für ihn in Szene, und er lässt es sich mit größter<br />
Nonchalance gefallen, als wäre er sich<br />
seiner Wirkung gar nicht bewusst.<br />
Die Blicke, die ihn isolieren und die anderen<br />
um ihn herum einfach ausblenden, kommen<br />
indes aus der Küche, in der Marie und<br />
Francis, zwei gleichgesinnte Außenseiter,<br />
die glauben, über allem zu stehen, gerade<br />
den nächsten Gang zubereiten. Während sie<br />
nebeneinander an der Arbeitsplatte stehen<br />
und Gemüse schneiden, drehen sie immer<br />
wieder den Kopf zur Seite, um Nicolas zu<br />
beobachten. Dann geschieht alles in Zeitlupe.<br />
Jede seiner so selbstvergessen wirkenden<br />
Gesten hat für Marie und Francis etwas Verheißungsvolles,<br />
wird zu einem Versprechen.<br />
Selbst der Rauch seiner Zigarette steigt in<br />
magischen Formen <strong>auf</strong>. Es ist eben Liebe <strong>auf</strong><br />
den ersten Blick, auch wenn Marie ihren besten<br />
Freund voller <strong>auf</strong>gesetzter Verachtung<br />
fragt, wer denn dieser „selbstgefällige Adonis“<br />
sei. Sie muss ihre Gefühle in Schach halten<br />
und die Form wahren … für Francis, aber<br />
mehr noch für sich selbst. In Wahrheit ist es<br />
da jedoch schon längst um sie geschehen.<br />
Wir müssen uns Narcissus als glücklichen<br />
Menschen vorstellen. Diese Idee erscheint<br />
absurd, geradezu abstrus und abwegig, aber<br />
nur wenn wir Ovids Erzählung folgen und<br />
uns dessen moralische Haltung zu eigen<br />
machen. Der so überaus schöne Jüngling<br />
wird das Opfer seines „fühllosen Hochmuts“<br />
(Ovid), er muss dafür bezahlen, dass er all<br />
jene, die ihn bedrängt und verfolgt, begehrt<br />
und verehrt haben, verschmäht hat. Das<br />
mag gerecht erscheinen, ist es aber nicht:<br />
Schließlich haben sie alle nicht ihn, sondern<br />
allein seine Schönheit geliebt. Sie wollten sie<br />
besitzen, denn sie war ein Versprechen, das<br />
ihnen Antwort <strong>auf</strong> ihre Wünsche und Sehnsüchte<br />
war. Doch die Moral der Geschichte<br />
misst eben mit zweierlei Maß. Also muss er<br />
sich in sein eigenes Bild, eine Spiegelung <strong>auf</strong><br />
der Oberfläche eines Sees, verlieben. Selbst<br />
als er sein so nahes und doch unerreichbares<br />
Gegenüber erkennt, kommt er doch nicht von<br />
ihm los. Erst der Tod befreit ihn. Die Rache<br />
der Götter und der Verschmähten, die sich<br />
doch nur selbst belügen, ist wahrhaft grausam.<br />
Noch ist es natürlich viel zu früh, um<br />
von Xavier Dolans Werk als einem Projekt<br />
zu sprechen. Gerade einmal zwei Filme<br />
und einige Auftritte in den Arbeiten anderer<br />
Regisseure sind noch kein Œuvre. Doch<br />
eines zeichnet sich dennoch schon deutlich<br />
ab. Immer wieder kreist Dolans Schaffen um<br />
den Mythos von Narcissus. In Étienne Desrosiers’<br />
Kurzfilm Im Spiegel des Sommers<br />
(2006) spielt er einen modernen Narcissus,<br />
einen Jüngling von atemberaubender Schönheit,<br />
<strong>auf</strong> den sich alle Blicke richten, die des<br />
älteren schwulen Freundes der Eltern wie<br />
auch die von dessen Geliebten. Immer wieder<br />
zeigt Desrosiers diesen Julien, wie er<br />
ganz im Einklang mit sich und der Welt in<br />
einem See schwimmt. Wie einstmals James<br />
Bidgood, der mit Pink Narcissus eine ganz<br />
private Obsession in ein Meisterwerk des<br />
Camps verwandelt hat, frönt auch Desrosiers<br />
unzweifelhaft seinen Phantasien, und Xavier<br />
Dolan spielt mit. Aber auch wenn dieser doch<br />
sehr konventionelle Kurzfilm sich heillos<br />
in schon unzählige Male gesehenen Arthouse-Prätentionen<br />
verliert und sich damit<br />
jeder Vergleich mit Bidgoods Underground-<br />
Klassiker eigentlich verbietet, bleiben diese<br />
Bilder von Xavier Dolan im See: Narcissus<br />
schwimmt und entkommt seinem Schicksal:<br />
„In the waters made holy, an angel he found /<br />
With the key to the lock of his chains he was<br />
bound“ (Kris Rowley, „Narcissus“).<br />
Von allen Künsten war die siebte eigentlich<br />
immer schon die narzisstischste. Jeder<br />
Star, den sie hervorgebracht hat, hat etwas<br />
von Narcissus. Wie der Nymphensohn der<br />
griechischen Mythologie, der von Männern<br />
6 7<br />
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