12.11.2012 Aufrufe

Neu auf dvd - Sissy

Neu auf dvd - Sissy

Neu auf dvd - Sissy

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

kino<br />

NaRzISSteN<br />

uNteR SIch<br />

von SaScha WeStphal<br />

Das Wunderkind xavier Dolan präsentiert in seinem zweiten Spielfilm die Chronik einer ménage à trois in<br />

Gedanken. „Herzensbrecher“ startet am 7. Juli in den Kinos.<br />

s Es muss einfach Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick gewesen sein. Alles<br />

andere wäre auch undenkbar. Schließlich war sie mit einmal da, die<br />

Antwort <strong>auf</strong> alle seit langem schwelenden, aber immer wieder verdrängten<br />

Hoffnungen und Sehnsüchte. Jeder von ihnen wusste, dass<br />

etwas fehlte in ihrem Leben, dass da eine Leere war, die weiter und<br />

weiter wuchs und gefüllt werden wollte. Und nun stand es also vor<br />

ihnen, in greifbarer Nähe, das ideale Objekt aller Begierden: bildschön<br />

und unberechenbar, impulsiv und geheimnisvoll, ein wenig zu<br />

selbstverliebt, aber dabei irgendwie doch ganz natürlich, fast schon<br />

unschuldig. Es ist Projektionsfläche und mehr noch Spiegel. Wenn der<br />

verklärte, allein von Wunschvorstellungen und Idealen erfüllte Blick<br />

des Betrachters <strong>auf</strong> ihn fällt, dann sieht er im Anderen nichts als seine<br />

scheinbar endlich wahr gewordenen Fantasien und Träume, also letzten<br />

Endes doch nur sich selbst.<br />

So in etwa ließe sich die Grundkonstellation in Herzensbrecher,<br />

Xavier Dolans zweitem Spielfilm, beschreiben, der im Original den<br />

noch weitaus verräterischeren Titel Les amours imaginaires trägt …<br />

die eingebildete Liebe, gleich auch noch in der Mehrzahl, so, als ob es<br />

gar keine andere gäbe, und zumindest in der Welt dieses Films gibt es<br />

sie auch nicht. Jede Liebe ist reine Imagination, Wunschdenken, das<br />

umschlägt in Obsession und Stalking. Doch erst einmal soll hier von<br />

einer ganz anderen Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick die Rede sein.<br />

Es muss ein denkwürdiger Frühlingstag gewesen sein, dieser<br />

18. Mai 2009, an dem Xavier Dolans Regiedebüt J’ai tué ma mère<br />

KooL FILM<br />

(I Killed My Mother) seine Premiere in<br />

Cannes feierte. Die Geschichte des Films,<br />

dessen autobiographisch eingefärbtes Drehbuch<br />

Dolan mit siebzehn geschrieben und<br />

dann mit neunzehn selbst in Szene gesetzt<br />

hat, ist mittlerweile eine Legende, genauso<br />

wie der Festival<strong>auf</strong>tritt seines Regisseurs,<br />

der zugleich auch noch sein eigener Hauptdarsteller<br />

und Produzent war. Seither sind<br />

es immer wieder die gleichen Adjektive und<br />

Formulierungen, die in den Texten über ihn<br />

und seine Filme <strong>auf</strong>tauchen. Er selbst wird<br />

als jung und schön, wenn auch ein wenig<br />

selbstverliebt und eitel beschrieben. Und<br />

das sind dann auch gleich die Etiketten, mit<br />

denen J’ai tué ma mère und Les amours imaginaires,<br />

der nur ein Jahr später, wieder in<br />

Cannes, ur<strong>auf</strong>geführt wurde, immer wieder<br />

gerne versehen werden.<br />

Es geht schließlich auch alles so perfekt<br />

zusammen: Dolans Alter und der betont<br />

jugendliche Habitus seiner Filme, sein Aussehen<br />

wie sein Auftreten und die Selbstsicherheit,<br />

mit der er sich durch die Geschichte<br />

des Autorenkinos zitiert. In einer Welt, die<br />

sich nach dem noch nie Dagewesenen verzehrt,<br />

die immer <strong>auf</strong> der Suche ist nach neuen<br />

Moden, in der Jugend an sich schon etwas<br />

Kultisches hat und also verehrt wird, musste<br />

Dolan einfach zum It-Boy der Saison werden,<br />

und dass er dann auch noch derart selbstverständlich<br />

schwul ist, passte nun endlich auch<br />

einmal perfekt ins Bild.<br />

Wie schon erwähnt, es war einfach Liebe<br />

<strong>auf</strong> den ersten Blick, und wahrscheinlich<br />

hatten weder das Publikum noch die ansonsten<br />

eher etwas zurückhaltende Kritik je<br />

eine Chance. Der Zauber musste sie einfach<br />

erfassen. Schließlich glichen Filmemacher<br />

und Werk einer Antwort <strong>auf</strong> ihre Kinostoßgebete.<br />

Mit ihnen wurde wenigstens dem<br />

Anschein nach alles real, was zuvor nur als<br />

vage Sehnsucht durch Köpfe und Herzen<br />

geisterte. Eine große Liebe war geboren …<br />

und wie alle welterschütternden Leidenschaften<br />

kann auch diese – folgt man Xavier<br />

Dolan – nur eine imaginäre sein, eine einseitige<br />

Einbildung, die ihr Objekt eigentlich<br />

gar nicht berührt und es doch in Krisen und<br />

Konflikte stürzen kann.<br />

Am Anfang ist der Blick, und der fällt<br />

sogleich <strong>auf</strong> den blond gelockten Nicolas, in<br />

dessen rechtem Mundwinkel gerade eine<br />

noch nicht angezündete Zigarette äußerst<br />

lässig hängt. Er ist ohne Frage der Star dieses<br />

Abends unter Freunden. Sie sitzen zwar<br />

alle im Kreis um einen runden Esstisch, aber<br />

er, der <strong>Neu</strong>e, der gerade aus der Provinz nach<br />

Montreal gekommen ist, steht im Zentrum<br />

der Aufmerksamkeit. Die versammelte Clique<br />

von hippen twentysomethings setzt sich<br />

für ihn in Szene, und er lässt es sich mit größter<br />

Nonchalance gefallen, als wäre er sich<br />

seiner Wirkung gar nicht bewusst.<br />

Die Blicke, die ihn isolieren und die anderen<br />

um ihn herum einfach ausblenden, kommen<br />

indes aus der Küche, in der Marie und<br />

Francis, zwei gleichgesinnte Außenseiter,<br />

die glauben, über allem zu stehen, gerade<br />

den nächsten Gang zubereiten. Während sie<br />

nebeneinander an der Arbeitsplatte stehen<br />

und Gemüse schneiden, drehen sie immer<br />

wieder den Kopf zur Seite, um Nicolas zu<br />

beobachten. Dann geschieht alles in Zeitlupe.<br />

Jede seiner so selbstvergessen wirkenden<br />

Gesten hat für Marie und Francis etwas Verheißungsvolles,<br />

wird zu einem Versprechen.<br />

Selbst der Rauch seiner Zigarette steigt in<br />

magischen Formen <strong>auf</strong>. Es ist eben Liebe <strong>auf</strong><br />

den ersten Blick, auch wenn Marie ihren besten<br />

Freund voller <strong>auf</strong>gesetzter Verachtung<br />

fragt, wer denn dieser „selbstgefällige Adonis“<br />

sei. Sie muss ihre Gefühle in Schach halten<br />

und die Form wahren … für Francis, aber<br />

mehr noch für sich selbst. In Wahrheit ist es<br />

da jedoch schon längst um sie geschehen.<br />

Wir müssen uns Narcissus als glücklichen<br />

Menschen vorstellen. Diese Idee erscheint<br />

absurd, geradezu abstrus und abwegig, aber<br />

nur wenn wir Ovids Erzählung folgen und<br />

uns dessen moralische Haltung zu eigen<br />

machen. Der so überaus schöne Jüngling<br />

wird das Opfer seines „fühllosen Hochmuts“<br />

(Ovid), er muss dafür bezahlen, dass er all<br />

jene, die ihn bedrängt und verfolgt, begehrt<br />

und verehrt haben, verschmäht hat. Das<br />

mag gerecht erscheinen, ist es aber nicht:<br />

Schließlich haben sie alle nicht ihn, sondern<br />

allein seine Schönheit geliebt. Sie wollten sie<br />

besitzen, denn sie war ein Versprechen, das<br />

ihnen Antwort <strong>auf</strong> ihre Wünsche und Sehnsüchte<br />

war. Doch die Moral der Geschichte<br />

misst eben mit zweierlei Maß. Also muss er<br />

sich in sein eigenes Bild, eine Spiegelung <strong>auf</strong><br />

der Oberfläche eines Sees, verlieben. Selbst<br />

als er sein so nahes und doch unerreichbares<br />

Gegenüber erkennt, kommt er doch nicht von<br />

ihm los. Erst der Tod befreit ihn. Die Rache<br />

der Götter und der Verschmähten, die sich<br />

doch nur selbst belügen, ist wahrhaft grausam.<br />

Noch ist es natürlich viel zu früh, um<br />

von Xavier Dolans Werk als einem Projekt<br />

zu sprechen. Gerade einmal zwei Filme<br />

und einige Auftritte in den Arbeiten anderer<br />

Regisseure sind noch kein Œuvre. Doch<br />

eines zeichnet sich dennoch schon deutlich<br />

ab. Immer wieder kreist Dolans Schaffen um<br />

den Mythos von Narcissus. In Étienne Desrosiers’<br />

Kurzfilm Im Spiegel des Sommers<br />

(2006) spielt er einen modernen Narcissus,<br />

einen Jüngling von atemberaubender Schönheit,<br />

<strong>auf</strong> den sich alle Blicke richten, die des<br />

älteren schwulen Freundes der Eltern wie<br />

auch die von dessen Geliebten. Immer wieder<br />

zeigt Desrosiers diesen Julien, wie er<br />

ganz im Einklang mit sich und der Welt in<br />

einem See schwimmt. Wie einstmals James<br />

Bidgood, der mit Pink Narcissus eine ganz<br />

private Obsession in ein Meisterwerk des<br />

Camps verwandelt hat, frönt auch Desrosiers<br />

unzweifelhaft seinen Phantasien, und Xavier<br />

Dolan spielt mit. Aber auch wenn dieser doch<br />

sehr konventionelle Kurzfilm sich heillos<br />

in schon unzählige Male gesehenen Arthouse-Prätentionen<br />

verliert und sich damit<br />

jeder Vergleich mit Bidgoods Underground-<br />

Klassiker eigentlich verbietet, bleiben diese<br />

Bilder von Xavier Dolan im See: Narcissus<br />

schwimmt und entkommt seinem Schicksal:<br />

„In the waters made holy, an angel he found /<br />

With the key to the lock of his chains he was<br />

bound“ (Kris Rowley, „Narcissus“).<br />

Von allen Künsten war die siebte eigentlich<br />

immer schon die narzisstischste. Jeder<br />

Star, den sie hervorgebracht hat, hat etwas<br />

von Narcissus. Wie der Nymphensohn der<br />

griechischen Mythologie, der von Männern<br />

6 7<br />

kino<br />

KooL FILM

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!