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frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />
maturgie und wirkt daher zwar solide, aber<br />
auch ein wenig bieder und vorhersehbar. Das<br />
Prädikat „sehenswert“ verdient sie dennoch<br />
dank Hollywoods Dauerunsympathen Henry<br />
Czerny (Das Kartell, Mission: Impossible, Der<br />
Exorzismus von Emily Rose), dem ein ebenso<br />
vielschichtiges wie erschreckendes Psychogramm<br />
Pater Lavins gelingt. cm<br />
TO dIE LIKE A MAN<br />
PT/Fr 2009, regie: João Pedro rodrigues, Edition Salzgeber<br />
„Als glamouröse Drag<br />
Queen mit einer langen<br />
blonden Lockenperücke<br />
war Tonia über Jahre hinweg<br />
der große Star des<br />
Clubs. Nur wird sie nun<br />
langsam älter. Zudem hatten<br />
ihr immer Kraft und<br />
Mut gefehlt, ihre Verwandlung<br />
endgültig zu machen.<br />
Alles in Rodrigues’ grandiosem Melo-Drama<br />
verweist <strong>auf</strong> die Konstruktionen von Weiblichkeit,<br />
die in der Welt der Transvestiten und<br />
Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben<br />
solche erweisen. Das Weibliche ist in der patriarchalischen<br />
Gesellschaft immer etwas Gemachtes,<br />
etwas durch Abgrenzung Erschaffenes,<br />
entweder erzwungen durch männliche<br />
Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren.<br />
Tonias tragisches Scheitern und ihr später,<br />
dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind<br />
der Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden<br />
Klagegesangs, der sich schlussendlich<br />
nur in eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende<br />
Utopie verwandeln kann.“ (Sascha Westphal<br />
in SISSY 4/10)<br />
rÜCKKEHr ANS MEEr<br />
Fr 2009, regie: François ozon, Indigo/Good Movies<br />
Ozons vorletzter Spielfilm<br />
erzählt von einer fragilen<br />
Freundschaft zwischen<br />
einem schwulen Mann<br />
und der schwangeren<br />
Freundin seines toten<br />
Bruders. „Ozon stellt mit<br />
Mousse und Paul ganz bewusst<br />
zwei so konträre<br />
Figuren gegenüber, denn so ist es regelrecht<br />
schön zu sehen, wie Grenzen, Neigungen und<br />
Zukunftspläne verwischen. Trotz aller Unterschiede<br />
in der Lebensweise verbindet Paul und<br />
Mousse sehr viel, deswegen ist Rückkehr ans<br />
Meer auch eine Geschichte über fehlende Liebe,<br />
schmerzlichen Verlust und nicht zuletzt<br />
über das Bewusstsein, dass wir alle in bestimmten<br />
Lebensphasen allein sind – und<br />
manchmal allein sein müssen. Und da Ozon<br />
den harten Schnitt mag, passt das – <strong>auf</strong> den<br />
flüchtigen Gedanken – doch sehr krasse Ende<br />
erst einmal sehr gut. Denn wenn man ganz ge-<br />
40<br />
nau in Mousses Gesicht schaut, wenn man Paul<br />
beobachtet, wie er das <strong>Neu</strong>geborene in seinen<br />
großen Händen hält, dann weiß man, dass es<br />
auch ein sehr erwachsener und durchaus mit<br />
Hoffnung verbundener Schluss ist.“ (Michael<br />
Eckhardt in SISSY 3/10)<br />
A MArINE STOrY<br />
US 2010, regie: ned Farr, Pro-Fun Media<br />
„Es gibt kein richtiges Leben<br />
im Falschen. Die Armee<br />
ist weder für Frauen<br />
noch für Männer ein Ort<br />
der Emanzipation, sondern<br />
ihr Gegenteil, aber sie<br />
verspricht insbesondere<br />
den Unterprivilegierten<br />
die Chance zum gesellschaftlichen<br />
Aufstieg, finanzielle Sicherheit und<br />
Teilhabe am großen Ganzen der Nation. Nach<br />
dem Motto: Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt<br />
mir eine Uniform! Alex gehört zwar nicht der<br />
Unterschicht an, sie ist auch nicht schwarz oder<br />
Chicana, sondern setzt eine Familientradition<br />
fort. Aber auch sie hat eine Schwachstelle: Sie ist<br />
Lesbe, ein vermeintliches Manko, das sie verbergen<br />
und kompensieren will. Dafür ist eine<br />
Uniform immer gut – und manche finden sie ja<br />
auch sexy.“ (Jessica Ellen in SISSY 1/11)<br />
NOwHErE<br />
USA 1997, regie: Gregg Araki, Pro-Fun Media<br />
Während Kaboom, Arakis<br />
letzter Streich, seit Mai in<br />
den Kinos läuft, hat sich<br />
endlich Pro-Fun erbarmt<br />
und Nowhere in Deutschland<br />
zum ersten Mal <strong>auf</strong><br />
DVD veröffentlicht. Es hat<br />
vierzehn Jahre gedauert,<br />
aber Arakis Fans sind da<br />
nicht kleinlich. Schließlich ist Nowhere, der Abschlusstusch<br />
zu seiner L.A.-Trilogie, der Arakischste<br />
aller Araki-Filme: <strong>auf</strong> hysterische<br />
Weise schwermütig, grundlegend zynisch, voller<br />
Sex und Gewalt, aber nie hoffnungslos und<br />
immer sehr unterhaltsam. Hauptfigur Dark<br />
Smith, gespielt von Arakis Muse James Duval,<br />
fasst den Filmtitel erklärend zusammen: „L.A.<br />
is like nowhere … everybody who lives here is<br />
lost.“ Diese verlorene Generation bereitet sich<br />
in Gestalt eines der prominentesten Casts der<br />
jüngeren Filmgeschichte dar<strong>auf</strong> vor, die <strong>auf</strong>regendste<br />
Party des Jahres zu feiern. Aber vorher<br />
wird eine von ihnen von einem Fernsehstar<br />
vergewaltigt, einer von einer riesigen Schabe<br />
gefickt, zwei sterben, Shannen Doherty, Christina<br />
Applegate und Traci Lords lachen bis der<br />
Bus kommt, und alle haben Sex mit allen und<br />
sind ständig <strong>auf</strong> irgendwas dr<strong>auf</strong>. Klingt wie<br />
ein Meisterwerk über die postmoderne Pubertät?<br />
Ist es auch. pasch<br />
MEIN dOMINANTES LEBEN<br />
US 2010, regie: Irving Schwartz, Edition Salzgeber<br />
„Für die einen ist es das<br />
Normalste der Welt, mit<br />
30 Jahren zum zweiten<br />
Mal Mutter zu werden<br />
und ein Häuschen zu besitzen.<br />
Andere erleben das<br />
Zusammenwohnen in<br />
Kommune-ähnlichen Zuständen,<br />
als gäbe es nichts<br />
Alltäglicheres. Und Menschen wie Natalie finden<br />
es eben ganz normal, Lesbe und gleichzeitig<br />
Domina zu sein. Das Erstlingswerk Mein<br />
dominantes Leben beeindruckt mit Details aus<br />
der Masochismus-Szene, kommt wie ein kleines<br />
Bilder-Kunstwerk der beiden Filmemacher<br />
daher, jedoch nicht als unbedingtes Lesben-<br />
Liebhaber-Stück. Die Drehbuchschreiber und<br />
Produzenten Garzon und Sales wollten nach eigenen<br />
Angaben in dem Film ihre ‚politischen,<br />
sozialen und romantischen Lebenseinstellungen<br />
und Erfahrungen‘ verarbeiten. Eine gewaltige<br />
Anforderung, die vielleicht ein Stück zu<br />
hoch gegriffen war. Dafür aber, so erfährt man<br />
<strong>auf</strong> der Internetseite zum Film, habe das Filmteam<br />
während der Dreharbeiten einen gewaltigen,<br />
chaotischen Spaß gehabt.“ (Jana Schulze<br />
in SISSY 1/11)<br />
THE STrANGEr IN US –<br />
EIN SCHATTEN VON GLÜCK<br />
USA 2010, regie: Scott Boswell, GMfilms<br />
Anthony, ein eher unsicherer,<br />
melancholischer<br />
und stets ein wenig verloren<br />
wirkender junger<br />
Mann, stammt aus der<br />
tiefsten Provinz Virginias,<br />
wo er den erfolgreichen<br />
Innenarchitekten<br />
Stephen kennen lernt,<br />
und zieht wenig später zu ihm nach San Francisco.<br />
Das Zusammenleben mit dem neuen<br />
Lover gestaltet sich dann allerdings mehr als<br />
schwierig, denn Stephen entpuppt sich schnell<br />
als besitzergreifender, unberechenbarer und<br />
cholerischer Kontrollfreak. Anthony versucht<br />
zunächst, sich den Launen des Psychopathen<br />
anzupassen, doch nachdem Stephen ihm gegenüber<br />
mehrfach handgreiflich geworden<br />
ist, verlässt er den geschmackvoll möblierten<br />
Beziehungsknast. Anthonys schmales Budget<br />
– er träumt den naiven Traum einer freien<br />
Schriftstellerexistenz – zwingt ihn nun zu einem<br />
kärglichen Leben in einem WG-Zimmer<br />
abseits des glamourösen Castro-Viertels. Auf<br />
einem seiner planlosen Streifzüge durch die<br />
nächtliche Großstadt trifft er zufällig mit<br />
dem minderjährigen Ausreißer und Gelegenheitsstricher<br />
Gavin zusammen. Eine folgenreiche<br />
Begegnung, denn einerseits macht Ga-<br />
vin Anthony mit dessen eigenem Fremden<br />
bekannt, indem er ihn in eine dunkle Parallelwelt<br />
aus schnellem Sex, Drogen und Gewalt<br />
einführt. Andererseits aber stellt der erst<br />
17-Jährige dem orientierungslosen Ex-Provinzler<br />
auch ein Vorbild an Selbstbewusstsein<br />
und gelebter Freiheit vor Augen. Als Stephen<br />
– „Ich bin jetzt ein anderer“ – ihn erneut mit<br />
seinen giftigen Tentakeln einzufangen versucht<br />
und Gavin plötzlich spurlos verschwindet,<br />
gerät Anthony in eine Situation, in der er<br />
endlich eine klare Entscheidung treffen<br />
muss … Scott Boswells gut beobachtetes<br />
Selbstfindungsdrama, das das Geschehen in<br />
kunstvollen chronologischen Sprüngen darbietet<br />
und auch einmal die Schattenseiten des<br />
schillernden Schwulen-Mekkas San Francisco<br />
beleuchtet, besticht vor allem durch seine<br />
hervorragenden Schauspieler: Raphael Barkers<br />
Darstellung Anthonys rührt an, ohne jemals<br />
ins Kitschige abzugleiten, und Scott Cox<br />
verkörpert den übergriffigen Stephen so<br />
glaubwürdig, dass sich beim Zuschauen Beklemmungen<br />
einstellen. cm<br />
BLOOMINGTON<br />
US 2010, regie: Fernanda Cardoso, Edition Salzgeber<br />
„Eine dominante Lehrerin<br />
mit akkurat frisiertem<br />
Dutt, kurzem Rock und<br />
halb <strong>auf</strong>geknöpfter Bluse,<br />
die, an ihrem Pult sitzend,<br />
lasziv an ihrem Bleistift<br />
knabbert. Eine Vorstellung,<br />
derer sich in diesem<br />
Genre nicht wenige Male<br />
bedient wurde und von der trotzdem nach wie<br />
vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination,<br />
die durch das Recht begrenzt ist und durch den<br />
Duft des Verbotenen, hier die Anziehung zu einem<br />
Menschen in einer übergeordneten Position,<br />
begünstigt wird. Diese Fantasie, die schon<br />
Musikalisch!<br />
oft zuvor bebildert wurde, erlebt in Fernanda<br />
Cardosos Bloomington ein filmisches Revival.<br />
Den Zuschauer beschleicht aber das Gefühl,<br />
dass die Studentin in der Professorin eher nach<br />
einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten<br />
Partner sucht; Wenn Catherine, mit<br />
einem schwarzen Trenchcoat bekleidet, den<br />
ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um<br />
diese nach einem handfesten Streit aus dem<br />
Umfeld der ‚es nur gut meinenden‘, aber ignoranten<br />
Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich<br />
heute ebenfalls beim Griff in den Kleiderschrank<br />
für den schwarzen Trench entschieden<br />
hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter<br />
ihr nicht mehr öffnet.“ (Kerstin Wel zen heimer<br />
in SISSY 4/10)<br />
NO NIGHT IST TOO LONG<br />
UK/CAn 2006, regie: Tom Shankland, Pro-Fun Media<br />
No Night Is Too Long ist<br />
ein sehr guter, altmodischer,<br />
sehr spannender<br />
Thriller, in dem Homosexualität<br />
eine Quelle des<br />
Ungemachs ist. Das liegt<br />
daran, dass die Vorlage<br />
von Krimiautorin Ruth<br />
Rendell ist, einer nachgewiesenen<br />
Meisterin ihres Fachs, die aber ungefähr<br />
so sehr an das Glück schwuler Männer<br />
glaubt wie die Lesbe Patricia Highsmith.<br />
Schon die schickte ihr schwules Alter Ego<br />
Tom Ripley in vier Bänden genüsslich in die<br />
Abgründe seiner eigenen Seele. Und auch Tim,<br />
der „Held“ von No Night Is Too Long, ist ein<br />
echtes, bezauberndes Monster: schön, glatt,<br />
schnell entflammt, schnell überdrüssig und zu<br />
schnellen Lösungen bereit, wenn ihm sein<br />
Liebhaber zu sehr <strong>auf</strong> die Nerven geht. Regisseur<br />
Tom Shankland und sein fantastisches<br />
Ensemble zelebrieren ihren Marsch von Schuld<br />
nach Sühne <strong>auf</strong>s Allerfeinste und nehmen ihr<br />
Beautiful People<br />
DVD, Import<br />
Wir haben (fast) alles.<br />
Und was wir nicht am Lager haben, besorgen wir gerne. Auch aus dem Ausland.<br />
Publikum mit, ohne es bis zum Schluss wissen<br />
zu lassen, wo man sich gerade befindet. Großartig<br />
geschrieben, gespielt und gedreht, nicht<br />
kleinlich, wenn es um nackte Haut geht, plus<br />
mehrfach ausgezeichnete Filmmusik. Ganz<br />
feines Fresschen für Krimifreunde. pasch<br />
KUBA UNd dIE NACHT –<br />
ZwEI HEIMATLäNdEr<br />
D 2007, regie: Christian Liffers, Pro-Fun Media<br />
Regisseur Christian Liffers<br />
begibt sich in seinem<br />
intensiven Dokumentarfilm<br />
<strong>auf</strong> die Suche nach<br />
dem Dichter Reinaldo<br />
Arenas. Oder vielmehr<br />
dessen Geist im heutigen<br />
Kuba. Die sinnliche Aufmüpfigkeit<br />
und das Verlangen<br />
nach einem ganzen, echten Leben als<br />
schwuler Mann haben Arenas von der Insel<br />
fliehen lassen, bevor er vor 25 Jahren in den<br />
USA starb. Christian Liffers hat sich fünf<br />
schwule Männer und eine Transsexuelle im<br />
Kuba des neuen Jahrtausends gesucht, die er<br />
<strong>auf</strong> Echos von Arenas Hinterlassenschaft abhört.<br />
Und er wird <strong>auf</strong> hochpoetische Weise<br />
fündig. Jede der sechs Stories wird eingeleitet,<br />
indem der Protagonist einen Text von<br />
Arenas verliest, der zu ihm passt. (Auch der<br />
Titel des Films stammt aus einem dieser Texte.)<br />
Daran entlang erzählt Liffers die Geschichten<br />
seiner alten und jungen Protagonisten,<br />
umrahmt von einem der schönsten<br />
Filmsoundtracks der letzten Jahre. Das Ergebnis<br />
ist ein Geflecht aus Bildern, Tönen und<br />
Worten, das so dicht ist wie eins von Arenas<br />
Gedichten, dieselbe Kraft und Schönheit besitzt,<br />
mehrere Ebenen gleichzeitig bedient<br />
und den Zuschauer mit dem Gefühl eines Bildungsurlaubs,<br />
in dem man viel guten Rum getrunken<br />
hat, zurücklässt. pasch<br />
Portofrei