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nachruf<br />
„Der Fremde im Zug“ (Alfred Hitchcock, 1951)<br />
SchöNeR<br />
SchWächlINg<br />
von Jan künemund<br />
Am 27. März verstarb der Hollywood-Schauspieler Farley Granger. Sein Leben und seine<br />
Filme sind fester Bestandteil der queeren Filmgeschichte. Eine kleine Hommage.<br />
And the road was like a ribbon and the moon was like a bone<br />
He didn’t seem to be like any guy she’d ever known<br />
He kind of looked like Farley Granger with his hair slicked back<br />
She says I’m a sucker for a fella in a cowboy hat<br />
(Tom Waits, „Burma Shave“)<br />
36<br />
SCrEEnSHoT<br />
s Ein eigenartiges Gesicht. Kaum etwas<br />
passt da zusammen: der markante, etwas<br />
grobe Unterkiefer nicht zu den edlen hohen<br />
Wangenknochen, die hohe Stirn nicht zu den<br />
weichen Locken, das römische Profil nicht<br />
zum dunklen Typ, die empfindsamen Augen<br />
nicht zur großen, unperfekten Nase. Selbst<br />
Ober- und Unterlippe erzählen verschiedene<br />
Geschichten, die eine ist schmal, wirkt steif,<br />
die andere ist voll und sinnlich. Ein Gesicht,<br />
das in Groß<strong>auf</strong>nahmen einzufangen für<br />
Regisseure gefährlich ist, denn man gerät bei<br />
der Betrachtung ins Lesen, hört den Dialogen<br />
nicht mehr zu und verliert die Geschichte aus<br />
den Augen. Trotzdem sind einige Kameras in<br />
Groß<strong>auf</strong>nahmen an ihm hängen geblieben,<br />
konnten sich nicht sattsehen. Andere gingen<br />
wohlweislich <strong>auf</strong> Abstand, betrachteten Farley<br />
Ganger von weitem, eine äußerst athletische<br />
Figur, ein Tänzer, für Hollywoodmännernormen<br />
zu dünn. Sollte dieser Körper<br />
eine Funktion erfüllen und keine Geschichte<br />
erzählen, wurde er zum Anzug- und Uniformträger<br />
oder zum Tennisspieler. „Es ist<br />
absurd, dass Sie ein Offizier sind!“, sagte die<br />
verliebte Dame in Senso zu ihm. Er antwortet:<br />
„Wir sind Offiziere, weil uns die Uniformen<br />
so gut stehen“.<br />
Farley Granger (bürgerlich: Farley Granger)<br />
ist durch wenigstens vier Hauptrollen<br />
in die Filmgeschichte eingegangen: Er war<br />
Bowie The Kid in They Live By Night (Nicholas<br />
Ray, 1947/49), schwuler Mordkomplize<br />
Philipp Morgan in Rope (Alfred Hitchcock,<br />
1948), Tennisprofi Guy Haines in Strangers<br />
On A Train (auch Hitchcock, 1951) und Offizier<br />
Franz Mahler in Senso (Luchino Visconti,<br />
1954). Ein Kind wohlhabender, durch<br />
den Börsenkrach von 1929 völlig verarmter<br />
Eltern, die es in den 1930ern nach Hollywood<br />
zog, wo Farley Theaterspielen und Stepptanzen<br />
lernte und den Scouts von Samuel<br />
Goldwyn <strong>auf</strong>fiel, dessen beste Zeit vorbei<br />
war und der kläglich darin versagte, aus<br />
Granger – wie angekündigt – einen Star zu<br />
machen. Dass er dennoch diese vier berühmten<br />
Rollen bekam, verdankte er gleich mehreren<br />
queeren Interessen. Auf einer Party<br />
wurde er von Nicholas Ray angemacht und<br />
später besetzt, er befriedigte Hitchcocks<br />
Sehnsucht nach sexuell ambivalenten Schauspielern<br />
und begründete bei Visconti die<br />
Linie männlicher Diven (vor Alain Delon<br />
und Helmut Berger). Dass Granger seit seiner<br />
Navy-Zeit mit Männern schlief, hat damit<br />
natürlich zu tun – er war Teil einer queeren<br />
Subkultur des Filmgeschäfts zu einer Zeit, in<br />
der nichts dergleichen in den Hayes-Codeifizierten<br />
Filmen nach außen dringen durfte.<br />
Wie viele andere Stars war Granger offiziell<br />
hetero, laut spätem Geständnis „bisexuell“<br />
(wie Nicholas Ray, wie Joseph Losey, wie Sal<br />
Mineo), war gerngesehener Divenbegleiter<br />
(Ava Gardner, Rita Hayworth) und hatte die<br />
üblichen schwulen Star-Affären dieser Zeit mit Leonard Bernstein,<br />
Arthur Laurents und Jean Marais.<br />
Was aber erzählen das Gesicht und der Körper von Farley Granger,<br />
von Ray, Hitchcock und Visconti inszeniert, davon? Was bringt<br />
seit jeher schwule Filmfans dazu (und der Autor bekennt sich schuldig),<br />
sich in dieses Gesicht und diesen Körper zu verlieben, lange<br />
bevor man weiß, dass er „auch so“ war?<br />
Es gibt ein klassisches Rollenprofil für Farley Granger: den Jungen<br />
mit Problemen. Und es gibt einen Trademark-Farley-Granger-<br />
Gesichtsausdruck: die hervortretende Verhärtung <strong>auf</strong> der Stirn, die<br />
tiefe Falte oberhalb der Nasenwurzel, die vor Angst geweiteten Augen,<br />
der halb offen stehende Mund, der hervorgereckte Unterkiefer. Ein<br />
Ausdruck der Panik, der von Gefühlen überspülten Kontrolle, der Entäußerung.<br />
Kein männlicher Hollywooddarsteller der späten 1940er<br />
und frühen 1950er hat sich seine Empfindungen, sein Schwachwerden<br />
derartig ansehen lassen. Ein hübscher Junge, der die Fassung verliert<br />
– kein Männlichkeitsideal der Nachkriegszeit. „A handsome man, but<br />
there is a slight air of weakness about him“, fand Filmwissenschaftler<br />
Robert Osborne – attraktiv, aber ein Schwächling. In Rope spielt er<br />
den schwachen Part des schwulen Killerpaares nahe an der männlichen<br />
Hysterie, als empfindsamen Pianisten, der (so der Partytalk) <strong>auf</strong><br />
dem Land eigenhändig Hühnern den Hals umdreht, in einem perfekt<br />
sitzenden, je nach Abtastung des 1948er Technicolor-Materials grau<br />
oder bräunlich schimmernden Anzug, der vor Gewissensbissen von<br />
Einstellung zu Einstellung mehr durchdreht. Für Hitchcock natürlich<br />
ein wunderbar perverser Typ, aber wie Granger ihn spielt, als<br />
Galerie verzweifelter Blicke, wie er Halt sucht im Spiel eines Klavierstücks,<br />
das bezeichnenderweise „Perpetuum Mobile“ heißt, wie ihm<br />
vor Schreck das Cocktailglas in der Hand zerbricht und wie ihm zwischen<br />
zwei der nur neun Schnitte in diesem Film eine Locke aus der<br />
akkurat gebändigten Frisur in die Stirn fällt – das ist ein Glanzstück<br />
männlichen Schwachwerdens, für das andere später method acting<br />
brauchten. „Schwach Sein ist ein Fehler!“, sagt sein Liebhaber im<br />
Film. Zu schwach für diesen Film waren Montgomery Clift und Cary<br />
Grant, die Grangers Mitspieler sein sollten, aber aus Outing-Angst<br />
ablehnten. Fand auch Arthur Laurents, Grangers damalige Affäre,<br />
der das Drehbuch zu Hitchcocks schwulem Kindergeburtstag (es fällt<br />
darin der böse Satz, der Tote hätte „leben und lieben können“ wie die<br />
beiden Schwulen es niemals gekonnt hätten) schrieb und der – laut<br />
Celluloid Closet – keine <strong>Sissy</strong>s mochte.<br />
Fand wohl auch Luchino Visconti, der mit ähnlich kaltem Blick<br />
Granger als Schwächling inszenierte – als Aas, der Frauen verführt,<br />
weil er das Gefecht mit Männern scheut, der ihr Geld (das dringend<br />
zur Unterstützung des italienischen Widerstands gegen die österreichischen<br />
Besatzer gebraucht wurde) für die Bestechung eines Arztes<br />
erschleicht, der ihn kriegsuntauglich schreibt. Viscontis Empathie<br />
hat in Senso die Frau, die sich demütigen lässt, weil sie ihren Gefühlen<br />
folgt. Blind ist sie für den sexy Körper des italienischen Helden,<br />
gespielt vom virilen Massimo Girotti (Viscontis Lieblingsschauspieler,<br />
solange er volksnahe Filme drehen wollte). Empfänglich dagegen<br />
ist sie für den blasierten, überfeinerten Granger-Körper, nach<br />
dem Uniform-Strip im Baumwollunterhemd, später sogar unrasiert.<br />
Ein Feigling, der ausgerechnet den Italienern vorwirft, Kriege mit<br />
„Blumen und Mandolinen“ zu führen und der folgerichtig von einem<br />
lächerlichen Aufmarsch schicker österreichischer Uniformen exekutiert<br />
wird.<br />
Man hätte Granger wohl davon abraten müssen, seine Talente zur<br />
Darstellung männlicher Schwäche darin zu investieren, Feiglinge<br />
und Perverse zu verkörpern. Ansonsten konnte man aber wenig mit<br />
ihm anfangen (Sal Mineo ging es kurze Zeit später ähnlich). Er ging<br />
zurück zum Broadway, später zum Fernsehen, behielt seine Würde<br />
und veröffentlichte schließlich, gemeinsam mit seinem langjährigen<br />
Partner Robert Calhoun, seine vielbeachteten Memoiren („Include<br />
Me Out“).<br />
Was aber an Potential in diesem Schauspieler, diesem Körper<br />
und diesem Gesicht steckte, wurde ganz am Anfang seiner Karriere<br />
deutlich. In They Live By Night war er zwar auch der Junge mit<br />
Problemen – er durfte aber auch schön sein in seiner Schwäche und<br />
gefühlvoll in seiner Schönheit. Er ist Bowie, mit sechzehn des Mordes<br />
angeklagt, der mit zwei anderen sieben Jahre später aus dem<br />
Gefängnis ausbricht und Banken ausraubt. Bowie, der Junge, der nie<br />
gelernt hat, mit Frauen zu sprechen, trifft Keechie, ein Mädchen, das<br />
in ihrer kriminellen Sippe noch keinen gefühlvollen Jungen kennengelernt<br />
hat. Keechie wurde <strong>auf</strong> Grangers ausdrücklichen Wunsch von<br />
Cathy O’Donnell gespielt, einer weiteren hoffnungslosen Samuel-<br />
Goldwyn-Verpflichtung, die in kein Darstellerprofil passte. Nicholas<br />
Ray inszeniert dieses Paar <strong>auf</strong> seiner kurzen Flucht, in seinem kurzen<br />
Glück, mit einem völlig verliebten Blick. Sie fast ungeschminkt,<br />
im Trenchcoat, mit emanzipierter Zurückhaltung, eine Frau, die sich<br />
nichts aus Geld macht – er ein scheues Reh, verletzt, verletzlich, oft<br />
nur halb bekleidet, voller Angst. Beide haben keine Übung im Küssen<br />
und im Tanzen, sie schenken sich Uhren und eine kurze gute Zeit,<br />
heiraten für 20 Dollar und haben überhaupt keine Chance. „Ich bin<br />
ein schwarzes Schaf“, sagt Bowie. „Das einzige, was an dir schwarz<br />
ist, sind deine Wimpern“, antwortet Keechie.<br />
Dass Nicholas Ray ein Regisseur war, der die Schwäche seiner<br />
Figuren liebte und ernst nahm, muss man heute niemandem mehr<br />
erzählen, der weiß, dass er wenig später mit James Dean und Sal Mineo<br />
in Rebel Without A Cause ein neues Männerbild popularisiert hat. Zu<br />
dieser Zeit erfror Farley Granger gerade unter dem Schwulen-Selbsthass-Blick<br />
von Visconti. Method Acting kam Granger unprofessionell<br />
vor. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort schwach geworden.<br />
s<br />
Der Fremde im Zug<br />
von Alfred Hitchcock<br />
US 1951, 93 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Warner Home<br />
Video, www.warnerbros.de<br />
Im Schatten der Nacht<br />
von Nicholas Ray<br />
US 1949, 92 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />
www.arthaus.de<br />
Cocktail für eine Leiche<br />
von Alfred Hitchcock<br />
US 1948, 80 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Universal,<br />
www.uphe.de<br />
Include Me Out<br />
von Farley Granger und Robert Calhoun<br />
Autobiografie, 288 Seiten (TB), Griffin.<br />
Als Import.<br />
nachruf<br />
Sehnsucht<br />
von Luchino Viscont<br />
IT 1954, 117 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />
www.arthaus.de<br />
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