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Neu auf dvd - Sissy

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tellerrand<br />

der Wahnsinn,<br />

dieser dietrich<br />

aller herzen!<br />

von Werner Schroeter · auFGeZeichnet von claudia lenSSen<br />

Vor etwas mehr als einem Jahr starb Werner Schroeter. Es<br />

scheint so, als würde man erst jetzt seine Bedeutung, seine<br />

Ausstrahlung, sein Fehlen wahrnehmen. noch kann man Elfi<br />

Mikeschs wunderschönen Dokumentarfilm „Mondo Lux“<br />

in Kinos und <strong>auf</strong> Festivals sehen, und ganz frisch ist Werner<br />

Schroeters Autobiografie „Tage im Dämmer, nächte im<br />

rausch“ im Aufbau Verlag erschienen. Claudia Lenssen, die<br />

ihre atemlos in den letzten Monaten entstandenen Interviews<br />

in bewundernswerter Weise in den rededuktus und die Erzählmagie<br />

Schroeters übersetzt hat, stellte für die SISSY einen<br />

Auszug aus dem Buch zur Verfügung, den wir mit freundlicher<br />

Genehmigung des Aufbau Verlags abdrucken.<br />

s Das Theater ist dem Leben näher, der Film der Eitelkeit. Es ist<br />

doch wunderbar, wenn man einen Film gemacht hat, den man wieder<br />

vorführen kann, so eitel ist nun jeder Künstler. Theater ist das<br />

Flüchtige, das Kino das Manifeste, das Mitnehmbare sozusagen. Das<br />

widerspricht sich keineswegs.<br />

Als ich von Peter Zadek, Jean-Pierre Ponnelle und Ivan Nagel ins<br />

Theater gezogen wurde, habe ich mich nur schwer überzeugen lassen.<br />

Der bürokratische Betrieb war mir unheimlich. Erst mit „Salome“ in<br />

Bochum, wo Peter Zadek Intendant war, fühlte ich mich wohl. Daraus<br />

wurde eine Theaterfamilie, und wie Familien so sind, kommt<br />

man kaum noch heraus. So kam eins zum anderen, fast achtzig Theaterarbeiten<br />

seit 1972. Bei zwei bis vier Monaten Lebenszeit für eine<br />

Produktion kann man ausrechnen, wie viele Monate ich im Theater<br />

verbrachte. Mein Freundin Ingrid Caven prägte ein schönes Bonmot<br />

für unser Leben und unseren dauernden Schwebezustand zwischen<br />

Proben und Vorstellungen: Tage im Dämmer, Nächte im Rausch.<br />

Arbeit ist ein falscher Begriff, mein Leben liegt wirklich darin. Ich<br />

betrachte es als ungeheure Anstrengung an, mich auszudrücken, aber<br />

auch als innere Notwendigkeit. Psychisch strengt mich die Arbeit<br />

FILMGALErIE 451<br />

nicht an, sie macht ungeheure Freude, physisch dagegen sehr. Aber<br />

das ist meine Lebensform. Ich glaube, jeder der nicht lügt, empfindet<br />

sein Leben nur als erfüllt, wenn er mit demselben Stellenwert kreativ<br />

arbeitet, wie er liebt. Die Grenze dazwischen sehe ich nicht. Ich habe<br />

immer nur mit Menschen gelebt, die mit Theater oder Film zu tun<br />

hatten, habe immer nur Schauspieler oder Sänger verführt. Ich habe<br />

die geliebt, die mit diesem Beruf zu tun haben, aber mir unähnliche<br />

andere Persönlichkeiten sind. Ich hätte gar keine Zeit gehabt, mich<br />

woanders umzugucken.<br />

So wie es war, habe ich nicht genug Zeit, mich durchgehend um<br />

Filme zu kümmern, aber ich bereue es nicht. Es kamen immer neue<br />

Leute hinzu, Schauspieler, Mitarbeiter, Freunde und Freundinnen,<br />

wunderbar und begeisternd. So fehlte mir der Film über lange Zeit<br />

gar nicht. Theater beansprucht viel Energie und darin ging ich ganz<br />

<strong>auf</strong>, weil ich meine Idee, dass zwischen Leben und Kunst kein Unterschied<br />

besteht, hier besser verwirklichen konnte. Und umgekehrt hat<br />

es beim Filmemachen geholfen, dass ich die komplexen Konfliktsituationen<br />

aus dem Theater kannte. Es gibt den Film Ich will doch nur, dass<br />

ihr mich liebt von meinem Freund Fassbinder. In diesem Sinn ist der<br />

Versuch, sich in der Kunst auszudrücken, auch immer der Versuch,<br />

geliebt zu werden. Als Primus inter pares ist man bei der Film- und<br />

Theaterarbeit der, der am meisten geliebt werden will, es aber auch<br />

am meisten unmöglich macht. Das gilt für mich und letzten Endes<br />

alle, die die Spielleitung übernehmen. In einer ko-kreativen Gruppe,<br />

wie ich sie nenne, kommt von den mitwirkenden Gestaltern so viel,<br />

dass ich nicht mehr weiß, von wem welcher bildliche, gestalterische<br />

oder schauspielerische Einfall stammt. Es ist eine gemeinsame Kreation,<br />

die aber von diesem Obermotz gesteuert wird, diesem Spielleiter,<br />

der am meisten geliebt werden will.<br />

Kollektiv kann man keine Kunst machen. Das ist etwas anderes<br />

als die Gruppe, die ich meine, und die Herzensfreundschaft mit Magdalena<br />

[Montezuma, —Red.]. Ich wüsste nicht, wie es mit dem Kollektiven<br />

funktionieren sollte, selbst Sozialisten wie Brecht haben es nicht<br />

geschafft. Brecht hat sich zuarbeiten lassen von seinen Frauen, die er<br />

ein bisschen ausgenommen hat. Vielleicht gehört das auch dazu, auch<br />

mir halten meine Freundinnen vor, dass ich meine Gruppe ausgenommen<br />

habe.<br />

Aber das Kollektive, wie soll das gehen? Zusammen mit anderen<br />

Regisseuren? Das könnte ich mir nicht vorstellen. Je eigener jemand<br />

ist, desto schöner kann er doch mit Menschen arbeiten. Bei Peter<br />

Zadek in Bochum war genug Geld da, dass jeder Leute mitbringen<br />

konnte. Fassbinder, Jiri Menzel, Augusto Fernandes, Regisseure von<br />

verschiedenen Nationalitäten, brachten Schauspieler, Bühnenbildner,<br />

Musiker mit. Das war ein sehr kluger Gedanke! Verschiedenheit am<br />

gleichen Ort, ohne Gruppenideologie. Einmal spielte ich bei Augusto<br />

Fernandez in „Atlantis“ mit, ein anderes Mal spielte Magdalena in<br />

Zadeks „Lear“ eine der Töchter.<br />

Magdalena Montezuma konnte sich in Bochum wunderbar entfalten.<br />

Peter Zadek setzte ihr Talent und ihre Intelligenz sehr klug<br />

ein und kümmerte sich überhaupt nicht um die dumme Kritik an<br />

ihrem Dilettantismus, im Gegenteil: Sie war ein traumhafter Geist<br />

von Hamlets Vater im „Hamlet“ und tanzte wie Valeska Gert in „Professor<br />

Unrat“, beides Inszenierungen von Peter Zadek. Die Theaterarbeit<br />

half ihr zu mehr Freiheit, sie lernte andere Regisseure kennen,<br />

die mit ihr arbeiteten. So konnte sie sich von mir emanzipieren und<br />

unser Zusammensein gewann in der Freundschaft.<br />

Wir waren in Bochum fast immer im Theater, außerhalb gab es<br />

so gut wie nichts Unterhaltsames. Peter Zadek hatte im Keller die<br />

Bo-Kneipe eingerichtet, und da trafen wir uns. In seinen Memoiren<br />

schilderte er den Club, der dort zusammenhing, und machte sich über<br />

meine Entourage lustig, „lange, schöne, schlanke Menschen, die langsam<br />

wie eine Sekte durch die Gegend schritten“. War ja klar, dass ich<br />

damals dünn und düster-lustig aussah in meinen schwarzen Lederhosen,<br />

wir unterschieden uns halt von den anderen Gruppen. Da hal-<br />

fen auch die Kaffee-und-Kuchen-Runden bei Traute Eichhorn wenig,<br />

die uns bemutterte und abends die Souffleuse war. Zadek liebte uns,<br />

das spürt man durch den Spott hindurch. Damals hatte er eigentlich<br />

wenig Grund dazu, er war sogar sehr tief gekränkt, als ich mit Roswitha<br />

Hecke, seiner Lebensgefährtin, eine Affäre begann. Roswitha<br />

und Peter Zadek trennten sich und dann war sie die Freundin und<br />

Gefährtin meines Freundes Wolf Wondratschek, der ein schönes Vorwort<br />

zu ihrem Fotobuch „Liebes Leben“ über die schöne Züricher<br />

Nachtgestalt Irene beisteuerte.<br />

Apropos eitle und voyeuristische Intendanten: Klaus Peymann<br />

redet mich mit „Ah, Majestät sind wieder hier!“ an. Das ist nicht boshaft<br />

oder zynisch, womöglich meint er es im pluralis majestatis. Als<br />

ich am Berliner Ensemble die Georg-Kreisler-Ur<strong>auf</strong>führung „Adam<br />

Schaff hat Angst“ mit Tim Fischer inszenierte, geriet ich in eine<br />

furchtbare Krise, weil ich in einen vergeblichen Liebeskampf um Tim<br />

Fischer stürzte. Irgendwann verschwand ich einfach und dar<strong>auf</strong> versuchte<br />

Klaus Peymann bis nachts um drei Uhr, mich zu erreichen. Ob<br />

er helfen könne, er komme sofort vorbei. Ich sagte ihm: „Herr Peymann,<br />

Sie brauchen mir nicht zu helfen. Morgen geht’s besser.“ Er hat<br />

sich ganz loyal gezeigt, ohne es zu merken, vielleicht fand er so einen<br />

Liebesrausch bei einem Schwulen spannend. Das BE ist das einzige<br />

deutsche Theater, das man <strong>auf</strong> der ganzen Welt kennt, das berühmteste<br />

überhaupt. Aber sein Programm ist zu popelig im Vergleich zu<br />

dem, was es haben müsste. Das kann man Klaus Peymann vorwerfen.<br />

Ich persönlich brachte meine Zeit am Theater oft mit klassischen<br />

Frauenstücken zu. Unter Peter Zadeks Intendanz inszenierte ich<br />

in Bochum „Salome“, „Lucrezia Borgia“, „Fräulein Julie“ und „Das<br />

Käthchen von Heilbronn“. Nimmt man „Emilia Galotti“, die erste<br />

Inszenierung im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg 1972 und<br />

„Miss Sarah Sampson“ am Staatstheater Kassel 1977 hinzu, beide von<br />

meinem geliebten Lessing, dann sieht man, dass es eine große Neigung<br />

zu Frauendramen gab.<br />

„Lucrezia Borgia“ war eine von Magdalena Montezumas grandiosesten<br />

Arbeiten. Auch „Fräulein Julie“ war ein Vorschlag von mir,<br />

ebenso „Miss Sara Sampson“, weil ich auch die Vorstufe zu „Emilia<br />

Galotti“ inszenieren wollte, ungekürzt in großem Tempo. Aber dann<br />

dauerte es doch über drei Stunden, weil das Stück ausuferte. Es waren<br />

alles herrliche Sachen, die ich gerne inszenieren wollte: „Das Käthchen<br />

von Heilbronn“ war von mir ausgesucht, auch „Lohengrin“, den<br />

ich 1979 am Staatstheater Kassel inszenierte. Erst als ich anfing, stetig<br />

in Düsseldorf am Schauspielhaus zu arbeiten, schlug der Intendant<br />

Volker Canaris „Doña Rosita“ vor. Man könnte auch „Lohengrin“ als<br />

eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Charakteren<br />

und Persönlichkeitsvoraussetzungen von Frau und Mann ansehen,<br />

wenn z. B. Elsa nicht ertragen kann, das Geheimnis des Anderen zu<br />

wahren. Für mich war die Frau immer das transparente Lebensmodell<br />

in der Theater- und Filmarbeit, obwohl sich das im L<strong>auf</strong> der Zeit<br />

enorm erweitert hat mit „Werther“ von Jules Massenet, „Caligula“<br />

von Albert Camus, Shakespeares „Othello“ und „König Lear“, „Die<br />

Soldaten“ von Jakob Michael Reinhold Lenz, „Don Carlos“ von Friedrich<br />

Schiller und Giuseppe Verdi.<br />

Man kann sich eine schöne Theorie überlegen, warum ich so viele<br />

Frauen inszeniert habe, aber außer der Begründung, dass ich sie in<br />

ihrer gesellschaftlichen Rolle und als Projektionsfläche für meine<br />

Phantasien interessanter fand, kann ich nichts dazu beitragen. Wichtig<br />

war mir, schöne Rollen für Magdalena, Ingrid Caven, Tamara<br />

Kafka, Elisabeth Krejcir, Traute Höss und die vielen anderen Schauspielerinnen<br />

aus meiner Theaterfamilie zu finden.<br />

In Bochum wohnte ich eine Weile bei Tamara Kafka. Sie spielte<br />

das Dienstmädchen Christin in „Fräulein Julie“, war bei „Lucrezia<br />

Borgia“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ dabei, auch in meinem<br />

Film Tag der Idioten und anderen Aufführungen, später war sie Dramaturgin,<br />

Autorin und Regisseurin. Ich erinnere mich, dass sie mir<br />

einmal hundertachtzig D-Mark für eine Bahnfahrt vorstreckte, ziem-<br />

lich viel angesichts ihrer Gage. Dann erbat sie das Geld von meinem<br />

Vater zurück, weil ich es einfach nicht schaffte. Seit „Emilia Galotti“<br />

waren meine Gagen, zumal wenn Bühnenbilder oder Stückbearbeitungen<br />

dazu kamen, von dreitausend <strong>auf</strong> achttausend D-Mark gestiegen.<br />

Für Shakespeares „Wie es euch gefällt“ hätte ich fünfzehntausend<br />

bekommen, aber die Arbeit sagte ich im Todesjahr meiner Mutter ab.<br />

Wie dem auch sei, ich schob immer Schulden vom Filmemachen vor<br />

mir her, das Reiseleben kostete Geld und sparsam war ich noch nie.<br />

Zurück zu „Fräulein Julie“. Diese Aufführung 1977 wurde nach<br />

für uns am bochumer theater war<br />

wichtig, die verlogene einteilung in<br />

ernste kunst und unterhaltung, dieses<br />

seriöse falsche getue, zu attackieren.<br />

Persepolis eingeladen, in die Palast-Metropole von Schah Reza Pahlevi.<br />

Ich lehnte ab, weil ich es damals aus ideologischen Gründen nicht vertreten<br />

konnte. Heute würde ich einer Aufführung zustimmen – unter<br />

Beibehaltung der identischen Inszenierung ohne jede Änderung.<br />

Wie dem auch sei, für uns am Bochumer Theater war wichtig, die<br />

verlogene Einteilung in ernste Kunst und Unterhaltung, dieses seriöse<br />

falsche Getue, zu attackieren. Mit meinen Lessing-Inszenierungen<br />

und Kleists „Käthchen“ ging ich gegen die deutsche Humorlosigkeit<br />

an. Heinrich Kleists Stück war als romantisches Mysterienspiel verkitscht<br />

worden, wir bürsteten es gegen den Strich, um durchscheinen<br />

zu lassen, was wir vermissten. Ich sah das Stück viel wahnsinniger, als<br />

es normalerweise inszeniert wird. Diese Bedingungslosigkeit, mit der<br />

Käthchen dem Mann hinterhertappt! Diese innere Stärke, obwohl er<br />

sie sadistisch quält! Ich legte Kleist so aus, dass es die heimliche Angst<br />

des Autors vor solch einer weiblichen Stärke zum Gegenstand hat.<br />

Ich gestaltete mit Hans Peter Schubert ein wunderschön einfaches<br />

Bühnenbild aus herabhängenden Metallstangen, mit denen wir<br />

Ritterburggemäuer und Landschaft im Sturm phantastisch einfach<br />

zeigen konnten. Magdalenas Kunigunde von Thurneck war so, wie<br />

Kleist sie wirklich dargestellt hatte, eine Puppe, kahlköpfig, nackt,<br />

in einem Chiffon-Gewand, das die Wasserfrau andeutete. Sie war bei<br />

uns keine Undine, eher eine groteske Gestalt. Elisabeth Krejcir zeigte<br />

das Käthchen als ein Opfer des Ritters Wetter von Strahl – dass es sich<br />

quälen lässt, konnten wir ja nicht als Liebe ausgeben. Den Seufzer von<br />

Käthchens Vater, „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen“, nahmen<br />

wir als Motto. Und den <strong>auf</strong>geblasenen Rittern wünschte ich in<br />

einem sarkastischen Beitrag fürs Programmheft „dank ihrer chauvinistischen<br />

Uneinsicht allen mitsamt ein schreckliches Zugrundegehen<br />

in ihren blechernen Spielhöschen.“ s<br />

Auszug aus W. Schroeter: „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“,<br />

Kapitel „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen!“, S. 166–172,<br />

Aufbau Verlag 2011<br />

Mondo Lux – Die Bilderwelten<br />

des Werner Schroeter<br />

von Elfi Mikesch<br />

DE 2011, 97 Min, dt. OF<br />

Filmgalerie 451, www.filmgalerie451.de<br />

Im Kino seit 25. August 2011<br />

Tage im Dämmer, Nächte im Rausch<br />

von Werner Schroeter und Claudia Lenssen<br />

Autobiografie, 408 Seiten, Aufbau Verlag 2011,<br />

www.<strong>auf</strong>bau-verlag.de<br />

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tellerrand

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