Neu auf dvd - Sissy

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12.11.2012 Aufrufe

tellerrand kino Szene aus „Brandung“ Brandung (Boom) von Joseph Losey US 1968, 139 Min, DF/OmU Auf DVD bei KSM, www.ksmfilm.de Die Katze auf dem heißen Blechdach von Richard Brooks US 1958, 104 Min, DF/OmU Auf DVD bei Warner Home Video, www.warnerbros.de Mund kommen sogar die etwas platten Sentenzen zu Alter und Jugend, von den Legenden, die nicht leicht sterben, erstaunlich frisch. Sweet Bird ist ein bescheidener Versuch, an die Verrücktheit von Boom heranzukommen. Eine TV-Extravaganza, die keine Scheu hat, orientalische Prachtentfaltung zu versuchen im puritanischen Amerika. Und Taylors aufgedonnerter, synthetischer Stil produziert, auf eine ganz verrückte Weise, eine hinreißende Natürlichkeit. Als Kabuki-Star hatte sie sich explizit in Boom präsentiert, im japanischen Theater gilt Ausdruckslosigkeit als die wahre Kunst. Boom war ein Film des künstlerischen Exils, nicht des inneren, sondern in seiner Outriertheit, seiner Extravaganz, des äußeren. Eine Kunstanstrengung par excellence, die unweigerlich purer Camp wurde. Noch einmal die große Parole des filmischen Existentialismus, die man sich zugeraunt hatte in den Fünfzigern und Sechzigern: Kino, das ist dem Tod bei der Arbeit zuschauen. Cocteau hatte das proklamiert, der das Theater so provokativ und scharlatanesk anging wie Tennessee Williams. Hexen im Exil Boom ist ein Wendepunkt des modernen Kinos, ein echtes starkes 68er-Stück, das wundervoll hineinpasst in die Sechziger und ihre grandiose Tendenz zur Selbstzerstörung. Alles löst sich auf, alles zersetzt sich. Bedeutung schwindet, die Tiefe des Lebens. Was bleibt ist Performance. Von draußen hört man die Brandung der Neuen Wellen in ganz Europa, die mit dem Kino auf die Straßen gegangen sind. Boom ist ein Bekenntnis zum filmischen Exil, ein Film der Heimatlosen und Exzentrischen. Taylor und Burton waren durch ihr Startheater seit Cleopatra Geächtete des Kinobetriebs. Burton, der im Herzen immer noch von einer Theaterkarriere, von Shakespeare und Co. träumte, musste sich als Engel des Todes in albern wallende Gewänder hüllen und ein Schwert unter dem Arm tragen. Joseph Losey, der von den Hexenjägern aus Hollywood vertrieben worden war, hatte in Europa nie die Projekte finden können, die seiner würdig wären und ihm seiner Meinung nach zustünden. Elizabeth Taylor bekommt, in ihrer ultimativen Divenrolle, Konkurrenz von unerwarteter Seite. Die Hexe von Capri kommt zu Besuch, sie wird – im Stück eine Frauenrolle – verkörpert von Noël Coward. Katharine Hepburn hatte die Rolle abgelehnt, entrüstet, angewidert, enttäuscht. s KSM Spätstarter von anna Wollner Mit „The Kids Are All right“ hat Hollywood es im letzten Jahr schon vorgemacht: homosexuelle Eltern sind im aufgeklärten und liberalen Amerika kein Problem mehr. zumindest im Kino. Haben Annette Bening und Julianne Moore als nic und Jules zum perfekten Familienglück aber noch auf einen Samenspender zurückgreifen müssen, geht regisseur und Illustrator Mike Mills einen Schritt weiter. In „Beginners“ outet sich ein 75-jähriger Mann und verwirrt damit vor allem seinen Sohn. Im Kino ab 9. Juni 2011. s Es ist das Jahr 2003. Oliver ist ein erfolgloser Grafiker und Illustrator, den keiner ernst nimmt. Wie soll er da das Leben ernst nehmen – vor allem nach dem, was er durchgemacht hat. Eines Tages sitzt sein 75-jähriger Vater vor ihm. Ein wenig schüchtern windet er sich auf dem Sofa im Wohnzimmer und sagt: „Junge, ich bin schwul.“ Mit 75 Jahren und einer über 50 Jahre währenden Ehe soll der eigene Vater auf einmal Männer lieben. Oliver kann es kaum glauben. Noch weniger glauben kann und will er, dass sein Vater nur kurz nach seinem Coming-Out an Krebs erkrankt. Ihm bleiben noch wenige Jahre, eigentlich nur Monate, in denen er seine neu entdeckte Sexualität und das Leben genießen kann. Hal – mit Würde und Charme gespielt von Christopher Plummer – ist mit seinen 75 Jahren genauso aufgeregt wie ein Teenager: Alles ist neu, er ist ungeduldig, ein Stück naiv und anfällig für die neuen Gefühle in einer (homo)sexuellen Beziehung. Seine Aufregung und seine fast schon kindliche Entdeckung einer faszinierenden Welt der Erwachsenen, die ihm in seiner Ehe verschlossen geblieben ist, werden auch von der erschütternden Dia- gnose nicht beeinflusst. Denn Hal hat noch lange nicht mit dem Leben abgeschlossen. Die Geschichte von Hal ist genauso die Geschichte von Oliver. Und die von Regisseur Mike Mills. Beginners ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung des Künstlers, erzählt er doch hier die Geschichte seines eigenen Vaters. Und verknüpft sie mit einer wunderschönen Liebesgeschichte: Oliver lernt auf einer Party die französische Schauspielerin Anna kennen. Allein schon der Moment des Kennenlernens ist ein Absurdum: sie als Stummfilmschauspielerin und er als Dr. Freud. Nicht nur eine Liebeserklärung an das Kino, sondern auch ein Hinweis darauf, dass Mills hier seine eigene Trauerarbeit leistet. Die Liebesgeschichte von Oliver und Anna, die auf kein unglaublich kitschig-romantisches Happy End zusteuert, sondern genauso ist wie jede Liebesgeschichte mit ihren Aufs und Abs, ihrem Glück und Unglück – genauso kompliziert wie das Leben jenseits der Leinwand – ist der Gegenpol zur Geschichte von Hal und Oliver, von Vater und Sohn. Das nonlineare Erzählmuster mit seinen zwei Handlungssträngen verbindet Mike Mills zu einem: Durch Hal lernt Oliver Anna lieben UnIVErSAL und gleichzeitig versteht Oliver erst durch die Liebe zu Anna sein besonderes Verhältnis zu seinem Vater. Beginners ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod und der Liebe zugleich: Oliver muss sich mit der Veränderung und dem Tod seines Vaters befassen und sich gleichzeitig darauf einlassen, sich selbst zu verlieben. In einer Phase, in der seine Gefühle besonders verletzbar sind, gibt er sich Anna preis. Sein treuer Freund und Begleiter dabei: ein Jack Russell-Terrier, mit dem er ein ums andere Mal das Gespräch und tierischen Rat sucht. Und weil Hunde nun mal nicht sprechen können, sind die Antworten eben untertitelt. Nicht nur diese fast schon magischen Spielereien erinnern an Regiekünstler wie Michel Gondry und Charlie Kaufmann. Mike Mills verleiht seinem Alter Ego Oliver den Beruf des Illustrators. Immer wieder gibt es als Unterbrechung künstlerisch verspielte Elemente wie Zeichnungen und Assoziationsketten, Momente, in denen Oliver weder Sohn noch Geliebter ist, sondern einfach nur ein glücklich unglücklicher Mensch. Mike Mills’ Beginners ist ein zauberhafter Film über Anfänge, Umbrüche, Aufbrüche und Veränderungen. Es ist kein Film über schwul sein, lesbisch sein oder heterosexuell sein, sondern vielmehr ein Film über die emotionalen Risiken einer Liebesgeschichte. Durch die Mischung aus Fiktion und Autobiographischem bekommt Beginners eine angenehme Authentizität, ist nicht aufgesetzt und nicht konstruiert. Ein bisschen verschroben zwar – aber genau richtig. s Beginners von Mike Mills US 2010, 104 Min, DF Universal, www.universal-pictures.de Im Kino ab 9. Juni 2011 26 27

tellerrand kino<br />

Szene aus „Brandung“<br />

Brandung (Boom)<br />

von Joseph Losey<br />

US 1968, 139 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei KSM, www.ksmfilm.de<br />

Die Katze <strong>auf</strong> dem<br />

heißen Blechdach<br />

von Richard Brooks<br />

US 1958, 104 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Warner Home Video,<br />

www.warnerbros.de<br />

Mund kommen sogar die etwas platten Sentenzen zu Alter und Jugend, von den Legenden, die<br />

nicht leicht sterben, erstaunlich frisch.<br />

Sweet Bird ist ein bescheidener Versuch, an die Verrücktheit von Boom heranzukommen.<br />

Eine TV-Extravaganza, die keine Scheu hat, orientalische Prachtentfaltung zu versuchen im<br />

puritanischen Amerika. Und Taylors <strong>auf</strong>gedonnerter, synthetischer Stil produziert, <strong>auf</strong> eine<br />

ganz verrückte Weise, eine hinreißende Natürlichkeit.<br />

Als Kabuki-Star hatte sie sich explizit in Boom präsentiert, im japanischen Theater gilt<br />

Ausdruckslosigkeit als die wahre Kunst. Boom war ein Film des künstlerischen Exils, nicht des<br />

inneren, sondern in seiner Outriertheit, seiner Extravaganz, des äußeren. Eine Kunstanstrengung<br />

par excellence, die unweigerlich purer Camp wurde. Noch einmal die große Parole des<br />

filmischen Existentialismus, die man sich zugeraunt hatte in den Fünfzigern und Sechzigern:<br />

Kino, das ist dem Tod bei der Arbeit zuschauen. Cocteau hatte das proklamiert, der das Theater<br />

so provokativ und scharlatanesk anging wie Tennessee Williams.<br />

Hexen im Exil<br />

Boom ist ein Wendepunkt des modernen Kinos, ein echtes starkes 68er-Stück, das wundervoll<br />

hineinpasst in die Sechziger und ihre grandiose Tendenz zur Selbstzerstörung. Alles löst<br />

sich <strong>auf</strong>, alles zersetzt sich. Bedeutung schwindet, die Tiefe des Lebens. Was bleibt ist Performance.<br />

Von draußen hört man die Brandung der <strong>Neu</strong>en Wellen in ganz Europa, die mit dem<br />

Kino <strong>auf</strong> die Straßen gegangen sind.<br />

Boom ist ein Bekenntnis zum filmischen Exil, ein Film der Heimatlosen und Exzentrischen.<br />

Taylor und Burton waren durch ihr Startheater seit Cleopatra Geächtete des Kinobetriebs.<br />

Burton, der im Herzen immer noch von einer Theaterkarriere, von Shakespeare und<br />

Co. träumte, musste sich als Engel des Todes in albern wallende Gewänder hüllen und ein<br />

Schwert unter dem Arm tragen. Joseph Losey, der von den Hexenjägern aus Hollywood vertrieben<br />

worden war, hatte in Europa nie die Projekte finden können, die seiner würdig wären<br />

und ihm seiner Meinung nach zustünden. Elizabeth Taylor bekommt, in ihrer ultimativen<br />

Divenrolle, Konkurrenz von unerwarteter Seite. Die Hexe von Capri kommt zu Besuch, sie<br />

wird – im Stück eine Frauenrolle – verkörpert von Noël Coward. Katharine Hepburn hatte die<br />

Rolle abgelehnt, entrüstet, angewidert, enttäuscht. s<br />

KSM<br />

Spätstarter<br />

von anna Wollner<br />

Mit „The Kids Are All right“ hat Hollywood es im letzten Jahr schon vorgemacht:<br />

homosexuelle Eltern sind im <strong>auf</strong>geklärten und liberalen Amerika kein Problem mehr.<br />

zumindest im Kino. Haben Annette Bening und Julianne Moore als nic und Jules<br />

zum perfekten Familienglück aber noch <strong>auf</strong> einen Samenspender zurückgreifen<br />

müssen, geht regisseur und Illustrator Mike Mills einen Schritt weiter. In „Beginners“<br />

outet sich ein 75-jähriger Mann und verwirrt damit vor allem seinen Sohn. Im Kino ab<br />

9. Juni 2011.<br />

s Es ist das Jahr 2003. Oliver ist ein erfolgloser<br />

Grafiker und Illustrator, den keiner<br />

ernst nimmt. Wie soll er da das Leben ernst<br />

nehmen – vor allem nach dem, was er durchgemacht<br />

hat. Eines Tages sitzt sein 75-jähriger<br />

Vater vor ihm. Ein wenig schüchtern<br />

windet er sich <strong>auf</strong> dem Sofa im Wohnzimmer<br />

und sagt: „Junge, ich bin schwul.“ Mit 75<br />

Jahren und einer über 50 Jahre währenden<br />

Ehe soll der eigene Vater <strong>auf</strong> einmal Männer<br />

lieben. Oliver kann es kaum glauben. Noch<br />

weniger glauben kann und will er, dass sein<br />

Vater nur kurz nach seinem Coming-Out an<br />

Krebs erkrankt. Ihm bleiben noch wenige<br />

Jahre, eigentlich nur Monate, in denen er<br />

seine neu entdeckte Sexualität und das<br />

Leben genießen kann.<br />

Hal – mit Würde und Charme gespielt<br />

von Christopher Plummer – ist mit seinen 75<br />

Jahren genauso <strong>auf</strong>geregt wie ein Teenager:<br />

Alles ist neu, er ist ungeduldig, ein Stück naiv<br />

und anfällig für die neuen Gefühle in einer<br />

(homo)sexuellen Beziehung. Seine Aufregung<br />

und seine fast schon kindliche Entdeckung<br />

einer faszinierenden Welt der Erwachsenen,<br />

die ihm in seiner Ehe verschlossen geblieben<br />

ist, werden auch von der erschütternden Dia-<br />

gnose nicht beeinflusst. Denn Hal hat noch<br />

lange nicht mit dem Leben abgeschlossen.<br />

Die Geschichte von Hal ist genauso die<br />

Geschichte von Oliver. Und die von Regisseur<br />

Mike Mills. Beginners ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung<br />

des Künstlers, erzählt<br />

er doch hier die Geschichte seines eigenen<br />

Vaters. Und verknüpft sie mit einer wunderschönen<br />

Liebesgeschichte: Oliver lernt <strong>auf</strong><br />

einer Party die französische Schauspielerin<br />

Anna kennen. Allein schon der Moment<br />

des Kennenlernens ist ein Absurdum: sie<br />

als Stummfilmschauspielerin und er als Dr.<br />

Freud. Nicht nur eine Liebeserklärung an das<br />

Kino, sondern auch ein Hinweis dar<strong>auf</strong>, dass<br />

Mills hier seine eigene Trauerarbeit leistet.<br />

Die Liebesgeschichte von Oliver und Anna,<br />

die <strong>auf</strong> kein unglaublich kitschig-romantisches<br />

Happy End zusteuert, sondern genauso<br />

ist wie jede Liebesgeschichte mit ihren Aufs<br />

und Abs, ihrem Glück und Unglück – genauso<br />

kompliziert wie das Leben jenseits der Leinwand<br />

– ist der Gegenpol zur Geschichte von<br />

Hal und Oliver, von Vater und Sohn. Das<br />

nonlineare Erzählmuster mit seinen zwei<br />

Handlungssträngen verbindet Mike Mills zu<br />

einem: Durch Hal lernt Oliver Anna lieben<br />

UnIVErSAL<br />

und gleichzeitig versteht Oliver erst durch<br />

die Liebe zu Anna sein besonderes Verhältnis<br />

zu seinem Vater.<br />

Beginners ist eine Auseinandersetzung<br />

mit dem Tod und der Liebe zugleich: Oliver<br />

muss sich mit der Veränderung und dem Tod<br />

seines Vaters befassen und sich gleichzeitig<br />

dar<strong>auf</strong> einlassen, sich selbst zu verlieben. In<br />

einer Phase, in der seine Gefühle besonders<br />

verletzbar sind, gibt er sich Anna preis. Sein<br />

treuer Freund und Begleiter dabei: ein Jack<br />

Russell-Terrier, mit dem er ein ums andere<br />

Mal das Gespräch und tierischen Rat sucht.<br />

Und weil Hunde nun mal nicht sprechen<br />

können, sind die Antworten eben untertitelt.<br />

Nicht nur diese fast schon magischen<br />

Spielereien erinnern an Regiekünstler wie<br />

Michel Gondry und Charlie K<strong>auf</strong>mann. Mike<br />

Mills verleiht seinem Alter Ego Oliver den<br />

Beruf des Illustrators. Immer wieder gibt es<br />

als Unterbrechung künstlerisch verspielte<br />

Elemente wie Zeichnungen und Assoziationsketten,<br />

Momente, in denen Oliver weder<br />

Sohn noch Geliebter ist, sondern einfach nur<br />

ein glücklich unglücklicher Mensch.<br />

Mike Mills’ Beginners ist ein zauberhafter<br />

Film über Anfänge, Umbrüche, Aufbrüche<br />

und Veränderungen. Es ist kein Film über<br />

schwul sein, lesbisch sein oder heterosexuell<br />

sein, sondern vielmehr ein Film über die<br />

emotionalen Risiken einer Liebesgeschichte.<br />

Durch die Mischung aus Fiktion und Autobiographischem<br />

bekommt Beginners eine<br />

angenehme Authentizität, ist nicht <strong>auf</strong>gesetzt<br />

und nicht konstruiert. Ein bisschen verschroben<br />

zwar – aber genau richtig. s<br />

Beginners<br />

von Mike Mills<br />

US 2010, 104 Min, DF<br />

Universal, www.universal-pictures.de<br />

Im Kino ab 9. Juni 2011<br />

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