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Neu auf dvd - Sissy

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tellerrand<br />

ameRIka alS dIva<br />

von FritZ Göttler<br />

Am 23. März ist Elizabeth rosemond Taylor gestorben, ein Hollywoodstar, der das Attribut sinnlicher Leinwandpräsenz<br />

neu definierte. Eine übergroße, überquellende, überzogene und überfordernde Frau. Wenn<br />

sie als Südstaatengewächs nach queerer Vorlage – als Katze <strong>auf</strong> dem heißen Blechdach, als Freundin eines<br />

schwulen Dichters, als exaltierte Inselherrin, als alternder Filmstar – <strong>auf</strong>trat, trafen zwei Diven <strong>auf</strong>einander.<br />

Eine kleine Hommage.<br />

Flora „<strong>Sissy</strong>“ Goforth (Elizabeth Taylor) und Chris Flanders (Richard Burton) in „Brandung“ (Joseph Losey, 1968)<br />

s Ein Film, der aus der Filmgeschichte herausgefallen ist, Boom von<br />

Joseph Losey, nach Tennessee Williams, von 1968. Der erste Film mit<br />

Elizabeth Taylor und Richard Burton, erinnert sich der Regisseur,<br />

der Geld verloren hat. Eine bombastische Lektion in Öffentlichkeitsarbeit,<br />

das Paar, das in den Sechzigern mit seinen Extravaganzen und<br />

Skandalen für Schlagzeilen gesorgt hatte, gibt nun den Starkult selbst<br />

der Lächerlichkeit preis. Ein Film als Sündenfall. „The best failed art<br />

film ever“, sagt John Waters, der Filmemacher des lustvoll schlechten<br />

Geschmacks, ein Boom-Fan. Auch Anna Wintour, heißt es, würde sich<br />

den Film wieder und wieder anschauen, die eigensinnige Primadonna<br />

von „Vogue“.<br />

Eine Festung gegen den Tod<br />

In Boom übernahmen die Designer das Kommando, der Ausstatter<br />

Richard MacDonald und das Modehaus Tiziani in Rom: Diese<br />

unglaubliche Villa <strong>auf</strong> den Klippen, über der Brandung, so scheußlich<br />

chic, wo Taylor als reiche Amerikanerin die letzten Tage ihres Lebens<br />

verbringt, im Kampf gegen ihre tödliche Krankheit. Ein Raum, der<br />

Weite suggeriert und doch alles abschließt. Schwere schwarze Sitzgarnituren,<br />

dominant in den Räumen verteilt, mysteriöse Embleme<br />

<strong>auf</strong> dem Boden, schlanke Kristallleuchter und Gläser, vom schwarzgekleideten<br />

Personal diskret placiert, die weißen Vorhänge, die an<br />

allen Fenstern hineinwehen. Eine Festung, gegen den Tod wie gegen<br />

das Leben. Taylor ist, in ihren weiten Roben, mit ihren verspielten<br />

Haarkreationen, Teil des Arrangements, ein Accessoire. Goforth ist<br />

ihr Name, Flora <strong>Sissy</strong> Goforth.<br />

In den Sechzigern kam Taylors Karriere voll ins Taumeln. Fünf<br />

Jahre vor Boom macht sie Cleopatra, den Film, der das klassische Studiosystem<br />

noch einmal kräftig ad absurdum führt, zwei Jahre davor<br />

das überdrehte Ehetheater Who’s Afraid Of Virginia Woolf?, das schon<br />

das neue junge amerikanische Kino ankündigt, im Jahr zuvor Reflection<br />

In A Golden Eye, nach dem Roman von Carson McCullers, die<br />

Tennessee Williams die beste und ihm liebste amerikanische Autorin<br />

genannt hatte.<br />

Kann nicht singen, kann nicht tanzen<br />

Vier Filme nach Tennessee Williams hat Elizabeth Taylor gemacht,<br />

sein Ruhm war etwas abgeblättert in den Fünfzigern und Sechzigern,<br />

aber immer noch war sein Theater kraftvoll und vital. Mitte<br />

der Vierziger, als er seine ersten Stücke vorlegte, hatte Taylor eben<br />

KSM<br />

die ersten Filme gedreht, als Kinderstar in Hollywood. Einsamkeit,<br />

Entfremdung, Verachtung – es könnten die gleichen Erfahrungen<br />

gewesen sein, die der Südstaatenautor in New York und das in die<br />

USA verschickte Britenmädel gemacht hatten. „She can’t sing, she<br />

can’t act, she can’t dance, she can’t perform“, war die Studiomeinung.<br />

Ihre Antwort dar<strong>auf</strong>, an die Gesellschaft, an sich selbst: der Wille<br />

zur Dekadenz, zur großen Geste, die die Leere nicht mehr kaschieren<br />

will.<br />

Mit dem Williams-Doppelschlag Ende der Fünfziger – sie macht<br />

hintereinander Cat On A Hot Tin Roof und Suddenly, Last Summer<br />

– hat Taylor sich von ihrer Kinovergangenheit freigemacht, hat sich<br />

abgesetzt von ihrem Studio, der MGM, ist rausgetreten aus dem<br />

Schatten der un<strong>auf</strong>hörlichen Mädchen- und Teenagerrollen, die sie<br />

zum Kinodarling gemacht hatten. In den Jahren danach, <strong>auf</strong> dem Weg<br />

zu Boom, wird sie ihre Divenhaftigkeit akzeptieren. Eine Legende zu<br />

Lebzeiten, eine sleeping beauty.<br />

Sie ist ein Star ohne eigene Jugend, ein Mädchen, das abrupt<br />

erwachsen werden musste. Amerikas verlorene Jugend ist der Süden<br />

des Landes geblieben, die heimliche Heimat, in der auch Taylor sich<br />

heimisch fühlen konnte. Vor Cat hatte sie Giant gemacht, nach Edna<br />

Ferber, mit Rock Hudson und James Dean, als junge Landbarone und<br />

Ölmillionäre von Texas, und Raintree Country, das Bürgerkriegs-<br />

Epos nach dem Roman von Ross Lockridge Jr., mit Montgomery Clift.<br />

Der Süden, der vergessene, verleugnete, verdrängte Teil der amerikanischen<br />

Nation, vom Norden dominiert, von seiner Ökonomie und<br />

seinem rationalen Kalkül. Die feudale Vergangenheit, in der europäisches<br />

Erbe überlebt, verschwenderisch, exzessiv, unbeherrscht und<br />

exzentrisch, aber auch – und besonders bei Tennessee Williams –<br />

ridikül und grausam. Der Süden, das ist Amerika als Diva.<br />

Eis am Knie<br />

Der Süden, das ist Amerika als Exil. Unglaublich, mit welcher Unbedenklichkeit,<br />

mit welchem Mut Taylor als Maggie the Cat das Risiko<br />

<strong>auf</strong> sich nimmt, sich lächerlich zu machen. Der Südstaatenakzent<br />

kommt ganz schamlos und schrill bei ihr, das wirkt sehr befreiend<br />

neben Newman, der sich abquält mit seinen Bemühungen um Authentizität.<br />

Taylor ist seine Frau, die seine Unangepasstheit enerviert, die<br />

ihn motivieren will, seinen Platz in der Familie endlich zu erkämpfen,<br />

zu akzeptieren. (Im Stück ist er schwul – das hat man bei der Hollywoodbearbeitung<br />

sich nicht zu übernehmen getraut.) Ihr erster Auftritt<br />

ist glamourös und wird ihr lustvoll versaut. Sie schaut fabelhaft<br />

aus, wenn sie erstmals im Garten der großen Familienvilla <strong>auf</strong>taucht,<br />

eine weiße Bluse, ein beiger enger Rock, klappernde Armringe. Ihre<br />

porzellanweiße Haut, ihr tiefschwarzes Haar, dazu ein knallroter<br />

Ledergürtel. Ganz großer Fünfziger-Chic, aber dann greift eins der<br />

Kinder, die auch beim Familientreffen dabei sind, tief in den Eiscremetopf<br />

und klatscht ihr böse eine Portion direkt ans Schienbein.<br />

Southern Slapstick, eine Spezialität von Tennessee Williams. Sie ist<br />

reif für einen Kleiderwechsel. Das passiert ihr wahnsinnig oft, dass<br />

ihre Auftritte grotesk vermasselt werden, oft auch von ihr selbst.<br />

Plätze in der Sonne<br />

Ein Jahr später wird das noch eine Windung weitergedreht. In Suddenly,<br />

Last Summer ist Taylors Schönheit noch aggressiver, sie ist wieder<br />

so irre schön wie sie es in A Place In The Sun war – eine Schwarzweißschönheit,<br />

so makellos und hart konturiert. Die Farbe macht sie<br />

immer unberechenbar, das Rouge <strong>auf</strong> den Wangen, das Pink <strong>auf</strong> den<br />

Lippen, die violetten Augen. Tennessee Williams hasste die Hollywoodverfilmung<br />

von Cat, die die Reinheit des Stücks nicht bewahren<br />

konnte, it was jazzed up, hooked up a bit.<br />

Die Schönheit verdankt Suddenly dem Regisseur Joseph L. Mankiewicz,<br />

der einer der Intellektuellen von Hollywood war und ein<br />

„Die Katze <strong>auf</strong> dem heißen Blechdach“ (Richard Brooks, 1958)<br />

Mann, der die Frauen liebte. Im Film paktiert er mit der anderen Frau,<br />

Katharine Hepburn – eine exzentrische Millionärin, mit deren Sohn<br />

Taylor den Sommer über zusammen war an einer spanischen Küste.<br />

Der Sohn ist tot, von mänadischen Jungs zerfleischt. Taylor hat sie in<br />

Erregung gebracht, mit ihrer traumhaften Erscheinung, in weißem<br />

Badeanzug, sexy und unschuldig. Sie ist das Sinnbild dieser archaischen<br />

wilden Erinnerung, sie ist traumatisiert, in einer Anstalt unter<br />

Wilden. Sie soll geopfert werden, damit wieder Frieden herrscht,<br />

soll operiert werden. Eine Lobotomie, die eine große Leere schafft<br />

im Gehirn, hinter ihrem reinen weißen Gesicht. Die Regie ist unerbittlich,<br />

schlingt die Zeiten und die Orte ineinander. „Mankiewicz<br />

war dafür bekannt, dass er seine Darstellerinnen und Frauen gern<br />

wild analysierte oder aber Analytikern zuführte“, schreibt Frieda<br />

Grafe. „So wenig in seinen Filmen Vergangenheit und Gegenwart<br />

sich aus einander dividieren lassen, ist das Verhalten seiner Figuren<br />

geschlechtsspezifisch eindeutig, auch wenn er vorgibt, der Weiblichkeit<br />

der Frauen <strong>auf</strong> der Spur zu sein.“<br />

Natürlich Kabuki<br />

Suddenly, Last Summer lässt Taylor irgendwie versehrt zurück. Sie<br />

akzeptiert, dass sie die Fremde ist, die Andere, die Abartige. So wie<br />

das Tennessee Williams getan hatte ein Jahrzehnt zuvor. Sie nimmt<br />

es <strong>auf</strong> sich, dass ihr nur noch die Performance bleibt, die Selbstdarstellung.<br />

In Sweet Bird Of Youth, inszeniert vom britischen Meister<br />

des Somnambulismus, Nicolas Roeg, ist sie die alternde Filmdiva Alexandra<br />

del Lago, und einmal legt sie vor ihrem jungen Lover-Gigolo<br />

eine hinreißende Frühstückszene hin, sie beißt prätentiös in ihr<br />

Brötchen, verzieht beim Kauen den Mund zur Schnute, leckt mit der<br />

Zunge verführerisch einen Brösel aus dem Mundwinkel. Aus diesem<br />

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tellerrand<br />

WArnEr (2)

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