12.11.2012 Aufrufe

Neu auf dvd - Sissy

Neu auf dvd - Sissy

Neu auf dvd - Sissy

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

tellerrand<br />

good ShIt<br />

von paul SchulZ<br />

Ellen Barkin spielt im neuen Film von Cam Archer („Wild Tigers I have known“) eine<br />

Hollywood-Diva, die sich unbequem zur ruhe setzt. Eine Würdigung.<br />

s „Sollten sie jemals einen Film über mich<br />

drehen, müsste er damit beginnen, wie ein<br />

kleines Mädchen <strong>auf</strong> ein Feuer zu rennt.“<br />

Mit diesem Satz lässt Cam Archer Shit Year<br />

enden, nachdem er ihn 98 Minuten vorher<br />

mit der beschriebenen Szene begonnen hat.<br />

Den Satz sagen darf Ellen Barkin, für die<br />

Archer den Film nicht geschrieben hat, „der<br />

er aber jetzt gehört“, wie er selber meint.<br />

Als Shit Year 2010 in Cannes zum ersten<br />

Mal der breiteren Öffentlichkeit präsentiert<br />

wurde, gab es, wie das bei interessanten<br />

Filmen so ist, Gegner und Befürworter.<br />

Spannend war, dass sie nach Geschlechtern<br />

getrennt waren. „Der Titel sagt’s ja schon,<br />

man muss nur statt ‚YEAR‘ ‚FILM‘ einsetzen,<br />

dann stimmt’s”, tobten die Männer. „Das ist<br />

eine unvergessliche Performance in einem<br />

großartigen Film“, antworteten die Frauen.<br />

Wir <strong>Sissy</strong>s stellen uns, wie das bei interessanten<br />

Filmen so ist, zu den Mädels. Was Frau<br />

Barkin hier abliefert, hat alles, wofür wir sie<br />

schon immer geliebt haben: Sie ist so schön,<br />

wie nur Menschen das sein können, denen<br />

man als Kind gesagt hat, sie seien hässlich, so<br />

selbstironisch, dass man dar<strong>auf</strong> wartet, dass<br />

sie anfängt, aus Spaß aus ein paar Stigmata<br />

zu bluten, und spielt so locker, so genau und<br />

mit solcher Lust, dass man eigentlich nicht<br />

übersehen kann, was für eine große Künstlerin<br />

sie ist. Shit Year ist eine enorme Freude,<br />

weil Cam Archer Barkin dazu benutzt, ein<br />

komplett verkopftes Konzept sanft, aber<br />

bestimmt zu erden.<br />

Der Schwarz-Weiß-Film erzählt ein Jahr<br />

im Leben der fiktiven Hollywood-Diva Colleen<br />

West, in dem sie versucht, sich in einer<br />

Hütte in den Bergen unbequem zur Ruhe zu<br />

setzen. Wie nah diese Figur an Barkin selbst<br />

dran ist und wie sehr es nötig ist, das zu wissen,<br />

um den doppelten Boden des Films zu<br />

erschließen, erkennt man erst, wenn man ein<br />

bisschen was über sie weiß.<br />

Ellen Barkins Karriere verlief nach<br />

einem altbekannten Muster. „Früher lief es<br />

so: Du bekamst eine Rolle mit einer Zeile<br />

Text. Dann eine mit drei Zeilen Text. Dann<br />

durftest du in einer Szene die Kellnerin sein,<br />

die Robert De Niro Kaffee bringt. Die Rollen<br />

wurden von Mal zu Mal größer und besser,<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

bis dich eines Tages dein Agent anrief, um dir<br />

Bescheid zu sagen, dass du jetzt ein Filmstar<br />

bist und du dich artig bei ihm dafür bedankt<br />

hast“, beschreibt die Tochter eines Chemikalienvertreters<br />

und einer Krankenhaus-<br />

Sekretärin aus der Bronx ihren Aufstieg.<br />

Als Barkin 1982 in Barry Levinsons American<br />

Diner ihren Durchbruch hatte, war sie<br />

28. „Zu alt, um mich noch als blondes Dummchen<br />

zu besetzen.“ Nicht dass <strong>auf</strong> diese Idee<br />

je jemand gekommen wäre. Dafür war ihr<br />

Gesicht viel zu eigen und besonders. Eines<br />

ihrer Augen verliert wegen einer Erbkrankheit<br />

dann und wann ohne Vorwarnung so gut<br />

wie alle Sehkraft, was dazu führt, dass sie,<br />

wenn sie keine Brille trägt, oft blinzelt. Das<br />

wirkt <strong>auf</strong> Kinoleinwänden verführerischer<br />

als es gemeint ist. „Aber was Frauen so meinen,<br />

ist den meisten Männern sowieso egal.“<br />

In den dar<strong>auf</strong>folgenden Jahren kultivierte<br />

Barkin vor der Kamera und <strong>auf</strong> der Bühne ihr<br />

Image als „The woman who fucks your brains<br />

back in“, wie ein New Yorker Theaterkritiker<br />

mal schrieb. Auf gut deutsch: „Die Frau, die<br />

dir das Gehirn wieder reinfickt.“ The Big<br />

Easy mit Dennis Quaid, Melodie des Todes<br />

mit Al Pacino, Siesta mit ihrem zukünftigen<br />

Ehemann Gabriel Byrne, Bad Company mit<br />

Laurence Fishburne: Für ein paar Jahre sah<br />

es so aus, als wäre Ellen Barkin nicht nur eine<br />

der besten und erotischsten, sondern auch<br />

eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen<br />

der Welt.<br />

Aber die B-Seiten ihrer „Greatest Hits“<br />

ließen immer vermuten, dass irgendwo in der<br />

professionellen Hollywood-Aktrice noch die<br />

Fünfzehnjährige saß, die aus Rache dafür,<br />

dass ihre Eltern ihr verboten hatten, nach<br />

Woodstock zu fahren, einfach im heimatlichen<br />

Wohnzimmer Acid einwarf. Down by<br />

Law von Jim Jarmush, die Gender/Bender-<br />

Komödie Switch von Blake Edwards, in der<br />

sie das Wort „Mangina“ erfand, oder ihre<br />

grobe Calamity Jane im Neo-Western Wild<br />

Bill mit Jeff Bridges: Sie konnte <strong>auf</strong> Frauen<br />

spielen, die nie die Augen zusammenkneifen<br />

würden, bloß, um Männern zu gefallen.<br />

Das erste Mal, dass sie das ohne Rücksicht<br />

<strong>auf</strong> Verluste praktizierte, war 1999<br />

in der kleinen aber feinen Mockumentary<br />

Gnadenlos schön, in der sie als White-Trash-<br />

Trailerpark-Mutter ihrer von einer jungen<br />

Kirsten Dunst gespielten Tochter dabei hilft,<br />

einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen.<br />

Barkin hat in der zweiten Hälfte des Films<br />

eigentlich nichts weiter zu tun, als schwer<br />

lädiert in einem Rollstuhl zu hocken und als<br />

personifizierter Running-Gag kichernd zu<br />

rauchen. Das tut sie so gut und pointiert, dass<br />

alles neben ihr verblasst.<br />

Seitdem macht sie das, was Frauen zwischen<br />

40 und 60, die nicht Meryl Streep<br />

oder Susan Sarandon sind, in Hollywood tun<br />

können: Sie spielt für Geld in klugen Block-<br />

bustern wie Oceans Thirteen, sucht sich immer wieder intelligente<br />

Fernsehproduktionen aus und macht nebenher gute Indie-Filme wie<br />

2004 Todd Solondz’ Palindrome oder Joel Schumachers Twelve aus<br />

dem letzten Jahr.<br />

Nebenbei fällt sie durch ihr Privatleben <strong>auf</strong>. Nachdem Barkin<br />

und Gabriel Byrne „die harmonischste Hollywood-Scheidung aller<br />

Zeiten“ hinter sich hatten, heiratete sie 2000 den New Yorker Milliardär<br />

Ronald Perelman und ließ ihre Karriere Karriere sein. „Was<br />

ich mir dabei gedacht habe, einen reichen Mann zu heiraten, weiß ich<br />

nicht. Ich war ja eigentlich längst <strong>auf</strong> der Party und brauchte wirklich<br />

niemanden mehr, der mich am Türsteher vorbeilotst“, beschreibt sie<br />

die Ehe im Rückblick. 2006 ließen sich Barkin und Perelman in einer<br />

öffentlichen Schlammschlacht scheiden und sie bekam zwischen 20<br />

und 40 Millionen Dollar. Seitdem rennen ihr jüngere Männer wie<br />

Ralph Fiennes die gut restaurierte Bude ein.<br />

Auf all das nimmt Archer in Shit Year Bezug: In Colleen West<br />

steckt mehr als ein bisschen Ellen Barkin, und wer den Film als semiautobiografische<br />

Hommage lesen will, kann das gut machen. So macht<br />

er auch richtig Spaß.<br />

Zur Ruhe setzen will sich Barkin allerdings nicht. „Ich arbeite<br />

gern und es ist ungeheuer wichtig für mich, etwas zu tun, indem ich<br />

gut bin“, sagt sie selbst. Aber einen Plan für ein mögliches Karriereende<br />

gibt es doch. „Wahrscheinlich ende ich <strong>auf</strong> der Couch, gucke<br />

mir Klassiker im Fernsehen an oder lese ein gutes Buch. So habe ich<br />

mal angefangen und vermutlich wird das auch der Schluss.“ Als Filmszene<br />

sehe das so aus: Eine 80-jährige, Gin trinkende Ellen Barkin, die<br />

liest, während in ihrem Kamin ein wildes Feuer lodert. s<br />

Down By Law<br />

von Jim Jarmusch<br />

US/DE 1986, 107 Min, OmU<br />

Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />

www.arthaus.de<br />

Switch<br />

von Blake Edwards<br />

US 1991, 103 Min, DF<br />

Auf DVD bei Universum,<br />

www.universum.de<br />

Siesta<br />

von Mary Lambert<br />

US 1987, 93 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei KNM Home Entertainment,<br />

www.knm-media.de<br />

Gnadenlos schön<br />

von Michael Patrick Jann<br />

US 1999, 94 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Concorde Video,<br />

www.concorde-home.de<br />

The Big Easy<br />

von Jim McBride<br />

US 1987, 99 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei 3L Film,<br />

www.3l-film.de<br />

Palindrome<br />

von Todd Solondz<br />

US 2004, 100 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Alive,<br />

www.alive-ag.de<br />

22 23<br />

tellerrand<br />

Mehr zum Thema Homophobie<br />

gibt's <strong>auf</strong> www.iwwit.de<br />

„Fast wie im richtigen Leben …“<br />

HINNERK<br />

JETZT IM KINO!

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!