Neu auf dvd - Sissy

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12.11.2012 Aufrufe

kino wird daraus folgen. Kontaktaufnahme gescheitert. Der fast leblose Körper hält alle und alles in seinem Bann. Swans zeigt Menschen, die sich nicht in Räume fügen und darum viel grundsätzlicher nicht in die Welt. Daraus folgt eine doppelte – man kann es kaum anders sagen – Pathologie. Weil sie, Manuel insbesondere, keinen Halt suchen, sich den Dingen und der Mitwelt nicht zuwenden, treiben sie und werden getrieben. Es leuchtet sehr ein, dass Hugo Viera da Silva das Verhältnis, das so entsteht, auf der anderen Seite als ein Verhältnis der Fetischisierung beschreibt. Soll heißen: Unbelebte Gegenstände werden zum Faszinosum, zu Objekten des Begehrens. Hier vor allem: eines Berührungsbegehrens. Die Zahnseide, eine Metallkette, Kleidungsstücke und Stoffe, eine Batman-Maske (und, letzten Endes, der restlebendige Körper der Mutter): Manuel blickt darauf, greift danach, reibt sich daran. Keineswegs renkt sich aber das Weltverhältnis in diesen sinnlich-taktilen EDITIon SALzGEBEr (3) Kontakten wieder ein. Die Dinge sind von ihrer Funktion im alltäglichen Umgang, von den menschlichen Körpern, denen sie zugehörten, getrennt und gelöst und werden als unbelebte und „tote“ fetischistisch – also ohne gelingende Reintegration – wiederbelebt, in einen Zwischenzustand zwischen tot und lebendig überführt. Zombies in Gropiusstadt. Der Lust an der Berührung setzt sich der Film in einer weiteren grandiosen Szene aus, und zwar in fast ins Groteske verschobener Weise. Der Vater fährt mit dem gerade erworbenen Auto in die Waschanlage. Minutenlang wird das Auto da von der Dreh-, Rubbel- und Schaumapparatur bearbeitet. In diesem Film gibt es nur Onanie (Manuel auf dem Bett, sein von der eigenen Hand bearbeiteter Schwanz im Zentrum des Bilds geradezu unverschämt ausgestellt) und Autosex. Für den Vater/den Zuschauer allerdings bleibt stets die Scheibe dazwischen. Das Auge, so könnte man die Position des Films vielleicht am besten beschreiben, ist kein taktiles Organ. Swans frustriert die Berührungs- und Empathielust des Zuschauers deshalb so gründlich, weil er die Körper, die Dinge und die Berührung hautnah präsentiert. Und doch erlaubt das Medium keine Berührung. Forciert, aber nicht falsch wäre die These: Es ist nicht zuletzt das Drama des eigenen Mediums, von dem der Film letztlich erzählt. Man kommt, je länger man auf sie blickt, den Personen umso weniger nahe. Das Unnahbare wird am Seltsamsten wohl verkörpert durch Kim (Vasupol Siriviriyapoon), die Mitbewohnerin, die ein paar Mal wie ein Geist in der Wohnung auftaucht, wie leblos in der Wanne liegt und ins Nichts wieder verschwindet. Der Film zeigt in einer Einstellung drastisch, kommentiert aber nicht: Kim ist ein Hermaphrodit. Es ist, als reagierte Manuel auf das Faszinosum dieses die sexuelle Differenz unterlaufenden Körpers in einer weiteren verschobenen Bewegung: zurück zum Körper der Mutter, der eine andere für die symbolische Ordnung der Dinge entscheidende Differenz unterläuft, die zwischen tot und lebendig. Er schlägt das Tuch zurück, das ihren nackten Torso bedeckt. Er berührt ihre Brüste, tastet nach ihrer Vagina. Die Berührung als radikaler Übergriff, in skandalöser Nähe zum Inzest wie zur Nekrophilie. Swans ist ein Körperhorrorfilm. Das Koma als vollständiger Kontrollverlust, der in die Bewegungs- und Leblosigkeit führt. Die totale Kontrolle des Skaters beim Skaten. Einmal macht der Vater Meditationsübungen und überlässt sich dabei ganz den Anweisungen der von ihrem Körper dissoziierten Stimme von der CD. Wie Sonden sind die Figuren in der Stadt unterwegs, auf einer Suche, sie wissen nur nicht, wonach. Reinhold Vorschneiders Kamera liegt mit ihren virtuosen Fahrten und Eigenbewegungen, das Berührungs- als Abbildungsbegehren verdoppelnd, noch einmal quer dazu. Der Film selbst nimmt zu alledem die einzig plausible Position ein: Er hält es konsequent fest, unter enigmatischem Titel, und mobilisiert den Betrachter, indem er sich seinem schnellen Begreifen entzieht. s Swans von Hugo Vieira da Silva PT/DE 2010, 120 Min, dt. OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 14. Juli 2011 tropenkoller von Jan künemund In seinem dritten Spielfilm schickt Ulrich Köhler („Bungalow“, „Montag kommen die Fenster“) sein gewohnt halt- und orientierungsloses Personal mit europäischem Auftrag in den afrikanischen Urwald. Einer geht dabei verloren, der andere kommt gar nicht erst an. „Schlafkrankheit“ startet am 23. Juni in den Kinos. s „Ich bin schwul.“ Dieser Satz fällt mitten im tropischen Regenwald Kameruns vor einer halb im Schlamm begrabenen Brücke, vor der zwei europäische Mediziner entnervt ihr Auto haben stehen lassen, um kurz Luft zu holen in ihrer verfahrenen Situation. Er markiert denjenigen, der ihn sagt, einmal mehr als Fremden, der das Spiel der Europäer in Afrika nicht mitspielt – der den Taxifahrern und Zigarettenverkäufern nicht traut, der kein Flusswasser trinkt, der nur wenige Tage bleiben will, der keine Geschäfte macht, keine Geliebte hat, der auf seinem Zimmer bleibt und in die Wasserflasche pinkelt, anstatt draußen die Toilette zu suchen, der die Situation in der Fremde punktuell evaluieren will, anstatt sie kreativ auszulegen, der sich nicht anpasst und nicht verstrickt. Eine Identifikationsfigur, findet Regisseur Ulrich Köhler: Alex Nzila, der schwule, schwarze WHO-Bürokrat aus Paris, dessen erster Auftrag eine Reise nach Afrika ist, das er nur soweit wahrnimmt, wie der Schein seiner kleinen Taschenlampe reicht. Tatsächlich ist das eine originelle Figur, unbeholfen, ängstlich, schwach – so ganz anders als die kolonialen und postkolonialen Herren, die sich die Fremde verständlich machen und dann aneignen wollen, in den kolonialkritischen Erzählungen aber schließlich schei- tern und degenerieren, zu Nicht-Afrikanern und Nicht-mehr-Europäern werden. Auch diese Figur gibt es in Schlafkrankheit, Ebbo, der andere Mediziner, der natürlich auch weiß, was man bei Schwulsein in Afrika verschreibt („Bloß keinem erzählen!“). Der Film hat seine zwei Teile um diese zwei Figuren herum aufgebaut, weniger, um Thesen kultureller Fremdheiten gegeneinander auszuspielen, sondern eher, um undurchdringliche Bilder zu setzen und vom Scheitern der Strategien zu erzählen, Fremdheit aufzulösen, die eigentlich selbstgemacht ist. Von der afrikanischen Schlafkrankheit, die von den europäischen Medizinern bekämpft werden soll, ist hier kein Afrikaner befallen. Die Europäer dagegen fantasieren, von Bilharziose und großen Schwänzen, sie verschreiben sich Malariaprohylaxen, von denen sie depressiv werden. Und aus den drei Stadien der Schafkrankheit, die von Juckreiz, Fieber und schließlich dem undurchdringlichen Dämmerzustand begleitet werden, führt sie allenfalls eine Metamorphose heraus, die der Film augenzwinkernd an den Schluss setzt. Haltungslosigkeit und fehlende Dramatik sind ihm schon vorgeworfen worden – anstatt ihn für seinen bemerkenswert klaren Blick zu bewundern, mit dem er sich diesen ganzen Dschungel ansieht. s Schlafkrankheit von Ulrich Köhler DE/FR/NL 2011, 91 Min, teilweise dt. OF/OmU Farbfilm, www.farbfilm-verleih.de Im Kino ab 23. Juni 2011 12 13 kino FArBFILM

kino<br />

wird daraus folgen. Kontakt<strong>auf</strong>nahme gescheitert. Der fast leblose<br />

Körper hält alle und alles in seinem Bann.<br />

Swans zeigt Menschen, die sich nicht in Räume fügen und darum<br />

viel grundsätzlicher nicht in die Welt. Daraus folgt eine doppelte –<br />

man kann es kaum anders sagen – Pathologie. Weil sie, Manuel insbesondere,<br />

keinen Halt suchen, sich den Dingen und der Mitwelt<br />

nicht zuwenden, treiben sie und werden getrieben. Es leuchtet sehr<br />

ein, dass Hugo Viera da Silva das Verhältnis, das so entsteht, <strong>auf</strong> der<br />

anderen Seite als ein Verhältnis der Fetischisierung beschreibt. Soll<br />

heißen: Unbelebte Gegenstände werden zum Faszinosum, zu Objekten<br />

des Begehrens. Hier vor allem: eines Berührungsbegehrens. Die<br />

Zahnseide, eine Metallkette, Kleidungsstücke und Stoffe, eine Batman-Maske<br />

(und, letzten Endes, der restlebendige Körper der Mutter):<br />

Manuel blickt dar<strong>auf</strong>, greift danach, reibt sich daran. Keineswegs<br />

renkt sich aber das Weltverhältnis in diesen sinnlich-taktilen<br />

EDITIon SALzGEBEr (3)<br />

Kontakten wieder ein. Die Dinge sind von ihrer Funktion im alltäglichen<br />

Umgang, von den menschlichen Körpern, denen sie zugehörten,<br />

getrennt und gelöst und werden als unbelebte und „tote“ fetischistisch<br />

– also ohne gelingende Reintegration – wiederbelebt, in einen<br />

Zwischenzustand zwischen tot und lebendig überführt. Zombies in<br />

Gropiusstadt.<br />

Der Lust an der Berührung setzt sich der Film in einer weiteren<br />

grandiosen Szene aus, und zwar in fast ins Groteske verschobener<br />

Weise. Der Vater fährt mit dem gerade erworbenen Auto in die<br />

Waschanlage. Minutenlang wird das Auto da von der Dreh-, Rubbel-<br />

und Schaumapparatur bearbeitet. In diesem Film gibt es nur Onanie<br />

(Manuel <strong>auf</strong> dem Bett, sein von der eigenen Hand bearbeiteter<br />

Schwanz im Zentrum des Bilds geradezu unverschämt ausgestellt)<br />

und Autosex. Für den Vater/den Zuschauer allerdings bleibt stets die<br />

Scheibe dazwischen. Das Auge, so könnte man die Position des Films<br />

vielleicht am besten beschreiben, ist kein taktiles Organ. Swans frustriert<br />

die Berührungs- und Empathielust des Zuschauers deshalb so<br />

gründlich, weil er die Körper, die Dinge und die Berührung hautnah<br />

präsentiert. Und doch erlaubt das Medium keine Berührung. Forciert,<br />

aber nicht falsch wäre die These: Es ist nicht zuletzt das Drama des<br />

eigenen Mediums, von dem der Film letztlich erzählt.<br />

Man kommt, je länger man <strong>auf</strong> sie blickt, den Personen umso<br />

weniger nahe. Das Unnahbare wird am Seltsamsten wohl verkörpert<br />

durch Kim (Vasupol Siriviriyapoon), die Mitbewohnerin, die ein<br />

paar Mal wie ein Geist in der Wohnung <strong>auf</strong>taucht, wie leblos in der<br />

Wanne liegt und ins Nichts wieder verschwindet. Der Film zeigt in<br />

einer Einstellung drastisch, kommentiert aber nicht: Kim ist ein Hermaphrodit.<br />

Es ist, als reagierte Manuel <strong>auf</strong> das Faszinosum dieses die<br />

sexuelle Differenz unterl<strong>auf</strong>enden Körpers in einer weiteren verschobenen<br />

Bewegung: zurück zum Körper der Mutter, der eine andere für<br />

die symbolische Ordnung der Dinge entscheidende Differenz unterläuft,<br />

die zwischen tot und lebendig. Er schlägt das Tuch zurück, das<br />

ihren nackten Torso bedeckt. Er berührt ihre Brüste, tastet nach ihrer<br />

Vagina. Die Berührung als radikaler Übergriff, in skandalöser Nähe<br />

zum Inzest wie zur Nekrophilie.<br />

Swans ist ein Körperhorrorfilm. Das Koma als vollständiger Kontrollverlust,<br />

der in die Bewegungs- und Leblosigkeit führt. Die totale<br />

Kontrolle des Skaters beim Skaten. Einmal macht der Vater Meditationsübungen<br />

und überlässt sich dabei ganz den Anweisungen der von<br />

ihrem Körper dissoziierten Stimme von der CD. Wie Sonden sind die<br />

Figuren in der Stadt unterwegs, <strong>auf</strong> einer Suche, sie wissen nur nicht,<br />

wonach. Reinhold Vorschneiders Kamera liegt mit ihren virtuosen<br />

Fahrten und Eigenbewegungen, das Berührungs- als Abbildungsbegehren<br />

verdoppelnd, noch einmal quer dazu. Der Film selbst nimmt<br />

zu alledem die einzig plausible Position ein: Er hält es konsequent fest,<br />

unter enigmatischem Titel, und mobilisiert den Betrachter, indem er<br />

sich seinem schnellen Begreifen entzieht. s<br />

Swans<br />

von Hugo Vieira da Silva<br />

PT/DE 2010, 120 Min, dt. OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 14. Juli 2011<br />

tropenkoller<br />

von Jan künemund<br />

In seinem dritten Spielfilm schickt Ulrich Köhler („Bungalow“, „Montag kommen<br />

die Fenster“) sein gewohnt halt- und orientierungsloses Personal mit europäischem<br />

Auftrag in den afrikanischen Urwald. Einer geht dabei verloren, der andere kommt gar<br />

nicht erst an. „Schlafkrankheit“ startet am 23. Juni in den Kinos.<br />

s „Ich bin schwul.“ Dieser Satz fällt mitten<br />

im tropischen Regenwald Kameruns vor<br />

einer halb im Schlamm begrabenen Brücke,<br />

vor der zwei europäische Mediziner entnervt<br />

ihr Auto haben stehen lassen, um kurz Luft<br />

zu holen in ihrer verfahrenen Situation. Er<br />

markiert denjenigen, der ihn sagt, einmal<br />

mehr als Fremden, der das Spiel der Europäer<br />

in Afrika nicht mitspielt – der den Taxifahrern<br />

und Zigarettenverkäufern nicht traut,<br />

der kein Flusswasser trinkt, der nur wenige<br />

Tage bleiben will, der keine Geschäfte macht,<br />

keine Geliebte hat, der <strong>auf</strong> seinem Zimmer<br />

bleibt und in die Wasserflasche pinkelt,<br />

anstatt draußen die Toilette zu suchen, der<br />

die Situation in der Fremde punktuell evaluieren<br />

will, anstatt sie kreativ auszulegen, der<br />

sich nicht anpasst und nicht verstrickt. Eine<br />

Identifikationsfigur, findet Regisseur Ulrich<br />

Köhler: Alex Nzila, der schwule, schwarze<br />

WHO-Bürokrat aus Paris, dessen erster Auftrag<br />

eine Reise nach Afrika ist, das er nur<br />

soweit wahrnimmt, wie der Schein seiner<br />

kleinen Taschenlampe reicht. Tatsächlich<br />

ist das eine originelle Figur, unbeholfen,<br />

ängstlich, schwach – so ganz anders als die<br />

kolonialen und postkolonialen Herren, die<br />

sich die Fremde verständlich machen und<br />

dann aneignen wollen, in den kolonialkritischen<br />

Erzählungen aber schließlich schei-<br />

tern und degenerieren, zu Nicht-Afrikanern<br />

und Nicht-mehr-Europäern werden. Auch<br />

diese Figur gibt es in Schlafkrankheit, Ebbo,<br />

der andere Mediziner, der natürlich auch<br />

weiß, was man bei Schwulsein in Afrika verschreibt<br />

(„Bloß keinem erzählen!“). Der Film<br />

hat seine zwei Teile um diese zwei Figuren<br />

herum <strong>auf</strong>gebaut, weniger, um Thesen kultureller<br />

Fremdheiten gegeneinander auszuspielen,<br />

sondern eher, um undurchdringliche<br />

Bilder zu setzen und vom Scheitern der<br />

Strategien zu erzählen, Fremdheit <strong>auf</strong>zulösen,<br />

die eigentlich selbstgemacht ist. Von der<br />

afrikanischen Schlafkrankheit, die von den<br />

europäischen Medizinern bekämpft werden<br />

soll, ist hier kein Afrikaner befallen. Die<br />

Europäer dagegen fantasieren, von Bilharziose<br />

und großen Schwänzen, sie verschreiben<br />

sich Malariaprohylaxen, von denen sie<br />

depressiv werden. Und aus den drei Stadien<br />

der Schafkrankheit, die von Juckreiz, Fieber<br />

und schließlich dem undurchdringlichen<br />

Dämmerzustand begleitet werden, führt sie<br />

allenfalls eine Metamorphose heraus, die<br />

der Film augenzwinkernd an den Schluss<br />

setzt. Haltungslosigkeit und fehlende Dramatik<br />

sind ihm schon vorgeworfen worden –<br />

anstatt ihn für seinen bemerkenswert klaren<br />

Blick zu bewundern, mit dem er sich diesen<br />

ganzen Dschungel ansieht. s<br />

Schlafkrankheit<br />

von Ulrich Köhler<br />

DE/FR/NL 2011, 91 Min, teilweise<br />

dt. OF/OmU<br />

Farbfilm, www.farbfilm-verleih.de<br />

Im Kino ab 23. Juni 2011<br />

12 13<br />

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