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Ausgabe zehn · Juni bis August 2011 · kostenlos<br />
s Narzissmus (1): Gebrochene Herzen s Schwächling (1): Anfängerfehler s Schulschwänzer: Aussparen, Lückenlassen s Urlaub (1):<br />
Gruppenreise all inclusive s Restleben: Sonden in Gropiusstadt s Bonbon-Biester: Alles dramatisch s Diva (1): Die B-Seite der Greatest Hits<br />
s Urlaub (2): Juckreiz, Fieber, Dämmerzustand s Aha-Erlebnis: Im „Schweineladen“ s Diva (2): Eis am Knie s Nachwehen: Téchiné statt<br />
Fassbinder s Narzissmus (2): Der Megalomaniac s Diva (3): Vergeblicher Liebeskampf s Schwächling (2): Bloß kein Method Acting!
Nicolette Krebitz Jella Haase<br />
ab 25. August im Kino<br />
Sarah Horváth Thomas Wodianka<br />
ein Film von Ziska Riemann<br />
<strong>Sissy</strong> zehn<br />
Narzissten und Diven sind die HeldInnen der zehnten SISSY,<br />
Schwächlinge, Biester, Unberührbare, Südstaatengewächse, Krawallschachteln<br />
und Heulsusen. Das Queerkino mag gerade nicht von<br />
Mr. & Mrs. Normal erzählen, von den Angepassten, die sich mit einem<br />
Stückchen des Gesellschaftskuchens begnügen – sondern entdeckt<br />
das Potential widerspenstiger Geschlechterrollenspieler als Herausforderung<br />
für Gesellschaften, Geschichten und filmische Formen.<br />
Obwohl die SISSY ja eigentlich keine Fernsehserien bespricht, passt<br />
in diesem Zusammenhang der Hinweis <strong>auf</strong> die erste DVD-Veröffentlichung<br />
eines Phänomens, über das gerade die audiovisuell begeisterungsfähigen<br />
Homosexuellen in Verzückung geraten wie über schon<br />
lange nichts mehr – die Rede ist von der Highschool-Serie Glee (Staffel<br />
1.1 bei Fox). Hier, in einer Welt, in der Jugendliche nur Footballer<br />
(sofern sie Jungs sind) oder Cheerleader<br />
(sofern sie Mädchen sind) werden können,<br />
schließen sich die Außenseiter dieser Ordnung<br />
(also Dicke, Schwarze, Behinderte, Asiaten,<br />
Schwarze, Schwule …) zu einem Musical-Kurs<br />
zusammen, der zwar nur mäßig erfolgreich<br />
ist, aber zumindest als Forum gegenseitiger<br />
Anerkennung funktioniert. Das Ganze ist<br />
SEHR unterhaltsam, setzt <strong>auf</strong> bösen Wort-<br />
und schnellen Bildwitz, nutzt effektiv das kollektive<br />
Gefühlsrepertoire von Popsongs und<br />
die fortschrittsgläubige Verheißung, dass aus<br />
jeder/m alles werden kann und lässt sogar darüber<br />
hinwegsehen, dass man ganze Folgen mit<br />
Lady-Gaga- und Britney-Spears-Programmen<br />
ertragen muss.<br />
Glee präsentiert aber auch die tollste <strong>Sissy</strong> der<br />
Fernsehgeschichte: Kurt Hummel, gespielt<br />
von Chris Colfer, eine Schwuchtel, wie sie der<br />
homophobste Mensch sich nicht besser aus- Chris Colfer als Kurt Hummel<br />
denken könnte: klein, dünn, reich, intrigant,<br />
ein blasierter Besserwisser mit hoher Stimme, der sich mit absoluter<br />
Selbstüberschätzung für alles zuständig erklärt, was im Entferntesten<br />
mit Fashion zu tun hat. Das Tolle ist: Kurt wächst jedem (10<br />
Millionen allein in den USA), so wie er ist, ans Herz. Er wird nicht<br />
geläutert, wird kein „richtiger Junge“, sondern bleibt einfach Kurt<br />
und wird dafür respektiert und geliebt. Wie SISSY-Autor Paul Schulz<br />
es <strong>auf</strong> den Punkt brachte: „A <strong>Sissy</strong> who wins.“ In Staffel 2 kriegt er<br />
sogar einen superheißen Freund ab – aber das ist <strong>auf</strong> dem deutschen<br />
DVD-Markt noch Zukunftsmusical.<br />
vorspann<br />
Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />
3<br />
Fox
mein <strong>dvd</strong>-regal<br />
Robert Schweizer, SISSY-Praktikant<br />
4 5<br />
robert schweizer
kino<br />
NaRzISSteN<br />
uNteR SIch<br />
von SaScha WeStphal<br />
Das Wunderkind xavier Dolan präsentiert in seinem zweiten Spielfilm die Chronik einer ménage à trois in<br />
Gedanken. „Herzensbrecher“ startet am 7. Juli in den Kinos.<br />
s Es muss einfach Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick gewesen sein. Alles<br />
andere wäre auch undenkbar. Schließlich war sie mit einmal da, die<br />
Antwort <strong>auf</strong> alle seit langem schwelenden, aber immer wieder verdrängten<br />
Hoffnungen und Sehnsüchte. Jeder von ihnen wusste, dass<br />
etwas fehlte in ihrem Leben, dass da eine Leere war, die weiter und<br />
weiter wuchs und gefüllt werden wollte. Und nun stand es also vor<br />
ihnen, in greifbarer Nähe, das ideale Objekt aller Begierden: bildschön<br />
und unberechenbar, impulsiv und geheimnisvoll, ein wenig zu<br />
selbstverliebt, aber dabei irgendwie doch ganz natürlich, fast schon<br />
unschuldig. Es ist Projektionsfläche und mehr noch Spiegel. Wenn der<br />
verklärte, allein von Wunschvorstellungen und Idealen erfüllte Blick<br />
des Betrachters <strong>auf</strong> ihn fällt, dann sieht er im Anderen nichts als seine<br />
scheinbar endlich wahr gewordenen Fantasien und Träume, also letzten<br />
Endes doch nur sich selbst.<br />
So in etwa ließe sich die Grundkonstellation in Herzensbrecher,<br />
Xavier Dolans zweitem Spielfilm, beschreiben, der im Original den<br />
noch weitaus verräterischeren Titel Les amours imaginaires trägt …<br />
die eingebildete Liebe, gleich auch noch in der Mehrzahl, so, als ob es<br />
gar keine andere gäbe, und zumindest in der Welt dieses Films gibt es<br />
sie auch nicht. Jede Liebe ist reine Imagination, Wunschdenken, das<br />
umschlägt in Obsession und Stalking. Doch erst einmal soll hier von<br />
einer ganz anderen Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick die Rede sein.<br />
Es muss ein denkwürdiger Frühlingstag gewesen sein, dieser<br />
18. Mai 2009, an dem Xavier Dolans Regiedebüt J’ai tué ma mère<br />
KooL FILM<br />
(I Killed My Mother) seine Premiere in<br />
Cannes feierte. Die Geschichte des Films,<br />
dessen autobiographisch eingefärbtes Drehbuch<br />
Dolan mit siebzehn geschrieben und<br />
dann mit neunzehn selbst in Szene gesetzt<br />
hat, ist mittlerweile eine Legende, genauso<br />
wie der Festival<strong>auf</strong>tritt seines Regisseurs,<br />
der zugleich auch noch sein eigener Hauptdarsteller<br />
und Produzent war. Seither sind<br />
es immer wieder die gleichen Adjektive und<br />
Formulierungen, die in den Texten über ihn<br />
und seine Filme <strong>auf</strong>tauchen. Er selbst wird<br />
als jung und schön, wenn auch ein wenig<br />
selbstverliebt und eitel beschrieben. Und<br />
das sind dann auch gleich die Etiketten, mit<br />
denen J’ai tué ma mère und Les amours imaginaires,<br />
der nur ein Jahr später, wieder in<br />
Cannes, ur<strong>auf</strong>geführt wurde, immer wieder<br />
gerne versehen werden.<br />
Es geht schließlich auch alles so perfekt<br />
zusammen: Dolans Alter und der betont<br />
jugendliche Habitus seiner Filme, sein Aussehen<br />
wie sein Auftreten und die Selbstsicherheit,<br />
mit der er sich durch die Geschichte<br />
des Autorenkinos zitiert. In einer Welt, die<br />
sich nach dem noch nie Dagewesenen verzehrt,<br />
die immer <strong>auf</strong> der Suche ist nach neuen<br />
Moden, in der Jugend an sich schon etwas<br />
Kultisches hat und also verehrt wird, musste<br />
Dolan einfach zum It-Boy der Saison werden,<br />
und dass er dann auch noch derart selbstverständlich<br />
schwul ist, passte nun endlich auch<br />
einmal perfekt ins Bild.<br />
Wie schon erwähnt, es war einfach Liebe<br />
<strong>auf</strong> den ersten Blick, und wahrscheinlich<br />
hatten weder das Publikum noch die ansonsten<br />
eher etwas zurückhaltende Kritik je<br />
eine Chance. Der Zauber musste sie einfach<br />
erfassen. Schließlich glichen Filmemacher<br />
und Werk einer Antwort <strong>auf</strong> ihre Kinostoßgebete.<br />
Mit ihnen wurde wenigstens dem<br />
Anschein nach alles real, was zuvor nur als<br />
vage Sehnsucht durch Köpfe und Herzen<br />
geisterte. Eine große Liebe war geboren …<br />
und wie alle welterschütternden Leidenschaften<br />
kann auch diese – folgt man Xavier<br />
Dolan – nur eine imaginäre sein, eine einseitige<br />
Einbildung, die ihr Objekt eigentlich<br />
gar nicht berührt und es doch in Krisen und<br />
Konflikte stürzen kann.<br />
Am Anfang ist der Blick, und der fällt<br />
sogleich <strong>auf</strong> den blond gelockten Nicolas, in<br />
dessen rechtem Mundwinkel gerade eine<br />
noch nicht angezündete Zigarette äußerst<br />
lässig hängt. Er ist ohne Frage der Star dieses<br />
Abends unter Freunden. Sie sitzen zwar<br />
alle im Kreis um einen runden Esstisch, aber<br />
er, der <strong>Neu</strong>e, der gerade aus der Provinz nach<br />
Montreal gekommen ist, steht im Zentrum<br />
der Aufmerksamkeit. Die versammelte Clique<br />
von hippen twentysomethings setzt sich<br />
für ihn in Szene, und er lässt es sich mit größter<br />
Nonchalance gefallen, als wäre er sich<br />
seiner Wirkung gar nicht bewusst.<br />
Die Blicke, die ihn isolieren und die anderen<br />
um ihn herum einfach ausblenden, kommen<br />
indes aus der Küche, in der Marie und<br />
Francis, zwei gleichgesinnte Außenseiter,<br />
die glauben, über allem zu stehen, gerade<br />
den nächsten Gang zubereiten. Während sie<br />
nebeneinander an der Arbeitsplatte stehen<br />
und Gemüse schneiden, drehen sie immer<br />
wieder den Kopf zur Seite, um Nicolas zu<br />
beobachten. Dann geschieht alles in Zeitlupe.<br />
Jede seiner so selbstvergessen wirkenden<br />
Gesten hat für Marie und Francis etwas Verheißungsvolles,<br />
wird zu einem Versprechen.<br />
Selbst der Rauch seiner Zigarette steigt in<br />
magischen Formen <strong>auf</strong>. Es ist eben Liebe <strong>auf</strong><br />
den ersten Blick, auch wenn Marie ihren besten<br />
Freund voller <strong>auf</strong>gesetzter Verachtung<br />
fragt, wer denn dieser „selbstgefällige Adonis“<br />
sei. Sie muss ihre Gefühle in Schach halten<br />
und die Form wahren … für Francis, aber<br />
mehr noch für sich selbst. In Wahrheit ist es<br />
da jedoch schon längst um sie geschehen.<br />
Wir müssen uns Narcissus als glücklichen<br />
Menschen vorstellen. Diese Idee erscheint<br />
absurd, geradezu abstrus und abwegig, aber<br />
nur wenn wir Ovids Erzählung folgen und<br />
uns dessen moralische Haltung zu eigen<br />
machen. Der so überaus schöne Jüngling<br />
wird das Opfer seines „fühllosen Hochmuts“<br />
(Ovid), er muss dafür bezahlen, dass er all<br />
jene, die ihn bedrängt und verfolgt, begehrt<br />
und verehrt haben, verschmäht hat. Das<br />
mag gerecht erscheinen, ist es aber nicht:<br />
Schließlich haben sie alle nicht ihn, sondern<br />
allein seine Schönheit geliebt. Sie wollten sie<br />
besitzen, denn sie war ein Versprechen, das<br />
ihnen Antwort <strong>auf</strong> ihre Wünsche und Sehnsüchte<br />
war. Doch die Moral der Geschichte<br />
misst eben mit zweierlei Maß. Also muss er<br />
sich in sein eigenes Bild, eine Spiegelung <strong>auf</strong><br />
der Oberfläche eines Sees, verlieben. Selbst<br />
als er sein so nahes und doch unerreichbares<br />
Gegenüber erkennt, kommt er doch nicht von<br />
ihm los. Erst der Tod befreit ihn. Die Rache<br />
der Götter und der Verschmähten, die sich<br />
doch nur selbst belügen, ist wahrhaft grausam.<br />
Noch ist es natürlich viel zu früh, um<br />
von Xavier Dolans Werk als einem Projekt<br />
zu sprechen. Gerade einmal zwei Filme<br />
und einige Auftritte in den Arbeiten anderer<br />
Regisseure sind noch kein Œuvre. Doch<br />
eines zeichnet sich dennoch schon deutlich<br />
ab. Immer wieder kreist Dolans Schaffen um<br />
den Mythos von Narcissus. In Étienne Desrosiers’<br />
Kurzfilm Im Spiegel des Sommers<br />
(2006) spielt er einen modernen Narcissus,<br />
einen Jüngling von atemberaubender Schönheit,<br />
<strong>auf</strong> den sich alle Blicke richten, die des<br />
älteren schwulen Freundes der Eltern wie<br />
auch die von dessen Geliebten. Immer wieder<br />
zeigt Desrosiers diesen Julien, wie er<br />
ganz im Einklang mit sich und der Welt in<br />
einem See schwimmt. Wie einstmals James<br />
Bidgood, der mit Pink Narcissus eine ganz<br />
private Obsession in ein Meisterwerk des<br />
Camps verwandelt hat, frönt auch Desrosiers<br />
unzweifelhaft seinen Phantasien, und Xavier<br />
Dolan spielt mit. Aber auch wenn dieser doch<br />
sehr konventionelle Kurzfilm sich heillos<br />
in schon unzählige Male gesehenen Arthouse-Prätentionen<br />
verliert und sich damit<br />
jeder Vergleich mit Bidgoods Underground-<br />
Klassiker eigentlich verbietet, bleiben diese<br />
Bilder von Xavier Dolan im See: Narcissus<br />
schwimmt und entkommt seinem Schicksal:<br />
„In the waters made holy, an angel he found /<br />
With the key to the lock of his chains he was<br />
bound“ (Kris Rowley, „Narcissus“).<br />
Von allen Künsten war die siebte eigentlich<br />
immer schon die narzisstischste. Jeder<br />
Star, den sie hervorgebracht hat, hat etwas<br />
von Narcissus. Wie der Nymphensohn der<br />
griechischen Mythologie, der von Männern<br />
6 7<br />
kino<br />
KooL FILM
kino<br />
Regisseur Xavier Dolan<br />
genauso begehrt wurde wie von Frauen, zieht<br />
auch er die Blicke und Begierden aller <strong>auf</strong><br />
sich und bleibt davon ganz ungerührt. Aber<br />
auch der Betrachter unten im Kinosaal wandelt<br />
<strong>auf</strong> Narcissus’ Spuren: Die Leinwand ist<br />
sein Spiegel, <strong>auf</strong> den sich all sein Begehren<br />
richtet. Die projizierten Bilder werden von<br />
seinen eigenen Projektionen übermalt.<br />
Mit dieser Ambivalenz, diesen beiden<br />
Spielarten einer <strong>auf</strong> sich selbst gerichteten<br />
Liebe, spielt Xavier Dolan meisterhaft. Dazu<br />
gehört selbstverständlich, dass er sich selbst<br />
und sein Äußeres plakativ in Szene setzt: J’ai<br />
tué ma mère ist eben nicht nur das Dokument<br />
einer obsessiven Mutter-Sohn-Hassliebe, er<br />
ist auch ein Liebesbrief, den Dolan sich selbst<br />
geschrieben hat. Aber entscheidender ist am<br />
Ende dann doch das Spiel, das er mit dem<br />
Betrachter treibt. Mit all seinen Verweisen<br />
<strong>auf</strong> die Nouvelle Vague und Wong Kar-wai,<br />
die schon sein Debüt prägten und nun in Les<br />
amours imaginaires, dieser von Godard-Zitaten<br />
durchsetzten queeren Überschreibung<br />
von François Truffauts Jules et Jim, noch<br />
einmal einen tieferen Resonanzraum erhalten,<br />
bedient er virtuos den Cinenarzissmus<br />
des globalen Kunstkinopublikums.<br />
All die kleinen filmischen Spielereien, die<br />
extrem schnellen Zooms in den direkt in die<br />
Kamera gesprochenen, pseudo-dokumentarischen<br />
Interviewsequenzen, die monochromen<br />
Bettszenen sind dabei genauso Teil<br />
von Dolans postmodern ironischem Konzept<br />
wie all die salopp eingestreuten Kunst- und<br />
Pop-Verweise. Natürlich muss die von Monia<br />
Chokri gespielte Marie, eine 50 Jahre zu spät<br />
geborene Wiedergängerin Audrey Hepburns,<br />
in Nicolas gleich Michelangelos David sehen,<br />
während für Dolans Francis, diesen James<br />
Dean der Post-Histoire, mit ihm die Zeich-<br />
8<br />
nungen und Skizzen Jean Cocteaus Gestalt<br />
angenommen haben. Style ist alles in Dolans<br />
Welt- und Lebensentwurf wie in dem seiner<br />
beiden spiegelbildlichen Alter-Ego-Protagonisten.<br />
Die 60er Jahre werden zum Fluchtpunkt<br />
aller Sehnsüchte, die in der profanen<br />
Wirklichkeit des frühen 21. Jahrhunderts<br />
unerfüllt bleiben müssen: Dalidas italienische<br />
Version von „Bang Bang“ ist nicht nur der<br />
ideale Soundtrack eingebildeter Liebe, sie ist<br />
auch das grandiose Vintage-Leitmotiv eines<br />
Rückzugs in die Vergangenheit, in eine Zeit<br />
der überhöhten und idealisierten Gefühle.<br />
Retro ist die einzige Zukunft, die noch bleibt,<br />
zumindest für den Schwärmer Dolan und all<br />
die, die wiederum ihn umschwärmen.<br />
Wieder und wieder stehen Marie und<br />
Francis vor Spiegeln, vertieft in ihr eigenes<br />
Antlitz. Ihre Blicke in den Spiegel sind<br />
wie ihre Blicke <strong>auf</strong> Nicolas, daran lässt<br />
Xavier Dolan keinen Zweifel. Darin liegt ihr<br />
Schmerz, aber letzten Endes eben auch ihr<br />
Glück. Ein Jahr danach, ihre Kämpfe um<br />
das gemeinsame Objekt ihrer Begierde sind<br />
Vergangenheit und nur mehr Stoff für launige<br />
Anekdoten, werden sie Nicolas <strong>auf</strong> einer<br />
Party zufällig wiedertreffen. Von ihrer Leidenschaft<br />
ist nicht mehr übriggeblieben als<br />
Hohn, dem Francis dann auch in bizarren<br />
Lauten Ausdruck verleiht. Die Verschmähten<br />
verschmähen ihn, um sich wenige Momente<br />
später schon gemeinsam einem neuen Nicolas<br />
zuzuwenden. Wie sie zusammen in Zeitlupe<br />
– wie sollte es auch anders sein – <strong>auf</strong> ihn<br />
zugehen, hat etwas beinahe Raubtierhaftes.<br />
Dazu erklingt noch einmal Dalidas „Bang<br />
Bang“. Das Spiel kann von vorne beginnen.<br />
Ein riesiges Spiegelkabinett des Narzissmus,<br />
so ließe sich Les amours imaginaires<br />
wohl am besten beschreiben. Ein Entkom-<br />
KooL FILM<br />
men gibt es nicht, aber das will in Wahrheit<br />
auch gar keiner. Auf der Oberfläche hat Niels<br />
Schneider als Nicolas die Rolle des Narcissus<br />
von Xavier Dolan übernommen, der nun<br />
einen der Verschmähten spielt. Doch so einfach<br />
war es noch nie mit diesem Mythos. Der<br />
schöne Jüngling und seine zurückgewiesenen<br />
Verfolger waren letztendlich immer<br />
eins: Happiness in stalking, und jeder, vor wie<br />
hinter der Kamera, <strong>auf</strong> der Leinwand wie<br />
vor ihr, liebt seine amours imaginaires, seine<br />
Projek tionen und Wunschbilder. Das weiß<br />
Xavier Dolan, und so bietet er sich der rein<br />
narzisstischen Schaulust des Kinopublikums<br />
als Objekt wie auch als Subjekt an. Er ist<br />
Ideal und Identifikationsfigur, unerreichbar<br />
und doch eins mit seinen Bewunderern. Nun<br />
bleibt abzuwarten, wie lange Dolan ihnen,<br />
diesen Traum-Stalkern, noch einen Schritt<br />
voraus bleiben kann. Aber zumindest bis<br />
es soweit ist, müssen wir uns Narcissus als<br />
glücklichen Menschen vorstellen. s<br />
Herzensbrecher<br />
von Xavier Dolan<br />
CA 2010, 95 Min, DF/OmU<br />
Kool Film, www.koolfilm.de<br />
Im Kino ab 7. Juli 2011<br />
Pink Narcissus<br />
von James Bidgood<br />
US 1971, 71 Min, ohne Dialog<br />
Beide <strong>auf</strong> DVD bei der Edition<br />
Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
I Killed My Mother<br />
von Xavier Dolan<br />
CA 2009, 100 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Kool Film,<br />
www.koolfilm.de<br />
Im Spiegel des Sommers<br />
von Étienne Desrosiers<br />
CA 2006, 14 Min, OmU<br />
erschienen <strong>auf</strong> „Junge Helden“
kino<br />
dIe uNbeRühRbaReN<br />
von ekkehard knörer<br />
Hugo Vieira da Silva präsentierte dieses Jahr seinen zweiten Spielfilm „Swans“ <strong>auf</strong> der Berlinale und spaltete<br />
damit das Publikum. Ganz sicher passt sein Film nicht zur momentanen Forderung nach Figuren, die<br />
ihre Gefühle für jeden verständlich nach außen tragen. Aber wer sich <strong>auf</strong> die physische Bewegung der vier<br />
Hauptfiguren durch diesen Film einlässt, wird mit grandiosen Momenten und einer ganz eigenen Variation<br />
des Coming-of-Age-Films belohnt.<br />
10<br />
EDITIon SALzGEBEr<br />
kino<br />
s Auf ein klassisches kleinfamiliales Dreieck aus Vater, Mutter,<br />
Sohn ist Hugo Vieira da Silvas zweiter Langfilm Swans konzentriert:<br />
Aber wie ist das Dreieck hier derangiert. Vater und Sohn kommen an,<br />
Berlin Tegel, mit der präzis schräg kadrierten Einfahrt des Flugzeugs<br />
<strong>auf</strong> seinen Stellplatz beginnt von oben zwar, aber nicht himmelnah<br />
oben der Film. Dar<strong>auf</strong> die Fahrt in die Stadt mit dem Taxi. Ähnliche<br />
Fahrten werden folgen, die wiederholte Bewegung durch den Stadtkörper<br />
mit der Hochbahn, dem Auto, auch dem Skateboard. Erkundet<br />
aber und erschlossen wird der Raum der Stadt dabei nicht. Dies alles<br />
ist nicht der Beginn einer Geschichte, gewinnt keine narrative Dynamik.<br />
Es wird sich bewegt und dann nicht. Vater und Sohn bleiben<br />
so wie so Fremdkörper, sitzend, stehend, liegend; fahrend, skatend,<br />
gehend. Swans konjugiert Formen der Bewegung, die doch stets <strong>auf</strong><br />
ein unbewegliches Zentrum verweisen.<br />
Aus Portugal kommen sie, dem Land, aus dem auch der seit längerem<br />
in Berlin lebende Regisseur stammt. Der Vater, Tarso (sehr<br />
unerwartet: der sonst eher im Fernsehen und Kommerzkino anzutreffende<br />
Ralph Herforth), arbeitet im Import-Export-Gewerbe, er<br />
k<strong>auf</strong>t Autos in Deutschland, die er in Portugal mit Gewinn wieder<br />
verk<strong>auf</strong>t. Der Sohn, Manuel, ist ein Skater (gespielt vom Skater Kai<br />
Hillebrand), ein sehr virtuoser, von einem Sponsor ist die Rede, auch<br />
davon, dass es der Vater ist, der seine Miete bezahlt. Im Zentrum des<br />
Films jedoch steht die Ex-Frau des Vaters, die Mutter des Sohnes, der<br />
jedoch keine Erinnerung an sie hat. Man muss genauer auch sagen:<br />
Die Mutter steht nicht, sondern liegt. Sie ist nach einer aggressiven<br />
Krebs-Chemotherapie ins Koma gefallen; nicht bei Bewusstsein,<br />
komplett immobil. Durch lange und abweisende Gänge und Flure<br />
tief im Inneren des Krankenhauses gelangt man, zu Fuß, mit dem<br />
Skateboard, ins Krankenzimmer. Dieses Zimmer ist ein Raum des<br />
Schweigens, rudimentärer Geräusche. Das Piepen des Herzschlagüberwachungsgeräts,<br />
das Atmen, mehr nicht: ein Rest von Leben.<br />
Ein Mensch als bloßer Körper, kaum mehr adressierbar, in keine<br />
Kommunikation integrierbar. An diesem Körper, der liegt, der<br />
atmet, der berührbar ist, aber nicht spricht, zerfällt in Swans alles<br />
Soziale, die mögliche Nähe zwischen Vater und Sohn. Weil dieses<br />
Soziale blockiert ist (sie spricht nicht, sie lässt sich nicht sprechen<br />
machen, was immer die beiden versuchen) wird durch die fetischistische<br />
Aufladung der Zerfallsprodukte – Bewegung, Berührung,<br />
Geräusche – ersetzt.<br />
Zwischen Vater und Sohn fallen zwar Worte. Der Wunsch des<br />
Vaters, ins Gespräch zu kommen, den Sohn zu verstehen, ist spürbar.<br />
Zu sehen, wie der Wunsch frustriert wird, wie der Vater es immer<br />
genau falsch anstellt zwischen Vorwurf und Anbiederung, ist eine<br />
Qual. Meist sehen sie fern, in der Fremde Berlins, in der unvertrauten<br />
Wohnung, es läuft eigentlich immer Sport: Eisstockschießen, Golf,<br />
Tennis. Dem einen Pol, dem des Immobilen, steht ein anderer gegenüber,<br />
der einer geradezu übertriebenen Mobilität. Sport im Fernsehen<br />
und das Skateboardfahren des Sohnes in einer für Skater eingerichteten<br />
Halle. Zweimal sucht der Sohn diesen Gegen-Ort der Bewegung<br />
<strong>auf</strong>, grandios, wie Kameramann Reinhold Vorschneider das filmt. Die<br />
Kamera liegt ganz tief, fährt, schwenkt, in einer Bewegung, die so<br />
fließend und dann so abrupt abgehackt ist wie die des Skatens: ein<br />
Gleiten, ein Stoppen, der Sprung. Sie schmiegt sich an und bleibt doch<br />
<strong>auf</strong> Distanz, kommt der Bewegung selbst nah und ist, selbst bewegt,<br />
nicht dieselbe Bewegung, bleibt ihr dissoziiert.<br />
Mit Kopfhörern, lauter, harter Musik, <strong>auf</strong> der Tonspur des Films<br />
ebenfalls voll <strong>auf</strong>gedreht, skatet Manuel. Er macht Pause, einer setzt<br />
sich neben ihn, kurzes Gespräch. Ein Aufkleber, <strong>auf</strong> die Unterseite des<br />
Skateboards geklebt, eine Kontakt<strong>auf</strong>nahme. Hier könnte sich eine<br />
Geschichte anbahnen, hier könnte der Anfang liegen von etwas, das<br />
dann weitergeht, das diesem Film, dieser Figur eine Zukunft, einen<br />
anderen Horizont öffnet. Der Sohn wird einen Plattenladen besuchen,<br />
durch eine Wald-Fototapete in den Hinterraum gehen, in eine Bandprobe<br />
geraten, ein paar Worte wechseln, dann wird er gehen, nichts<br />
11
kino<br />
wird daraus folgen. Kontakt<strong>auf</strong>nahme gescheitert. Der fast leblose<br />
Körper hält alle und alles in seinem Bann.<br />
Swans zeigt Menschen, die sich nicht in Räume fügen und darum<br />
viel grundsätzlicher nicht in die Welt. Daraus folgt eine doppelte –<br />
man kann es kaum anders sagen – Pathologie. Weil sie, Manuel insbesondere,<br />
keinen Halt suchen, sich den Dingen und der Mitwelt<br />
nicht zuwenden, treiben sie und werden getrieben. Es leuchtet sehr<br />
ein, dass Hugo Viera da Silva das Verhältnis, das so entsteht, <strong>auf</strong> der<br />
anderen Seite als ein Verhältnis der Fetischisierung beschreibt. Soll<br />
heißen: Unbelebte Gegenstände werden zum Faszinosum, zu Objekten<br />
des Begehrens. Hier vor allem: eines Berührungsbegehrens. Die<br />
Zahnseide, eine Metallkette, Kleidungsstücke und Stoffe, eine Batman-Maske<br />
(und, letzten Endes, der restlebendige Körper der Mutter):<br />
Manuel blickt dar<strong>auf</strong>, greift danach, reibt sich daran. Keineswegs<br />
renkt sich aber das Weltverhältnis in diesen sinnlich-taktilen<br />
EDITIon SALzGEBEr (3)<br />
Kontakten wieder ein. Die Dinge sind von ihrer Funktion im alltäglichen<br />
Umgang, von den menschlichen Körpern, denen sie zugehörten,<br />
getrennt und gelöst und werden als unbelebte und „tote“ fetischistisch<br />
– also ohne gelingende Reintegration – wiederbelebt, in einen<br />
Zwischenzustand zwischen tot und lebendig überführt. Zombies in<br />
Gropiusstadt.<br />
Der Lust an der Berührung setzt sich der Film in einer weiteren<br />
grandiosen Szene aus, und zwar in fast ins Groteske verschobener<br />
Weise. Der Vater fährt mit dem gerade erworbenen Auto in die<br />
Waschanlage. Minutenlang wird das Auto da von der Dreh-, Rubbel-<br />
und Schaumapparatur bearbeitet. In diesem Film gibt es nur Onanie<br />
(Manuel <strong>auf</strong> dem Bett, sein von der eigenen Hand bearbeiteter<br />
Schwanz im Zentrum des Bilds geradezu unverschämt ausgestellt)<br />
und Autosex. Für den Vater/den Zuschauer allerdings bleibt stets die<br />
Scheibe dazwischen. Das Auge, so könnte man die Position des Films<br />
vielleicht am besten beschreiben, ist kein taktiles Organ. Swans frustriert<br />
die Berührungs- und Empathielust des Zuschauers deshalb so<br />
gründlich, weil er die Körper, die Dinge und die Berührung hautnah<br />
präsentiert. Und doch erlaubt das Medium keine Berührung. Forciert,<br />
aber nicht falsch wäre die These: Es ist nicht zuletzt das Drama des<br />
eigenen Mediums, von dem der Film letztlich erzählt.<br />
Man kommt, je länger man <strong>auf</strong> sie blickt, den Personen umso<br />
weniger nahe. Das Unnahbare wird am Seltsamsten wohl verkörpert<br />
durch Kim (Vasupol Siriviriyapoon), die Mitbewohnerin, die ein<br />
paar Mal wie ein Geist in der Wohnung <strong>auf</strong>taucht, wie leblos in der<br />
Wanne liegt und ins Nichts wieder verschwindet. Der Film zeigt in<br />
einer Einstellung drastisch, kommentiert aber nicht: Kim ist ein Hermaphrodit.<br />
Es ist, als reagierte Manuel <strong>auf</strong> das Faszinosum dieses die<br />
sexuelle Differenz unterl<strong>auf</strong>enden Körpers in einer weiteren verschobenen<br />
Bewegung: zurück zum Körper der Mutter, der eine andere für<br />
die symbolische Ordnung der Dinge entscheidende Differenz unterläuft,<br />
die zwischen tot und lebendig. Er schlägt das Tuch zurück, das<br />
ihren nackten Torso bedeckt. Er berührt ihre Brüste, tastet nach ihrer<br />
Vagina. Die Berührung als radikaler Übergriff, in skandalöser Nähe<br />
zum Inzest wie zur Nekrophilie.<br />
Swans ist ein Körperhorrorfilm. Das Koma als vollständiger Kontrollverlust,<br />
der in die Bewegungs- und Leblosigkeit führt. Die totale<br />
Kontrolle des Skaters beim Skaten. Einmal macht der Vater Meditationsübungen<br />
und überlässt sich dabei ganz den Anweisungen der von<br />
ihrem Körper dissoziierten Stimme von der CD. Wie Sonden sind die<br />
Figuren in der Stadt unterwegs, <strong>auf</strong> einer Suche, sie wissen nur nicht,<br />
wonach. Reinhold Vorschneiders Kamera liegt mit ihren virtuosen<br />
Fahrten und Eigenbewegungen, das Berührungs- als Abbildungsbegehren<br />
verdoppelnd, noch einmal quer dazu. Der Film selbst nimmt<br />
zu alledem die einzig plausible Position ein: Er hält es konsequent fest,<br />
unter enigmatischem Titel, und mobilisiert den Betrachter, indem er<br />
sich seinem schnellen Begreifen entzieht. s<br />
Swans<br />
von Hugo Vieira da Silva<br />
PT/DE 2010, 120 Min, dt. OF<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino ab 14. Juli 2011<br />
tropenkoller<br />
von Jan künemund<br />
In seinem dritten Spielfilm schickt Ulrich Köhler („Bungalow“, „Montag kommen<br />
die Fenster“) sein gewohnt halt- und orientierungsloses Personal mit europäischem<br />
Auftrag in den afrikanischen Urwald. Einer geht dabei verloren, der andere kommt gar<br />
nicht erst an. „Schlafkrankheit“ startet am 23. Juni in den Kinos.<br />
s „Ich bin schwul.“ Dieser Satz fällt mitten<br />
im tropischen Regenwald Kameruns vor<br />
einer halb im Schlamm begrabenen Brücke,<br />
vor der zwei europäische Mediziner entnervt<br />
ihr Auto haben stehen lassen, um kurz Luft<br />
zu holen in ihrer verfahrenen Situation. Er<br />
markiert denjenigen, der ihn sagt, einmal<br />
mehr als Fremden, der das Spiel der Europäer<br />
in Afrika nicht mitspielt – der den Taxifahrern<br />
und Zigarettenverkäufern nicht traut,<br />
der kein Flusswasser trinkt, der nur wenige<br />
Tage bleiben will, der keine Geschäfte macht,<br />
keine Geliebte hat, der <strong>auf</strong> seinem Zimmer<br />
bleibt und in die Wasserflasche pinkelt,<br />
anstatt draußen die Toilette zu suchen, der<br />
die Situation in der Fremde punktuell evaluieren<br />
will, anstatt sie kreativ auszulegen, der<br />
sich nicht anpasst und nicht verstrickt. Eine<br />
Identifikationsfigur, findet Regisseur Ulrich<br />
Köhler: Alex Nzila, der schwule, schwarze<br />
WHO-Bürokrat aus Paris, dessen erster Auftrag<br />
eine Reise nach Afrika ist, das er nur<br />
soweit wahrnimmt, wie der Schein seiner<br />
kleinen Taschenlampe reicht. Tatsächlich<br />
ist das eine originelle Figur, unbeholfen,<br />
ängstlich, schwach – so ganz anders als die<br />
kolonialen und postkolonialen Herren, die<br />
sich die Fremde verständlich machen und<br />
dann aneignen wollen, in den kolonialkritischen<br />
Erzählungen aber schließlich schei-<br />
tern und degenerieren, zu Nicht-Afrikanern<br />
und Nicht-mehr-Europäern werden. Auch<br />
diese Figur gibt es in Schlafkrankheit, Ebbo,<br />
der andere Mediziner, der natürlich auch<br />
weiß, was man bei Schwulsein in Afrika verschreibt<br />
(„Bloß keinem erzählen!“). Der Film<br />
hat seine zwei Teile um diese zwei Figuren<br />
herum <strong>auf</strong>gebaut, weniger, um Thesen kultureller<br />
Fremdheiten gegeneinander auszuspielen,<br />
sondern eher, um undurchdringliche<br />
Bilder zu setzen und vom Scheitern der<br />
Strategien zu erzählen, Fremdheit <strong>auf</strong>zulösen,<br />
die eigentlich selbstgemacht ist. Von der<br />
afrikanischen Schlafkrankheit, die von den<br />
europäischen Medizinern bekämpft werden<br />
soll, ist hier kein Afrikaner befallen. Die<br />
Europäer dagegen fantasieren, von Bilharziose<br />
und großen Schwänzen, sie verschreiben<br />
sich Malariaprohylaxen, von denen sie<br />
depressiv werden. Und aus den drei Stadien<br />
der Schafkrankheit, die von Juckreiz, Fieber<br />
und schließlich dem undurchdringlichen<br />
Dämmerzustand begleitet werden, führt sie<br />
allenfalls eine Metamorphose heraus, die<br />
der Film augenzwinkernd an den Schluss<br />
setzt. Haltungslosigkeit und fehlende Dramatik<br />
sind ihm schon vorgeworfen worden –<br />
anstatt ihn für seinen bemerkenswert klaren<br />
Blick zu bewundern, mit dem er sich diesen<br />
ganzen Dschungel ansieht. s<br />
Schlafkrankheit<br />
von Ulrich Köhler<br />
DE/FR/NL 2011, 91 Min, teilweise<br />
dt. OF/OmU<br />
Farbfilm, www.farbfilm-verleih.de<br />
Im Kino ab 23. Juni 2011<br />
12 13<br />
kino<br />
FArBFILM
kino kino<br />
EDITIon SALzGEBEr<br />
<strong>auf</strong>RuhR Im<br />
hYPothalamuS<br />
von Jenni Zylka<br />
Ein Film, wie man ihn aus Deutschland nicht erwartet. Comic-<br />
Autorin ziska riemann hat zusammen mit Luci van org<br />
eine sehr besondere Mädchenfreundschaft <strong>auf</strong> die Leinwand<br />
gezeichnet und „Lollipop Monster“ ist ein herrliches Geschöpf<br />
geworden, ein quietschbuntes Kuddelmuddel mit dunklen<br />
Abgründen, das nach der erfolgreichen Berlinale-Ur<strong>auf</strong>führung<br />
am 25. August in die Kinos kommt.<br />
s Als Teenie war alles dramatisch. Man hasste in glänzendem<br />
Schwarz, liebte in feurigem Rot, neidete in schmerzhaftem Gelb und<br />
schwärmte in sirupartigem Pink. Sämtliche Erziehungsberechtigte<br />
verhielten sich bescheuert, Eltern, erwachsene Verwandte, Lehrer<br />
sowieso, größere Geschwister im Zweifelsfall auch, doch wenn man<br />
Glück hatte, dann konnte man sich <strong>auf</strong> die beste Freundin verlassen:<br />
Die hatte schließlich die gleichen doofen Eltern (sogar wenn sie<br />
ganz anders waren), und die war natürlich die einzige, die einen verstand.<br />
Ziska Riemann hat aus diesem Zustand einen Film gemacht. Mit<br />
Schreibhilfe ihrer Schulfreundin, der Musikerin, Schauspielerin und<br />
Autorin Luci van Org, beschreibt sie jene widersprüchliche, emotional<br />
<strong>auf</strong>geladene Lebensphase, die die meisten Menschen <strong>auf</strong> dem Weg<br />
zum rationalen Erwachsenen verwirrte. Lollipop Monster erzählt<br />
die Welt der Teenage Angst und Teenage Lust, und er erzählt so subjektiv,<br />
sprunghaft und glänzend, wie man seine Umgebung eben mit<br />
15 wahrnimmt. Die Geschichte von Oona und Ari, die eine dunkelhaarig,<br />
die andere blond, die eine mit schwarz gekleideten Künstlereltern,<br />
die andere mit Kawaii-Mama und Hypochonderbruder, ist eine<br />
Geschichte über Außenseiter. Die beiden Mädchen nähern sich an,<br />
nachdem Oonas Vater sich – vielleicht aus Eifersucht über die Affäre<br />
seiner Frau mit seinem Bruder – umgebracht hat. Oona zeigt Ari, wie<br />
herzerfrischend offen nach außen getragener Hass sein kann, Ari ist<br />
für Oona eine Freundin, <strong>auf</strong> die sie – zumindest anfangs – in schlechten<br />
Zeiten bauen kann.<br />
Unstet wie pubertäre Stimmungsschwankungen wechselt der<br />
Film von der Story in Musikclips, vom Spielfilm über Super8 in eine<br />
Comicästhetik. Egal, wann man jung war, ob zu Tolle-, Flattop-,<br />
Föhnwelle- oder Stachelfrisurzeiten, egal, ob die Eltern einem Rolling<br />
Stones, Joy Division oder Chicago House verbieten wollten:<br />
Riemanns Film, bei dem die Berliner Comiczeichnerin, Autorin und<br />
Musikerin erstmalig Regie führte, versucht, das globale Pubertistinnengefühl<br />
einzufangen, und es in der gleichen Windstärke bildlich<br />
umzusetzen, in der es subjektiv empfunden wird. Sie hat dazu Musik<br />
er- und gefunden, die das Außenseitermotiv illustriert: die imaginäre<br />
Oona- und Ari-Lieblingsband „Tier“, deren Sänger aussieht wie der<br />
Voodoo-Priester Baron Samedi (aus James Bond – Leben und sterben<br />
lassen), und die in Rammstein-Manier rocken, nur mit mehr Gitarre,<br />
besingen „Trieb, Lust und Instinkt“. Eine andere der vielen Musikeinlagen<br />
zeigt strippende Barbiemädchen beim Teddypeitschen. Wer das<br />
ein bisschen protzig und übertrieben findet, hat Recht. Aber es geht<br />
hier schließlich um Aufruhr im Hypothalamus.<br />
Dass es für die Bebilderung dieses Aufruhrs nicht nur eine, sondern<br />
zwei Protagonistinnen braucht, zeigt neben dem Freundschaftsmo-<br />
14 15
kino<br />
tiv auch die Bandbreite dieser merkwürdigen Backfischjahre: Selbst,<br />
wenn man damals <strong>auf</strong> der coolen Seite des Schulhofs stand, wenn man<br />
Babydolls hasste, sich über die dummen, gickernden Tussen <strong>auf</strong>regte,<br />
und sicher war, sich eben nicht in dieser von den Eltern vielbeschworenen<br />
und -belächelten Zeit zu befinden, war das hormongesteuert.<br />
Nur fällt einem das meistens erst <strong>auf</strong>, wenn man erwachsen ist.<br />
Bei Lollipop Monster ist Oona <strong>auf</strong> den ersten Blick cool, abgeklärt<br />
und die Freundin ihrer Mutter, die blonde Ari ist sich dagegen<br />
noch nicht sicher, was sie ist. Als sie lernt, in Sekundenschnelle vom<br />
schläfrigen, rundlichen Schulmädchen zur lasziven Venusfliegenfalle<br />
umzuschalten, lernt sie damit selbstredend auch Pussypower. Und ihr<br />
favorisierter „bad guy“, herrlich überzeichnet mit flammengetuntem<br />
Hotrod und nie lächelndem Halbstarkengesicht, wird plötzlich soooo<br />
klein mit Hut: Nach dem Sex <strong>auf</strong> durchgesessenen Sofas muss er weiter<br />
den Club fegen, in dem er als Putzmann arbeitet, während Ari das<br />
Geld aus der Kasse klaut und ihn sitzen lässt.<br />
Ziska Riemann und Luci van Org legen einen starken Focus <strong>auf</strong> die<br />
sexuelle Erweckung, die Aris Freundschaft mit Oona folgt: Die Blondine<br />
macht vor nichts mehr Halt, vögelt nach dem Discofeger noch<br />
nonchalant die schöne schwarze Freundin ihres verhätschelten Bruders,<br />
denn die Zeiten, in denen man sich für eine sexuelle Orientierung<br />
entscheiden muss, sind glücklicherweise in einem Film von 2011<br />
längst vorbei. Zum Missvergnügen ihrer besten Freundin treibt sie<br />
es aber auch mit Oonas Onkel, dem neuen Freund von Oonas Mutter.<br />
Dramaturgisch zwingend kommt also die Katastrophe hereingebrochen,<br />
in denen die Freundschaft sich bewähren muss, und nebenbei<br />
auch noch alle anderen Feinde (Mütter, Geschwister) ihr Fett wegkriegen.<br />
Das Team Oona und Ari mutiert durch den Freundschaftsprozess<br />
zu einer Mischung aus Lolita und Cindy Lauper: Selbst überrascht<br />
davon, was anderer Leute Verhalten in ihnen selbst anrichtet, evozieren<br />
sie ebenso ungebührliches oder übertriebenes Verhalten in<br />
den anderen. Oona bringt Ari zuerst bei, die neue Aufmerksamkeit<br />
zu genießen, die Ari geschminkt und <strong>auf</strong>gebrezelt entgegenschallt.<br />
Dann läuft Aris Verführungshobby aber aus dem Rahmen und macht<br />
Oona am Ende unglücklich. Und Ari merkt, dass Verknalltsein auch<br />
Blind- und Taubheit bedeuten kann, und dass Erwachsene zuweilen<br />
noch besser lügen können als Teenager.<br />
Die Mädchen werden von ihren prototypischen Muttis gespiegelt:<br />
Beide Mütter versuchen, ihrer adoleszenten Brut mit unterschiedlichen<br />
Methoden beizukommen. Und hauen voll<strong>auf</strong> daneben: Aris Mutter<br />
trägt Blümchenröcke, bunte Pflaster und lustige Zöpfe, und entgegnet<br />
Aris rebellischem Renovierungsakt (Barbies raus, schwarze<br />
Farbe rein) mit eifrigem Aktionismus: „Dann brauchen wir aber einen<br />
anderen Teppich … Zebra oder Schachbrettmuster …“. Oonas Mutter<br />
dagegen, die durch die Freundschaft zu ihrer Tochter jung bleiben<br />
möchte, überfordert diese permanent mit der Offenlegung ihrer<br />
Bohemienwelt: Vino, Zichten, Sex und nach der Beerdigung ihres<br />
Mannes ein gutes S<strong>auf</strong>gelage mit Freunden, das muss Oona ja wohl<br />
verstehen … Tut sie natürlich nicht. Die beiden bemühten Rabenmamas<br />
stehen für die üblichen Schwierigkeiten, die Mütter und Töchter<br />
<strong>auf</strong> der ganzen Welt gern über ihren ungenießbaren Beziehungssalat<br />
streuen: Überfordern <strong>auf</strong> der einen Seite, Kleinhalten <strong>auf</strong> der anderen.<br />
Dazu drangsaliert Aris Bruder Eltern und Schwester mit seinen<br />
angeblichen Malaisen, bis für Ari-als-junge-Frau kein Platz mehr in<br />
der Familie zu sein scheint.<br />
Als Erwachsene, als Ex-Pubertistin schaut man <strong>auf</strong> dieses<br />
quietschbunte Kuddelmuddel und ist, je nachdem, wie weit weg<br />
einem diese Zeit vorkommt, amüsiert, gerührt oder auch gelangweilt.<br />
Der Film behandelt kein neues Thema, sondern Coming-of-age,<br />
EDITIon SALzGEBEr<br />
er kapriziert sich – außer in der Ästhetik – auch <strong>auf</strong> die bekannten<br />
Themen Mutter-Tochter-Konflikt, erwachende Lust, Freundschaft,<br />
sich-unverstanden-Fühlen und eben jene typischen ständig platzenden<br />
Gefühlsknoten. Das muss man einfach wollen: Kann man<br />
über sich selbst mit Pickeln, blöden Frisis und nach Tommi Ohrner<br />
schmachtenden Herzen lachen, dann kann man sich auch über Oona<br />
und Ari amüsieren. Wenn man kein Herz für Trash hat oder einfach<br />
die Nase voll von Barbiegirl-goes-Rrriotgirrl-Ästhetik, dann braucht<br />
man die Geschichte der beiden Tierfreundinnen nicht: In die „Berliner<br />
Schule“ geht Lollipop Monster jedenfalls nicht, er positioniert sich<br />
eher lustvoll in der entferntesten Ecke.<br />
Das ist mutig und süß. Schade nur, dass die Ernsthaftigkeit, mit<br />
der Riemann und van Org ihr Anliegen trotz Neonfassade und leichthändig<br />
ausgestatteter Clipästhetik vorbringen, dabei bisweilen <strong>auf</strong><br />
der Strecke bleibt, vergraben unter raschelnder, poppiger und zuckersüßer<br />
Lollipop-Deko. Denn man glaubt den Autorinnen, dass sie tatsächlich<br />
Nöte schildern, Mut machen, Lösungsansätze bieten, und<br />
ihre Protagonistinnen wirklich ernst nehmen wollen – lächerlich sind<br />
nur die anderen, die Großen, die denken, sie hätten alles im Griff.<br />
Andererseits: Teenies brauchen starke Bilder, mit Subtilität kann<br />
man denen nicht kommen. Dass sie genau so einen Film damals gern<br />
gesehen hätte, gab Riemann im Interview zu ihrem <strong>auf</strong> der Berlinale<br />
ur<strong>auf</strong>geführten Film zu, und vielleicht ist es diese immer noch intakte<br />
Verbindung zur Vergangenheit, die ihr Werk vor allem für Hannah-<br />
Montana-Hasser und -Hasserinnen interessant macht, für Teens und<br />
Twens, die schon ohne Liebes-Happy-End leben können, und für<br />
Thirty- und Fortysomethings, die sich wieder dran erinnern möchten,<br />
dass bei ihnen ja auch einmal alles Drama war. s<br />
Lollipop Monster<br />
von Ziska Riemann<br />
DE 2010, 96 Min, dt. OF<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino ab 25. August 2011<br />
www.lollipop-monster.de<br />
16 17<br />
kino<br />
EDITIon SALzGEBEr (4)
kino kino<br />
IN eINem<br />
aNdeReN lIcht<br />
von andré Wendler<br />
Mit seinem von Gus van Sant produzierten Spielfilmerstling „Wild Tigers I Have Known“ gelang Cam Archer<br />
2006 eine kleine Sensation. Jetzt kommt mit „Shit Year“ fast ein Gegenentwurf von ihm ins Kino: nach dem<br />
knallbunten Coming-of-Age nun eine schwarzweiße Divendämmerung. SISSY hat einen Film im Licht des<br />
anderen gesehen. Und sich außerdem über die Wiederentdeckung von Ellen Barkin gefreut.<br />
EDITIon SALzGEBEr<br />
s Ich sehe mir Shit Year zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage<br />
an. Er beginnt: mit Geräuschen, extrem schwarzen Bildern, verrauschten<br />
Bildern, extrem weißen Bildern, die mich blenden, einer<br />
Vielzahl von Stimmen, dem unglaublich schönen Lamento Colleens.<br />
Eigentlich ist nach spätestens drei Minuten alles sehr klar in diesem<br />
Film. Colleen West hat sich verliebt in Harvey West. Sie haben den<br />
gleichen Namen. Er ist viel jünger als sie. Schauspieler. Kollege in<br />
einer Theaterproduktion: „Starwitness“ heißt das Stück. Beide sind<br />
sie wunderschön. Sie ist verzweifelt verliebt in ihn, er hat schnell das<br />
Interesse an ihr verloren und verschwindet wieder. Wohin, weiß keiner.<br />
Das alles könnte Stoff für einen dieser Filme sein, wie sie mich<br />
schon tausendmal gelangweilt haben. Shit Year beginnt hier aber erst.<br />
Es ist ein Film, der nach dem Film kommt: nach all den konventionellen<br />
Lovestories dieser Welt, nach Cam Archers erstem Film, nach<br />
all den Filmen seiner Hauptfigur Colleen, die gerade dabei ist, sich<br />
als Schauspielerin zur Ruhe zu setzen, nach all den Filmen, an die<br />
er mich, for good or for bad, erinnert, und irgendwie auch nach sich<br />
selbst, weil er sich als Nachgeschichte zu etwas entwirft, was erst an<br />
seinem Ende langsam greifbar gewesen sein wird. Das alles lässt sich<br />
erst erfassen, wenn man ihn das zweite Mal sieht. Der Film wirkt <strong>auf</strong><br />
sich selbst zurück und voraus.<br />
Bestimmt müsste man Shit Year als experimentellen Film<br />
bezeichnen. Stimmen überlagern sich. Selten gehören die Geräusche<br />
zum Bild. Geräusche und Musik kämpfen miteinander um Vorherrschaft.<br />
Von überall her kommen Bilder und Töne: aus Träumen, aus<br />
der Vergangenheit, aus Ängsten, aus anderen Filmen (wie aus Mary<br />
Lamberts Siesta von 1987). Immer sind es jedenfalls Parallelwelten,<br />
die sich so oder so deuten lassen. Wenn Colleen sich später in einem<br />
Haus <strong>auf</strong> dem Land zur Ruhe gesetzt hat, kommt von irgendwoher<br />
Baulärm, über dessen genaue Ursache sich nur spekulieren lässt. Einmal<br />
wird sie nachts von Hubschrauberlärm geweckt, unter dem sie<br />
dann vor dem Haus zusammenbricht. Den Hubschrauber bekommt<br />
niemals irgendwer zu Gesicht.<br />
Dafür überschüttet der Film uns permanent mit den unglaublichsten<br />
Bildern. Den Anfang macht er mit ausgesuchten Panoramen<br />
der Skyline L. A.s, in denen Harvey und Colleen jeweils <strong>auf</strong> einem Balkon<br />
stehen, als warteten sie <strong>auf</strong> etwas, als suchten sie in diesen Panoramen<br />
etwas, von dem sie wüssten, dass es dort verborgen ist. Das<br />
Rätselhafte dieser vielen verschiedenen Bilder kommt aus ihrer sorgsam<br />
konstruierten Überfülle. Während es immer wieder auch völlig<br />
entleerte Bilder gibt, die quasi aus nichts anderem als Schwarz oder<br />
Weiß bestehen, konfrontiert der Film uns immer wieder mit seinen<br />
Wimmelbildern. Besonders stark wird das in der zweiten Häfte des<br />
Films, wenn Colleen ihr Haus <strong>auf</strong> dem Lande, oder genauer: im Wald<br />
bezogen hat. Auf dem Weg zu ihrer Nachbarin oder zum Supermarkt<br />
drängt der Wald ins Bild, füllt es, ja: überfüllt es. Der Wald scheint<br />
Colleen und ihr Haus regelrecht verschlingen zu wollen. Die Bilder<br />
sind in jedem Sinn unübersichtlich. Die Überzahl von Pflanzen, Wurzeln,<br />
Bäumen, Ästen, Blättern und Stämmen lässt den Wald zu einer<br />
undurchdringlichen Wand werden, <strong>auf</strong> der zu viel und zu gleich zu<br />
wenig zu sehen ist. Ich sehe den Film vor lauter Bildern nicht mehr.<br />
Unter dieser Zudringlichkeit droht Colleen zu ersticken. Dazwischen<br />
verpixelte Fernsehbilder, denen sich die Kamera immer weiter nähert,<br />
bis fast nichts mehr <strong>auf</strong> ihnen zu sehen ist. Während in Blow up noch<br />
die Illusion <strong>auf</strong>recht erhalten wird, in diesen Bildern könnte irgend<br />
ein Ereignis der äußeren Welt ablesbar werden, ist dieser Bezug bei<br />
Cam Archer nicht einmal mehr vorgestellt. Die Bilder sind die Außenwelt.<br />
Sie müssen nicht produziert werden, weil sie immer schon<br />
massenhaft und zentnerschwer <strong>auf</strong> Augen und Ohren lasten. Colleen<br />
imaginiert sich in eine völlig weiße Gegenwelt, in der offenbar<br />
eine Simulation Harveys produziert werden soll, die <strong>auf</strong> den Daten<br />
aus ihrem Kopf beruht. Am Ende trifft sie diesen simulierten Harvey,<br />
der nichts weiter vermag als eine weiße Wand weiß zu streichen und<br />
damit Bildtautologien herzustellen.<br />
18 19
kino<br />
Logan (Malcolm Stumpf) in „Wild Tigers I Have Known“ (2006) Coleen West (Ellen Barkin), Harvey West (Luke Grimes) in „Shit Year“<br />
Über weite Strecken ist das alles, um nur das Mindeste zu sagen,<br />
rätselhaft. Immer aber ist es wunderschön. Nicht nur Colleen und<br />
Harvey füllen mit ihren wundervollen Gesichtern die Leinwand.<br />
Auch die Welt, in der sie sich begegnen und wieder verlieren, an einander<br />
erinnern und voneinander loskommen wollen, entwirft der<br />
Film als eine Welt aus großartigen Lichttexturen. Waldboden und<br />
Wasseroberfläche, Gazeschleier und Wasser-Sternenhimmel werden<br />
zu den Wänden dieser Kinowelt, <strong>auf</strong> die ihre Figuren und wir alles<br />
Mögliche projizieren können. Einmal erinnert mich diese Welt aus<br />
Licht und Schatten an Maya Derens und Alexander Hammids Meshes<br />
of the Afternoon, der nicht weit von Shit Year entfernt, ebenfalls in<br />
L. A. gedreht wurde. Was beide verbindet, ist das unnachgiebige und<br />
sehr besondere Licht, welches die amerikanische Filmproduktion<br />
kurz nach 1900 an die Westküste lockte und Hollywood erst zu dem<br />
werden ließ, was es dann wurde. Mir scheint, dass dies das eigentlich<br />
Drama dieses Films ist: In welches Licht taucht dieser Ort seine<br />
Menschen? Im Licht Hollywoods zu stehen, das heißt, jemand anderes<br />
zu werden. Das Stück, das Colleen und Harvey, die Schauspieler,<br />
am Anfang gemeinsam proben, handelt von einer Frau, die in einem<br />
völlig dunklen Haus lebt, weil sie das Licht nicht mehr ertragen kann,<br />
das von den anderen Menschen ausgeht. Als sie merkt, dass sie ihn<br />
verliert, sagt sie, dass er ihr wie ein Schatten erscheint. „It’s the light.<br />
The light is different here. It’s the light.“, antwortet er dar<strong>auf</strong> fast<br />
panisch, als ob damit irgendein Unterschied gemacht werden könnte.<br />
Im Film, in Hollywood, bei Schauspielern, ist das Licht, in dem etwas<br />
erscheint, mehr als nur ein zufälliger Zusatz, der auch weggelassen<br />
werden könnte. Es ist genau genommen die einzige Materie, aus der<br />
ein Film am Ende besteht, wenn er projiziert wird. Colleens blonde<br />
Haare sind in manchen Einstellungen fast weiß, reines Licht. Am<br />
Anfang heißt es aus dem Off: „Colleen West never liked the first light<br />
of day. It made her nervous and desperate for night.“ Was sollte es<br />
auch anders? Das erste Licht des Tages ist nicht das Licht des Kinos.<br />
Das Kinolicht ist überhaupt kein Tageslicht. In einem der seltsamen<br />
Zwischentitel heißt es: Learn to take it lightly. Ich bin fast geneigt,<br />
das in seiner doppelten Bedeutung zu lesen. Die L(e)ichtigkeit, mit der<br />
Colleen das Leben ohne den Film und ohne Harvey nicht mehr nehmen<br />
kann, von dem es heißt, er hätte Kalifornien vor hundert Jahren,<br />
als Hollywood geboren wurde, geliebt, macht den Film so großartig,<br />
so unverständlich, so wunderschön, so pathetisch und spielerisch.<br />
Vielleicht erschließt sich dieser Film, der jedes rätselhafte Bild<br />
gegen ein anderes setzt, selbst auch besser im Licht eines anderen<br />
Films. Ich denke natürlich an Archers ersten: Wild Tigers I Have<br />
Known. Schon <strong>auf</strong> den ersten Blick lassen sich beide als Gegensätze<br />
erkennen: Wild Tigers teilweise in schreiendem Digitalbunt, Shit Year<br />
in körnig-rauschendem 16-mm-Schwarzweiß. Wo der eine in seinen<br />
Grautönen die Liebe und Hoffnung eines ganzen Filmlebens zu Grabe<br />
trägt, schmiert sich der andere die farbige Lebensfreude als roten Lippenstift<br />
mitten ins Gesicht. Während die Bilder aus Colleens Leben<br />
alle doppelt und dreifach mit Bedeutung <strong>auf</strong>geladen sind und das<br />
kleinste Detail einen Nervenzusammenbruch auslösen kann, erfindet<br />
Logan zu allem, was ihm begegnet und insbesondere sich selbst,<br />
ständig neue Bilder. So sind die Wild Tigers, die aus dem Wald <strong>auf</strong><br />
das Schulgelände kommen das Versprechen <strong>auf</strong> ein Leben voll wilder<br />
Möglichkeiten, jenseits der Stumpfsinnigkeit seiner Schule. Die<br />
Suche nach ihnen in den Wäldern produziert eine geradezu fantastische<br />
Identitätsvielfalt. Wenn Colleen im Wald vor ihrem Haus<br />
eine tote Ratte entdeckt, braucht sie die Hilfe ihres Bruders, um mit<br />
diesem Erlebnis fertig zu werden, das in einer anrührend absurden<br />
Szene endet, in der sich die beiden Rattenbestatter fragen, ob sie die<br />
tote Ratte noch nachträglich t<strong>auf</strong>en lassen sollen. Für Colleen sind die<br />
Bilder der Vergangenheit die Herausforderung, für Logan sind es die<br />
noch zu erfindenden Bilder seiner möglichen Zukünfte.<br />
Beide Filme lassen diese Bilderflut nicht voraussetzungslos aus<br />
dem Nichts <strong>auf</strong>tauchen, sondern fragen konsequent nach ihrem Ort.<br />
Immer wieder sehen wir Logan vor dem Fernseher liegen: der Prototyp<br />
der Situation, die der Film vorführt. Die Fernsehbilder kommentieren<br />
fortwährend unser Leben, zeigen, wie es möglicherweise<br />
aussehen könnte, fordern uns <strong>auf</strong>, zum Kühlschrank zu gehen oder<br />
geben uns eine Werbepause lang Zeit, uns von ihnen abzuwenden. Sie<br />
werden zum Grundrauschen, von dem das Leben sich abheben muss.<br />
Leben heißt Bilder generieren, die sich von denen des Fernsehens<br />
unterscheiden. Ganz anders bei Colleen: Sie entwirft sich angesichts<br />
der Fernsehbilder nicht neu, sondern versucht, den Abschluss mit<br />
ihrem alten Schauspielerleben in einem Fernsehinterview hinzukriegen,<br />
das wahlweise in Einstellungen aus dem Studio und im abgefilmten<br />
Monitor gezeigt wird. Bis zum Schluss kommt sie nicht aus diesen<br />
Bildern heraus. Das ist ihr Bilder-Drama, ein ganzes ärmliches Shit<br />
Year lang.<br />
Cam Archer schafft es in beiden Filmen, mit ganz ähnlichen<br />
Mitteln und sich ergänzenden Motiven, zwei völlig verschiedene<br />
Geschichten über das Lieben in Vergangenheit und Zukunft zu<br />
erzählen. Über ein Lieben, das einmal vom grellen Licht Hollywoods<br />
überstrahlt wird, und einmal in fahlem Fernsehlicht zur Welt kommt.<br />
Vielleicht lässt sich so etwas nur von Kalifornien aus erzählen, weil<br />
man hier seit gut hundert Jahren besser als sonst irgendwo weiß,<br />
was es heißt, jemanden in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.<br />
Archer stellt sich dieser Herausforderung und löst sie in einer permanenten<br />
Überforderung seiner Zuschauer_innen, denen damit nichts<br />
Besseres geschehen könnte. s<br />
Shit Year<br />
von Cam Archer<br />
US 2010, 95 Min, OmU<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino ab 25. August 2011<br />
Wild Tigers I Have Known<br />
von Cam Archer<br />
US 2006, 81 Min, OmU<br />
Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
20 21<br />
kino<br />
EDITIon SALzGEBEr (3)
tellerrand<br />
good ShIt<br />
von paul SchulZ<br />
Ellen Barkin spielt im neuen Film von Cam Archer („Wild Tigers I have known“) eine<br />
Hollywood-Diva, die sich unbequem zur ruhe setzt. Eine Würdigung.<br />
s „Sollten sie jemals einen Film über mich<br />
drehen, müsste er damit beginnen, wie ein<br />
kleines Mädchen <strong>auf</strong> ein Feuer zu rennt.“<br />
Mit diesem Satz lässt Cam Archer Shit Year<br />
enden, nachdem er ihn 98 Minuten vorher<br />
mit der beschriebenen Szene begonnen hat.<br />
Den Satz sagen darf Ellen Barkin, für die<br />
Archer den Film nicht geschrieben hat, „der<br />
er aber jetzt gehört“, wie er selber meint.<br />
Als Shit Year 2010 in Cannes zum ersten<br />
Mal der breiteren Öffentlichkeit präsentiert<br />
wurde, gab es, wie das bei interessanten<br />
Filmen so ist, Gegner und Befürworter.<br />
Spannend war, dass sie nach Geschlechtern<br />
getrennt waren. „Der Titel sagt’s ja schon,<br />
man muss nur statt ‚YEAR‘ ‚FILM‘ einsetzen,<br />
dann stimmt’s”, tobten die Männer. „Das ist<br />
eine unvergessliche Performance in einem<br />
großartigen Film“, antworteten die Frauen.<br />
Wir <strong>Sissy</strong>s stellen uns, wie das bei interessanten<br />
Filmen so ist, zu den Mädels. Was Frau<br />
Barkin hier abliefert, hat alles, wofür wir sie<br />
schon immer geliebt haben: Sie ist so schön,<br />
wie nur Menschen das sein können, denen<br />
man als Kind gesagt hat, sie seien hässlich, so<br />
selbstironisch, dass man dar<strong>auf</strong> wartet, dass<br />
sie anfängt, aus Spaß aus ein paar Stigmata<br />
zu bluten, und spielt so locker, so genau und<br />
mit solcher Lust, dass man eigentlich nicht<br />
übersehen kann, was für eine große Künstlerin<br />
sie ist. Shit Year ist eine enorme Freude,<br />
weil Cam Archer Barkin dazu benutzt, ein<br />
komplett verkopftes Konzept sanft, aber<br />
bestimmt zu erden.<br />
Der Schwarz-Weiß-Film erzählt ein Jahr<br />
im Leben der fiktiven Hollywood-Diva Colleen<br />
West, in dem sie versucht, sich in einer<br />
Hütte in den Bergen unbequem zur Ruhe zu<br />
setzen. Wie nah diese Figur an Barkin selbst<br />
dran ist und wie sehr es nötig ist, das zu wissen,<br />
um den doppelten Boden des Films zu<br />
erschließen, erkennt man erst, wenn man ein<br />
bisschen was über sie weiß.<br />
Ellen Barkins Karriere verlief nach<br />
einem altbekannten Muster. „Früher lief es<br />
so: Du bekamst eine Rolle mit einer Zeile<br />
Text. Dann eine mit drei Zeilen Text. Dann<br />
durftest du in einer Szene die Kellnerin sein,<br />
die Robert De Niro Kaffee bringt. Die Rollen<br />
wurden von Mal zu Mal größer und besser,<br />
EDITIon SALzGEBEr<br />
bis dich eines Tages dein Agent anrief, um dir<br />
Bescheid zu sagen, dass du jetzt ein Filmstar<br />
bist und du dich artig bei ihm dafür bedankt<br />
hast“, beschreibt die Tochter eines Chemikalienvertreters<br />
und einer Krankenhaus-<br />
Sekretärin aus der Bronx ihren Aufstieg.<br />
Als Barkin 1982 in Barry Levinsons American<br />
Diner ihren Durchbruch hatte, war sie<br />
28. „Zu alt, um mich noch als blondes Dummchen<br />
zu besetzen.“ Nicht dass <strong>auf</strong> diese Idee<br />
je jemand gekommen wäre. Dafür war ihr<br />
Gesicht viel zu eigen und besonders. Eines<br />
ihrer Augen verliert wegen einer Erbkrankheit<br />
dann und wann ohne Vorwarnung so gut<br />
wie alle Sehkraft, was dazu führt, dass sie,<br />
wenn sie keine Brille trägt, oft blinzelt. Das<br />
wirkt <strong>auf</strong> Kinoleinwänden verführerischer<br />
als es gemeint ist. „Aber was Frauen so meinen,<br />
ist den meisten Männern sowieso egal.“<br />
In den dar<strong>auf</strong>folgenden Jahren kultivierte<br />
Barkin vor der Kamera und <strong>auf</strong> der Bühne ihr<br />
Image als „The woman who fucks your brains<br />
back in“, wie ein New Yorker Theaterkritiker<br />
mal schrieb. Auf gut deutsch: „Die Frau, die<br />
dir das Gehirn wieder reinfickt.“ The Big<br />
Easy mit Dennis Quaid, Melodie des Todes<br />
mit Al Pacino, Siesta mit ihrem zukünftigen<br />
Ehemann Gabriel Byrne, Bad Company mit<br />
Laurence Fishburne: Für ein paar Jahre sah<br />
es so aus, als wäre Ellen Barkin nicht nur eine<br />
der besten und erotischsten, sondern auch<br />
eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen<br />
der Welt.<br />
Aber die B-Seiten ihrer „Greatest Hits“<br />
ließen immer vermuten, dass irgendwo in der<br />
professionellen Hollywood-Aktrice noch die<br />
Fünfzehnjährige saß, die aus Rache dafür,<br />
dass ihre Eltern ihr verboten hatten, nach<br />
Woodstock zu fahren, einfach im heimatlichen<br />
Wohnzimmer Acid einwarf. Down by<br />
Law von Jim Jarmush, die Gender/Bender-<br />
Komödie Switch von Blake Edwards, in der<br />
sie das Wort „Mangina“ erfand, oder ihre<br />
grobe Calamity Jane im Neo-Western Wild<br />
Bill mit Jeff Bridges: Sie konnte <strong>auf</strong> Frauen<br />
spielen, die nie die Augen zusammenkneifen<br />
würden, bloß, um Männern zu gefallen.<br />
Das erste Mal, dass sie das ohne Rücksicht<br />
<strong>auf</strong> Verluste praktizierte, war 1999<br />
in der kleinen aber feinen Mockumentary<br />
Gnadenlos schön, in der sie als White-Trash-<br />
Trailerpark-Mutter ihrer von einer jungen<br />
Kirsten Dunst gespielten Tochter dabei hilft,<br />
einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen.<br />
Barkin hat in der zweiten Hälfte des Films<br />
eigentlich nichts weiter zu tun, als schwer<br />
lädiert in einem Rollstuhl zu hocken und als<br />
personifizierter Running-Gag kichernd zu<br />
rauchen. Das tut sie so gut und pointiert, dass<br />
alles neben ihr verblasst.<br />
Seitdem macht sie das, was Frauen zwischen<br />
40 und 60, die nicht Meryl Streep<br />
oder Susan Sarandon sind, in Hollywood tun<br />
können: Sie spielt für Geld in klugen Block-<br />
bustern wie Oceans Thirteen, sucht sich immer wieder intelligente<br />
Fernsehproduktionen aus und macht nebenher gute Indie-Filme wie<br />
2004 Todd Solondz’ Palindrome oder Joel Schumachers Twelve aus<br />
dem letzten Jahr.<br />
Nebenbei fällt sie durch ihr Privatleben <strong>auf</strong>. Nachdem Barkin<br />
und Gabriel Byrne „die harmonischste Hollywood-Scheidung aller<br />
Zeiten“ hinter sich hatten, heiratete sie 2000 den New Yorker Milliardär<br />
Ronald Perelman und ließ ihre Karriere Karriere sein. „Was<br />
ich mir dabei gedacht habe, einen reichen Mann zu heiraten, weiß ich<br />
nicht. Ich war ja eigentlich längst <strong>auf</strong> der Party und brauchte wirklich<br />
niemanden mehr, der mich am Türsteher vorbeilotst“, beschreibt sie<br />
die Ehe im Rückblick. 2006 ließen sich Barkin und Perelman in einer<br />
öffentlichen Schlammschlacht scheiden und sie bekam zwischen 20<br />
und 40 Millionen Dollar. Seitdem rennen ihr jüngere Männer wie<br />
Ralph Fiennes die gut restaurierte Bude ein.<br />
Auf all das nimmt Archer in Shit Year Bezug: In Colleen West<br />
steckt mehr als ein bisschen Ellen Barkin, und wer den Film als semiautobiografische<br />
Hommage lesen will, kann das gut machen. So macht<br />
er auch richtig Spaß.<br />
Zur Ruhe setzen will sich Barkin allerdings nicht. „Ich arbeite<br />
gern und es ist ungeheuer wichtig für mich, etwas zu tun, indem ich<br />
gut bin“, sagt sie selbst. Aber einen Plan für ein mögliches Karriereende<br />
gibt es doch. „Wahrscheinlich ende ich <strong>auf</strong> der Couch, gucke<br />
mir Klassiker im Fernsehen an oder lese ein gutes Buch. So habe ich<br />
mal angefangen und vermutlich wird das auch der Schluss.“ Als Filmszene<br />
sehe das so aus: Eine 80-jährige, Gin trinkende Ellen Barkin, die<br />
liest, während in ihrem Kamin ein wildes Feuer lodert. s<br />
Down By Law<br />
von Jim Jarmusch<br />
US/DE 1986, 107 Min, OmU<br />
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />
www.arthaus.de<br />
Switch<br />
von Blake Edwards<br />
US 1991, 103 Min, DF<br />
Auf DVD bei Universum,<br />
www.universum.de<br />
Siesta<br />
von Mary Lambert<br />
US 1987, 93 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei KNM Home Entertainment,<br />
www.knm-media.de<br />
Gnadenlos schön<br />
von Michael Patrick Jann<br />
US 1999, 94 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Concorde Video,<br />
www.concorde-home.de<br />
The Big Easy<br />
von Jim McBride<br />
US 1987, 99 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei 3L Film,<br />
www.3l-film.de<br />
Palindrome<br />
von Todd Solondz<br />
US 2004, 100 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Alive,<br />
www.alive-ag.de<br />
22 23<br />
tellerrand<br />
Mehr zum Thema Homophobie<br />
gibt's <strong>auf</strong> www.iwwit.de<br />
„Fast wie im richtigen Leben …“<br />
HINNERK<br />
JETZT IM KINO!
tellerrand<br />
ameRIka alS dIva<br />
von FritZ Göttler<br />
Am 23. März ist Elizabeth rosemond Taylor gestorben, ein Hollywoodstar, der das Attribut sinnlicher Leinwandpräsenz<br />
neu definierte. Eine übergroße, überquellende, überzogene und überfordernde Frau. Wenn<br />
sie als Südstaatengewächs nach queerer Vorlage – als Katze <strong>auf</strong> dem heißen Blechdach, als Freundin eines<br />
schwulen Dichters, als exaltierte Inselherrin, als alternder Filmstar – <strong>auf</strong>trat, trafen zwei Diven <strong>auf</strong>einander.<br />
Eine kleine Hommage.<br />
Flora „<strong>Sissy</strong>“ Goforth (Elizabeth Taylor) und Chris Flanders (Richard Burton) in „Brandung“ (Joseph Losey, 1968)<br />
s Ein Film, der aus der Filmgeschichte herausgefallen ist, Boom von<br />
Joseph Losey, nach Tennessee Williams, von 1968. Der erste Film mit<br />
Elizabeth Taylor und Richard Burton, erinnert sich der Regisseur,<br />
der Geld verloren hat. Eine bombastische Lektion in Öffentlichkeitsarbeit,<br />
das Paar, das in den Sechzigern mit seinen Extravaganzen und<br />
Skandalen für Schlagzeilen gesorgt hatte, gibt nun den Starkult selbst<br />
der Lächerlichkeit preis. Ein Film als Sündenfall. „The best failed art<br />
film ever“, sagt John Waters, der Filmemacher des lustvoll schlechten<br />
Geschmacks, ein Boom-Fan. Auch Anna Wintour, heißt es, würde sich<br />
den Film wieder und wieder anschauen, die eigensinnige Primadonna<br />
von „Vogue“.<br />
Eine Festung gegen den Tod<br />
In Boom übernahmen die Designer das Kommando, der Ausstatter<br />
Richard MacDonald und das Modehaus Tiziani in Rom: Diese<br />
unglaubliche Villa <strong>auf</strong> den Klippen, über der Brandung, so scheußlich<br />
chic, wo Taylor als reiche Amerikanerin die letzten Tage ihres Lebens<br />
verbringt, im Kampf gegen ihre tödliche Krankheit. Ein Raum, der<br />
Weite suggeriert und doch alles abschließt. Schwere schwarze Sitzgarnituren,<br />
dominant in den Räumen verteilt, mysteriöse Embleme<br />
<strong>auf</strong> dem Boden, schlanke Kristallleuchter und Gläser, vom schwarzgekleideten<br />
Personal diskret placiert, die weißen Vorhänge, die an<br />
allen Fenstern hineinwehen. Eine Festung, gegen den Tod wie gegen<br />
das Leben. Taylor ist, in ihren weiten Roben, mit ihren verspielten<br />
Haarkreationen, Teil des Arrangements, ein Accessoire. Goforth ist<br />
ihr Name, Flora <strong>Sissy</strong> Goforth.<br />
In den Sechzigern kam Taylors Karriere voll ins Taumeln. Fünf<br />
Jahre vor Boom macht sie Cleopatra, den Film, der das klassische Studiosystem<br />
noch einmal kräftig ad absurdum führt, zwei Jahre davor<br />
das überdrehte Ehetheater Who’s Afraid Of Virginia Woolf?, das schon<br />
das neue junge amerikanische Kino ankündigt, im Jahr zuvor Reflection<br />
In A Golden Eye, nach dem Roman von Carson McCullers, die<br />
Tennessee Williams die beste und ihm liebste amerikanische Autorin<br />
genannt hatte.<br />
Kann nicht singen, kann nicht tanzen<br />
Vier Filme nach Tennessee Williams hat Elizabeth Taylor gemacht,<br />
sein Ruhm war etwas abgeblättert in den Fünfzigern und Sechzigern,<br />
aber immer noch war sein Theater kraftvoll und vital. Mitte<br />
der Vierziger, als er seine ersten Stücke vorlegte, hatte Taylor eben<br />
KSM<br />
die ersten Filme gedreht, als Kinderstar in Hollywood. Einsamkeit,<br />
Entfremdung, Verachtung – es könnten die gleichen Erfahrungen<br />
gewesen sein, die der Südstaatenautor in New York und das in die<br />
USA verschickte Britenmädel gemacht hatten. „She can’t sing, she<br />
can’t act, she can’t dance, she can’t perform“, war die Studiomeinung.<br />
Ihre Antwort dar<strong>auf</strong>, an die Gesellschaft, an sich selbst: der Wille<br />
zur Dekadenz, zur großen Geste, die die Leere nicht mehr kaschieren<br />
will.<br />
Mit dem Williams-Doppelschlag Ende der Fünfziger – sie macht<br />
hintereinander Cat On A Hot Tin Roof und Suddenly, Last Summer<br />
– hat Taylor sich von ihrer Kinovergangenheit freigemacht, hat sich<br />
abgesetzt von ihrem Studio, der MGM, ist rausgetreten aus dem<br />
Schatten der un<strong>auf</strong>hörlichen Mädchen- und Teenagerrollen, die sie<br />
zum Kinodarling gemacht hatten. In den Jahren danach, <strong>auf</strong> dem Weg<br />
zu Boom, wird sie ihre Divenhaftigkeit akzeptieren. Eine Legende zu<br />
Lebzeiten, eine sleeping beauty.<br />
Sie ist ein Star ohne eigene Jugend, ein Mädchen, das abrupt<br />
erwachsen werden musste. Amerikas verlorene Jugend ist der Süden<br />
des Landes geblieben, die heimliche Heimat, in der auch Taylor sich<br />
heimisch fühlen konnte. Vor Cat hatte sie Giant gemacht, nach Edna<br />
Ferber, mit Rock Hudson und James Dean, als junge Landbarone und<br />
Ölmillionäre von Texas, und Raintree Country, das Bürgerkriegs-<br />
Epos nach dem Roman von Ross Lockridge Jr., mit Montgomery Clift.<br />
Der Süden, der vergessene, verleugnete, verdrängte Teil der amerikanischen<br />
Nation, vom Norden dominiert, von seiner Ökonomie und<br />
seinem rationalen Kalkül. Die feudale Vergangenheit, in der europäisches<br />
Erbe überlebt, verschwenderisch, exzessiv, unbeherrscht und<br />
exzentrisch, aber auch – und besonders bei Tennessee Williams –<br />
ridikül und grausam. Der Süden, das ist Amerika als Diva.<br />
Eis am Knie<br />
Der Süden, das ist Amerika als Exil. Unglaublich, mit welcher Unbedenklichkeit,<br />
mit welchem Mut Taylor als Maggie the Cat das Risiko<br />
<strong>auf</strong> sich nimmt, sich lächerlich zu machen. Der Südstaatenakzent<br />
kommt ganz schamlos und schrill bei ihr, das wirkt sehr befreiend<br />
neben Newman, der sich abquält mit seinen Bemühungen um Authentizität.<br />
Taylor ist seine Frau, die seine Unangepasstheit enerviert, die<br />
ihn motivieren will, seinen Platz in der Familie endlich zu erkämpfen,<br />
zu akzeptieren. (Im Stück ist er schwul – das hat man bei der Hollywoodbearbeitung<br />
sich nicht zu übernehmen getraut.) Ihr erster Auftritt<br />
ist glamourös und wird ihr lustvoll versaut. Sie schaut fabelhaft<br />
aus, wenn sie erstmals im Garten der großen Familienvilla <strong>auf</strong>taucht,<br />
eine weiße Bluse, ein beiger enger Rock, klappernde Armringe. Ihre<br />
porzellanweiße Haut, ihr tiefschwarzes Haar, dazu ein knallroter<br />
Ledergürtel. Ganz großer Fünfziger-Chic, aber dann greift eins der<br />
Kinder, die auch beim Familientreffen dabei sind, tief in den Eiscremetopf<br />
und klatscht ihr böse eine Portion direkt ans Schienbein.<br />
Southern Slapstick, eine Spezialität von Tennessee Williams. Sie ist<br />
reif für einen Kleiderwechsel. Das passiert ihr wahnsinnig oft, dass<br />
ihre Auftritte grotesk vermasselt werden, oft auch von ihr selbst.<br />
Plätze in der Sonne<br />
Ein Jahr später wird das noch eine Windung weitergedreht. In Suddenly,<br />
Last Summer ist Taylors Schönheit noch aggressiver, sie ist wieder<br />
so irre schön wie sie es in A Place In The Sun war – eine Schwarzweißschönheit,<br />
so makellos und hart konturiert. Die Farbe macht sie<br />
immer unberechenbar, das Rouge <strong>auf</strong> den Wangen, das Pink <strong>auf</strong> den<br />
Lippen, die violetten Augen. Tennessee Williams hasste die Hollywoodverfilmung<br />
von Cat, die die Reinheit des Stücks nicht bewahren<br />
konnte, it was jazzed up, hooked up a bit.<br />
Die Schönheit verdankt Suddenly dem Regisseur Joseph L. Mankiewicz,<br />
der einer der Intellektuellen von Hollywood war und ein<br />
„Die Katze <strong>auf</strong> dem heißen Blechdach“ (Richard Brooks, 1958)<br />
Mann, der die Frauen liebte. Im Film paktiert er mit der anderen Frau,<br />
Katharine Hepburn – eine exzentrische Millionärin, mit deren Sohn<br />
Taylor den Sommer über zusammen war an einer spanischen Küste.<br />
Der Sohn ist tot, von mänadischen Jungs zerfleischt. Taylor hat sie in<br />
Erregung gebracht, mit ihrer traumhaften Erscheinung, in weißem<br />
Badeanzug, sexy und unschuldig. Sie ist das Sinnbild dieser archaischen<br />
wilden Erinnerung, sie ist traumatisiert, in einer Anstalt unter<br />
Wilden. Sie soll geopfert werden, damit wieder Frieden herrscht,<br />
soll operiert werden. Eine Lobotomie, die eine große Leere schafft<br />
im Gehirn, hinter ihrem reinen weißen Gesicht. Die Regie ist unerbittlich,<br />
schlingt die Zeiten und die Orte ineinander. „Mankiewicz<br />
war dafür bekannt, dass er seine Darstellerinnen und Frauen gern<br />
wild analysierte oder aber Analytikern zuführte“, schreibt Frieda<br />
Grafe. „So wenig in seinen Filmen Vergangenheit und Gegenwart<br />
sich aus einander dividieren lassen, ist das Verhalten seiner Figuren<br />
geschlechtsspezifisch eindeutig, auch wenn er vorgibt, der Weiblichkeit<br />
der Frauen <strong>auf</strong> der Spur zu sein.“<br />
Natürlich Kabuki<br />
Suddenly, Last Summer lässt Taylor irgendwie versehrt zurück. Sie<br />
akzeptiert, dass sie die Fremde ist, die Andere, die Abartige. So wie<br />
das Tennessee Williams getan hatte ein Jahrzehnt zuvor. Sie nimmt<br />
es <strong>auf</strong> sich, dass ihr nur noch die Performance bleibt, die Selbstdarstellung.<br />
In Sweet Bird Of Youth, inszeniert vom britischen Meister<br />
des Somnambulismus, Nicolas Roeg, ist sie die alternde Filmdiva Alexandra<br />
del Lago, und einmal legt sie vor ihrem jungen Lover-Gigolo<br />
eine hinreißende Frühstückszene hin, sie beißt prätentiös in ihr<br />
Brötchen, verzieht beim Kauen den Mund zur Schnute, leckt mit der<br />
Zunge verführerisch einen Brösel aus dem Mundwinkel. Aus diesem<br />
24 25<br />
tellerrand<br />
WArnEr (2)
tellerrand kino<br />
Szene aus „Brandung“<br />
Brandung (Boom)<br />
von Joseph Losey<br />
US 1968, 139 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei KSM, www.ksmfilm.de<br />
Die Katze <strong>auf</strong> dem<br />
heißen Blechdach<br />
von Richard Brooks<br />
US 1958, 104 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Warner Home Video,<br />
www.warnerbros.de<br />
Mund kommen sogar die etwas platten Sentenzen zu Alter und Jugend, von den Legenden, die<br />
nicht leicht sterben, erstaunlich frisch.<br />
Sweet Bird ist ein bescheidener Versuch, an die Verrücktheit von Boom heranzukommen.<br />
Eine TV-Extravaganza, die keine Scheu hat, orientalische Prachtentfaltung zu versuchen im<br />
puritanischen Amerika. Und Taylors <strong>auf</strong>gedonnerter, synthetischer Stil produziert, <strong>auf</strong> eine<br />
ganz verrückte Weise, eine hinreißende Natürlichkeit.<br />
Als Kabuki-Star hatte sie sich explizit in Boom präsentiert, im japanischen Theater gilt<br />
Ausdruckslosigkeit als die wahre Kunst. Boom war ein Film des künstlerischen Exils, nicht des<br />
inneren, sondern in seiner Outriertheit, seiner Extravaganz, des äußeren. Eine Kunstanstrengung<br />
par excellence, die unweigerlich purer Camp wurde. Noch einmal die große Parole des<br />
filmischen Existentialismus, die man sich zugeraunt hatte in den Fünfzigern und Sechzigern:<br />
Kino, das ist dem Tod bei der Arbeit zuschauen. Cocteau hatte das proklamiert, der das Theater<br />
so provokativ und scharlatanesk anging wie Tennessee Williams.<br />
Hexen im Exil<br />
Boom ist ein Wendepunkt des modernen Kinos, ein echtes starkes 68er-Stück, das wundervoll<br />
hineinpasst in die Sechziger und ihre grandiose Tendenz zur Selbstzerstörung. Alles löst<br />
sich <strong>auf</strong>, alles zersetzt sich. Bedeutung schwindet, die Tiefe des Lebens. Was bleibt ist Performance.<br />
Von draußen hört man die Brandung der <strong>Neu</strong>en Wellen in ganz Europa, die mit dem<br />
Kino <strong>auf</strong> die Straßen gegangen sind.<br />
Boom ist ein Bekenntnis zum filmischen Exil, ein Film der Heimatlosen und Exzentrischen.<br />
Taylor und Burton waren durch ihr Startheater seit Cleopatra Geächtete des Kinobetriebs.<br />
Burton, der im Herzen immer noch von einer Theaterkarriere, von Shakespeare und<br />
Co. träumte, musste sich als Engel des Todes in albern wallende Gewänder hüllen und ein<br />
Schwert unter dem Arm tragen. Joseph Losey, der von den Hexenjägern aus Hollywood vertrieben<br />
worden war, hatte in Europa nie die Projekte finden können, die seiner würdig wären<br />
und ihm seiner Meinung nach zustünden. Elizabeth Taylor bekommt, in ihrer ultimativen<br />
Divenrolle, Konkurrenz von unerwarteter Seite. Die Hexe von Capri kommt zu Besuch, sie<br />
wird – im Stück eine Frauenrolle – verkörpert von Noël Coward. Katharine Hepburn hatte die<br />
Rolle abgelehnt, entrüstet, angewidert, enttäuscht. s<br />
KSM<br />
Spätstarter<br />
von anna Wollner<br />
Mit „The Kids Are All right“ hat Hollywood es im letzten Jahr schon vorgemacht:<br />
homosexuelle Eltern sind im <strong>auf</strong>geklärten und liberalen Amerika kein Problem mehr.<br />
zumindest im Kino. Haben Annette Bening und Julianne Moore als nic und Jules<br />
zum perfekten Familienglück aber noch <strong>auf</strong> einen Samenspender zurückgreifen<br />
müssen, geht regisseur und Illustrator Mike Mills einen Schritt weiter. In „Beginners“<br />
outet sich ein 75-jähriger Mann und verwirrt damit vor allem seinen Sohn. Im Kino ab<br />
9. Juni 2011.<br />
s Es ist das Jahr 2003. Oliver ist ein erfolgloser<br />
Grafiker und Illustrator, den keiner<br />
ernst nimmt. Wie soll er da das Leben ernst<br />
nehmen – vor allem nach dem, was er durchgemacht<br />
hat. Eines Tages sitzt sein 75-jähriger<br />
Vater vor ihm. Ein wenig schüchtern<br />
windet er sich <strong>auf</strong> dem Sofa im Wohnzimmer<br />
und sagt: „Junge, ich bin schwul.“ Mit 75<br />
Jahren und einer über 50 Jahre währenden<br />
Ehe soll der eigene Vater <strong>auf</strong> einmal Männer<br />
lieben. Oliver kann es kaum glauben. Noch<br />
weniger glauben kann und will er, dass sein<br />
Vater nur kurz nach seinem Coming-Out an<br />
Krebs erkrankt. Ihm bleiben noch wenige<br />
Jahre, eigentlich nur Monate, in denen er<br />
seine neu entdeckte Sexualität und das<br />
Leben genießen kann.<br />
Hal – mit Würde und Charme gespielt<br />
von Christopher Plummer – ist mit seinen 75<br />
Jahren genauso <strong>auf</strong>geregt wie ein Teenager:<br />
Alles ist neu, er ist ungeduldig, ein Stück naiv<br />
und anfällig für die neuen Gefühle in einer<br />
(homo)sexuellen Beziehung. Seine Aufregung<br />
und seine fast schon kindliche Entdeckung<br />
einer faszinierenden Welt der Erwachsenen,<br />
die ihm in seiner Ehe verschlossen geblieben<br />
ist, werden auch von der erschütternden Dia-<br />
gnose nicht beeinflusst. Denn Hal hat noch<br />
lange nicht mit dem Leben abgeschlossen.<br />
Die Geschichte von Hal ist genauso die<br />
Geschichte von Oliver. Und die von Regisseur<br />
Mike Mills. Beginners ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung<br />
des Künstlers, erzählt<br />
er doch hier die Geschichte seines eigenen<br />
Vaters. Und verknüpft sie mit einer wunderschönen<br />
Liebesgeschichte: Oliver lernt <strong>auf</strong><br />
einer Party die französische Schauspielerin<br />
Anna kennen. Allein schon der Moment<br />
des Kennenlernens ist ein Absurdum: sie<br />
als Stummfilmschauspielerin und er als Dr.<br />
Freud. Nicht nur eine Liebeserklärung an das<br />
Kino, sondern auch ein Hinweis dar<strong>auf</strong>, dass<br />
Mills hier seine eigene Trauerarbeit leistet.<br />
Die Liebesgeschichte von Oliver und Anna,<br />
die <strong>auf</strong> kein unglaublich kitschig-romantisches<br />
Happy End zusteuert, sondern genauso<br />
ist wie jede Liebesgeschichte mit ihren Aufs<br />
und Abs, ihrem Glück und Unglück – genauso<br />
kompliziert wie das Leben jenseits der Leinwand<br />
– ist der Gegenpol zur Geschichte von<br />
Hal und Oliver, von Vater und Sohn. Das<br />
nonlineare Erzählmuster mit seinen zwei<br />
Handlungssträngen verbindet Mike Mills zu<br />
einem: Durch Hal lernt Oliver Anna lieben<br />
UnIVErSAL<br />
und gleichzeitig versteht Oliver erst durch<br />
die Liebe zu Anna sein besonderes Verhältnis<br />
zu seinem Vater.<br />
Beginners ist eine Auseinandersetzung<br />
mit dem Tod und der Liebe zugleich: Oliver<br />
muss sich mit der Veränderung und dem Tod<br />
seines Vaters befassen und sich gleichzeitig<br />
dar<strong>auf</strong> einlassen, sich selbst zu verlieben. In<br />
einer Phase, in der seine Gefühle besonders<br />
verletzbar sind, gibt er sich Anna preis. Sein<br />
treuer Freund und Begleiter dabei: ein Jack<br />
Russell-Terrier, mit dem er ein ums andere<br />
Mal das Gespräch und tierischen Rat sucht.<br />
Und weil Hunde nun mal nicht sprechen<br />
können, sind die Antworten eben untertitelt.<br />
Nicht nur diese fast schon magischen<br />
Spielereien erinnern an Regiekünstler wie<br />
Michel Gondry und Charlie K<strong>auf</strong>mann. Mike<br />
Mills verleiht seinem Alter Ego Oliver den<br />
Beruf des Illustrators. Immer wieder gibt es<br />
als Unterbrechung künstlerisch verspielte<br />
Elemente wie Zeichnungen und Assoziationsketten,<br />
Momente, in denen Oliver weder<br />
Sohn noch Geliebter ist, sondern einfach nur<br />
ein glücklich unglücklicher Mensch.<br />
Mike Mills’ Beginners ist ein zauberhafter<br />
Film über Anfänge, Umbrüche, Aufbrüche<br />
und Veränderungen. Es ist kein Film über<br />
schwul sein, lesbisch sein oder heterosexuell<br />
sein, sondern vielmehr ein Film über die<br />
emotionalen Risiken einer Liebesgeschichte.<br />
Durch die Mischung aus Fiktion und Autobiographischem<br />
bekommt Beginners eine<br />
angenehme Authentizität, ist nicht <strong>auf</strong>gesetzt<br />
und nicht konstruiert. Ein bisschen verschroben<br />
zwar – aber genau richtig. s<br />
Beginners<br />
von Mike Mills<br />
US 2010, 104 Min, DF<br />
Universal, www.universal-pictures.de<br />
Im Kino ab 9. Juni 2011<br />
26 27
kino<br />
vorhölle<br />
ferienparadies<br />
von chriStoph meyrinG<br />
Eine Clique von Freunden im schwierigen Alter verbringen wie gewohnt die Sommerferien<br />
miteinander, obwohl einer von ihnen nach einem Unfall um sein Leben ringt.<br />
Lügen, Intrigen, Affären und Coming-outs versammelt regisseur Guillaume Canet<br />
in „Kleine wahre Lügen“ zu einem sommerlichen Krisenspektrum, das sich am 7. Juli<br />
auch <strong>auf</strong> die deutschen Kinoleinwände erstrecken wird.<br />
s Die Krisen, die das Weihnachtsfest<br />
häufig in Familienverbänden verursacht,<br />
werden zwischen Liebenden und in Freundescliquen<br />
nicht selten durch gemeinsame<br />
Sommerurlaube in wunderschöner, sonnendurchfluteter<br />
Landschaft ausgelöst. Schlägt<br />
im ersten Fall die monatelang generalstabsmäßig<br />
geplante Atmosphäre von Frieden<br />
und Beschaulichkeit infolge einer brisanten<br />
Mischung aus ungewohnter Zwangsgemeinschaft<br />
mit lange schon tot gewünschten<br />
Verwandten, jahrzehntelang schwelenden<br />
Eltern-Kind-Konflikten – „Du hast mich nie<br />
geliebt!“ –, langweiligem TV-Programm und<br />
unvernünftigem Glühweinkonsum bisweilen<br />
jäh in Schreckenszenarien apokalyptischen<br />
Ausmaßes um – brennende Christbäume<br />
stürzen <strong>auf</strong> schreiende Schwiegermütter,<br />
Aachener Printen mutieren zu gefährlichen<br />
Wurfgeschossen, und bereits gebratene<br />
Gänse lernen plötzlich wieder fliegen –, so<br />
gestalten sich auch die Wochen, die eigentlich<br />
die schönsten des Jahres werden sollten,<br />
oft unverhofft als eine kaum erträgliche Endzeit<br />
zwischenmenschlicher Kontakte. Denn<br />
wer durfte nicht schon aus seinem näheren<br />
Bekanntenkreis einen der folgenden Sätze<br />
vernehmen oder hat einen ähnlichen gar<br />
selbst von sich gegeben: „Der Zelturlaub am<br />
Plattensee hat unserer Beziehung den Rest<br />
gegeben!“, „Nie wieder Mykonos!“, „Lanzarote<br />
mit Mechthild, Jutta und Burghardt<br />
war einfach die Hölle!“, „Am liebsten hätte<br />
ich noch in der Kalahari die Scheidung eingereicht!“,<br />
„Erst <strong>auf</strong> dem Großglockner habe<br />
ich geschnallt, was Timo und Ansgar für<br />
Arschlöcher sind!“ oder „Beinahe hätte ich<br />
Marietta, Niklas und Astrid mitsamt ihrer<br />
dämlichen Kühltasche in den Grand Canyon<br />
geschubst!“. Menschliche Abgründe brechen<br />
eben da <strong>auf</strong>, wo schon ein Knacks vorliegt,<br />
und zwar gerne in All-inclusive-Paradiesen,<br />
wo der Lagerkoller gedeiht.<br />
Mit einem nicht ganz unproblematischen<br />
Ferien<strong>auf</strong>enthalt befasst sich auch Guillaume<br />
Canets tragikomische Ensemble-Komödie<br />
Kleine wahre Lügen (2010), deren Titel<br />
bereits einige unterhaltsame Scharmützel,<br />
Demaskierungen und Selbstentblößungen<br />
erahnen lässt. Ganz jugendlich-t<strong>auf</strong>risch<br />
sind die schon seit einer Ewigkeit miteinander<br />
befreundeten und traditionell gemein-<br />
ToBIS<br />
sam urlaubenden Sommerfrischler inzwischen<br />
nicht mehr: Mittdreißiger eben. Und<br />
da sich die Jugend heutzutage bis ins vierzigste<br />
Lebensjahr ausdehnen kann, trifft <strong>auf</strong><br />
sie ein Satz zu, mit dem sonst genervte Eltern<br />
das sonderbare Verhalten ihres pubertierenden<br />
Nachwuchses zu entschuldigen pflegen:<br />
Sie sind in einem schwierigen Alter. Schwierig<br />
insofern, als man es inzwischen beruflich<br />
zu etwas gebracht haben und <strong>auf</strong> der Beziehungsebene<br />
irgendwo angekommen sein<br />
sollte, am besten im sicheren Hafen von Ehe<br />
und Familie. Trifft das nicht zu, drohen Frustrationen,<br />
die natürlich nicht offen zugegeben<br />
werden, aber subtil das Klima vergiften.<br />
Trifft es zu, können sich ebenfalls Frustrationen<br />
einstellen, da man nun Grund hat, verlorener<br />
jugendlicher Freiheit und Leichtigkeit<br />
nachzutrauern und sich ernsthaft zu fragen,<br />
ob man sich für das Richtige, den Richtigen<br />
oder die Richtige entschieden hat.<br />
Ganz abgesehen davon steht der Ferien<strong>auf</strong>enthalt<br />
im Strandhaus am Cap Ferret, in<br />
das der wohlhabende Restaurantbesitzer<br />
Max (François Cluzet) seinen 15 Jahre jüngeren<br />
Freundeskreis alljährlich großzügig einlädt,<br />
in diesem August unter einem besonders<br />
düsteren Stern. Denn Ludo (Jean Dujardin),<br />
einer von ihnen, ist – wie eine großartige<br />
Plansequenz am Anfang des Films eindrucksvoll<br />
zu sehen gibt – nach einer durchzechten<br />
Diskonacht <strong>auf</strong> seinem Motorrad unsanft mit<br />
einem Kleintransporter zusammengestoßen<br />
und liegt nun lebensgefährlich verletzt <strong>auf</strong><br />
der Intensivstation. Dort versammeln sich<br />
seine alten Freunde auch sofort vollzählig an<br />
seinem Bett, um ihm Trost zu spenden und<br />
Mut zu machen; doch schon wenig später<br />
suchen sie in schöner Eintracht <strong>auf</strong> dem Bürgersteig<br />
vor der Klinik erfolgreich nach Vorwänden<br />
dafür, den bevorstehenden Strandurlaub<br />
trotzdem nicht abzusagen: Ludo ist<br />
hier sicherlich in fachkundigen Händen, und<br />
man könnte ihm ja ohnehin nicht helfen, im<br />
Gegenteil würde man wahrscheinlich den<br />
Heilungsprozess nur stören. Außerdem wird<br />
man sich um ihn gut erholt nach den Ferien,<br />
die man großherzig <strong>auf</strong> zwei Wochen verkürzt,<br />
viel besser kümmern können.<br />
Am sonnigen Gestade des Atlantiks,<br />
wo der Wein besonders mundet, stößt man<br />
dann auch ehrlich besorgt <strong>auf</strong> seine baldige<br />
Genesung an, widmet sich aber ansonsten<br />
scheinbar gut gelaunt vor allem dem dolce far<br />
niente. Dennoch enden die fidelen Wasserski-Nachmittage,<br />
Strandspaziergänge und<br />
gemeinsamen Abendessen häufig im Streit:<br />
Einer neckt einen anderen bis <strong>auf</strong>s Blut, lacht<br />
zu lange über ein bissiges Aperçu oder setzt<br />
noch eines dr<strong>auf</strong>, bis wieder einmal irgendwer<br />
heult oder ausflippt. Das hängt jedoch<br />
nicht nur mit Ludos schwerem Schicksal<br />
zusammen, sondern auch mit den Problemen,<br />
die jeder einzelne mit sich herumträgt<br />
und angestrengt vor den anderen verbirgt: Éric (Gilles Lellouche), ein<br />
zweitklassiger Schauspieler, notorischer Schürzenjäger und die Stimmungskanone<br />
der Clique, ist zum Beispiel bedrückt, weil seine derzeitige<br />
Freundin <strong>auf</strong>grund seiner chronischen Untreue kurzerhand in<br />
Paris geblieben ist. Die bisexuelle Ethnologin Marie (Oscarpreisträgerin<br />
Marion Cotillard) hat zwar unzählige Affären, läuft aber jedes<br />
Mal panisch davon, wenn sich eine Beziehung anzubahnen droht, und<br />
scheint völlig aus der Bahn geworfen, als plötzlich einer ihrer Liebhaber<br />
am Urlaubsort <strong>auf</strong>taucht. Antoine (Laurent Lafitte) hingegen<br />
nervt alle mit seinem ständigen Gejammer über das unglückliche<br />
Scheitern seiner letzten Beziehung und noch mehr damit, dass er<br />
stets das Gegenteil von dem tut, was man ihm zuvor <strong>auf</strong> seine eigene<br />
Aufforderung hin geraten hat. Max’ Ehefrau Véronique (Valérie Bonneton)<br />
übertreibt es ein wenig mit ihrer ständigen Bemutterung der<br />
anderen, vor allem wenn sie wieder einmal über die Vorteile biodynamischer<br />
Ernährung doziert. Isabelle (Pascale Arbillot) wiederum<br />
kompensiert die sexuelle Dürrephase, die momentan innerhalb ihrer<br />
Ehe mit Vincent (Benoît Magimel) herrscht, mit ausgiebigen erotischen<br />
Ausflügen ins Internet. Und warum liegt eigentlich zwischen<br />
dem Chiropraktiker Vincent und Gastgeber Max eine so hässliche<br />
Spannung in der Luft? – Fragen sich alle, die eben nicht wissen, dass<br />
Vincent dem älteren Freund und Patenonkel seiner Kinder bereits<br />
vor der Abfahrt in Paris gestanden hat, dass seine Gefühle für ihn<br />
über das normale Maß einer Männerfreundschaft hinausgehen.<br />
Damit kann Max – den François Cluzet grandios als eine hysterische<br />
Mischung aus Louis de Funès und Nicholas Sarkozy anlegt – offensichtlich<br />
nicht sonderlich gut umgehen: Kaum angekommen, ereifert<br />
er sich darüber, dass der Rasen nicht ordnungsgemäß geschoren<br />
wurde, danach brüllt er grundlos die Kinder an, und dann steigert er<br />
sich so fanatisch in die Jagd nach einem die Hohlräume seines Ferienhauses<br />
illegal bewohnenden, nachtaktiven Nagetier hinein, dass man<br />
meinen könnte, er wolle seinem eigenen inneren Dämon den Garaus<br />
machen. Die Hatz gipfelt schließlich darin, dass er eines Nachts mit<br />
einer Axt die Zimmerwände einzuschlagen beginnt und dabei ein<br />
ähnlich erschreckendes Minimum an Psycho-Gesundheit zur Schau<br />
stellt wie Jack Nicholson in Kubricks Horrorklassiker Shining (1980).<br />
Wenngleich weiterhin auch gelacht und gescherzt wird, folgt so eine<br />
Nervenkrise der anderen, bis sich Paris am Telefon meldet …<br />
Gemeinsam mit einigen der angesagtesten Darsteller des aktuellen<br />
französischen Kinos gelingt es Schauspieler-Regisseur Guillaume<br />
Canet mit seiner dritten Regie-Arbeit – nach Mon Idole (2002) und<br />
dem César-prämierten Thriller Kein Sterbenswort (2006) – dem strapazierten<br />
Begriff der Tragikomödie insofern eindrucksvoll gerecht<br />
zu werden, als man an vielen Stellen nicht mehr weiß, ob man noch<br />
lachen kann oder schon weinen möchte. Der überdies meisterlich<br />
fotografierte und erklärtermaßen an Erfolge wie Lawrence Kasdans<br />
Der große Frust (1983) und Kenneth Branaghs Peter’s Friends (1992)<br />
anknüpfende Film avancierte in Frankreich mit mehr als 5,3 Mio<br />
Besuchern zum zweiterfolgreichsten des Kinojahres 2010 und läuft<br />
hierzulande am 7. Juli an. s<br />
Kleine wahre Lügen<br />
von Guillaume Canet<br />
FR 2010, 154 Min, DF/OmU<br />
Tobis, www.tobis.de<br />
Im Kino ab 7. Juli 2011<br />
Kein Sterbenswort<br />
von Guillaume Canet<br />
FR 2006, 125 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Universum Film,<br />
www.universumfilm.de<br />
Mon Idole<br />
von Guillaume Canet<br />
FR 2002, 110 Min, OF<br />
Auf DVD als Import<br />
28 29<br />
kino<br />
Gute Filme.<br />
<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> DVD!<br />
Überall im Handel und <strong>auf</strong> www.goodmovies.de<br />
9 to 5 – Days in Porn<br />
San Fernando Valley –<br />
das Epizentrum der US-<br />
Unterhaltungsindustrie für<br />
Erwachsene: Was bewegt<br />
Menschen, in der Pornoindustrie<br />
zu arbeiten, wie sieht<br />
ihr Leben aus? Hier kommen<br />
sie selber zu Wort – ein ungeschönter,<br />
authentischer<br />
Blick von innen heraus…<br />
Nina –<br />
Diary of a Porn Star<br />
Nina heißt eigentlich Sofie –<br />
sie ist 23 Jahre alt, hat schon<br />
in 150 Pornofilmen mitgespielt<br />
und will jetzt aussteigen…<br />
Ein sensationeller, ungewöhnlicher<br />
und spannender Einblick<br />
in den Werdegang und<br />
das Leben eines Pornostars.<br />
Sex / Life in L.A.<br />
<strong>Neu</strong>n junge Männer in L.A.:<br />
Alle arbeiten mit ihrem<br />
Körper als größtem Kapital.<br />
Ein anderes, ungewöhnliches<br />
Porträt von Protagonisten<br />
des schwulen Porno-Business,<br />
deren Lebensstil die Grenzen<br />
der amerikanischen Nor-<br />
malität erweitert.
tellerrand<br />
der Wahnsinn,<br />
dieser dietrich<br />
aller herzen!<br />
von Werner Schroeter · auFGeZeichnet von claudia lenSSen<br />
Vor etwas mehr als einem Jahr starb Werner Schroeter. Es<br />
scheint so, als würde man erst jetzt seine Bedeutung, seine<br />
Ausstrahlung, sein Fehlen wahrnehmen. noch kann man Elfi<br />
Mikeschs wunderschönen Dokumentarfilm „Mondo Lux“<br />
in Kinos und <strong>auf</strong> Festivals sehen, und ganz frisch ist Werner<br />
Schroeters Autobiografie „Tage im Dämmer, nächte im<br />
rausch“ im Aufbau Verlag erschienen. Claudia Lenssen, die<br />
ihre atemlos in den letzten Monaten entstandenen Interviews<br />
in bewundernswerter Weise in den rededuktus und die Erzählmagie<br />
Schroeters übersetzt hat, stellte für die SISSY einen<br />
Auszug aus dem Buch zur Verfügung, den wir mit freundlicher<br />
Genehmigung des Aufbau Verlags abdrucken.<br />
s Das Theater ist dem Leben näher, der Film der Eitelkeit. Es ist<br />
doch wunderbar, wenn man einen Film gemacht hat, den man wieder<br />
vorführen kann, so eitel ist nun jeder Künstler. Theater ist das<br />
Flüchtige, das Kino das Manifeste, das Mitnehmbare sozusagen. Das<br />
widerspricht sich keineswegs.<br />
Als ich von Peter Zadek, Jean-Pierre Ponnelle und Ivan Nagel ins<br />
Theater gezogen wurde, habe ich mich nur schwer überzeugen lassen.<br />
Der bürokratische Betrieb war mir unheimlich. Erst mit „Salome“ in<br />
Bochum, wo Peter Zadek Intendant war, fühlte ich mich wohl. Daraus<br />
wurde eine Theaterfamilie, und wie Familien so sind, kommt<br />
man kaum noch heraus. So kam eins zum anderen, fast achtzig Theaterarbeiten<br />
seit 1972. Bei zwei bis vier Monaten Lebenszeit für eine<br />
Produktion kann man ausrechnen, wie viele Monate ich im Theater<br />
verbrachte. Mein Freundin Ingrid Caven prägte ein schönes Bonmot<br />
für unser Leben und unseren dauernden Schwebezustand zwischen<br />
Proben und Vorstellungen: Tage im Dämmer, Nächte im Rausch.<br />
Arbeit ist ein falscher Begriff, mein Leben liegt wirklich darin. Ich<br />
betrachte es als ungeheure Anstrengung an, mich auszudrücken, aber<br />
auch als innere Notwendigkeit. Psychisch strengt mich die Arbeit<br />
FILMGALErIE 451<br />
nicht an, sie macht ungeheure Freude, physisch dagegen sehr. Aber<br />
das ist meine Lebensform. Ich glaube, jeder der nicht lügt, empfindet<br />
sein Leben nur als erfüllt, wenn er mit demselben Stellenwert kreativ<br />
arbeitet, wie er liebt. Die Grenze dazwischen sehe ich nicht. Ich habe<br />
immer nur mit Menschen gelebt, die mit Theater oder Film zu tun<br />
hatten, habe immer nur Schauspieler oder Sänger verführt. Ich habe<br />
die geliebt, die mit diesem Beruf zu tun haben, aber mir unähnliche<br />
andere Persönlichkeiten sind. Ich hätte gar keine Zeit gehabt, mich<br />
woanders umzugucken.<br />
So wie es war, habe ich nicht genug Zeit, mich durchgehend um<br />
Filme zu kümmern, aber ich bereue es nicht. Es kamen immer neue<br />
Leute hinzu, Schauspieler, Mitarbeiter, Freunde und Freundinnen,<br />
wunderbar und begeisternd. So fehlte mir der Film über lange Zeit<br />
gar nicht. Theater beansprucht viel Energie und darin ging ich ganz<br />
<strong>auf</strong>, weil ich meine Idee, dass zwischen Leben und Kunst kein Unterschied<br />
besteht, hier besser verwirklichen konnte. Und umgekehrt hat<br />
es beim Filmemachen geholfen, dass ich die komplexen Konfliktsituationen<br />
aus dem Theater kannte. Es gibt den Film Ich will doch nur, dass<br />
ihr mich liebt von meinem Freund Fassbinder. In diesem Sinn ist der<br />
Versuch, sich in der Kunst auszudrücken, auch immer der Versuch,<br />
geliebt zu werden. Als Primus inter pares ist man bei der Film- und<br />
Theaterarbeit der, der am meisten geliebt werden will, es aber auch<br />
am meisten unmöglich macht. Das gilt für mich und letzten Endes<br />
alle, die die Spielleitung übernehmen. In einer ko-kreativen Gruppe,<br />
wie ich sie nenne, kommt von den mitwirkenden Gestaltern so viel,<br />
dass ich nicht mehr weiß, von wem welcher bildliche, gestalterische<br />
oder schauspielerische Einfall stammt. Es ist eine gemeinsame Kreation,<br />
die aber von diesem Obermotz gesteuert wird, diesem Spielleiter,<br />
der am meisten geliebt werden will.<br />
Kollektiv kann man keine Kunst machen. Das ist etwas anderes<br />
als die Gruppe, die ich meine, und die Herzensfreundschaft mit Magdalena<br />
[Montezuma, —Red.]. Ich wüsste nicht, wie es mit dem Kollektiven<br />
funktionieren sollte, selbst Sozialisten wie Brecht haben es nicht<br />
geschafft. Brecht hat sich zuarbeiten lassen von seinen Frauen, die er<br />
ein bisschen ausgenommen hat. Vielleicht gehört das auch dazu, auch<br />
mir halten meine Freundinnen vor, dass ich meine Gruppe ausgenommen<br />
habe.<br />
Aber das Kollektive, wie soll das gehen? Zusammen mit anderen<br />
Regisseuren? Das könnte ich mir nicht vorstellen. Je eigener jemand<br />
ist, desto schöner kann er doch mit Menschen arbeiten. Bei Peter<br />
Zadek in Bochum war genug Geld da, dass jeder Leute mitbringen<br />
konnte. Fassbinder, Jiri Menzel, Augusto Fernandes, Regisseure von<br />
verschiedenen Nationalitäten, brachten Schauspieler, Bühnenbildner,<br />
Musiker mit. Das war ein sehr kluger Gedanke! Verschiedenheit am<br />
gleichen Ort, ohne Gruppenideologie. Einmal spielte ich bei Augusto<br />
Fernandez in „Atlantis“ mit, ein anderes Mal spielte Magdalena in<br />
Zadeks „Lear“ eine der Töchter.<br />
Magdalena Montezuma konnte sich in Bochum wunderbar entfalten.<br />
Peter Zadek setzte ihr Talent und ihre Intelligenz sehr klug<br />
ein und kümmerte sich überhaupt nicht um die dumme Kritik an<br />
ihrem Dilettantismus, im Gegenteil: Sie war ein traumhafter Geist<br />
von Hamlets Vater im „Hamlet“ und tanzte wie Valeska Gert in „Professor<br />
Unrat“, beides Inszenierungen von Peter Zadek. Die Theaterarbeit<br />
half ihr zu mehr Freiheit, sie lernte andere Regisseure kennen,<br />
die mit ihr arbeiteten. So konnte sie sich von mir emanzipieren und<br />
unser Zusammensein gewann in der Freundschaft.<br />
Wir waren in Bochum fast immer im Theater, außerhalb gab es<br />
so gut wie nichts Unterhaltsames. Peter Zadek hatte im Keller die<br />
Bo-Kneipe eingerichtet, und da trafen wir uns. In seinen Memoiren<br />
schilderte er den Club, der dort zusammenhing, und machte sich über<br />
meine Entourage lustig, „lange, schöne, schlanke Menschen, die langsam<br />
wie eine Sekte durch die Gegend schritten“. War ja klar, dass ich<br />
damals dünn und düster-lustig aussah in meinen schwarzen Lederhosen,<br />
wir unterschieden uns halt von den anderen Gruppen. Da hal-<br />
fen auch die Kaffee-und-Kuchen-Runden bei Traute Eichhorn wenig,<br />
die uns bemutterte und abends die Souffleuse war. Zadek liebte uns,<br />
das spürt man durch den Spott hindurch. Damals hatte er eigentlich<br />
wenig Grund dazu, er war sogar sehr tief gekränkt, als ich mit Roswitha<br />
Hecke, seiner Lebensgefährtin, eine Affäre begann. Roswitha<br />
und Peter Zadek trennten sich und dann war sie die Freundin und<br />
Gefährtin meines Freundes Wolf Wondratschek, der ein schönes Vorwort<br />
zu ihrem Fotobuch „Liebes Leben“ über die schöne Züricher<br />
Nachtgestalt Irene beisteuerte.<br />
Apropos eitle und voyeuristische Intendanten: Klaus Peymann<br />
redet mich mit „Ah, Majestät sind wieder hier!“ an. Das ist nicht boshaft<br />
oder zynisch, womöglich meint er es im pluralis majestatis. Als<br />
ich am Berliner Ensemble die Georg-Kreisler-Ur<strong>auf</strong>führung „Adam<br />
Schaff hat Angst“ mit Tim Fischer inszenierte, geriet ich in eine<br />
furchtbare Krise, weil ich in einen vergeblichen Liebeskampf um Tim<br />
Fischer stürzte. Irgendwann verschwand ich einfach und dar<strong>auf</strong> versuchte<br />
Klaus Peymann bis nachts um drei Uhr, mich zu erreichen. Ob<br />
er helfen könne, er komme sofort vorbei. Ich sagte ihm: „Herr Peymann,<br />
Sie brauchen mir nicht zu helfen. Morgen geht’s besser.“ Er hat<br />
sich ganz loyal gezeigt, ohne es zu merken, vielleicht fand er so einen<br />
Liebesrausch bei einem Schwulen spannend. Das BE ist das einzige<br />
deutsche Theater, das man <strong>auf</strong> der ganzen Welt kennt, das berühmteste<br />
überhaupt. Aber sein Programm ist zu popelig im Vergleich zu<br />
dem, was es haben müsste. Das kann man Klaus Peymann vorwerfen.<br />
Ich persönlich brachte meine Zeit am Theater oft mit klassischen<br />
Frauenstücken zu. Unter Peter Zadeks Intendanz inszenierte ich<br />
in Bochum „Salome“, „Lucrezia Borgia“, „Fräulein Julie“ und „Das<br />
Käthchen von Heilbronn“. Nimmt man „Emilia Galotti“, die erste<br />
Inszenierung im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg 1972 und<br />
„Miss Sarah Sampson“ am Staatstheater Kassel 1977 hinzu, beide von<br />
meinem geliebten Lessing, dann sieht man, dass es eine große Neigung<br />
zu Frauendramen gab.<br />
„Lucrezia Borgia“ war eine von Magdalena Montezumas grandiosesten<br />
Arbeiten. Auch „Fräulein Julie“ war ein Vorschlag von mir,<br />
ebenso „Miss Sara Sampson“, weil ich auch die Vorstufe zu „Emilia<br />
Galotti“ inszenieren wollte, ungekürzt in großem Tempo. Aber dann<br />
dauerte es doch über drei Stunden, weil das Stück ausuferte. Es waren<br />
alles herrliche Sachen, die ich gerne inszenieren wollte: „Das Käthchen<br />
von Heilbronn“ war von mir ausgesucht, auch „Lohengrin“, den<br />
ich 1979 am Staatstheater Kassel inszenierte. Erst als ich anfing, stetig<br />
in Düsseldorf am Schauspielhaus zu arbeiten, schlug der Intendant<br />
Volker Canaris „Doña Rosita“ vor. Man könnte auch „Lohengrin“ als<br />
eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Charakteren<br />
und Persönlichkeitsvoraussetzungen von Frau und Mann ansehen,<br />
wenn z. B. Elsa nicht ertragen kann, das Geheimnis des Anderen zu<br />
wahren. Für mich war die Frau immer das transparente Lebensmodell<br />
in der Theater- und Filmarbeit, obwohl sich das im L<strong>auf</strong> der Zeit<br />
enorm erweitert hat mit „Werther“ von Jules Massenet, „Caligula“<br />
von Albert Camus, Shakespeares „Othello“ und „König Lear“, „Die<br />
Soldaten“ von Jakob Michael Reinhold Lenz, „Don Carlos“ von Friedrich<br />
Schiller und Giuseppe Verdi.<br />
Man kann sich eine schöne Theorie überlegen, warum ich so viele<br />
Frauen inszeniert habe, aber außer der Begründung, dass ich sie in<br />
ihrer gesellschaftlichen Rolle und als Projektionsfläche für meine<br />
Phantasien interessanter fand, kann ich nichts dazu beitragen. Wichtig<br />
war mir, schöne Rollen für Magdalena, Ingrid Caven, Tamara<br />
Kafka, Elisabeth Krejcir, Traute Höss und die vielen anderen Schauspielerinnen<br />
aus meiner Theaterfamilie zu finden.<br />
In Bochum wohnte ich eine Weile bei Tamara Kafka. Sie spielte<br />
das Dienstmädchen Christin in „Fräulein Julie“, war bei „Lucrezia<br />
Borgia“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ dabei, auch in meinem<br />
Film Tag der Idioten und anderen Aufführungen, später war sie Dramaturgin,<br />
Autorin und Regisseurin. Ich erinnere mich, dass sie mir<br />
einmal hundertachtzig D-Mark für eine Bahnfahrt vorstreckte, ziem-<br />
lich viel angesichts ihrer Gage. Dann erbat sie das Geld von meinem<br />
Vater zurück, weil ich es einfach nicht schaffte. Seit „Emilia Galotti“<br />
waren meine Gagen, zumal wenn Bühnenbilder oder Stückbearbeitungen<br />
dazu kamen, von dreitausend <strong>auf</strong> achttausend D-Mark gestiegen.<br />
Für Shakespeares „Wie es euch gefällt“ hätte ich fünfzehntausend<br />
bekommen, aber die Arbeit sagte ich im Todesjahr meiner Mutter ab.<br />
Wie dem auch sei, ich schob immer Schulden vom Filmemachen vor<br />
mir her, das Reiseleben kostete Geld und sparsam war ich noch nie.<br />
Zurück zu „Fräulein Julie“. Diese Aufführung 1977 wurde nach<br />
für uns am bochumer theater war<br />
wichtig, die verlogene einteilung in<br />
ernste kunst und unterhaltung, dieses<br />
seriöse falsche getue, zu attackieren.<br />
Persepolis eingeladen, in die Palast-Metropole von Schah Reza Pahlevi.<br />
Ich lehnte ab, weil ich es damals aus ideologischen Gründen nicht vertreten<br />
konnte. Heute würde ich einer Aufführung zustimmen – unter<br />
Beibehaltung der identischen Inszenierung ohne jede Änderung.<br />
Wie dem auch sei, für uns am Bochumer Theater war wichtig, die<br />
verlogene Einteilung in ernste Kunst und Unterhaltung, dieses seriöse<br />
falsche Getue, zu attackieren. Mit meinen Lessing-Inszenierungen<br />
und Kleists „Käthchen“ ging ich gegen die deutsche Humorlosigkeit<br />
an. Heinrich Kleists Stück war als romantisches Mysterienspiel verkitscht<br />
worden, wir bürsteten es gegen den Strich, um durchscheinen<br />
zu lassen, was wir vermissten. Ich sah das Stück viel wahnsinniger, als<br />
es normalerweise inszeniert wird. Diese Bedingungslosigkeit, mit der<br />
Käthchen dem Mann hinterhertappt! Diese innere Stärke, obwohl er<br />
sie sadistisch quält! Ich legte Kleist so aus, dass es die heimliche Angst<br />
des Autors vor solch einer weiblichen Stärke zum Gegenstand hat.<br />
Ich gestaltete mit Hans Peter Schubert ein wunderschön einfaches<br />
Bühnenbild aus herabhängenden Metallstangen, mit denen wir<br />
Ritterburggemäuer und Landschaft im Sturm phantastisch einfach<br />
zeigen konnten. Magdalenas Kunigunde von Thurneck war so, wie<br />
Kleist sie wirklich dargestellt hatte, eine Puppe, kahlköpfig, nackt,<br />
in einem Chiffon-Gewand, das die Wasserfrau andeutete. Sie war bei<br />
uns keine Undine, eher eine groteske Gestalt. Elisabeth Krejcir zeigte<br />
das Käthchen als ein Opfer des Ritters Wetter von Strahl – dass es sich<br />
quälen lässt, konnten wir ja nicht als Liebe ausgeben. Den Seufzer von<br />
Käthchens Vater, „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen“, nahmen<br />
wir als Motto. Und den <strong>auf</strong>geblasenen Rittern wünschte ich in<br />
einem sarkastischen Beitrag fürs Programmheft „dank ihrer chauvinistischen<br />
Uneinsicht allen mitsamt ein schreckliches Zugrundegehen<br />
in ihren blechernen Spielhöschen.“ s<br />
Auszug aus W. Schroeter: „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“,<br />
Kapitel „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen!“, S. 166–172,<br />
Aufbau Verlag 2011<br />
Mondo Lux – Die Bilderwelten<br />
des Werner Schroeter<br />
von Elfi Mikesch<br />
DE 2011, 97 Min, dt. OF<br />
Filmgalerie 451, www.filmgalerie451.de<br />
Im Kino seit 25. August 2011<br />
Tage im Dämmer, Nächte im Rausch<br />
von Werner Schroeter und Claudia Lenssen<br />
Autobiografie, 408 Seiten, Aufbau Verlag 2011,<br />
www.<strong>auf</strong>bau-verlag.de<br />
30 31<br />
tellerrand
<strong>dvd</strong> <strong>dvd</strong><br />
balaNce<br />
<strong>auf</strong><br />
kIPPeNdem<br />
gRuNd<br />
von michael eckhardt<br />
Gedanken zum Kino von Sébastien Lifshitz anlässlich der DVD-<br />
Veröffentlichung seines Debütfilms „offene Herzen“ („Les<br />
Corps ouverts“).<br />
s Nein, mit dem ganz großen Erfolg wird es wohl nie klappen. Dabei<br />
gehören die Werke des Filmemachers Sébastien Lifshitz zu den besten<br />
des jüngeren europäischen Kinos. Dennoch werden sie von einer<br />
fast verschwindend geringen Minorität überhaupt wahrgenommen.<br />
Zumindest in Deutschland blieb dem Regisseur, Jahrgang 1968, die<br />
große Gefolgschaft aus; einzig sein Film Sommer wie Winter … (Presque<br />
Rien) ließ sich immerhin an 25.000 Zuschauer vermitteln. Das<br />
liegt zehn Jahre zurück, danach drehte Lifshitz den Dokumentarfilm<br />
La Traversée, der gar nicht in den deutschen Kinos lief oder als<br />
DVD erschien, und seinen vielleicht beeindruckendsten Film Wild<br />
Side (2004) sahen gerade mal knapp 400 Leute in den Kinos, trotz<br />
Teddy-Awards <strong>auf</strong> der Berlinale, trotz Gast<strong>auf</strong>tritt von Antony and<br />
the Johnsons, obwohl von geradezu poetischer Qualität. Denn genau<br />
die zeichnet Lifshitz’ Filme aus.<br />
Das Kino eines Sébastien Lifshitz stellt hohe Ansprüche. An sich<br />
selbst, an die Entwicklung seiner Protagonisten, an ein <strong>auf</strong>geschlossenes<br />
Publikum. Lifshitz hat sein Thema gefunden: Meist geht es um<br />
Entwurzelung, das Finden einer Balance, das Klarkommen in instabilen<br />
Familien, Partnerschaften oder Lebensabschnitten. Und instabil<br />
ist in der Phase der Adoleszenz an sich alles: schulisch, beruflich,<br />
persönlich, sexuell. Und so ist die Hauptfigur in Offene Herzen, dem<br />
nun <strong>auf</strong> DVD erscheinenden Erstling von Sébastien Lifshitz, eine wie<br />
viele spätere in seinen Filmen: ein Suchender. Rémi, 18, nordafrikanischer<br />
Abstammung, empfindet Langeweile. Auf dem Gymnasium,<br />
beim Gelegenheitsjob, in der dunklen Wohnung. Da kommt das Casting<br />
bei Marc, dem Regisseur, gerade richtig. Hier kann Rémi kurz<br />
entfliehen: der Monotonie seines Lebens, dem kranken Vater, den er<br />
zwar <strong>auf</strong>richtig liebt, dessen Versehrtheit ihn aber sehr fordert. Beim<br />
Schauspiel zeigt Rémi Talent, da verschwindet kurz die Perspektivlo-<br />
EDITIon SALzGEBEr<br />
sigkeit als ständiger Begleiter. Und der Junge taucht ein<br />
in ganz neue Erfahrungen, auch sexueller Art. Mit Marc<br />
wird er schlafen, dann wieder mit Frauen, und dar<strong>auf</strong>hin<br />
trotzdem neue Männer kennenlernen. Die Straßen von<br />
Paris sind nun sein Spielplatz …<br />
Es ist im Gegensatz zu Sommer wie Winter … oder<br />
Plein Sud, Lifshitz’ bisher letzter Arbeit, nicht nur durch<br />
das nächtliche Paris ein recht düsterer Film geworden.<br />
Weil auch seine Hauptfigur, der die Zuneigung ihres<br />
Schöpfers sicher ist, trotz seiner Jugend abgründiger<br />
angelegt ist: Rémi findet sich in Pornokinos wieder, er<br />
wird die Schule schwänzen, dem eifersüchtigen Marc aus<br />
dem Weg gehen, nach dem nächsten schnellen schwulen<br />
Fick wieder am Esstisch beim sterbenskranken Vater sitzen.<br />
Da irritiert und rührt es an, wenn der ihm mit großer<br />
Zärtlichkeit den Kopf streichelt. Rémi schließlich ist reifer,<br />
aber noch lange nicht angekommen.<br />
Dieses Thema des Ausprobierens, des Suchens, des<br />
Mäanderns, des Bewusstwerdens seiner Herkunft, seiner<br />
Zugehörigkeit – das ist Lifshitz’ Thema. Auch in Wild<br />
Side ist es das.<br />
Und auch hier gab es das poetische Moment, das über<br />
den klaglosen Neorealismus, den das Kino des Franzosen<br />
auszeichnet, schwebt. Hier dient zur Ouvertüre das vibrierende<br />
Falsett von Antony Hegarty, um von einer leidenschaftlichen<br />
Liebe zu einem toten Jungen zu singen.<br />
Dieser Performance wohnt auch die schöne Transsexuelle<br />
Stéphanie bei. Sie verdingt sich als Nutte, lebt mit einem<br />
Russen und dem Stricher Djamel. Eine Art Ersatzfamilie,<br />
die richtige verlor sie in einer Zeit, als sie es endgültig <strong>auf</strong>gab,<br />
Pierre zu sein. Doch sie kehrt noch einmal zu ihren<br />
Wurzeln zurück, da ihre Mutter im Sterben liegt. Auch<br />
hier bestechen die Echtheit atmenden Bilder, das Beobachten<br />
von Außenseitern, das Erzählen vom Zurechtkommen<br />
und der Sehnsucht nach Akzeptanz. Wenn auch<br />
nicht ganz so eindringlich wie bei Sommer wie Winter …<br />
gelang Lifshitz ein einfühlendes Porträt ungewöhnlicher<br />
Leben. In klug fotografierten Bildern, in geschickt montierten<br />
Rückblenden steht Lifshitz für eine Intensität,<br />
die im Kino selten ist. Das löst sein erfolgreichster und<br />
sicherlich auch bester Film eindrucksvoll ein: In Sommer<br />
wie Winter … dachte Mathieu, es sei die Liebe seines<br />
Lebens. Den attraktiven Cédric lernte er während eines<br />
Sommerurlaubs an den endlosen Stränden der Bretagne<br />
kennen. Durch die leidenschaftliche Beziehung fühlte<br />
sich der introvertierte Junge stark genug, sein Coming-<br />
Out zu leben. Im dar<strong>auf</strong>folgenden Winter trennen sich<br />
die beiden, ohne wirklich zu wissen warum. Jetzt geht es<br />
Mathieu richtig scheiße. Er versucht sich umzubringen …<br />
Und hier zeigt sich Lifshitz’ Talent im Schaffen einer<br />
geradezu fühlbaren Authentizität am besten. Ohne die<br />
realitätsfremde Schweinchenrosatüncherei der üblichen<br />
schwulen, meist komödiantischen Luftsprünge erzählt<br />
der Regisseur von der Schwierigkeit, Balance zu halten,<br />
wenn der Boden kippt. Das Ausleben des Hochgefühls und<br />
das verletzte Insichkehren sind ihm weitaus wichtiger,<br />
als durch endlose Dialoge die erste Liebe zu zerquasseln.<br />
Sprachliche Reduktion steht auch für den Erstling Offene<br />
Herzen, es geht ums Suchen und Probieren. Auch wenn<br />
für Rémi das Coming-Out nicht das alleinige Thema ist.<br />
Er ist aber jetzt jemand, der begehrt und begehrt wird,<br />
der Liebe und Zuneigung sucht und zumindest Spielarten<br />
der Liebe und der Körperlichkeit findet. Und mit<br />
dem Verlust des Vaters, mit dem drohenden Zerbrechen<br />
der Familie, gibt es durchaus eine Parallele zu Lifshitz’<br />
letztem Film Plein Sud, wenn auch hier Integration nicht<br />
das Thema und Coming-Out nur das einer Nebenfigur<br />
ist: Plein Sud ist ein faszinierender Mix aus Roadmovie,<br />
Familiendrama und Liebesfilm. Sam musste als Kind<br />
ansehen, wie sich sein Vater beim Streit mit der Mutter<br />
im Auto eine Kugel in den Kopf jagte. Fortan erleben sein<br />
jüngerer Bruder und er, wie Maman zu trinken anfängt<br />
und geradezu schizophren wird. Die Waffe des Vaters hat<br />
Sam behalten, hat sie im Gepäck, als er mit den Trampern<br />
(und Geschwistern) Lea und Mathieu in Richtung Meer<br />
fährt. Mathieu verliebt sich in Sam, dem aber fällt es<br />
schwer, Gefühle zuzulassen. Es gibt wie in Sommer wie<br />
Winter … lichtstarke Szenen am Strand, die Hauptfiguren<br />
sind allesamt hübsch anzusehen, die Nacktszenen sind<br />
wild-romantisch und natürlich, und Lifshitz entflicht<br />
seine Konflikte in gewohnter Subtilität. Und trotz der<br />
krassen Kindheitsgeschichte, des schwierigen Kampfes<br />
ums Liebenkönnen und Liebenlassen kriegt der Film<br />
gerade zum Ende hin etwas Besänftigendes. Vielleicht,<br />
weil er schlussendlich einfach über die Möglichkeit von<br />
Vergebung räsoniert. Plein Sud bleibt ein wenig rätselhaft,<br />
das ist durchaus gewollt so.<br />
Das ist aber ohnehin eine Eigenart des queeren französischen<br />
Films, dieses Aussparen, Lückenlassen – im<br />
Fragmentarischen liegt eben jene unleugbare Poesie. Es<br />
bleibt Deutungsraum. Das tut gut. Darin begründet sich<br />
aber auch die eher zögerliche Aufnahme durch das Publikum.<br />
Man mag es wohl eindeutiger. Ein Erfolgsfilmer<br />
wie François Ozon ist da klarer, wenn auch bei ihm dieses<br />
Augenzwinkern, das Überzeichnen und Pathetische<br />
Methode haben. Ozons Filme oder die seines spanischen<br />
Kollegen Almodóvar sind breiter angelegt. Vielleicht auch,<br />
weil sie emotionaler und dramatisierender sind und meist<br />
von Frauen erzählen. Das tut Lifshitz nicht. Er erzählt<br />
von Männern und auch ein wenig von sich. In Offene Herzen<br />
taugt dafür auch ein Auftritt Lifshitz’ als Sébastien,<br />
der mit Rémi anonymen Sex im Pornokino hat.<br />
Das Zurückbleiben, die Orientierungslosigkeit, die<br />
Einsamkeit sind bei Lifshitz wiederkehrende Motive:<br />
Mathieu wird allein sein, die Transe Stéphanie nach<br />
dem Tod der Mutter letztendlich auch und ebenso Rémi.<br />
Das Leben als Glücksthese interessiert Lif shitz nicht.<br />
Er strebt nicht nach einem Echtheitszertifikat, sondern<br />
erzählt einfach das, was ihn bewegt. Dadurch sind seine<br />
Geschichten „echt“, dadurch wirkt auch Offene Herzen<br />
bisweilen dokumentarisch. Doch um diese Lebensnähe<br />
<strong>auf</strong> Zelluloid zu bannen, braucht es auch die passenden<br />
Gesichter. Deswegen arbeitete Sébastien Lifshitz mit dem<br />
jungenhaften und dennoch virilen Yasmine Belmadi auch<br />
nach Offene Herzen mehrfach zusammen. Dies waren<br />
durch das Charisma Belmadis in starker Erinnerung bleibende<br />
Rollen. Auf ihn wird Sébastien Lifshitz und das<br />
Kino leider verzichten müssen, da er vor zwei Jahren bei<br />
einem blödsinnigen Mopedunfall mit gerade 33 Jahren<br />
verunglückte. Als er sich in voller Fahrt eine Zigarette<br />
anzündete, kam er von der Straße ab und krachte an eine<br />
Laterne. Wenn man das weiß, denkt man sofort an Rémi.<br />
Was weniger mit sentimentalem Kitsch zu tun hat, eher<br />
mit dieser anrührenden, verletzbaren Figur. s<br />
Offene Herzen<br />
von Sébastien Lifshitz<br />
DE 2010, 105 Min, OmU<br />
Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
Sommer wie Winter …<br />
von Sébastien Lifshitz<br />
DE 2010, 100 Min, OmU<br />
Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
Plein Süd –<br />
Auf dem Weg nach Süden<br />
von Sébastien Lifshitz<br />
DE 2010, 87 Min, OmU<br />
Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
Wild Side<br />
von Sébastien Lifshitz<br />
FR/BE 2004, 91 Min, OmU<br />
Auf DVD bei Pro-Fun Media,<br />
www.pro-fun.de<br />
32 33
<strong>dvd</strong><br />
Pro-FUn MEDIA<br />
he-maN<br />
von richard Garay<br />
„Sagat hautnah!“ verspricht der Dokumentarfilm von Pascal roche und Jérôme M.<br />
oliveira über Model, Darsteller, Künstler und Undergroundsexsymbol François Sagat. Ein<br />
frommer Wunsch. Auch nur ein vorläufiges resümee zu ziehen, wie es das am 16.6. <strong>auf</strong><br />
DVD erscheinende Sagat-Material vorgibt, ist, ganz in seinem Sinne, hoffnungslos.<br />
s Joe Dallesandro versteht ja bis heute nicht, warum ihn alle so toll finden. Er war halt jung,<br />
nackt und im Film und freute sich, dass man ihm dafür und überhaupt Komplimente machte.<br />
(Die konnte er gut gebrauchen als Heimkind, runaway child, Jugendstraftäter.) Aber eine<br />
Ikone? Ein Sexsymbol?<br />
François Sagat ist über sein Ikonendasein bestens im Bilde. Auch wenn er sich mittlerweile<br />
ein Privatleben wünscht, das zurückgezogen, hinter großen Mauern, mit Freund und Familie<br />
stattfinden sollte, beherrscht er das Spiel der Zurschaustellung perfekt.<br />
Der jungenhafte, natürliche, entspannte Little Joe und der steroidale, hypermaskuline<br />
Titan Sagat? Der Vergleich ist nur <strong>auf</strong> den ersten Blick irritierend. Beide haben in der Erwachsenenunterhaltung<br />
angefangen, der eine als Physique-Pictorial-Modell, der andere als unechter<br />
„Citébeur“ (das Arabische ist bei Sagat völlig fiktiv), sind schließlich zu Underground-Sexsymbolen<br />
geworden und dann noch zu Helden des Arthauskinos. Bis zu Rivette führt der Weg<br />
des einen, zu Honoré der des anderen. (Auch die Zwischenstationen sind vergleichbar, denn<br />
Bruce LaBruce kann man ja tatsächlich den Paul Morissey unserer Zeit nennen.) Da wurde<br />
aus Ikonen noch mal ein eigenes Süppchen gekocht, den Auf-ihren-Körper-Reduzierten Freiräume<br />
eröffnet und von deren Hipness für sich selbst ein wenig Glanz abgestaubt. Sagats<br />
Toupet-Tattoo ist seine Trademark; Dallesandros berühmtes „Little Joe“-Tattoo gibt’s mittlerweile<br />
<strong>auf</strong> T-Shirts.<br />
Und doch – jedes Sexsymbol hat seine Zeit. Und da ist Sagat gerade ein ziemlich spannendes<br />
Beispiel. Wenn sein Körper eine Geschichte erzählt, dann ist es die einer allumfassenden<br />
Selbsterschaffung, durchaus als Rache für die Stigmen, die er in seiner Heimatkleinstadt Cognac<br />
als schwuler, tuntiger Teenie erfahren musste. Da hat eine Verwandlung stattgefunden,<br />
mithilfe von Steroiden, Sex und Undergroundregisseuren. Letztere erzählen von Disziplin und<br />
Intelligenz, Psychologen von Geschlechterrollenübertreibung und -inszenierung (Marilyns<br />
Titten = Sagats Arsch) und Pornofilmproduzenten von Klassik und Exotik. Was Sagat dazu<br />
selbst erzählt, ist viel spannender und lässt sein Bild noch mal ganz anders schillern: Tatsächlich<br />
bezeichnet er sich als Transsexuellen, der nach seiner <strong>Sissy</strong>-Jugend zwei Optionen gehabt<br />
hätte: endweder eine „richtige Frau“ oder ein „richtiger Mann“ zu werden. Letzteres war sein<br />
Weg und wurde mit allen nur greifbaren Hilfsmitteln erreicht. Am Ende kann er es als eigene<br />
Leistung erklären, das Objekt der Begierde anderer zu sein.<br />
Joe Dallesandro sollte immer so aussehen, als sei ihm seine Schönheit gar nicht bewusst.<br />
François Sagat muss beim Modellieren seines Körpers seinen Bewunderern und Inszenierern<br />
immer einen Schritt voraus sein, ein <strong>auf</strong> ewig mit sich selbst beschäftigter „Megalomaniac“<br />
(Sagat). Und das weiß er alles und deshalb wird ihm auch kein Dokumentarfilm nahe kommen.<br />
Ein weithin sichtbares Rätsel zu bleiben, darum geht’s. s<br />
Sagat<br />
von Pascal Roche und Jérôme M. Oliveira<br />
FR 2011, 120 Min, OmU<br />
Auf DVD bei Pro-Fun Media,<br />
www.pro-fun.de<br />
34 35<br />
<strong>dvd</strong>
nachruf<br />
„Der Fremde im Zug“ (Alfred Hitchcock, 1951)<br />
SchöNeR<br />
SchWächlINg<br />
von Jan künemund<br />
Am 27. März verstarb der Hollywood-Schauspieler Farley Granger. Sein Leben und seine<br />
Filme sind fester Bestandteil der queeren Filmgeschichte. Eine kleine Hommage.<br />
And the road was like a ribbon and the moon was like a bone<br />
He didn’t seem to be like any guy she’d ever known<br />
He kind of looked like Farley Granger with his hair slicked back<br />
She says I’m a sucker for a fella in a cowboy hat<br />
(Tom Waits, „Burma Shave“)<br />
36<br />
SCrEEnSHoT<br />
s Ein eigenartiges Gesicht. Kaum etwas<br />
passt da zusammen: der markante, etwas<br />
grobe Unterkiefer nicht zu den edlen hohen<br />
Wangenknochen, die hohe Stirn nicht zu den<br />
weichen Locken, das römische Profil nicht<br />
zum dunklen Typ, die empfindsamen Augen<br />
nicht zur großen, unperfekten Nase. Selbst<br />
Ober- und Unterlippe erzählen verschiedene<br />
Geschichten, die eine ist schmal, wirkt steif,<br />
die andere ist voll und sinnlich. Ein Gesicht,<br />
das in Groß<strong>auf</strong>nahmen einzufangen für<br />
Regisseure gefährlich ist, denn man gerät bei<br />
der Betrachtung ins Lesen, hört den Dialogen<br />
nicht mehr zu und verliert die Geschichte aus<br />
den Augen. Trotzdem sind einige Kameras in<br />
Groß<strong>auf</strong>nahmen an ihm hängen geblieben,<br />
konnten sich nicht sattsehen. Andere gingen<br />
wohlweislich <strong>auf</strong> Abstand, betrachteten Farley<br />
Ganger von weitem, eine äußerst athletische<br />
Figur, ein Tänzer, für Hollywoodmännernormen<br />
zu dünn. Sollte dieser Körper<br />
eine Funktion erfüllen und keine Geschichte<br />
erzählen, wurde er zum Anzug- und Uniformträger<br />
oder zum Tennisspieler. „Es ist<br />
absurd, dass Sie ein Offizier sind!“, sagte die<br />
verliebte Dame in Senso zu ihm. Er antwortet:<br />
„Wir sind Offiziere, weil uns die Uniformen<br />
so gut stehen“.<br />
Farley Granger (bürgerlich: Farley Granger)<br />
ist durch wenigstens vier Hauptrollen<br />
in die Filmgeschichte eingegangen: Er war<br />
Bowie The Kid in They Live By Night (Nicholas<br />
Ray, 1947/49), schwuler Mordkomplize<br />
Philipp Morgan in Rope (Alfred Hitchcock,<br />
1948), Tennisprofi Guy Haines in Strangers<br />
On A Train (auch Hitchcock, 1951) und Offizier<br />
Franz Mahler in Senso (Luchino Visconti,<br />
1954). Ein Kind wohlhabender, durch<br />
den Börsenkrach von 1929 völlig verarmter<br />
Eltern, die es in den 1930ern nach Hollywood<br />
zog, wo Farley Theaterspielen und Stepptanzen<br />
lernte und den Scouts von Samuel<br />
Goldwyn <strong>auf</strong>fiel, dessen beste Zeit vorbei<br />
war und der kläglich darin versagte, aus<br />
Granger – wie angekündigt – einen Star zu<br />
machen. Dass er dennoch diese vier berühmten<br />
Rollen bekam, verdankte er gleich mehreren<br />
queeren Interessen. Auf einer Party<br />
wurde er von Nicholas Ray angemacht und<br />
später besetzt, er befriedigte Hitchcocks<br />
Sehnsucht nach sexuell ambivalenten Schauspielern<br />
und begründete bei Visconti die<br />
Linie männlicher Diven (vor Alain Delon<br />
und Helmut Berger). Dass Granger seit seiner<br />
Navy-Zeit mit Männern schlief, hat damit<br />
natürlich zu tun – er war Teil einer queeren<br />
Subkultur des Filmgeschäfts zu einer Zeit, in<br />
der nichts dergleichen in den Hayes-Codeifizierten<br />
Filmen nach außen dringen durfte.<br />
Wie viele andere Stars war Granger offiziell<br />
hetero, laut spätem Geständnis „bisexuell“<br />
(wie Nicholas Ray, wie Joseph Losey, wie Sal<br />
Mineo), war gerngesehener Divenbegleiter<br />
(Ava Gardner, Rita Hayworth) und hatte die<br />
üblichen schwulen Star-Affären dieser Zeit mit Leonard Bernstein,<br />
Arthur Laurents und Jean Marais.<br />
Was aber erzählen das Gesicht und der Körper von Farley Granger,<br />
von Ray, Hitchcock und Visconti inszeniert, davon? Was bringt<br />
seit jeher schwule Filmfans dazu (und der Autor bekennt sich schuldig),<br />
sich in dieses Gesicht und diesen Körper zu verlieben, lange<br />
bevor man weiß, dass er „auch so“ war?<br />
Es gibt ein klassisches Rollenprofil für Farley Granger: den Jungen<br />
mit Problemen. Und es gibt einen Trademark-Farley-Granger-<br />
Gesichtsausdruck: die hervortretende Verhärtung <strong>auf</strong> der Stirn, die<br />
tiefe Falte oberhalb der Nasenwurzel, die vor Angst geweiteten Augen,<br />
der halb offen stehende Mund, der hervorgereckte Unterkiefer. Ein<br />
Ausdruck der Panik, der von Gefühlen überspülten Kontrolle, der Entäußerung.<br />
Kein männlicher Hollywooddarsteller der späten 1940er<br />
und frühen 1950er hat sich seine Empfindungen, sein Schwachwerden<br />
derartig ansehen lassen. Ein hübscher Junge, der die Fassung verliert<br />
– kein Männlichkeitsideal der Nachkriegszeit. „A handsome man, but<br />
there is a slight air of weakness about him“, fand Filmwissenschaftler<br />
Robert Osborne – attraktiv, aber ein Schwächling. In Rope spielt er<br />
den schwachen Part des schwulen Killerpaares nahe an der männlichen<br />
Hysterie, als empfindsamen Pianisten, der (so der Partytalk) <strong>auf</strong><br />
dem Land eigenhändig Hühnern den Hals umdreht, in einem perfekt<br />
sitzenden, je nach Abtastung des 1948er Technicolor-Materials grau<br />
oder bräunlich schimmernden Anzug, der vor Gewissensbissen von<br />
Einstellung zu Einstellung mehr durchdreht. Für Hitchcock natürlich<br />
ein wunderbar perverser Typ, aber wie Granger ihn spielt, als<br />
Galerie verzweifelter Blicke, wie er Halt sucht im Spiel eines Klavierstücks,<br />
das bezeichnenderweise „Perpetuum Mobile“ heißt, wie ihm<br />
vor Schreck das Cocktailglas in der Hand zerbricht und wie ihm zwischen<br />
zwei der nur neun Schnitte in diesem Film eine Locke aus der<br />
akkurat gebändigten Frisur in die Stirn fällt – das ist ein Glanzstück<br />
männlichen Schwachwerdens, für das andere später method acting<br />
brauchten. „Schwach Sein ist ein Fehler!“, sagt sein Liebhaber im<br />
Film. Zu schwach für diesen Film waren Montgomery Clift und Cary<br />
Grant, die Grangers Mitspieler sein sollten, aber aus Outing-Angst<br />
ablehnten. Fand auch Arthur Laurents, Grangers damalige Affäre,<br />
der das Drehbuch zu Hitchcocks schwulem Kindergeburtstag (es fällt<br />
darin der böse Satz, der Tote hätte „leben und lieben können“ wie die<br />
beiden Schwulen es niemals gekonnt hätten) schrieb und der – laut<br />
Celluloid Closet – keine <strong>Sissy</strong>s mochte.<br />
Fand wohl auch Luchino Visconti, der mit ähnlich kaltem Blick<br />
Granger als Schwächling inszenierte – als Aas, der Frauen verführt,<br />
weil er das Gefecht mit Männern scheut, der ihr Geld (das dringend<br />
zur Unterstützung des italienischen Widerstands gegen die österreichischen<br />
Besatzer gebraucht wurde) für die Bestechung eines Arztes<br />
erschleicht, der ihn kriegsuntauglich schreibt. Viscontis Empathie<br />
hat in Senso die Frau, die sich demütigen lässt, weil sie ihren Gefühlen<br />
folgt. Blind ist sie für den sexy Körper des italienischen Helden,<br />
gespielt vom virilen Massimo Girotti (Viscontis Lieblingsschauspieler,<br />
solange er volksnahe Filme drehen wollte). Empfänglich dagegen<br />
ist sie für den blasierten, überfeinerten Granger-Körper, nach<br />
dem Uniform-Strip im Baumwollunterhemd, später sogar unrasiert.<br />
Ein Feigling, der ausgerechnet den Italienern vorwirft, Kriege mit<br />
„Blumen und Mandolinen“ zu führen und der folgerichtig von einem<br />
lächerlichen Aufmarsch schicker österreichischer Uniformen exekutiert<br />
wird.<br />
Man hätte Granger wohl davon abraten müssen, seine Talente zur<br />
Darstellung männlicher Schwäche darin zu investieren, Feiglinge<br />
und Perverse zu verkörpern. Ansonsten konnte man aber wenig mit<br />
ihm anfangen (Sal Mineo ging es kurze Zeit später ähnlich). Er ging<br />
zurück zum Broadway, später zum Fernsehen, behielt seine Würde<br />
und veröffentlichte schließlich, gemeinsam mit seinem langjährigen<br />
Partner Robert Calhoun, seine vielbeachteten Memoiren („Include<br />
Me Out“).<br />
Was aber an Potential in diesem Schauspieler, diesem Körper<br />
und diesem Gesicht steckte, wurde ganz am Anfang seiner Karriere<br />
deutlich. In They Live By Night war er zwar auch der Junge mit<br />
Problemen – er durfte aber auch schön sein in seiner Schwäche und<br />
gefühlvoll in seiner Schönheit. Er ist Bowie, mit sechzehn des Mordes<br />
angeklagt, der mit zwei anderen sieben Jahre später aus dem<br />
Gefängnis ausbricht und Banken ausraubt. Bowie, der Junge, der nie<br />
gelernt hat, mit Frauen zu sprechen, trifft Keechie, ein Mädchen, das<br />
in ihrer kriminellen Sippe noch keinen gefühlvollen Jungen kennengelernt<br />
hat. Keechie wurde <strong>auf</strong> Grangers ausdrücklichen Wunsch von<br />
Cathy O’Donnell gespielt, einer weiteren hoffnungslosen Samuel-<br />
Goldwyn-Verpflichtung, die in kein Darstellerprofil passte. Nicholas<br />
Ray inszeniert dieses Paar <strong>auf</strong> seiner kurzen Flucht, in seinem kurzen<br />
Glück, mit einem völlig verliebten Blick. Sie fast ungeschminkt,<br />
im Trenchcoat, mit emanzipierter Zurückhaltung, eine Frau, die sich<br />
nichts aus Geld macht – er ein scheues Reh, verletzt, verletzlich, oft<br />
nur halb bekleidet, voller Angst. Beide haben keine Übung im Küssen<br />
und im Tanzen, sie schenken sich Uhren und eine kurze gute Zeit,<br />
heiraten für 20 Dollar und haben überhaupt keine Chance. „Ich bin<br />
ein schwarzes Schaf“, sagt Bowie. „Das einzige, was an dir schwarz<br />
ist, sind deine Wimpern“, antwortet Keechie.<br />
Dass Nicholas Ray ein Regisseur war, der die Schwäche seiner<br />
Figuren liebte und ernst nahm, muss man heute niemandem mehr<br />
erzählen, der weiß, dass er wenig später mit James Dean und Sal Mineo<br />
in Rebel Without A Cause ein neues Männerbild popularisiert hat. Zu<br />
dieser Zeit erfror Farley Granger gerade unter dem Schwulen-Selbsthass-Blick<br />
von Visconti. Method Acting kam Granger unprofessionell<br />
vor. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort schwach geworden.<br />
s<br />
Der Fremde im Zug<br />
von Alfred Hitchcock<br />
US 1951, 93 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Warner Home<br />
Video, www.warnerbros.de<br />
Im Schatten der Nacht<br />
von Nicholas Ray<br />
US 1949, 92 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />
www.arthaus.de<br />
Cocktail für eine Leiche<br />
von Alfred Hitchcock<br />
US 1948, 80 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Universal,<br />
www.uphe.de<br />
Include Me Out<br />
von Farley Granger und Robert Calhoun<br />
Autobiografie, 288 Seiten (TB), Griffin.<br />
Als Import.<br />
nachruf<br />
Sehnsucht<br />
von Luchino Viscont<br />
IT 1954, 117 Min, DF/OmU<br />
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />
www.arthaus.de<br />
37
film-flirt<br />
der moment<br />
SchriftSteller Sehen filme: Simon froehling<br />
Sein romandebüt „Lange nächte Tag“ war 2010 eine kleine<br />
Sensation <strong>auf</strong> dem Buchmarkt. Vorher war der australischschweizerische<br />
Doppelstaatsbürger und Wahl-züricher Simon<br />
Froehling schon als Autor preisgekrönter Theaterstücke bekannt<br />
geworden. Für die SISSY und für André Téchinés Film „Wilde<br />
Herzen“ hat er für einen Moment seine Angst, über Filme zu<br />
schreiben, besiegt.<br />
s Ich schreibe nicht gerne über Filme. Es ist das Jahr 1997, und ich<br />
soll für mein Nebenfach eine Arbeit über Rainer Werner Fassbinder<br />
verfassen. 15.000 Wörter. Ich studiere an der University of Queensland<br />
in Australien, wohin ich mit achtzehn aus der mittelständischen<br />
Schweizer Enge und vor meinem Coming-Out geflüchtet war.<br />
In Brisbane behaupte ich eine studentische Bohème, die beinhaltet,<br />
in Groß-WGs unten am Fluss zu wohnen, Fächer wie Filmwissenschaften<br />
zu belegen und vehement für oder gegen etwas zu sein –<br />
sowie jeden Freitagabend ins Schonell Theatre zu gehen, damals das<br />
einzige Kino der Stadt, das europäische Autorenfilme zeigt.<br />
Als ich Wilde Herzen (Les Roseaux Sauvages) von André Téchiné<br />
zum ersten Mal sehe, im Beisein meiner Bezugsgruppe, beherrsche<br />
ich mich. Aber in der Matinee am folgenden Tag heule ich<br />
ohne Scham los. Ich weiß, dass ich mich sowohl in den Bauernsohn<br />
Serge, verkörpert vom göttlichen Stéphane Rideau, als auch<br />
in den Bücherwurm François, gespielt vom engelhaften Gaël Morel,<br />
verliebt habe, will aber mit jeder Faser meines Seins der Ideologin<br />
Maïté verfallen sein – den Brüsten, den Lippen, der hohen Stirn von<br />
Elodie Bouchez.<br />
Schnitt ins Jahr 2011. Wochenlang klicke ich mich <strong>auf</strong> meinem Laptop<br />
durch die Nachrichten zu den Aufständen in Nordafrika und dem<br />
Nahen Osten: Tunesien, Ägypten, wo ich nach meiner Australienzeit<br />
eine Weile lang lebte, Algerien … Gerade als die Protestwelle Syrien<br />
erreicht, verbringen mein Freund und ich ein verlängertes Wochenende<br />
im malerischen Appenzellerland. Les Roseaux Sauvages sei der<br />
erste schwule Film, den ich je sah, sage ich, als ich die DVD spätabends<br />
ins L<strong>auf</strong>werk ebendieses Laptops schiebe. Ich erschrecke<br />
noch im Sprechen ob der Behauptung, ein einziger Film hätte meine<br />
persönliche sexuelle Revolution ausgelöst. Meine Liebe zum französischen<br />
Kino ja, aber –<br />
SCrEEnSHoT<br />
Was in meiner Erinnerung hängen geblieben war: Serge und François<br />
beim gemeinsamen Masturbieren; Serge und François beim Herumtollen<br />
<strong>auf</strong> den Ufersteinen der Garonne, ihre nassen weißen Unterhosen<br />
an ihren Lenden klebend; François, wie er sich während einer<br />
Motorradfahrt an Serges Rücken schmiegt; das erotische Knistern,<br />
das auch von Maïté ausgeht; der Wunsch, die beiden Jungs mögen<br />
sich finden; das Schmutzgefühl darüber, dem Mädchen ihr eigenes<br />
Glück – sprich ihre Liebe zu François – nicht gönnen zu wollen.<br />
Schnitt in den Sommer des Jahres 1962. Der von Frankreich <strong>auf</strong><br />
äußerst grausame Weise geführte Unabhängigkeitskrieg Algeriens<br />
geht seinem Ende zu. François, Serge und Maïté bereiten sich <strong>auf</strong>s<br />
Abitur vor und ringen mit ihren sexuellen und schulischen Problemen<br />
sowie der komplexen politischen Situation. In der Anlage also<br />
ein klassischer Coming-of-Age-Film. Auftritt Henri, ein <strong>auf</strong>sässiger<br />
Algerienfranzose, dessen Vater im Gefecht gestorben ist, und der<br />
alle angelegten Konflikte zwischen den Figuren zu verschärfen weiß<br />
– und den ich komplett ausgeblendet hatte. Wie auch die Kriegsgeschichte.<br />
Also doch eine politische Allegorie? Eine Charakterstudie von<br />
vier Individuen, gefangen in einem Liebesviereck? Eine Ode an die<br />
Freundschaft?<br />
André Téchiné drehte die ursprüngliche, einstündige Version<br />
für eine „Arte“-Reihe, nachdem der Sender verschiedene Regisseure<br />
gebeten hatte, Filme über die Zeit ihrer Jugend einzureichen.<br />
Die Zeitschrift „Film-Dienst“ feierte die Kinoversion von 1993, die<br />
mit einer Vielzahl der französischen Filmpreise César ausgezeichnet<br />
wurde, als ein „autobiografisch-authentisches Zeit-, Milieu- und<br />
Generationenporträt, das sich jeder Sentimentalität enthält“.<br />
Mich selber hatte Les Roseaux Sauvages bei der ersten Sichtung<br />
überfordert, bei der zweiten erschüttert und beim dritten Mal<br />
verstand ich ihn unter anderem als eindrückliche Hintergrundgeschichte<br />
für die gegenwärtigen arabischen Aufstände – Nachwehen<br />
der europäischen Kolonialgeschichte.<br />
Vielleicht sträube ich mich dagegen, diesen eindringlichen, intensiven<br />
und vielschichtigen (sowie gleichzeitig erfolgreichsten) Film<br />
von Téchiné zu sezieren und in Schubladen zu pressen, weil die herausragenden<br />
Kunstwerke jene sind, in denen man ein Leben lang<br />
immer wieder etwas <strong>Neu</strong>es sehen kann.<br />
Weshalb ich die Arbeit zu Fassbinder damals nicht gepackt habe,<br />
kann ich mir bis heute nicht wirklich erklären. Mein Nebenfach<br />
schloss ich in jenem Semester <strong>auf</strong> jeden Fall nicht ab. Aber meine<br />
Angst, über Filme zu schreiben, soll mit diesem Text als überwunden<br />
gelten. Danke SISSY. s<br />
Les Roseaux Sauvages<br />
von André Téchiné<br />
FR 1994, 110 Min, OF<br />
Auf DVD als Import<br />
Lange Nächte Tag<br />
von Simon Froehling<br />
Roman, 196 Seiten, Bilgerverlag 2010,<br />
www.bilgerverlag.ch<br />
<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> <strong>dvd</strong><br />
von paul SchulZ (paSch), maike SchultZ (mS), manuel Schubert (Schub), chriStoph meyrinG (cm) und Jan künemund (Jk)<br />
BEAUTIFUL THING<br />
UK 1996, regie: Hettie MacDonald, Edition Salzgeber<br />
Jamie und Ste, zwei Nachbarjungs<br />
aus einer englischen<br />
Hochhaussiedlung,<br />
verlieben sich und werden<br />
zu den Hauptfiguren<br />
eines der schönsten Coming-Out-Filme<br />
aller<br />
Zeiten. „Zuvor aber noch<br />
dieses unvergessliche<br />
Schlussbild, mit dem sich Beautiful Thing in<br />
die Filmgeschichte einschreibt. ‚Komm, tanz<br />
mit mir‘, sagt Jamie nach all dem durchlittenen<br />
Kummer mit der Selbstannahme, und als<br />
sein Liebster im Hof vor aller Augen der Aufforderung<br />
folgt, betreten wir das Reich Utopia,<br />
ohne das niemand wirklich menschenwürdig<br />
leben kann. Dieses Schlussbild ist ein<br />
großes Gleichnis. Wer davon nicht berührt<br />
wird, dem hat sein Leben noch keinen Mut abverlangt,<br />
zum Beispiel den Mut, draußen die<br />
Hand des anderen nicht loszulassen, oder den<br />
Mut, sich zu küssen, <strong>auf</strong> einer belebten Straße<br />
und bitte nicht bloß zu Karneval. Selbst wer<br />
die Verfolgung des Andersartigen in der Ära<br />
Westerwelle & Wowereit für überwunden erklärt,<br />
weil ihm das Opfer-Gebarme unsexy<br />
scheint, wird still für sich einsehen, wie zielsicher<br />
diese einfache Szene der beiden eng umarmt<br />
tanzenden Jungs in das Herz unserer<br />
gemeinsamen Erfahrung vordringt. Denn die<br />
Kinder sind, noch immer, in Gefahr.“ (Michael<br />
Sollorz in SISSY 4/10)<br />
ICH KANN NICHT SCHLAFEN<br />
Fr 1993, regie: Claire Denis, Edition Salzgeber<br />
„Hauptfigur ist ein schwuler<br />
Serienkiller, das war<br />
Mitte der 90er, als man<br />
die positiven, identitätsstiftenden<br />
Szenebilder<br />
satt hatte, durchaus nicht<br />
selten. Doch wie diese Figur<br />
eingewebt ist in eine<br />
Stadt und wie sie darin<br />
zum Tanzen gebracht wird, ist nach wie vor<br />
ziemlich einzigartig. Erotisch sind die Filme<br />
von Claire Denis immer, weil sie an den Körpern<br />
hängen und sich mitbewegen. Zum einzigen<br />
Mal bislang zeigt sie hier dezidiert schwule<br />
Erotik – obwohl sie auch einen der schönsten<br />
Filme über einen pubertierenden Jungen (Nénette<br />
et Bonie) und den vielleicht schärfsten<br />
Film über eine Männergruppe (Beau Travail)<br />
gedreht hat. Das Schwulsein in Ich kann nicht<br />
schlafen hat eine metaphorische Ebene (es passt<br />
zur urbanen Fremdheit, zur Außenseiterstudie,<br />
zum Thema der ‚gelösten Verbindungen‘ zu<br />
Heimat, Kultur, Familie) – aber auch eine konkrete,<br />
körperliche. Es erzählt den ausgestellten<br />
männlichen Körper, schutzlos und gewalttätig<br />
zugleich, objekthaft und narzisstisch mit sich<br />
selbst beschäftigt, begehrt und fremd.“ (Jan<br />
Künemund in SISSY 1/11)<br />
THE KIdS ArE ALL rIGHT<br />
US 2010, regie: Lisa Cholodenko, Universal<br />
Jede lesbische Frau, die<br />
einmal Mutter werden<br />
will, muss sich irgendwann<br />
die Frage aller Fragen<br />
stellen: Woher nur<br />
nehme ich die Spermien?<br />
Und später dann: Was sage<br />
ich meinem Kind? Wie<br />
stark die <strong>Neu</strong>gier <strong>auf</strong> den<br />
Vater werden kann, bekommen auch Nic (Annette<br />
Bening) und Jules (Julianne Moore) zu<br />
spüren, als ihre Sprösslinge Joni und Laser eines<br />
Tages beschließen, ihren Erzeuger kennen<br />
lernen zu wollen. Kurzerhand rufen sie bei der<br />
Samenbank an und plötzlich gibt es da IHN:<br />
Paul (Mark Ruffalo), Motorradfahrer, alternativer<br />
Restaurantbetreiber und notorischer Frauenheld.<br />
Die Ergebnisse seiner Samenspende<br />
schließt er sofort ins Herz. Und als wäre der<br />
plötzliche Familienzuwachs nicht kompliziert<br />
genug, sucht Paul auch noch einen Designer für<br />
seinen Garten – ein Job, der für die frisch gebackene<br />
Landschaftsarchitektin Jules wie gerufen<br />
kommt. Ja, auch sein Bett lernt sie im L<strong>auf</strong>e<br />
der Handlung zur Genüge kennen. Und doch ist<br />
Lisa Cholodenkos Komödie The Kids Are All<br />
Right (man beachte das schöne Wortspiel) alles<br />
andere als eine Lesbe-wird-Hete-Geschichte.<br />
Die Schöpferin des Arthouse-Klassikers High<br />
Art erzählt vielmehr herzerfrischend davon,<br />
wie das Leben nun einmal so spielt: Inklusive<br />
jener vielfältigen Spielarten von Sexualität, wie<br />
sie eine grandiose Ich-erkläre-meinen-Kindern-warum-wir-schwule-Pornos-gucken-<br />
Szene von Annette Bening <strong>auf</strong> den Punkt bringt.<br />
Ansonsten sind die Probleme, die Kontrollfreak<br />
Nic und ihre nach Selbstverwirklichung gie-<br />
rende Hausfrauengattin so haben, normaler<br />
Beziehungsalltag. So charmant normal, dass<br />
Cholodenko mit ihrer Hollywood-Komödie den<br />
Sprung in den Mainstream geschafft hat: Sogar<br />
für den Oscar war der Teddy-Preisträger The<br />
Kids Are All Right nominiert. Zu Recht. ms<br />
THE BOYS OF ST. VINCENT<br />
frisch ausgepackt<br />
CA 1992/93, regie: John n. Smith, Pro-Fun Media<br />
In St. Vincent, einem katholischen<br />
Waisenhaus<br />
für Knaben im kanadischen<br />
<strong>Neu</strong>fundland,<br />
herrscht ein noch rauheres<br />
Klima als in der umgebenden<br />
Natur. Denn jeder<br />
noch so kleine Fehltritt<br />
der Zöglinge wird von den<br />
Glaubensbrüdern mit grausamen Züchtigungen<br />
geahndet. Das ist aber nicht alles. Noch viel<br />
schlimmer nämlich als die Schläge <strong>auf</strong> die zarten<br />
Körper wirken sich die sexuellen Übergriffe<br />
der pervertierten Seelsorger <strong>auf</strong> die Seelen<br />
der Kinder aus. Darunter hat vor allem der kleine<br />
Kevin Reevey zu leiden, der häufig noch spät<br />
abends in das Büro des diabolischen Anstaltsleiters<br />
Pater Lavin gerufen wird. Von dem, was<br />
dort hinter der schweren Eichentür vor sich<br />
geht, ahnt nur der freundliche Hausmeister etwas.<br />
Die polizeilichen Ermittlungen, die <strong>auf</strong><br />
seine Veranlassung hin ein engagierter Kommissar<br />
einleitet, werden jedoch wegen des massiven<br />
Drucks der kirchlichen Obrigkeit und ihr<br />
ergebener Lokalpolitiker rasch wieder eingestellt<br />
– und Lavin wird lediglich versetzt. Erst<br />
15 Jahre später muss er sich – inzwischen aus<br />
dem Kirchendienst ausgeschieden und selbst<br />
Familienvater – für seine Untaten vor Gericht<br />
verantworten. Dabei verfolgt er – bar jeden<br />
Schuldbewusstseins – die perfide Strategie, seine<br />
ehemaligen Schutzbefohlenen im Zeugenstand<br />
einzuschüchtern und von seinem Anwalt<br />
verunglimpfen zu lassen. Als eines der Opfer<br />
sich im Zuge dessen das Leben nimmt, muss<br />
sich der im Erwachsenenalter immer noch von<br />
Albträumen geplagte Kevin überlegen, ob er<br />
seinen Entschluss, nicht im Verfahren auszusagen,<br />
wirklich verantworten kann …<br />
John N. Smiths zweiteilige kanadische TV-<br />
Produktion aus dem Jahr 1992/93, die nun als<br />
deutsche Synchronfassung in Form einer Doppel-DVD<br />
vorliegt, erlaubt sich keinen Bruch mit<br />
konventioneller Fernsehfilmästhetik und -dra-<br />
38 39
frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />
maturgie und wirkt daher zwar solide, aber<br />
auch ein wenig bieder und vorhersehbar. Das<br />
Prädikat „sehenswert“ verdient sie dennoch<br />
dank Hollywoods Dauerunsympathen Henry<br />
Czerny (Das Kartell, Mission: Impossible, Der<br />
Exorzismus von Emily Rose), dem ein ebenso<br />
vielschichtiges wie erschreckendes Psychogramm<br />
Pater Lavins gelingt. cm<br />
TO dIE LIKE A MAN<br />
PT/Fr 2009, regie: João Pedro rodrigues, Edition Salzgeber<br />
„Als glamouröse Drag<br />
Queen mit einer langen<br />
blonden Lockenperücke<br />
war Tonia über Jahre hinweg<br />
der große Star des<br />
Clubs. Nur wird sie nun<br />
langsam älter. Zudem hatten<br />
ihr immer Kraft und<br />
Mut gefehlt, ihre Verwandlung<br />
endgültig zu machen.<br />
Alles in Rodrigues’ grandiosem Melo-Drama<br />
verweist <strong>auf</strong> die Konstruktionen von Weiblichkeit,<br />
die in der Welt der Transvestiten und<br />
Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben<br />
solche erweisen. Das Weibliche ist in der patriarchalischen<br />
Gesellschaft immer etwas Gemachtes,<br />
etwas durch Abgrenzung Erschaffenes,<br />
entweder erzwungen durch männliche<br />
Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren.<br />
Tonias tragisches Scheitern und ihr später,<br />
dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind<br />
der Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden<br />
Klagegesangs, der sich schlussendlich<br />
nur in eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende<br />
Utopie verwandeln kann.“ (Sascha Westphal<br />
in SISSY 4/10)<br />
rÜCKKEHr ANS MEEr<br />
Fr 2009, regie: François ozon, Indigo/Good Movies<br />
Ozons vorletzter Spielfilm<br />
erzählt von einer fragilen<br />
Freundschaft zwischen<br />
einem schwulen Mann<br />
und der schwangeren<br />
Freundin seines toten<br />
Bruders. „Ozon stellt mit<br />
Mousse und Paul ganz bewusst<br />
zwei so konträre<br />
Figuren gegenüber, denn so ist es regelrecht<br />
schön zu sehen, wie Grenzen, Neigungen und<br />
Zukunftspläne verwischen. Trotz aller Unterschiede<br />
in der Lebensweise verbindet Paul und<br />
Mousse sehr viel, deswegen ist Rückkehr ans<br />
Meer auch eine Geschichte über fehlende Liebe,<br />
schmerzlichen Verlust und nicht zuletzt<br />
über das Bewusstsein, dass wir alle in bestimmten<br />
Lebensphasen allein sind – und<br />
manchmal allein sein müssen. Und da Ozon<br />
den harten Schnitt mag, passt das – <strong>auf</strong> den<br />
flüchtigen Gedanken – doch sehr krasse Ende<br />
erst einmal sehr gut. Denn wenn man ganz ge-<br />
40<br />
nau in Mousses Gesicht schaut, wenn man Paul<br />
beobachtet, wie er das <strong>Neu</strong>geborene in seinen<br />
großen Händen hält, dann weiß man, dass es<br />
auch ein sehr erwachsener und durchaus mit<br />
Hoffnung verbundener Schluss ist.“ (Michael<br />
Eckhardt in SISSY 3/10)<br />
A MArINE STOrY<br />
US 2010, regie: ned Farr, Pro-Fun Media<br />
„Es gibt kein richtiges Leben<br />
im Falschen. Die Armee<br />
ist weder für Frauen<br />
noch für Männer ein Ort<br />
der Emanzipation, sondern<br />
ihr Gegenteil, aber sie<br />
verspricht insbesondere<br />
den Unterprivilegierten<br />
die Chance zum gesellschaftlichen<br />
Aufstieg, finanzielle Sicherheit und<br />
Teilhabe am großen Ganzen der Nation. Nach<br />
dem Motto: Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt<br />
mir eine Uniform! Alex gehört zwar nicht der<br />
Unterschicht an, sie ist auch nicht schwarz oder<br />
Chicana, sondern setzt eine Familientradition<br />
fort. Aber auch sie hat eine Schwachstelle: Sie ist<br />
Lesbe, ein vermeintliches Manko, das sie verbergen<br />
und kompensieren will. Dafür ist eine<br />
Uniform immer gut – und manche finden sie ja<br />
auch sexy.“ (Jessica Ellen in SISSY 1/11)<br />
NOwHErE<br />
USA 1997, regie: Gregg Araki, Pro-Fun Media<br />
Während Kaboom, Arakis<br />
letzter Streich, seit Mai in<br />
den Kinos läuft, hat sich<br />
endlich Pro-Fun erbarmt<br />
und Nowhere in Deutschland<br />
zum ersten Mal <strong>auf</strong><br />
DVD veröffentlicht. Es hat<br />
vierzehn Jahre gedauert,<br />
aber Arakis Fans sind da<br />
nicht kleinlich. Schließlich ist Nowhere, der Abschlusstusch<br />
zu seiner L.A.-Trilogie, der Arakischste<br />
aller Araki-Filme: <strong>auf</strong> hysterische<br />
Weise schwermütig, grundlegend zynisch, voller<br />
Sex und Gewalt, aber nie hoffnungslos und<br />
immer sehr unterhaltsam. Hauptfigur Dark<br />
Smith, gespielt von Arakis Muse James Duval,<br />
fasst den Filmtitel erklärend zusammen: „L.A.<br />
is like nowhere … everybody who lives here is<br />
lost.“ Diese verlorene Generation bereitet sich<br />
in Gestalt eines der prominentesten Casts der<br />
jüngeren Filmgeschichte dar<strong>auf</strong> vor, die <strong>auf</strong>regendste<br />
Party des Jahres zu feiern. Aber vorher<br />
wird eine von ihnen von einem Fernsehstar<br />
vergewaltigt, einer von einer riesigen Schabe<br />
gefickt, zwei sterben, Shannen Doherty, Christina<br />
Applegate und Traci Lords lachen bis der<br />
Bus kommt, und alle haben Sex mit allen und<br />
sind ständig <strong>auf</strong> irgendwas dr<strong>auf</strong>. Klingt wie<br />
ein Meisterwerk über die postmoderne Pubertät?<br />
Ist es auch. pasch<br />
MEIN dOMINANTES LEBEN<br />
US 2010, regie: Irving Schwartz, Edition Salzgeber<br />
„Für die einen ist es das<br />
Normalste der Welt, mit<br />
30 Jahren zum zweiten<br />
Mal Mutter zu werden<br />
und ein Häuschen zu besitzen.<br />
Andere erleben das<br />
Zusammenwohnen in<br />
Kommune-ähnlichen Zuständen,<br />
als gäbe es nichts<br />
Alltäglicheres. Und Menschen wie Natalie finden<br />
es eben ganz normal, Lesbe und gleichzeitig<br />
Domina zu sein. Das Erstlingswerk Mein<br />
dominantes Leben beeindruckt mit Details aus<br />
der Masochismus-Szene, kommt wie ein kleines<br />
Bilder-Kunstwerk der beiden Filmemacher<br />
daher, jedoch nicht als unbedingtes Lesben-<br />
Liebhaber-Stück. Die Drehbuchschreiber und<br />
Produzenten Garzon und Sales wollten nach eigenen<br />
Angaben in dem Film ihre ‚politischen,<br />
sozialen und romantischen Lebenseinstellungen<br />
und Erfahrungen‘ verarbeiten. Eine gewaltige<br />
Anforderung, die vielleicht ein Stück zu<br />
hoch gegriffen war. Dafür aber, so erfährt man<br />
<strong>auf</strong> der Internetseite zum Film, habe das Filmteam<br />
während der Dreharbeiten einen gewaltigen,<br />
chaotischen Spaß gehabt.“ (Jana Schulze<br />
in SISSY 1/11)<br />
THE STrANGEr IN US –<br />
EIN SCHATTEN VON GLÜCK<br />
USA 2010, regie: Scott Boswell, GMfilms<br />
Anthony, ein eher unsicherer,<br />
melancholischer<br />
und stets ein wenig verloren<br />
wirkender junger<br />
Mann, stammt aus der<br />
tiefsten Provinz Virginias,<br />
wo er den erfolgreichen<br />
Innenarchitekten<br />
Stephen kennen lernt,<br />
und zieht wenig später zu ihm nach San Francisco.<br />
Das Zusammenleben mit dem neuen<br />
Lover gestaltet sich dann allerdings mehr als<br />
schwierig, denn Stephen entpuppt sich schnell<br />
als besitzergreifender, unberechenbarer und<br />
cholerischer Kontrollfreak. Anthony versucht<br />
zunächst, sich den Launen des Psychopathen<br />
anzupassen, doch nachdem Stephen ihm gegenüber<br />
mehrfach handgreiflich geworden<br />
ist, verlässt er den geschmackvoll möblierten<br />
Beziehungsknast. Anthonys schmales Budget<br />
– er träumt den naiven Traum einer freien<br />
Schriftstellerexistenz – zwingt ihn nun zu einem<br />
kärglichen Leben in einem WG-Zimmer<br />
abseits des glamourösen Castro-Viertels. Auf<br />
einem seiner planlosen Streifzüge durch die<br />
nächtliche Großstadt trifft er zufällig mit<br />
dem minderjährigen Ausreißer und Gelegenheitsstricher<br />
Gavin zusammen. Eine folgenreiche<br />
Begegnung, denn einerseits macht Ga-<br />
vin Anthony mit dessen eigenem Fremden<br />
bekannt, indem er ihn in eine dunkle Parallelwelt<br />
aus schnellem Sex, Drogen und Gewalt<br />
einführt. Andererseits aber stellt der erst<br />
17-Jährige dem orientierungslosen Ex-Provinzler<br />
auch ein Vorbild an Selbstbewusstsein<br />
und gelebter Freiheit vor Augen. Als Stephen<br />
– „Ich bin jetzt ein anderer“ – ihn erneut mit<br />
seinen giftigen Tentakeln einzufangen versucht<br />
und Gavin plötzlich spurlos verschwindet,<br />
gerät Anthony in eine Situation, in der er<br />
endlich eine klare Entscheidung treffen<br />
muss … Scott Boswells gut beobachtetes<br />
Selbstfindungsdrama, das das Geschehen in<br />
kunstvollen chronologischen Sprüngen darbietet<br />
und auch einmal die Schattenseiten des<br />
schillernden Schwulen-Mekkas San Francisco<br />
beleuchtet, besticht vor allem durch seine<br />
hervorragenden Schauspieler: Raphael Barkers<br />
Darstellung Anthonys rührt an, ohne jemals<br />
ins Kitschige abzugleiten, und Scott Cox<br />
verkörpert den übergriffigen Stephen so<br />
glaubwürdig, dass sich beim Zuschauen Beklemmungen<br />
einstellen. cm<br />
BLOOMINGTON<br />
US 2010, regie: Fernanda Cardoso, Edition Salzgeber<br />
„Eine dominante Lehrerin<br />
mit akkurat frisiertem<br />
Dutt, kurzem Rock und<br />
halb <strong>auf</strong>geknöpfter Bluse,<br />
die, an ihrem Pult sitzend,<br />
lasziv an ihrem Bleistift<br />
knabbert. Eine Vorstellung,<br />
derer sich in diesem<br />
Genre nicht wenige Male<br />
bedient wurde und von der trotzdem nach wie<br />
vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination,<br />
die durch das Recht begrenzt ist und durch den<br />
Duft des Verbotenen, hier die Anziehung zu einem<br />
Menschen in einer übergeordneten Position,<br />
begünstigt wird. Diese Fantasie, die schon<br />
Musikalisch!<br />
oft zuvor bebildert wurde, erlebt in Fernanda<br />
Cardosos Bloomington ein filmisches Revival.<br />
Den Zuschauer beschleicht aber das Gefühl,<br />
dass die Studentin in der Professorin eher nach<br />
einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten<br />
Partner sucht; Wenn Catherine, mit<br />
einem schwarzen Trenchcoat bekleidet, den<br />
ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um<br />
diese nach einem handfesten Streit aus dem<br />
Umfeld der ‚es nur gut meinenden‘, aber ignoranten<br />
Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich<br />
heute ebenfalls beim Griff in den Kleiderschrank<br />
für den schwarzen Trench entschieden<br />
hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter<br />
ihr nicht mehr öffnet.“ (Kerstin Wel zen heimer<br />
in SISSY 4/10)<br />
NO NIGHT IST TOO LONG<br />
UK/CAn 2006, regie: Tom Shankland, Pro-Fun Media<br />
No Night Is Too Long ist<br />
ein sehr guter, altmodischer,<br />
sehr spannender<br />
Thriller, in dem Homosexualität<br />
eine Quelle des<br />
Ungemachs ist. Das liegt<br />
daran, dass die Vorlage<br />
von Krimiautorin Ruth<br />
Rendell ist, einer nachgewiesenen<br />
Meisterin ihres Fachs, die aber ungefähr<br />
so sehr an das Glück schwuler Männer<br />
glaubt wie die Lesbe Patricia Highsmith.<br />
Schon die schickte ihr schwules Alter Ego<br />
Tom Ripley in vier Bänden genüsslich in die<br />
Abgründe seiner eigenen Seele. Und auch Tim,<br />
der „Held“ von No Night Is Too Long, ist ein<br />
echtes, bezauberndes Monster: schön, glatt,<br />
schnell entflammt, schnell überdrüssig und zu<br />
schnellen Lösungen bereit, wenn ihm sein<br />
Liebhaber zu sehr <strong>auf</strong> die Nerven geht. Regisseur<br />
Tom Shankland und sein fantastisches<br />
Ensemble zelebrieren ihren Marsch von Schuld<br />
nach Sühne <strong>auf</strong>s Allerfeinste und nehmen ihr<br />
Beautiful People<br />
DVD, Import<br />
Wir haben (fast) alles.<br />
Und was wir nicht am Lager haben, besorgen wir gerne. Auch aus dem Ausland.<br />
Publikum mit, ohne es bis zum Schluss wissen<br />
zu lassen, wo man sich gerade befindet. Großartig<br />
geschrieben, gespielt und gedreht, nicht<br />
kleinlich, wenn es um nackte Haut geht, plus<br />
mehrfach ausgezeichnete Filmmusik. Ganz<br />
feines Fresschen für Krimifreunde. pasch<br />
KUBA UNd dIE NACHT –<br />
ZwEI HEIMATLäNdEr<br />
D 2007, regie: Christian Liffers, Pro-Fun Media<br />
Regisseur Christian Liffers<br />
begibt sich in seinem<br />
intensiven Dokumentarfilm<br />
<strong>auf</strong> die Suche nach<br />
dem Dichter Reinaldo<br />
Arenas. Oder vielmehr<br />
dessen Geist im heutigen<br />
Kuba. Die sinnliche Aufmüpfigkeit<br />
und das Verlangen<br />
nach einem ganzen, echten Leben als<br />
schwuler Mann haben Arenas von der Insel<br />
fliehen lassen, bevor er vor 25 Jahren in den<br />
USA starb. Christian Liffers hat sich fünf<br />
schwule Männer und eine Transsexuelle im<br />
Kuba des neuen Jahrtausends gesucht, die er<br />
<strong>auf</strong> Echos von Arenas Hinterlassenschaft abhört.<br />
Und er wird <strong>auf</strong> hochpoetische Weise<br />
fündig. Jede der sechs Stories wird eingeleitet,<br />
indem der Protagonist einen Text von<br />
Arenas verliest, der zu ihm passt. (Auch der<br />
Titel des Films stammt aus einem dieser Texte.)<br />
Daran entlang erzählt Liffers die Geschichten<br />
seiner alten und jungen Protagonisten,<br />
umrahmt von einem der schönsten<br />
Filmsoundtracks der letzten Jahre. Das Ergebnis<br />
ist ein Geflecht aus Bildern, Tönen und<br />
Worten, das so dicht ist wie eins von Arenas<br />
Gedichten, dieselbe Kraft und Schönheit besitzt,<br />
mehrere Ebenen gleichzeitig bedient<br />
und den Zuschauer mit dem Gefühl eines Bildungsurlaubs,<br />
in dem man viel guten Rum getrunken<br />
hat, zurücklässt. pasch<br />
Portofrei
frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />
SEEING HEAVEN<br />
GB 2010, regie: Ian Powell, Pro-Fun Media<br />
Seeing Heaven ist das Verkopfteste,<br />
was im Moment<br />
zu haben ist. Ian Powell<br />
hat in seine Geschichte<br />
über den jungen Escort<br />
Paul so viele doppelte Böden,<br />
literarische wie filmische<br />
Referenzen und<br />
gedankliche Falltüren<br />
eingebaut, dass der Film öfter mal mit vollem<br />
Karacho durch eine durchbrettert und hart <strong>auf</strong><br />
seinem hübschen Arsch landet. Vielleicht war<br />
dem Macher die Geschichte über einen Jungen,<br />
der sich heftig und möglichst unsafe ficken lassen<br />
muss, um sich in einer halluzinierten Parallelwelt<br />
<strong>auf</strong> die Suche nach seinem Zwillingsbruder<br />
Saul zu begeben, dann doch ein bisschen<br />
peinlich. Zu Recht. Wäre sie beerdigt, Linda<br />
Lovelace würde so schnell in ihrem Grab rotieren,<br />
dass sie inzwischen zum Erdmittelpunkt<br />
vorgestoßen wäre. Und diese Vorstellung ist<br />
das einzig Amüsante an diesem Film. pasch<br />
SKIN & BONE<br />
US 1996, regie: Everett Lewis, Pro-Fun Media<br />
Der Nachspann zieht ein<br />
bitteres Resümee und teilt<br />
die Rollen <strong>auf</strong> in die Fickenden<br />
und die Gefickten.<br />
Und so richtig viele<br />
bleiben in der ersten<br />
Gruppe am Ende gar nicht<br />
übrig. Everett Lewis’<br />
fünfzehn Jahre altes Stricherdrama<br />
wirft einen kalten, hartherzigen<br />
Blick <strong>auf</strong> das Selbstverständnis hübscher<br />
Jungs, die sich beim Anschaffen einreden, dass<br />
sie Schauspieler sind und bei den Schauspielcastings<br />
nur weiterkommen, wenn sie sich ausziehen<br />
und sexuell zu Diensten sind. Fernziel:<br />
Hauptrolle in Satanische Jugend III. Lewis’<br />
Lieblingsdarsteller B.Wyatt hat es dagegen immerhin<br />
in Everett-Lewis-Filme geschafft (wie<br />
da das Casting ablief, mag man sich nicht vorstellen).<br />
Richtig spielen muss er zwar nicht,<br />
aber cool sein und Körper Zeigen ist drin. Was<br />
Lewis daraus macht, ist kein Sozialrealismus<br />
– er zerfetzt schräge Stricheranekdoten in experimentellen<br />
Schnittexzessen, verknüpft das<br />
mit einem abgründigen Verschwörungsplot<br />
um die undurchsichtige Zuhälterin des exklusiven<br />
Callboy-Rings und lässt das sonnige Los<br />
Angeles sich als fleischfressende Pflanze um<br />
die Hoffnungen und Identitätsentwürfe der<br />
hübschen jungen Männer schließen, bis sie als<br />
Gefickte aus den Fantasien ihrer Kunden verschwinden<br />
dürfen – wenn sie Glück haben. Da<br />
diese Fantasien ziemlich weit gehen, ist die<br />
FSK eingeschritten. Also: gute Erwachsenenunterhaltung.<br />
jk<br />
42<br />
CIBrâIL<br />
DE 2011, regie: Tor Iben, Edition Salzgeber<br />
Tor Iben ist in den letzten<br />
Jahren schon mit seinen<br />
Kurzfilmen Love Kills und<br />
Tourist angenehm <strong>auf</strong>gefallen.<br />
Und auch wenn er<br />
in den 70 Minuten, die<br />
man als Zuschauer mit Cibrâil<br />
verbringt, den einen<br />
oder anderen gedanklichen<br />
Haken schlägt, bleibt einem sein erster<br />
Langfilm in ebenso guter Erinnerung, weil Iben<br />
auch hier von dem erzählt, was er gut kennt:<br />
Berlin und Sehnsucht. Die Story: Streifenpolizist<br />
Cibrâil ist ein ruhiger Typ, der öfter mal<br />
lieber L<strong>auf</strong>en geht, statt mit seiner Freundin zu<br />
schlafen, und sich den Opfern homophober Gewalt<br />
im Berliner Tiergarten fast zu sehr verbunden<br />
fühlt, wenn er sie betreut. Warum, wird<br />
klar, als der Cousin seiner Freundin aus Rom<br />
das Paar besuchen kommt, denn der ist offen<br />
schwul und bringt Cibrâil <strong>auf</strong> ganz andere Gedanken,<br />
denen er über kurz oder lang wird<br />
nachgehen müssen. Am Ende sind alle das, was<br />
sie sein sollen und irgendwie glücklich. Ibens<br />
erster abendfüllender Spielfilm ist vielversprechend.<br />
Wir freuen uns schon <strong>auf</strong> Weiteres in<br />
dieser Art. pasch<br />
CITY wITHOUT BASEBALL<br />
HK 2008, regie: Lawrence Ah Mon (Scud), Pro-Fun Media<br />
Baseball gilt in der ehemaligen<br />
britischen Kronkolonie<br />
Hongkong als<br />
eine eher exotische<br />
Sportart und wird dort<br />
dementsprechend auch<br />
nur von wenigen begeisterten<br />
Individualisten<br />
betrieben. Zum Beispiel<br />
von Chung, Ron und Jason, die sich unter der<br />
Leitung ihres taiwanesischen Trainers Mr.<br />
Tai gemeinsam mit ihrer Mannschaft verbissen<br />
<strong>auf</strong> ihr großes Ziel, den Gewinn der Asienmeisterschaft,<br />
vorbereiten. Abseits des<br />
Spielfeldes erleben die Sportsfreunde allerlei<br />
Geschichten amouröser Natur, wobei sich sogar<br />
zwischen zwei von ihnen Ballspiele intimerer<br />
Art anzubahnen scheinen. Ähnlich ungeordnet<br />
und chaotisch wie das sportliche<br />
Treiben <strong>auf</strong> dem Rasen dem regelunkundigen<br />
Beobachter vorkommt, so mutet allerdings<br />
auch die Art und Weise an, wie diese Geschichten<br />
nebeneinander herl<strong>auf</strong>en, sich hin<br />
und wieder überkreuzen, um dann schließlich<br />
leider ins Leere zu münden. Abgesehen<br />
von diesem Verpassen eines dramaturgischen<br />
Home Runs erweckt seine bisweilen bizarre<br />
Genremixtur aus Sportlerdrama, Teenagerkomödie,<br />
Coming-Out-Story und Soft-Erotik-<br />
Streifen zudem fast den Endruck, als wolle<br />
der Film bei jeder erdenklichen Zuschauerzielgruppe<br />
Punkte einsammeln. Erstaunlich<br />
ist aber die Tatsache, dass es sich bei den Darstellern<br />
um Spieler aus Hongkongs wirklicher<br />
Baseballmannschaft handelt, die sich in diesem<br />
Streifen darstellerisch überraschend<br />
professionell und unter der Mannschaftsdusche<br />
überraschend offenherzig in Szene setzen.<br />
Bei dieser Gelegenheit erörtern sie sogar,<br />
ob sie dank ihrer naturgegebenen Talente<br />
nicht auch mal einen Pornofilm drehen sollten.<br />
Da ihnen der Titel des Asienmeisters leider<br />
verwehrt bleibt, sollte man ihnen deshalb<br />
als Trostpreis den nächsten Bambi für Courage<br />
verleihen. cm<br />
L-SHOrTS dIE drITTE<br />
DE, no, CA, USA 2005–2010, Edition Salzgeber<br />
Na wenn das nicht wirklich<br />
Lust <strong>auf</strong> mehr macht:<br />
Im Trailer zur dritten<br />
Auflage der L-Shorts ziehen<br />
sich wunderhübsche<br />
Damen aus, wälzen sich<br />
im Gras oder <strong>auf</strong> dem Bett,<br />
eine amerikanische Butch<br />
verpasst einem Truck-<br />
Fahrer den Sticker-Slogan „A Dyke was here“<br />
und eine freche Göre verkündet: „Wenn ich<br />
mal groß bin, will ich eine Lesbe werden!“ Man<br />
möchte sie sofort sehen, die Kurzfilme zu diesen<br />
Szenen, und bei den meisten der sieben<br />
Werke lohnt es sich auch. Trotzdem bleibt nach<br />
über hundert Minuten Gefühlsachterbahn<br />
zwischen Beziehungsdramen und Comedy leider<br />
auch die Erkenntnis: Die besten Szenen<br />
wurden bereits im Trailer verbraten. Zumindest,<br />
was die Erotik betrifft. Diskret blendet<br />
die Kamera ab, wenn es zur Sache geht; und<br />
was an Handlung übrig bleibt, hält oft nicht<br />
ein, was die wunderschönen Bilder versprochen<br />
hatten. So ganz glaubwürdig ist es jedenfalls<br />
nicht, dass die Tochter ihrem eigenen Vater<br />
in Die Trophäe die Freundin ausspannt,<br />
ohne auch nur das Geringste dafür zu tun. Oder<br />
dass die eben noch völlig verunsicherte, in ihrer<br />
vermeintlichen Heterosexualität erschütterte<br />
Louise nach nur einer Nacht mit einer<br />
Frau gleich klammert, dass es weh tut. Viel<br />
mehr Tiefgang hat dagegen der körperliche<br />
Schmerz in Dani & Alice: Die Regisseurin Roberta<br />
Marie Monroe widmet sich dem Tabuthema<br />
häuslicher Gewalt. Aus Eifersucht geschlagen<br />
zu werden und trotzdem kaum<br />
voneinander loszukommen, entspricht schon<br />
eher der Welt, wie sie wirklich ist. L-Shorts –<br />
Die Dritte ist und bleibt der perfekte Stoff für<br />
Träumerinnen: Niemals würden wir doch einfach<br />
so zu unserer neuen Nachbarin rübergehen<br />
und sie um einen Kuss bitten, wie es die<br />
Lofoten-Bewohnerin in Kurzatmig mit der attraktiven<br />
Fremden macht. Aber wir wären gerne<br />
so mutig. ms<br />
MISCELLANEA I–VII<br />
D 1986–2010, regie: Heinz Emigholz, Filmgalerie 451<br />
„Es gibt ja Leute, die behaupten,<br />
die Geschichte<br />
des Kinos ist länger als die<br />
Geschichte der Menschen.“<br />
– So formuliert<br />
der Journalist Stefan Grisseman<br />
in einem Interview<br />
mit dem Filmemacher<br />
Heinz Emigholz. Dieses<br />
Interview hat mit der DVD Miscellanea I–VII<br />
erst mal nichts zu tun. Aber das Interview findet<br />
sich <strong>auf</strong> der Homepage von Heinz Emigholz’<br />
Produktionsfirma „PYM“. Emigholz produziert<br />
seine Filme stets selbst, die „PYM“ ist so über<br />
die Jahrzehnte (Emigholz’ Filmografie reicht<br />
bis ins Jahr 1972) zu einem Logo geworden für<br />
etwas, das im heutigen Kino einzigartig zu sein<br />
scheint: die Wahrnehmung von Orten, Räumen<br />
und Objekten, sowie ihrer Umgebung und ihrer<br />
Details als Kern filmischen Erzählens. Die Arbeitsweise<br />
von Emigholz lässt sich anhand der<br />
<strong>auf</strong> der DVD versammelten sieben mittellangen<br />
Filme gut erkunden: Simpel formuliert stellt er<br />
seine Kamera vor ein Objekt oder in einen Raum<br />
und nimmt einfach <strong>auf</strong>; fotografisches Betrachten<br />
mithilfe des Bewegtbildes. Emigholz’ Blickwinkel<br />
wirkt dabei stets etwas entrückt und<br />
wortwörtlich schief. In seinen vielfältigen Architekturstudien,<br />
von denen sich <strong>auf</strong> dieser<br />
DVD unzählige finden, führt er so den Blick des<br />
Zuschauers <strong>auf</strong> Wesentliches, was mitunter einen<br />
immensen Sog erzeugt. Miscellanea I–VII<br />
ist eine 152-minütige Schule der optischen<br />
Wahrnehmung – im besten Sinne. Gleichzeitig<br />
wird auch eine Entwicklung im Schaffen von<br />
Emigholz erkennbar, handelt es sich bei dieser<br />
Sammlung doch auch um Material, das während<br />
der Dreharbeiten zu anderen Projekten<br />
entstand, wie das kleine Begleitheft informiert.<br />
Es finden sich in dieser Film-Sammlung allerdings<br />
auch Film-Text-Montagen, deren intellektuelle<br />
Verkopftheit gleichermaßen abstößt<br />
und, in ihrer latent schwulen Grundierung,<br />
auch wieder fasziniert. Die unausgesprochene<br />
Faszination für das Männliche schreit einen in<br />
diesen sieben Filmen aus 22 Jahren förmlich<br />
an: Miscellanea I–VII – Bewegtbild als schwuler<br />
Mindfuck. schub<br />
43<br />
Das Team der L-Filmnacht und<br />
der Gay-Filmnacht wünscht Euch<br />
einen schönen Sommer!<br />
Wir machen Pause.*<br />
Ab September geht es weiter!<br />
*Achtet aber <strong>auf</strong> die CSD-Special-Screenings in ausgewählten Städten.<br />
Wir bedanken uns bei unseren Partnern für die gute Zusammenarbeit:<br />
BAREFOOT WINE & BUBBLY, dbna, gab, gayPARSHIP.de,<br />
GAYPEOPLE.de, hinnerk, LEO, lesbisch schwule fi lmtage hamburg,<br />
manCheck, QUEER AGENT, Rainbowguide, SCHWULST, weird<br />
www.Gay-Filmnacht.de<br />
www.L-Filmnacht.de<br />
Eine Veranstaltung von CinemaxX, L-MAG und der Edition Salzgeber.
profil<br />
halleluja, die gibt’s noch!<br />
von chriStine Wunnicke<br />
Literatur, DVDs und schwullesbischen Schnickschnack kann man ja überall bestellen, auch von zu Hause aus. Aber wer sich als<br />
MünchenerIn oder München-TouristIn die Gelegenheit entgehen lässt, in den schätzungeweise 27 Ecken des Buchladens „Max<br />
& Milian“ <strong>auf</strong> Entdeckungsreise zu gehen, hat wirklich etwas verpasst. natürlich stößt man dort auch <strong>auf</strong> die so ganz eigenen<br />
romane von Christine Wunnicke, die ihrem Lieblingsladen in der SISSY ein ganz wunderbares Porträt widmet; einer – wenn auch<br />
in zeiten der Amazonen gefährdeten – Münchner Institution.<br />
Miriam Leitner und Jan Kowalczyk in einer von siebenundzwanzig Ecken ihres Buchladens.<br />
PrIVAT<br />
s Ich wohne seit siebzehn Jahren siebzig<br />
Schritte vom Buchladen entfernt. (Für mich<br />
ist er schlicht „der Buchladen“, weil er in<br />
meinem Leben die absolute Buchladenshoheit<br />
hat; außerdem habe ich damals, als ich<br />
neu war, natürlich die Standardfrage gestellt,<br />
welcher von den beiden Herren denn nun der<br />
Max sei und welcher der Milian, und dieser<br />
Mangel an Abstraktionsfähigkeit ist mir<br />
noch heute peinlich.)<br />
Der Laden ist 1989 von Jan Kowalczyk<br />
und Rolf Klaiber gegründet worden, zweimal<br />
umgezogen (die erste Vermieterin in Schwabing<br />
kündigte nach einem Aha-Erlebnis dem<br />
„Schweineladen“ schon am Tag der Eröffnung)<br />
und seit 1994 in der Ickstattstraße. Er<br />
ist Herz und Nabel des Viertels und die linke<br />
Gehirnhälfte der Szene. Er ist kompakt und<br />
stabil. Er überlebt Amazon, er überlebt den<br />
ameisenartigen Zuzug gebärfreudiger junger<br />
Familien ins Glockenbachviertel, er überlebt<br />
auch den für mich noch immer unentschuldbaren<br />
Abmarsch des Gründungsvaters<br />
Klaiber in den Schwarzwald, und wenn die<br />
Welt verpufft, wird man gelassen aus der Tür<br />
schauen und das Verpuffte mit Regenbogengirlanden<br />
verzieren, wie man es sonst mit<br />
Baugerüsten tut. (Apropos Weltuntergang:<br />
Ich werde nie vergessen, wie im August 1999<br />
kurz nach der totalen Sonnenfinsternis ein<br />
schwerer Bayer in Tracht aus dem Laden<br />
kam und voller Erleichterung hervorstieß:<br />
Christine Wunnicke ist Autorin und Übersetzerin. Ihr Romandebüt<br />
war „Fortescues Fabrik“ (München 1998). Zuletzt erschienen „Serenity“<br />
(Berlin 2008, Tukan-Preis) und die Novelle „Nagasaki, ca. 1642“<br />
(Zürich 2010). Sie lebt und arbeitet in München.<br />
„Halleluja, die gibt’s noch!“, bevor er seine<br />
Pappsonnenbrille zerknautschte. Das ist bis<br />
heute mein liebster Max-und-Milian-Satz<br />
geblieben.)<br />
Der Buchladen ist wie die Tasche von<br />
Mary Poppins, außen klein, innen bodenlos.<br />
Ich weiß nicht, wie viele Ecken er hat,<br />
mindestens siebenundzwanzig. In fast allen<br />
kann man sitzen und bleiben. Es gibt Bücher,<br />
Filme, Musik, schwul, lesbisch, queer, quer<br />
und anders. Es gibt die wunderlichsten Postkarten<br />
der Republik, liebevoll handverlesen,<br />
und zwar ungefähr eine halbe Million.<br />
Es gibt alle drei Nummern der englischen<br />
Zeitschrift „Meat“, Auflage 100, signiert,<br />
mit beigelegtem Gimmick, und die Ausgabe<br />
des Briefwechsels von Donald Windham<br />
und Tennessee Williams von 1976, weil es ja<br />
schließlich viel zu einfach wäre, nur Windhams<br />
deutsche <strong>Neu</strong>erscheinungen zu verk<strong>auf</strong>en.<br />
Lange gab es eine wandernde Riesenschneekugel<br />
mit Kaiserin Sissi darin, die<br />
dann abwanderte, wie auch die weihnachtlichen<br />
Keks-Attrappen mit Ejakulatdekor, die<br />
ich echt nicht vermisse. In einer der vielen<br />
Ecken liegt ein goldenes Prinzessinnen-<br />
Krönchen. „Erstaunlich viele Kunden setzen<br />
das <strong>auf</strong>“, sagt Jan, „das scheint ein Bedürfnis<br />
zu sein.“<br />
Bedürfnisse sind hier wichtig. Oft entdeckt<br />
man welche, die man vorher nie ahnte,<br />
findet ein Buch, das das Leben verändert,<br />
Fortescues Fabrik<br />
Roman, 444 Seiten, Knaus<br />
1998/btb 2000,<br />
www.randomhouse.de/btb<br />
oder Sextipps von Edith Schröder aus <strong>Neu</strong>kölln.<br />
Sie werden staunen, womit Sie den<br />
Laden verlassen, wenn Sie nur schnell „Tipping<br />
the Velvet“ k<strong>auf</strong>en wollten oder Alain<br />
Claude Sulzer. Und man betütelt keinen<br />
(außer vielleicht mit altrosa Eink<strong>auf</strong>snetzen,<br />
die von irgendetwas der Restbestand<br />
sind). Und man verbreitet nicht dauernd<br />
gute Laune. Dafür liebe ich den Laden wahrscheinlich<br />
am meisten. Empfiehlt Miriam<br />
Leitner einen Roman, in dem ein deprimierender<br />
Loser sein Leben in Selbstmordphantasien<br />
verdämmert, wird sie die Tatsachen<br />
gewiss nicht marketingstrategisch umhäkeln.<br />
Ich wünschte, Miriam gäbe Seminare<br />
zum Thema Klappentext. Sie ist erst seit drei<br />
Jahren hier und bringt frischen Wind in die<br />
Firma – weiblich, post-gay, jung.<br />
Meine Manieren im Umgang mit dem<br />
Buchladen haben über die Jahre ein wenig<br />
die Fasson verloren. Wären nicht diese siebzig<br />
Schritte im Freien, ich käme längst im<br />
Nachthemd. Ich stürze dort hinein mit meinen<br />
großen und kleinen Lebensfragen, als<br />
gäbe es keine Kundschaft, die verborgen in<br />
den siebenundzwanzig Ecken nistet, und<br />
mache mich zum Affen, oder zur Marketingstrategie.<br />
Wenn jemand fragt „Wer war<br />
denn das?“, sagt Jan „Das war die Christine<br />
Wunnicke“, und verk<strong>auf</strong>t ihm schnell ein<br />
Buch von mir, solange er noch am Wundern<br />
ist. Halleluja! s<br />
Serenity<br />
Roman, 240 Seiten, Osburg<br />
Verlag 2000,<br />
www.osburg-verlag.de<br />
Nagasaki, ca. 1642<br />
Novelle, 112 Seiten, Edition<br />
Epoca 2010, www.epoca.ch<br />
44 45<br />
profil
abspann<br />
bezugSquelleN<br />
Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />
wird l<strong>auf</strong>end ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />
BERLIN B_BOOKS Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · BRuNO’S Bülowstraße<br />
106, 030/61500385 · BRuNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387<br />
· DuSSMANN Friedrichstraße 90 · GALERIE JANSSEN Pariser Straße 45,<br />
030/8811590 · KADEWE Tauentzienstraße 21–24 · MEDIA MARKT ALExA Grunerstraße<br />
20 · MEDIA MARKT NEuKöLLN Karl-Marx-Straße 66 · NEGATIVE-<br />
LAND Dunckerstraße 9 · PRINZ EISENHERZ BuCHLADEN Lietzenburger Straße<br />
9a, 030/3139936 · SATuRN ALExANDERPLATZ Alexanderplatz 7 · SATuRN<br />
EuROPACENTER Tauentzienstraße 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73<br />
· VIDEODROM Fürbringer Straße 17 BOCHuM SATuRN Kortumstraße<br />
72 DARMSTADT SATuRN Ludwigplatz 6 DORTMuND LITFASS DER<br />
BuCHLADEN Münsterstraße 107, 0231/834724 DüSSELDORF BOOKxxx<br />
Bismarckstraße 86, 0211/356750 · SATuRN Königsallee 56 · SATuRN<br />
Am Wehrhahn 1 ESSEN MüLLER Limbecker Straße 59–65 FRANKFuRT/<br />
MAIN OSCAR WILDE BuCHHANDLuNG Alte Gasse 51, 069/281260 · SATuRN<br />
Zeil 121 HAMBuRG BuCHLADEN MäNNERSCHWARM Lange Reihe 102,<br />
040/436093 · BRuNO’S Lange Reihe/Danziger Straße 70, 040/98238081 ·<br />
EMPIRE MEGASTORE Bahrenfelder Straße 242–244 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz<br />
15 KöLN BRuNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA<br />
MARKT Hohe Straße 121 · SATuRN Hansaring 97 · SATuRN Hohe Straße 41–53<br />
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1, 0621/21755 MüNCHEN BRuNO’S Thalkirchner Straße 4, 089/97603858<br />
· LILLEMOR’S FRAuENBuCHLADEN Barerstraße 70, 089/2721205 · MAx<br />
& MILIAN Ickstattstraße 2, 089/2603320 · SATuRN Schwanthalerstraße<br />
115 · SATuRN <strong>Neu</strong>hauser Straße 39 NüRNBERG MüLLER Königstraße<br />
26 STuTTGART BuCHLADEN ERLKöNIG Nesenbachstraße 52,<br />
0711/639139 TRIER MEDIA MARKT Ostallee 3–5 TüBINGEN FRAuEN-<br />
BuCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 WIEN BuCHHAND-<br />
LuNG LöWENHERZ Berggasse 8, + 43/1/13172982<br />
Dominikanerplatz 4<br />
kINoS<br />
WüRZBuRG MüLLER<br />
Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />
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AALEN KINO AM KOCHER Schleifbrückenstraße 15,<br />
07361/5559994 ASCHAFFENBuRG CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse<br />
1, 06021/4510772 AuGSBuRG CINEMAxx Willy-Brandt-<br />
Platz 2, 01805/24636299 BAD FüSSING FILMGALERIE Sonnenstraße<br />
4, 08531/980555 BAMBERG LICHTSPIEL Untere Königstraße 34,<br />
0951/26785 BERLIN ARSENAL Potsdamer Straße 2, 030/26955100<br />
· KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · xENON<br />
KINO Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · CINEMAxx POTSDAMER<br />
PLATZ Potsdamer Straße 5, 01805/24636299 · EISZEIT Zeughofstraße<br />
20, 030/6116016 · FSK AM ORANIENPLATZ Segitzdamm 2, 030/6142464 ·<br />
TILSITER LICHTSPIELE Richard-Sorge-Straße 25a, 030/4268129 BIELE-<br />
FELD CINEMAxx Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 BOCHuM END-<br />
STATION KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620<br />
BREMEN KINO 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CINEMAxx Breitenweg<br />
27, 01805/24636299 DORTMuND SCHAuBuRG Brückstraße 66,<br />
0231/9565606 · SWEETSIxTEEN Immermannstraße 29, 0231/9106623 DRES-<br />
DEN KID – KINO IM DACH Schandauer Straße 64, 0351/3107373 · CINE-<br />
MAxx Hüblerstraße 8, 01805/24636299 ESSEN CINEMAxx Berliner<br />
Platz 4–5, 01805/24636299 ESSLINGEN KOMMuNALES KINO Maille<br />
4–9, 0711/31059510 FRANKFuRT/MAIN MAL SEH’N Adlerflychtstraße 6,<br />
069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee 45, 069/70769100 FREI-<br />
BuRG KOMMuNALES KINO Urachstraße 40, 0761/709033 · CINEMAxx<br />
Bertholdstraße 50, 01805/24636299 GöTTINGEN KINO LuMIèRE<br />
Geismar Landstraße 19, 0551/484523 HAMBuRG METROPOLIS KINO<br />
Steindamm 52–54, 040/342353 · CINEMAxx WANDSBEK Quarree 8–10,<br />
01805/24636299 · B-MOVIE Brigittenstraße 5, 040/4305867 · 3001<br />
Schanzenstraße 75–77, 040/437679 HANNOVER CINEMAxx Nikolaistraße<br />
8, 01805/24636299 · KINO IM KüNSTLERHAuS Sophienstraße 2,<br />
0511/16845522 KARLSRuHE KINEMATHEK KARLSRuHE KINO IM PRINZ-<br />
MAx-PALAIS Karlstraße 10, 0721/25041 KIEL DIE PuMPE – KOMMu-<br />
NALES KINO Haßstraße 22, 0431/2007650 · CINEMAxx Kaistraße 54–56,<br />
01805/24636299 · TRAuM KINO Grasweg 48, 0431/544450 KöLN FILM-<br />
PALETTE Lübecker Straße 15, 0221/122112 · KöLNER FILMHAuS Maybachstraße<br />
111, 0221/2227100 KONSTANZ ZEBRA KINO Joseph-Belli-Weg<br />
5, 07531/60162 LEIPZIG PASSAGE KINO Hainstraße 19 a, 0341/2173865<br />
· SCHAuBüHNE LINDENFELS Karl-Heine-Straße, 0341/4846211 MAGDE-<br />
BuRG CINEMAxx Kantstraße 6, 01805/24636299 MANNHEIM CINEMA<br />
QuADRAT Collinistraße 5, 0621/1223454 MARBuRG CINEPLEx Biegenstraße<br />
1a, 06421/17300 MüNCHEN NEuES ARENA FILMTHEATER Hans-<br />
Sachs-Straße 7, 089/2603265 · CITY KINO Sonnenstraße 12, 089/591983<br />
· CINEMAxx Isartorplatz 8, 01805/24636299 MüNSTER CINEMA FILM-<br />
THEATER Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 NüRNBERG KOMM-<br />
KINO Königstraße 93, 0911/2448889 OFFENBACH CINEMAxx Berliner<br />
Straße 210, 01805/24636299 OLDENBuRG CINE K Bahnhofstraße 11,<br />
0441/2489646 · CINEMAxx Stau 79–85, 01805/24636299 POTSDAM THALIA<br />
ARTHOuSE Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 REGENSBuRG<br />
WINTERGARTEN Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CINEMAxx Friedenstraße<br />
25, 01805/24636299 SAARBRüCKEN KINO ACHTEINHALB Nauwieser<br />
Straße 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAuS Mainzer Straße 8,<br />
0681/372570 SCHWEINFuRT KuK – KINO uND KNEIPE Ignaz-Schön-Straße<br />
32, 09721/82358 STuTTGART CINEMAxx AN DER LIEDERHALLE Robert-<br />
Bosch-Platz 1, 01805/24636299 TRIER BROADWAY FILMTHEATER Paulinstraße<br />
18, 0651/96657200 WEITERSTADT KOMMuNALES KINO Carl-Ulrich-Straße<br />
9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 WuPPERTAL CINEMAxx<br />
Bundesallee 250, 01805/24636299 1181<br />
heimer Straße 5a, 01805/24636299<br />
WüRZBuRG CINEMAxx Veitshöch-<br />
46<br />
IMPRESSuM<br />
herausgeber Björn Koll<br />
verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />
Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />
Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />
Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />
art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />
autoren Michael Eckhardt, Simon Froehling, Richard Garay, Fritz Göttler,<br />
Ekkehard Knörer, Jan Künemund, Claudia Lenssen, Christoph Meyring,<br />
Werner Schroeter, Manuel Schubert, Maike Schultz, Paul Schulz, Robert<br />
Schweizer, André Wendler, Sascha Westphal, Anna Wollner, Christine<br />
Wunnicke, Jenni Zylka<br />
dank an Miriam Leitner (Buchladen Max & Milian, München), Bettina Huber<br />
(Aufbau Verlag Berlin)<br />
lektorat Robert Schweizer<br />
anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2010 (www.sissymag.de/media).<br />
SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />
Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />
Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druck<strong>auf</strong>lage).<br />
druck Möller Druck, Berlin<br />
Rechte Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />
der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />
schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />
verteilung deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-<br />
Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen,<br />
Hamburg, Hannover, Magdeburg, Mannheim, München, Oldenburg,<br />
Stuttgart, Wuppertal. ausserdem hier: Hochschule für Film und<br />
Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), BarbieBar, Deutsche Film- und<br />
Fernsehakademie (Berlin), Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café<br />
Gnosa und Café unter den Linden (Hamburg), Café ERA, Bastard Bar,<br />
Kunsthochschule für Medien (Köln). Moro, Kraftakt (München), Rubens<br />
Home (Stuttgart), Bar Central (Frankfurt/Main), Rosa Archiv, Rosa Linde<br />
e.V. (Leipzig), Café Seitensprung (Düsseldorf), Café Caldo (Hannover).<br />
Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten, freuen wir uns. Eine<br />
kurze E-Mail genügt!<br />
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auch das noch …<br />
SISSY kommt auch nach Rotenburg. (Gruß von einem Abonnenten.)<br />
ISSN 1868-4009<br />
AB 14. JULI IM KINO<br />
KAI HILLEBRAND RALPH HERFORTH<br />
MARIA SCHUSTER VASUPOL SIRIVIRIYAPOON<br />
EIN FILM VON HUGO VIEIRA DA SILVA
JEMAND WARTET AUF DICH.<br />
Es wird Zeit, dass sich die Wege kreuzen.<br />
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