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Neu auf dvd - Sissy

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Ausgabe zehn · Juni bis August 2011 · kostenlos<br />

s Narzissmus (1): Gebrochene Herzen s Schwächling (1): Anfängerfehler s Schulschwänzer: Aussparen, Lückenlassen s Urlaub (1):<br />

Gruppenreise all inclusive s Restleben: Sonden in Gropiusstadt s Bonbon-Biester: Alles dramatisch s Diva (1): Die B-Seite der Greatest Hits<br />

s Urlaub (2): Juckreiz, Fieber, Dämmerzustand s Aha-Erlebnis: Im „Schweineladen“ s Diva (2): Eis am Knie s Nachwehen: Téchiné statt<br />

Fassbinder s Narzissmus (2): Der Megalomaniac s Diva (3): Vergeblicher Liebeskampf s Schwächling (2): Bloß kein Method Acting!


Nicolette Krebitz Jella Haase<br />

ab 25. August im Kino<br />

Sarah Horváth Thomas Wodianka<br />

ein Film von Ziska Riemann<br />

<strong>Sissy</strong> zehn<br />

Narzissten und Diven sind die HeldInnen der zehnten SISSY,<br />

Schwächlinge, Biester, Unberührbare, Südstaatengewächse, Krawallschachteln<br />

und Heulsusen. Das Queerkino mag gerade nicht von<br />

Mr. & Mrs. Normal erzählen, von den Angepassten, die sich mit einem<br />

Stückchen des Gesellschaftskuchens begnügen – sondern entdeckt<br />

das Potential widerspenstiger Geschlechterrollenspieler als Herausforderung<br />

für Gesellschaften, Geschichten und filmische Formen.<br />

Obwohl die SISSY ja eigentlich keine Fernsehserien bespricht, passt<br />

in diesem Zusammenhang der Hinweis <strong>auf</strong> die erste DVD-Veröffentlichung<br />

eines Phänomens, über das gerade die audiovisuell begeisterungsfähigen<br />

Homosexuellen in Verzückung geraten wie über schon<br />

lange nichts mehr – die Rede ist von der Highschool-Serie Glee (Staffel<br />

1.1 bei Fox). Hier, in einer Welt, in der Jugendliche nur Footballer<br />

(sofern sie Jungs sind) oder Cheerleader<br />

(sofern sie Mädchen sind) werden können,<br />

schließen sich die Außenseiter dieser Ordnung<br />

(also Dicke, Schwarze, Behinderte, Asiaten,<br />

Schwarze, Schwule …) zu einem Musical-Kurs<br />

zusammen, der zwar nur mäßig erfolgreich<br />

ist, aber zumindest als Forum gegenseitiger<br />

Anerkennung funktioniert. Das Ganze ist<br />

SEHR unterhaltsam, setzt <strong>auf</strong> bösen Wort-<br />

und schnellen Bildwitz, nutzt effektiv das kollektive<br />

Gefühlsrepertoire von Popsongs und<br />

die fortschrittsgläubige Verheißung, dass aus<br />

jeder/m alles werden kann und lässt sogar darüber<br />

hinwegsehen, dass man ganze Folgen mit<br />

Lady-Gaga- und Britney-Spears-Programmen<br />

ertragen muss.<br />

Glee präsentiert aber auch die tollste <strong>Sissy</strong> der<br />

Fernsehgeschichte: Kurt Hummel, gespielt<br />

von Chris Colfer, eine Schwuchtel, wie sie der<br />

homophobste Mensch sich nicht besser aus- Chris Colfer als Kurt Hummel<br />

denken könnte: klein, dünn, reich, intrigant,<br />

ein blasierter Besserwisser mit hoher Stimme, der sich mit absoluter<br />

Selbstüberschätzung für alles zuständig erklärt, was im Entferntesten<br />

mit Fashion zu tun hat. Das Tolle ist: Kurt wächst jedem (10<br />

Millionen allein in den USA), so wie er ist, ans Herz. Er wird nicht<br />

geläutert, wird kein „richtiger Junge“, sondern bleibt einfach Kurt<br />

und wird dafür respektiert und geliebt. Wie SISSY-Autor Paul Schulz<br />

es <strong>auf</strong> den Punkt brachte: „A <strong>Sissy</strong> who wins.“ In Staffel 2 kriegt er<br />

sogar einen superheißen Freund ab – aber das ist <strong>auf</strong> dem deutschen<br />

DVD-Markt noch Zukunftsmusical.<br />

vorspann<br />

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />

3<br />

Fox


mein <strong>dvd</strong>-regal<br />

Robert Schweizer, SISSY-Praktikant<br />

4 5<br />

robert schweizer


kino<br />

NaRzISSteN<br />

uNteR SIch<br />

von SaScha WeStphal<br />

Das Wunderkind xavier Dolan präsentiert in seinem zweiten Spielfilm die Chronik einer ménage à trois in<br />

Gedanken. „Herzensbrecher“ startet am 7. Juli in den Kinos.<br />

s Es muss einfach Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick gewesen sein. Alles<br />

andere wäre auch undenkbar. Schließlich war sie mit einmal da, die<br />

Antwort <strong>auf</strong> alle seit langem schwelenden, aber immer wieder verdrängten<br />

Hoffnungen und Sehnsüchte. Jeder von ihnen wusste, dass<br />

etwas fehlte in ihrem Leben, dass da eine Leere war, die weiter und<br />

weiter wuchs und gefüllt werden wollte. Und nun stand es also vor<br />

ihnen, in greifbarer Nähe, das ideale Objekt aller Begierden: bildschön<br />

und unberechenbar, impulsiv und geheimnisvoll, ein wenig zu<br />

selbstverliebt, aber dabei irgendwie doch ganz natürlich, fast schon<br />

unschuldig. Es ist Projektionsfläche und mehr noch Spiegel. Wenn der<br />

verklärte, allein von Wunschvorstellungen und Idealen erfüllte Blick<br />

des Betrachters <strong>auf</strong> ihn fällt, dann sieht er im Anderen nichts als seine<br />

scheinbar endlich wahr gewordenen Fantasien und Träume, also letzten<br />

Endes doch nur sich selbst.<br />

So in etwa ließe sich die Grundkonstellation in Herzensbrecher,<br />

Xavier Dolans zweitem Spielfilm, beschreiben, der im Original den<br />

noch weitaus verräterischeren Titel Les amours imaginaires trägt …<br />

die eingebildete Liebe, gleich auch noch in der Mehrzahl, so, als ob es<br />

gar keine andere gäbe, und zumindest in der Welt dieses Films gibt es<br />

sie auch nicht. Jede Liebe ist reine Imagination, Wunschdenken, das<br />

umschlägt in Obsession und Stalking. Doch erst einmal soll hier von<br />

einer ganz anderen Liebe <strong>auf</strong> den ersten Blick die Rede sein.<br />

Es muss ein denkwürdiger Frühlingstag gewesen sein, dieser<br />

18. Mai 2009, an dem Xavier Dolans Regiedebüt J’ai tué ma mère<br />

KooL FILM<br />

(I Killed My Mother) seine Premiere in<br />

Cannes feierte. Die Geschichte des Films,<br />

dessen autobiographisch eingefärbtes Drehbuch<br />

Dolan mit siebzehn geschrieben und<br />

dann mit neunzehn selbst in Szene gesetzt<br />

hat, ist mittlerweile eine Legende, genauso<br />

wie der Festival<strong>auf</strong>tritt seines Regisseurs,<br />

der zugleich auch noch sein eigener Hauptdarsteller<br />

und Produzent war. Seither sind<br />

es immer wieder die gleichen Adjektive und<br />

Formulierungen, die in den Texten über ihn<br />

und seine Filme <strong>auf</strong>tauchen. Er selbst wird<br />

als jung und schön, wenn auch ein wenig<br />

selbstverliebt und eitel beschrieben. Und<br />

das sind dann auch gleich die Etiketten, mit<br />

denen J’ai tué ma mère und Les amours imaginaires,<br />

der nur ein Jahr später, wieder in<br />

Cannes, ur<strong>auf</strong>geführt wurde, immer wieder<br />

gerne versehen werden.<br />

Es geht schließlich auch alles so perfekt<br />

zusammen: Dolans Alter und der betont<br />

jugendliche Habitus seiner Filme, sein Aussehen<br />

wie sein Auftreten und die Selbstsicherheit,<br />

mit der er sich durch die Geschichte<br />

des Autorenkinos zitiert. In einer Welt, die<br />

sich nach dem noch nie Dagewesenen verzehrt,<br />

die immer <strong>auf</strong> der Suche ist nach neuen<br />

Moden, in der Jugend an sich schon etwas<br />

Kultisches hat und also verehrt wird, musste<br />

Dolan einfach zum It-Boy der Saison werden,<br />

und dass er dann auch noch derart selbstverständlich<br />

schwul ist, passte nun endlich auch<br />

einmal perfekt ins Bild.<br />

Wie schon erwähnt, es war einfach Liebe<br />

<strong>auf</strong> den ersten Blick, und wahrscheinlich<br />

hatten weder das Publikum noch die ansonsten<br />

eher etwas zurückhaltende Kritik je<br />

eine Chance. Der Zauber musste sie einfach<br />

erfassen. Schließlich glichen Filmemacher<br />

und Werk einer Antwort <strong>auf</strong> ihre Kinostoßgebete.<br />

Mit ihnen wurde wenigstens dem<br />

Anschein nach alles real, was zuvor nur als<br />

vage Sehnsucht durch Köpfe und Herzen<br />

geisterte. Eine große Liebe war geboren …<br />

und wie alle welterschütternden Leidenschaften<br />

kann auch diese – folgt man Xavier<br />

Dolan – nur eine imaginäre sein, eine einseitige<br />

Einbildung, die ihr Objekt eigentlich<br />

gar nicht berührt und es doch in Krisen und<br />

Konflikte stürzen kann.<br />

Am Anfang ist der Blick, und der fällt<br />

sogleich <strong>auf</strong> den blond gelockten Nicolas, in<br />

dessen rechtem Mundwinkel gerade eine<br />

noch nicht angezündete Zigarette äußerst<br />

lässig hängt. Er ist ohne Frage der Star dieses<br />

Abends unter Freunden. Sie sitzen zwar<br />

alle im Kreis um einen runden Esstisch, aber<br />

er, der <strong>Neu</strong>e, der gerade aus der Provinz nach<br />

Montreal gekommen ist, steht im Zentrum<br />

der Aufmerksamkeit. Die versammelte Clique<br />

von hippen twentysomethings setzt sich<br />

für ihn in Szene, und er lässt es sich mit größter<br />

Nonchalance gefallen, als wäre er sich<br />

seiner Wirkung gar nicht bewusst.<br />

Die Blicke, die ihn isolieren und die anderen<br />

um ihn herum einfach ausblenden, kommen<br />

indes aus der Küche, in der Marie und<br />

Francis, zwei gleichgesinnte Außenseiter,<br />

die glauben, über allem zu stehen, gerade<br />

den nächsten Gang zubereiten. Während sie<br />

nebeneinander an der Arbeitsplatte stehen<br />

und Gemüse schneiden, drehen sie immer<br />

wieder den Kopf zur Seite, um Nicolas zu<br />

beobachten. Dann geschieht alles in Zeitlupe.<br />

Jede seiner so selbstvergessen wirkenden<br />

Gesten hat für Marie und Francis etwas Verheißungsvolles,<br />

wird zu einem Versprechen.<br />

Selbst der Rauch seiner Zigarette steigt in<br />

magischen Formen <strong>auf</strong>. Es ist eben Liebe <strong>auf</strong><br />

den ersten Blick, auch wenn Marie ihren besten<br />

Freund voller <strong>auf</strong>gesetzter Verachtung<br />

fragt, wer denn dieser „selbstgefällige Adonis“<br />

sei. Sie muss ihre Gefühle in Schach halten<br />

und die Form wahren … für Francis, aber<br />

mehr noch für sich selbst. In Wahrheit ist es<br />

da jedoch schon längst um sie geschehen.<br />

Wir müssen uns Narcissus als glücklichen<br />

Menschen vorstellen. Diese Idee erscheint<br />

absurd, geradezu abstrus und abwegig, aber<br />

nur wenn wir Ovids Erzählung folgen und<br />

uns dessen moralische Haltung zu eigen<br />

machen. Der so überaus schöne Jüngling<br />

wird das Opfer seines „fühllosen Hochmuts“<br />

(Ovid), er muss dafür bezahlen, dass er all<br />

jene, die ihn bedrängt und verfolgt, begehrt<br />

und verehrt haben, verschmäht hat. Das<br />

mag gerecht erscheinen, ist es aber nicht:<br />

Schließlich haben sie alle nicht ihn, sondern<br />

allein seine Schönheit geliebt. Sie wollten sie<br />

besitzen, denn sie war ein Versprechen, das<br />

ihnen Antwort <strong>auf</strong> ihre Wünsche und Sehnsüchte<br />

war. Doch die Moral der Geschichte<br />

misst eben mit zweierlei Maß. Also muss er<br />

sich in sein eigenes Bild, eine Spiegelung <strong>auf</strong><br />

der Oberfläche eines Sees, verlieben. Selbst<br />

als er sein so nahes und doch unerreichbares<br />

Gegenüber erkennt, kommt er doch nicht von<br />

ihm los. Erst der Tod befreit ihn. Die Rache<br />

der Götter und der Verschmähten, die sich<br />

doch nur selbst belügen, ist wahrhaft grausam.<br />

Noch ist es natürlich viel zu früh, um<br />

von Xavier Dolans Werk als einem Projekt<br />

zu sprechen. Gerade einmal zwei Filme<br />

und einige Auftritte in den Arbeiten anderer<br />

Regisseure sind noch kein Œuvre. Doch<br />

eines zeichnet sich dennoch schon deutlich<br />

ab. Immer wieder kreist Dolans Schaffen um<br />

den Mythos von Narcissus. In Étienne Desrosiers’<br />

Kurzfilm Im Spiegel des Sommers<br />

(2006) spielt er einen modernen Narcissus,<br />

einen Jüngling von atemberaubender Schönheit,<br />

<strong>auf</strong> den sich alle Blicke richten, die des<br />

älteren schwulen Freundes der Eltern wie<br />

auch die von dessen Geliebten. Immer wieder<br />

zeigt Desrosiers diesen Julien, wie er<br />

ganz im Einklang mit sich und der Welt in<br />

einem See schwimmt. Wie einstmals James<br />

Bidgood, der mit Pink Narcissus eine ganz<br />

private Obsession in ein Meisterwerk des<br />

Camps verwandelt hat, frönt auch Desrosiers<br />

unzweifelhaft seinen Phantasien, und Xavier<br />

Dolan spielt mit. Aber auch wenn dieser doch<br />

sehr konventionelle Kurzfilm sich heillos<br />

in schon unzählige Male gesehenen Arthouse-Prätentionen<br />

verliert und sich damit<br />

jeder Vergleich mit Bidgoods Underground-<br />

Klassiker eigentlich verbietet, bleiben diese<br />

Bilder von Xavier Dolan im See: Narcissus<br />

schwimmt und entkommt seinem Schicksal:<br />

„In the waters made holy, an angel he found /<br />

With the key to the lock of his chains he was<br />

bound“ (Kris Rowley, „Narcissus“).<br />

Von allen Künsten war die siebte eigentlich<br />

immer schon die narzisstischste. Jeder<br />

Star, den sie hervorgebracht hat, hat etwas<br />

von Narcissus. Wie der Nymphensohn der<br />

griechischen Mythologie, der von Männern<br />

6 7<br />

kino<br />

KooL FILM


kino<br />

Regisseur Xavier Dolan<br />

genauso begehrt wurde wie von Frauen, zieht<br />

auch er die Blicke und Begierden aller <strong>auf</strong><br />

sich und bleibt davon ganz ungerührt. Aber<br />

auch der Betrachter unten im Kinosaal wandelt<br />

<strong>auf</strong> Narcissus’ Spuren: Die Leinwand ist<br />

sein Spiegel, <strong>auf</strong> den sich all sein Begehren<br />

richtet. Die projizierten Bilder werden von<br />

seinen eigenen Projektionen übermalt.<br />

Mit dieser Ambivalenz, diesen beiden<br />

Spielarten einer <strong>auf</strong> sich selbst gerichteten<br />

Liebe, spielt Xavier Dolan meisterhaft. Dazu<br />

gehört selbstverständlich, dass er sich selbst<br />

und sein Äußeres plakativ in Szene setzt: J’ai<br />

tué ma mère ist eben nicht nur das Dokument<br />

einer obsessiven Mutter-Sohn-Hassliebe, er<br />

ist auch ein Liebesbrief, den Dolan sich selbst<br />

geschrieben hat. Aber entscheidender ist am<br />

Ende dann doch das Spiel, das er mit dem<br />

Betrachter treibt. Mit all seinen Verweisen<br />

<strong>auf</strong> die Nouvelle Vague und Wong Kar-wai,<br />

die schon sein Debüt prägten und nun in Les<br />

amours imaginaires, dieser von Godard-Zitaten<br />

durchsetzten queeren Überschreibung<br />

von François Truffauts Jules et Jim, noch<br />

einmal einen tieferen Resonanzraum erhalten,<br />

bedient er virtuos den Cinenarzissmus<br />

des globalen Kunstkinopublikums.<br />

All die kleinen filmischen Spielereien, die<br />

extrem schnellen Zooms in den direkt in die<br />

Kamera gesprochenen, pseudo-dokumentarischen<br />

Interviewsequenzen, die monochromen<br />

Bettszenen sind dabei genauso Teil<br />

von Dolans postmodern ironischem Konzept<br />

wie all die salopp eingestreuten Kunst- und<br />

Pop-Verweise. Natürlich muss die von Monia<br />

Chokri gespielte Marie, eine 50 Jahre zu spät<br />

geborene Wiedergängerin Audrey Hepburns,<br />

in Nicolas gleich Michelangelos David sehen,<br />

während für Dolans Francis, diesen James<br />

Dean der Post-Histoire, mit ihm die Zeich-<br />

8<br />

nungen und Skizzen Jean Cocteaus Gestalt<br />

angenommen haben. Style ist alles in Dolans<br />

Welt- und Lebensentwurf wie in dem seiner<br />

beiden spiegelbildlichen Alter-Ego-Protagonisten.<br />

Die 60er Jahre werden zum Fluchtpunkt<br />

aller Sehnsüchte, die in der profanen<br />

Wirklichkeit des frühen 21. Jahrhunderts<br />

unerfüllt bleiben müssen: Dalidas italienische<br />

Version von „Bang Bang“ ist nicht nur der<br />

ideale Soundtrack eingebildeter Liebe, sie ist<br />

auch das grandiose Vintage-Leitmotiv eines<br />

Rückzugs in die Vergangenheit, in eine Zeit<br />

der überhöhten und idealisierten Gefühle.<br />

Retro ist die einzige Zukunft, die noch bleibt,<br />

zumindest für den Schwärmer Dolan und all<br />

die, die wiederum ihn umschwärmen.<br />

Wieder und wieder stehen Marie und<br />

Francis vor Spiegeln, vertieft in ihr eigenes<br />

Antlitz. Ihre Blicke in den Spiegel sind<br />

wie ihre Blicke <strong>auf</strong> Nicolas, daran lässt<br />

Xavier Dolan keinen Zweifel. Darin liegt ihr<br />

Schmerz, aber letzten Endes eben auch ihr<br />

Glück. Ein Jahr danach, ihre Kämpfe um<br />

das gemeinsame Objekt ihrer Begierde sind<br />

Vergangenheit und nur mehr Stoff für launige<br />

Anekdoten, werden sie Nicolas <strong>auf</strong> einer<br />

Party zufällig wiedertreffen. Von ihrer Leidenschaft<br />

ist nicht mehr übriggeblieben als<br />

Hohn, dem Francis dann auch in bizarren<br />

Lauten Ausdruck verleiht. Die Verschmähten<br />

verschmähen ihn, um sich wenige Momente<br />

später schon gemeinsam einem neuen Nicolas<br />

zuzuwenden. Wie sie zusammen in Zeitlupe<br />

– wie sollte es auch anders sein – <strong>auf</strong> ihn<br />

zugehen, hat etwas beinahe Raubtierhaftes.<br />

Dazu erklingt noch einmal Dalidas „Bang<br />

Bang“. Das Spiel kann von vorne beginnen.<br />

Ein riesiges Spiegelkabinett des Narzissmus,<br />

so ließe sich Les amours imaginaires<br />

wohl am besten beschreiben. Ein Entkom-<br />

KooL FILM<br />

men gibt es nicht, aber das will in Wahrheit<br />

auch gar keiner. Auf der Oberfläche hat Niels<br />

Schneider als Nicolas die Rolle des Narcissus<br />

von Xavier Dolan übernommen, der nun<br />

einen der Verschmähten spielt. Doch so einfach<br />

war es noch nie mit diesem Mythos. Der<br />

schöne Jüngling und seine zurückgewiesenen<br />

Verfolger waren letztendlich immer<br />

eins: Happiness in stalking, und jeder, vor wie<br />

hinter der Kamera, <strong>auf</strong> der Leinwand wie<br />

vor ihr, liebt seine amours imaginaires, seine<br />

Projek tionen und Wunschbilder. Das weiß<br />

Xavier Dolan, und so bietet er sich der rein<br />

narzisstischen Schaulust des Kinopublikums<br />

als Objekt wie auch als Subjekt an. Er ist<br />

Ideal und Identifikationsfigur, unerreichbar<br />

und doch eins mit seinen Bewunderern. Nun<br />

bleibt abzuwarten, wie lange Dolan ihnen,<br />

diesen Traum-Stalkern, noch einen Schritt<br />

voraus bleiben kann. Aber zumindest bis<br />

es soweit ist, müssen wir uns Narcissus als<br />

glücklichen Menschen vorstellen. s<br />

Herzensbrecher<br />

von Xavier Dolan<br />

CA 2010, 95 Min, DF/OmU<br />

Kool Film, www.koolfilm.de<br />

Im Kino ab 7. Juli 2011<br />

Pink Narcissus<br />

von James Bidgood<br />

US 1971, 71 Min, ohne Dialog<br />

Beide <strong>auf</strong> DVD bei der Edition<br />

Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

I Killed My Mother<br />

von Xavier Dolan<br />

CA 2009, 100 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Kool Film,<br />

www.koolfilm.de<br />

Im Spiegel des Sommers<br />

von Étienne Desrosiers<br />

CA 2006, 14 Min, OmU<br />

erschienen <strong>auf</strong> „Junge Helden“


kino<br />

dIe uNbeRühRbaReN<br />

von ekkehard knörer<br />

Hugo Vieira da Silva präsentierte dieses Jahr seinen zweiten Spielfilm „Swans“ <strong>auf</strong> der Berlinale und spaltete<br />

damit das Publikum. Ganz sicher passt sein Film nicht zur momentanen Forderung nach Figuren, die<br />

ihre Gefühle für jeden verständlich nach außen tragen. Aber wer sich <strong>auf</strong> die physische Bewegung der vier<br />

Hauptfiguren durch diesen Film einlässt, wird mit grandiosen Momenten und einer ganz eigenen Variation<br />

des Coming-of-Age-Films belohnt.<br />

10<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

kino<br />

s Auf ein klassisches kleinfamiliales Dreieck aus Vater, Mutter,<br />

Sohn ist Hugo Vieira da Silvas zweiter Langfilm Swans konzentriert:<br />

Aber wie ist das Dreieck hier derangiert. Vater und Sohn kommen an,<br />

Berlin Tegel, mit der präzis schräg kadrierten Einfahrt des Flugzeugs<br />

<strong>auf</strong> seinen Stellplatz beginnt von oben zwar, aber nicht himmelnah<br />

oben der Film. Dar<strong>auf</strong> die Fahrt in die Stadt mit dem Taxi. Ähnliche<br />

Fahrten werden folgen, die wiederholte Bewegung durch den Stadtkörper<br />

mit der Hochbahn, dem Auto, auch dem Skateboard. Erkundet<br />

aber und erschlossen wird der Raum der Stadt dabei nicht. Dies alles<br />

ist nicht der Beginn einer Geschichte, gewinnt keine narrative Dynamik.<br />

Es wird sich bewegt und dann nicht. Vater und Sohn bleiben<br />

so wie so Fremdkörper, sitzend, stehend, liegend; fahrend, skatend,<br />

gehend. Swans konjugiert Formen der Bewegung, die doch stets <strong>auf</strong><br />

ein unbewegliches Zentrum verweisen.<br />

Aus Portugal kommen sie, dem Land, aus dem auch der seit längerem<br />

in Berlin lebende Regisseur stammt. Der Vater, Tarso (sehr<br />

unerwartet: der sonst eher im Fernsehen und Kommerzkino anzutreffende<br />

Ralph Herforth), arbeitet im Import-Export-Gewerbe, er<br />

k<strong>auf</strong>t Autos in Deutschland, die er in Portugal mit Gewinn wieder<br />

verk<strong>auf</strong>t. Der Sohn, Manuel, ist ein Skater (gespielt vom Skater Kai<br />

Hillebrand), ein sehr virtuoser, von einem Sponsor ist die Rede, auch<br />

davon, dass es der Vater ist, der seine Miete bezahlt. Im Zentrum des<br />

Films jedoch steht die Ex-Frau des Vaters, die Mutter des Sohnes, der<br />

jedoch keine Erinnerung an sie hat. Man muss genauer auch sagen:<br />

Die Mutter steht nicht, sondern liegt. Sie ist nach einer aggressiven<br />

Krebs-Chemotherapie ins Koma gefallen; nicht bei Bewusstsein,<br />

komplett immobil. Durch lange und abweisende Gänge und Flure<br />

tief im Inneren des Krankenhauses gelangt man, zu Fuß, mit dem<br />

Skateboard, ins Krankenzimmer. Dieses Zimmer ist ein Raum des<br />

Schweigens, rudimentärer Geräusche. Das Piepen des Herzschlagüberwachungsgeräts,<br />

das Atmen, mehr nicht: ein Rest von Leben.<br />

Ein Mensch als bloßer Körper, kaum mehr adressierbar, in keine<br />

Kommunikation integrierbar. An diesem Körper, der liegt, der<br />

atmet, der berührbar ist, aber nicht spricht, zerfällt in Swans alles<br />

Soziale, die mögliche Nähe zwischen Vater und Sohn. Weil dieses<br />

Soziale blockiert ist (sie spricht nicht, sie lässt sich nicht sprechen<br />

machen, was immer die beiden versuchen) wird durch die fetischistische<br />

Aufladung der Zerfallsprodukte – Bewegung, Berührung,<br />

Geräusche – ersetzt.<br />

Zwischen Vater und Sohn fallen zwar Worte. Der Wunsch des<br />

Vaters, ins Gespräch zu kommen, den Sohn zu verstehen, ist spürbar.<br />

Zu sehen, wie der Wunsch frustriert wird, wie der Vater es immer<br />

genau falsch anstellt zwischen Vorwurf und Anbiederung, ist eine<br />

Qual. Meist sehen sie fern, in der Fremde Berlins, in der unvertrauten<br />

Wohnung, es läuft eigentlich immer Sport: Eisstockschießen, Golf,<br />

Tennis. Dem einen Pol, dem des Immobilen, steht ein anderer gegenüber,<br />

der einer geradezu übertriebenen Mobilität. Sport im Fernsehen<br />

und das Skateboardfahren des Sohnes in einer für Skater eingerichteten<br />

Halle. Zweimal sucht der Sohn diesen Gegen-Ort der Bewegung<br />

<strong>auf</strong>, grandios, wie Kameramann Reinhold Vorschneider das filmt. Die<br />

Kamera liegt ganz tief, fährt, schwenkt, in einer Bewegung, die so<br />

fließend und dann so abrupt abgehackt ist wie die des Skatens: ein<br />

Gleiten, ein Stoppen, der Sprung. Sie schmiegt sich an und bleibt doch<br />

<strong>auf</strong> Distanz, kommt der Bewegung selbst nah und ist, selbst bewegt,<br />

nicht dieselbe Bewegung, bleibt ihr dissoziiert.<br />

Mit Kopfhörern, lauter, harter Musik, <strong>auf</strong> der Tonspur des Films<br />

ebenfalls voll <strong>auf</strong>gedreht, skatet Manuel. Er macht Pause, einer setzt<br />

sich neben ihn, kurzes Gespräch. Ein Aufkleber, <strong>auf</strong> die Unterseite des<br />

Skateboards geklebt, eine Kontakt<strong>auf</strong>nahme. Hier könnte sich eine<br />

Geschichte anbahnen, hier könnte der Anfang liegen von etwas, das<br />

dann weitergeht, das diesem Film, dieser Figur eine Zukunft, einen<br />

anderen Horizont öffnet. Der Sohn wird einen Plattenladen besuchen,<br />

durch eine Wald-Fototapete in den Hinterraum gehen, in eine Bandprobe<br />

geraten, ein paar Worte wechseln, dann wird er gehen, nichts<br />

11


kino<br />

wird daraus folgen. Kontakt<strong>auf</strong>nahme gescheitert. Der fast leblose<br />

Körper hält alle und alles in seinem Bann.<br />

Swans zeigt Menschen, die sich nicht in Räume fügen und darum<br />

viel grundsätzlicher nicht in die Welt. Daraus folgt eine doppelte –<br />

man kann es kaum anders sagen – Pathologie. Weil sie, Manuel insbesondere,<br />

keinen Halt suchen, sich den Dingen und der Mitwelt<br />

nicht zuwenden, treiben sie und werden getrieben. Es leuchtet sehr<br />

ein, dass Hugo Viera da Silva das Verhältnis, das so entsteht, <strong>auf</strong> der<br />

anderen Seite als ein Verhältnis der Fetischisierung beschreibt. Soll<br />

heißen: Unbelebte Gegenstände werden zum Faszinosum, zu Objekten<br />

des Begehrens. Hier vor allem: eines Berührungsbegehrens. Die<br />

Zahnseide, eine Metallkette, Kleidungsstücke und Stoffe, eine Batman-Maske<br />

(und, letzten Endes, der restlebendige Körper der Mutter):<br />

Manuel blickt dar<strong>auf</strong>, greift danach, reibt sich daran. Keineswegs<br />

renkt sich aber das Weltverhältnis in diesen sinnlich-taktilen<br />

EDITIon SALzGEBEr (3)<br />

Kontakten wieder ein. Die Dinge sind von ihrer Funktion im alltäglichen<br />

Umgang, von den menschlichen Körpern, denen sie zugehörten,<br />

getrennt und gelöst und werden als unbelebte und „tote“ fetischistisch<br />

– also ohne gelingende Reintegration – wiederbelebt, in einen<br />

Zwischenzustand zwischen tot und lebendig überführt. Zombies in<br />

Gropiusstadt.<br />

Der Lust an der Berührung setzt sich der Film in einer weiteren<br />

grandiosen Szene aus, und zwar in fast ins Groteske verschobener<br />

Weise. Der Vater fährt mit dem gerade erworbenen Auto in die<br />

Waschanlage. Minutenlang wird das Auto da von der Dreh-, Rubbel-<br />

und Schaumapparatur bearbeitet. In diesem Film gibt es nur Onanie<br />

(Manuel <strong>auf</strong> dem Bett, sein von der eigenen Hand bearbeiteter<br />

Schwanz im Zentrum des Bilds geradezu unverschämt ausgestellt)<br />

und Autosex. Für den Vater/den Zuschauer allerdings bleibt stets die<br />

Scheibe dazwischen. Das Auge, so könnte man die Position des Films<br />

vielleicht am besten beschreiben, ist kein taktiles Organ. Swans frustriert<br />

die Berührungs- und Empathielust des Zuschauers deshalb so<br />

gründlich, weil er die Körper, die Dinge und die Berührung hautnah<br />

präsentiert. Und doch erlaubt das Medium keine Berührung. Forciert,<br />

aber nicht falsch wäre die These: Es ist nicht zuletzt das Drama des<br />

eigenen Mediums, von dem der Film letztlich erzählt.<br />

Man kommt, je länger man <strong>auf</strong> sie blickt, den Personen umso<br />

weniger nahe. Das Unnahbare wird am Seltsamsten wohl verkörpert<br />

durch Kim (Vasupol Siriviriyapoon), die Mitbewohnerin, die ein<br />

paar Mal wie ein Geist in der Wohnung <strong>auf</strong>taucht, wie leblos in der<br />

Wanne liegt und ins Nichts wieder verschwindet. Der Film zeigt in<br />

einer Einstellung drastisch, kommentiert aber nicht: Kim ist ein Hermaphrodit.<br />

Es ist, als reagierte Manuel <strong>auf</strong> das Faszinosum dieses die<br />

sexuelle Differenz unterl<strong>auf</strong>enden Körpers in einer weiteren verschobenen<br />

Bewegung: zurück zum Körper der Mutter, der eine andere für<br />

die symbolische Ordnung der Dinge entscheidende Differenz unterläuft,<br />

die zwischen tot und lebendig. Er schlägt das Tuch zurück, das<br />

ihren nackten Torso bedeckt. Er berührt ihre Brüste, tastet nach ihrer<br />

Vagina. Die Berührung als radikaler Übergriff, in skandalöser Nähe<br />

zum Inzest wie zur Nekrophilie.<br />

Swans ist ein Körperhorrorfilm. Das Koma als vollständiger Kontrollverlust,<br />

der in die Bewegungs- und Leblosigkeit führt. Die totale<br />

Kontrolle des Skaters beim Skaten. Einmal macht der Vater Meditationsübungen<br />

und überlässt sich dabei ganz den Anweisungen der von<br />

ihrem Körper dissoziierten Stimme von der CD. Wie Sonden sind die<br />

Figuren in der Stadt unterwegs, <strong>auf</strong> einer Suche, sie wissen nur nicht,<br />

wonach. Reinhold Vorschneiders Kamera liegt mit ihren virtuosen<br />

Fahrten und Eigenbewegungen, das Berührungs- als Abbildungsbegehren<br />

verdoppelnd, noch einmal quer dazu. Der Film selbst nimmt<br />

zu alledem die einzig plausible Position ein: Er hält es konsequent fest,<br />

unter enigmatischem Titel, und mobilisiert den Betrachter, indem er<br />

sich seinem schnellen Begreifen entzieht. s<br />

Swans<br />

von Hugo Vieira da Silva<br />

PT/DE 2010, 120 Min, dt. OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 14. Juli 2011<br />

tropenkoller<br />

von Jan künemund<br />

In seinem dritten Spielfilm schickt Ulrich Köhler („Bungalow“, „Montag kommen<br />

die Fenster“) sein gewohnt halt- und orientierungsloses Personal mit europäischem<br />

Auftrag in den afrikanischen Urwald. Einer geht dabei verloren, der andere kommt gar<br />

nicht erst an. „Schlafkrankheit“ startet am 23. Juni in den Kinos.<br />

s „Ich bin schwul.“ Dieser Satz fällt mitten<br />

im tropischen Regenwald Kameruns vor<br />

einer halb im Schlamm begrabenen Brücke,<br />

vor der zwei europäische Mediziner entnervt<br />

ihr Auto haben stehen lassen, um kurz Luft<br />

zu holen in ihrer verfahrenen Situation. Er<br />

markiert denjenigen, der ihn sagt, einmal<br />

mehr als Fremden, der das Spiel der Europäer<br />

in Afrika nicht mitspielt – der den Taxifahrern<br />

und Zigarettenverkäufern nicht traut,<br />

der kein Flusswasser trinkt, der nur wenige<br />

Tage bleiben will, der keine Geschäfte macht,<br />

keine Geliebte hat, der <strong>auf</strong> seinem Zimmer<br />

bleibt und in die Wasserflasche pinkelt,<br />

anstatt draußen die Toilette zu suchen, der<br />

die Situation in der Fremde punktuell evaluieren<br />

will, anstatt sie kreativ auszulegen, der<br />

sich nicht anpasst und nicht verstrickt. Eine<br />

Identifikationsfigur, findet Regisseur Ulrich<br />

Köhler: Alex Nzila, der schwule, schwarze<br />

WHO-Bürokrat aus Paris, dessen erster Auftrag<br />

eine Reise nach Afrika ist, das er nur<br />

soweit wahrnimmt, wie der Schein seiner<br />

kleinen Taschenlampe reicht. Tatsächlich<br />

ist das eine originelle Figur, unbeholfen,<br />

ängstlich, schwach – so ganz anders als die<br />

kolonialen und postkolonialen Herren, die<br />

sich die Fremde verständlich machen und<br />

dann aneignen wollen, in den kolonialkritischen<br />

Erzählungen aber schließlich schei-<br />

tern und degenerieren, zu Nicht-Afrikanern<br />

und Nicht-mehr-Europäern werden. Auch<br />

diese Figur gibt es in Schlafkrankheit, Ebbo,<br />

der andere Mediziner, der natürlich auch<br />

weiß, was man bei Schwulsein in Afrika verschreibt<br />

(„Bloß keinem erzählen!“). Der Film<br />

hat seine zwei Teile um diese zwei Figuren<br />

herum <strong>auf</strong>gebaut, weniger, um Thesen kultureller<br />

Fremdheiten gegeneinander auszuspielen,<br />

sondern eher, um undurchdringliche<br />

Bilder zu setzen und vom Scheitern der<br />

Strategien zu erzählen, Fremdheit <strong>auf</strong>zulösen,<br />

die eigentlich selbstgemacht ist. Von der<br />

afrikanischen Schlafkrankheit, die von den<br />

europäischen Medizinern bekämpft werden<br />

soll, ist hier kein Afrikaner befallen. Die<br />

Europäer dagegen fantasieren, von Bilharziose<br />

und großen Schwänzen, sie verschreiben<br />

sich Malariaprohylaxen, von denen sie<br />

depressiv werden. Und aus den drei Stadien<br />

der Schafkrankheit, die von Juckreiz, Fieber<br />

und schließlich dem undurchdringlichen<br />

Dämmerzustand begleitet werden, führt sie<br />

allenfalls eine Metamorphose heraus, die<br />

der Film augenzwinkernd an den Schluss<br />

setzt. Haltungslosigkeit und fehlende Dramatik<br />

sind ihm schon vorgeworfen worden –<br />

anstatt ihn für seinen bemerkenswert klaren<br />

Blick zu bewundern, mit dem er sich diesen<br />

ganzen Dschungel ansieht. s<br />

Schlafkrankheit<br />

von Ulrich Köhler<br />

DE/FR/NL 2011, 91 Min, teilweise<br />

dt. OF/OmU<br />

Farbfilm, www.farbfilm-verleih.de<br />

Im Kino ab 23. Juni 2011<br />

12 13<br />

kino<br />

FArBFILM


kino kino<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

<strong>auf</strong>RuhR Im<br />

hYPothalamuS<br />

von Jenni Zylka<br />

Ein Film, wie man ihn aus Deutschland nicht erwartet. Comic-<br />

Autorin ziska riemann hat zusammen mit Luci van org<br />

eine sehr besondere Mädchenfreundschaft <strong>auf</strong> die Leinwand<br />

gezeichnet und „Lollipop Monster“ ist ein herrliches Geschöpf<br />

geworden, ein quietschbuntes Kuddelmuddel mit dunklen<br />

Abgründen, das nach der erfolgreichen Berlinale-Ur<strong>auf</strong>führung<br />

am 25. August in die Kinos kommt.<br />

s Als Teenie war alles dramatisch. Man hasste in glänzendem<br />

Schwarz, liebte in feurigem Rot, neidete in schmerzhaftem Gelb und<br />

schwärmte in sirupartigem Pink. Sämtliche Erziehungsberechtigte<br />

verhielten sich bescheuert, Eltern, erwachsene Verwandte, Lehrer<br />

sowieso, größere Geschwister im Zweifelsfall auch, doch wenn man<br />

Glück hatte, dann konnte man sich <strong>auf</strong> die beste Freundin verlassen:<br />

Die hatte schließlich die gleichen doofen Eltern (sogar wenn sie<br />

ganz anders waren), und die war natürlich die einzige, die einen verstand.<br />

Ziska Riemann hat aus diesem Zustand einen Film gemacht. Mit<br />

Schreibhilfe ihrer Schulfreundin, der Musikerin, Schauspielerin und<br />

Autorin Luci van Org, beschreibt sie jene widersprüchliche, emotional<br />

<strong>auf</strong>geladene Lebensphase, die die meisten Menschen <strong>auf</strong> dem Weg<br />

zum rationalen Erwachsenen verwirrte. Lollipop Monster erzählt<br />

die Welt der Teenage Angst und Teenage Lust, und er erzählt so subjektiv,<br />

sprunghaft und glänzend, wie man seine Umgebung eben mit<br />

15 wahrnimmt. Die Geschichte von Oona und Ari, die eine dunkelhaarig,<br />

die andere blond, die eine mit schwarz gekleideten Künstlereltern,<br />

die andere mit Kawaii-Mama und Hypochonderbruder, ist eine<br />

Geschichte über Außenseiter. Die beiden Mädchen nähern sich an,<br />

nachdem Oonas Vater sich – vielleicht aus Eifersucht über die Affäre<br />

seiner Frau mit seinem Bruder – umgebracht hat. Oona zeigt Ari, wie<br />

herzerfrischend offen nach außen getragener Hass sein kann, Ari ist<br />

für Oona eine Freundin, <strong>auf</strong> die sie – zumindest anfangs – in schlechten<br />

Zeiten bauen kann.<br />

Unstet wie pubertäre Stimmungsschwankungen wechselt der<br />

Film von der Story in Musikclips, vom Spielfilm über Super8 in eine<br />

Comicästhetik. Egal, wann man jung war, ob zu Tolle-, Flattop-,<br />

Föhnwelle- oder Stachelfrisurzeiten, egal, ob die Eltern einem Rolling<br />

Stones, Joy Division oder Chicago House verbieten wollten:<br />

Riemanns Film, bei dem die Berliner Comiczeichnerin, Autorin und<br />

Musikerin erstmalig Regie führte, versucht, das globale Pubertistinnengefühl<br />

einzufangen, und es in der gleichen Windstärke bildlich<br />

umzusetzen, in der es subjektiv empfunden wird. Sie hat dazu Musik<br />

er- und gefunden, die das Außenseitermotiv illustriert: die imaginäre<br />

Oona- und Ari-Lieblingsband „Tier“, deren Sänger aussieht wie der<br />

Voodoo-Priester Baron Samedi (aus James Bond – Leben und sterben<br />

lassen), und die in Rammstein-Manier rocken, nur mit mehr Gitarre,<br />

besingen „Trieb, Lust und Instinkt“. Eine andere der vielen Musikeinlagen<br />

zeigt strippende Barbiemädchen beim Teddypeitschen. Wer das<br />

ein bisschen protzig und übertrieben findet, hat Recht. Aber es geht<br />

hier schließlich um Aufruhr im Hypothalamus.<br />

Dass es für die Bebilderung dieses Aufruhrs nicht nur eine, sondern<br />

zwei Protagonistinnen braucht, zeigt neben dem Freundschaftsmo-<br />

14 15


kino<br />

tiv auch die Bandbreite dieser merkwürdigen Backfischjahre: Selbst,<br />

wenn man damals <strong>auf</strong> der coolen Seite des Schulhofs stand, wenn man<br />

Babydolls hasste, sich über die dummen, gickernden Tussen <strong>auf</strong>regte,<br />

und sicher war, sich eben nicht in dieser von den Eltern vielbeschworenen<br />

und -belächelten Zeit zu befinden, war das hormongesteuert.<br />

Nur fällt einem das meistens erst <strong>auf</strong>, wenn man erwachsen ist.<br />

Bei Lollipop Monster ist Oona <strong>auf</strong> den ersten Blick cool, abgeklärt<br />

und die Freundin ihrer Mutter, die blonde Ari ist sich dagegen<br />

noch nicht sicher, was sie ist. Als sie lernt, in Sekundenschnelle vom<br />

schläfrigen, rundlichen Schulmädchen zur lasziven Venusfliegenfalle<br />

umzuschalten, lernt sie damit selbstredend auch Pussypower. Und ihr<br />

favorisierter „bad guy“, herrlich überzeichnet mit flammengetuntem<br />

Hotrod und nie lächelndem Halbstarkengesicht, wird plötzlich soooo<br />

klein mit Hut: Nach dem Sex <strong>auf</strong> durchgesessenen Sofas muss er weiter<br />

den Club fegen, in dem er als Putzmann arbeitet, während Ari das<br />

Geld aus der Kasse klaut und ihn sitzen lässt.<br />

Ziska Riemann und Luci van Org legen einen starken Focus <strong>auf</strong> die<br />

sexuelle Erweckung, die Aris Freundschaft mit Oona folgt: Die Blondine<br />

macht vor nichts mehr Halt, vögelt nach dem Discofeger noch<br />

nonchalant die schöne schwarze Freundin ihres verhätschelten Bruders,<br />

denn die Zeiten, in denen man sich für eine sexuelle Orientierung<br />

entscheiden muss, sind glücklicherweise in einem Film von 2011<br />

längst vorbei. Zum Missvergnügen ihrer besten Freundin treibt sie<br />

es aber auch mit Oonas Onkel, dem neuen Freund von Oonas Mutter.<br />

Dramaturgisch zwingend kommt also die Katastrophe hereingebrochen,<br />

in denen die Freundschaft sich bewähren muss, und nebenbei<br />

auch noch alle anderen Feinde (Mütter, Geschwister) ihr Fett wegkriegen.<br />

Das Team Oona und Ari mutiert durch den Freundschaftsprozess<br />

zu einer Mischung aus Lolita und Cindy Lauper: Selbst überrascht<br />

davon, was anderer Leute Verhalten in ihnen selbst anrichtet, evozieren<br />

sie ebenso ungebührliches oder übertriebenes Verhalten in<br />

den anderen. Oona bringt Ari zuerst bei, die neue Aufmerksamkeit<br />

zu genießen, die Ari geschminkt und <strong>auf</strong>gebrezelt entgegenschallt.<br />

Dann läuft Aris Verführungshobby aber aus dem Rahmen und macht<br />

Oona am Ende unglücklich. Und Ari merkt, dass Verknalltsein auch<br />

Blind- und Taubheit bedeuten kann, und dass Erwachsene zuweilen<br />

noch besser lügen können als Teenager.<br />

Die Mädchen werden von ihren prototypischen Muttis gespiegelt:<br />

Beide Mütter versuchen, ihrer adoleszenten Brut mit unterschiedlichen<br />

Methoden beizukommen. Und hauen voll<strong>auf</strong> daneben: Aris Mutter<br />

trägt Blümchenröcke, bunte Pflaster und lustige Zöpfe, und entgegnet<br />

Aris rebellischem Renovierungsakt (Barbies raus, schwarze<br />

Farbe rein) mit eifrigem Aktionismus: „Dann brauchen wir aber einen<br />

anderen Teppich … Zebra oder Schachbrettmuster …“. Oonas Mutter<br />

dagegen, die durch die Freundschaft zu ihrer Tochter jung bleiben<br />

möchte, überfordert diese permanent mit der Offenlegung ihrer<br />

Bohemienwelt: Vino, Zichten, Sex und nach der Beerdigung ihres<br />

Mannes ein gutes S<strong>auf</strong>gelage mit Freunden, das muss Oona ja wohl<br />

verstehen … Tut sie natürlich nicht. Die beiden bemühten Rabenmamas<br />

stehen für die üblichen Schwierigkeiten, die Mütter und Töchter<br />

<strong>auf</strong> der ganzen Welt gern über ihren ungenießbaren Beziehungssalat<br />

streuen: Überfordern <strong>auf</strong> der einen Seite, Kleinhalten <strong>auf</strong> der anderen.<br />

Dazu drangsaliert Aris Bruder Eltern und Schwester mit seinen<br />

angeblichen Malaisen, bis für Ari-als-junge-Frau kein Platz mehr in<br />

der Familie zu sein scheint.<br />

Als Erwachsene, als Ex-Pubertistin schaut man <strong>auf</strong> dieses<br />

quietschbunte Kuddelmuddel und ist, je nachdem, wie weit weg<br />

einem diese Zeit vorkommt, amüsiert, gerührt oder auch gelangweilt.<br />

Der Film behandelt kein neues Thema, sondern Coming-of-age,<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

er kapriziert sich – außer in der Ästhetik – auch <strong>auf</strong> die bekannten<br />

Themen Mutter-Tochter-Konflikt, erwachende Lust, Freundschaft,<br />

sich-unverstanden-Fühlen und eben jene typischen ständig platzenden<br />

Gefühlsknoten. Das muss man einfach wollen: Kann man<br />

über sich selbst mit Pickeln, blöden Frisis und nach Tommi Ohrner<br />

schmachtenden Herzen lachen, dann kann man sich auch über Oona<br />

und Ari amüsieren. Wenn man kein Herz für Trash hat oder einfach<br />

die Nase voll von Barbiegirl-goes-Rrriotgirrl-Ästhetik, dann braucht<br />

man die Geschichte der beiden Tierfreundinnen nicht: In die „Berliner<br />

Schule“ geht Lollipop Monster jedenfalls nicht, er positioniert sich<br />

eher lustvoll in der entferntesten Ecke.<br />

Das ist mutig und süß. Schade nur, dass die Ernsthaftigkeit, mit<br />

der Riemann und van Org ihr Anliegen trotz Neonfassade und leichthändig<br />

ausgestatteter Clipästhetik vorbringen, dabei bisweilen <strong>auf</strong><br />

der Strecke bleibt, vergraben unter raschelnder, poppiger und zuckersüßer<br />

Lollipop-Deko. Denn man glaubt den Autorinnen, dass sie tatsächlich<br />

Nöte schildern, Mut machen, Lösungsansätze bieten, und<br />

ihre Protagonistinnen wirklich ernst nehmen wollen – lächerlich sind<br />

nur die anderen, die Großen, die denken, sie hätten alles im Griff.<br />

Andererseits: Teenies brauchen starke Bilder, mit Subtilität kann<br />

man denen nicht kommen. Dass sie genau so einen Film damals gern<br />

gesehen hätte, gab Riemann im Interview zu ihrem <strong>auf</strong> der Berlinale<br />

ur<strong>auf</strong>geführten Film zu, und vielleicht ist es diese immer noch intakte<br />

Verbindung zur Vergangenheit, die ihr Werk vor allem für Hannah-<br />

Montana-Hasser und -Hasserinnen interessant macht, für Teens und<br />

Twens, die schon ohne Liebes-Happy-End leben können, und für<br />

Thirty- und Fortysomethings, die sich wieder dran erinnern möchten,<br />

dass bei ihnen ja auch einmal alles Drama war. s<br />

Lollipop Monster<br />

von Ziska Riemann<br />

DE 2010, 96 Min, dt. OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 25. August 2011<br />

www.lollipop-monster.de<br />

16 17<br />

kino<br />

EDITIon SALzGEBEr (4)


kino kino<br />

IN eINem<br />

aNdeReN lIcht<br />

von andré Wendler<br />

Mit seinem von Gus van Sant produzierten Spielfilmerstling „Wild Tigers I Have Known“ gelang Cam Archer<br />

2006 eine kleine Sensation. Jetzt kommt mit „Shit Year“ fast ein Gegenentwurf von ihm ins Kino: nach dem<br />

knallbunten Coming-of-Age nun eine schwarzweiße Divendämmerung. SISSY hat einen Film im Licht des<br />

anderen gesehen. Und sich außerdem über die Wiederentdeckung von Ellen Barkin gefreut.<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

s Ich sehe mir Shit Year zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage<br />

an. Er beginnt: mit Geräuschen, extrem schwarzen Bildern, verrauschten<br />

Bildern, extrem weißen Bildern, die mich blenden, einer<br />

Vielzahl von Stimmen, dem unglaublich schönen Lamento Colleens.<br />

Eigentlich ist nach spätestens drei Minuten alles sehr klar in diesem<br />

Film. Colleen West hat sich verliebt in Harvey West. Sie haben den<br />

gleichen Namen. Er ist viel jünger als sie. Schauspieler. Kollege in<br />

einer Theaterproduktion: „Starwitness“ heißt das Stück. Beide sind<br />

sie wunderschön. Sie ist verzweifelt verliebt in ihn, er hat schnell das<br />

Interesse an ihr verloren und verschwindet wieder. Wohin, weiß keiner.<br />

Das alles könnte Stoff für einen dieser Filme sein, wie sie mich<br />

schon tausendmal gelangweilt haben. Shit Year beginnt hier aber erst.<br />

Es ist ein Film, der nach dem Film kommt: nach all den konventionellen<br />

Lovestories dieser Welt, nach Cam Archers erstem Film, nach<br />

all den Filmen seiner Hauptfigur Colleen, die gerade dabei ist, sich<br />

als Schauspielerin zur Ruhe zu setzen, nach all den Filmen, an die<br />

er mich, for good or for bad, erinnert, und irgendwie auch nach sich<br />

selbst, weil er sich als Nachgeschichte zu etwas entwirft, was erst an<br />

seinem Ende langsam greifbar gewesen sein wird. Das alles lässt sich<br />

erst erfassen, wenn man ihn das zweite Mal sieht. Der Film wirkt <strong>auf</strong><br />

sich selbst zurück und voraus.<br />

Bestimmt müsste man Shit Year als experimentellen Film<br />

bezeichnen. Stimmen überlagern sich. Selten gehören die Geräusche<br />

zum Bild. Geräusche und Musik kämpfen miteinander um Vorherrschaft.<br />

Von überall her kommen Bilder und Töne: aus Träumen, aus<br />

der Vergangenheit, aus Ängsten, aus anderen Filmen (wie aus Mary<br />

Lamberts Siesta von 1987). Immer sind es jedenfalls Parallelwelten,<br />

die sich so oder so deuten lassen. Wenn Colleen sich später in einem<br />

Haus <strong>auf</strong> dem Land zur Ruhe gesetzt hat, kommt von irgendwoher<br />

Baulärm, über dessen genaue Ursache sich nur spekulieren lässt. Einmal<br />

wird sie nachts von Hubschrauberlärm geweckt, unter dem sie<br />

dann vor dem Haus zusammenbricht. Den Hubschrauber bekommt<br />

niemals irgendwer zu Gesicht.<br />

Dafür überschüttet der Film uns permanent mit den unglaublichsten<br />

Bildern. Den Anfang macht er mit ausgesuchten Panoramen<br />

der Skyline L. A.s, in denen Harvey und Colleen jeweils <strong>auf</strong> einem Balkon<br />

stehen, als warteten sie <strong>auf</strong> etwas, als suchten sie in diesen Panoramen<br />

etwas, von dem sie wüssten, dass es dort verborgen ist. Das<br />

Rätselhafte dieser vielen verschiedenen Bilder kommt aus ihrer sorgsam<br />

konstruierten Überfülle. Während es immer wieder auch völlig<br />

entleerte Bilder gibt, die quasi aus nichts anderem als Schwarz oder<br />

Weiß bestehen, konfrontiert der Film uns immer wieder mit seinen<br />

Wimmelbildern. Besonders stark wird das in der zweiten Häfte des<br />

Films, wenn Colleen ihr Haus <strong>auf</strong> dem Lande, oder genauer: im Wald<br />

bezogen hat. Auf dem Weg zu ihrer Nachbarin oder zum Supermarkt<br />

drängt der Wald ins Bild, füllt es, ja: überfüllt es. Der Wald scheint<br />

Colleen und ihr Haus regelrecht verschlingen zu wollen. Die Bilder<br />

sind in jedem Sinn unübersichtlich. Die Überzahl von Pflanzen, Wurzeln,<br />

Bäumen, Ästen, Blättern und Stämmen lässt den Wald zu einer<br />

undurchdringlichen Wand werden, <strong>auf</strong> der zu viel und zu gleich zu<br />

wenig zu sehen ist. Ich sehe den Film vor lauter Bildern nicht mehr.<br />

Unter dieser Zudringlichkeit droht Colleen zu ersticken. Dazwischen<br />

verpixelte Fernsehbilder, denen sich die Kamera immer weiter nähert,<br />

bis fast nichts mehr <strong>auf</strong> ihnen zu sehen ist. Während in Blow up noch<br />

die Illusion <strong>auf</strong>recht erhalten wird, in diesen Bildern könnte irgend<br />

ein Ereignis der äußeren Welt ablesbar werden, ist dieser Bezug bei<br />

Cam Archer nicht einmal mehr vorgestellt. Die Bilder sind die Außenwelt.<br />

Sie müssen nicht produziert werden, weil sie immer schon<br />

massenhaft und zentnerschwer <strong>auf</strong> Augen und Ohren lasten. Colleen<br />

imaginiert sich in eine völlig weiße Gegenwelt, in der offenbar<br />

eine Simulation Harveys produziert werden soll, die <strong>auf</strong> den Daten<br />

aus ihrem Kopf beruht. Am Ende trifft sie diesen simulierten Harvey,<br />

der nichts weiter vermag als eine weiße Wand weiß zu streichen und<br />

damit Bildtautologien herzustellen.<br />

18 19


kino<br />

Logan (Malcolm Stumpf) in „Wild Tigers I Have Known“ (2006) Coleen West (Ellen Barkin), Harvey West (Luke Grimes) in „Shit Year“<br />

Über weite Strecken ist das alles, um nur das Mindeste zu sagen,<br />

rätselhaft. Immer aber ist es wunderschön. Nicht nur Colleen und<br />

Harvey füllen mit ihren wundervollen Gesichtern die Leinwand.<br />

Auch die Welt, in der sie sich begegnen und wieder verlieren, an einander<br />

erinnern und voneinander loskommen wollen, entwirft der<br />

Film als eine Welt aus großartigen Lichttexturen. Waldboden und<br />

Wasseroberfläche, Gazeschleier und Wasser-Sternenhimmel werden<br />

zu den Wänden dieser Kinowelt, <strong>auf</strong> die ihre Figuren und wir alles<br />

Mögliche projizieren können. Einmal erinnert mich diese Welt aus<br />

Licht und Schatten an Maya Derens und Alexander Hammids Meshes<br />

of the Afternoon, der nicht weit von Shit Year entfernt, ebenfalls in<br />

L. A. gedreht wurde. Was beide verbindet, ist das unnachgiebige und<br />

sehr besondere Licht, welches die amerikanische Filmproduktion<br />

kurz nach 1900 an die Westküste lockte und Hollywood erst zu dem<br />

werden ließ, was es dann wurde. Mir scheint, dass dies das eigentlich<br />

Drama dieses Films ist: In welches Licht taucht dieser Ort seine<br />

Menschen? Im Licht Hollywoods zu stehen, das heißt, jemand anderes<br />

zu werden. Das Stück, das Colleen und Harvey, die Schauspieler,<br />

am Anfang gemeinsam proben, handelt von einer Frau, die in einem<br />

völlig dunklen Haus lebt, weil sie das Licht nicht mehr ertragen kann,<br />

das von den anderen Menschen ausgeht. Als sie merkt, dass sie ihn<br />

verliert, sagt sie, dass er ihr wie ein Schatten erscheint. „It’s the light.<br />

The light is different here. It’s the light.“, antwortet er dar<strong>auf</strong> fast<br />

panisch, als ob damit irgendein Unterschied gemacht werden könnte.<br />

Im Film, in Hollywood, bei Schauspielern, ist das Licht, in dem etwas<br />

erscheint, mehr als nur ein zufälliger Zusatz, der auch weggelassen<br />

werden könnte. Es ist genau genommen die einzige Materie, aus der<br />

ein Film am Ende besteht, wenn er projiziert wird. Colleens blonde<br />

Haare sind in manchen Einstellungen fast weiß, reines Licht. Am<br />

Anfang heißt es aus dem Off: „Colleen West never liked the first light<br />

of day. It made her nervous and desperate for night.“ Was sollte es<br />

auch anders? Das erste Licht des Tages ist nicht das Licht des Kinos.<br />

Das Kinolicht ist überhaupt kein Tageslicht. In einem der seltsamen<br />

Zwischentitel heißt es: Learn to take it lightly. Ich bin fast geneigt,<br />

das in seiner doppelten Bedeutung zu lesen. Die L(e)ichtigkeit, mit der<br />

Colleen das Leben ohne den Film und ohne Harvey nicht mehr nehmen<br />

kann, von dem es heißt, er hätte Kalifornien vor hundert Jahren,<br />

als Hollywood geboren wurde, geliebt, macht den Film so großartig,<br />

so unverständlich, so wunderschön, so pathetisch und spielerisch.<br />

Vielleicht erschließt sich dieser Film, der jedes rätselhafte Bild<br />

gegen ein anderes setzt, selbst auch besser im Licht eines anderen<br />

Films. Ich denke natürlich an Archers ersten: Wild Tigers I Have<br />

Known. Schon <strong>auf</strong> den ersten Blick lassen sich beide als Gegensätze<br />

erkennen: Wild Tigers teilweise in schreiendem Digitalbunt, Shit Year<br />

in körnig-rauschendem 16-mm-Schwarzweiß. Wo der eine in seinen<br />

Grautönen die Liebe und Hoffnung eines ganzen Filmlebens zu Grabe<br />

trägt, schmiert sich der andere die farbige Lebensfreude als roten Lippenstift<br />

mitten ins Gesicht. Während die Bilder aus Colleens Leben<br />

alle doppelt und dreifach mit Bedeutung <strong>auf</strong>geladen sind und das<br />

kleinste Detail einen Nervenzusammenbruch auslösen kann, erfindet<br />

Logan zu allem, was ihm begegnet und insbesondere sich selbst,<br />

ständig neue Bilder. So sind die Wild Tigers, die aus dem Wald <strong>auf</strong><br />

das Schulgelände kommen das Versprechen <strong>auf</strong> ein Leben voll wilder<br />

Möglichkeiten, jenseits der Stumpfsinnigkeit seiner Schule. Die<br />

Suche nach ihnen in den Wäldern produziert eine geradezu fantastische<br />

Identitätsvielfalt. Wenn Colleen im Wald vor ihrem Haus<br />

eine tote Ratte entdeckt, braucht sie die Hilfe ihres Bruders, um mit<br />

diesem Erlebnis fertig zu werden, das in einer anrührend absurden<br />

Szene endet, in der sich die beiden Rattenbestatter fragen, ob sie die<br />

tote Ratte noch nachträglich t<strong>auf</strong>en lassen sollen. Für Colleen sind die<br />

Bilder der Vergangenheit die Herausforderung, für Logan sind es die<br />

noch zu erfindenden Bilder seiner möglichen Zukünfte.<br />

Beide Filme lassen diese Bilderflut nicht voraussetzungslos aus<br />

dem Nichts <strong>auf</strong>tauchen, sondern fragen konsequent nach ihrem Ort.<br />

Immer wieder sehen wir Logan vor dem Fernseher liegen: der Prototyp<br />

der Situation, die der Film vorführt. Die Fernsehbilder kommentieren<br />

fortwährend unser Leben, zeigen, wie es möglicherweise<br />

aussehen könnte, fordern uns <strong>auf</strong>, zum Kühlschrank zu gehen oder<br />

geben uns eine Werbepause lang Zeit, uns von ihnen abzuwenden. Sie<br />

werden zum Grundrauschen, von dem das Leben sich abheben muss.<br />

Leben heißt Bilder generieren, die sich von denen des Fernsehens<br />

unterscheiden. Ganz anders bei Colleen: Sie entwirft sich angesichts<br />

der Fernsehbilder nicht neu, sondern versucht, den Abschluss mit<br />

ihrem alten Schauspielerleben in einem Fernsehinterview hinzukriegen,<br />

das wahlweise in Einstellungen aus dem Studio und im abgefilmten<br />

Monitor gezeigt wird. Bis zum Schluss kommt sie nicht aus diesen<br />

Bildern heraus. Das ist ihr Bilder-Drama, ein ganzes ärmliches Shit<br />

Year lang.<br />

Cam Archer schafft es in beiden Filmen, mit ganz ähnlichen<br />

Mitteln und sich ergänzenden Motiven, zwei völlig verschiedene<br />

Geschichten über das Lieben in Vergangenheit und Zukunft zu<br />

erzählen. Über ein Lieben, das einmal vom grellen Licht Hollywoods<br />

überstrahlt wird, und einmal in fahlem Fernsehlicht zur Welt kommt.<br />

Vielleicht lässt sich so etwas nur von Kalifornien aus erzählen, weil<br />

man hier seit gut hundert Jahren besser als sonst irgendwo weiß,<br />

was es heißt, jemanden in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.<br />

Archer stellt sich dieser Herausforderung und löst sie in einer permanenten<br />

Überforderung seiner Zuschauer_innen, denen damit nichts<br />

Besseres geschehen könnte. s<br />

Shit Year<br />

von Cam Archer<br />

US 2010, 95 Min, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 25. August 2011<br />

Wild Tigers I Have Known<br />

von Cam Archer<br />

US 2006, 81 Min, OmU<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

20 21<br />

kino<br />

EDITIon SALzGEBEr (3)


tellerrand<br />

good ShIt<br />

von paul SchulZ<br />

Ellen Barkin spielt im neuen Film von Cam Archer („Wild Tigers I have known“) eine<br />

Hollywood-Diva, die sich unbequem zur ruhe setzt. Eine Würdigung.<br />

s „Sollten sie jemals einen Film über mich<br />

drehen, müsste er damit beginnen, wie ein<br />

kleines Mädchen <strong>auf</strong> ein Feuer zu rennt.“<br />

Mit diesem Satz lässt Cam Archer Shit Year<br />

enden, nachdem er ihn 98 Minuten vorher<br />

mit der beschriebenen Szene begonnen hat.<br />

Den Satz sagen darf Ellen Barkin, für die<br />

Archer den Film nicht geschrieben hat, „der<br />

er aber jetzt gehört“, wie er selber meint.<br />

Als Shit Year 2010 in Cannes zum ersten<br />

Mal der breiteren Öffentlichkeit präsentiert<br />

wurde, gab es, wie das bei interessanten<br />

Filmen so ist, Gegner und Befürworter.<br />

Spannend war, dass sie nach Geschlechtern<br />

getrennt waren. „Der Titel sagt’s ja schon,<br />

man muss nur statt ‚YEAR‘ ‚FILM‘ einsetzen,<br />

dann stimmt’s”, tobten die Männer. „Das ist<br />

eine unvergessliche Performance in einem<br />

großartigen Film“, antworteten die Frauen.<br />

Wir <strong>Sissy</strong>s stellen uns, wie das bei interessanten<br />

Filmen so ist, zu den Mädels. Was Frau<br />

Barkin hier abliefert, hat alles, wofür wir sie<br />

schon immer geliebt haben: Sie ist so schön,<br />

wie nur Menschen das sein können, denen<br />

man als Kind gesagt hat, sie seien hässlich, so<br />

selbstironisch, dass man dar<strong>auf</strong> wartet, dass<br />

sie anfängt, aus Spaß aus ein paar Stigmata<br />

zu bluten, und spielt so locker, so genau und<br />

mit solcher Lust, dass man eigentlich nicht<br />

übersehen kann, was für eine große Künstlerin<br />

sie ist. Shit Year ist eine enorme Freude,<br />

weil Cam Archer Barkin dazu benutzt, ein<br />

komplett verkopftes Konzept sanft, aber<br />

bestimmt zu erden.<br />

Der Schwarz-Weiß-Film erzählt ein Jahr<br />

im Leben der fiktiven Hollywood-Diva Colleen<br />

West, in dem sie versucht, sich in einer<br />

Hütte in den Bergen unbequem zur Ruhe zu<br />

setzen. Wie nah diese Figur an Barkin selbst<br />

dran ist und wie sehr es nötig ist, das zu wissen,<br />

um den doppelten Boden des Films zu<br />

erschließen, erkennt man erst, wenn man ein<br />

bisschen was über sie weiß.<br />

Ellen Barkins Karriere verlief nach<br />

einem altbekannten Muster. „Früher lief es<br />

so: Du bekamst eine Rolle mit einer Zeile<br />

Text. Dann eine mit drei Zeilen Text. Dann<br />

durftest du in einer Szene die Kellnerin sein,<br />

die Robert De Niro Kaffee bringt. Die Rollen<br />

wurden von Mal zu Mal größer und besser,<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

bis dich eines Tages dein Agent anrief, um dir<br />

Bescheid zu sagen, dass du jetzt ein Filmstar<br />

bist und du dich artig bei ihm dafür bedankt<br />

hast“, beschreibt die Tochter eines Chemikalienvertreters<br />

und einer Krankenhaus-<br />

Sekretärin aus der Bronx ihren Aufstieg.<br />

Als Barkin 1982 in Barry Levinsons American<br />

Diner ihren Durchbruch hatte, war sie<br />

28. „Zu alt, um mich noch als blondes Dummchen<br />

zu besetzen.“ Nicht dass <strong>auf</strong> diese Idee<br />

je jemand gekommen wäre. Dafür war ihr<br />

Gesicht viel zu eigen und besonders. Eines<br />

ihrer Augen verliert wegen einer Erbkrankheit<br />

dann und wann ohne Vorwarnung so gut<br />

wie alle Sehkraft, was dazu führt, dass sie,<br />

wenn sie keine Brille trägt, oft blinzelt. Das<br />

wirkt <strong>auf</strong> Kinoleinwänden verführerischer<br />

als es gemeint ist. „Aber was Frauen so meinen,<br />

ist den meisten Männern sowieso egal.“<br />

In den dar<strong>auf</strong>folgenden Jahren kultivierte<br />

Barkin vor der Kamera und <strong>auf</strong> der Bühne ihr<br />

Image als „The woman who fucks your brains<br />

back in“, wie ein New Yorker Theaterkritiker<br />

mal schrieb. Auf gut deutsch: „Die Frau, die<br />

dir das Gehirn wieder reinfickt.“ The Big<br />

Easy mit Dennis Quaid, Melodie des Todes<br />

mit Al Pacino, Siesta mit ihrem zukünftigen<br />

Ehemann Gabriel Byrne, Bad Company mit<br />

Laurence Fishburne: Für ein paar Jahre sah<br />

es so aus, als wäre Ellen Barkin nicht nur eine<br />

der besten und erotischsten, sondern auch<br />

eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen<br />

der Welt.<br />

Aber die B-Seiten ihrer „Greatest Hits“<br />

ließen immer vermuten, dass irgendwo in der<br />

professionellen Hollywood-Aktrice noch die<br />

Fünfzehnjährige saß, die aus Rache dafür,<br />

dass ihre Eltern ihr verboten hatten, nach<br />

Woodstock zu fahren, einfach im heimatlichen<br />

Wohnzimmer Acid einwarf. Down by<br />

Law von Jim Jarmush, die Gender/Bender-<br />

Komödie Switch von Blake Edwards, in der<br />

sie das Wort „Mangina“ erfand, oder ihre<br />

grobe Calamity Jane im Neo-Western Wild<br />

Bill mit Jeff Bridges: Sie konnte <strong>auf</strong> Frauen<br />

spielen, die nie die Augen zusammenkneifen<br />

würden, bloß, um Männern zu gefallen.<br />

Das erste Mal, dass sie das ohne Rücksicht<br />

<strong>auf</strong> Verluste praktizierte, war 1999<br />

in der kleinen aber feinen Mockumentary<br />

Gnadenlos schön, in der sie als White-Trash-<br />

Trailerpark-Mutter ihrer von einer jungen<br />

Kirsten Dunst gespielten Tochter dabei hilft,<br />

einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen.<br />

Barkin hat in der zweiten Hälfte des Films<br />

eigentlich nichts weiter zu tun, als schwer<br />

lädiert in einem Rollstuhl zu hocken und als<br />

personifizierter Running-Gag kichernd zu<br />

rauchen. Das tut sie so gut und pointiert, dass<br />

alles neben ihr verblasst.<br />

Seitdem macht sie das, was Frauen zwischen<br />

40 und 60, die nicht Meryl Streep<br />

oder Susan Sarandon sind, in Hollywood tun<br />

können: Sie spielt für Geld in klugen Block-<br />

bustern wie Oceans Thirteen, sucht sich immer wieder intelligente<br />

Fernsehproduktionen aus und macht nebenher gute Indie-Filme wie<br />

2004 Todd Solondz’ Palindrome oder Joel Schumachers Twelve aus<br />

dem letzten Jahr.<br />

Nebenbei fällt sie durch ihr Privatleben <strong>auf</strong>. Nachdem Barkin<br />

und Gabriel Byrne „die harmonischste Hollywood-Scheidung aller<br />

Zeiten“ hinter sich hatten, heiratete sie 2000 den New Yorker Milliardär<br />

Ronald Perelman und ließ ihre Karriere Karriere sein. „Was<br />

ich mir dabei gedacht habe, einen reichen Mann zu heiraten, weiß ich<br />

nicht. Ich war ja eigentlich längst <strong>auf</strong> der Party und brauchte wirklich<br />

niemanden mehr, der mich am Türsteher vorbeilotst“, beschreibt sie<br />

die Ehe im Rückblick. 2006 ließen sich Barkin und Perelman in einer<br />

öffentlichen Schlammschlacht scheiden und sie bekam zwischen 20<br />

und 40 Millionen Dollar. Seitdem rennen ihr jüngere Männer wie<br />

Ralph Fiennes die gut restaurierte Bude ein.<br />

Auf all das nimmt Archer in Shit Year Bezug: In Colleen West<br />

steckt mehr als ein bisschen Ellen Barkin, und wer den Film als semiautobiografische<br />

Hommage lesen will, kann das gut machen. So macht<br />

er auch richtig Spaß.<br />

Zur Ruhe setzen will sich Barkin allerdings nicht. „Ich arbeite<br />

gern und es ist ungeheuer wichtig für mich, etwas zu tun, indem ich<br />

gut bin“, sagt sie selbst. Aber einen Plan für ein mögliches Karriereende<br />

gibt es doch. „Wahrscheinlich ende ich <strong>auf</strong> der Couch, gucke<br />

mir Klassiker im Fernsehen an oder lese ein gutes Buch. So habe ich<br />

mal angefangen und vermutlich wird das auch der Schluss.“ Als Filmszene<br />

sehe das so aus: Eine 80-jährige, Gin trinkende Ellen Barkin, die<br />

liest, während in ihrem Kamin ein wildes Feuer lodert. s<br />

Down By Law<br />

von Jim Jarmusch<br />

US/DE 1986, 107 Min, OmU<br />

Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />

www.arthaus.de<br />

Switch<br />

von Blake Edwards<br />

US 1991, 103 Min, DF<br />

Auf DVD bei Universum,<br />

www.universum.de<br />

Siesta<br />

von Mary Lambert<br />

US 1987, 93 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei KNM Home Entertainment,<br />

www.knm-media.de<br />

Gnadenlos schön<br />

von Michael Patrick Jann<br />

US 1999, 94 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Concorde Video,<br />

www.concorde-home.de<br />

The Big Easy<br />

von Jim McBride<br />

US 1987, 99 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei 3L Film,<br />

www.3l-film.de<br />

Palindrome<br />

von Todd Solondz<br />

US 2004, 100 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Alive,<br />

www.alive-ag.de<br />

22 23<br />

tellerrand<br />

Mehr zum Thema Homophobie<br />

gibt's <strong>auf</strong> www.iwwit.de<br />

„Fast wie im richtigen Leben …“<br />

HINNERK<br />

JETZT IM KINO!


tellerrand<br />

ameRIka alS dIva<br />

von FritZ Göttler<br />

Am 23. März ist Elizabeth rosemond Taylor gestorben, ein Hollywoodstar, der das Attribut sinnlicher Leinwandpräsenz<br />

neu definierte. Eine übergroße, überquellende, überzogene und überfordernde Frau. Wenn<br />

sie als Südstaatengewächs nach queerer Vorlage – als Katze <strong>auf</strong> dem heißen Blechdach, als Freundin eines<br />

schwulen Dichters, als exaltierte Inselherrin, als alternder Filmstar – <strong>auf</strong>trat, trafen zwei Diven <strong>auf</strong>einander.<br />

Eine kleine Hommage.<br />

Flora „<strong>Sissy</strong>“ Goforth (Elizabeth Taylor) und Chris Flanders (Richard Burton) in „Brandung“ (Joseph Losey, 1968)<br />

s Ein Film, der aus der Filmgeschichte herausgefallen ist, Boom von<br />

Joseph Losey, nach Tennessee Williams, von 1968. Der erste Film mit<br />

Elizabeth Taylor und Richard Burton, erinnert sich der Regisseur,<br />

der Geld verloren hat. Eine bombastische Lektion in Öffentlichkeitsarbeit,<br />

das Paar, das in den Sechzigern mit seinen Extravaganzen und<br />

Skandalen für Schlagzeilen gesorgt hatte, gibt nun den Starkult selbst<br />

der Lächerlichkeit preis. Ein Film als Sündenfall. „The best failed art<br />

film ever“, sagt John Waters, der Filmemacher des lustvoll schlechten<br />

Geschmacks, ein Boom-Fan. Auch Anna Wintour, heißt es, würde sich<br />

den Film wieder und wieder anschauen, die eigensinnige Primadonna<br />

von „Vogue“.<br />

Eine Festung gegen den Tod<br />

In Boom übernahmen die Designer das Kommando, der Ausstatter<br />

Richard MacDonald und das Modehaus Tiziani in Rom: Diese<br />

unglaubliche Villa <strong>auf</strong> den Klippen, über der Brandung, so scheußlich<br />

chic, wo Taylor als reiche Amerikanerin die letzten Tage ihres Lebens<br />

verbringt, im Kampf gegen ihre tödliche Krankheit. Ein Raum, der<br />

Weite suggeriert und doch alles abschließt. Schwere schwarze Sitzgarnituren,<br />

dominant in den Räumen verteilt, mysteriöse Embleme<br />

<strong>auf</strong> dem Boden, schlanke Kristallleuchter und Gläser, vom schwarzgekleideten<br />

Personal diskret placiert, die weißen Vorhänge, die an<br />

allen Fenstern hineinwehen. Eine Festung, gegen den Tod wie gegen<br />

das Leben. Taylor ist, in ihren weiten Roben, mit ihren verspielten<br />

Haarkreationen, Teil des Arrangements, ein Accessoire. Goforth ist<br />

ihr Name, Flora <strong>Sissy</strong> Goforth.<br />

In den Sechzigern kam Taylors Karriere voll ins Taumeln. Fünf<br />

Jahre vor Boom macht sie Cleopatra, den Film, der das klassische Studiosystem<br />

noch einmal kräftig ad absurdum führt, zwei Jahre davor<br />

das überdrehte Ehetheater Who’s Afraid Of Virginia Woolf?, das schon<br />

das neue junge amerikanische Kino ankündigt, im Jahr zuvor Reflection<br />

In A Golden Eye, nach dem Roman von Carson McCullers, die<br />

Tennessee Williams die beste und ihm liebste amerikanische Autorin<br />

genannt hatte.<br />

Kann nicht singen, kann nicht tanzen<br />

Vier Filme nach Tennessee Williams hat Elizabeth Taylor gemacht,<br />

sein Ruhm war etwas abgeblättert in den Fünfzigern und Sechzigern,<br />

aber immer noch war sein Theater kraftvoll und vital. Mitte<br />

der Vierziger, als er seine ersten Stücke vorlegte, hatte Taylor eben<br />

KSM<br />

die ersten Filme gedreht, als Kinderstar in Hollywood. Einsamkeit,<br />

Entfremdung, Verachtung – es könnten die gleichen Erfahrungen<br />

gewesen sein, die der Südstaatenautor in New York und das in die<br />

USA verschickte Britenmädel gemacht hatten. „She can’t sing, she<br />

can’t act, she can’t dance, she can’t perform“, war die Studiomeinung.<br />

Ihre Antwort dar<strong>auf</strong>, an die Gesellschaft, an sich selbst: der Wille<br />

zur Dekadenz, zur großen Geste, die die Leere nicht mehr kaschieren<br />

will.<br />

Mit dem Williams-Doppelschlag Ende der Fünfziger – sie macht<br />

hintereinander Cat On A Hot Tin Roof und Suddenly, Last Summer<br />

– hat Taylor sich von ihrer Kinovergangenheit freigemacht, hat sich<br />

abgesetzt von ihrem Studio, der MGM, ist rausgetreten aus dem<br />

Schatten der un<strong>auf</strong>hörlichen Mädchen- und Teenagerrollen, die sie<br />

zum Kinodarling gemacht hatten. In den Jahren danach, <strong>auf</strong> dem Weg<br />

zu Boom, wird sie ihre Divenhaftigkeit akzeptieren. Eine Legende zu<br />

Lebzeiten, eine sleeping beauty.<br />

Sie ist ein Star ohne eigene Jugend, ein Mädchen, das abrupt<br />

erwachsen werden musste. Amerikas verlorene Jugend ist der Süden<br />

des Landes geblieben, die heimliche Heimat, in der auch Taylor sich<br />

heimisch fühlen konnte. Vor Cat hatte sie Giant gemacht, nach Edna<br />

Ferber, mit Rock Hudson und James Dean, als junge Landbarone und<br />

Ölmillionäre von Texas, und Raintree Country, das Bürgerkriegs-<br />

Epos nach dem Roman von Ross Lockridge Jr., mit Montgomery Clift.<br />

Der Süden, der vergessene, verleugnete, verdrängte Teil der amerikanischen<br />

Nation, vom Norden dominiert, von seiner Ökonomie und<br />

seinem rationalen Kalkül. Die feudale Vergangenheit, in der europäisches<br />

Erbe überlebt, verschwenderisch, exzessiv, unbeherrscht und<br />

exzentrisch, aber auch – und besonders bei Tennessee Williams –<br />

ridikül und grausam. Der Süden, das ist Amerika als Diva.<br />

Eis am Knie<br />

Der Süden, das ist Amerika als Exil. Unglaublich, mit welcher Unbedenklichkeit,<br />

mit welchem Mut Taylor als Maggie the Cat das Risiko<br />

<strong>auf</strong> sich nimmt, sich lächerlich zu machen. Der Südstaatenakzent<br />

kommt ganz schamlos und schrill bei ihr, das wirkt sehr befreiend<br />

neben Newman, der sich abquält mit seinen Bemühungen um Authentizität.<br />

Taylor ist seine Frau, die seine Unangepasstheit enerviert, die<br />

ihn motivieren will, seinen Platz in der Familie endlich zu erkämpfen,<br />

zu akzeptieren. (Im Stück ist er schwul – das hat man bei der Hollywoodbearbeitung<br />

sich nicht zu übernehmen getraut.) Ihr erster Auftritt<br />

ist glamourös und wird ihr lustvoll versaut. Sie schaut fabelhaft<br />

aus, wenn sie erstmals im Garten der großen Familienvilla <strong>auf</strong>taucht,<br />

eine weiße Bluse, ein beiger enger Rock, klappernde Armringe. Ihre<br />

porzellanweiße Haut, ihr tiefschwarzes Haar, dazu ein knallroter<br />

Ledergürtel. Ganz großer Fünfziger-Chic, aber dann greift eins der<br />

Kinder, die auch beim Familientreffen dabei sind, tief in den Eiscremetopf<br />

und klatscht ihr böse eine Portion direkt ans Schienbein.<br />

Southern Slapstick, eine Spezialität von Tennessee Williams. Sie ist<br />

reif für einen Kleiderwechsel. Das passiert ihr wahnsinnig oft, dass<br />

ihre Auftritte grotesk vermasselt werden, oft auch von ihr selbst.<br />

Plätze in der Sonne<br />

Ein Jahr später wird das noch eine Windung weitergedreht. In Suddenly,<br />

Last Summer ist Taylors Schönheit noch aggressiver, sie ist wieder<br />

so irre schön wie sie es in A Place In The Sun war – eine Schwarzweißschönheit,<br />

so makellos und hart konturiert. Die Farbe macht sie<br />

immer unberechenbar, das Rouge <strong>auf</strong> den Wangen, das Pink <strong>auf</strong> den<br />

Lippen, die violetten Augen. Tennessee Williams hasste die Hollywoodverfilmung<br />

von Cat, die die Reinheit des Stücks nicht bewahren<br />

konnte, it was jazzed up, hooked up a bit.<br />

Die Schönheit verdankt Suddenly dem Regisseur Joseph L. Mankiewicz,<br />

der einer der Intellektuellen von Hollywood war und ein<br />

„Die Katze <strong>auf</strong> dem heißen Blechdach“ (Richard Brooks, 1958)<br />

Mann, der die Frauen liebte. Im Film paktiert er mit der anderen Frau,<br />

Katharine Hepburn – eine exzentrische Millionärin, mit deren Sohn<br />

Taylor den Sommer über zusammen war an einer spanischen Küste.<br />

Der Sohn ist tot, von mänadischen Jungs zerfleischt. Taylor hat sie in<br />

Erregung gebracht, mit ihrer traumhaften Erscheinung, in weißem<br />

Badeanzug, sexy und unschuldig. Sie ist das Sinnbild dieser archaischen<br />

wilden Erinnerung, sie ist traumatisiert, in einer Anstalt unter<br />

Wilden. Sie soll geopfert werden, damit wieder Frieden herrscht,<br />

soll operiert werden. Eine Lobotomie, die eine große Leere schafft<br />

im Gehirn, hinter ihrem reinen weißen Gesicht. Die Regie ist unerbittlich,<br />

schlingt die Zeiten und die Orte ineinander. „Mankiewicz<br />

war dafür bekannt, dass er seine Darstellerinnen und Frauen gern<br />

wild analysierte oder aber Analytikern zuführte“, schreibt Frieda<br />

Grafe. „So wenig in seinen Filmen Vergangenheit und Gegenwart<br />

sich aus einander dividieren lassen, ist das Verhalten seiner Figuren<br />

geschlechtsspezifisch eindeutig, auch wenn er vorgibt, der Weiblichkeit<br />

der Frauen <strong>auf</strong> der Spur zu sein.“<br />

Natürlich Kabuki<br />

Suddenly, Last Summer lässt Taylor irgendwie versehrt zurück. Sie<br />

akzeptiert, dass sie die Fremde ist, die Andere, die Abartige. So wie<br />

das Tennessee Williams getan hatte ein Jahrzehnt zuvor. Sie nimmt<br />

es <strong>auf</strong> sich, dass ihr nur noch die Performance bleibt, die Selbstdarstellung.<br />

In Sweet Bird Of Youth, inszeniert vom britischen Meister<br />

des Somnambulismus, Nicolas Roeg, ist sie die alternde Filmdiva Alexandra<br />

del Lago, und einmal legt sie vor ihrem jungen Lover-Gigolo<br />

eine hinreißende Frühstückszene hin, sie beißt prätentiös in ihr<br />

Brötchen, verzieht beim Kauen den Mund zur Schnute, leckt mit der<br />

Zunge verführerisch einen Brösel aus dem Mundwinkel. Aus diesem<br />

24 25<br />

tellerrand<br />

WArnEr (2)


tellerrand kino<br />

Szene aus „Brandung“<br />

Brandung (Boom)<br />

von Joseph Losey<br />

US 1968, 139 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei KSM, www.ksmfilm.de<br />

Die Katze <strong>auf</strong> dem<br />

heißen Blechdach<br />

von Richard Brooks<br />

US 1958, 104 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Warner Home Video,<br />

www.warnerbros.de<br />

Mund kommen sogar die etwas platten Sentenzen zu Alter und Jugend, von den Legenden, die<br />

nicht leicht sterben, erstaunlich frisch.<br />

Sweet Bird ist ein bescheidener Versuch, an die Verrücktheit von Boom heranzukommen.<br />

Eine TV-Extravaganza, die keine Scheu hat, orientalische Prachtentfaltung zu versuchen im<br />

puritanischen Amerika. Und Taylors <strong>auf</strong>gedonnerter, synthetischer Stil produziert, <strong>auf</strong> eine<br />

ganz verrückte Weise, eine hinreißende Natürlichkeit.<br />

Als Kabuki-Star hatte sie sich explizit in Boom präsentiert, im japanischen Theater gilt<br />

Ausdruckslosigkeit als die wahre Kunst. Boom war ein Film des künstlerischen Exils, nicht des<br />

inneren, sondern in seiner Outriertheit, seiner Extravaganz, des äußeren. Eine Kunstanstrengung<br />

par excellence, die unweigerlich purer Camp wurde. Noch einmal die große Parole des<br />

filmischen Existentialismus, die man sich zugeraunt hatte in den Fünfzigern und Sechzigern:<br />

Kino, das ist dem Tod bei der Arbeit zuschauen. Cocteau hatte das proklamiert, der das Theater<br />

so provokativ und scharlatanesk anging wie Tennessee Williams.<br />

Hexen im Exil<br />

Boom ist ein Wendepunkt des modernen Kinos, ein echtes starkes 68er-Stück, das wundervoll<br />

hineinpasst in die Sechziger und ihre grandiose Tendenz zur Selbstzerstörung. Alles löst<br />

sich <strong>auf</strong>, alles zersetzt sich. Bedeutung schwindet, die Tiefe des Lebens. Was bleibt ist Performance.<br />

Von draußen hört man die Brandung der <strong>Neu</strong>en Wellen in ganz Europa, die mit dem<br />

Kino <strong>auf</strong> die Straßen gegangen sind.<br />

Boom ist ein Bekenntnis zum filmischen Exil, ein Film der Heimatlosen und Exzentrischen.<br />

Taylor und Burton waren durch ihr Startheater seit Cleopatra Geächtete des Kinobetriebs.<br />

Burton, der im Herzen immer noch von einer Theaterkarriere, von Shakespeare und<br />

Co. träumte, musste sich als Engel des Todes in albern wallende Gewänder hüllen und ein<br />

Schwert unter dem Arm tragen. Joseph Losey, der von den Hexenjägern aus Hollywood vertrieben<br />

worden war, hatte in Europa nie die Projekte finden können, die seiner würdig wären<br />

und ihm seiner Meinung nach zustünden. Elizabeth Taylor bekommt, in ihrer ultimativen<br />

Divenrolle, Konkurrenz von unerwarteter Seite. Die Hexe von Capri kommt zu Besuch, sie<br />

wird – im Stück eine Frauenrolle – verkörpert von Noël Coward. Katharine Hepburn hatte die<br />

Rolle abgelehnt, entrüstet, angewidert, enttäuscht. s<br />

KSM<br />

Spätstarter<br />

von anna Wollner<br />

Mit „The Kids Are All right“ hat Hollywood es im letzten Jahr schon vorgemacht:<br />

homosexuelle Eltern sind im <strong>auf</strong>geklärten und liberalen Amerika kein Problem mehr.<br />

zumindest im Kino. Haben Annette Bening und Julianne Moore als nic und Jules<br />

zum perfekten Familienglück aber noch <strong>auf</strong> einen Samenspender zurückgreifen<br />

müssen, geht regisseur und Illustrator Mike Mills einen Schritt weiter. In „Beginners“<br />

outet sich ein 75-jähriger Mann und verwirrt damit vor allem seinen Sohn. Im Kino ab<br />

9. Juni 2011.<br />

s Es ist das Jahr 2003. Oliver ist ein erfolgloser<br />

Grafiker und Illustrator, den keiner<br />

ernst nimmt. Wie soll er da das Leben ernst<br />

nehmen – vor allem nach dem, was er durchgemacht<br />

hat. Eines Tages sitzt sein 75-jähriger<br />

Vater vor ihm. Ein wenig schüchtern<br />

windet er sich <strong>auf</strong> dem Sofa im Wohnzimmer<br />

und sagt: „Junge, ich bin schwul.“ Mit 75<br />

Jahren und einer über 50 Jahre währenden<br />

Ehe soll der eigene Vater <strong>auf</strong> einmal Männer<br />

lieben. Oliver kann es kaum glauben. Noch<br />

weniger glauben kann und will er, dass sein<br />

Vater nur kurz nach seinem Coming-Out an<br />

Krebs erkrankt. Ihm bleiben noch wenige<br />

Jahre, eigentlich nur Monate, in denen er<br />

seine neu entdeckte Sexualität und das<br />

Leben genießen kann.<br />

Hal – mit Würde und Charme gespielt<br />

von Christopher Plummer – ist mit seinen 75<br />

Jahren genauso <strong>auf</strong>geregt wie ein Teenager:<br />

Alles ist neu, er ist ungeduldig, ein Stück naiv<br />

und anfällig für die neuen Gefühle in einer<br />

(homo)sexuellen Beziehung. Seine Aufregung<br />

und seine fast schon kindliche Entdeckung<br />

einer faszinierenden Welt der Erwachsenen,<br />

die ihm in seiner Ehe verschlossen geblieben<br />

ist, werden auch von der erschütternden Dia-<br />

gnose nicht beeinflusst. Denn Hal hat noch<br />

lange nicht mit dem Leben abgeschlossen.<br />

Die Geschichte von Hal ist genauso die<br />

Geschichte von Oliver. Und die von Regisseur<br />

Mike Mills. Beginners ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung<br />

des Künstlers, erzählt<br />

er doch hier die Geschichte seines eigenen<br />

Vaters. Und verknüpft sie mit einer wunderschönen<br />

Liebesgeschichte: Oliver lernt <strong>auf</strong><br />

einer Party die französische Schauspielerin<br />

Anna kennen. Allein schon der Moment<br />

des Kennenlernens ist ein Absurdum: sie<br />

als Stummfilmschauspielerin und er als Dr.<br />

Freud. Nicht nur eine Liebeserklärung an das<br />

Kino, sondern auch ein Hinweis dar<strong>auf</strong>, dass<br />

Mills hier seine eigene Trauerarbeit leistet.<br />

Die Liebesgeschichte von Oliver und Anna,<br />

die <strong>auf</strong> kein unglaublich kitschig-romantisches<br />

Happy End zusteuert, sondern genauso<br />

ist wie jede Liebesgeschichte mit ihren Aufs<br />

und Abs, ihrem Glück und Unglück – genauso<br />

kompliziert wie das Leben jenseits der Leinwand<br />

– ist der Gegenpol zur Geschichte von<br />

Hal und Oliver, von Vater und Sohn. Das<br />

nonlineare Erzählmuster mit seinen zwei<br />

Handlungssträngen verbindet Mike Mills zu<br />

einem: Durch Hal lernt Oliver Anna lieben<br />

UnIVErSAL<br />

und gleichzeitig versteht Oliver erst durch<br />

die Liebe zu Anna sein besonderes Verhältnis<br />

zu seinem Vater.<br />

Beginners ist eine Auseinandersetzung<br />

mit dem Tod und der Liebe zugleich: Oliver<br />

muss sich mit der Veränderung und dem Tod<br />

seines Vaters befassen und sich gleichzeitig<br />

dar<strong>auf</strong> einlassen, sich selbst zu verlieben. In<br />

einer Phase, in der seine Gefühle besonders<br />

verletzbar sind, gibt er sich Anna preis. Sein<br />

treuer Freund und Begleiter dabei: ein Jack<br />

Russell-Terrier, mit dem er ein ums andere<br />

Mal das Gespräch und tierischen Rat sucht.<br />

Und weil Hunde nun mal nicht sprechen<br />

können, sind die Antworten eben untertitelt.<br />

Nicht nur diese fast schon magischen<br />

Spielereien erinnern an Regiekünstler wie<br />

Michel Gondry und Charlie K<strong>auf</strong>mann. Mike<br />

Mills verleiht seinem Alter Ego Oliver den<br />

Beruf des Illustrators. Immer wieder gibt es<br />

als Unterbrechung künstlerisch verspielte<br />

Elemente wie Zeichnungen und Assoziationsketten,<br />

Momente, in denen Oliver weder<br />

Sohn noch Geliebter ist, sondern einfach nur<br />

ein glücklich unglücklicher Mensch.<br />

Mike Mills’ Beginners ist ein zauberhafter<br />

Film über Anfänge, Umbrüche, Aufbrüche<br />

und Veränderungen. Es ist kein Film über<br />

schwul sein, lesbisch sein oder heterosexuell<br />

sein, sondern vielmehr ein Film über die<br />

emotionalen Risiken einer Liebesgeschichte.<br />

Durch die Mischung aus Fiktion und Autobiographischem<br />

bekommt Beginners eine<br />

angenehme Authentizität, ist nicht <strong>auf</strong>gesetzt<br />

und nicht konstruiert. Ein bisschen verschroben<br />

zwar – aber genau richtig. s<br />

Beginners<br />

von Mike Mills<br />

US 2010, 104 Min, DF<br />

Universal, www.universal-pictures.de<br />

Im Kino ab 9. Juni 2011<br />

26 27


kino<br />

vorhölle<br />

ferienparadies<br />

von chriStoph meyrinG<br />

Eine Clique von Freunden im schwierigen Alter verbringen wie gewohnt die Sommerferien<br />

miteinander, obwohl einer von ihnen nach einem Unfall um sein Leben ringt.<br />

Lügen, Intrigen, Affären und Coming-outs versammelt regisseur Guillaume Canet<br />

in „Kleine wahre Lügen“ zu einem sommerlichen Krisenspektrum, das sich am 7. Juli<br />

auch <strong>auf</strong> die deutschen Kinoleinwände erstrecken wird.<br />

s Die Krisen, die das Weihnachtsfest<br />

häufig in Familienverbänden verursacht,<br />

werden zwischen Liebenden und in Freundescliquen<br />

nicht selten durch gemeinsame<br />

Sommerurlaube in wunderschöner, sonnendurchfluteter<br />

Landschaft ausgelöst. Schlägt<br />

im ersten Fall die monatelang generalstabsmäßig<br />

geplante Atmosphäre von Frieden<br />

und Beschaulichkeit infolge einer brisanten<br />

Mischung aus ungewohnter Zwangsgemeinschaft<br />

mit lange schon tot gewünschten<br />

Verwandten, jahrzehntelang schwelenden<br />

Eltern-Kind-Konflikten – „Du hast mich nie<br />

geliebt!“ –, langweiligem TV-Programm und<br />

unvernünftigem Glühweinkonsum bisweilen<br />

jäh in Schreckenszenarien apokalyptischen<br />

Ausmaßes um – brennende Christbäume<br />

stürzen <strong>auf</strong> schreiende Schwiegermütter,<br />

Aachener Printen mutieren zu gefährlichen<br />

Wurfgeschossen, und bereits gebratene<br />

Gänse lernen plötzlich wieder fliegen –, so<br />

gestalten sich auch die Wochen, die eigentlich<br />

die schönsten des Jahres werden sollten,<br />

oft unverhofft als eine kaum erträgliche Endzeit<br />

zwischenmenschlicher Kontakte. Denn<br />

wer durfte nicht schon aus seinem näheren<br />

Bekanntenkreis einen der folgenden Sätze<br />

vernehmen oder hat einen ähnlichen gar<br />

selbst von sich gegeben: „Der Zelturlaub am<br />

Plattensee hat unserer Beziehung den Rest<br />

gegeben!“, „Nie wieder Mykonos!“, „Lanzarote<br />

mit Mechthild, Jutta und Burghardt<br />

war einfach die Hölle!“, „Am liebsten hätte<br />

ich noch in der Kalahari die Scheidung eingereicht!“,<br />

„Erst <strong>auf</strong> dem Großglockner habe<br />

ich geschnallt, was Timo und Ansgar für<br />

Arschlöcher sind!“ oder „Beinahe hätte ich<br />

Marietta, Niklas und Astrid mitsamt ihrer<br />

dämlichen Kühltasche in den Grand Canyon<br />

geschubst!“. Menschliche Abgründe brechen<br />

eben da <strong>auf</strong>, wo schon ein Knacks vorliegt,<br />

und zwar gerne in All-inclusive-Paradiesen,<br />

wo der Lagerkoller gedeiht.<br />

Mit einem nicht ganz unproblematischen<br />

Ferien<strong>auf</strong>enthalt befasst sich auch Guillaume<br />

Canets tragikomische Ensemble-Komödie<br />

Kleine wahre Lügen (2010), deren Titel<br />

bereits einige unterhaltsame Scharmützel,<br />

Demaskierungen und Selbstentblößungen<br />

erahnen lässt. Ganz jugendlich-t<strong>auf</strong>risch<br />

sind die schon seit einer Ewigkeit miteinander<br />

befreundeten und traditionell gemein-<br />

ToBIS<br />

sam urlaubenden Sommerfrischler inzwischen<br />

nicht mehr: Mittdreißiger eben. Und<br />

da sich die Jugend heutzutage bis ins vierzigste<br />

Lebensjahr ausdehnen kann, trifft <strong>auf</strong><br />

sie ein Satz zu, mit dem sonst genervte Eltern<br />

das sonderbare Verhalten ihres pubertierenden<br />

Nachwuchses zu entschuldigen pflegen:<br />

Sie sind in einem schwierigen Alter. Schwierig<br />

insofern, als man es inzwischen beruflich<br />

zu etwas gebracht haben und <strong>auf</strong> der Beziehungsebene<br />

irgendwo angekommen sein<br />

sollte, am besten im sicheren Hafen von Ehe<br />

und Familie. Trifft das nicht zu, drohen Frustrationen,<br />

die natürlich nicht offen zugegeben<br />

werden, aber subtil das Klima vergiften.<br />

Trifft es zu, können sich ebenfalls Frustrationen<br />

einstellen, da man nun Grund hat, verlorener<br />

jugendlicher Freiheit und Leichtigkeit<br />

nachzutrauern und sich ernsthaft zu fragen,<br />

ob man sich für das Richtige, den Richtigen<br />

oder die Richtige entschieden hat.<br />

Ganz abgesehen davon steht der Ferien<strong>auf</strong>enthalt<br />

im Strandhaus am Cap Ferret, in<br />

das der wohlhabende Restaurantbesitzer<br />

Max (François Cluzet) seinen 15 Jahre jüngeren<br />

Freundeskreis alljährlich großzügig einlädt,<br />

in diesem August unter einem besonders<br />

düsteren Stern. Denn Ludo (Jean Dujardin),<br />

einer von ihnen, ist – wie eine großartige<br />

Plansequenz am Anfang des Films eindrucksvoll<br />

zu sehen gibt – nach einer durchzechten<br />

Diskonacht <strong>auf</strong> seinem Motorrad unsanft mit<br />

einem Kleintransporter zusammengestoßen<br />

und liegt nun lebensgefährlich verletzt <strong>auf</strong><br />

der Intensivstation. Dort versammeln sich<br />

seine alten Freunde auch sofort vollzählig an<br />

seinem Bett, um ihm Trost zu spenden und<br />

Mut zu machen; doch schon wenig später<br />

suchen sie in schöner Eintracht <strong>auf</strong> dem Bürgersteig<br />

vor der Klinik erfolgreich nach Vorwänden<br />

dafür, den bevorstehenden Strandurlaub<br />

trotzdem nicht abzusagen: Ludo ist<br />

hier sicherlich in fachkundigen Händen, und<br />

man könnte ihm ja ohnehin nicht helfen, im<br />

Gegenteil würde man wahrscheinlich den<br />

Heilungsprozess nur stören. Außerdem wird<br />

man sich um ihn gut erholt nach den Ferien,<br />

die man großherzig <strong>auf</strong> zwei Wochen verkürzt,<br />

viel besser kümmern können.<br />

Am sonnigen Gestade des Atlantiks,<br />

wo der Wein besonders mundet, stößt man<br />

dann auch ehrlich besorgt <strong>auf</strong> seine baldige<br />

Genesung an, widmet sich aber ansonsten<br />

scheinbar gut gelaunt vor allem dem dolce far<br />

niente. Dennoch enden die fidelen Wasserski-Nachmittage,<br />

Strandspaziergänge und<br />

gemeinsamen Abendessen häufig im Streit:<br />

Einer neckt einen anderen bis <strong>auf</strong>s Blut, lacht<br />

zu lange über ein bissiges Aperçu oder setzt<br />

noch eines dr<strong>auf</strong>, bis wieder einmal irgendwer<br />

heult oder ausflippt. Das hängt jedoch<br />

nicht nur mit Ludos schwerem Schicksal<br />

zusammen, sondern auch mit den Problemen,<br />

die jeder einzelne mit sich herumträgt<br />

und angestrengt vor den anderen verbirgt: Éric (Gilles Lellouche), ein<br />

zweitklassiger Schauspieler, notorischer Schürzenjäger und die Stimmungskanone<br />

der Clique, ist zum Beispiel bedrückt, weil seine derzeitige<br />

Freundin <strong>auf</strong>grund seiner chronischen Untreue kurzerhand in<br />

Paris geblieben ist. Die bisexuelle Ethnologin Marie (Oscarpreisträgerin<br />

Marion Cotillard) hat zwar unzählige Affären, läuft aber jedes<br />

Mal panisch davon, wenn sich eine Beziehung anzubahnen droht, und<br />

scheint völlig aus der Bahn geworfen, als plötzlich einer ihrer Liebhaber<br />

am Urlaubsort <strong>auf</strong>taucht. Antoine (Laurent Lafitte) hingegen<br />

nervt alle mit seinem ständigen Gejammer über das unglückliche<br />

Scheitern seiner letzten Beziehung und noch mehr damit, dass er<br />

stets das Gegenteil von dem tut, was man ihm zuvor <strong>auf</strong> seine eigene<br />

Aufforderung hin geraten hat. Max’ Ehefrau Véronique (Valérie Bonneton)<br />

übertreibt es ein wenig mit ihrer ständigen Bemutterung der<br />

anderen, vor allem wenn sie wieder einmal über die Vorteile biodynamischer<br />

Ernährung doziert. Isabelle (Pascale Arbillot) wiederum<br />

kompensiert die sexuelle Dürrephase, die momentan innerhalb ihrer<br />

Ehe mit Vincent (Benoît Magimel) herrscht, mit ausgiebigen erotischen<br />

Ausflügen ins Internet. Und warum liegt eigentlich zwischen<br />

dem Chiropraktiker Vincent und Gastgeber Max eine so hässliche<br />

Spannung in der Luft? – Fragen sich alle, die eben nicht wissen, dass<br />

Vincent dem älteren Freund und Patenonkel seiner Kinder bereits<br />

vor der Abfahrt in Paris gestanden hat, dass seine Gefühle für ihn<br />

über das normale Maß einer Männerfreundschaft hinausgehen.<br />

Damit kann Max – den François Cluzet grandios als eine hysterische<br />

Mischung aus Louis de Funès und Nicholas Sarkozy anlegt – offensichtlich<br />

nicht sonderlich gut umgehen: Kaum angekommen, ereifert<br />

er sich darüber, dass der Rasen nicht ordnungsgemäß geschoren<br />

wurde, danach brüllt er grundlos die Kinder an, und dann steigert er<br />

sich so fanatisch in die Jagd nach einem die Hohlräume seines Ferienhauses<br />

illegal bewohnenden, nachtaktiven Nagetier hinein, dass man<br />

meinen könnte, er wolle seinem eigenen inneren Dämon den Garaus<br />

machen. Die Hatz gipfelt schließlich darin, dass er eines Nachts mit<br />

einer Axt die Zimmerwände einzuschlagen beginnt und dabei ein<br />

ähnlich erschreckendes Minimum an Psycho-Gesundheit zur Schau<br />

stellt wie Jack Nicholson in Kubricks Horrorklassiker Shining (1980).<br />

Wenngleich weiterhin auch gelacht und gescherzt wird, folgt so eine<br />

Nervenkrise der anderen, bis sich Paris am Telefon meldet …<br />

Gemeinsam mit einigen der angesagtesten Darsteller des aktuellen<br />

französischen Kinos gelingt es Schauspieler-Regisseur Guillaume<br />

Canet mit seiner dritten Regie-Arbeit – nach Mon Idole (2002) und<br />

dem César-prämierten Thriller Kein Sterbenswort (2006) – dem strapazierten<br />

Begriff der Tragikomödie insofern eindrucksvoll gerecht<br />

zu werden, als man an vielen Stellen nicht mehr weiß, ob man noch<br />

lachen kann oder schon weinen möchte. Der überdies meisterlich<br />

fotografierte und erklärtermaßen an Erfolge wie Lawrence Kasdans<br />

Der große Frust (1983) und Kenneth Branaghs Peter’s Friends (1992)<br />

anknüpfende Film avancierte in Frankreich mit mehr als 5,3 Mio<br />

Besuchern zum zweiterfolgreichsten des Kinojahres 2010 und läuft<br />

hierzulande am 7. Juli an. s<br />

Kleine wahre Lügen<br />

von Guillaume Canet<br />

FR 2010, 154 Min, DF/OmU<br />

Tobis, www.tobis.de<br />

Im Kino ab 7. Juli 2011<br />

Kein Sterbenswort<br />

von Guillaume Canet<br />

FR 2006, 125 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Universum Film,<br />

www.universumfilm.de<br />

Mon Idole<br />

von Guillaume Canet<br />

FR 2002, 110 Min, OF<br />

Auf DVD als Import<br />

28 29<br />

kino<br />

Gute Filme.<br />

<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> DVD!<br />

Überall im Handel und <strong>auf</strong> www.goodmovies.de<br />

9 to 5 – Days in Porn<br />

San Fernando Valley –<br />

das Epizentrum der US-<br />

Unterhaltungsindustrie für<br />

Erwachsene: Was bewegt<br />

Menschen, in der Pornoindustrie<br />

zu arbeiten, wie sieht<br />

ihr Leben aus? Hier kommen<br />

sie selber zu Wort – ein ungeschönter,<br />

authentischer<br />

Blick von innen heraus…<br />

Nina –<br />

Diary of a Porn Star<br />

Nina heißt eigentlich Sofie –<br />

sie ist 23 Jahre alt, hat schon<br />

in 150 Pornofilmen mitgespielt<br />

und will jetzt aussteigen…<br />

Ein sensationeller, ungewöhnlicher<br />

und spannender Einblick<br />

in den Werdegang und<br />

das Leben eines Pornostars.<br />

Sex / Life in L.A.<br />

<strong>Neu</strong>n junge Männer in L.A.:<br />

Alle arbeiten mit ihrem<br />

Körper als größtem Kapital.<br />

Ein anderes, ungewöhnliches<br />

Porträt von Protagonisten<br />

des schwulen Porno-Business,<br />

deren Lebensstil die Grenzen<br />

der amerikanischen Nor-<br />

malität erweitert.


tellerrand<br />

der Wahnsinn,<br />

dieser dietrich<br />

aller herzen!<br />

von Werner Schroeter · auFGeZeichnet von claudia lenSSen<br />

Vor etwas mehr als einem Jahr starb Werner Schroeter. Es<br />

scheint so, als würde man erst jetzt seine Bedeutung, seine<br />

Ausstrahlung, sein Fehlen wahrnehmen. noch kann man Elfi<br />

Mikeschs wunderschönen Dokumentarfilm „Mondo Lux“<br />

in Kinos und <strong>auf</strong> Festivals sehen, und ganz frisch ist Werner<br />

Schroeters Autobiografie „Tage im Dämmer, nächte im<br />

rausch“ im Aufbau Verlag erschienen. Claudia Lenssen, die<br />

ihre atemlos in den letzten Monaten entstandenen Interviews<br />

in bewundernswerter Weise in den rededuktus und die Erzählmagie<br />

Schroeters übersetzt hat, stellte für die SISSY einen<br />

Auszug aus dem Buch zur Verfügung, den wir mit freundlicher<br />

Genehmigung des Aufbau Verlags abdrucken.<br />

s Das Theater ist dem Leben näher, der Film der Eitelkeit. Es ist<br />

doch wunderbar, wenn man einen Film gemacht hat, den man wieder<br />

vorführen kann, so eitel ist nun jeder Künstler. Theater ist das<br />

Flüchtige, das Kino das Manifeste, das Mitnehmbare sozusagen. Das<br />

widerspricht sich keineswegs.<br />

Als ich von Peter Zadek, Jean-Pierre Ponnelle und Ivan Nagel ins<br />

Theater gezogen wurde, habe ich mich nur schwer überzeugen lassen.<br />

Der bürokratische Betrieb war mir unheimlich. Erst mit „Salome“ in<br />

Bochum, wo Peter Zadek Intendant war, fühlte ich mich wohl. Daraus<br />

wurde eine Theaterfamilie, und wie Familien so sind, kommt<br />

man kaum noch heraus. So kam eins zum anderen, fast achtzig Theaterarbeiten<br />

seit 1972. Bei zwei bis vier Monaten Lebenszeit für eine<br />

Produktion kann man ausrechnen, wie viele Monate ich im Theater<br />

verbrachte. Mein Freundin Ingrid Caven prägte ein schönes Bonmot<br />

für unser Leben und unseren dauernden Schwebezustand zwischen<br />

Proben und Vorstellungen: Tage im Dämmer, Nächte im Rausch.<br />

Arbeit ist ein falscher Begriff, mein Leben liegt wirklich darin. Ich<br />

betrachte es als ungeheure Anstrengung an, mich auszudrücken, aber<br />

auch als innere Notwendigkeit. Psychisch strengt mich die Arbeit<br />

FILMGALErIE 451<br />

nicht an, sie macht ungeheure Freude, physisch dagegen sehr. Aber<br />

das ist meine Lebensform. Ich glaube, jeder der nicht lügt, empfindet<br />

sein Leben nur als erfüllt, wenn er mit demselben Stellenwert kreativ<br />

arbeitet, wie er liebt. Die Grenze dazwischen sehe ich nicht. Ich habe<br />

immer nur mit Menschen gelebt, die mit Theater oder Film zu tun<br />

hatten, habe immer nur Schauspieler oder Sänger verführt. Ich habe<br />

die geliebt, die mit diesem Beruf zu tun haben, aber mir unähnliche<br />

andere Persönlichkeiten sind. Ich hätte gar keine Zeit gehabt, mich<br />

woanders umzugucken.<br />

So wie es war, habe ich nicht genug Zeit, mich durchgehend um<br />

Filme zu kümmern, aber ich bereue es nicht. Es kamen immer neue<br />

Leute hinzu, Schauspieler, Mitarbeiter, Freunde und Freundinnen,<br />

wunderbar und begeisternd. So fehlte mir der Film über lange Zeit<br />

gar nicht. Theater beansprucht viel Energie und darin ging ich ganz<br />

<strong>auf</strong>, weil ich meine Idee, dass zwischen Leben und Kunst kein Unterschied<br />

besteht, hier besser verwirklichen konnte. Und umgekehrt hat<br />

es beim Filmemachen geholfen, dass ich die komplexen Konfliktsituationen<br />

aus dem Theater kannte. Es gibt den Film Ich will doch nur, dass<br />

ihr mich liebt von meinem Freund Fassbinder. In diesem Sinn ist der<br />

Versuch, sich in der Kunst auszudrücken, auch immer der Versuch,<br />

geliebt zu werden. Als Primus inter pares ist man bei der Film- und<br />

Theaterarbeit der, der am meisten geliebt werden will, es aber auch<br />

am meisten unmöglich macht. Das gilt für mich und letzten Endes<br />

alle, die die Spielleitung übernehmen. In einer ko-kreativen Gruppe,<br />

wie ich sie nenne, kommt von den mitwirkenden Gestaltern so viel,<br />

dass ich nicht mehr weiß, von wem welcher bildliche, gestalterische<br />

oder schauspielerische Einfall stammt. Es ist eine gemeinsame Kreation,<br />

die aber von diesem Obermotz gesteuert wird, diesem Spielleiter,<br />

der am meisten geliebt werden will.<br />

Kollektiv kann man keine Kunst machen. Das ist etwas anderes<br />

als die Gruppe, die ich meine, und die Herzensfreundschaft mit Magdalena<br />

[Montezuma, —Red.]. Ich wüsste nicht, wie es mit dem Kollektiven<br />

funktionieren sollte, selbst Sozialisten wie Brecht haben es nicht<br />

geschafft. Brecht hat sich zuarbeiten lassen von seinen Frauen, die er<br />

ein bisschen ausgenommen hat. Vielleicht gehört das auch dazu, auch<br />

mir halten meine Freundinnen vor, dass ich meine Gruppe ausgenommen<br />

habe.<br />

Aber das Kollektive, wie soll das gehen? Zusammen mit anderen<br />

Regisseuren? Das könnte ich mir nicht vorstellen. Je eigener jemand<br />

ist, desto schöner kann er doch mit Menschen arbeiten. Bei Peter<br />

Zadek in Bochum war genug Geld da, dass jeder Leute mitbringen<br />

konnte. Fassbinder, Jiri Menzel, Augusto Fernandes, Regisseure von<br />

verschiedenen Nationalitäten, brachten Schauspieler, Bühnenbildner,<br />

Musiker mit. Das war ein sehr kluger Gedanke! Verschiedenheit am<br />

gleichen Ort, ohne Gruppenideologie. Einmal spielte ich bei Augusto<br />

Fernandez in „Atlantis“ mit, ein anderes Mal spielte Magdalena in<br />

Zadeks „Lear“ eine der Töchter.<br />

Magdalena Montezuma konnte sich in Bochum wunderbar entfalten.<br />

Peter Zadek setzte ihr Talent und ihre Intelligenz sehr klug<br />

ein und kümmerte sich überhaupt nicht um die dumme Kritik an<br />

ihrem Dilettantismus, im Gegenteil: Sie war ein traumhafter Geist<br />

von Hamlets Vater im „Hamlet“ und tanzte wie Valeska Gert in „Professor<br />

Unrat“, beides Inszenierungen von Peter Zadek. Die Theaterarbeit<br />

half ihr zu mehr Freiheit, sie lernte andere Regisseure kennen,<br />

die mit ihr arbeiteten. So konnte sie sich von mir emanzipieren und<br />

unser Zusammensein gewann in der Freundschaft.<br />

Wir waren in Bochum fast immer im Theater, außerhalb gab es<br />

so gut wie nichts Unterhaltsames. Peter Zadek hatte im Keller die<br />

Bo-Kneipe eingerichtet, und da trafen wir uns. In seinen Memoiren<br />

schilderte er den Club, der dort zusammenhing, und machte sich über<br />

meine Entourage lustig, „lange, schöne, schlanke Menschen, die langsam<br />

wie eine Sekte durch die Gegend schritten“. War ja klar, dass ich<br />

damals dünn und düster-lustig aussah in meinen schwarzen Lederhosen,<br />

wir unterschieden uns halt von den anderen Gruppen. Da hal-<br />

fen auch die Kaffee-und-Kuchen-Runden bei Traute Eichhorn wenig,<br />

die uns bemutterte und abends die Souffleuse war. Zadek liebte uns,<br />

das spürt man durch den Spott hindurch. Damals hatte er eigentlich<br />

wenig Grund dazu, er war sogar sehr tief gekränkt, als ich mit Roswitha<br />

Hecke, seiner Lebensgefährtin, eine Affäre begann. Roswitha<br />

und Peter Zadek trennten sich und dann war sie die Freundin und<br />

Gefährtin meines Freundes Wolf Wondratschek, der ein schönes Vorwort<br />

zu ihrem Fotobuch „Liebes Leben“ über die schöne Züricher<br />

Nachtgestalt Irene beisteuerte.<br />

Apropos eitle und voyeuristische Intendanten: Klaus Peymann<br />

redet mich mit „Ah, Majestät sind wieder hier!“ an. Das ist nicht boshaft<br />

oder zynisch, womöglich meint er es im pluralis majestatis. Als<br />

ich am Berliner Ensemble die Georg-Kreisler-Ur<strong>auf</strong>führung „Adam<br />

Schaff hat Angst“ mit Tim Fischer inszenierte, geriet ich in eine<br />

furchtbare Krise, weil ich in einen vergeblichen Liebeskampf um Tim<br />

Fischer stürzte. Irgendwann verschwand ich einfach und dar<strong>auf</strong> versuchte<br />

Klaus Peymann bis nachts um drei Uhr, mich zu erreichen. Ob<br />

er helfen könne, er komme sofort vorbei. Ich sagte ihm: „Herr Peymann,<br />

Sie brauchen mir nicht zu helfen. Morgen geht’s besser.“ Er hat<br />

sich ganz loyal gezeigt, ohne es zu merken, vielleicht fand er so einen<br />

Liebesrausch bei einem Schwulen spannend. Das BE ist das einzige<br />

deutsche Theater, das man <strong>auf</strong> der ganzen Welt kennt, das berühmteste<br />

überhaupt. Aber sein Programm ist zu popelig im Vergleich zu<br />

dem, was es haben müsste. Das kann man Klaus Peymann vorwerfen.<br />

Ich persönlich brachte meine Zeit am Theater oft mit klassischen<br />

Frauenstücken zu. Unter Peter Zadeks Intendanz inszenierte ich<br />

in Bochum „Salome“, „Lucrezia Borgia“, „Fräulein Julie“ und „Das<br />

Käthchen von Heilbronn“. Nimmt man „Emilia Galotti“, die erste<br />

Inszenierung im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg 1972 und<br />

„Miss Sarah Sampson“ am Staatstheater Kassel 1977 hinzu, beide von<br />

meinem geliebten Lessing, dann sieht man, dass es eine große Neigung<br />

zu Frauendramen gab.<br />

„Lucrezia Borgia“ war eine von Magdalena Montezumas grandiosesten<br />

Arbeiten. Auch „Fräulein Julie“ war ein Vorschlag von mir,<br />

ebenso „Miss Sara Sampson“, weil ich auch die Vorstufe zu „Emilia<br />

Galotti“ inszenieren wollte, ungekürzt in großem Tempo. Aber dann<br />

dauerte es doch über drei Stunden, weil das Stück ausuferte. Es waren<br />

alles herrliche Sachen, die ich gerne inszenieren wollte: „Das Käthchen<br />

von Heilbronn“ war von mir ausgesucht, auch „Lohengrin“, den<br />

ich 1979 am Staatstheater Kassel inszenierte. Erst als ich anfing, stetig<br />

in Düsseldorf am Schauspielhaus zu arbeiten, schlug der Intendant<br />

Volker Canaris „Doña Rosita“ vor. Man könnte auch „Lohengrin“ als<br />

eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Charakteren<br />

und Persönlichkeitsvoraussetzungen von Frau und Mann ansehen,<br />

wenn z. B. Elsa nicht ertragen kann, das Geheimnis des Anderen zu<br />

wahren. Für mich war die Frau immer das transparente Lebensmodell<br />

in der Theater- und Filmarbeit, obwohl sich das im L<strong>auf</strong> der Zeit<br />

enorm erweitert hat mit „Werther“ von Jules Massenet, „Caligula“<br />

von Albert Camus, Shakespeares „Othello“ und „König Lear“, „Die<br />

Soldaten“ von Jakob Michael Reinhold Lenz, „Don Carlos“ von Friedrich<br />

Schiller und Giuseppe Verdi.<br />

Man kann sich eine schöne Theorie überlegen, warum ich so viele<br />

Frauen inszeniert habe, aber außer der Begründung, dass ich sie in<br />

ihrer gesellschaftlichen Rolle und als Projektionsfläche für meine<br />

Phantasien interessanter fand, kann ich nichts dazu beitragen. Wichtig<br />

war mir, schöne Rollen für Magdalena, Ingrid Caven, Tamara<br />

Kafka, Elisabeth Krejcir, Traute Höss und die vielen anderen Schauspielerinnen<br />

aus meiner Theaterfamilie zu finden.<br />

In Bochum wohnte ich eine Weile bei Tamara Kafka. Sie spielte<br />

das Dienstmädchen Christin in „Fräulein Julie“, war bei „Lucrezia<br />

Borgia“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ dabei, auch in meinem<br />

Film Tag der Idioten und anderen Aufführungen, später war sie Dramaturgin,<br />

Autorin und Regisseurin. Ich erinnere mich, dass sie mir<br />

einmal hundertachtzig D-Mark für eine Bahnfahrt vorstreckte, ziem-<br />

lich viel angesichts ihrer Gage. Dann erbat sie das Geld von meinem<br />

Vater zurück, weil ich es einfach nicht schaffte. Seit „Emilia Galotti“<br />

waren meine Gagen, zumal wenn Bühnenbilder oder Stückbearbeitungen<br />

dazu kamen, von dreitausend <strong>auf</strong> achttausend D-Mark gestiegen.<br />

Für Shakespeares „Wie es euch gefällt“ hätte ich fünfzehntausend<br />

bekommen, aber die Arbeit sagte ich im Todesjahr meiner Mutter ab.<br />

Wie dem auch sei, ich schob immer Schulden vom Filmemachen vor<br />

mir her, das Reiseleben kostete Geld und sparsam war ich noch nie.<br />

Zurück zu „Fräulein Julie“. Diese Aufführung 1977 wurde nach<br />

für uns am bochumer theater war<br />

wichtig, die verlogene einteilung in<br />

ernste kunst und unterhaltung, dieses<br />

seriöse falsche getue, zu attackieren.<br />

Persepolis eingeladen, in die Palast-Metropole von Schah Reza Pahlevi.<br />

Ich lehnte ab, weil ich es damals aus ideologischen Gründen nicht vertreten<br />

konnte. Heute würde ich einer Aufführung zustimmen – unter<br />

Beibehaltung der identischen Inszenierung ohne jede Änderung.<br />

Wie dem auch sei, für uns am Bochumer Theater war wichtig, die<br />

verlogene Einteilung in ernste Kunst und Unterhaltung, dieses seriöse<br />

falsche Getue, zu attackieren. Mit meinen Lessing-Inszenierungen<br />

und Kleists „Käthchen“ ging ich gegen die deutsche Humorlosigkeit<br />

an. Heinrich Kleists Stück war als romantisches Mysterienspiel verkitscht<br />

worden, wir bürsteten es gegen den Strich, um durchscheinen<br />

zu lassen, was wir vermissten. Ich sah das Stück viel wahnsinniger, als<br />

es normalerweise inszeniert wird. Diese Bedingungslosigkeit, mit der<br />

Käthchen dem Mann hinterhertappt! Diese innere Stärke, obwohl er<br />

sie sadistisch quält! Ich legte Kleist so aus, dass es die heimliche Angst<br />

des Autors vor solch einer weiblichen Stärke zum Gegenstand hat.<br />

Ich gestaltete mit Hans Peter Schubert ein wunderschön einfaches<br />

Bühnenbild aus herabhängenden Metallstangen, mit denen wir<br />

Ritterburggemäuer und Landschaft im Sturm phantastisch einfach<br />

zeigen konnten. Magdalenas Kunigunde von Thurneck war so, wie<br />

Kleist sie wirklich dargestellt hatte, eine Puppe, kahlköpfig, nackt,<br />

in einem Chiffon-Gewand, das die Wasserfrau andeutete. Sie war bei<br />

uns keine Undine, eher eine groteske Gestalt. Elisabeth Krejcir zeigte<br />

das Käthchen als ein Opfer des Ritters Wetter von Strahl – dass es sich<br />

quälen lässt, konnten wir ja nicht als Liebe ausgeben. Den Seufzer von<br />

Käthchens Vater, „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen“, nahmen<br />

wir als Motto. Und den <strong>auf</strong>geblasenen Rittern wünschte ich in<br />

einem sarkastischen Beitrag fürs Programmheft „dank ihrer chauvinistischen<br />

Uneinsicht allen mitsamt ein schreckliches Zugrundegehen<br />

in ihren blechernen Spielhöschen.“ s<br />

Auszug aus W. Schroeter: „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“,<br />

Kapitel „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen!“, S. 166–172,<br />

Aufbau Verlag 2011<br />

Mondo Lux – Die Bilderwelten<br />

des Werner Schroeter<br />

von Elfi Mikesch<br />

DE 2011, 97 Min, dt. OF<br />

Filmgalerie 451, www.filmgalerie451.de<br />

Im Kino seit 25. August 2011<br />

Tage im Dämmer, Nächte im Rausch<br />

von Werner Schroeter und Claudia Lenssen<br />

Autobiografie, 408 Seiten, Aufbau Verlag 2011,<br />

www.<strong>auf</strong>bau-verlag.de<br />

30 31<br />

tellerrand


<strong>dvd</strong> <strong>dvd</strong><br />

balaNce<br />

<strong>auf</strong><br />

kIPPeNdem<br />

gRuNd<br />

von michael eckhardt<br />

Gedanken zum Kino von Sébastien Lifshitz anlässlich der DVD-<br />

Veröffentlichung seines Debütfilms „offene Herzen“ („Les<br />

Corps ouverts“).<br />

s Nein, mit dem ganz großen Erfolg wird es wohl nie klappen. Dabei<br />

gehören die Werke des Filmemachers Sébastien Lifshitz zu den besten<br />

des jüngeren europäischen Kinos. Dennoch werden sie von einer<br />

fast verschwindend geringen Minorität überhaupt wahrgenommen.<br />

Zumindest in Deutschland blieb dem Regisseur, Jahrgang 1968, die<br />

große Gefolgschaft aus; einzig sein Film Sommer wie Winter … (Presque<br />

Rien) ließ sich immerhin an 25.000 Zuschauer vermitteln. Das<br />

liegt zehn Jahre zurück, danach drehte Lifshitz den Dokumentarfilm<br />

La Traversée, der gar nicht in den deutschen Kinos lief oder als<br />

DVD erschien, und seinen vielleicht beeindruckendsten Film Wild<br />

Side (2004) sahen gerade mal knapp 400 Leute in den Kinos, trotz<br />

Teddy-Awards <strong>auf</strong> der Berlinale, trotz Gast<strong>auf</strong>tritt von Antony and<br />

the Johnsons, obwohl von geradezu poetischer Qualität. Denn genau<br />

die zeichnet Lifshitz’ Filme aus.<br />

Das Kino eines Sébastien Lifshitz stellt hohe Ansprüche. An sich<br />

selbst, an die Entwicklung seiner Protagonisten, an ein <strong>auf</strong>geschlossenes<br />

Publikum. Lifshitz hat sein Thema gefunden: Meist geht es um<br />

Entwurzelung, das Finden einer Balance, das Klarkommen in instabilen<br />

Familien, Partnerschaften oder Lebensabschnitten. Und instabil<br />

ist in der Phase der Adoleszenz an sich alles: schulisch, beruflich,<br />

persönlich, sexuell. Und so ist die Hauptfigur in Offene Herzen, dem<br />

nun <strong>auf</strong> DVD erscheinenden Erstling von Sébastien Lifshitz, eine wie<br />

viele spätere in seinen Filmen: ein Suchender. Rémi, 18, nordafrikanischer<br />

Abstammung, empfindet Langeweile. Auf dem Gymnasium,<br />

beim Gelegenheitsjob, in der dunklen Wohnung. Da kommt das Casting<br />

bei Marc, dem Regisseur, gerade richtig. Hier kann Rémi kurz<br />

entfliehen: der Monotonie seines Lebens, dem kranken Vater, den er<br />

zwar <strong>auf</strong>richtig liebt, dessen Versehrtheit ihn aber sehr fordert. Beim<br />

Schauspiel zeigt Rémi Talent, da verschwindet kurz die Perspektivlo-<br />

EDITIon SALzGEBEr<br />

sigkeit als ständiger Begleiter. Und der Junge taucht ein<br />

in ganz neue Erfahrungen, auch sexueller Art. Mit Marc<br />

wird er schlafen, dann wieder mit Frauen, und dar<strong>auf</strong>hin<br />

trotzdem neue Männer kennenlernen. Die Straßen von<br />

Paris sind nun sein Spielplatz …<br />

Es ist im Gegensatz zu Sommer wie Winter … oder<br />

Plein Sud, Lifshitz’ bisher letzter Arbeit, nicht nur durch<br />

das nächtliche Paris ein recht düsterer Film geworden.<br />

Weil auch seine Hauptfigur, der die Zuneigung ihres<br />

Schöpfers sicher ist, trotz seiner Jugend abgründiger<br />

angelegt ist: Rémi findet sich in Pornokinos wieder, er<br />

wird die Schule schwänzen, dem eifersüchtigen Marc aus<br />

dem Weg gehen, nach dem nächsten schnellen schwulen<br />

Fick wieder am Esstisch beim sterbenskranken Vater sitzen.<br />

Da irritiert und rührt es an, wenn der ihm mit großer<br />

Zärtlichkeit den Kopf streichelt. Rémi schließlich ist reifer,<br />

aber noch lange nicht angekommen.<br />

Dieses Thema des Ausprobierens, des Suchens, des<br />

Mäanderns, des Bewusstwerdens seiner Herkunft, seiner<br />

Zugehörigkeit – das ist Lifshitz’ Thema. Auch in Wild<br />

Side ist es das.<br />

Und auch hier gab es das poetische Moment, das über<br />

den klaglosen Neorealismus, den das Kino des Franzosen<br />

auszeichnet, schwebt. Hier dient zur Ouvertüre das vibrierende<br />

Falsett von Antony Hegarty, um von einer leidenschaftlichen<br />

Liebe zu einem toten Jungen zu singen.<br />

Dieser Performance wohnt auch die schöne Transsexuelle<br />

Stéphanie bei. Sie verdingt sich als Nutte, lebt mit einem<br />

Russen und dem Stricher Djamel. Eine Art Ersatzfamilie,<br />

die richtige verlor sie in einer Zeit, als sie es endgültig <strong>auf</strong>gab,<br />

Pierre zu sein. Doch sie kehrt noch einmal zu ihren<br />

Wurzeln zurück, da ihre Mutter im Sterben liegt. Auch<br />

hier bestechen die Echtheit atmenden Bilder, das Beobachten<br />

von Außenseitern, das Erzählen vom Zurechtkommen<br />

und der Sehnsucht nach Akzeptanz. Wenn auch<br />

nicht ganz so eindringlich wie bei Sommer wie Winter …<br />

gelang Lifshitz ein einfühlendes Porträt ungewöhnlicher<br />

Leben. In klug fotografierten Bildern, in geschickt montierten<br />

Rückblenden steht Lifshitz für eine Intensität,<br />

die im Kino selten ist. Das löst sein erfolgreichster und<br />

sicherlich auch bester Film eindrucksvoll ein: In Sommer<br />

wie Winter … dachte Mathieu, es sei die Liebe seines<br />

Lebens. Den attraktiven Cédric lernte er während eines<br />

Sommerurlaubs an den endlosen Stränden der Bretagne<br />

kennen. Durch die leidenschaftliche Beziehung fühlte<br />

sich der introvertierte Junge stark genug, sein Coming-<br />

Out zu leben. Im dar<strong>auf</strong>folgenden Winter trennen sich<br />

die beiden, ohne wirklich zu wissen warum. Jetzt geht es<br />

Mathieu richtig scheiße. Er versucht sich umzubringen …<br />

Und hier zeigt sich Lifshitz’ Talent im Schaffen einer<br />

geradezu fühlbaren Authentizität am besten. Ohne die<br />

realitätsfremde Schweinchenrosatüncherei der üblichen<br />

schwulen, meist komödiantischen Luftsprünge erzählt<br />

der Regisseur von der Schwierigkeit, Balance zu halten,<br />

wenn der Boden kippt. Das Ausleben des Hochgefühls und<br />

das verletzte Insichkehren sind ihm weitaus wichtiger,<br />

als durch endlose Dialoge die erste Liebe zu zerquasseln.<br />

Sprachliche Reduktion steht auch für den Erstling Offene<br />

Herzen, es geht ums Suchen und Probieren. Auch wenn<br />

für Rémi das Coming-Out nicht das alleinige Thema ist.<br />

Er ist aber jetzt jemand, der begehrt und begehrt wird,<br />

der Liebe und Zuneigung sucht und zumindest Spielarten<br />

der Liebe und der Körperlichkeit findet. Und mit<br />

dem Verlust des Vaters, mit dem drohenden Zerbrechen<br />

der Familie, gibt es durchaus eine Parallele zu Lifshitz’<br />

letztem Film Plein Sud, wenn auch hier Integration nicht<br />

das Thema und Coming-Out nur das einer Nebenfigur<br />

ist: Plein Sud ist ein faszinierender Mix aus Roadmovie,<br />

Familiendrama und Liebesfilm. Sam musste als Kind<br />

ansehen, wie sich sein Vater beim Streit mit der Mutter<br />

im Auto eine Kugel in den Kopf jagte. Fortan erleben sein<br />

jüngerer Bruder und er, wie Maman zu trinken anfängt<br />

und geradezu schizophren wird. Die Waffe des Vaters hat<br />

Sam behalten, hat sie im Gepäck, als er mit den Trampern<br />

(und Geschwistern) Lea und Mathieu in Richtung Meer<br />

fährt. Mathieu verliebt sich in Sam, dem aber fällt es<br />

schwer, Gefühle zuzulassen. Es gibt wie in Sommer wie<br />

Winter … lichtstarke Szenen am Strand, die Hauptfiguren<br />

sind allesamt hübsch anzusehen, die Nacktszenen sind<br />

wild-romantisch und natürlich, und Lifshitz entflicht<br />

seine Konflikte in gewohnter Subtilität. Und trotz der<br />

krassen Kindheitsgeschichte, des schwierigen Kampfes<br />

ums Liebenkönnen und Liebenlassen kriegt der Film<br />

gerade zum Ende hin etwas Besänftigendes. Vielleicht,<br />

weil er schlussendlich einfach über die Möglichkeit von<br />

Vergebung räsoniert. Plein Sud bleibt ein wenig rätselhaft,<br />

das ist durchaus gewollt so.<br />

Das ist aber ohnehin eine Eigenart des queeren französischen<br />

Films, dieses Aussparen, Lückenlassen – im<br />

Fragmentarischen liegt eben jene unleugbare Poesie. Es<br />

bleibt Deutungsraum. Das tut gut. Darin begründet sich<br />

aber auch die eher zögerliche Aufnahme durch das Publikum.<br />

Man mag es wohl eindeutiger. Ein Erfolgsfilmer<br />

wie François Ozon ist da klarer, wenn auch bei ihm dieses<br />

Augenzwinkern, das Überzeichnen und Pathetische<br />

Methode haben. Ozons Filme oder die seines spanischen<br />

Kollegen Almodóvar sind breiter angelegt. Vielleicht auch,<br />

weil sie emotionaler und dramatisierender sind und meist<br />

von Frauen erzählen. Das tut Lifshitz nicht. Er erzählt<br />

von Männern und auch ein wenig von sich. In Offene Herzen<br />

taugt dafür auch ein Auftritt Lifshitz’ als Sébastien,<br />

der mit Rémi anonymen Sex im Pornokino hat.<br />

Das Zurückbleiben, die Orientierungslosigkeit, die<br />

Einsamkeit sind bei Lifshitz wiederkehrende Motive:<br />

Mathieu wird allein sein, die Transe Stéphanie nach<br />

dem Tod der Mutter letztendlich auch und ebenso Rémi.<br />

Das Leben als Glücksthese interessiert Lif shitz nicht.<br />

Er strebt nicht nach einem Echtheitszertifikat, sondern<br />

erzählt einfach das, was ihn bewegt. Dadurch sind seine<br />

Geschichten „echt“, dadurch wirkt auch Offene Herzen<br />

bisweilen dokumentarisch. Doch um diese Lebensnähe<br />

<strong>auf</strong> Zelluloid zu bannen, braucht es auch die passenden<br />

Gesichter. Deswegen arbeitete Sébastien Lifshitz mit dem<br />

jungenhaften und dennoch virilen Yasmine Belmadi auch<br />

nach Offene Herzen mehrfach zusammen. Dies waren<br />

durch das Charisma Belmadis in starker Erinnerung bleibende<br />

Rollen. Auf ihn wird Sébastien Lifshitz und das<br />

Kino leider verzichten müssen, da er vor zwei Jahren bei<br />

einem blödsinnigen Mopedunfall mit gerade 33 Jahren<br />

verunglückte. Als er sich in voller Fahrt eine Zigarette<br />

anzündete, kam er von der Straße ab und krachte an eine<br />

Laterne. Wenn man das weiß, denkt man sofort an Rémi.<br />

Was weniger mit sentimentalem Kitsch zu tun hat, eher<br />

mit dieser anrührenden, verletzbaren Figur. s<br />

Offene Herzen<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

DE 2010, 105 Min, OmU<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Sommer wie Winter …<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

DE 2010, 100 Min, OmU<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Plein Süd –<br />

Auf dem Weg nach Süden<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

DE 2010, 87 Min, OmU<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Wild Side<br />

von Sébastien Lifshitz<br />

FR/BE 2004, 91 Min, OmU<br />

Auf DVD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

32 33


<strong>dvd</strong><br />

Pro-FUn MEDIA<br />

he-maN<br />

von richard Garay<br />

„Sagat hautnah!“ verspricht der Dokumentarfilm von Pascal roche und Jérôme M.<br />

oliveira über Model, Darsteller, Künstler und Undergroundsexsymbol François Sagat. Ein<br />

frommer Wunsch. Auch nur ein vorläufiges resümee zu ziehen, wie es das am 16.6. <strong>auf</strong><br />

DVD erscheinende Sagat-Material vorgibt, ist, ganz in seinem Sinne, hoffnungslos.<br />

s Joe Dallesandro versteht ja bis heute nicht, warum ihn alle so toll finden. Er war halt jung,<br />

nackt und im Film und freute sich, dass man ihm dafür und überhaupt Komplimente machte.<br />

(Die konnte er gut gebrauchen als Heimkind, runaway child, Jugendstraftäter.) Aber eine<br />

Ikone? Ein Sexsymbol?<br />

François Sagat ist über sein Ikonendasein bestens im Bilde. Auch wenn er sich mittlerweile<br />

ein Privatleben wünscht, das zurückgezogen, hinter großen Mauern, mit Freund und Familie<br />

stattfinden sollte, beherrscht er das Spiel der Zurschaustellung perfekt.<br />

Der jungenhafte, natürliche, entspannte Little Joe und der steroidale, hypermaskuline<br />

Titan Sagat? Der Vergleich ist nur <strong>auf</strong> den ersten Blick irritierend. Beide haben in der Erwachsenenunterhaltung<br />

angefangen, der eine als Physique-Pictorial-Modell, der andere als unechter<br />

„Citébeur“ (das Arabische ist bei Sagat völlig fiktiv), sind schließlich zu Underground-Sexsymbolen<br />

geworden und dann noch zu Helden des Arthauskinos. Bis zu Rivette führt der Weg<br />

des einen, zu Honoré der des anderen. (Auch die Zwischenstationen sind vergleichbar, denn<br />

Bruce LaBruce kann man ja tatsächlich den Paul Morissey unserer Zeit nennen.) Da wurde<br />

aus Ikonen noch mal ein eigenes Süppchen gekocht, den Auf-ihren-Körper-Reduzierten Freiräume<br />

eröffnet und von deren Hipness für sich selbst ein wenig Glanz abgestaubt. Sagats<br />

Toupet-Tattoo ist seine Trademark; Dallesandros berühmtes „Little Joe“-Tattoo gibt’s mittlerweile<br />

<strong>auf</strong> T-Shirts.<br />

Und doch – jedes Sexsymbol hat seine Zeit. Und da ist Sagat gerade ein ziemlich spannendes<br />

Beispiel. Wenn sein Körper eine Geschichte erzählt, dann ist es die einer allumfassenden<br />

Selbsterschaffung, durchaus als Rache für die Stigmen, die er in seiner Heimatkleinstadt Cognac<br />

als schwuler, tuntiger Teenie erfahren musste. Da hat eine Verwandlung stattgefunden,<br />

mithilfe von Steroiden, Sex und Undergroundregisseuren. Letztere erzählen von Disziplin und<br />

Intelligenz, Psychologen von Geschlechterrollenübertreibung und -inszenierung (Marilyns<br />

Titten = Sagats Arsch) und Pornofilmproduzenten von Klassik und Exotik. Was Sagat dazu<br />

selbst erzählt, ist viel spannender und lässt sein Bild noch mal ganz anders schillern: Tatsächlich<br />

bezeichnet er sich als Transsexuellen, der nach seiner <strong>Sissy</strong>-Jugend zwei Optionen gehabt<br />

hätte: endweder eine „richtige Frau“ oder ein „richtiger Mann“ zu werden. Letzteres war sein<br />

Weg und wurde mit allen nur greifbaren Hilfsmitteln erreicht. Am Ende kann er es als eigene<br />

Leistung erklären, das Objekt der Begierde anderer zu sein.<br />

Joe Dallesandro sollte immer so aussehen, als sei ihm seine Schönheit gar nicht bewusst.<br />

François Sagat muss beim Modellieren seines Körpers seinen Bewunderern und Inszenierern<br />

immer einen Schritt voraus sein, ein <strong>auf</strong> ewig mit sich selbst beschäftigter „Megalomaniac“<br />

(Sagat). Und das weiß er alles und deshalb wird ihm auch kein Dokumentarfilm nahe kommen.<br />

Ein weithin sichtbares Rätsel zu bleiben, darum geht’s. s<br />

Sagat<br />

von Pascal Roche und Jérôme M. Oliveira<br />

FR 2011, 120 Min, OmU<br />

Auf DVD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

34 35<br />

<strong>dvd</strong>


nachruf<br />

„Der Fremde im Zug“ (Alfred Hitchcock, 1951)<br />

SchöNeR<br />

SchWächlINg<br />

von Jan künemund<br />

Am 27. März verstarb der Hollywood-Schauspieler Farley Granger. Sein Leben und seine<br />

Filme sind fester Bestandteil der queeren Filmgeschichte. Eine kleine Hommage.<br />

And the road was like a ribbon and the moon was like a bone<br />

He didn’t seem to be like any guy she’d ever known<br />

He kind of looked like Farley Granger with his hair slicked back<br />

She says I’m a sucker for a fella in a cowboy hat<br />

(Tom Waits, „Burma Shave“)<br />

36<br />

SCrEEnSHoT<br />

s Ein eigenartiges Gesicht. Kaum etwas<br />

passt da zusammen: der markante, etwas<br />

grobe Unterkiefer nicht zu den edlen hohen<br />

Wangenknochen, die hohe Stirn nicht zu den<br />

weichen Locken, das römische Profil nicht<br />

zum dunklen Typ, die empfindsamen Augen<br />

nicht zur großen, unperfekten Nase. Selbst<br />

Ober- und Unterlippe erzählen verschiedene<br />

Geschichten, die eine ist schmal, wirkt steif,<br />

die andere ist voll und sinnlich. Ein Gesicht,<br />

das in Groß<strong>auf</strong>nahmen einzufangen für<br />

Regisseure gefährlich ist, denn man gerät bei<br />

der Betrachtung ins Lesen, hört den Dialogen<br />

nicht mehr zu und verliert die Geschichte aus<br />

den Augen. Trotzdem sind einige Kameras in<br />

Groß<strong>auf</strong>nahmen an ihm hängen geblieben,<br />

konnten sich nicht sattsehen. Andere gingen<br />

wohlweislich <strong>auf</strong> Abstand, betrachteten Farley<br />

Ganger von weitem, eine äußerst athletische<br />

Figur, ein Tänzer, für Hollywoodmännernormen<br />

zu dünn. Sollte dieser Körper<br />

eine Funktion erfüllen und keine Geschichte<br />

erzählen, wurde er zum Anzug- und Uniformträger<br />

oder zum Tennisspieler. „Es ist<br />

absurd, dass Sie ein Offizier sind!“, sagte die<br />

verliebte Dame in Senso zu ihm. Er antwortet:<br />

„Wir sind Offiziere, weil uns die Uniformen<br />

so gut stehen“.<br />

Farley Granger (bürgerlich: Farley Granger)<br />

ist durch wenigstens vier Hauptrollen<br />

in die Filmgeschichte eingegangen: Er war<br />

Bowie The Kid in They Live By Night (Nicholas<br />

Ray, 1947/49), schwuler Mordkomplize<br />

Philipp Morgan in Rope (Alfred Hitchcock,<br />

1948), Tennisprofi Guy Haines in Strangers<br />

On A Train (auch Hitchcock, 1951) und Offizier<br />

Franz Mahler in Senso (Luchino Visconti,<br />

1954). Ein Kind wohlhabender, durch<br />

den Börsenkrach von 1929 völlig verarmter<br />

Eltern, die es in den 1930ern nach Hollywood<br />

zog, wo Farley Theaterspielen und Stepptanzen<br />

lernte und den Scouts von Samuel<br />

Goldwyn <strong>auf</strong>fiel, dessen beste Zeit vorbei<br />

war und der kläglich darin versagte, aus<br />

Granger – wie angekündigt – einen Star zu<br />

machen. Dass er dennoch diese vier berühmten<br />

Rollen bekam, verdankte er gleich mehreren<br />

queeren Interessen. Auf einer Party<br />

wurde er von Nicholas Ray angemacht und<br />

später besetzt, er befriedigte Hitchcocks<br />

Sehnsucht nach sexuell ambivalenten Schauspielern<br />

und begründete bei Visconti die<br />

Linie männlicher Diven (vor Alain Delon<br />

und Helmut Berger). Dass Granger seit seiner<br />

Navy-Zeit mit Männern schlief, hat damit<br />

natürlich zu tun – er war Teil einer queeren<br />

Subkultur des Filmgeschäfts zu einer Zeit, in<br />

der nichts dergleichen in den Hayes-Codeifizierten<br />

Filmen nach außen dringen durfte.<br />

Wie viele andere Stars war Granger offiziell<br />

hetero, laut spätem Geständnis „bisexuell“<br />

(wie Nicholas Ray, wie Joseph Losey, wie Sal<br />

Mineo), war gerngesehener Divenbegleiter<br />

(Ava Gardner, Rita Hayworth) und hatte die<br />

üblichen schwulen Star-Affären dieser Zeit mit Leonard Bernstein,<br />

Arthur Laurents und Jean Marais.<br />

Was aber erzählen das Gesicht und der Körper von Farley Granger,<br />

von Ray, Hitchcock und Visconti inszeniert, davon? Was bringt<br />

seit jeher schwule Filmfans dazu (und der Autor bekennt sich schuldig),<br />

sich in dieses Gesicht und diesen Körper zu verlieben, lange<br />

bevor man weiß, dass er „auch so“ war?<br />

Es gibt ein klassisches Rollenprofil für Farley Granger: den Jungen<br />

mit Problemen. Und es gibt einen Trademark-Farley-Granger-<br />

Gesichtsausdruck: die hervortretende Verhärtung <strong>auf</strong> der Stirn, die<br />

tiefe Falte oberhalb der Nasenwurzel, die vor Angst geweiteten Augen,<br />

der halb offen stehende Mund, der hervorgereckte Unterkiefer. Ein<br />

Ausdruck der Panik, der von Gefühlen überspülten Kontrolle, der Entäußerung.<br />

Kein männlicher Hollywooddarsteller der späten 1940er<br />

und frühen 1950er hat sich seine Empfindungen, sein Schwachwerden<br />

derartig ansehen lassen. Ein hübscher Junge, der die Fassung verliert<br />

– kein Männlichkeitsideal der Nachkriegszeit. „A handsome man, but<br />

there is a slight air of weakness about him“, fand Filmwissenschaftler<br />

Robert Osborne – attraktiv, aber ein Schwächling. In Rope spielt er<br />

den schwachen Part des schwulen Killerpaares nahe an der männlichen<br />

Hysterie, als empfindsamen Pianisten, der (so der Partytalk) <strong>auf</strong><br />

dem Land eigenhändig Hühnern den Hals umdreht, in einem perfekt<br />

sitzenden, je nach Abtastung des 1948er Technicolor-Materials grau<br />

oder bräunlich schimmernden Anzug, der vor Gewissensbissen von<br />

Einstellung zu Einstellung mehr durchdreht. Für Hitchcock natürlich<br />

ein wunderbar perverser Typ, aber wie Granger ihn spielt, als<br />

Galerie verzweifelter Blicke, wie er Halt sucht im Spiel eines Klavierstücks,<br />

das bezeichnenderweise „Perpetuum Mobile“ heißt, wie ihm<br />

vor Schreck das Cocktailglas in der Hand zerbricht und wie ihm zwischen<br />

zwei der nur neun Schnitte in diesem Film eine Locke aus der<br />

akkurat gebändigten Frisur in die Stirn fällt – das ist ein Glanzstück<br />

männlichen Schwachwerdens, für das andere später method acting<br />

brauchten. „Schwach Sein ist ein Fehler!“, sagt sein Liebhaber im<br />

Film. Zu schwach für diesen Film waren Montgomery Clift und Cary<br />

Grant, die Grangers Mitspieler sein sollten, aber aus Outing-Angst<br />

ablehnten. Fand auch Arthur Laurents, Grangers damalige Affäre,<br />

der das Drehbuch zu Hitchcocks schwulem Kindergeburtstag (es fällt<br />

darin der böse Satz, der Tote hätte „leben und lieben können“ wie die<br />

beiden Schwulen es niemals gekonnt hätten) schrieb und der – laut<br />

Celluloid Closet – keine <strong>Sissy</strong>s mochte.<br />

Fand wohl auch Luchino Visconti, der mit ähnlich kaltem Blick<br />

Granger als Schwächling inszenierte – als Aas, der Frauen verführt,<br />

weil er das Gefecht mit Männern scheut, der ihr Geld (das dringend<br />

zur Unterstützung des italienischen Widerstands gegen die österreichischen<br />

Besatzer gebraucht wurde) für die Bestechung eines Arztes<br />

erschleicht, der ihn kriegsuntauglich schreibt. Viscontis Empathie<br />

hat in Senso die Frau, die sich demütigen lässt, weil sie ihren Gefühlen<br />

folgt. Blind ist sie für den sexy Körper des italienischen Helden,<br />

gespielt vom virilen Massimo Girotti (Viscontis Lieblingsschauspieler,<br />

solange er volksnahe Filme drehen wollte). Empfänglich dagegen<br />

ist sie für den blasierten, überfeinerten Granger-Körper, nach<br />

dem Uniform-Strip im Baumwollunterhemd, später sogar unrasiert.<br />

Ein Feigling, der ausgerechnet den Italienern vorwirft, Kriege mit<br />

„Blumen und Mandolinen“ zu führen und der folgerichtig von einem<br />

lächerlichen Aufmarsch schicker österreichischer Uniformen exekutiert<br />

wird.<br />

Man hätte Granger wohl davon abraten müssen, seine Talente zur<br />

Darstellung männlicher Schwäche darin zu investieren, Feiglinge<br />

und Perverse zu verkörpern. Ansonsten konnte man aber wenig mit<br />

ihm anfangen (Sal Mineo ging es kurze Zeit später ähnlich). Er ging<br />

zurück zum Broadway, später zum Fernsehen, behielt seine Würde<br />

und veröffentlichte schließlich, gemeinsam mit seinem langjährigen<br />

Partner Robert Calhoun, seine vielbeachteten Memoiren („Include<br />

Me Out“).<br />

Was aber an Potential in diesem Schauspieler, diesem Körper<br />

und diesem Gesicht steckte, wurde ganz am Anfang seiner Karriere<br />

deutlich. In They Live By Night war er zwar auch der Junge mit<br />

Problemen – er durfte aber auch schön sein in seiner Schwäche und<br />

gefühlvoll in seiner Schönheit. Er ist Bowie, mit sechzehn des Mordes<br />

angeklagt, der mit zwei anderen sieben Jahre später aus dem<br />

Gefängnis ausbricht und Banken ausraubt. Bowie, der Junge, der nie<br />

gelernt hat, mit Frauen zu sprechen, trifft Keechie, ein Mädchen, das<br />

in ihrer kriminellen Sippe noch keinen gefühlvollen Jungen kennengelernt<br />

hat. Keechie wurde <strong>auf</strong> Grangers ausdrücklichen Wunsch von<br />

Cathy O’Donnell gespielt, einer weiteren hoffnungslosen Samuel-<br />

Goldwyn-Verpflichtung, die in kein Darstellerprofil passte. Nicholas<br />

Ray inszeniert dieses Paar <strong>auf</strong> seiner kurzen Flucht, in seinem kurzen<br />

Glück, mit einem völlig verliebten Blick. Sie fast ungeschminkt,<br />

im Trenchcoat, mit emanzipierter Zurückhaltung, eine Frau, die sich<br />

nichts aus Geld macht – er ein scheues Reh, verletzt, verletzlich, oft<br />

nur halb bekleidet, voller Angst. Beide haben keine Übung im Küssen<br />

und im Tanzen, sie schenken sich Uhren und eine kurze gute Zeit,<br />

heiraten für 20 Dollar und haben überhaupt keine Chance. „Ich bin<br />

ein schwarzes Schaf“, sagt Bowie. „Das einzige, was an dir schwarz<br />

ist, sind deine Wimpern“, antwortet Keechie.<br />

Dass Nicholas Ray ein Regisseur war, der die Schwäche seiner<br />

Figuren liebte und ernst nahm, muss man heute niemandem mehr<br />

erzählen, der weiß, dass er wenig später mit James Dean und Sal Mineo<br />

in Rebel Without A Cause ein neues Männerbild popularisiert hat. Zu<br />

dieser Zeit erfror Farley Granger gerade unter dem Schwulen-Selbsthass-Blick<br />

von Visconti. Method Acting kam Granger unprofessionell<br />

vor. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort schwach geworden.<br />

s<br />

Der Fremde im Zug<br />

von Alfred Hitchcock<br />

US 1951, 93 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Warner Home<br />

Video, www.warnerbros.de<br />

Im Schatten der Nacht<br />

von Nicholas Ray<br />

US 1949, 92 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />

www.arthaus.de<br />

Cocktail für eine Leiche<br />

von Alfred Hitchcock<br />

US 1948, 80 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Universal,<br />

www.uphe.de<br />

Include Me Out<br />

von Farley Granger und Robert Calhoun<br />

Autobiografie, 288 Seiten (TB), Griffin.<br />

Als Import.<br />

nachruf<br />

Sehnsucht<br />

von Luchino Viscont<br />

IT 1954, 117 Min, DF/OmU<br />

Auf DVD bei Arthaus Kinowelt,<br />

www.arthaus.de<br />

37


film-flirt<br />

der moment<br />

SchriftSteller Sehen filme: Simon froehling<br />

Sein romandebüt „Lange nächte Tag“ war 2010 eine kleine<br />

Sensation <strong>auf</strong> dem Buchmarkt. Vorher war der australischschweizerische<br />

Doppelstaatsbürger und Wahl-züricher Simon<br />

Froehling schon als Autor preisgekrönter Theaterstücke bekannt<br />

geworden. Für die SISSY und für André Téchinés Film „Wilde<br />

Herzen“ hat er für einen Moment seine Angst, über Filme zu<br />

schreiben, besiegt.<br />

s Ich schreibe nicht gerne über Filme. Es ist das Jahr 1997, und ich<br />

soll für mein Nebenfach eine Arbeit über Rainer Werner Fassbinder<br />

verfassen. 15.000 Wörter. Ich studiere an der University of Queensland<br />

in Australien, wohin ich mit achtzehn aus der mittelständischen<br />

Schweizer Enge und vor meinem Coming-Out geflüchtet war.<br />

In Brisbane behaupte ich eine studentische Bohème, die beinhaltet,<br />

in Groß-WGs unten am Fluss zu wohnen, Fächer wie Filmwissenschaften<br />

zu belegen und vehement für oder gegen etwas zu sein –<br />

sowie jeden Freitagabend ins Schonell Theatre zu gehen, damals das<br />

einzige Kino der Stadt, das europäische Autorenfilme zeigt.<br />

Als ich Wilde Herzen (Les Roseaux Sauvages) von André Téchiné<br />

zum ersten Mal sehe, im Beisein meiner Bezugsgruppe, beherrsche<br />

ich mich. Aber in der Matinee am folgenden Tag heule ich<br />

ohne Scham los. Ich weiß, dass ich mich sowohl in den Bauernsohn<br />

Serge, verkörpert vom göttlichen Stéphane Rideau, als auch<br />

in den Bücherwurm François, gespielt vom engelhaften Gaël Morel,<br />

verliebt habe, will aber mit jeder Faser meines Seins der Ideologin<br />

Maïté verfallen sein – den Brüsten, den Lippen, der hohen Stirn von<br />

Elodie Bouchez.<br />

Schnitt ins Jahr 2011. Wochenlang klicke ich mich <strong>auf</strong> meinem Laptop<br />

durch die Nachrichten zu den Aufständen in Nordafrika und dem<br />

Nahen Osten: Tunesien, Ägypten, wo ich nach meiner Australienzeit<br />

eine Weile lang lebte, Algerien … Gerade als die Protestwelle Syrien<br />

erreicht, verbringen mein Freund und ich ein verlängertes Wochenende<br />

im malerischen Appenzellerland. Les Roseaux Sauvages sei der<br />

erste schwule Film, den ich je sah, sage ich, als ich die DVD spätabends<br />

ins L<strong>auf</strong>werk ebendieses Laptops schiebe. Ich erschrecke<br />

noch im Sprechen ob der Behauptung, ein einziger Film hätte meine<br />

persönliche sexuelle Revolution ausgelöst. Meine Liebe zum französischen<br />

Kino ja, aber –<br />

SCrEEnSHoT<br />

Was in meiner Erinnerung hängen geblieben war: Serge und François<br />

beim gemeinsamen Masturbieren; Serge und François beim Herumtollen<br />

<strong>auf</strong> den Ufersteinen der Garonne, ihre nassen weißen Unterhosen<br />

an ihren Lenden klebend; François, wie er sich während einer<br />

Motorradfahrt an Serges Rücken schmiegt; das erotische Knistern,<br />

das auch von Maïté ausgeht; der Wunsch, die beiden Jungs mögen<br />

sich finden; das Schmutzgefühl darüber, dem Mädchen ihr eigenes<br />

Glück – sprich ihre Liebe zu François – nicht gönnen zu wollen.<br />

Schnitt in den Sommer des Jahres 1962. Der von Frankreich <strong>auf</strong><br />

äußerst grausame Weise geführte Unabhängigkeitskrieg Algeriens<br />

geht seinem Ende zu. François, Serge und Maïté bereiten sich <strong>auf</strong>s<br />

Abitur vor und ringen mit ihren sexuellen und schulischen Problemen<br />

sowie der komplexen politischen Situation. In der Anlage also<br />

ein klassischer Coming-of-Age-Film. Auftritt Henri, ein <strong>auf</strong>sässiger<br />

Algerienfranzose, dessen Vater im Gefecht gestorben ist, und der<br />

alle angelegten Konflikte zwischen den Figuren zu verschärfen weiß<br />

– und den ich komplett ausgeblendet hatte. Wie auch die Kriegsgeschichte.<br />

Also doch eine politische Allegorie? Eine Charakterstudie von<br />

vier Individuen, gefangen in einem Liebesviereck? Eine Ode an die<br />

Freundschaft?<br />

André Téchiné drehte die ursprüngliche, einstündige Version<br />

für eine „Arte“-Reihe, nachdem der Sender verschiedene Regisseure<br />

gebeten hatte, Filme über die Zeit ihrer Jugend einzureichen.<br />

Die Zeitschrift „Film-Dienst“ feierte die Kinoversion von 1993, die<br />

mit einer Vielzahl der französischen Filmpreise César ausgezeichnet<br />

wurde, als ein „autobiografisch-authentisches Zeit-, Milieu- und<br />

Generationenporträt, das sich jeder Sentimentalität enthält“.<br />

Mich selber hatte Les Roseaux Sauvages bei der ersten Sichtung<br />

überfordert, bei der zweiten erschüttert und beim dritten Mal<br />

verstand ich ihn unter anderem als eindrückliche Hintergrundgeschichte<br />

für die gegenwärtigen arabischen Aufstände – Nachwehen<br />

der europäischen Kolonialgeschichte.<br />

Vielleicht sträube ich mich dagegen, diesen eindringlichen, intensiven<br />

und vielschichtigen (sowie gleichzeitig erfolgreichsten) Film<br />

von Téchiné zu sezieren und in Schubladen zu pressen, weil die herausragenden<br />

Kunstwerke jene sind, in denen man ein Leben lang<br />

immer wieder etwas <strong>Neu</strong>es sehen kann.<br />

Weshalb ich die Arbeit zu Fassbinder damals nicht gepackt habe,<br />

kann ich mir bis heute nicht wirklich erklären. Mein Nebenfach<br />

schloss ich in jenem Semester <strong>auf</strong> jeden Fall nicht ab. Aber meine<br />

Angst, über Filme zu schreiben, soll mit diesem Text als überwunden<br />

gelten. Danke SISSY. s<br />

Les Roseaux Sauvages<br />

von André Téchiné<br />

FR 1994, 110 Min, OF<br />

Auf DVD als Import<br />

Lange Nächte Tag<br />

von Simon Froehling<br />

Roman, 196 Seiten, Bilgerverlag 2010,<br />

www.bilgerverlag.ch<br />

<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> <strong>dvd</strong><br />

von paul SchulZ (paSch), maike SchultZ (mS), manuel Schubert (Schub), chriStoph meyrinG (cm) und Jan künemund (Jk)<br />

BEAUTIFUL THING<br />

UK 1996, regie: Hettie MacDonald, Edition Salzgeber<br />

Jamie und Ste, zwei Nachbarjungs<br />

aus einer englischen<br />

Hochhaussiedlung,<br />

verlieben sich und werden<br />

zu den Hauptfiguren<br />

eines der schönsten Coming-Out-Filme<br />

aller<br />

Zeiten. „Zuvor aber noch<br />

dieses unvergessliche<br />

Schlussbild, mit dem sich Beautiful Thing in<br />

die Filmgeschichte einschreibt. ‚Komm, tanz<br />

mit mir‘, sagt Jamie nach all dem durchlittenen<br />

Kummer mit der Selbstannahme, und als<br />

sein Liebster im Hof vor aller Augen der Aufforderung<br />

folgt, betreten wir das Reich Utopia,<br />

ohne das niemand wirklich menschenwürdig<br />

leben kann. Dieses Schlussbild ist ein<br />

großes Gleichnis. Wer davon nicht berührt<br />

wird, dem hat sein Leben noch keinen Mut abverlangt,<br />

zum Beispiel den Mut, draußen die<br />

Hand des anderen nicht loszulassen, oder den<br />

Mut, sich zu küssen, <strong>auf</strong> einer belebten Straße<br />

und bitte nicht bloß zu Karneval. Selbst wer<br />

die Verfolgung des Andersartigen in der Ära<br />

Westerwelle & Wowereit für überwunden erklärt,<br />

weil ihm das Opfer-Gebarme unsexy<br />

scheint, wird still für sich einsehen, wie zielsicher<br />

diese einfache Szene der beiden eng umarmt<br />

tanzenden Jungs in das Herz unserer<br />

gemeinsamen Erfahrung vordringt. Denn die<br />

Kinder sind, noch immer, in Gefahr.“ (Michael<br />

Sollorz in SISSY 4/10)<br />

ICH KANN NICHT SCHLAFEN<br />

Fr 1993, regie: Claire Denis, Edition Salzgeber<br />

„Hauptfigur ist ein schwuler<br />

Serienkiller, das war<br />

Mitte der 90er, als man<br />

die positiven, identitätsstiftenden<br />

Szenebilder<br />

satt hatte, durchaus nicht<br />

selten. Doch wie diese Figur<br />

eingewebt ist in eine<br />

Stadt und wie sie darin<br />

zum Tanzen gebracht wird, ist nach wie vor<br />

ziemlich einzigartig. Erotisch sind die Filme<br />

von Claire Denis immer, weil sie an den Körpern<br />

hängen und sich mitbewegen. Zum einzigen<br />

Mal bislang zeigt sie hier dezidiert schwule<br />

Erotik – obwohl sie auch einen der schönsten<br />

Filme über einen pubertierenden Jungen (Nénette<br />

et Bonie) und den vielleicht schärfsten<br />

Film über eine Männergruppe (Beau Travail)<br />

gedreht hat. Das Schwulsein in Ich kann nicht<br />

schlafen hat eine metaphorische Ebene (es passt<br />

zur urbanen Fremdheit, zur Außenseiterstudie,<br />

zum Thema der ‚gelösten Verbindungen‘ zu<br />

Heimat, Kultur, Familie) – aber auch eine konkrete,<br />

körperliche. Es erzählt den ausgestellten<br />

männlichen Körper, schutzlos und gewalttätig<br />

zugleich, objekthaft und narzisstisch mit sich<br />

selbst beschäftigt, begehrt und fremd.“ (Jan<br />

Künemund in SISSY 1/11)<br />

THE KIdS ArE ALL rIGHT<br />

US 2010, regie: Lisa Cholodenko, Universal<br />

Jede lesbische Frau, die<br />

einmal Mutter werden<br />

will, muss sich irgendwann<br />

die Frage aller Fragen<br />

stellen: Woher nur<br />

nehme ich die Spermien?<br />

Und später dann: Was sage<br />

ich meinem Kind? Wie<br />

stark die <strong>Neu</strong>gier <strong>auf</strong> den<br />

Vater werden kann, bekommen auch Nic (Annette<br />

Bening) und Jules (Julianne Moore) zu<br />

spüren, als ihre Sprösslinge Joni und Laser eines<br />

Tages beschließen, ihren Erzeuger kennen<br />

lernen zu wollen. Kurzerhand rufen sie bei der<br />

Samenbank an und plötzlich gibt es da IHN:<br />

Paul (Mark Ruffalo), Motorradfahrer, alternativer<br />

Restaurantbetreiber und notorischer Frauenheld.<br />

Die Ergebnisse seiner Samenspende<br />

schließt er sofort ins Herz. Und als wäre der<br />

plötzliche Familienzuwachs nicht kompliziert<br />

genug, sucht Paul auch noch einen Designer für<br />

seinen Garten – ein Job, der für die frisch gebackene<br />

Landschaftsarchitektin Jules wie gerufen<br />

kommt. Ja, auch sein Bett lernt sie im L<strong>auf</strong>e<br />

der Handlung zur Genüge kennen. Und doch ist<br />

Lisa Cholodenkos Komödie The Kids Are All<br />

Right (man beachte das schöne Wortspiel) alles<br />

andere als eine Lesbe-wird-Hete-Geschichte.<br />

Die Schöpferin des Arthouse-Klassikers High<br />

Art erzählt vielmehr herzerfrischend davon,<br />

wie das Leben nun einmal so spielt: Inklusive<br />

jener vielfältigen Spielarten von Sexualität, wie<br />

sie eine grandiose Ich-erkläre-meinen-Kindern-warum-wir-schwule-Pornos-gucken-<br />

Szene von Annette Bening <strong>auf</strong> den Punkt bringt.<br />

Ansonsten sind die Probleme, die Kontrollfreak<br />

Nic und ihre nach Selbstverwirklichung gie-<br />

rende Hausfrauengattin so haben, normaler<br />

Beziehungsalltag. So charmant normal, dass<br />

Cholodenko mit ihrer Hollywood-Komödie den<br />

Sprung in den Mainstream geschafft hat: Sogar<br />

für den Oscar war der Teddy-Preisträger The<br />

Kids Are All Right nominiert. Zu Recht. ms<br />

THE BOYS OF ST. VINCENT<br />

frisch ausgepackt<br />

CA 1992/93, regie: John n. Smith, Pro-Fun Media<br />

In St. Vincent, einem katholischen<br />

Waisenhaus<br />

für Knaben im kanadischen<br />

<strong>Neu</strong>fundland,<br />

herrscht ein noch rauheres<br />

Klima als in der umgebenden<br />

Natur. Denn jeder<br />

noch so kleine Fehltritt<br />

der Zöglinge wird von den<br />

Glaubensbrüdern mit grausamen Züchtigungen<br />

geahndet. Das ist aber nicht alles. Noch viel<br />

schlimmer nämlich als die Schläge <strong>auf</strong> die zarten<br />

Körper wirken sich die sexuellen Übergriffe<br />

der pervertierten Seelsorger <strong>auf</strong> die Seelen<br />

der Kinder aus. Darunter hat vor allem der kleine<br />

Kevin Reevey zu leiden, der häufig noch spät<br />

abends in das Büro des diabolischen Anstaltsleiters<br />

Pater Lavin gerufen wird. Von dem, was<br />

dort hinter der schweren Eichentür vor sich<br />

geht, ahnt nur der freundliche Hausmeister etwas.<br />

Die polizeilichen Ermittlungen, die <strong>auf</strong><br />

seine Veranlassung hin ein engagierter Kommissar<br />

einleitet, werden jedoch wegen des massiven<br />

Drucks der kirchlichen Obrigkeit und ihr<br />

ergebener Lokalpolitiker rasch wieder eingestellt<br />

– und Lavin wird lediglich versetzt. Erst<br />

15 Jahre später muss er sich – inzwischen aus<br />

dem Kirchendienst ausgeschieden und selbst<br />

Familienvater – für seine Untaten vor Gericht<br />

verantworten. Dabei verfolgt er – bar jeden<br />

Schuldbewusstseins – die perfide Strategie, seine<br />

ehemaligen Schutzbefohlenen im Zeugenstand<br />

einzuschüchtern und von seinem Anwalt<br />

verunglimpfen zu lassen. Als eines der Opfer<br />

sich im Zuge dessen das Leben nimmt, muss<br />

sich der im Erwachsenenalter immer noch von<br />

Albträumen geplagte Kevin überlegen, ob er<br />

seinen Entschluss, nicht im Verfahren auszusagen,<br />

wirklich verantworten kann …<br />

John N. Smiths zweiteilige kanadische TV-<br />

Produktion aus dem Jahr 1992/93, die nun als<br />

deutsche Synchronfassung in Form einer Doppel-DVD<br />

vorliegt, erlaubt sich keinen Bruch mit<br />

konventioneller Fernsehfilmästhetik und -dra-<br />

38 39


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

maturgie und wirkt daher zwar solide, aber<br />

auch ein wenig bieder und vorhersehbar. Das<br />

Prädikat „sehenswert“ verdient sie dennoch<br />

dank Hollywoods Dauerunsympathen Henry<br />

Czerny (Das Kartell, Mission: Impossible, Der<br />

Exorzismus von Emily Rose), dem ein ebenso<br />

vielschichtiges wie erschreckendes Psychogramm<br />

Pater Lavins gelingt. cm<br />

TO dIE LIKE A MAN<br />

PT/Fr 2009, regie: João Pedro rodrigues, Edition Salzgeber<br />

„Als glamouröse Drag<br />

Queen mit einer langen<br />

blonden Lockenperücke<br />

war Tonia über Jahre hinweg<br />

der große Star des<br />

Clubs. Nur wird sie nun<br />

langsam älter. Zudem hatten<br />

ihr immer Kraft und<br />

Mut gefehlt, ihre Verwandlung<br />

endgültig zu machen.<br />

Alles in Rodrigues’ grandiosem Melo-Drama<br />

verweist <strong>auf</strong> die Konstruktionen von Weiblichkeit,<br />

die in der Welt der Transvestiten und<br />

Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben<br />

solche erweisen. Das Weibliche ist in der patriarchalischen<br />

Gesellschaft immer etwas Gemachtes,<br />

etwas durch Abgrenzung Erschaffenes,<br />

entweder erzwungen durch männliche<br />

Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren.<br />

Tonias tragisches Scheitern und ihr später,<br />

dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind<br />

der Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden<br />

Klagegesangs, der sich schlussendlich<br />

nur in eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende<br />

Utopie verwandeln kann.“ (Sascha Westphal<br />

in SISSY 4/10)<br />

rÜCKKEHr ANS MEEr<br />

Fr 2009, regie: François ozon, Indigo/Good Movies<br />

Ozons vorletzter Spielfilm<br />

erzählt von einer fragilen<br />

Freundschaft zwischen<br />

einem schwulen Mann<br />

und der schwangeren<br />

Freundin seines toten<br />

Bruders. „Ozon stellt mit<br />

Mousse und Paul ganz bewusst<br />

zwei so konträre<br />

Figuren gegenüber, denn so ist es regelrecht<br />

schön zu sehen, wie Grenzen, Neigungen und<br />

Zukunftspläne verwischen. Trotz aller Unterschiede<br />

in der Lebensweise verbindet Paul und<br />

Mousse sehr viel, deswegen ist Rückkehr ans<br />

Meer auch eine Geschichte über fehlende Liebe,<br />

schmerzlichen Verlust und nicht zuletzt<br />

über das Bewusstsein, dass wir alle in bestimmten<br />

Lebensphasen allein sind – und<br />

manchmal allein sein müssen. Und da Ozon<br />

den harten Schnitt mag, passt das – <strong>auf</strong> den<br />

flüchtigen Gedanken – doch sehr krasse Ende<br />

erst einmal sehr gut. Denn wenn man ganz ge-<br />

40<br />

nau in Mousses Gesicht schaut, wenn man Paul<br />

beobachtet, wie er das <strong>Neu</strong>geborene in seinen<br />

großen Händen hält, dann weiß man, dass es<br />

auch ein sehr erwachsener und durchaus mit<br />

Hoffnung verbundener Schluss ist.“ (Michael<br />

Eckhardt in SISSY 3/10)<br />

A MArINE STOrY<br />

US 2010, regie: ned Farr, Pro-Fun Media<br />

„Es gibt kein richtiges Leben<br />

im Falschen. Die Armee<br />

ist weder für Frauen<br />

noch für Männer ein Ort<br />

der Emanzipation, sondern<br />

ihr Gegenteil, aber sie<br />

verspricht insbesondere<br />

den Unterprivilegierten<br />

die Chance zum gesellschaftlichen<br />

Aufstieg, finanzielle Sicherheit und<br />

Teilhabe am großen Ganzen der Nation. Nach<br />

dem Motto: Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt<br />

mir eine Uniform! Alex gehört zwar nicht der<br />

Unterschicht an, sie ist auch nicht schwarz oder<br />

Chicana, sondern setzt eine Familientradition<br />

fort. Aber auch sie hat eine Schwachstelle: Sie ist<br />

Lesbe, ein vermeintliches Manko, das sie verbergen<br />

und kompensieren will. Dafür ist eine<br />

Uniform immer gut – und manche finden sie ja<br />

auch sexy.“ (Jessica Ellen in SISSY 1/11)<br />

NOwHErE<br />

USA 1997, regie: Gregg Araki, Pro-Fun Media<br />

Während Kaboom, Arakis<br />

letzter Streich, seit Mai in<br />

den Kinos läuft, hat sich<br />

endlich Pro-Fun erbarmt<br />

und Nowhere in Deutschland<br />

zum ersten Mal <strong>auf</strong><br />

DVD veröffentlicht. Es hat<br />

vierzehn Jahre gedauert,<br />

aber Arakis Fans sind da<br />

nicht kleinlich. Schließlich ist Nowhere, der Abschlusstusch<br />

zu seiner L.A.-Trilogie, der Arakischste<br />

aller Araki-Filme: <strong>auf</strong> hysterische<br />

Weise schwermütig, grundlegend zynisch, voller<br />

Sex und Gewalt, aber nie hoffnungslos und<br />

immer sehr unterhaltsam. Hauptfigur Dark<br />

Smith, gespielt von Arakis Muse James Duval,<br />

fasst den Filmtitel erklärend zusammen: „L.A.<br />

is like nowhere … everybody who lives here is<br />

lost.“ Diese verlorene Generation bereitet sich<br />

in Gestalt eines der prominentesten Casts der<br />

jüngeren Filmgeschichte dar<strong>auf</strong> vor, die <strong>auf</strong>regendste<br />

Party des Jahres zu feiern. Aber vorher<br />

wird eine von ihnen von einem Fernsehstar<br />

vergewaltigt, einer von einer riesigen Schabe<br />

gefickt, zwei sterben, Shannen Doherty, Christina<br />

Applegate und Traci Lords lachen bis der<br />

Bus kommt, und alle haben Sex mit allen und<br />

sind ständig <strong>auf</strong> irgendwas dr<strong>auf</strong>. Klingt wie<br />

ein Meisterwerk über die postmoderne Pubertät?<br />

Ist es auch. pasch<br />

MEIN dOMINANTES LEBEN<br />

US 2010, regie: Irving Schwartz, Edition Salzgeber<br />

„Für die einen ist es das<br />

Normalste der Welt, mit<br />

30 Jahren zum zweiten<br />

Mal Mutter zu werden<br />

und ein Häuschen zu besitzen.<br />

Andere erleben das<br />

Zusammenwohnen in<br />

Kommune-ähnlichen Zuständen,<br />

als gäbe es nichts<br />

Alltäglicheres. Und Menschen wie Natalie finden<br />

es eben ganz normal, Lesbe und gleichzeitig<br />

Domina zu sein. Das Erstlingswerk Mein<br />

dominantes Leben beeindruckt mit Details aus<br />

der Masochismus-Szene, kommt wie ein kleines<br />

Bilder-Kunstwerk der beiden Filmemacher<br />

daher, jedoch nicht als unbedingtes Lesben-<br />

Liebhaber-Stück. Die Drehbuchschreiber und<br />

Produzenten Garzon und Sales wollten nach eigenen<br />

Angaben in dem Film ihre ‚politischen,<br />

sozialen und romantischen Lebenseinstellungen<br />

und Erfahrungen‘ verarbeiten. Eine gewaltige<br />

Anforderung, die vielleicht ein Stück zu<br />

hoch gegriffen war. Dafür aber, so erfährt man<br />

<strong>auf</strong> der Internetseite zum Film, habe das Filmteam<br />

während der Dreharbeiten einen gewaltigen,<br />

chaotischen Spaß gehabt.“ (Jana Schulze<br />

in SISSY 1/11)<br />

THE STrANGEr IN US –<br />

EIN SCHATTEN VON GLÜCK<br />

USA 2010, regie: Scott Boswell, GMfilms<br />

Anthony, ein eher unsicherer,<br />

melancholischer<br />

und stets ein wenig verloren<br />

wirkender junger<br />

Mann, stammt aus der<br />

tiefsten Provinz Virginias,<br />

wo er den erfolgreichen<br />

Innenarchitekten<br />

Stephen kennen lernt,<br />

und zieht wenig später zu ihm nach San Francisco.<br />

Das Zusammenleben mit dem neuen<br />

Lover gestaltet sich dann allerdings mehr als<br />

schwierig, denn Stephen entpuppt sich schnell<br />

als besitzergreifender, unberechenbarer und<br />

cholerischer Kontrollfreak. Anthony versucht<br />

zunächst, sich den Launen des Psychopathen<br />

anzupassen, doch nachdem Stephen ihm gegenüber<br />

mehrfach handgreiflich geworden<br />

ist, verlässt er den geschmackvoll möblierten<br />

Beziehungsknast. Anthonys schmales Budget<br />

– er träumt den naiven Traum einer freien<br />

Schriftstellerexistenz – zwingt ihn nun zu einem<br />

kärglichen Leben in einem WG-Zimmer<br />

abseits des glamourösen Castro-Viertels. Auf<br />

einem seiner planlosen Streifzüge durch die<br />

nächtliche Großstadt trifft er zufällig mit<br />

dem minderjährigen Ausreißer und Gelegenheitsstricher<br />

Gavin zusammen. Eine folgenreiche<br />

Begegnung, denn einerseits macht Ga-<br />

vin Anthony mit dessen eigenem Fremden<br />

bekannt, indem er ihn in eine dunkle Parallelwelt<br />

aus schnellem Sex, Drogen und Gewalt<br />

einführt. Andererseits aber stellt der erst<br />

17-Jährige dem orientierungslosen Ex-Provinzler<br />

auch ein Vorbild an Selbstbewusstsein<br />

und gelebter Freiheit vor Augen. Als Stephen<br />

– „Ich bin jetzt ein anderer“ – ihn erneut mit<br />

seinen giftigen Tentakeln einzufangen versucht<br />

und Gavin plötzlich spurlos verschwindet,<br />

gerät Anthony in eine Situation, in der er<br />

endlich eine klare Entscheidung treffen<br />

muss … Scott Boswells gut beobachtetes<br />

Selbstfindungsdrama, das das Geschehen in<br />

kunstvollen chronologischen Sprüngen darbietet<br />

und auch einmal die Schattenseiten des<br />

schillernden Schwulen-Mekkas San Francisco<br />

beleuchtet, besticht vor allem durch seine<br />

hervorragenden Schauspieler: Raphael Barkers<br />

Darstellung Anthonys rührt an, ohne jemals<br />

ins Kitschige abzugleiten, und Scott Cox<br />

verkörpert den übergriffigen Stephen so<br />

glaubwürdig, dass sich beim Zuschauen Beklemmungen<br />

einstellen. cm<br />

BLOOMINGTON<br />

US 2010, regie: Fernanda Cardoso, Edition Salzgeber<br />

„Eine dominante Lehrerin<br />

mit akkurat frisiertem<br />

Dutt, kurzem Rock und<br />

halb <strong>auf</strong>geknöpfter Bluse,<br />

die, an ihrem Pult sitzend,<br />

lasziv an ihrem Bleistift<br />

knabbert. Eine Vorstellung,<br />

derer sich in diesem<br />

Genre nicht wenige Male<br />

bedient wurde und von der trotzdem nach wie<br />

vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination,<br />

die durch das Recht begrenzt ist und durch den<br />

Duft des Verbotenen, hier die Anziehung zu einem<br />

Menschen in einer übergeordneten Position,<br />

begünstigt wird. Diese Fantasie, die schon<br />

Musikalisch!<br />

oft zuvor bebildert wurde, erlebt in Fernanda<br />

Cardosos Bloomington ein filmisches Revival.<br />

Den Zuschauer beschleicht aber das Gefühl,<br />

dass die Studentin in der Professorin eher nach<br />

einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten<br />

Partner sucht; Wenn Catherine, mit<br />

einem schwarzen Trenchcoat bekleidet, den<br />

ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um<br />

diese nach einem handfesten Streit aus dem<br />

Umfeld der ‚es nur gut meinenden‘, aber ignoranten<br />

Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich<br />

heute ebenfalls beim Griff in den Kleiderschrank<br />

für den schwarzen Trench entschieden<br />

hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter<br />

ihr nicht mehr öffnet.“ (Kerstin Wel zen heimer<br />

in SISSY 4/10)<br />

NO NIGHT IST TOO LONG<br />

UK/CAn 2006, regie: Tom Shankland, Pro-Fun Media<br />

No Night Is Too Long ist<br />

ein sehr guter, altmodischer,<br />

sehr spannender<br />

Thriller, in dem Homosexualität<br />

eine Quelle des<br />

Ungemachs ist. Das liegt<br />

daran, dass die Vorlage<br />

von Krimiautorin Ruth<br />

Rendell ist, einer nachgewiesenen<br />

Meisterin ihres Fachs, die aber ungefähr<br />

so sehr an das Glück schwuler Männer<br />

glaubt wie die Lesbe Patricia Highsmith.<br />

Schon die schickte ihr schwules Alter Ego<br />

Tom Ripley in vier Bänden genüsslich in die<br />

Abgründe seiner eigenen Seele. Und auch Tim,<br />

der „Held“ von No Night Is Too Long, ist ein<br />

echtes, bezauberndes Monster: schön, glatt,<br />

schnell entflammt, schnell überdrüssig und zu<br />

schnellen Lösungen bereit, wenn ihm sein<br />

Liebhaber zu sehr <strong>auf</strong> die Nerven geht. Regisseur<br />

Tom Shankland und sein fantastisches<br />

Ensemble zelebrieren ihren Marsch von Schuld<br />

nach Sühne <strong>auf</strong>s Allerfeinste und nehmen ihr<br />

Beautiful People<br />

DVD, Import<br />

Wir haben (fast) alles.<br />

Und was wir nicht am Lager haben, besorgen wir gerne. Auch aus dem Ausland.<br />

Publikum mit, ohne es bis zum Schluss wissen<br />

zu lassen, wo man sich gerade befindet. Großartig<br />

geschrieben, gespielt und gedreht, nicht<br />

kleinlich, wenn es um nackte Haut geht, plus<br />

mehrfach ausgezeichnete Filmmusik. Ganz<br />

feines Fresschen für Krimifreunde. pasch<br />

KUBA UNd dIE NACHT –<br />

ZwEI HEIMATLäNdEr<br />

D 2007, regie: Christian Liffers, Pro-Fun Media<br />

Regisseur Christian Liffers<br />

begibt sich in seinem<br />

intensiven Dokumentarfilm<br />

<strong>auf</strong> die Suche nach<br />

dem Dichter Reinaldo<br />

Arenas. Oder vielmehr<br />

dessen Geist im heutigen<br />

Kuba. Die sinnliche Aufmüpfigkeit<br />

und das Verlangen<br />

nach einem ganzen, echten Leben als<br />

schwuler Mann haben Arenas von der Insel<br />

fliehen lassen, bevor er vor 25 Jahren in den<br />

USA starb. Christian Liffers hat sich fünf<br />

schwule Männer und eine Transsexuelle im<br />

Kuba des neuen Jahrtausends gesucht, die er<br />

<strong>auf</strong> Echos von Arenas Hinterlassenschaft abhört.<br />

Und er wird <strong>auf</strong> hochpoetische Weise<br />

fündig. Jede der sechs Stories wird eingeleitet,<br />

indem der Protagonist einen Text von<br />

Arenas verliest, der zu ihm passt. (Auch der<br />

Titel des Films stammt aus einem dieser Texte.)<br />

Daran entlang erzählt Liffers die Geschichten<br />

seiner alten und jungen Protagonisten,<br />

umrahmt von einem der schönsten<br />

Filmsoundtracks der letzten Jahre. Das Ergebnis<br />

ist ein Geflecht aus Bildern, Tönen und<br />

Worten, das so dicht ist wie eins von Arenas<br />

Gedichten, dieselbe Kraft und Schönheit besitzt,<br />

mehrere Ebenen gleichzeitig bedient<br />

und den Zuschauer mit dem Gefühl eines Bildungsurlaubs,<br />

in dem man viel guten Rum getrunken<br />

hat, zurücklässt. pasch<br />

Portofrei


frisch ausgepackt frisch ausgepackt<br />

SEEING HEAVEN<br />

GB 2010, regie: Ian Powell, Pro-Fun Media<br />

Seeing Heaven ist das Verkopfteste,<br />

was im Moment<br />

zu haben ist. Ian Powell<br />

hat in seine Geschichte<br />

über den jungen Escort<br />

Paul so viele doppelte Böden,<br />

literarische wie filmische<br />

Referenzen und<br />

gedankliche Falltüren<br />

eingebaut, dass der Film öfter mal mit vollem<br />

Karacho durch eine durchbrettert und hart <strong>auf</strong><br />

seinem hübschen Arsch landet. Vielleicht war<br />

dem Macher die Geschichte über einen Jungen,<br />

der sich heftig und möglichst unsafe ficken lassen<br />

muss, um sich in einer halluzinierten Parallelwelt<br />

<strong>auf</strong> die Suche nach seinem Zwillingsbruder<br />

Saul zu begeben, dann doch ein bisschen<br />

peinlich. Zu Recht. Wäre sie beerdigt, Linda<br />

Lovelace würde so schnell in ihrem Grab rotieren,<br />

dass sie inzwischen zum Erdmittelpunkt<br />

vorgestoßen wäre. Und diese Vorstellung ist<br />

das einzig Amüsante an diesem Film. pasch<br />

SKIN & BONE<br />

US 1996, regie: Everett Lewis, Pro-Fun Media<br />

Der Nachspann zieht ein<br />

bitteres Resümee und teilt<br />

die Rollen <strong>auf</strong> in die Fickenden<br />

und die Gefickten.<br />

Und so richtig viele<br />

bleiben in der ersten<br />

Gruppe am Ende gar nicht<br />

übrig. Everett Lewis’<br />

fünfzehn Jahre altes Stricherdrama<br />

wirft einen kalten, hartherzigen<br />

Blick <strong>auf</strong> das Selbstverständnis hübscher<br />

Jungs, die sich beim Anschaffen einreden, dass<br />

sie Schauspieler sind und bei den Schauspielcastings<br />

nur weiterkommen, wenn sie sich ausziehen<br />

und sexuell zu Diensten sind. Fernziel:<br />

Hauptrolle in Satanische Jugend III. Lewis’<br />

Lieblingsdarsteller B.Wyatt hat es dagegen immerhin<br />

in Everett-Lewis-Filme geschafft (wie<br />

da das Casting ablief, mag man sich nicht vorstellen).<br />

Richtig spielen muss er zwar nicht,<br />

aber cool sein und Körper Zeigen ist drin. Was<br />

Lewis daraus macht, ist kein Sozialrealismus<br />

– er zerfetzt schräge Stricheranekdoten in experimentellen<br />

Schnittexzessen, verknüpft das<br />

mit einem abgründigen Verschwörungsplot<br />

um die undurchsichtige Zuhälterin des exklusiven<br />

Callboy-Rings und lässt das sonnige Los<br />

Angeles sich als fleischfressende Pflanze um<br />

die Hoffnungen und Identitätsentwürfe der<br />

hübschen jungen Männer schließen, bis sie als<br />

Gefickte aus den Fantasien ihrer Kunden verschwinden<br />

dürfen – wenn sie Glück haben. Da<br />

diese Fantasien ziemlich weit gehen, ist die<br />

FSK eingeschritten. Also: gute Erwachsenenunterhaltung.<br />

jk<br />

42<br />

CIBrâIL<br />

DE 2011, regie: Tor Iben, Edition Salzgeber<br />

Tor Iben ist in den letzten<br />

Jahren schon mit seinen<br />

Kurzfilmen Love Kills und<br />

Tourist angenehm <strong>auf</strong>gefallen.<br />

Und auch wenn er<br />

in den 70 Minuten, die<br />

man als Zuschauer mit Cibrâil<br />

verbringt, den einen<br />

oder anderen gedanklichen<br />

Haken schlägt, bleibt einem sein erster<br />

Langfilm in ebenso guter Erinnerung, weil Iben<br />

auch hier von dem erzählt, was er gut kennt:<br />

Berlin und Sehnsucht. Die Story: Streifenpolizist<br />

Cibrâil ist ein ruhiger Typ, der öfter mal<br />

lieber L<strong>auf</strong>en geht, statt mit seiner Freundin zu<br />

schlafen, und sich den Opfern homophober Gewalt<br />

im Berliner Tiergarten fast zu sehr verbunden<br />

fühlt, wenn er sie betreut. Warum, wird<br />

klar, als der Cousin seiner Freundin aus Rom<br />

das Paar besuchen kommt, denn der ist offen<br />

schwul und bringt Cibrâil <strong>auf</strong> ganz andere Gedanken,<br />

denen er über kurz oder lang wird<br />

nachgehen müssen. Am Ende sind alle das, was<br />

sie sein sollen und irgendwie glücklich. Ibens<br />

erster abendfüllender Spielfilm ist vielversprechend.<br />

Wir freuen uns schon <strong>auf</strong> Weiteres in<br />

dieser Art. pasch<br />

CITY wITHOUT BASEBALL<br />

HK 2008, regie: Lawrence Ah Mon (Scud), Pro-Fun Media<br />

Baseball gilt in der ehemaligen<br />

britischen Kronkolonie<br />

Hongkong als<br />

eine eher exotische<br />

Sportart und wird dort<br />

dementsprechend auch<br />

nur von wenigen begeisterten<br />

Individualisten<br />

betrieben. Zum Beispiel<br />

von Chung, Ron und Jason, die sich unter der<br />

Leitung ihres taiwanesischen Trainers Mr.<br />

Tai gemeinsam mit ihrer Mannschaft verbissen<br />

<strong>auf</strong> ihr großes Ziel, den Gewinn der Asienmeisterschaft,<br />

vorbereiten. Abseits des<br />

Spielfeldes erleben die Sportsfreunde allerlei<br />

Geschichten amouröser Natur, wobei sich sogar<br />

zwischen zwei von ihnen Ballspiele intimerer<br />

Art anzubahnen scheinen. Ähnlich ungeordnet<br />

und chaotisch wie das sportliche<br />

Treiben <strong>auf</strong> dem Rasen dem regelunkundigen<br />

Beobachter vorkommt, so mutet allerdings<br />

auch die Art und Weise an, wie diese Geschichten<br />

nebeneinander herl<strong>auf</strong>en, sich hin<br />

und wieder überkreuzen, um dann schließlich<br />

leider ins Leere zu münden. Abgesehen<br />

von diesem Verpassen eines dramaturgischen<br />

Home Runs erweckt seine bisweilen bizarre<br />

Genremixtur aus Sportlerdrama, Teenagerkomödie,<br />

Coming-Out-Story und Soft-Erotik-<br />

Streifen zudem fast den Endruck, als wolle<br />

der Film bei jeder erdenklichen Zuschauerzielgruppe<br />

Punkte einsammeln. Erstaunlich<br />

ist aber die Tatsache, dass es sich bei den Darstellern<br />

um Spieler aus Hongkongs wirklicher<br />

Baseballmannschaft handelt, die sich in diesem<br />

Streifen darstellerisch überraschend<br />

professionell und unter der Mannschaftsdusche<br />

überraschend offenherzig in Szene setzen.<br />

Bei dieser Gelegenheit erörtern sie sogar,<br />

ob sie dank ihrer naturgegebenen Talente<br />

nicht auch mal einen Pornofilm drehen sollten.<br />

Da ihnen der Titel des Asienmeisters leider<br />

verwehrt bleibt, sollte man ihnen deshalb<br />

als Trostpreis den nächsten Bambi für Courage<br />

verleihen. cm<br />

L-SHOrTS dIE drITTE<br />

DE, no, CA, USA 2005–2010, Edition Salzgeber<br />

Na wenn das nicht wirklich<br />

Lust <strong>auf</strong> mehr macht:<br />

Im Trailer zur dritten<br />

Auflage der L-Shorts ziehen<br />

sich wunderhübsche<br />

Damen aus, wälzen sich<br />

im Gras oder <strong>auf</strong> dem Bett,<br />

eine amerikanische Butch<br />

verpasst einem Truck-<br />

Fahrer den Sticker-Slogan „A Dyke was here“<br />

und eine freche Göre verkündet: „Wenn ich<br />

mal groß bin, will ich eine Lesbe werden!“ Man<br />

möchte sie sofort sehen, die Kurzfilme zu diesen<br />

Szenen, und bei den meisten der sieben<br />

Werke lohnt es sich auch. Trotzdem bleibt nach<br />

über hundert Minuten Gefühlsachterbahn<br />

zwischen Beziehungsdramen und Comedy leider<br />

auch die Erkenntnis: Die besten Szenen<br />

wurden bereits im Trailer verbraten. Zumindest,<br />

was die Erotik betrifft. Diskret blendet<br />

die Kamera ab, wenn es zur Sache geht; und<br />

was an Handlung übrig bleibt, hält oft nicht<br />

ein, was die wunderschönen Bilder versprochen<br />

hatten. So ganz glaubwürdig ist es jedenfalls<br />

nicht, dass die Tochter ihrem eigenen Vater<br />

in Die Trophäe die Freundin ausspannt,<br />

ohne auch nur das Geringste dafür zu tun. Oder<br />

dass die eben noch völlig verunsicherte, in ihrer<br />

vermeintlichen Heterosexualität erschütterte<br />

Louise nach nur einer Nacht mit einer<br />

Frau gleich klammert, dass es weh tut. Viel<br />

mehr Tiefgang hat dagegen der körperliche<br />

Schmerz in Dani & Alice: Die Regisseurin Roberta<br />

Marie Monroe widmet sich dem Tabuthema<br />

häuslicher Gewalt. Aus Eifersucht geschlagen<br />

zu werden und trotzdem kaum<br />

voneinander loszukommen, entspricht schon<br />

eher der Welt, wie sie wirklich ist. L-Shorts –<br />

Die Dritte ist und bleibt der perfekte Stoff für<br />

Träumerinnen: Niemals würden wir doch einfach<br />

so zu unserer neuen Nachbarin rübergehen<br />

und sie um einen Kuss bitten, wie es die<br />

Lofoten-Bewohnerin in Kurzatmig mit der attraktiven<br />

Fremden macht. Aber wir wären gerne<br />

so mutig. ms<br />

MISCELLANEA I–VII<br />

D 1986–2010, regie: Heinz Emigholz, Filmgalerie 451<br />

„Es gibt ja Leute, die behaupten,<br />

die Geschichte<br />

des Kinos ist länger als die<br />

Geschichte der Menschen.“<br />

– So formuliert<br />

der Journalist Stefan Grisseman<br />

in einem Interview<br />

mit dem Filmemacher<br />

Heinz Emigholz. Dieses<br />

Interview hat mit der DVD Miscellanea I–VII<br />

erst mal nichts zu tun. Aber das Interview findet<br />

sich <strong>auf</strong> der Homepage von Heinz Emigholz’<br />

Produktionsfirma „PYM“. Emigholz produziert<br />

seine Filme stets selbst, die „PYM“ ist so über<br />

die Jahrzehnte (Emigholz’ Filmografie reicht<br />

bis ins Jahr 1972) zu einem Logo geworden für<br />

etwas, das im heutigen Kino einzigartig zu sein<br />

scheint: die Wahrnehmung von Orten, Räumen<br />

und Objekten, sowie ihrer Umgebung und ihrer<br />

Details als Kern filmischen Erzählens. Die Arbeitsweise<br />

von Emigholz lässt sich anhand der<br />

<strong>auf</strong> der DVD versammelten sieben mittellangen<br />

Filme gut erkunden: Simpel formuliert stellt er<br />

seine Kamera vor ein Objekt oder in einen Raum<br />

und nimmt einfach <strong>auf</strong>; fotografisches Betrachten<br />

mithilfe des Bewegtbildes. Emigholz’ Blickwinkel<br />

wirkt dabei stets etwas entrückt und<br />

wortwörtlich schief. In seinen vielfältigen Architekturstudien,<br />

von denen sich <strong>auf</strong> dieser<br />

DVD unzählige finden, führt er so den Blick des<br />

Zuschauers <strong>auf</strong> Wesentliches, was mitunter einen<br />

immensen Sog erzeugt. Miscellanea I–VII<br />

ist eine 152-minütige Schule der optischen<br />

Wahrnehmung – im besten Sinne. Gleichzeitig<br />

wird auch eine Entwicklung im Schaffen von<br />

Emigholz erkennbar, handelt es sich bei dieser<br />

Sammlung doch auch um Material, das während<br />

der Dreharbeiten zu anderen Projekten<br />

entstand, wie das kleine Begleitheft informiert.<br />

Es finden sich in dieser Film-Sammlung allerdings<br />

auch Film-Text-Montagen, deren intellektuelle<br />

Verkopftheit gleichermaßen abstößt<br />

und, in ihrer latent schwulen Grundierung,<br />

auch wieder fasziniert. Die unausgesprochene<br />

Faszination für das Männliche schreit einen in<br />

diesen sieben Filmen aus 22 Jahren förmlich<br />

an: Miscellanea I–VII – Bewegtbild als schwuler<br />

Mindfuck. schub<br />

43<br />

Das Team der L-Filmnacht und<br />

der Gay-Filmnacht wünscht Euch<br />

einen schönen Sommer!<br />

Wir machen Pause.*<br />

Ab September geht es weiter!<br />

*Achtet aber <strong>auf</strong> die CSD-Special-Screenings in ausgewählten Städten.<br />

Wir bedanken uns bei unseren Partnern für die gute Zusammenarbeit:<br />

BAREFOOT WINE & BUBBLY, dbna, gab, gayPARSHIP.de,<br />

GAYPEOPLE.de, hinnerk, LEO, lesbisch schwule fi lmtage hamburg,<br />

manCheck, QUEER AGENT, Rainbowguide, SCHWULST, weird<br />

www.Gay-Filmnacht.de<br />

www.L-Filmnacht.de<br />

Eine Veranstaltung von CinemaxX, L-MAG und der Edition Salzgeber.


profil<br />

halleluja, die gibt’s noch!<br />

von chriStine Wunnicke<br />

Literatur, DVDs und schwullesbischen Schnickschnack kann man ja überall bestellen, auch von zu Hause aus. Aber wer sich als<br />

MünchenerIn oder München-TouristIn die Gelegenheit entgehen lässt, in den schätzungeweise 27 Ecken des Buchladens „Max<br />

& Milian“ <strong>auf</strong> Entdeckungsreise zu gehen, hat wirklich etwas verpasst. natürlich stößt man dort auch <strong>auf</strong> die so ganz eigenen<br />

romane von Christine Wunnicke, die ihrem Lieblingsladen in der SISSY ein ganz wunderbares Porträt widmet; einer – wenn auch<br />

in zeiten der Amazonen gefährdeten – Münchner Institution.<br />

Miriam Leitner und Jan Kowalczyk in einer von siebenundzwanzig Ecken ihres Buchladens.<br />

PrIVAT<br />

s Ich wohne seit siebzehn Jahren siebzig<br />

Schritte vom Buchladen entfernt. (Für mich<br />

ist er schlicht „der Buchladen“, weil er in<br />

meinem Leben die absolute Buchladenshoheit<br />

hat; außerdem habe ich damals, als ich<br />

neu war, natürlich die Standardfrage gestellt,<br />

welcher von den beiden Herren denn nun der<br />

Max sei und welcher der Milian, und dieser<br />

Mangel an Abstraktionsfähigkeit ist mir<br />

noch heute peinlich.)<br />

Der Laden ist 1989 von Jan Kowalczyk<br />

und Rolf Klaiber gegründet worden, zweimal<br />

umgezogen (die erste Vermieterin in Schwabing<br />

kündigte nach einem Aha-Erlebnis dem<br />

„Schweineladen“ schon am Tag der Eröffnung)<br />

und seit 1994 in der Ickstattstraße. Er<br />

ist Herz und Nabel des Viertels und die linke<br />

Gehirnhälfte der Szene. Er ist kompakt und<br />

stabil. Er überlebt Amazon, er überlebt den<br />

ameisenartigen Zuzug gebärfreudiger junger<br />

Familien ins Glockenbachviertel, er überlebt<br />

auch den für mich noch immer unentschuldbaren<br />

Abmarsch des Gründungsvaters<br />

Klaiber in den Schwarzwald, und wenn die<br />

Welt verpufft, wird man gelassen aus der Tür<br />

schauen und das Verpuffte mit Regenbogengirlanden<br />

verzieren, wie man es sonst mit<br />

Baugerüsten tut. (Apropos Weltuntergang:<br />

Ich werde nie vergessen, wie im August 1999<br />

kurz nach der totalen Sonnenfinsternis ein<br />

schwerer Bayer in Tracht aus dem Laden<br />

kam und voller Erleichterung hervorstieß:<br />

Christine Wunnicke ist Autorin und Übersetzerin. Ihr Romandebüt<br />

war „Fortescues Fabrik“ (München 1998). Zuletzt erschienen „Serenity“<br />

(Berlin 2008, Tukan-Preis) und die Novelle „Nagasaki, ca. 1642“<br />

(Zürich 2010). Sie lebt und arbeitet in München.<br />

„Halleluja, die gibt’s noch!“, bevor er seine<br />

Pappsonnenbrille zerknautschte. Das ist bis<br />

heute mein liebster Max-und-Milian-Satz<br />

geblieben.)<br />

Der Buchladen ist wie die Tasche von<br />

Mary Poppins, außen klein, innen bodenlos.<br />

Ich weiß nicht, wie viele Ecken er hat,<br />

mindestens siebenundzwanzig. In fast allen<br />

kann man sitzen und bleiben. Es gibt Bücher,<br />

Filme, Musik, schwul, lesbisch, queer, quer<br />

und anders. Es gibt die wunderlichsten Postkarten<br />

der Republik, liebevoll handverlesen,<br />

und zwar ungefähr eine halbe Million.<br />

Es gibt alle drei Nummern der englischen<br />

Zeitschrift „Meat“, Auflage 100, signiert,<br />

mit beigelegtem Gimmick, und die Ausgabe<br />

des Briefwechsels von Donald Windham<br />

und Tennessee Williams von 1976, weil es ja<br />

schließlich viel zu einfach wäre, nur Windhams<br />

deutsche <strong>Neu</strong>erscheinungen zu verk<strong>auf</strong>en.<br />

Lange gab es eine wandernde Riesenschneekugel<br />

mit Kaiserin Sissi darin, die<br />

dann abwanderte, wie auch die weihnachtlichen<br />

Keks-Attrappen mit Ejakulatdekor, die<br />

ich echt nicht vermisse. In einer der vielen<br />

Ecken liegt ein goldenes Prinzessinnen-<br />

Krönchen. „Erstaunlich viele Kunden setzen<br />

das <strong>auf</strong>“, sagt Jan, „das scheint ein Bedürfnis<br />

zu sein.“<br />

Bedürfnisse sind hier wichtig. Oft entdeckt<br />

man welche, die man vorher nie ahnte,<br />

findet ein Buch, das das Leben verändert,<br />

Fortescues Fabrik<br />

Roman, 444 Seiten, Knaus<br />

1998/btb 2000,<br />

www.randomhouse.de/btb<br />

oder Sextipps von Edith Schröder aus <strong>Neu</strong>kölln.<br />

Sie werden staunen, womit Sie den<br />

Laden verlassen, wenn Sie nur schnell „Tipping<br />

the Velvet“ k<strong>auf</strong>en wollten oder Alain<br />

Claude Sulzer. Und man betütelt keinen<br />

(außer vielleicht mit altrosa Eink<strong>auf</strong>snetzen,<br />

die von irgendetwas der Restbestand<br />

sind). Und man verbreitet nicht dauernd<br />

gute Laune. Dafür liebe ich den Laden wahrscheinlich<br />

am meisten. Empfiehlt Miriam<br />

Leitner einen Roman, in dem ein deprimierender<br />

Loser sein Leben in Selbstmordphantasien<br />

verdämmert, wird sie die Tatsachen<br />

gewiss nicht marketingstrategisch umhäkeln.<br />

Ich wünschte, Miriam gäbe Seminare<br />

zum Thema Klappentext. Sie ist erst seit drei<br />

Jahren hier und bringt frischen Wind in die<br />

Firma – weiblich, post-gay, jung.<br />

Meine Manieren im Umgang mit dem<br />

Buchladen haben über die Jahre ein wenig<br />

die Fasson verloren. Wären nicht diese siebzig<br />

Schritte im Freien, ich käme längst im<br />

Nachthemd. Ich stürze dort hinein mit meinen<br />

großen und kleinen Lebensfragen, als<br />

gäbe es keine Kundschaft, die verborgen in<br />

den siebenundzwanzig Ecken nistet, und<br />

mache mich zum Affen, oder zur Marketingstrategie.<br />

Wenn jemand fragt „Wer war<br />

denn das?“, sagt Jan „Das war die Christine<br />

Wunnicke“, und verk<strong>auf</strong>t ihm schnell ein<br />

Buch von mir, solange er noch am Wundern<br />

ist. Halleluja! s<br />

Serenity<br />

Roman, 240 Seiten, Osburg<br />

Verlag 2000,<br />

www.osburg-verlag.de<br />

Nagasaki, ca. 1642<br />

Novelle, 112 Seiten, Edition<br />

Epoca 2010, www.epoca.ch<br />

44 45<br />

profil


abspann<br />

bezugSquelleN<br />

Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird l<strong>auf</strong>end ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BERLIN B_BOOKS Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · BRuNO’S Bülowstraße<br />

106, 030/61500385 · BRuNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387<br />

· DuSSMANN Friedrichstraße 90 · GALERIE JANSSEN Pariser Straße 45,<br />

030/8811590 · KADEWE Tauentzienstraße 21–24 · MEDIA MARKT ALExA Grunerstraße<br />

20 · MEDIA MARKT NEuKöLLN Karl-Marx-Straße 66 · NEGATIVE-<br />

LAND Dunckerstraße 9 · PRINZ EISENHERZ BuCHLADEN Lietzenburger Straße<br />

9a, 030/3139936 · SATuRN ALExANDERPLATZ Alexanderplatz 7 · SATuRN<br />

EuROPACENTER Tauentzienstraße 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73<br />

· VIDEODROM Fürbringer Straße 17 BOCHuM SATuRN Kortumstraße<br />

72 DARMSTADT SATuRN Ludwigplatz 6 DORTMuND LITFASS DER<br />

BuCHLADEN Münsterstraße 107, 0231/834724 DüSSELDORF BOOKxxx<br />

Bismarckstraße 86, 0211/356750 · SATuRN Königsallee 56 · SATuRN<br />

Am Wehrhahn 1 ESSEN MüLLER Limbecker Straße 59–65 FRANKFuRT/<br />

MAIN OSCAR WILDE BuCHHANDLuNG Alte Gasse 51, 069/281260 · SATuRN<br />

Zeil 121 HAMBuRG BuCHLADEN MäNNERSCHWARM Lange Reihe 102,<br />

040/436093 · BRuNO’S Lange Reihe/Danziger Straße 70, 040/98238081 ·<br />

EMPIRE MEGASTORE Bahrenfelder Straße 242–244 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz<br />

15 KöLN BRuNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA<br />

MARKT Hohe Straße 121 · SATuRN Hansaring 97 · SATuRN Hohe Straße 41–53<br />

· VIDEOTAxI Hohenzollernring 75–77 LEIPZIG LEHMANNS BuCHHAND-<br />

LuNG Grimmaische Straße 10 MANNHEIM DER ANDERE BuCHLADEN M2<br />

1, 0621/21755 MüNCHEN BRuNO’S Thalkirchner Straße 4, 089/97603858<br />

· LILLEMOR’S FRAuENBuCHLADEN Barerstraße 70, 089/2721205 · MAx<br />

& MILIAN Ickstattstraße 2, 089/2603320 · SATuRN Schwanthalerstraße<br />

115 · SATuRN <strong>Neu</strong>hauser Straße 39 NüRNBERG MüLLER Königstraße<br />

26 STuTTGART BuCHLADEN ERLKöNIG Nesenbachstraße 52,<br />

0711/639139 TRIER MEDIA MARKT Ostallee 3–5 TüBINGEN FRAuEN-<br />

BuCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 WIEN BuCHHAND-<br />

LuNG LöWENHERZ Berggasse 8, + 43/1/13172982<br />

Dominikanerplatz 4<br />

kINoS<br />

WüRZBuRG MüLLER<br />

Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird l<strong>auf</strong>end ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

AALEN KINO AM KOCHER Schleifbrückenstraße 15,<br />

07361/5559994 ASCHAFFENBuRG CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse<br />

1, 06021/4510772 AuGSBuRG CINEMAxx Willy-Brandt-<br />

Platz 2, 01805/24636299 BAD FüSSING FILMGALERIE Sonnenstraße<br />

4, 08531/980555 BAMBERG LICHTSPIEL Untere Königstraße 34,<br />

0951/26785 BERLIN ARSENAL Potsdamer Straße 2, 030/26955100<br />

· KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · xENON<br />

KINO Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · CINEMAxx POTSDAMER<br />

PLATZ Potsdamer Straße 5, 01805/24636299 · EISZEIT Zeughofstraße<br />

20, 030/6116016 · FSK AM ORANIENPLATZ Segitzdamm 2, 030/6142464 ·<br />

TILSITER LICHTSPIELE Richard-Sorge-Straße 25a, 030/4268129 BIELE-<br />

FELD CINEMAxx Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 BOCHuM END-<br />

STATION KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620<br />

BREMEN KINO 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CINEMAxx Breitenweg<br />

27, 01805/24636299 DORTMuND SCHAuBuRG Brückstraße 66,<br />

0231/9565606 · SWEETSIxTEEN Immermannstraße 29, 0231/9106623 DRES-<br />

DEN KID – KINO IM DACH Schandauer Straße 64, 0351/3107373 · CINE-<br />

MAxx Hüblerstraße 8, 01805/24636299 ESSEN CINEMAxx Berliner<br />

Platz 4–5, 01805/24636299 ESSLINGEN KOMMuNALES KINO Maille<br />

4–9, 0711/31059510 FRANKFuRT/MAIN MAL SEH’N Adlerflychtstraße 6,<br />

069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee 45, 069/70769100 FREI-<br />

BuRG KOMMuNALES KINO Urachstraße 40, 0761/709033 · CINEMAxx<br />

Bertholdstraße 50, 01805/24636299 GöTTINGEN KINO LuMIèRE<br />

Geismar Landstraße 19, 0551/484523 HAMBuRG METROPOLIS KINO<br />

Steindamm 52–54, 040/342353 · CINEMAxx WANDSBEK Quarree 8–10,<br />

01805/24636299 · B-MOVIE Brigittenstraße 5, 040/4305867 · 3001<br />

Schanzenstraße 75–77, 040/437679 HANNOVER CINEMAxx Nikolaistraße<br />

8, 01805/24636299 · KINO IM KüNSTLERHAuS Sophienstraße 2,<br />

0511/16845522 KARLSRuHE KINEMATHEK KARLSRuHE KINO IM PRINZ-<br />

MAx-PALAIS Karlstraße 10, 0721/25041 KIEL DIE PuMPE – KOMMu-<br />

NALES KINO Haßstraße 22, 0431/2007650 · CINEMAxx Kaistraße 54–56,<br />

01805/24636299 · TRAuM KINO Grasweg 48, 0431/544450 KöLN FILM-<br />

PALETTE Lübecker Straße 15, 0221/122112 · KöLNER FILMHAuS Maybachstraße<br />

111, 0221/2227100 KONSTANZ ZEBRA KINO Joseph-Belli-Weg<br />

5, 07531/60162 LEIPZIG PASSAGE KINO Hainstraße 19 a, 0341/2173865<br />

· SCHAuBüHNE LINDENFELS Karl-Heine-Straße, 0341/4846211 MAGDE-<br />

BuRG CINEMAxx Kantstraße 6, 01805/24636299 MANNHEIM CINEMA<br />

QuADRAT Collinistraße 5, 0621/1223454 MARBuRG CINEPLEx Biegenstraße<br />

1a, 06421/17300 MüNCHEN NEuES ARENA FILMTHEATER Hans-<br />

Sachs-Straße 7, 089/2603265 · CITY KINO Sonnenstraße 12, 089/591983<br />

· CINEMAxx Isartorplatz 8, 01805/24636299 MüNSTER CINEMA FILM-<br />

THEATER Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 NüRNBERG KOMM-<br />

KINO Königstraße 93, 0911/2448889 OFFENBACH CINEMAxx Berliner<br />

Straße 210, 01805/24636299 OLDENBuRG CINE K Bahnhofstraße 11,<br />

0441/2489646 · CINEMAxx Stau 79–85, 01805/24636299 POTSDAM THALIA<br />

ARTHOuSE Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 REGENSBuRG<br />

WINTERGARTEN Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CINEMAxx Friedenstraße<br />

25, 01805/24636299 SAARBRüCKEN KINO ACHTEINHALB Nauwieser<br />

Straße 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAuS Mainzer Straße 8,<br />

0681/372570 SCHWEINFuRT KuK – KINO uND KNEIPE Ignaz-Schön-Straße<br />

32, 09721/82358 STuTTGART CINEMAxx AN DER LIEDERHALLE Robert-<br />

Bosch-Platz 1, 01805/24636299 TRIER BROADWAY FILMTHEATER Paulinstraße<br />

18, 0651/96657200 WEITERSTADT KOMMuNALES KINO Carl-Ulrich-Straße<br />

9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 WuPPERTAL CINEMAxx<br />

Bundesallee 250, 01805/24636299 1181<br />

heimer Straße 5a, 01805/24636299<br />

WüRZBuRG CINEMAxx Veitshöch-<br />

46<br />

IMPRESSuM<br />

herausgeber Björn Koll<br />

verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

autoren Michael Eckhardt, Simon Froehling, Richard Garay, Fritz Göttler,<br />

Ekkehard Knörer, Jan Künemund, Claudia Lenssen, Christoph Meyring,<br />

Werner Schroeter, Manuel Schubert, Maike Schultz, Paul Schulz, Robert<br />

Schweizer, André Wendler, Sascha Westphal, Anna Wollner, Christine<br />

Wunnicke, Jenni Zylka<br />

dank an Miriam Leitner (Buchladen Max & Milian, München), Bettina Huber<br />

(Aufbau Verlag Berlin)<br />

lektorat Robert Schweizer<br />

anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2010 (www.sissymag.de/media).<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druck<strong>auf</strong>lage).<br />

druck Möller Druck, Berlin<br />

Rechte Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />

der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />

schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

verteilung deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-<br />

Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen,<br />

Hamburg, Hannover, Magdeburg, Mannheim, München, Oldenburg,<br />

Stuttgart, Wuppertal. ausserdem hier: Hochschule für Film und<br />

Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), BarbieBar, Deutsche Film- und<br />

Fernsehakademie (Berlin), Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café<br />

Gnosa und Café unter den Linden (Hamburg), Café ERA, Bastard Bar,<br />

Kunsthochschule für Medien (Köln). Moro, Kraftakt (München), Rubens<br />

Home (Stuttgart), Bar Central (Frankfurt/Main), Rosa Archiv, Rosa Linde<br />

e.V. (Leipzig), Café Seitensprung (Düsseldorf), Café Caldo (Hannover).<br />

Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten, freuen wir uns. Eine<br />

kurze E-Mail genügt!<br />

haftung Für gelistete Termine und Preise können wir keine Garantie geben.<br />

Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />

abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />

auch das noch …<br />

SISSY kommt auch nach Rotenburg. (Gruß von einem Abonnenten.)<br />

ISSN 1868-4009<br />

AB 14. JULI IM KINO<br />

KAI HILLEBRAND RALPH HERFORTH<br />

MARIA SCHUSTER VASUPOL SIRIVIRIYAPOON<br />

EIN FILM VON HUGO VIEIRA DA SILVA


JEMAND WARTET AUF DICH.<br />

Es wird Zeit, dass sich die Wege kreuzen.<br />

Bei gayPARSHIP fi nden sich anspruchsvolle Frauen, die <strong>auf</strong> der Suche nach Verbindlichkeit sind.<br />

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